Töchter der Nacht (Spionage-Krimi) - Edgar Wallace - E-Book
SONDERANGEBOT

Töchter der Nacht (Spionage-Krimi) E-Book

Edgar Wallace

0,0
1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,00 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In 'Töchter der Nacht' von Edgar Wallace tauchen die Leserinnen und Leser ein in eine Welt voller Intrigen, Spionage und Mord. Der Krimi besticht durch seine fesselnde Handlung, die geschickt verwobenen Handlungsstränge und die überraschenden Wendungen. Wallace's Schreibstil ist präzise und packend, wodurch die Lesenden unweigerlich in den Bann der Geschichte gezogen werden. 'Töchter der Nacht' ist ein Meisterwerk des Spionage-Genres und zeigt Wallace's Talent, komplexe Charaktere und spannende Handlung miteinander zu verweben. Das Buch ist ein Klassiker der Kriminalliteratur und ein Muss für alle Fans des Genres.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Edgar Wallace

Töchter der Nacht

(Spionage-Krimi)

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1212-5

Inhaltsverzeichnis

1
2
3
4
5
6
7
9
10
11
12
13
14
15
16
17

1

Inhaltsverzeichnis

Ungeduldig wartend saß Jim Bartholomew in Stiefeln und Sporen auf der Ecke des großen, schweren Eichentisches und beobachtete die Uhr auf dem Kamin. Er sah noch sehr jung aus, war aber bereits Direktor der wichtigsten Zweigniederlassung der South Devon-Bank. Sein Vater war vor seinem Tod Generaldirektor des ganzen Unternehmens gewesen und hatte wahrscheinlich dafür gesorgt, daß sein Sohn so frühzeitig diese gute Position erhielt.

Es gab ja wohl Leute, die in Jim nur den gutgekleideten jungen Mann sahen, der elegante Pferde liebte und ausschließlich Interesse für Fuchsjagden und Vergnügungen hatte. Sie hätten aber ihr Urteil über ihn geändert, wenn sie einmal geschäftlich mit ihm zusammengetroffen wären.

Er sah auf seine Taschenuhr und seufzte.

Es lag wirklich kein Grund vor, pünktlich bis zum Schluß der Bürostunden zu bleiben, denn gestern war in Moorford Markttag gewesen, und heute morgen hatte er den baren Kassenbestand mit dem Zug nach Exeter gesandt.

Aber Jim genierte sich vor seinem Assistenten. Dieser Mann amüsierte und ärgerte ihn zugleich. Einerseits bewunderte er die gewissenhafte Pflichterfüllung Stephen Sandersons, andererseits regte es ihn auf, wenn der Angestellte die Bankvorschriften zu wörtlich und buchstäblich auslegte. Er sah noch einmal auf die Uhr, nahm die Reitpeitsche vom Tisch und trat in das Büro seines Assistenten.

Stephen Sanderson schaute auf, als der Direktor eintrat, und warf dann einen Blick auf die laut tickende Uhr über der Tür.

»In zwei Minuten schließen wir, Mr. Bartholomew«, sagte er kurz und leicht vorwurfsvoll.

Er war zweiundvierzig Jahre alt und arbeitete sehr fleißig und erfolgreich. Die Ernennung Jim Bartholomews zum Direktor hatte eine ehrgeizige Hoffnung seines Lebens zerstört, und er hatte aus diesem Grunde keine besondere Veranlassung, seinen Vorgesetzten zu lieben. Bartholomew war ein Mann, dem mehr das Leben in der freien Natur zusagte. Er hatte den Weltkrieg mitgemacht und sich dabei ausgezeichnet; er liebte Sport, Tanz und Gesellschaft. Sanderson dagegen war unermüdlich tätig. Ihm kam es darauf an, gute Referenzen zu sammeln, und am wohlsten fühlte er sich, wenn er zu Hause in seiner Bibliothek studieren und sich weiterbilden konnte. Außerdem hatte er auch noch eine Schwäche, die Jim Bartholomew zum Entsetzen seines Assistenten entdeckt hatte.

