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Henry Fielding

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Beschreibung

Dieses eBook: "Tom Jones" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Henry Fielding (1707-1754) war ein berühmter englischer Romanautor, Satiriker, Dramatiker, Journalist und Jurist in der Zeit der Aufklärung. Als Romanautor trat Fielding zuerst 1741 mit Shamela, einer Parodie auf Samuel Richardsons "Pamela", in Erscheinung. Mit The History of the Adventures of Joseph Andrews and of His Friend Mr. Abraham Adams, einer weiteren Parodie auf den Bestseller seines Rivalen Richardson, begründete Fielding den humorvoll-realistischen Roman: Sein Programm, Komik und Realismus zu verbinden und mit diesen Mitteln ein erzählerisches Bild der Gesellschaft zu zeichnen, war literaturgeschichtlich von größter Bedeutung. Die Gattung des Romans erhielt dadurch einen ganz neuen, entscheidenden Impuls. Aus dem Buch: "Es waren einige Stellen in dieser Rede, welche vielleicht den Herrn Allworthy beleidigt hätten, wenn er aufmerksamer darauf gewesen wäre; aber er hatte eben einen Finger in das Händchen des Kindes gebracht, das durch leisen Druck ihn um Beistand zu bitten schien und sicherlich die Beredtsamkeit der Jungfer Deborah zu Schanden gemacht hätte, wäre sie auch noch größer gewesen, als sie wirklich war. Er befahl der Jungfer Deborah, das Kind ohne Umstände mit in ihr Bett zu nehmen und eine Magd zu rufen, die einen Brei und andere Dinge für das Kind bereit mache. Er befahl ferner, gleich früh am Morgen für reine Wäsche für dasselbe zu sorgen und es ihm zu bringen, sobald er auf sei."

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Henry Fielding

Tom Jones

Deutsche Ausgabe: Teil 1 bis 6 (Klassiker der Weltliteratur - Die Geschichte eines Findelkindes)
Übersetzer: August Diezmann
e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4240-8

Inhaltsverzeichnis

Erster Theil
Abschnitt I
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Abschnitt II
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Abschnitt III
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Abschnitt IV
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Zweiter Theil
Abschnitt I
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Abschnitt II
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Abschnitt III
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Funfzehntes Kapitel
Dritter Theil
Abschnitt I
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Funfzehntes Kapitel
Abschnitt II
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Abschnitt III
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Vierter Theil
Abschnitt I
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Abschnitt II
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Abschnitt III
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Fünfter Theil
Abschnitt I
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Abschnitt II
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Abschnitt III
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Sechster Theil
Abschnitt I
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Abschnitt II
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Letztes Kapitel

Erster Theil

Inhaltsverzeichnis

Abschnitt I

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Die Einleitung zu dem Werke, oder der Speisezettel zu dem Mahle.

Ein Schriftsteller darf sich nicht für einen Mann halten, der seinen Freunden oder den Armen ein Gastmahl giebt; er muß sich vielmehr dem Inhaber eines Speisehauses gleich stellen, in welchem Jedermann willkommen ist, der Geld mitbringt. Im erstern Falle setzt bekanntlich der Gastgeber Speisen nach seinem Gefallen vor, und wenn dieselben dem Gaumen der Gesellschaft auch nicht zusagen, ja wenn sie ihm sogar zuwider sind, so darf man sie doch nicht tadeln; im Gegentheil, die gute Lebensart nöthigt die Gäste, Alles, was ihnen vorgesetzt wird, gut zu finden und zu rühmen. Anders bei dem Inhaber eines öffentlichen Speisehauses. Leute, die das bezahlen, was sie essen, wollen durchaus etwas haben, das ihrem Gaumen gefällt, wie verwöhnt er auch sein mag; ist nicht Alles nach ihrem Geschmacke, so maßen sie sich das Recht an, die Gerichte zu tadeln, zu schmähen und zu verwünschen, und sie lassen sich davon durch keine Rücksicht abhalten.

Um nun ihre Kunden durch eine solche Täuschung nicht zu beleidigen, pflegen die ehrlichen Speisewirthe einen Speisezettel vorzulegen, den Jedermann, wenn er in das Haus tritt, lesen kann, um, nachdem er erfahren, welche Gerichte er zu erwarten hat, entweder zu bleiben und das zu genießen, was ihm geboten wird, oder weiter zu gehen und in einem andern Speisehause etwas zu suchen, das seinem Geschmacke mehr zusagt.

Da wir es keineswegs verschmähen, guten Rath und Klugheit von irgend Jemandem zu borgen, der uns damit dienen kann, so sind wir auch geneigt, jene ehrlichen Speisewirthe nachzuahmen, und wir werden demnach nicht bloß einen allgemeinen Speisezettel für das ganze Mahl vorlegen, sondern auch bei jedem einzelnen Gerichte, das in dem vorliegenden Werke servirt werden wird, besondere Angaben vorausschicken.

Man hat hier weiter nichts zu erwarten, als menschliche Natur; ich fürchte aber nicht, daß einer meiner Leser, wie verwöhnt auch sein Gaumen sein möge, sich verwundert, oder gar unwillig wird, weil ich nur einen Artikel nenne. Die Schildkröte enthält, wie alle erfahrenen Gutschmecker wissen, außer dem köstlichen Fleische an ihrem Rücken- und Bauchschilde noch mancherlei verschiedene Dinge, die essenswerth sind; eben so findet sich, wie der Leser recht wohl weiß, in der menschlichen Natur, wenn sie hier auch unter einem allgemeinen Namen zusammengefaßt wird, eine so unabsehbare Mannichfaltigkeit, daß ein Koch eher mit allen verschiedenen Arten thierischer und vegetabilischer Nahrung in der Welt zu Ende kommt, als ein Schriftsteller im Stande ist, einen so umfassenden Gegenstand zu erschöpfen.

Feinere Leser machen vielleicht den Einwurf, dieses Gericht sei zu gewöhnlich und zu gemein, denn was Anderes finde man in allen den Romanen, Novellen, Schauspielen und Gedichten, welche den Markt überschwemmen? Der Gutschmecker müßte manche vortreffliche Speise verwerfen, wenn es ein hinreichender Grund wäre, sie für gewöhnlich und gemein zu erklären, daß es etwas an den armseligsten Oertern giebt, das denselben Namen führt. Die wahre Natur findet man in den Büchern eben so selten, als bei den Kaufleuten ächten Schinken von Bayonne und ächte Würste von Bologna.

Die Hauptsache kommt, um bei derselben Metapher zu bleiben, auf die Zurichtung durch den Schriftsteller an. Dasselbe Thier, welches die Ehre hatte, zum Theil an der Tafel eines Herzogs gespeiset zu werden, wird vielleicht an einem andern seiner Theile tief herabgewürdigt und in der gemeinsten Garküche der Stadt gleichsam an den Galgen gehenkt. Worin liegt also der Unterschied zwischen der Speise des Edelmannes und jener des Aufläders, wenn beide von einem und demselben Ochsen oder Kalbe essen, außer in den Zuthaten, in der Zurichtung, in dem Aufputze? Aus diesem Grunde reizt und weckt sie hier den schlaffsten Appetit, während sie dort den gierigsten Hunger stillt und zum Schweigen bringt.

Eben so liegt die Trefflichkeit der Geistesnahrung weniger in dem Gegenstande, als in der Geschicklichkeit des Schriftstellers, denselben gut zu behandeln und gleichsam zuzurichten. Mit welchem Vergnügen wird deshalb der Leser finden, daß wir uns in dem vorliegenden Werke fortwährend an einen der höchsten Grundsätze des besten Koches gehalten haben, den die jetzige oder vielleicht die Zeit Heliogabal's hervorgebracht hat! Dieser große Mann pflegt seinen hungrigen Gästen zuerst einfache Dinge vorzusetzen und allmälig, wie die Magen aller Wahrscheinlichkeit nach schwächer werden, bis zu der eigentlichen Quintessenz der Saucen und Gewürze emporzusteigen. Eben so werden wir dem Hunger unserer Leser die menschliche Natur zuerst einfach und natürlich vorstellen, wie sie sich auf dem Lande findet, und sie später mit allem pikanten französischen und italienischen Gewürz von Affectation und Laster, wie sie Höfe und Städte bieten, versehen.

Nachdem wir so viel vorausgeschickt haben, wollen wir diejenigen nicht länger von ihrem Mahle abhalten, denen unser Speisezettel behagt, vielmehr ihnen sogleich den ersten Gang unserer Geschichte vorsetzen.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Eine kurze Schilderung des Squire Allworthy und eine ausführlichere der Miß Brigitte Allworthy, seiner Schwester.

