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Spannend, saulustig, schräg. Eine Party im Wirtshaus ist immer eine Gaudi – solange man nicht ahnt, dass nebenan die Hofreiter Mona sitzt. Und zwar tot in der Gefriertruhe, zwischen Schweinsbraten und Knödeln. Da muss Elli Fuchs, Sanitärfachverkäuferin mit einer Schwäche für süße Backwaren, dringend ermitteln. Dabei stößt sie auf ein Geflecht aus Eifersucht und Habgier, und zu allem Übel tauchen auch noch dreiste Diebe und ein ominöser Putzmittelvertreter auf. Der Fall ringt Elli einiges ab!
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Seitenzahl: 439
Alexandra Stiglmeier ist im Pfaffenwinkel geboren. Aufgewachsen bei der Oma auf dem Bauernhof sowie im Sanitär- und Spenglereibetrieb der Eltern, lebt sie heute mit ihrer Familie in Peiting. Sie schreibt bayerische Theaterstücke und verbreitet ihren Humor als Kabarettistin bayernweit auf Wirtshaus- und Kulturbühnen.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Im Anhang befinden sich ein Glossar und Rezepte.
© 2024 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: stock.adobe.com/ChristArt, shutterstock.com/Olga_Lots
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Gestaltung Innenteil: DÜDE Satz und Grafik, Odenthal
Lektorat: Christiane Geldmacher, Textsyndikat Bremberg
ISBN 978-3-98707-217-8
Originalausgabe
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Lebe, lache und mache jeden Augenblickzu einem Fest!
Rosl
eine Dorfratschen (Dorf-Facebook)
Heinzi
Ellis Ermittlungskompagnon
Leni
dessen Frau
Schmied Lenz
Kriminalhauptkommissar
Und Achtung! Diese Typen sind fei äußerst verdächtig:
Haslinger
Ellis Chef, ein recht ungehobelter Geselle
Klexi
Malermeister, ein verheirateter Weiberheld
Schneckerl Tscharlie
ein schmieriger Windhund
Silberfisch Alisi
Steuerprüfer, eine graue Maus
Berti
eine
bratzelnde
Sahneschnitte
Viel Spaß beim Ermitteln mit der Elli!
»Veronika, der Lenz ist da« heißt es in einem alten Lied. Und das passt grad echt. Obwohl ich gar nicht Veronika heiße, sondern Elli. Zum einen passt’s, weil nach einem langen Winter endlich der Frühling bei uns im Pfaffenwinkel Einkehr gefunden hat, und zum anderen, weil ich neuerdings mit dem Schmied Lenz liiert bin. Und genau darum ist es im Moment recht ungünstig, dass er da ist, der Lenz. Haut der doch jetzt dem Haslinger so dermaßen eine in die Visage, dass der gute Mann ein Stück weit nach hinten taumelt und, völlig überrascht von dem unverhofften Schlag, recht deppert dreinschaut.
»Ja, spinnt da Beppi?«, fasst der sich mit seiner Riesenpranke an die Wurstlippe, die augenblicklich anschwillt wie ein Dudelsack.
»Von mir kriegst auch gleich eine Bockfotzen«, mischt sich jetzt der Heinzi ein und rempelt den Haslinger von der Seite an.
»Ja, häh, häh, wie hammas denn?«, schubst der Haslinger zurück und wirft sich mit seinem ganzen bajuwarischen XXL-G’stell auf den Heinzi drauf.
Das war keine gute Idee.
Nein, echt nicht.
Weil die zwei jetzt augenblicklich am Boden liegen und sich gegenseitig hauen.
Der Boxkampf eins a.
Die Faust vom Heinzi drischt wie die vom Rocky Balboa. Trotzdem geht er ziemlich schnell k. o. Mei, der Heinzi ist ja auch ein ziemlich kümmerlicher Hering, wissen S’. Deshalb kommen ihm gleich die umstehenden Mannsbilder zu Hilfe, und bis ich schau, ist hier beim Engelsrieder Wirt eine Mordsrauferei im Gange. Und das alles nur, weil der Lenz da ist.
Nicht, dass er streitsüchtig wär, der Lenz. Nein, nein, das nicht. Und als Kriminalhauptkommissar kann er sich so einen Schlag auf dem Haslinger seine Wurstlippe auch gar nicht erlauben. Aber er ist halt eifersüchtig. Obwohl er ja gar keinen Grund nicht hat. Weil, ich will doch nix vom Haslinger Alfons. Nein, echt nicht.
Aber jetzt erst mal alles schön der Reihe nach, gell.
