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Ähnlich einem Gemälde von Hieronymos Bosch führt uns Matheo Cocomero in die abseitigsten Niederungen menschlicher Vorstellungskraft und hebt das weibliche Geschlecht über den Himmel hinaus. Man hat die Wahl, sich über die Schilderung dieses Gewaltexzesses zu übergeben oder mit den Protagonisten in einem ersticktem Lachanfall zu enden. Am Ende bleibt die Frage: Was ist real? Sind wir im Jetzt? In welcher Dimension verbirgt sich die gelebte Wirklichkeit?
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Ein Experiment
für die Sophies dieser Welt
1.Teil
TIZIANA
Kamerafahrt durch eine mit Bäumen gesäumte Straße. Die Mittagssonne leuchtet die Szenerie gut aus. Links und rechts des Bordsteins gibt es einen schmalen Bürgersteig. Vorgärten, die durch kunstgeschmiedete Zäune zur Allee begrenzt werden, verdecken mit ihrem üppigen Bewuchs verwitternde Fassaden. Dreiecksgiebel überragen in einer Flucht Baum-, Busch- und Heckenbewuchs, in denen Vögel ohrenbetäubend zwitschern. Die Blütenpracht und das Grün der Gärten stehen im Kontrast zu den schmutzigen und welken Farben, der ehemals weiß getünchten Häuser.
Wir sind zu dritt. Der Kameramann, der Fahrer und ich. Als uns das scheinbar vor kurzem neu gestrichene Haus auffällt, halten wir. Gartenpforte und Eingangstür liegen genau auf einer Linie. Wir beginnen zu filmen.
Eine Trauerweide verdeckt halb mit ihren weit ausladenden Ästen eine mit Rödeldraht am Gartenzaun befestigte Holztafel. „Zu verkaufen“ steht darauf eingebrannt.
Rosen und Flieder recken sich in einen ultramarinen Himmel, der sich über dem intensiv strahlenden Weiß des Giebels ergießt. Wir sind geblendet. Wir schauen auf den Probemonitor, der am Armaturenbrett befestigt ist, und korrigieren die Helligkeit. Der Kameramann zoomt durch die gitterbewehrte Pforte auf die Haustür, die sich in diesem Augenblick öffnet.
Eine blonde Frau tritt heraus. Wir schätzen sie auf Mitte Zwanzig.
Sie hält ihre Nase witternd in die Luft, tut einen Schritt nach vorn und läßt die Tür mit lautem Getöse hinter sich ins Schloß fallen. Die Vögel verstummen. Nur noch der Nachhall des Türklopfers in Form eines Löwenkopfes ist zu hören. Dann ist es still.
Ihre Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr vom Kopf abstehen. Sie trägt ein kurzes weitgeschnittenes Kleid. Blauer Grund mit weißem Blümchenmuster. Sie ist barfüßig.
Zielstrebig geht sie auf die Trauerweide zu. Wir lassen sie nicht aus den Augen. Die Kamera folgt jeder ihrer Bewegungen.
Sie beginnt an der Rinde des Baumes zu polken. Ihr rotgeschminkter Mund spitzt sich ein wenig vor Anstrengung. Ihre Augen beginnen erwartungsvoll zu blinzeln. Mit den Fingerspitzen zieht sie eine weiße, circa einzentimeterlange dickbäuchige Made hinter der Rinde hervor und steckt sie sich in den Mund. Sie kaut mehrmals und schluckt dann.
In Verzückung geraten, blättert sie immer mehr Rinde ab und steckt sich eine Made nach der anderen in den Mund. Als sie keine mehr finden kann, gibt sie dem Baumstamm einen enttäuschten Klaps und schaut in die Luft. Ihr Interesse gilt einem der Äste über ihr. Wir folgen ihren Blicken mit der Kamera. Im unteren Teil der Baumkrone hängt eine tote Katze, die durch das fortgeschrittene Stadium ihrer Verwesung einem alten ledrigen Lappen gleicht. Dicke schwarze Fliegen steigen in Intervallen aus dem Kadaver auf und nieder. Das Mädchen nickt anerkennend.