In jenem Theile des Westens dieses Königreichs, welcher gewöhnlich Somersetshire genannt wird, lebte vor Kurzem, und lebt vielleicht noch, ein Mann mit Namen Allworthy, den man den Günstling der Natur und des Glückes hätte nennen können, denn beide schienen mit einander gewetteifert zu haben, ihn mit ihren besten Gaben zu überschütten. Einige werden wohl der Meinung sein, die Natur habe bei diesem Wettkampfe den Sieg errungen, weil sie ihm viele Gaben verlieh, während das Glück nur eine einzige Gabe zu reichen vermochte; sie ging aber dabei so verschwenderisch zu Werke, daß Andere vielleicht glauben, diese einzige Gabe komme allen den verschiedenen Segnungen, die ihm die Natur verliehen, mehr als gleich. Von der letztern erhielt er nämlich eine angenehme Persönlichkeit, eine dauerhafte Gesundheit, einen guten Verstand und ein wohlwollendes Herz; durch das erstere dagegen gelangte er in den Besitz eines der größten Güter in der Grafschaft.

Dieser Mann hatte sich in seiner Jugend mit einem schönen und höchst achtbaren Mädchen verheirathet, dasselbe als seine Frau zärtlich geliebt und von ihr drei Kinder erhalten, die sämmtlich frühzeitig starben. Auch das Unglück hatte er gehabt, sein geliebtes Weib selbst etwa fünf Jahre vor der Zeit begraben zu müssen, in welcher unsere Geschichte beginnt. Diesen Verlust trug er, ob er wohl groß war, wie ein verständiger, fester Mann, ob er gleich bisweilen etwas seltsam darüber sprach, denn er äußerte nicht selten, er sehe sich noch immer für verheirathet an, als habe seine Frau nur eine kurze Zeit vor ihm eine Reise angetreten, die er gewißlich, früher oder später, ebenfalls werde machen müssen, und er zweifle nicht im mindesten, daß er sie an einem Orte wiederfinden werde, wo er nie wieder von ihr getrennt werden würde, – Ansichten, um deretwillen ein Theil seiner Nachbarn seinen Verstand, ein zweiter seine Religion und ein dritter seine Aufrichtigkeit bezweifelte.

Er lebte nun meist zurückgezogen auf dem Lande mit einer Schwester, die er zärtlich liebte. Diese Dame war etwas über die Dreißig hinaus, in welcher Zeit, nach der Meinung der Boshaften, ein unverheirathetes Frauenzimmer nicht mit Unrecht bereits »alte Jungfer« genannt werden kann. Sie gehörte zu den Frauen, die man mehr wegen ihrer guten Eigenschaften, als wegen ihrer Schönheit rühmt und die von ihrem eignen Geschlechte gewöhnlich gutmüthige Frauen genannt werden. Sie war wirklich so weit davon entfernt, den Mangel der Schönheit zu bejammern, daß sie diesen Vorzug (wenn es einer ist) stets mit einer gewissen verächtlichen Miene erwähnte, ja Gott oft dankte, daß sie nicht so hübsch sei, wie die oder die, welche vielleicht eben durch ihre Schönheit auf Abwege verlockt worden sei, die sie außerdem vermieden haben würde. Miß Brigitte Allworthy (so hieß die Dame) hielt mit vollem Rechte die körperlichen Reize an einem Weibe für nichts weiter, als Schlingen für sie selbst oder für Andere; trotz dem aber war sie in ihrem Wandel so vorsichtig und hielt so klug Wache, als hätte sie alle Schlingen zu fürchten, die jemals für ihr ganzes Geschlecht gelegt worden sind. Ich habe indeß die Bemerkung gemacht (wenn sie auch dem Leser unerklärlich zu sein scheinen mag), daß diese Klugheitswache, wie die disciplinirten Soldaten, am bereitwilligsten da aufzieht, wo am wenigsten Gefahr zu befürchten ist. Sie verläßt oft feig jene Posten, nach denen die Männer alle seufzen und schmachten und jedes Netz auswerfen, und begleitet meist unablässig jene höhere Klasse von Frauen, gegen welche die Männer eine scheuere Ehrfurcht hegen und die sie (wie ich vermuthe, weil sie am Gelingen des Versuches zweifeln) niemals anzugreifen wagen.

Ehe wir weiter fortfahren, lieber Leser, halte ich es für gerathen, Dich darauf aufmerksam zu machen, daß ich im ganzen Verlaufe dieser Geschichte so oft abzuschweifen gedenke, als ich eine Gelegenheit dazu sehe, was ich besser zu beurtheilen weiß, als irgend ein Kritiker.

Drittes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Ein sonderbares Ereigniß, das dem Herrn Allworthy bei seiner Rückkehr nach Hause zustößt. Das anständige Benehmen der Jungfer Deborah Wilkins, nebst einigen passenden Bemerkungen über Bastarde.

Ich habe dem Leser in dem vorhergehenden Kapitel erzählt, daß Herr Allworthy ein großes Vermögen besaß, das er geerbt, daß er ferner ein gutes Herz, aber keine Familie hatte. Daraus werden nun Manche schließen, er habe als redlicher Mann gelebt, sei Niemandem etwas schuldig gewesen, habe nur das genommen, was ihm gehörte, ein gutes Haus gemacht, seine Nachbarn an seinem Tische herzlich willkommen geheißen, den Armen reichlich gegeben, d. h. denen, welche lieber betteln, als arbeiten, sei als unermeßlich reicher Mann gestorben und habe ein Hospital bauen lassen.

Es ist wahr, Manches davon that er; hätte er aber nicht mehr gethan, so würde ich es ihm überlassen haben, seine Verdienste selbst auf einem Steine über dem Eingange seines Hospitals der Welt zu verkündigen. Weit außerordentlichere Dinge sind der Gegenstand dieser Geschichte, ich würde sonst meine Zeit auf unverzeihliche Weise durch das Schreiben eines so dicken Buches verschwenden, und Sie, mein kluger Freund, könnten mit eben dem Nutzen und Vergnügen einige Seiten von dem lesen, was gewisse närrische Schriftsteller spaßhafter Weise »die Geschichte Englands« genannt haben.

Herr Allworthy hatte sich ein ganzes Vierteljahr lang eines besondern Geschäftes wegen, das ich weiter nicht kenne, in London aufgehalten; es muß aber wohl von Wichtigkeit gewesen sein, weil es ihn so lange von der Heimath fern hielt, die er seit vielen Jahren keinen Monat lang verlassen hatte. Spät am Abende kam er in sein Haus zurück und nach einem kurzen Abendessen in Gesellschaft seiner Schwester begab er sich sehr ermüdet in sein Zimmer. Nachdem er hier einige Minuten auf seinen Knien gelegen hatte, eine Gewohnheit, von welcher er aus keiner Veranlassung jemals abwich, wollte er eben in sein Bett steigen, als er bei dem Aufdecken desselben zu seiner großen Verwunderung ein Kind, das in grobe Linnen geschlagen war, darin in süßem und tiefem Schlafe liegen sah. Eine Zeit lang stand er bei diesem Anblick unbeweglich vor Staunen da, bald aber, da seine Gutmüthigkeit stets schnell die Oberhand gewann, fühlte er Mitleid mit dem kleinen armen Dinge vor ihm. Er zog die Klingel und befahl einer ältlichen Magd, sogleich aufzustehen und zu ihm zu kommen. Bis dahin betrachtete er so eifrig die Schönheit der Unschuld, die in jenen lebendigen Farben erschien, in welchen sich die Kindheit und der Schlafzimmer zeigt, daß es ihm nicht einfiel, er sei im Hemd, als die alte Magd hereintrat. Sie hatte indeß ihrem Herrn hinreichend Zeit zum Bekleiden gelassen, weil sie, aus Ehrfurcht vor ihm und im Gefühl der Schicklichkeit, viele Minuten mit der Anordnung ihres Haares vor dem Spiegel verbracht, trotz der Eile, mit welcher sie von dem Diener beschieden worden war, und obgleich ihr Herr, was sie nicht wissen konnte, vielleicht im Sterben lag.

Man wird sich nicht verwundern, daß eine Person, die an sich selbst so viel auf Schicklichkeit und Anstand hielt, sich schwer verletzt fühlte, wenn eine andere im geringsten davon abwich. Sie hatte also kaum die Thüre geöffnet und ihren Herrn mit einem Lichte in der Hand im Hemde an dem Bette stehen sehen, als sie höchst entsetzt zurückprallte; sie wäre vielleicht gar in Ohnmacht gefallen, hätte er sich nicht noch schnell besonnen, daß er unangekleidet war und ihrem Entsetzen ein Ende gemacht, indem er sie aufforderte, so lange vor der Thüre zu bleiben, bis er sich etwas angekleidet habe und die züchtigen Augen der Jungfer Deborah Wilkins nicht mehr beleidige, die, obgleich zwei und funfzig Jahre alt, betheuerte, sie habe niemals einen Mann ohne Rock gesehen. Spötter und Witzler mögen vielleicht über den ersten Schreck der guten Jungfer lachen, die ernstern Leser aber werden, wenn sie die nächtliche Zeit, das Herbescheiden aus dem Bette und die Stellung berücksichtigen, in welcher sie ihren Herrn fand, ihr Benehmen vollkommen billigen und rühmen, wenn nicht die Bewunderung ein wenig durch die Klugheit gemindert wird, welche man bei Mädchen in dem Alter der Jungfer Deborah voraussetzen muß.