Heute ist Samstag, und ich bin auf dieser Mega-Achtziger-Mottoparty, die meine alte Schulkameradin für ihren Gatten gibt.
Dafür hat die Gitti extra unser komplettes Wirtshaus angemietet. Inklusive dem sich darin schon sowieso befindenden Achtziger-Jahre-Interieur. Dazu Palmen, eine Discokugel, ja sogar eine Lichtorgel hat die Gitti mitgebracht. Alles noch im Original erhalten. Auch die Gäste. Wobei ich mir bei der Gitti nicht ganz sicher bin, ob bei der nicht schon Neuteile verbaut wurden. Weil, der ihr Busen kommt mir heute irgendwie größer vor wie sonst. Aber wurscht, das tut hier im Moment nichts zur Sache.
Jedenfalls hat die Gitti diese Party monatelang minutiös geplant. Und darum war’s hier einwandfrei. Die Fete grandios. Hab mich köstlich amüsiert.
Irgendwann mal – wann, kann ich nicht genau sagen –, da sind wir recht feuchtfröhlich an der Bar herumgestanden. Bis mir dann ebender Haslinger diese blöde Frage gestellt hat.
»Elli Fuchs, willst du mit mir gehen?«, hat er mich dabei angehimmelt wie ein verliebter Schulbub. Aber nein, der Haslinger wäre der Letzte, mit dem ich irgendwo hingehen würde.
»Weißt du eigentlich, dass ich schon seit unserer Kindheit in dich verknallt bin?«, hat er mich dann noch aus seinem hautengen blauen Jogginganzug heraus angegrinst.
So ein Schmarrn, ich hab den Haslinger doch früher gar nicht gekannt. Okay, bis zum Alter von zehn Jahren habe ich hier im Ort zwar gewohnt, und später war ich oft an den Wochenenden in Engelsried, aber ich wüsste nicht, dass ich dabei jemals dem Haslinger über den Weg gelaufen wäre. Und wenn, dann habe ich das bestimmt verdrängt.
»Ich sag nur: Flaschendrehen«, hat er mir dann seinen dahinfeuchtelnden Arm um die Schultern gelegt und mir ein nasses, nach Zwiebel und Schnaps riechendes Bussi auf die Backe gedrückt.
»Wie, Flaschendrehen?«, hab ich ziemlich beduselt gefragt. Einerseits vom Alkohol und andererseits vom Geruch.
»Ja sag amal, kannst du dich ans Flaschendrehen beim Heinzi seinem Kindergeburtstag nicht mehr erinnern?«
Mhm, freilich kann ich mich noch dran erinnern. Wer vergisst so was schon. Ich war zwölf oder so. Meine Eltern haben mich damals extra aus München zu dieser Geburtstagsfeier von meinem Cousin nach Engelsried gefahren. Und auf der Party, da war dann so ein grauslicher Bub. Ich sag nur: dicker Leib und dünne Haxen. Hat ausgeschaut wie ein Kartoffelknödel auf zwei Füßen.
Und wie wir dann alle im Kreis gesessen sind, hat jemand die Flasche gedreht und gesagt: »Auf wen der Flaschenhals trifft, der muss den da küssen«, und hat dabei auf den Bub gedeutet. Dann wurde die Flasche gedreht.
Und wen hat’s getroffen?
Mich.
Und eins kann ich Ihnen sagen, der Kerl war widerlich. Hat das Küssen gar nicht können, weil offener Mund. Und als wäre das nicht schon übel genug, haben sich dabei auch noch unsere Zahnspangen ineinander verhakt. Ein grauenhaftes Erlebnis. Aber der greisliche Geselle von damals, das wird doch nicht der Haslinger … hab ich ihn fragend in die schwammige Visage geschaut.
Die war auf der Stelle rot wie ein Radieserl.
»Ja, ja, Fuchsin. Ich war’s schon. Mich hast du damals gewonnen«, hat er hergegrinst, und sein Schädel hat dabei farblich von Radieserl auf Rote Bete gewechselt.
Oh mein GOTT! ICH HAB MIT DEM HASLINGER GEKNUTSCHT!
Mir ist schlecht geworden.