»Die Stahlkammern sind schon geschlossen, Mr. Sanderson«, entgegnete Jim lächelnd. »Ich glaube kaum, daß zwei Minuten noch einen großen Unterschied machen.«

Mr. Sanderson zog die Nasenwinkel hoch, ohne die Augen vom Schreibtisch zu erheben.

»Nun, was machen denn Ihre kriminalistischen Studien?« fragte Jim gutmütig.

Der Mann wurde rot und legte ärgerlich die Feder nieder.

»Mr. Bartholomew, dagegen muß ich aber protestieren«, erwiderte er hitzig. »Sie spotten über meine Bemühungen, die eines Tages der Bank noch großen Vorteil bringen können.«

»Sicher, sicher«, erklärte Jim beruhigend und schämte sich, daß er den anderen gekränkt hatte.

»Ich habe kürzlich von einem guten Bekannten, mit dem ich korrespondiere, die Unterlagen eines berühmten Falles erhalten«, fuhr Sanderson fort und nahm einen großen Briefumschlag auf. »Wenn Sie den Inhalt lesen«, sagte er mit Nachdruck, »werden Sie doch erstaunt sein und Ihre skeptischen Bemerkungen unterlassen.«

Wenn Mr. Sanderson erregt war, hörte man deutlich seinen nördlichen Akzent. Das war immer ein gefährliches Zeichen, wie Jim Bartholomew wußte.

»Aber mein lieber Freund, es ist tatsächlich ein ausgezeichnetes Studium, und ich gratuliere Ihnen nur dazu. Als ich während des Krieges im Marinenachrichtendienst tätig war, dachte ich selbst daran, Detektiv zu werden.«

Wieder sah Mr. Sanderson auf die Uhr.

»Sie werden jetzt gehen, es ist Zeit zum Aufbruch«, sagte er mit besonderer Betonung, und Jim verließ lachend die Bank.

Auf der Straße hielt ein Reitknecht sein Pferd neben dem Gehsteig. Jim stieg in den Sattel, ritt schnell durch die Stadt und den langen Abhang hinauf, der bis zur Ecke des Moores führte. Als er die kleine Villenkolonie hinter sich hatte, kam er schließlich zu einer Art Talsenkung, die der Teufelskessel genannt wurde.

Auf der anderen Seite der Schlucht wartete ebenfalls jemand zu Pferde. Deutlich hob sich die Gestalt im Sattel von dem westlichen Himmel ab. Er nahm den kürzesten Weg und ritt den steilen Abhang hinab durch das tiefe Tal, in dem Felsstücke verstreut lagen.

Die junge Dame, die ihn drüben erwartete, hatte im Herrensattel gesessen, nahm aber nun ein Bein aus dem Steigbügel, schwang es über den Pferdehals und machte es sich bequemer. Die untergehende Sonne spiegelte sich in ihren blanken Reitstiefeln.

Sie hatte die Hände über einem Knie gefaltet und sah lächelnd und belustigt zu Jim hinüber, der sich mühsam mit dem Pferd die Höhe hinaufarbeitete.

Margot Cameron hatte ein Gesicht, wie es besonders die französischen Künstler lieben und häufig in ihren Schwarz-weiß-Skizzen festhalten. Ihre roten Lippen zogen die Aufmerksamkeit auf sich, und ihnen gegenüber fiel die leichte Röte der Wangen nicht ins Gewicht.

Wenn man sie aus der Nähe betrachtete, bemerkte man, daß dieses feurige Rot natürlich war und nicht durch künstliche Mittel vorgetäuscht wurde. Auch ihre vollen goldbraunen Locken waren ein Naturgeschenk.

Jim ritt auf sie zu und schwenkte schon von weitem den Hut zum Gruß.

»Wissen Sie auch«, sagte die junge Dame, indem sie mit dem rechten Fuß wieder in den Steigbügel trat, »eben kam mir so recht zum Bewußtsein, daß Sie für Ihren Lebensunterhalt arbeiten.«

»Ich halte die Bürostunden ein. Das ist etwas anderes als das, was Sie sagen. Wenn Sie diese ganze lange Zeit in England waren und noch nicht entdeckt haben, daß die englischen Geschäftsleute nicht vor zehn Uhr morgens zu arbeiten anfangen, nachmittags um drei bereits zum Tee gehen und um vier Uhr das Geschäft schließen, dann haben Sie allerdings noch nicht viel gelernt.«

Ein Lächeln blitzte in ihren Augen auf. Im allgemeinen war sie ziemlich ernst, aber die Gegenwart Jim Bartholomews stimmte sie fröhlich und heiter.