Dann schaut sie auf die Fliederbüsche an der Gartenpforte und zu unserem Wagen. Wir können ihre Iris mit den geweiteten Pupillen erkennen. Sie blinzelt mißtrauisch, aber durch unsere getönten Scheiben bleiben wir für sie wahrscheinlich unsichtbar. Wir sind aber nicht ganz sicher. Sie hebt schnippisch ihre Schultern.
„Was soll’s “, muß sie sich gedacht haben. Sie wendet sich zum Haus, geht über den Rasen, hebt ihr Kleid und hockt sich auf halben Wege hin, um zu pinkeln. Wir sehen alles. Sie trägt keine Unterwäsche. Ihre spärliche Schambehaarung läßt auf eine kürzlich erfolgte Rasur schließen.
Nachdem sie fertig ist, beugt sie sich auf alle Viere nieder und schnuppert an ihrem Pipi. Danach erhebt sie sich ganz normal, streicht kurz über ihr Kleid und geht zurück ins Haus. Die Tür fällt erneut scheppernd ins Schloß. Alle Vögel beginnen wie auf Kommando ihre vorhin unterbrochenen Lieder zu Ende zu singen. (Schnitt.)
Im Haus. Die blonde Frau von vorne, die Tür im Rücken. Es wird von oben gefilmt. Im Vordergrund ist eine breite ausladende Treppe mit goldenem Geländer und rotem Teppich ausgelegt zu erkennen. Das durch schwere Vorhänge scheinende Sonnenlicht fällt in Streifen in eine pompös eingerichtete Vorhalle. (Schnitt. Kamera filmt von unten aus dem Blickwinkel der jungen Frau.)
- HEY FRETT!!!, ruft sie die barocke Treppe nach oben. Ihr Rufen ist mehr ein hysterisches Kreischen und Keifen.
- DRAUßEN LUNGERN EIN PAAR LEUTE IN EINEM WAHAHAGEN HERUM..., (ihre Stimme überschlägt sich), VIELLEICHT KÜMMERST DU DICH MAL EIN BIßCHEN PLÖTZLICH UM DIESE SACKÄRSCHE..., HEY DU ALTE DRECKSAU, WO STECKST DU SCHON WIEDER..., ICH RED´ MIT DIR..., DIE SCHWEINE FILMEN MEINEN GARTEN!!!
Sie holt Luft und setzt erneut an:
- AAAARSCH-MACH-HINNE-DU-SAU!, schreit sie.
Frett erscheint auf dem oberen Treppenabsatz. Er sieht ziemlich belämmert aus, hat etwas pyjamaähnliches an, er schnauft und stöhnt. Hastend rennt er die Treppe hinunter. Die Frau wirft ihm einen zornigen Blick zu und wendet sich nach einem der angrenzenden Räume ab. (Schnitt. Blickwinkel aus dem Wagen.)
Frett eilt uns entgegen, die Haare zerzaust, sich kurz umblickend und zusammenzuckend, als die schon erwähnte Eingangstür des Hauses nun auch hinter ihm scheppernd ins Schloß fällt. Er geht durch das Gartentor, setzt eine entschlossene Miene auf und klopft sehr affektiert an unsere Wagenscheibe und auf das Wagendach. Ich sitze vorne, also bin ich dafür zuständig, die Scheibe seines Begehrens herunterzukurbeln. Der Kameramann hat hinten genug zu tun, und unser Fahrer raucht möglichst unbeteiligt eine Zigarette. (Kameraschwenk zwischen den Beteiligten der Szenerie.)
Frett rümpft die Nase. Er wirkt auf den ersten Blick äußerst unsympathisch. Der Stoff seiner Kleidung sieht schon so aus, als würde er kratzen. Seine Brille zählt zu viele Doptrien und sein Unterkiefer ist prognat. Die Oberlippe ist wulstig aufgeworfen. Und er stinkt! Wir halten uns spontan die Nase zu, als er zu uns durchs offene Fenster guckt. Dann beginnt er hysterisch zu gestikulieren und zu schreien.