ICH HAB MIT DEM HASLINGER GEKNUTSCHT, ist es mir immer und immer wieder in meinem vom Alkohol benebelten Kopf herumgeschwirrt. Mein Hirn hat’s einfach nicht begreifen können. Okay, der Haslinger ist mit dem Heinzi in dieselbe Klasse gegangen, aber dass der da auf der Geburtstagsfeier … Also, ich und der Haslinger … das ist … absurd ist das. Pfff, ich und der Haslinger Alfons … Ja aber, warum hat mir das denn bis jetzt niemand gesagt? Ich mein, ich arbeite seit einem halben Jahr für den. Schmeiße ihm praktisch seinen ganzen Laden. Verkaufe für ihn Rohre, Fittings und Klodeckel. Tippe seine Briefe ab und schreibe seine Rechnungen. Arbeite mit ihm quasi Seite an Seite und … ich hab mit dem Haslinger geknutscht …
Verzweiflung pur.
Ich muss das komplett aus dem Bewusstsein verbannt haben.
Ob der beim Küssen immer noch so furchtbar sabbert? Aber in der Zwischenzeit müsste der das Küssen doch können, oder?
In meinem Hirn hat’s gerattert und gerattert. Und, ja mei, ich hab halt seit jeher diese kriminalistische Neugierde, wissen S’. Gehe den Dingen eben gerne auf den Grund. Kann da gar nichts dafür. Das Ermitteln liegt mir eben im Blut. Ja, und darum hab ich halt dringend wissen müssen, ob der Haslinger beim Küssen immer noch sabbert.
Tja, und dann hab ich’s einfach ausprobiert. Obwohl es mir ja eigentlich vorm Haslinger graust und ich freilich nicht gewusst hab, was er für Essensreste in seinem Bart drinhängen hat, geschweige denn, was sich dort für Ungeziefer herumtreibt. Aber mit viel Alkohol im Hirn, da fallen halt die Hemmungen, gell.
Ohne groß darüber nachzudenken, hab ich also mit beiden Händen seine fleischigen roten Hamsterbacken zu mir hergezogen und ihn geküsst. Einfach so. Und nein, hat nicht mehr gesabbert. Aber der Bart hat gestupst. Der Kuss war ganz okay, kann man echt nix sagen.
So. Und jetzt sind wir eben wieder genau da, wo wir vorhin waren. Also am Anfang vom Buch. Weil exakt in diesem Moment, wo ich den Haslinger geküsst hab, ist eben der Lenz plötzlich dagestanden.
Zuerst hab ich ihn ja gar nicht gesehen.
Und wie ich ihn dann bemerkt hab, da hat er schon dem Haslinger diesen Schlag versetzt. Mei, was soll ich sagen. Kurzschlussreaktion. Eifersucht. Ist halt keiner vor gefeit, gell. Auch kein Kriminalhauptkommissar. Und jetzt fliegen hier eben Fäuste, Wörter und Maßkrüge.
So ein Mist.
Ich schau zum Lenz rüber. Der Mann schaut heute mal wieder bombastisch aus. Lederjacke mit Fransen, hautenge Jeans, in der alles genau da sitzt, wo es sitzen soll. Cowboystiefel, Nietengürtel und Lockenperücke. Bon Jovi: Scheißdreck dagegen. Mei, was bin ich in ihn verliebt, und freilich würde ich hier und jetzt sofort alles aufklären, aber im Moment ist halt grad schlecht.
»Ja, tun S’ halt was, Sie sind doch die Polizei!«, schreit ihn jemand an. Aber der Lenz steht nur mit versteinerter Miene da und sieht zu, wie sich die anderen die Köpfe einhauen. Ist stinksauer. Und weil er halt nicht reagiert, kommt jetzt die große alte Feuerspritze zum Einsatz. Die steht seit jeher für einen eventuellen Brandfall bereits mit Wasser gefüllt in der Ecke der Wirtsstube rum.
Jemand zielt mit dem Schlauch und der Pistole auf die rauflustige Meute und ruft mir zu: »Pump!«
Mei, dann pump ich halt.
Der Wasserstrahl schießt durch den Schlauch, dass es eine wahre Freude ist. Innerhalb kürzester Zeit ist die ganze Saubande britschelnass.
Das Resultat dieser Prügelei: zerrissene Achtziger-Jahre-Klamotten, anschwellende Männervisagen, blutendes Zahnfleisch und eine schwimmende Wirtsstube.
»Hol was zum Kühlen. Am besten Eiswürfel«, befiehlt die Gitti dem Heinzi, und der humpelt, sich die blutige Backe haltend, suchend durch die Schwingtüre. Ich folge ihm helfend, weil schließlich bin ich schuld an dem ganzen Dilemma. Also ab zum Kühlschrank. Der steht in der Küche.