Sie ritten einige Zeit schweigend nebeneinander her, bis Jim sich an sie wandte.

»Nach allem glaube ich, daß ich Sie nun nur noch ein einziges Mal sehen werde vor Ihrer Abfahrt nach den Vereinigten Staaten?«

Sie nickte.

»Und wie lange werden Sie fortbleiben?« fragte er.

»Ich weiß es nicht«, entgegnete Margot kurz. »Meine Pläne für die Zukunft sind noch ziemlich ungewiß. Im Augenblick hängt alles davon ab, was Frank und Cecile entscheiden. Sie sprachen schon davon, daß sie sich in England ankaufen und ein paar Jahre hierbleiben würden. Frank ist gerade nicht sehr davon erbaut, daß ich allein lebe, andererseits –«, sie hörte plötzlich auf und vollendete den Satz nicht.

»Nun, was wollten Sie sagen?« fragte Jim interessiert.

»Andererseits wäre es ja nicht ausgeschlossen, daß ich auch selbst in England bliebe.«

»Ach ja«, erwiderte Jim leise.

»Würden Sie es gerne sehen?« fragte sie plötzlich.

»Nein«, gab er ruhig zu. »Ich glaube nicht, daß ich einen solchen Schritt ihrerseits gern sehen würde. Aber Ihre Anwesenheit hier ist für mich sehr angenehm. Wenn Sie nicht ein so großes Vermögen besäßen, dann wäre es vielleicht bedeutend leichter, endgültig über Ihre Zukunft zu entscheiden.«

Sie wartete, aber er sprach nicht weiter, und sie wollte ihn auch nicht fragen. Sie hatten die wilde Gegend des oberen Moors erreicht. Fern am Horizont erhob sich Hay Tor und sah fast aus wie eine blaugraue Wolke. Unten im Tal zog sich wie ein silbernes Band der Dartfluß durch die grüne Landschaft.

»Dies ist der einzige Platz in England, wo man leben kann«, sagte sie und atmete tief.

»Sie haben unsere Einwilligung«, entgegnete Jim großartig, hielt sein Pferd an und zeigte mit der Reitpeitsche über das Moor hin. »Sehen Sie drüben das weiße Haus? In Wirklichkeit ist es gar keins. Ich glaube, es ist als Jagdschloß für einen Kaiser oder als Irrenhaus erbaut worden.«

»Ja, ich sehe es«, erwiderte sie und hielt die Hand über die Augen, um die Sonnenstrahlen abzublenden.

»Es heißt Tor Towers. Haben Sie schon einmal Mrs. Markham getroffen?«

»Markham?« fragte die junge Dame und runzelte die Stirn. »Nein, ich glaube nicht.«

»Sie stammt auch aus den Vereinigten Staaten und ist eine ungeheuer reiche Dame.«

»Ach, eine Amerikanerin?« sagte sie erstaunt. »Merkwürdig, daß wir sie nicht getroffen haben, nachdem wir doch ein ganzes Jahr lang in der Gegend waren.«

»Ich habe sie selbst auch nur ein einziges Mal gesehen«, gab Jim zu. »Sie ist eine Kundin unserer Bank. Aber gewöhnlich wird sie von Sanderson bedient, wenn sie irgendwelche Fragen hat.«

»Ist sie jung oder alt?«

»Oh, noch sehr jung«, entgegnete Jim begeistert. »Und sie ist so schön wie – nun, haben Sie das Gemälde ›Der tote Vogel‹ von Grenze im Louvre gesehen? Sie erinnert mich immer an dieses schöne Bild, und man könnte sich denken, daß Greuze es nach ihr gemalt hätte. Nur die Farbe der Haare stimmt nicht ganz.«

Sie sah ihn an und zog die Augenbrauen hoch. Ob Erstaunen oder vielleicht auch Belustigung in ihrem Blick lag, konnte er im Augenblick nicht sagen.