Warum wir hier stünden und Maulaffen feil halten würden, will er wissen. Vor allen Dingen, was es mit dieser Kamera für ein Bewenden hätte. Dabei dreht er sich immer wieder schreckhaft zum Haus um. Und wir erkennen, daß das weibliche Wesen von vorhin, uns aus einem der Fenster der unteren Geschosse beobachtet. Wahrscheinlich um unseren Disput und insbesondere Fretts Verhalten zu verfolgen.
Frett, dadurch angespornt, erklärt uns ausdrücklich, daß das hier immerhin Privatbesitz sei. Und alles „filmische“ darüber könnte von ihm höchstpersönlich beschlagnahmt werden, meint er und beginnt erneut, um seiner Aussage den nötigen Nachdruck zu verleihen, mit seinen unförmigen Händen auf das Wagendach zu patschen.
Ich wische mir verhalten kleine Spucketröpfchen aus dem Gesicht, seine Aussprache ist sehr feucht. Aber plötzlich flüstert er uns zwischen seinen inständigen Patschern erregt zu:
- Helft mir!
Er verdreht seine Augen nach hinten in die Richtung des Hauses. Dann tritt er gegen die Wagentür und zwinkert entschuldigend.
- GIB SCHON GAS, MANN!, brüllt er aus heiterem Himmel los, einen Tobsuchtsanfall vortäuschend, und röchelt uns dann atemlos bittend zu: Bleibt in der Nähe, und kommt vor allen Dingen Morgen wieder...
Wir tun ihm den Gefallen und fahren los. Geben sozusagen „Gas, Mann“. Allerdings nicht ohne in den Rückspiegel unseres Wagens zu filmen.
Wir sehen, wie er durch das Gartentor von der Bildfläche verschwindet. Wir umkurven das Gelände bis wir im rückwärtigen Teil des Ambiente eine geeignete Stelle finden, uns zu verschanzen. Es ist ein kleines Waldstück, angrenzend an eine Wiese. Zwischen den einzelnen Grundstücken verlaufen Kies- und Sandwege, an deren Rändern halbhohe Hecken stehen.
Wir bringen das Stativ in Stellung und setzen die Kamera auf. Zwischen uns die Wiesenfläche haben wir einen guten Einblick auf die Gartenterrasse von Fretts Haus. Arkaden tragen einen Balkon im ersten Stockwerk. Wir wundern uns, daß in dieser Etage die Fenster alle mit Brettern vernagelt sind. Im Erdgeschoß sind die Fenster mit schweren Vorhängen verhangen.
Zu dritt setzen wir uns in das hohe Gras, rauchen nun gemeinsam, lassen ein paar Dosen Bier aufschnappen, packen unsere Butterbrote aus und harren der Dinge, die da kommen. Das Auto steht halb offen auf dem Sandweg, im Hintergrund die Bäume.
(Schnitt. Kamerastandort ist das Entree. Blick auf Frett, wie er hereinkommt. Frett schließt die Haustür von innen hinter sich gewissenhaft dreimal ab und rüttelt auch noch probehalber an ihr, ob sie auch wirklich zu ist. Dann geht er mit hängenden Schultern ins Wohnzimmer. Kameraschwenk.)
Im Wohnzimmer wendet sich die blonde Frau vom Fenster ab, geht auf ihn zu und boxt ihn so in den Magen, daß er vornüber, sich den Bauch haltend in die Knie geht. Sie beugt sich über ihn:
- Das war das letzte Mal, daß du Ausgang hattest!, raunt sie ihm hämisch ins Ohr.
Frett windet sich schmerzgekrümmt. Doch seine Peinigerin reißt sein Kinn hoch, setzt ihren nackten Fuß an seine Stirn und stößt ihn zurück, daß er hilflos auf dem Rücken landet.