Leider komme ich dort nicht recht voran, weil fettiger Fliesenboden. Wie ich den Kühlschrank dann erreiche, reiß ich mit Schwung die Tür auf. Immerhin bin ich auf der Suche nach was Kaltem. Und ja, dadrin scheint es recht eisig zu sein. Selbst das Gemüse hat sich schon einen Pelz zugelegt. Auch das Obst schaut irgendwie flauschig aus. Man kann sagen, Obst und Gemüse genießen die vierwöchige Betriebsruhe, die der Wirt offiziell gerade hat. Chillen hier im Kühlschrank und gammeln vor sich hin. Also das Gemüse. Nicht der Wirt, weil der chillt in Thailand.
Ich mach lieber wieder zu.
»Da, die Gefriertruhe«, ruf ich und zeig dabei auf die riesige Truhe, die in einem kleinen angrenzenden Nebenraum steht. Schon reißt der Heinzi den Deckel auf, holt einen Schweinsbraten heraus und reicht ihn mir her. Ich renne damit in die Wirtsstube zurück und halte das kalte Fleischstück dem Haslinger unter den blutverschmierten Zinken.
»Ja, do legst di nieder, war des eine Rauferei, ha? Bombastisch, ja, verreck!«, freut er sich sichtlich und zupft seinen dreckigen Jogginganzug zurecht.
»Wir brauchen mehr Kaltes«, schreit die Gitti hektisch zum Heinzi in den Raum hinein. Und wie kurz drauf die Schwingtür der Küche erneut aufgeht, steht er dann da, der Heinzi. Kreidebleich, eine Tüte mit Bockwürsten in der Hand und zur Salzsäule erstarrt.
»Was is?«, frag ich noch so. Aber er ist irgendwie wie ferngesteuert. Hebt dauernd den Arm mit den Würsten zum Himmel und senkt ihn wieder ab. Hoch, runter, hoch, runter. Stößt dabei immer einen »Mhm«-Laut aus. Hört gar nicht auf damit.
Hat der vorhin zu viel Schläge abgekriegt?
»Ja, jetzt holt halt mehr Kaltes!«, befiehlt die Gitti erneut, reißt dem Haslinger den Schweinsbraten aus der Hand und hält ihn ihrem Gatten ans blutende Hirn. Und weil der Heinzi immer noch so seltsam dasteht und diese Mhm-Laute von sich gibt, renn ich in den Raum hinter der Küche und reiß ebenso den Deckel der Gefriertruhe auf. Die ist bis zum Rand gefüllt. Hase, Reiberdatschi, Fische, lose Pommes. Alles Mögliche liegt dort. Teils mit und ohne Verpackung. Aber das, was da noch drin ist, das raubt mir den Atem. Es ist die Hofreiter Mona. Hockt steif gefroren zwischen all den Lebensmitteln, hat die Augen und den Mund weit aufgerissen und raucht vor Kälte.
Eiskalt fährt es mir durch die Glieder, wie ich mich zur Mona in die Truhe hinunterbeuge. Schlagartig schnellt ihr Leib wie auf Kommando aus der Gefriertruhe hoch, packt mich am Arm und zieht mich mit in die Tiefe. Ich möchte schreien, strampeln, um mich schlagen, aber sowohl die Stimme als auch mein Körper wollen nicht. In panischer Verzweiflung versuche ich mich am Rand der Truhe festzuhalten, doch meine Hand greift ins Leere. Hilfe!, schrei ich, ohne meinen Mund zu bewegen. Heinzi, Lenz, zefix, wo seid ihr? Ja hört mich denn keiner? Lass mich los!, bettel ich den klirrend kalten Leib von der Hofreiter Mona an, aber für mich geht’s nur abwärts. Hinunter in die frostige Tiefe. Rums, Deckel zu. Lebendig eingefroren. Langsamer Tod.
Es ist stockdunkel. Verzweifelt drücke ich mit den Armen von innen gegen die Klappe, stemme mich mit aller Kraft dagegen. Will in die Freiheit. Ins Licht. Bevor mir das Blut in den Adern gefriert. Mit letzter Kraft schlag ich an die Truhe. Nix wie raus.
Schon schlag ich die Bettdecke auf. Setz mich abrupt auf die Bettkante. Von wegen eiskalt. Mir ist es elendig heiß. Bin auch nicht steif gefroren, sondern schweißnass und heilfroh, dass es nur ein Traum war. Ein Alptraum, der mich jede Nacht verfolgt, seitdem ich vorgestern die Mona in der Gefriertruhe gesehen habe. Der Schock sitzt tief. Immerhin hab ich die Hofreiter Mona gut gekannt. Also rein oberflächlich. Mei, wie man halt jemanden aus dem Dorf kennt, mit dem man drei Jahre in die Volksschule gegangen ist.