»Nun, das ist ja sonderbar«, entgegnete sie mit spöttischem Ernst. »Diese Begeisterung –«

»Ach, Margot, so müssen Sie das nicht auffassen«, erwiderte er, wurde aber trotzdem rot. »Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen.«

»Nur einmal? Sie hat aber allem Anschein nach einen tiefen Eindruck auf Sie gemacht.«

»In gewisser Weise, ja«, entgegnete er ernst. »In mancher Beziehung auch nicht.«

»Ich weiß nicht recht, wie ich das verstehen soll.«

»Wenn man sie zuerst sieht, muß man sie bewundern. Und doch wird man traurig in ihrer Gegenwart.«

Margot lachte kurz auf.

»Nun, durch eine gewisse melancholische Stimmung macht man am besten Eindruck auf einen Mann. Wir wollen heimreiten.«

Sie lenkte ihr Pferd auf einen Weg, der zum Tal des Dart-Flusses und von dort aus nach Moorford führte.

»Warten Sie noch ein wenig.«

Jim hielt sein Pferd an. Margot wandte sich um und bemerkte, daß er sie bewundernd ansah. Tiefe Verehrung und Zuneigung lagen in seinem Blick. Ihr Herz schlug schneller.

»Margot, ich werde Sie jetzt lange Zeit nicht mehr sehen«, begann er etwas heiser. »Sie gehen von mir fort, und wer weiß, wann Sie zurückkommen werden. Und wenn Sie diesen Platz verlassen haben, den wir beide so schön finden, dann ist er nur noch eine entsetzliche Einöde.«

Sie schwieg und sah an ihm vorüber in die Ferne.

»Ich muß in der Stadt bleiben und kann nicht von hier fort, denn ich bin an meine Tätigkeit in der Bank gebunden. Und das ist vielleicht die einzige Beschäftigung, die für mich paßt. Womöglich muß ich mein ganzes Leben hier zubringen, bis ich schließlich ein alter Mann von siebzig Jahren bin und einen kahlen Schädel habe. Eigentlich bin ich ja nicht zum Bankdirektor geboren«, sagte er etwas lebhafter, fast sogar schelmisch. »Es stand nicht in den Sternen geschrieben, daß ich in einem Büro an einem grünen Tisch sitzen sollte, um Leuten den Standpunkt klarzumachen, die einen Kredit von tausend Pfund verlangen, wenn ihre Einlage auf der Bank nur fünfhundert Pfund beträgt. Nein, ich sollte zur See gehen«, sagte er halb zu sich selbst, »oder wenn ich schon etwas mit einer Bank zu tun haben müßte, so wäre ich lieber ein Bankräuber. Im Grunde meines Herzens bin ich eigentlich verbrecherisch veranlagt, aber ich habe nicht genug Unternehmungsgeist.«

»Wozu erzählen Sie mir das alles?« fragte sie und schaute ihn groß an.

»Das alles führt uns zu der großen wichtigen Tatsache«, entgegnete Jim und richtete sich hoch im Sattel auf, »daß ich Sie liebe. Sie sollen das Land nicht verlassen, ohne daß ich Ihnen das gesagt habe. Warten Sie einen Augenblick«, fügte er schnell hinzu, als er glaubte, daß sie ihm antworten wollte. Aber er konnte Frauen schlecht beurteilen; in Wirklichkeit fiel ihr nur das Atmen schwer. »Ich weiß, was Sie mir erwidern wollen. Sie meinen, ich hätte es nicht sagen dürfen. Aber ich fühle mich freier und wohler, wenn ich Ihnen sagen darf, daß ich Sie liebe. Ich mache Ihnen keinen Heiratsantrag, das wäre nicht recht von mir. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie liebe, und daß ich arbeiten werde – ich will diese langweilige, graue Stadt verlassen … eines Tages vielleicht …« Er sprach immer zusammenhangloser.

Sie lachte leise und leicht, obwohl sie gegen die Tränen ankämpfte, die ihr in die Augen stiegen.