Dann verläßt sie ungerührt das Zimmer und geht die Treppe nach oben. Sie wankt ein wenig und ihre rechte Hand klammert sich haltsuchend an den Handlauf des Geländers. Als sie oben angekommen ist, überlegt sie kurz, welche der fünf Eisentüren, die vor ihr liegen, sie öffnen soll.
Es gibt jeweils zwei an den Seiten und eine geradezu. Sie drückt die erste Klinke zu ihrer Rechten, doch diese Tür ist abgeschlossen. Erst die zweite läßt sich öffnen. Sie stößt die Tür mit einem Fußtritt auf, ihr Gesicht hellt sich vor Zufriedenheit auf. Vor ihr liegt sich windend, gefesselt und geknebelt auf einer aufgebockten Stahlplatte, barbrüstig und nur mit einer Jeans bekleidet, eine dunkel- und langhaarige Teenagerin, geschätztes Alter: vierzehn.
Das blanke Metall blitzt und eine Menge Schaben krabbeln mit zischelndem Geräusch im Raum herum.
Sie tritt an die Stahlplatte, entfernt eine Schabe, die auf der nackten Brust des Teenagers spaziert, behält sie zwischen den Fingern und löst dem Mädchen die Augenbinde. Als das Mädchen die Augen aufschlägt, beißt sie krachend in die Schabe. Ein paar Spritzer der durchsichtigen Flüssigkeit aus dem Insekt bilden Sprenkel auf der Wange des dunkelhaarigen Mädchens. Diese reißt entsetzt ihre Augen auf.
Die Blonde saugt genußvoll den Chitinpanzer aus und läßt das Übrige auf den Nabel der Kleinen fallen. Über sie gebeugt, raunt sie ihr vertraulich zu:
- Du mußt immer dran denken, niemand hat dich gebeten hierher zu kommen!
Dann kramt sie in ihren Kleidtaschen nach einer Zigarette und zündet sie sich an. Das noch brennende Streichholz hält sie direkt vor die Augen des Mädchens und beginnt eklig zu lachen:
- Was meinst du wohl, wie es deinem Freund geht?
Angstvoll beginnt die Kleine zu schluchzen:
- Ich weiß nicht...,vielleicht ist er ja schon tot?!
Die Blonde dreht sich von den Tränen der Kleinen weg und öffnet die Plissees an den Fenstern. Licht strahlt in scharfen Spitzen durch die bretterverschlagenen Fenster in das Zimmer. Dann geht sie auf die Kleine zu und öffnet einen Riemen an ihrem Handgelenk.
Die Kleine will ihr sofort an die Kehle, doch die Blonde hält ihr entschlossen ihre Zigarette gegen den Unterarm. Und als dessen Griff sich lockert, schnappt sie selber zu, hält sie fest und gibt ihr mit der freien Hand einen Kinnhacken. Die Teenagerin wird ohnmächtig.
- Das hast du dir so gedacht, spricht die Blonde mehr zu sich selbst und macht sich daran die Jeans der Kleinen aufzuknöpfen, um sie ihr auszuziehen.
(Schnitt. Blick auf den kümmerlichen Frett, der dabei ist, sich zu erholen. Er rafft sich auf, schüttelt sich, hält seinen Bauch immer noch und geht in die Küche an den Kühlschrank. Er findet ein Bier und trinkt es aus. Danach tritt er grob gegen den in der Ecke stehenden Regenschirmhalter. Als das Ding umkippt, schaut er dem Vorgang befriedigt zu. Drei Regenschirme verhaken sich und purzeln auf den Boden wie bei einem Mikadospiel. Dann wendet er sich einer Tür in der Küche zu, durch die man über einige Stufen zum Keller hinabgelangt.)
Im Keller toben mehrere Ratten um einen Leichnam, der ebenfalls auf einer glänzenden Stahlplatte liegt. Das Geschlecht ist wiederum weiblich, aber vom Gesicht dieser Toten ist nicht mehr viel zu erkennen.
- Meine Schwester!, seufzt Frett und beginnt zu weinen.