Wie in aller Welt ist die Mona nur in die Gefriertruhe vom Wirt reingekommen? Freiwillig sicher nicht. Wer tut ihr so was an? Und warum? Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sie irgendwelche Feinde hatte. Sie war eine nette, adrette Frau. Unheimlich tierlieb, unverheiratet, ihre Mama ist schon vor etlichen Jahren verstorben, den Vater hat sie nicht gekannt.
Ihr Anblick will und will mir nicht aus dem Kopf gehen. Immer und immer wieder sehe ich ihr Gesicht vor mir. Die weit aufgerissenen Augen, der entsetzte Blick. Als wollte sie mir sagen: Elli, hilf mir. Bitte, bitte, Elli, find heraus, wer mein Leben auf diese Art und Weise beendet hat. Darum muss ich jetzt dringend aufdecken, wer die Mona beim Wirt abgelegt hat. Ja, das bin ich ihr doch schuldig, oder?
Und ich werde diesen Mord aufklären. Bin ja ein kriminalistischer Profi. Ja, hab ich doch vor ein paar Wochen einen Dreifachmörder entlarvt, nachdem der Haslinger und ich bei einer Kundschaft eine total vertrocknete Leiche in einem Wannensockel entdeckt haben. Ein echt mysteriöser Fall war das. Der eine oder andere von Ihnen wird sich vielleicht noch daran erinnern, oder? Egal. Jedenfalls verfüge ich über ein hervorragendes kriminalistisches Gespür. Es glaubt mir halt nur keiner.
Außer der Heinzi. Der weiß es freilich. Ja, weil wir doch früher als Kinder immer Detektiv gespielt haben. Entlaufene Tiere und Männer haben wir gemeinsam aufgespürt. Okay, die waren meistens eh alle im Wirtshaus zu finden. Die Männer am Stammtisch und die Viecher im Schlachthaus. Wie gesagt, es glaubt mir nur keiner.
Leider hat mir mein kriminalistischer Instinkt beim Werdegang als Kriminalerin nicht weitergeholfen. Weil Fünfer im Turnen und so.
In meinem Flur stehen Rollschuhe. Die habe ich beim Heinzi im Keller entdeckt. Der hat ja allerhand altes Graffel dort rumliegen. Wollte sie zuerst bei der Party tragen, aber zum Tanzen sind so Dinger halt unpraktisch. Doch für die bevorstehenden Ermittlungen bietet sich nun Gelegenheit, sie mal auszuprobieren. Rollschuhfahren verlernt man ja nicht. Werde flugs zum Wirt hinüberrollen und ihn ein bisserl ausfragen. Schließlich war die Mona ja in seiner Gefriertruhe drin. Hoffentlich ist der in der Zwischenzeit aus Thailand wieder eingeflogen.
Nachdem ich meine Füße in die rollenden Schuhe gesteckt und mich damit die Treppe vom ersten Stock hinuntergehangelt habe, kurve ich gekonnt lässig über unseren Hof. Komm mir dabei ein bisserl vor wie ein junges Mädl. Weil einerseits die Rollschuhe und andererseits der Geruch mich halt extrem an meine Kindheit erinnern. Es riecht nach Odel. Ach, das tut’s hier leicht mal, wissen S’. Ich lebe halt auf dem Land. Genau genommen wohne ich in Engelsried. Das liegt geografisch im Pfaffenwinkel. Also in Südbayern. Und wenn’s hier im Ort nicht nach Odel riecht, dann duftet es nach Kuhstall. Selten auch nach beidem. Je nachdem, wie halt der Wind geht, gell.
Eigentlich mag ich das öde Landleben samt seiner Düfte nicht. Nein, ganz und gar nicht. Bin auch nicht aus freien Stücken mit den Kindern vor einem halben Jahr aus München wieder hierhergezogen. Aber seitdem ich so dermaßen in den Schmied Lorenz verliebt bin und bei mir dauernd so Schmetterlinge im Bauch rumflattern, mag ich sogar diese depperte Landluft.
Mit geschlossenen Augen saug ich die oberbayrische Frische in mich hinein, leg mir die Kopfhörer über die Ohren und schalte den Walkman an, den ich ebenso aus dem Heinzi seinem Fundus habe. »Walking on Sunshine«, tönt es mir in die Ohren. Das ist schön.
Rollschuhfahren kann ich.
Hab ich gedacht, bevor ich in die Dinger reingestiegen bin.