»Jim, Sie sind ein sonderbarer Mann«, erwiderte sie kurz. »Erst machen Sie mir einen Antrag, und dann lehnen Sie ihn selbst ab. Es bleibt mir nichts zu sagen übrig, höchstens, daß ich Ihnen gegenüber niemals die Rolle der schwesterlichen Freundin spielen werde. Und dann habe ich auch Cecile versprochen, Sie zum Tee mitzubringen.«

Jim schluckte schwer. Mit einem tiefen Seufzer trieb er sein Pferd an, und gleich darauf war er an ihrer Seite.

»Also, das wäre erledigt«, sagte er.

»Nun, ich möchte aber nicht erklären, daß Ihre Ansichten immer meine Ansichten sind. Aber jetzt wollen wir noch recht viel über die schöne Mrs. Markham plaudern.«

Das taten sie, und sie sprachen auch noch über viele andere Dinge, bis sie durch den großen steinernen Torbogen von Moor House ritten, dem schönen Herrensitz an der Grenze von Moorford, den die Camerons für die Dauer des Sommers gepachtet hatten.

2

Inhaltsverzeichnis

Frank Cameron war ein großer, hübscher Amerikaner von fünfunddreißig Jahren. Als die beiden näher kamen, kehrte er gerade vom Tennisplatz zurück und grüßte Jim und seine Schwester von weitem.

»Ich hatte Besuch von Ihrem Assistenten«, sagte er, nachdem der Reitknecht die Pferde fortgeführt hatte und Margot ins Haus gegangen war.

»Von Sanderson?« fragte Jim erstaunt. »Zum Teufel, was hat der denn hier gewollt? Haben Sie Ihr Konto überzogen?«

Frank grinste.

»Nein, um so prosaische Dinge handelte es sich nicht. Er kam in einer viel interessanteren Angelegenheit. Übrigens ist er ein Amateurdetektiv, das wissen Sie doch wahrscheinlich?«

Jim seufzte.

»Er ist doch nicht etwa hiergewesen, um irgendein Verbrechen aufzuklären?«

Frank lachte.

»Das gerade nicht, aber vor einem Monat bat er mich, ihm ein Empfehlungsschreiben an einen persönlichen Freund von mir zu geben. Zufällig habe ich nämlich, als ich einmal auf der Bank war, erwähnt, daß ich den berühmten Staatsanwalt John Rogers besonders gut kenne. Er ist als Kriminalist bekannt und hat eine umfangreiche Kenntnis von Verbrechern. Er besitzt auch die beste Bibliothek über Kriminologie in den Vereinigten Staaten. Schließlich gab ich Sanderson ein Empfehlungsschreiben an John Rogers, und heute machte er mir nun einen Besuch. Allem Anschein nach hat John ihm eine Anzahl interessanter Angaben mitgeteilt, und Sanderson ließ sich von mir verschiedenes erklären. Vor allem wollte er über die Stellung der Gouverneure in den einzelnen Bundesstaaten und über ihre Vollmachten orientiert sein, ebenso über ihr Begnadigungsrecht.«

»Wozu braucht er denn das alles?« fragte Jim erstaunt. »Mir erzählt er so etwas nicht, mir schenkt er in dieser Beziehung kein Vertrauen. Ich habe ihn ja auch schon oft genug wegen dieser Liebhaberei aufgezogen, und infolgedessen sind wir nicht gerade die besten Freunde.«

Während sie miteinander sprachen, führte Frank Jim zu seinem Arbeitszimmer, nahm ein Blatt Papier in die Hand und überflog den Inhalt.

»Ich habe mir ein paar Notizen gemacht, nachdem er gegangen war, und ich möchte wirklich sagen, Bartholomew, Ihr Mr. Sanderson ist nicht so verdreht, wie es den Anschein hat. Es handelt sich um folgendes. Hier in England arbeitet augenblicklich eine Verbrecherbande, die den romantischen Namen ›Die vier Großen‹ führt. Drei von ihnen sind Amerikaner, der vierte stammt aus Spanien, gibt sich aber für einen Italiener namens Romano aus. Die Tatsache, daß Romano der Verbrecherwelt angehört, ist bewiesen. Die anderen drei, der Polizei in verschiedenen Ländern bekannt, sind Mr. und Mrs. Trenton und Talbot, ein alter, erfahrener Fälscher. Unter diesen Namen treten sie gewöhnlich auf. In Wirklichkeit können sie ganz anders heißen.«