Als Jungfer Deborah wieder in das Zimmer trat und von ihrem Herrn erfuhr, daß derselbe ein Kind in seinem Bette gefunden habe, erreichte ihre Bestürzung einen noch höhern Grad als vorher, und sie konnte sich nicht enthalten, mit Entsetzen im Tone der Stimme und in ihren Mienen auszurufen: »Ach, guter Herr, was soll da geschehen?« Herr Allworthy entgegnete, sie müsse diese Nacht das Kind warten und pflegen; am andern Morgen würde er für eine Amme sorgen. »Ja, Herr,« sagte sie, »und ich hoffe, Ew. Gnaden werden einen Befehl erlassen, den Nickel, seine Mutter, die in der Nähe wohnen muß, festzunehmen. Es sollte mich freuen, wenn sie in das Zuchthaus gesteckt und tüchtig ausgepeitscht würde. Solche schlechte Mädchen können nie streng genug bestraft werden. Ich wette, es ist nicht ihr erstes Kind, weil sie so unverschämt war, dasselbe Ew. Gnaden zu bringen, als wenn . . .« – »Das Kind mir zu bringen, Deborah!« antwortete Allworthy, »die Absicht hatte sie wohl nicht. Wahrscheinlich glaubte sie auf diese Weise für ihr Kind zu sorgen und ich bin wirklich erfreut, daß sie nichts Schlimmeres gethan hat.«

»Ich wüßte nicht, was noch schlimmer wäre,« sagte Deborah, »als daß solche Nickel ihre Sünde vor ehrlicher Leute Thüre legen, und wenn auch Ew. Gnaden Ihre eigne Unschuld kennen, so ist doch die Welt böse und gar mancher redliche Mann hat für den Vater von Kindern gelten müssen, die er nicht erzeugte. Nehmen sich Ew. Gnaden des Kindes an, so werden die Leute noch bereitwilliger glauben, was sie wollen, und warum wollen denn auch Ew. Gnaden für das Kind sorgen, das ja das Kirchspiel erhalten muß? Meinetwegen noch, wenn es eines ehrlichen Mannes Kind wäre; solche in Unzucht erzeugte Geschöpfe aber rühre ich nicht gern an und kann sie nicht für meine Mitmenschen halten. Pfui! wie es stinkt! Es riecht gar nicht wie ein Christenkind. Wenn ich mich unterstehen darf, einen Rath zu geben, so wäre ich dafür, wir legten es in einen Korb und ließen es vor die Thüre des Kirchenvorstehers setzen. Es ist eine schöne Nacht, blos etwas regnerig und windig, und wenn man es gut einwickelte und in einen warmen Korb legte, so ist zwei gegen eins zu wetten, daß es leben würde, bis es früh gefunden wird. Sollte es aber auch sterben, so haben wir doch unsere Schuldigkeit gethan, da wir für sein Unterkommen sorgten, und es ist vielleicht besser für solche Geschöpfe, sie sterben unschuldig, als daß sie aufwachsen und ihren Müttern nachahmen, denn etwas Besseres kann man von ihnen nicht erwarten.«

Es waren einige Stellen in dieser Rede, welche vielleicht den Herrn Allworthy beleidigt hätten, wenn er aufmerksamer darauf gewesen wäre; aber er hatte eben einen Finger in das Händchen des Kindes gebracht, das durch leisen Druck ihn um Beistand zu bitten schien und sicherlich die Beredtsamkeit der Jungfer Deborah zu Schanden gemacht hätte, wäre sie auch noch größer gewesen, als sie wirklich war. Er befahl der Jungfer Deborah, das Kind ohne Umstände mit in ihr Bett zu nehmen und eine Magd zu rufen, die einen Brei und andere Dinge für das Kind bereit mache. Er befahl ferner, gleich früh am Morgen für reine Wäsche für dasselbe zu sorgen und es ihm zu bringen, sobald er auf sei.

Jungfer Wilkins hatte so viel Einsehen und so große Achtung vor ihrem Herrn, bei dem sie eine vortreffliche Stelle hatte, daß ihre Bedenken vor seinen bündigen Befehlen sogleich schwanden. Sie nahm das Kind auf den Arm, ohne Widerwillen vor der unehelichen Geburt desselben zu verrathen, meinte, es sei ein liebes kleines Ding und ging mit ihm in ihre Schlafkammer.

Allworthy dagegen versank in den süßen Schlummer, den ein Herz genießt, das etwas Gutes gethan hat und mit sich zufrieden ist, und der wohl süßer ist, als jener, welcher durch irgend einen andern Genuß herbeigeführt wird.

Viertes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Der Hals des Lesers kommt durch eine Beschreibung in Gefahr; sein Entrinnen und die große Herablassung der Miß Brigitte Allworthy.

Der gothische Baustyl kann nichts edleres hervorbringen, als das Haus des Herrn Allworthy. Es lag etwas Großartiges in demselben, das die Seele mit ehrfurchtsvollem Schauer erfüllte, und glich den Schönheiten der besten griechischen Bauwerke. Auch war es innen so bequem als außen ehrwürdig.

Es stand an der Südostseite eines Hügels, näher am Fuße als am Gipfel desselben und war vor dem Nordostwinde durch einen Hain alter Eichen geschützt, die fast eine halbe englische Meile weit am Hügel hinauf wuchsen, doch hoch genug, daß es eine reizende Aussicht auf das Thal unten gewährte.

In der Mitte des Haines führte ein schöner Gang sanft abschüssig nach dem Hause hinunter und oben am Ende sprudelte ein wasserreicher Quell aus einem von Fichten bewachsenen Felsen hervor und bildete einen etwa dreißig Fuß hohen Fall, der nicht auf regelmäßigen Stufen herabgeleitet wurde, sondern natürlich über zerbrochene, moosbewachsene Steine bis an den Fuß des Felsens stürzte; dann floß er in einem Kieselbette mit vielen kleinern Fällen fort, bis er in einen Teich am Fuße des Hügels, unfern dem Hause an der Südseite, gelangte, den man aus jedem Zimmer von der Vorderseite sah. Aus diesem kleinen See, der in der Mitte einer schönen, mit Buchen und Erlen geschmückten und von Schafen belebten Ebene lag, kam ein Fluß heraus, der sich mehrere (engl.) Meilen weit durch eine unendliche Menge von Wiesen und Waldungen schlängelte, bis er in das Meer sich ergoß. Ein Arm desselben und eine Insel darüber hinaus begrenzten die Aussicht.

Rechts von diesem Thale öffnete sich ein kleineres, das mit mehrern Dörfern geschmückt war und in einem epheuumrankten Thurme einer alten verfallenen Abtei, so wie einem Theile der Frontseite derselben endigte.

Links zeigte sich ein sehr schöner Park mit Thal und Hügel, Durchsichten und Wasser, der äußerst geschmackvoll angelegt war, aber mehr noch der Natur als der Kunst verdankte. Jenseits erhob sich das Land allmälig in eine Kette rauher wildschöner Berge, deren Gipfel über die Wolken ragten.

Es war eben die Mitte des Mai und der Morgen wunderschön, als Herr Allworthy auf die Terrasse trat, wo das beginnende Tageslicht jene reizende Aussicht, die wir eben beschrieben haben, seinem Auge mit jeder Minute mehr und mehr enthüllte. Und jetzt ging die Sonne, nachdem sie Ströme von Licht entsendet, die an dem blauen Firmamente vor ihr emporstiegen als Boten ihrer Herrlichkeit, in der ganzen Strahlenpracht ihrer Majestät auf. Nur ein Wesen in dieser niedern Schöpfung konnte herrlicher sein als sie und dies war Herr Allworthy, ein Mann mit dem wohlwollendsten Herzen, der sich eben mit dem Gedanken beschäftigte, in welcher Weise er sich seinem Schöpfer angenehmer mache, indem er den Geschöpfen desselben des meiste Gute erzeige. Leser sieh Dich vor. Ich habe Dich unvorsichtig auf eine Höhe geführt, gleich dem Gipfel des Hügels Allworthy's, und ich weiß nun nicht, wie ich Dich wieder herunterbringe, ohne daß Du den Hals brichst. Wir wollen versuchen, neben einander hinabzugleiten, denn die Klingel der Miß Brigitte ertönt und Herr Allworthy wird zum Frühstück gerufen, bei dem ich zugegen sein muß und zu welchem Du mich begleiten magst, wenn es Dir gefällig ist.

Nachdem die gewöhnlichen Complimente zwischen Herrn Allworthy und Brigitten vorüber waren und sie den Thee eingeschenkt hatte, rief er die Jungfer Wilkins und sagte seiner Schwester, er habe ein Geschenk für sie. Sie dankte ihm dafür, denn sie meinte wohl, es sei ein Kleid oder irgend ein Schmuck. Er machte ihr öfters solche Geschenke und sie verwendete, ihm zu Gefallen, ziemlich viel Zeit auf ihren Putz. Ich sage, »ihm zu Gefallen«, weil sie selbst sich immer sehr verächtlich über den Putz und die Frauenzimmer äußerte, welche sich viel damit beschäftigten.