Ist aber nicht ganz so leicht, weil, Achtung, abschüssige Straße. Kieselsteine, kein Vergnügen, und mit dem Bremsen hapert’s auch. Donner volle Kanne beim Wirt in den Zaun. Aber wurscht. Der war eh schon marode. Wird nur noch von wenigen rostigen Nägeln gehalten und neigt sich nun auf Habachtstellung Richtung Wirtshausgarten. Egal. Ich roll dann mal rein.
In der Wirtsstube sitzen drei rotnasige und pausbackige Bierdimpfel am Stammtisch. Starren wortlos auf ihre Biergläser, die vor ihnen auf dem Tisch stehen. Klammern sich förmlich daran fest, als hätten sie Angst, dass ich sie ihnen wegnehme. Vom Löschwassereinsatz ist in der Wirtsstube nix mehr zu sehen. Wenn man von den Wasserrändern an Tisch- und an Stuhlfüßen absieht. Ach, bei dem ganzen alten, schadhaften Graffel, was der Wirt in seiner Stube drin beherbergt, kommt es auf so einen Wasserschaden mehr oder weniger auch nicht drauf an. Selber schuld, wenn er eine mit Wasser gefüllte Feuerspritze in der Wirtsstube herumstehen hat.
»Ja, ja, so is …«, murmelt einer der Stammtischbrüder an sein Bierglas hin.
»Ja, ja«, brummelt der andere ebenso in sein Glas.
»Genau. Genau so is es …«, schnappt sich der ganz der andere schwungvoll sein Glas, hebt es gegen seine weit aufgerissene Gosche und schüttet sich den Gerstensaft in den Hals. Sein Kropf hüpft dabei wie ein Pingpongball auf und ab. Gleich drauf knallt er sein leeres Glas auf den Bierfilz, wischt sich den Schaum vom Mund und starrt wieder auf sein Bierglas.
»Wissen Sie vielleicht zufällig, wo der Wirt ist?«, unterbreche ich die illustre Gesellschaft bei ihrer ausschweifenden Kommunikation. Bekomme aber keine Antwort. Nicht mal einen Blick.
Pfff, zieh ich einen Schmollmund hin, werfe mein Haar nach hinten und schwing mich zur Küchentür hin, die mich unerwarteterweise weder abbremst noch aufhält. Nein, die blöde Tür schwingt auf, und schon düse ich in die Küche. Eine Anrichte mit Tellern ist es, die sich mir unfreiwillig in den Weg stellt. Während das Geschirr zu Boden fällt, werfe ich dem Wirt ein freundliches »Grüß Gott« zu. Aber mein Gruß und das Klirren des fallenden Geschirrs werden von einem mordsmäßigen Zisch verschluckt, weil der nämlich am Herd gerade Wasser in einen heißen Topf gießt.
Die ganze Küche dampft. Absaugung Fehlanzeige.
Ich nutzte den günstigen Umstand und stell mich breit vor ihm hin.
Kaum haben sich die Nebelschwaden verzogen, setz ich den lieblichsten Blick auf, den ich in meinem Repertoire habe, und lächle zum Wirt hinüber. Hätt ich aber gar nicht müssen, weil mich der komplett ignoriert. Der Riesenkerl schwenkt nacheinander sämtliche Pfannen mit Spätzla und Gemüse drin und tut dabei recht g’schaftlig.
Ich schau mich mal um.
Die Küche ist immer noch so ätzend fettig wie am Samstag.
Das angrenzende kleine Zimmer, wo die Gefriertruhe steht, ist blitzeblank. Auch der Boden. Das ist mir am Samstag auch schon aufgefallen. Der Täter hat hier also ausgiebig geputzt und wollte die Spuren verwischen. Der einzige Unterschied zum Samstag: Die Mona ist weg. Die wurde längst abgeholt. Quasi von der Gefriertruhe in den Kühlschrank der Münchner Gerichtsmedizin umgebettet.
»Was willst?«, fragt der Wirt. Er nimmt ein riesiges Messer, hebt es in die Höhe, betrachtet es mit zusammengezwickten Augen und fängt an, es zu wetzen.
Ja, was will ich eigentlich?
Genau genommen recht viel. Zuallererst aber gerne mal wissen, wie gut er die Mona gekannt hat und wie sie in seine Gefriertruhe gekommen ist. Weil ich mir aber keinen Plan für die Befragung zurechtgelegt habe und ich irgendwie Muffensausen zwecks dem Anblick vom Wirt samt seinem Messer habe, stopsle ich ein bisserl rum. Weiß gar nicht, was ich sagen soll. Weil der Mann wirkt auf mich enorm gewaltig. Ich sag nur: Schubeck ist schmächtig dagegen. Kocht auch nicht wie Schubeck, nein, nein, ganz im Gegenteil. Was unser Wirt kredenzt, ist manchmal ungenießbar.