»Aber was hat denn das mit uns zu tun?«

»Warten Sie einen Augenblick, ich möchte Ihnen die Sache eben etwas genauer erklären. Ich glaube, daß Ihr Assistent auf der rechten Spur ist. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß diese vier Verbrecher sich hier in England aufhalten und auch sehr tätig sind. Die Polizeidirektionen von fast allen europäischen Ländern suchen diese vier, besonders die Behörden in Amerika. Sanderson hat nun mit viel Mühe und Fleiß den Nachweis geführt, daß diese vier tatsächlich mit der Bande identisch sind, die im letzten Jahr eine ganze Reihe von Juwelendiebstählen in Paris und London ausführte.«

Bartholomew nickte.

»Oh, ich kenne sie sehr wohl. Fast jede Nummer unserer Fachschrift enthält irgendeine Warnung vor diesen Leuten. Und ich glaube, daß Sanderson seine Kenntnis hauptsächlich aus den Aufsätzen unserer Fachzeitschrift geschöpft hat. Dazu kommen noch die vertraulichen Mitteilungen, die die Bankiers erhalten, nicht nur von den Bankiervereinigungen aller Länder, sondern vor allem von den Polizeidirektionen.«

»Das hat er mir auch erzählt. Aber er hat nun weitergearbeitet, sich brieflich an die großen Polizeidirektionen gewandt und Beschreibungen der bekanntesten Juwelen-und Bankdiebe erhalten. In vielen Fällen hat man ihm auch die Photographien dieser Verbrecher geschickt. Die Empfehlung an meinen Freund John Rogers hat ihm besonders genützt, denn dieser hat ihm einen ganzen Stoß solcher Photographien und Nachrichten über bekannte Verbrecher geschickt. Wenigstens hat er diese Sendung in einem Brief angekündigt. Sie war noch nicht angekommen, als Sanderson mich besuchte, aber die amerikanische Post trifft ja immer erst spät ein.«

»Welche Zukunftspläne hat Sanderson denn?« fragte Jim erstaunt. »Will er zur Polizei gehen? Hat er Ihnen das vielleicht auch im Vertrauen mitgeteilt?«

Frank lachte.

»Ja. Und da er mir weiter keine Schweigepflicht auferlegt hat, kann ich es Ihnen ja ruhig erzählen. Aber ich möchte Sie doch bitten, Bartholomew, ihn nicht damit aufzuziehen.«

»Natürlich werde ich das nicht tun«, protestierte Jim. »Hätte ich gewußt, daß er die Sache so ernst nimmt, und daß er so gewissenhaft und auch erfolgreich arbeitet, dann hätte ich ihm jede Unterstützung gegeben.«

»Sanderson hat eine Idee, und sein Hauptehrgeiz besteht darin, eine Gesellschaft zum Schutz der Banken zu bilden«, fuhr Frank fort. »Und ich muß sagen, daß es ein ganz gesunder Plan ist. Er hat die Absicht, die geeignetsten Leute unter den Bankbeamten auszusuchen, einfache Angestellte, Kassierer und so weiter. Die will er ausbilden in der Entdeckung von Bankverbrechen – aber da kommt Johnson und will uns zum Tee holen.«

Er erhob sich, und Jim verließ mit ihm das Zimmer. In der Halle sprach Frank Cameron dann nicht mehr über das Thema.

»Ich werde Sie in Zukunft sehr vermissen«, sagte er. »Und ich hoffe nur, daß wir bald zu dieser schönen Gegend zurückkehren können.«

Auch Jim erhoffte das sehnlichst, aber er machte nur eine konventionelle Bemerkung.

»Die Seereise wird meiner Frau sicher sehr guttun. Sie hat sich noch nicht recht erholen können seit dem Tode ihrer Schwester.«

Zum erstenmal erwähnte Frank Cameron die Krankheit seiner Frau. Jim hatte sich allerdings schon öfter mit Margot darüber unterhalten.

»Sie ist doch plötzlich drüben in den Vereinigten Staaten gestorben?«

Frank nickte.