Wie sehr wurde ihre Erwartung getäuscht, wenn sie wirklich einen Schmuck zu erhalten hoffte, als die Jungfer Wilkins in Folge des Befehls, den sie von ihrem Herrn erhalten hatte, das kleine Kind brachte! Bei großen Ueberraschungen pflegt der Mensch zu schweigen; so schwieg auch Brigitte, bis ihr Bruder das Wort nahm und ihr den ganzen Hergang erzählte, den wir nicht wiederholen wollen, da er dem Leser bereits bekannt ist.

Miß Brigitte hatte immer so große Stücke auf das gehalten, was die Frauen Tugend zu nennen belieben und dieselbe stets so streng geübt, daß man, namentlich Jungfer Wilkins, erwartete, sie würde sich bei dieser Gelegenheit sehr bitter aussprechen und dafür stimmen, das Kind, als sei dasselbe ein schädliches Geschöpf, aus dem Hause fortzuschaffen; indeß sie faßte die gute Seite der Sache auf, äußerte Theilnahme und Mitleid mit dem hilflosen kleinen Wesen und rühmte ihres Bruders Gutmüthigkeit in dem, was er gethan.

Der Leser kann sich dies Benehmen vielleicht aus ihrem Gehorsam gegen den Herrn Allworthy erklären, wenn wir hinzugesetzt haben, daß der gute Mann seine Erzählung mit dem Ausspruch beschloß, er sei entschlossen, sich des Kindes anzunehmen und dasselbe zu erziehen, als sei es sein eigenes. Wir müssen die Wahrheit gestehen und sagen, daß sie immer bereitwillig war, ihrem Bruder gefällig zu sein und ihm selten, wenn jemals, entgegentrat. Sie machte zwar bisweilen einige Bemerkungen und Einwendungen, z. B. die Männer wären nun einmal eigensinnig und wollten immer ihren eigenen Weg gehen, oder sie wünsche, sie sei unabhängig, aber sie äußerte dies immer ganz leise und brachte es dabei höchstens bis zum Murmeln.

Was sie indeß dem Kinde nicht entgelten ließ, mußte die arme unbekannte Mutter desselben im reichlichen Maße leiden, denn sie nannte dieselbe einen unverschämten Nickel, ein schlechtes Mensch, eine gemeine Hure und mit ähnlichen Namen, welche die Zunge der Tugend stets gegen die schleudert, welche dem Geschlechte Schande gemacht haben.

Zuletzt wurde eine Berathung gehalten, wie man es anfange, um die Mutter ausfindig zu machen. Zuerst ging man die Dienerinnen im Hause durch, welche sämmtlich von der Jungfer Wilkins freigesprochen wurden und zwar etwas selbstgefällig, denn sie hatte dieselben ins Haus gebracht und es dürfte schwer sein, eine zweite ähnliche Sammlung von Vogelscheuchen zusammenzubringen. Darauf sah man sich unter den Mädchen in dem Kirchspiele um; die nähere Untersuchung dieses Punktes wurde indeß der Jungfer Wilkins überlassen, die versprach, am Nachmittage Bericht abzustatten.

Nachdem die Sache so geordnet war, begab sich Herr Allworthy in sein Studirzimmer, wie gewöhnlich, und überließ das Kind seiner Schwester, welche die Pflege desselben auf seinen Wunsch über sich genommen hatte.

Fünftes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Enthält einige gewöhnliche Dinge und eine sehr ungewöhnliche Bemerkung über dieselben.

Als der Herr sich entfernt hatte, blieb Jungfer Deborah stehen und schien etwas von Miß Brigitte zu erwarten, denn die kluge Haushälterin verließ sich nicht auf das, was im Beisein des Herrn geschehen war, da sie sich gar oft überzeugt hatte, daß die Ansichten der Dame in der Abwesenheit ihres Bruders himmelweit von denen verschieden waren, welche sie in dessen Gegenwart geäußert hatte. Miß Brigitte ließ sie nicht lange in dieser ungewissen Lage, denn nachdem sie das Kind, das schlafend in Deborah's Schooße lag, eine Zeit lang ernst betrachtet hatte, gab sie demselben einen herzlichen Kuß und erklärte zu gleicher Zeit, daß ihr das hübsche unschuldige Kind ungemein gefalle. Jungfer Deborah hatte dies kaum bemerkt, so fing auch sie an, das Kind zu drücken und zu küssen, in so großem Entzücken, wie eine fünfundvierzigjährige Braut über ihren jungen und kräftigen Bräutigam, und rief dabei in kreischendem Tone aus: »Das kleine liebe Wesen! Das kleine, hübsche liebe Kind! Das Knäbchen ist so hübsch, als ich irgend eines gesehen habe.«

Diese Ausrufungen hörten nicht auf, bis sie von dem Fräulein unterbrochen wurden, die den von ihrem Bruder erhaltenen Auftrag auszuführen anfing, und Befehle gab und Anstalten traf, das Kind mit allem Nöthigen zu versehen, und ein sehr hübsches Zimmer im Hause zur Kinderstube anwies. Sie hätte nicht anders handeln können, wäre das Kind ihr eigenes gewesen; damit aber der tugendhafte Leser sie nicht verdamme, weil sie zu viel Rücksicht auf ein in Sünden geborenes Kind nahm, müssen wir hinzufügen, daß sie die Anordnungen mit den Worten beschloß: »da es ihrem Bruder einmal in den Sinn gekommen sei, das kleine Kind anzunehmen, so müsse dasselbe auch mit großer Zärtlichkeit behandelt werden; sie für ihren Theil halte dies zwar für eine Unterstützung und Ermuthigung des Lasters, kenne aber auch den Eigensinn der Männer zu gut, als daß es ihr einfallen könnte, sich deren lächerlichen Launen widersetzen zu wollen.«

Mit solchen oder ähnlichen Reflexionen pflegte sie, wie bereits angedeutet, das jedesmalige Nachgeben gegen ihren Bruder zu begleiten, und es konnte gewiß das Verdienstliche dieses Nachgebens durch nichts mehr erhöhet werden, als durch die Erklärung, daß sie recht wohl wisse, wie thöricht und unverständig die Menschen wären, in die sie sich fügte. Schweigender Gehorsam legt dem Willen keinen Zwang an und kann folglich leicht und ohne viele Mühe geleistet werden; wenn aber eine Frau, ein Kind, ein Verwandter oder ein Freund mit Widerstreben und unwillig, mit Worten des Mißbehagens und der Unzufriedenheit thut, was wir wünschen, so muß die offenbare Schwierigkeit, die sie zu überwinden haben, den Werth des Gehorsams um vieles steigern.

Da dies eine der tiefsinnigen Bemerkungen ist, die wenige Leser selbst zu machen fähig sein dürften, so hielt ich es für schicklich, ihnen beizustehen; dies ist indeß eine Begünstigung, die sie im Verlaufe meines Werkes nur selten erwarten dürfen. Ich werde selten oder nie ihnen einen solchen Gefallen erzeigen, außer in Fällen, wie der vorliegende, wo die Entdeckung nur durch die Inspiration gemacht werden kann, mit der wir Schriftsteller begabt sind.

Sechstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Jungfer Deborah wird mit einem Gleichnisse in das Kirchspiel begleitet. Eine kurze Schilderung von Jenny Jones, so wie von den Schwierigkeiten und Entmuthigungen, welche jungen Mädchen im Verlaufe ihrer Bildung begegnen können.

Jungfer Deborah schickte sich an, nachdem sie nach dem Willen ihres Herrn für das Kind gesorgt hatte, die Häuser zu besuchen, die der Vermuthung nach eine Mutter enthalten konnten.

Wenn der Geier, der schreckliche Vogel! von dem gefiederten Geschlechte hoch oben in den Lüften schwebend erblickt wird, so macht die verliebte Taube und jeder unschuldige kleine Vogel weit und breit im Umkreise herum Lärm und sie fliegen zitternd nach ihrem Verstecke. Er aber schießt stolz, seiner Würde sich bewußt, durch die Luft und sinnt nach, wie er Böses thue.

So liefen, als die Annäherung der Jungfer Deborah durch die Straße hinab verkündigt wurde, alle Bewohner zitternd in ihre Häuser und jede Frau fürchtete, der Besuch könne sie betreffen. Sie aber schritt stolz und stattlich einher und trug hoch den Kopf, der mit dem Wahne von ihrer Vortrefflichkeit erfüllt war und mit Plänen, wie sie ihre beabsichtigte Entdeckung bewirke.

Der scharfsinnige Leser darf nach diesem Gleichnisse nicht etwa meinen, die armen Leute hätten die Absicht geahnt, mit welcher Jungfer Deborah zu ihnen kam; da aber die große Schönheit dieses Vergleichs möglicher Weise hundert Jahre verborgen bleiben könnte, bis ein Erklärer einmal das Werk zur Hand nimmt, so halte ich es für zweckmäßig, hier dem Leser zu Hilfe zu kommen.

Ich will nämlich sagen, daß, wie es in der Natur des Geiers liegt, kleine Vögel zu verzehren, die Natur solcher Personen, wie der Jungfer Deborah, gleichsam darauf hingewiesen ist, kleine Leute zu kränken und zu tyrannisiren; indem sie auf diese Weise sich für die außerordentliche Unterthänigkeit gegen ihre Vorgesetzten zu entschädigen pflegen. Nichts kann vernünftiger sein, als daß Sclaven und Schmeichler dasselbe von allen unter ihnen verlangen, was sie selbst den über ihnen Stehenden leisten müssen.