»Ja, also ich hab ja die Mona bei dir in der Gefriertruhe gefunden«, sag ich dann.
»Aha, ja und jetzt?«
»Ja, und ich frag mich halt, wie die Mona da reingekommen ist, gell.«
»Ja, das hätt ich auch gern g’wusst. Die Hofreiter Mona hätt sich doch auch eine andere Gefriertruhe aussuchen können, wo sie sich tot reinhockt. Was glaubst, was ich jetzt für Scherereien hab, ha? Da fliegst nach Thailand in Urlaub, vermietest für einen Abend dein Wirtshaus, und dann kommst heim, und es schwimmt die ganze Bude. In der Küche wuselt eine komplette Armee von eingetüteten Polizisten mit Pinsel und Tesafilm umeinander und beschlagnahmt auch noch dein Essen. Jetzt kann ich erst mal wieder vorkochen, damit in den nächsten Wochen da herinnen überhaupt was geht.« Er wetzt wie wild weiter an seinem Messer und rammt es dann mit Schwung in die Kruste von einem Schweinsbraten rein, der auf der Anrichte vor sich hin dampft. »Von den Kriminalern, die jeden Tag da bei mir ein und aus gehen, mag ich gar ned reden. Und jetzt schleich dich, ich hob zu tun«, sticht er mit der Fleischgabel auf den armen Braten ein und zerlegt ihn versessen in einzelne Bestandteile.
Und so zieh ich halt unverrichteter Dinge wieder ab. Ist eh besser, wenn ich mit den Rollschuhen in der fettigen Wirtshausküche nicht lang auf einer Stelle verweile. Sonst pappen die Räder fest.
Mein Weg führt mich durch die Wirtsstube direkt weiter aufs Klo. Weil, wissen S’, ich mache doch zurzeit diese Diät.
Gut, ehrlich gesagt mach ich grad drei Diäten.
Gleichzeitig. Ja mei, von einer wird man ja nicht satt. Und diese Ansammlungen von Obst und Gemüse in meinem Bauch müssen jetzt dringend mal raus.
Das Klo vom Wirt schaut aus, wie halt ein Klo am Montagnachmittag ausschaut, wenn es seit Freitag nicht mehr durchgewischt wurde. Und der Geruch erst. Überall liegt noch Konfetti von unserer Party rum. Ist überhaupt recht hartnäckig, das Zeug. Hab am Sonntag noch welche aus meiner Unterhose gefischt. Aber wurscht. Vergessen S’ das, weil irrelevant. Jedenfalls passt das Konfetti farblich bestens zur Einrichtung. Die ist eine bunte Mischung aus verschiedenen Badepochen. Die Fliesen mal moosgrün, mal braun, das Waschbecken in Calypsoblau. Die WC-Schüsseln in der Sanitärfarbe Stella, die es schon seit dreißig Jahren nicht mehr zu kaufen gibt. Ich sag Ihnen, wenn ein Wirt, bei dem täglich Hunderte von Leuten aufs Klo gehen, nicht mal fünfzig Euro für eine neue Kloschüssel übrig hat, dann ist ihm der Gast nix wert. Möchte gar nicht wissen, was der uns essenstechnisch alles auftischt.
Wie ich auf der Schüssel hocke, hab ich ein Déjà-vu. Bin nämlich genau an dieser Stelle schon mal gesessen. Und zwar am Abend unserer Party. Hab ebenso die Ausstattung des Damenklos begutachtet und mich danach beim Händewaschen geärgert, dass nur kaltes Wasser aus dem Hahn gekommen ist. Ich habe mich gebückt und unter dem Waschbecken am Eckventil das warme Wasser aufgedreht. Dabei ist mir ein Hirschfänger ins Auge gestochen. Lag da am Boden, halb verdeckt unter der Wickelkommode, und ich hab mich gefragt, wie ausgerechnet ein solches Messer, das ja ein Mann meist an seiner Lederhosen trägt, ins Damenklo reinkommt. Hab das Messer aufgehoben und gleich in meine Handtasche reinfallen lassen. Weil prima kostenloses Weihnachtsgeschenk für den Heinzi und so. Aber jetzt hat der Hirschfänger freilich eine ganz andere Bedeutung. Es könnte sich dabei nämlich um ein wichtiges Beweisstück handeln.