So oft Jungfer Deborah sich in ungewöhnlicher Weise dem Willen der Miß Brigitte fügen mußte und ihr Gemüth dadurch ein wenig verstimmt worden war, pflegte sie unter jene Leute zu gehen, um die Harmonie in ihren Gefühlen dadurch wieder herzustellen, daß sie jede übele Laune ausließ. Deshalb war sie keineswegs ein gern gesehener Gast und vielmehr von allen gefürchtet und gehaßt.

Als sie bei dieser Gelegenheit in dem Orte ankam, begab sie sich sogleich in das Haus einer ältlichen Frau, der sie im Allgemeinen günstiger war als den übrigen, weil sie ihr glücklicher Weise in den Reizen der Person, so wie im Alter glich. Dieser Frau erzählte sie, was geschehen war, theilte ihr auch die Absicht mit, welche sie schon am Vormittage herführe. Beide begannen darauf mehrere junge Mädchen durchzunehmen, welche da wohnten, und ihr stärkster Verdacht fiel endlich auf eine gewisse Jenny Jones, der, und darin stimmten beide überein, am Wahrscheinlichsten das Geschehene zugetraut werden konnte.

Diese Jenny Jones war kein eben hübsches Mädchen, weder von Gesicht noch von Gestalt; die Natur hatte aber den Mangel an Schönheit einigermaßen durch das ersetzt, was meist höher geschätzt wird von den Frauen, deren Urtheil mit den Jahren zu vollkommener Reife gekommen ist, denn sie hatte ihr einen ungewöhnlichen Theil Verstand gegeben. Diese Gabe der Natur hatte Jenny durch Studium noch bedeutend verbessert. Sie war mehrere Jahre bei einem Schulmeister in Dienst gewesen, der die schnelle Fassungskraft des Mädchens und deren außerordentliches Verlangen nach Bildung bemerkte (denn sobald sie Zeit hatte, las sie in den Büchern der Schüler) und gutmüthig oder thöricht genug war (wie es der Leser zu nennen beliebt), ihr Unterricht zu geben und sie so weit zu bringen, daß sie das Lateinische vollkommen verstehen lernte und vielleicht im Ganzen eben so gelehrt war, als es die meisten jungen Herrn von Stande sind. Dieser Vorzug verband sich indeß, wie es mit den meisten andern ungewöhnlichen der Fall ist, mit einigen kleinen Unannehmlichkeiten; denn da es nicht zu verwundern ist, wenn ein junges so gebildetes Mädchen keinen großen Geschmack an dem Umgange derer findet, die dem Stande nach ihres Gleichen sind, der Bildung und den Kenntnissen nach aber so weit unter ihr stehen, so darf man auch nicht erstaunen, daß diese Ueberlegenheit Jenny's, so wie das Benehmen, welches die sichere Folge davon zu sein pflegt, bei den übrigen Neid und Uebelwollen gegen sie erregte, die vielleicht in den Herzen ihrer Nachbarn im Stillen gebrannt hatten, seit Jenny aus ihrem Dienste zurückgekommen war.

Ihr Neid zeigte sich indeß nicht öffentlich, bis die arme Jenny zur Verwunderung Aller und zum Aerger aller jungen Mädchen des Ortes eines Sonntags öffentlich in einem neuen seidenen Kleide, einem Spitzenhäubchen u. s. w. erschien.

Das Feuer, das vorher in der Asche geschlummert hatte, loderte jetzt mit einem Male auf. Jenny hatte durch ihre Gelehrsamkeit ihren Stolz gesteigert, den keiner ihrer Nachbarn freundlich mit der Ehrenbezeugung nährte, die sie zu verlangen schien, und jetzt erhielt sie statt Achtung und Verehrung wegen ihres Putzes nichts als Haß und Schmähung. Die ganze Gemeinde erklärte, sie könne zu diesen Dingen unmöglich auf rechtliche Weise gekommen sein und die Aeltern, statt ihren Töchtern dasselbe zu wünschen, priesen sich glücklich, daß ihre Kinder dergleichen nicht hätten.

Daher kam es vielleicht auch, daß die gute Frau der Jungfer Wilkins zuerst den Namen dieses armen Mädchens nannte; ein anderer Umstand aber bestärkte Deborah in ihrem Verdachte: Jenny war in der letzten Zeit häufig in dem Hause des Herrn Allworthy gewesen. Sie hatte Miß Brigitte in deren gefährlicher Krankheit gewartet und viele Nächte bei derselben gewacht; überdies war sie drei Tage vor der Rückkehr des Herrn Allworthy von der Jungfer Wilkins selbst da gesehen worden, obgleich die kluge Person anfänglich keinen Verdacht deshalb auf sie gehabt hatte, da sie, wie sie sich selbst ausdrückte, Jenny immer für ein sehr ordentliches Mädchen gehalten (ob sie gleich wenig von ihr wußte) und ihr Verdacht mehr auf jene leichtfertigen Dinger gefallen war, die die Nase hoch trugen, weil sie sich für hübsch hielten.

Jenny wurde nun aufgefordert, in Person vor der Jungfer Deborah zu erscheinen, was sie denn auch sogleich that. Jungfer Deborah nahm den Ernst eines Richters und etwas mehr als die Strenge desselben an und begann eine Rede mit den Worten: »Du freche Hure!« in welcher sie eigentlich schon das Urtheil sprach, nicht aber das Mädchen erst beschuldigte.

Obgleich Deborah aus den oben angeführten Gründen von der Schuld Jenny's vollkommen überzeugt war, so hätte Herr Allworthy doch vielleicht stärkere Beweise dafür verlangt; sie ersparte indeß ihren Anklägern manche Verlegenheit dadurch, daß sie Alles, was man ihr zur Last legte, freiwillig gestand.

Dieses Geständniß besänftigte die Jungfer Deborah keineswegs, ob es gleich offenbar in Ausdrücken der Reue gegeben wurde; sie sprach vielmehr darauf ein zweites Urtheil gegen sie in noch beleidigenderen Worten als vorher aus. Auch auf die Anwesenden, die ziemlich zahlreich geworden waren, machte das Geständniß keinen günstigen Eindruck. Viele sagten, sie möchten wissen, was nun mit dem seidenen Kleide werden würde und andere äußerten sich spottend über des Mädchens Gelehrsamkeit. Jedes anwesende Frauenzimmer fand Gelegenheit, Abscheu von der armen Jenny auszusprechen, die alles geduldig ertrug, nur nicht die Bemerkung der einen, welche die Nase rümpfte und sagte: »Der Mann muß einen guten Magen haben, der für solche Waare ein seidenes Kleid giebt.« Jenny antwortete darauf mit einer Bitterkeit, welche denjenigen wohl in Erstaunen setzen konnte, der ihre Ruhe bei allen Schmähungen ihres Fehltrittes beobachtet hatte; aber ihre Geduld war wahrscheinlich erschöpft, denn diese Tugend wird durch Uebung leicht ermüdet.

Jungfer Deborah, der ihre Nachforschungen über alle Hoffnung gelungen waren, kehrte triumphirend zurück und stattete zur festgesetzten Stunde dem Herrn Allworthy einen treuen Bericht ab.. Er war davon sehr überrascht, denn er hatte auch von den außerordentlichen Anlagen und der Bildung des Mädchens gehört, die er, mit einer kleinen Pfründe, einem benachbarten Geistlichen hatte geben wollen.

Miß Brigitte bekreuzigte sich und sagte, sie für ihren Theil könne von nun an von keinem Frauenzimmer mehr eine gute Meinung haben; denn Jenny hatte vorher das Glück gehabt, bei ihr in großer Gunst zu stehen.

Die kluge Haushälterin wurde darauf wiederum abgeschickt, um die unglückliche Sünderin zu dem Herrn Allworthy zu holen, damit sie, nicht wie Einige hofften und Alle erwarteten, in das Zuchthaus gesteckt werde, sondern eine zuträgliche Ermahnung und einen Verweis erhalte, wie diejenigen, welchen eine dergleichen nützliche Lectüre behagt, in dem nächsten Kapitel lesen können.

Siebentes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Enthält so ernste Dinge, daß der Leser in dem ganzen Kapitel auch nicht einmal lachen kann, wenn er nicht etwa über den Verfasser lachen will.

Als Jenny ankam, nahm Herr Allworthy sie in sein Studirzimmer und redete sie also an: »Du weißt, Kind, daß es in meiner Macht, als Richter, steht, Dich für das, was Du gethan hast, streng zu bestrafen, und Du fürchtest vielleicht um so mehr, daß ich diese Macht gebrauche, weil Du Deine Sünde in mein Haus gebracht hast.

»Dies ist indeß vielleicht ein Grund, der mich veranlaßt hat, milder mit Dir zu verfahren, denn da ein Richter sich nie durch persönlichen Unwillen und Haß bestimmen lassen soll, so bin ich so weit davon entfernt, das Herbringen des Kindes in mein Haus für eine Vergrößerung Deiner Schuld anzusehen, daß ich dies vielmehr für einen Beweis von Liebe für Dein Kind annehme, weil Du gehofft haben magst, es werde hier besser für dasselbe gesorgt werden, als Ihr, Du und des Kindes Vater, es zu thun vermöget. Ich würde sehr erzürnt gegen Dich gewesen sein, hättest Du das Kind ausgesetzt, wie es manche unmenschliche Mütter thun, die mit ihrer Keuschheit auch jedes menschliche Gefühl verloren zu haben scheinen. Mein Verweis ist also gegen den andern Theil Deines Vergehens gerichtet, gegen die Verletzung Deiner Keuschheit, ein Vergehen, das zwar von sittenlosen Personen sehr gering angeschlagen wird, an sich selbst aber sehr abscheulich und in seinen Folgen schrecklich ist.

»Die Abscheulichkeit dieses Vergehens muß jeder Christ hinreichend begreifen, zumal da es trotz den Geboten unserer Religion und gegen die ausdrücklichen Vorschriften dessen begangen wird, der diese Religion stiftete.

»Deswegen müssen auch seine Folgen schrecklich sein, denn was kann schrecklicher sein, als sich das göttliche Mißfallen zuzuziehen durch Uebertretung der göttlichen Gebote und zwar in einem Falle, gegen welchen die Rache des Höchsten ausdrücklich angekündiget ist?

»Doch diese Dinge sind, wie wenig sie auch leider beachtet werden, so klar, daß die Menschen, wie sehr sie auch daran erinnert zu werden nöthig haben, darüber nicht belehrt zu werden brauchen. Es wird deshalb eine Andeutung bei Dir hinreichen, denn ich will nur die Reue in Deinem Herzen wecken, Dich nicht zur Verzweiflung treiben.

»Es giebt noch andere Folgen, die zwar nicht so schrecklich und grauenvoll sind, die aber doch, wenn sie wohl berücksichtiget werden, wie man denken sollte, wenigstens alle Personen Deines Geschlechtes von diesem Verbrechen eigentlich zurückschrecken müßten.

»Durch dasselbe werdet ihr ehrlos gemacht und wie in der alten Zeit die Aussätzigen aus der Gesellschaft ausgestoßen, wenigstens aus der Gesellschaft Aller, außer den Schlechten und Verworfenen, denn Andere werden mit Euch nicht umgehen wollen.

»Habt Ihr Vermögen, so werdet Ihr unfähig, dasselbe zu genießen; habt Ihr keines, so entgehen Euch die Mittel, solches zu erlangen, ja fast die Mittel, Euern Unterhalt zu erwerben, denn Niemand von Zucht und Sitte wird Euch in sein Haus aufnehmen.. So werdet ihr oft durch die Noth in einen Zustand der Schande und des Elendes gebracht, der unfehlbar in leiblichem und geistigem Verderben endiget.

»Kann irgend ein Vergnügen diese Uebel aufwiegen? Kann irgend eine Versuchung so lockend und täuschend sein, Euch zu vermögen, einen solchen Tausch einzugehen? Oder kann Fleischeslust Euern Verstand so ganz überwältigen, daß Ihr verhindert werdet, mit Schrecken und Entsetzen vor einem Verbrechen zu fliehen, das eine solche Strafe mit sich bringt?

»Wie gemein, wie niedrig muß ein Mädchen sein, wie ganz bar jener Seelenwürde und jenes Anstandsstolzes, ohne welche wir den Namen »Menschen« nicht verdienen, wenn es sich zu dem niedrigsten Thiere erniedrigen und alles, was groß und edel in ihr ist, alles Himmlische in ihr, einem Verlangen zu opfern vermag, das sie mit dem niedrigsten Theile der Schöpfung gemein hat! Kein Weib wird die Leidenschaft der Liebe zur Entschuldigung anführen wollen; dadurch würde sie zugeben, daß sie das bloße Spielzeug des Mannes sei. Die Liebe ist, wie roh wir auch ihre Bedeutung verdrehen mögen, ein lobenswerthes und ein verständiges Gefühl und kann nur heftig sein, wenn sie gegenseitig ist; denn wenn auch die Schrift sagt, wir sollen unsere Feinde lieben, so meint sie doch nicht, mit der innigen Liebe, die wir gegen unsere Freunde hegen, noch viel weniger, daß wir ihnen unser Leben und, was uns noch theurer sein sollte, unsere Unschuld, aufopfern. Wie anders aber als einen Feind kann ein verständiges Mädchen den Mann ansehen, der von ihr verlangt, sie solle das ganze Elend auf sich nehmen, das ich Dir eben geschildert habe, und der sich ein kurzes verächtliches Vergnügen erkaufen will, das sie so theuer bezahlen muß? Nach der Sitte und der Gewohnheit fällt ja die ganze Schande mit allen Folgen derselben auf sie allein. Kann die Liebe, die immer das Gute für ihren Gegenstand sucht, ein Mädchen zu einem Handel zu verlocken suchen, bei dem sie so viel verliert? Sollte nicht das Mädchen, wenn ein solcher Verführer frech genug ist, wirkliche Liebe zu ihr zu heucheln, ihn nicht blos für ihren Feind, sondern für den schlimmsten aller Feinde halten, – für einen falschen, verrätherischen, böse Absichten hegenden, angeblichen Freund, der nicht blos ihren Körper schänden, sondern auch zu gleicher Zeit ihre Seele verderben will?«

Jenny schien sehr betroffen zu sein; Allworthy hielt deshalb einen Augenblick ein; dann fuhr er fort: »Ich habe Dir dies gesagt, mein Kind, nicht um Dich zu kränken um das, was geschehen und nicht zu ändern ist, sondern um Dich für die Zukunft zu warnen und zu stärken. Ich würde mir auch diese Mühe nicht genommen haben, hätte ich nicht, trotz dem großen Fehltritte, den Du begangen hast, eine so gute Meinung von Deinem Verstande und hoffte ich nicht herzliche Reue, die sich nach Deinem offenen und aufrichtigen Geständnisse erwarten läßt. Täusche ich mich darin nicht, so werde ich dafür sorgen, Dich von diesem Schauplatze Deiner Schande wegzubringen an einen andern Ort, wo Du unbekannt bist und der Strafe entgehst, welche, wie gesagt, Dein Verbrechen in dieser Welt trifft, wo Du durch Reue, hoffe ich, jene weit schwerere Strafe abwendest, welche in der andern Welt angedrohet wird. Sei Dein übriges Leben hindurch ein gutes Mädchen und der Mangel wird die Veranlassung nicht werden, die Dich von neuem von dem rechten Wege abführt. Glaube mir, ein schuldloses und tugendhaftes Leben giebt selbst in dieser Welt größeres Vergnügen, als ein sittenloses und lasterhaftes.

»Wegen Deines Kindes sei unbesorgt; ich werde besser für dasselbe sorgen, als Du hoffen kannst. Es bleibt nun nichts weiter übrig, als daß Du mir den schlechten Mann nennst, der Dich verführte, denn mein Unwille wird gegen ihn weit größer sein, als der, den Du jetzt erfahren hast.«

Jenny schlug die Augen empor und begann mit züchtigem Blicke und bescheidener Stimme:

»Wer Sie kennt, Herr, und Ihre Güte nicht liebt, beweiset, daß es ihm völlig an gesundem Verstande oder an gefühlvollem Herzen fehlt. Ich würde die größte Undankbarkeit verrathen, fühlte ich nicht tief die große Güte, die Sie heute gegen mich geäußert haben. Ich weiß, Sie verschonen mich damit, erröthend zu wiederholen, was geschehen ist. Mein Verhalten in der Zukunft wird besser als jede Betheuerung meine Gefühle darthun. Erlauben Sie mir die Versicherung, daß ich Ihren Rath noch höher schätze als das edele Anerbieten, mit welchem Sie denselben beschlossen, denn er beweiset, wie Sie sich auszudrücken beliebten, Ihre gute Meinung von meinem Verstande.« Sie konnte hier ihre Thränen nicht länger zurückhalten; sie hielt einige Minuten inne und fuhr sodann fort: »Ihre Güte, Herr, überwältiget mich, aber ich will versuchen, diese gute Meinung zu verdienen, denn wenn ich den Verstand besitze, den Sie mir in ihrer Güte zuschreiben, so wird ein solcher Rath bei mir nicht vergeblich sein. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundlichen Absichten wegen meines armen hilflosen Kindes; es ist unschuldig und wird, wie ich hoffe, für die Liebe, die Sie ihm erzeigen werden, dankbar sein. Aber auf meinen Knien, Herr, muß ich Sie beschwören, bestehen Sie nicht auf dem Verlangen, Ihnen den Vater meines Kindes zu nennen. Ich verspreche Ihnen, Sie sollen ihn eines Tages erfahren, aber mich zwingen die feierlichsten Verpflichtungen, wie die heiligsten Schwüre und Betheuerungen, jetzt seinen Namen zu verschweigen, und ich kenne Sie zu gut, als daß ich fürchten könnte, Sie würden verlangen, die heiligsten Schwüre zu brechen.«

Herr Allworthy, bei dem die bloße Erwähnung der letzten Worte hinreichten, ihn wankend zu machen, zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete, dann sagte er, sie habe Unrecht gethan, solche Verpflichtungen gegen einen Schurken einzugehen, da sie es aber einmal gethan, so könne er nicht verlangen, daß sie denselben untreu werde. Er setzte hinzu, er habe nicht aus bloßer Neugierde darnach gefragt, sondern um den Menschen zu bestrafen und wenigstens um nicht vielleicht dem Wohlthaten zu erzeigen, der dieselben nicht verdiene.

Ueber diese Punkte beruhigte ihn Jenny, indem sie auf das Feierlichste versicherte, der Mann befinde sich gänzlich außer dem Bereiche seiner Macht und es sei auch durchaus nicht wahrscheinlich, daß er in den Fall komme, Wohlthaten von dem Herrn Allworthy zu empfangen.

Durch dieses Benehmen hatte sich Jenny die Achtung des würdigen Mannes in so hohem Maße erworben, daß er gern und leicht glaubte, was sie ihm sagte, denn da sie es verschmähte, sich durch eine Lüge zu entschuldigen und sich in ihrer gegenwärtigen Lage lieber seinem fernern Unwillen ausgesetzt als sich hatte bewegen lassen, einen Andern gegen ihren Schwur zu verrathen, so fürchtete er nicht, sie werde sich einer Unwahrheit gegen ihn schuldig machen.

Er entließ sie deshalb mit der Versicherung, sie bald aus der Gegend wegzubringen, wo sie nichts als Schande finden würde und schloß damit, daß er ihr Reue anempfahl, indem er sagte: »Bedenke, Kind, Du hast noch Einen zu versöhnen, dessen Gunst für Dich von weit größerer Wichtigkeit ist als die meinige.«

Achtes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Ein Gespräch zwischen Brigitte und Deborah, das mehr Unterhaltung, aber weniger Belehrung enthält als das vorige.

Als Herr Allworthy mit Jenny Jones, wie wir gesehen haben, in sein Studirzimmer ging, begab sich Miß Brigitte mit der guten Haushälterin an die Thüre desselben und sie vernahmen durch das Schlüsselloch die Ermahnungen des Herrn Allworthy, so wie die Antwort Jenny's und Alles, was in dem vorstehenden Kapitel berichtet worden ist.

Das Schlüsselloch in der Thüre des Studirzimmers ihres Bruders war Brigitten so genau bekannt und von ihr so oft benutzt worden, wie von Thisbe in der alten Zeit das berühmte Loch in der Mauer. Es diente zu manchem guten Zwecke. Brigitte erfuhr auf diesem Wege oft die Wünsche ihres Bruders, ohne daß er ihr dieselben mitzutheilen brauchte. Allerdings waren auch einige Unannehmlichkeiten damit verbunden und sie hatte bisweilen Ursache, mit Thisbe, bei Shakespeare, auszurufen: »o böse, böse Mauer!« Denn da Herr Allworthy Friedensrichter war, so kamen bei Fragen wegen Bastarden und dergleichen Dinge vor, welche die keuschen Ohren der Jungfrauen gewaltig beleidigen, besonders wenn diese Jungfrauen den Vierzigen nahe stehen, wie es bei Brigitten der Fall war. Sie hatte indeß bei solchen Gelegenheiten den Vortheil, ihr Erröthen vor den Augen der Menschen verbergen zu können und de non apparentibus, et non existentibus eadem est ratio, zu deutsch, wenn man ein Frauenzimmer nicht erröthen sieht, so erröthet es überhaupt gar nicht.

Die beiden Horcherinnen verhielten sich ganz ruhig, so lange das Mädchen bei dem Herrn Allworthy war; sobald aber die Vermahnung zu Ende war, sprach sich die Jungfer Deborah gegen die Milde und Nachsicht ihres Herrn aus, besonders konnte sie nicht begreifen, wie er es dulde, daß sie den Vater des Kindes nicht nenne, und sie schwur, denselben auszukundschaften, ehe noch die Sonne untergehe.

Bei diesen Worten verzog sich das Gesicht Brigittens zu einem Lächeln, was bei ihr etwas ganz Ungewöhnliches war. Ich will damit meinen Leser keineswegs verleiten, dieses Lächeln für ein solches zu halten, wie es Homer an der Venus beschreibt, wenn er sie die gernlachende Göttin nennt; auch war es kein Lächeln, wie man es an Seraphinen im Theater sieht, ein Lächeln, für welches selbst Venus ihre Unsterblichkeit hingeben würde; nein, es war ein Lächeln, wie es etwa auf dem Antlitze der Tisiphone oder dem ihrer Fräulein Schwestern erschien.

Mit einem solchen Lächeln und mit einer Stimme, die so lieblich war, wie der Abendhauch des Nordwindes in dem lieblichen Novembermonate, hielt Miß Brigitte der Jungfer Deborah ihre Neugierde vor, ein Laster, von welchem die letztere völlig beherrscht worden zu sein scheint und gegen das die erstere mit großer Bitterkeit eiferte, indem sie hinzusetzte, sie danke dem Himmel, daß, welche Fehler sie auch haben möge, doch selbst ihre Feinde sie nicht beschuldigen könnten, sie kümmere sich um anderer Leute Angelegenheiten.

Dann rühmte sie die Ehrenhaftigkeit, mit welcher Jenny gehandelt. Sie sagte, sie müßte mit ihrem Bruder übereinstimmen und zugeben, daß etwas Verdienstliches in dem aufrichtigen Geständnisse und in der Treue gegen den Liebhaber liege; sie habe Jenny immer für ein sehr gutes Mädchen gehalten und zweifle nicht, dieselbe sei durch irgend einen Schurken verführt worden, der unendlich mehr Tadel verdiene, als das Mädchen, und der sie höchst wahrscheinlich durch ein Eheversprechen oder irgend eine andere Falschheit verlockt habe.

Diese Reden Brigittens setzten die Jungfer Deborah sehr in Verwunderung, denn das kluge Weib sprach selten mit ihrem Herrn oder dessen Schwester, bevor sie nicht erst die Meinung derselben zu erforschen gesucht hatte, nach denen sie sich sodann genau richtete. Hier hatte sie indeß geglaubt, in aller Sicherheit ihrer Zunge freien Lauf lassen zu können, und der scharfsinnige Leser wird sie dabei auch nicht eines Mangels an geeigneter Vorsicht beschuldigen, vielmehr bewundern, wie schnell sie umwendete, als sie merkte, daß sie auf falschem Wege sei.

»Ja, wahrhaftig,« sagte die gewandte Frau, »ich muß gestehen, ich bewundere das Mädchen eben so wie Sie. Wie Sie sagen, das arme Ding ist zu bedauern, wenn sie von einem schlechten Menschen verführt wurde. Das Mädchen sah immer, wie Sie sagen, wie ein gutes, rechtschaffenes Mädchen aus und sie war gar nicht eitel auf ihr Lärvchen, wie viele andere Närrinnen hier in der Gegend.«

»Du hast ganz Recht, Deborah,« entgegnete Miß Brigitte. »Wäre das Mädchen eine der eiteln Närrinnen, deren wir nur zu viele im Kirchspiele haben, so würde ich meinen Bruder wegen seiner Nachsicht gegen sie getadelt haben. Vorigen Sonntag sah ich zwei Pachterstöchter mit bloßem Halse in der Kirche. Der Anblick empörte mich. Wenn die Mädchen so Lockspeisen für die Männer aushängen, so sind sie nicht zu bedauern, wenn sie später leiden müssen. Ich verabscheue solche Geschöpfe und es wäre besser für sie, ihr Gesicht wäre von den Blattern zerrissen; bei der armen Jenny, das muß ich gestehen, habe ich nie ein solches Benehmen bemerkt; ein schlauer Bösewicht hat sie verführt oder wohl gar gezwungen, davon bin ich überzeugt und ich bedaure die Arme von ganzem Herzen.«

Jungfer Deborah billigte alle diese Aeußerungen, und das Gespräch endigte mit einem allgemeinen und heftigen Ausfalle gegen die Schönheit, so wie mit manchen mitleidsvollen Betrachtungen über alle rechtschaffenen Mädchen, welche durch die bösen Künste der betrügerischen Männer verlockt und verführt werden.

Neuntes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Enthält Dinge, welche den Leser überraschen werden.

Jenny kehrte nach Hause zurück völlig zufrieden mit der Aufnahme, die sie bei Herrn Allworthy gefunden hatte, dessen Nachsicht sie wohlbedächtig überall erzählte und rühmte, theils vielleicht um ihrem eignen Stolze zu schmeicheln und theils aus Klugheit, um die Nachbarn wieder mit ihr zu versöhnen und dem Gerede ein Ende zu machen.

Obgleich nun die letztere Absicht, wenn sie dieselbe wirklich hatte, verständig genug ist, so entsprach der Erfolg ihrer Erwartung doch keineswegs; denn als sie zu dem Friedensrichter beschieden wurde und man allgemein der Meinung war, das Zuchthaus würde ihr Schicksal sein, so gab es doch einige, die sie bedauerten, wenn auch einige Mädchen äußerten, es sei dies gut genug für sie, und sich bereits an dem Gedanken ergötzten, sie werde in ihrem seidenen Kleide Hanf brechen müssen; als es aber bekannt wurde, wie Herr Allworthy sich gegen sie benommen hatte, wendete sich die Fluth ganz gegen sie. Die eine sagte: »wahrhaftig, sie hat Glück;« eine zweite meinte: »da sieht man, was es einbringt, bei vornehmen Herren in Gunst zu stehen;« eine dritte äußerte: »ja, das kommt von der Gelehrsamkeit,« und alle machten diese oder jene böswillige Bemerkung darüber und über die Parteilichkeit des Friedensrichters.

Der Leser hält, wenn er die Macht und das Wohlwollen Allworthy's bedenkt, das Benehmen dieser Leute vielleicht für unartig und undankbar; aber der Herr Allworthy gebrauchte seine Macht nicht und übte sein Wohlwollen in so reichlichem Maße, daß er alle seine Nachbarn von sich abgewendet hatte, denn es ist wohl bekannt, besonders den Großen, daß sie sich durch eine Wohlthat nicht immer einen Freund erwerben, sicherlich aber sich viele zu Feinden machen.

Jenny wurde indeß durch die Güte des Herrn Allworthy diesen tadelsüchtigen Zungen bald entzogen, und die Bosheit, die ihre Wuth nicht mehr an dem Mädchen auslassen konnte, fing an, sich einen andern Gegenstand zu suchen, der kein anderer war, als Herr Allworthy selbst, denn man murmelte und flüsterte bald, Niemand anders, als er selbst sei der Vater des Findlings.

Diese Annahme erklärte sein Benehmen so vollkommen, daß ihr alle beistimmten; das Gerede gegen seine Nachsicht nahm bald eine andere Richtung und änderte sich in Schmähungen über seine Grausamkeit gegen das arme Mädchen um. Sehr ernste und gute Frauen ereiferten sich über die Männer, welche Kinder erzeugten und sie dann nicht anerkenneten. Es fehlte auch nicht an solchen, die nach der Entfernung Jenny's andeuteten, sie wäre in einer Absicht weggebracht worden, die zu schrecklich sei, als daß man sie aussprechen könne, und häufig darauf hinwiesen, die ganze Sache sollte gerichtlich untersucht werden und gewisse Leute sollten gezwungen werden, nachzuweisen, wo das Mädchen sich befinde.

Diese Verläumdungen hätten recht wohl schlimme Folgen haben, wenigstens einige Verlegenheiten herbeiführen können, wäre der Charakter des Herrn Allworthy zweifelhafter und verdächtiger gewesen, als er wirklich war; so hatten sie keine solche Wirkung, wurden von ihm aus Herzensgrund verachtet und dienten nur dazu, den guten Leuten in der Nachbarschaft ein unschuldiges Vergnügen zu machen.

Da wir unmöglich errathen können, welches Temperament unser Leser hat und da eine ziemliche Zeit vergehen wird, ehe wir von Jenny wieder etwas hören, so halten wir es für nöthig, schon jetzt anzuzeigen, daß Herr Allworthy durchaus keine verbrecherische Absicht hegte. Er hatte nichts verbrochen und nur einen Irrthum begangen, weil er die Gerechtigkeit mit Milde paarte und sich weigerte, dem liebreichen Pöbel in der Person der armen Jenny einen Gegenstand zu geben, an dem derselbe sein Mitleiden üben könne; denn man wünschte, das Mädchen möge, damit man es bemitleiden könne, im Zuchthause dem Verderben und der Schande übergeben worden sein.

Weit entfernt, diesem Wunsche zu genügen, durch dessen Erfüllung jede Hoffnung auf Besserung würde aufgehoben, ja dem Mädchen die Möglichkeit verschlossen worden sein, wenn sie später die Neigung gefühlt hätte, den Weg der Tugend wieder zu betreten, munterte Herr Allworthy das Mädchen vielmehr in der allein möglichen Weise auf, dahin zurückzukehren, denn es ist, wie ich fürchte, nur zu wahr, daß viele Frauen nur deshalb bis zum äußersten Grade des Lasters gesunken sind, weil sie ihren ersten Fehltritt nicht wieder gut machen konnten. Dies wird leider immer der Fall sein, so lange sie unter ihren frühern Bekannten bleiben und es war deshalb von dem Herrn Allworthy sehr weise gehandelt, Jenny an einen Ort zu bringen, wo sie das Vergnügen des guten Rufes genießen konnte, nachdem sie die schlimmen Folgen des Verlustes desselben erfahren hatte.

Wir wollen ihr also eine glückliche Reise an diesen Ort wünschen, wo er auch liegen mag, und für jetzt Abschied von ihr, wie von ihrem Kinde nehmen, da wir dem Leser weit wichtigere Dinge mitzutheilen haben.

Zehntes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Die Gastfreundschaft Allworthy's und eine kurze Charakterschilderung zweier Brüder, eines Doctors und eines Capitains, welche die Gäste desselben waren.

Herr Allworthy verschloß zwar keinem Theile der Menschheit sein Haus oder sein Herz; vorzugsweise standen sie aber verdienstvollen Männern offen. Sein Haus war in Wahrheit vielleicht das einzige im Lande, wo man sicher eine Mahlzeit fand, wenn man sie auch nicht verdiente.

Vor allen andern nahmen Männer von Geist und Gelehrsamkeit den ersten Platz in seiner Gunst ein und darin hatte er einen scharfen Blick; denn ob er gleich keine gelehrte Erziehung genossen, hatte er doch, da ihm die Natur die vortrefflichsten Anlagen gegeben, durch fleißiges, wenn auch erst spät beginnendes Studium und vielfache Unterhaltung mit ausgezeichneten Männern, sich so viele Kenntnisse erworben, daß er in vielen Stücken als völlig competenter Richter urtheilen konnte.

Man darf sich nicht wundern, daß in einer Zeit, in welcher diese Art Verdienst in so geringer Gunst stand, Personen, die dasselbe besaßen, eifrig sich an einen Ort drängten, wo sie sicher mit der größten Freundlichkeit aufgenommen wurden, ja wo sie hoffen durften, fast dieselben Vortheile eines bedeutenden Vermögens zu genießen, als besäßen sie es selbst, denn Herr Allworthy gehörte nicht zu den Personen, welche geistreiche Leute bereitwillig aufnehmen, sie reichlich mit Essen und Trinken versehen und dafür weiter nichts erwarten, als Unterhaltung, Schmeichelei und Kriecherei, mit einem Worte, die jene Männer gewissermaßen zu ihrer Dienerschaft zählen, wenn sie auch keinen Lohn erhalten und keine Livree tragen. Im Gegentheile, jeder Gast konnte in seinem Hause vollkommen unbeschränkt über seine Zeit verfügen, und wie er nach Belieben jede Lust innerhalb der von Gesetz, Tugend und Religion gezogenen Schranken befriedigen durfte, war es ihm auch unverwehrt, wenn sein Gesundheitszustand oder seine Neigung ihm Mäßigkeit oder selbst völlige Enthaltsamkeit vorschrieben, von der Tafel ganz wegzubleiben, oder sie zu jeder Zeit zu verlassen, ohne daß er zum Gegentheile aufgefordert wurde, denn solche Aufforderungen von Höhern schmecken immer stark nach Befehlen. Hier waren alle frei von Zwang, nicht blos die, deren Gesellschaft an allen andern Orten für eine Gunst gehalten wird, sondern auch jene, welche sich in Umständen befinden, die ihnen verbieten, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und deshalb an dem Tische großer Herren weniger willkommen sind.

Zu solchen Männern gehörte Dr. Blifil, der das Unglück gehabt hatte, den Vortheil seltener Talente durch die Hartnäckigkeit und den Eigensinn eines Vaters einzubüßen, der ihn für einen Stand bestimmte, welcher ihm nicht zusagte. Diesem Eigensinn zu Folge hatte der Doctor in seiner Jugend Medicin studiren oder vielmehr sagen müssen, er studire sie, denn medicinische Bücher waren gerade die einzigen, die er nicht kannte. Zum Unglücke für ihn war der Doctor mit fast jeder Wissenschaft vertraut, nur nicht mit der, durch welche er sein Brod verdienen sollte. Natürlich hatte der Doctor in seinem vierzigsten Jahre kein Brod zu essen.

Ein solcher Mann konnte überzeugt sein, willkommene Aufnahme an dem Tische Allworthy's zu finden, bei dem stets das Unglück als besondere Empfehlung galt, sobald es die Folge der Thorheit oder Schlechtigkeit Anderer und nicht der unglücklichen Person selbst war. Außer diesem negativen Verdienste besaß der Doctor auch eine positive Empfehlung, – seine Religiosität. Ob diese Religiosität ächt oder nur ein Schein war, wollen wir nicht zu behaupten wagen, da wir den Prüfstein nicht besitzen, der das Wahre von dem Falschen unterscheidet.