Gerade eben bin ich aus der Wirtschaft gerollt, blockieren die Räder. Weil Fett an den Rollen und dranklebendes Konfetti. Wär beinah auf die Schnauze gefallen. Nicht auszudenken, wie das ausgegangen wär, wenn nicht grad der Lenz ums Eck gekommen wär und mich aufgefangen hätt.
»Uppsala«, sagt er, während ich in seine Arme fliege.
Kaum bin ich dort gelandet, flattern auch schon in meinem Bauch wie wild Schmetterlinge herum.
Der Lenz grinst. Ein gutes Zeichen. Das tut er gern, wenn ich ein bisserl tollpatschig daherkomm. Findet mich dann unglaublich süß. Sagt er. Wenn wir alleine sind. Bedauerlicherweise sind wir grad nicht alleine, weil heute hat er einen Kollegen dabei. Flori Käseck sein Name. Unter Polizeikollegen Käsi genannt. Nein, nicht wegen dem Nachnamen, sondern zwecks den Käsfüßen, die er hat. Sagt der Lenz. Wenn wir allein sind.
»Was machst du hier?«, fragt mich der Lenz nun, und seine Miene verfinstert sich dabei zunehmend.
Gar nicht gut.
Hab mir schon gedacht, dass er beleidigt ist, weil er seit der Party halt ums Verrecken nicht ans Telefon geht.
»Lenz, das mit dem Haslinger, das war doch …«, versuch ich ihm flüsternd die Sache mit dem Kuss zu erklären.
Käsi wird ganz Ohr.
»Du, erspar mir die Einzelheiten«, schaut der Lenz mit seinen rehbraunen Augen in die meinen und drückt mich von sich weg.
»Du als Kriminalist solltest doch wissen, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Ich hab doch nur …«
»Elli, ich hab hier einen Mordfall aufzuklären, mach mir jetzt bitte den Weg frei«, schiebt er mich zur Seite, kaum dass ich wieder auf den Rollschuhen stehe. Geht samt käsfüßigem Kollegen einfach an mir vorbei. Und das, ohne sich nochmals nach mir umzudrehen. Allerhand ist das, wie ich finde. Ach ja, im Privaten ist er ja ein recht lockerer und lässiger Typ, aber im Dienst ist er ein echt kleinkarierter Spießer. Hoffentlich kriegt der sich bald wieder ein, damit wir gemeinsam den Mörder von der Mona finden.
Nachdem ich die Räder halbwegs von Fett und Konfetti befreit habe, roll ich fast wie von selbst zu Semmelmeiers rein. Das ist unsere dorfeigene Bäckerei, und wenn Sie mal hier in der Gegend sind, sollten Sie unbedingt dort vorbeischauen. Derzeit gibt’s da so Erdbeertörtchen. Ich sag nur: Quark-Öl-Teig, nicht zu süß, Puddingcreme und frische Erdbeeren drauf. Deliziös. Man bekommt allerdings schon allein vom Anblick vier Kilo mehr auf die Hüften, und das ist leider das Übel. Aber beim Semmelmeier gibt’s halt auch den neuesten Klatsch, also praktisch nützliche Informationen. Insbesondere wenn unsere Dorfratschen, die Rosl, drin ist. Die hat nämlich eine ausgeprägte Ader, Gehörtes in null Komma nix zu verbreiten und Fake News in die Sphäre zu posaunen. Hat auch das Gerücht in die Welt gesetzt, dass ich mit dem Haslinger ein Verhältnis hab, was sich übrigens im Dorf bis heute hartnäckig hält.
Der Laden proppenvoll. Halb Engelsried ist anwesend. Und freilich weiß ein jeder über die Mona etwas zu berichten. Ich stell mich mal hinten hin und horche.
Erstens: Die Mona war pleite.
Zweitens: Sie war homosexuell.
Drittens: Sie hat geerbt.
Viertens: Sie hatte in Thailand ein Tierheim.
»Und seit fünf Wochen war s’ mit dem Silberfisch Alisi beinander«, ergänzt die Rosl.
Die Mona war mit dem Silberfisch Alois beieinander? Wie kommt die denn auf den? Ich mein, die zwei passen ja überhaupt nicht zusammen. Die Mona war eine selbstbewusste, lockere und lebensfrohe Person. Hübsch obendrein, wissen S’. Ja, und der Silberfisch ist ein Milchbubi, der zwar von seiner Mama rausgefuttert wurde, aber rein emotional von jeher eine mickrige Erscheinung ist. Modell graue Maus. Verkorkst bis dorthinaus. Seit der Schulzeit ein Loser. Hat es aber immerhin als Beamter ins Finanzamt geschafft. Ist dort, glaub ich, Steuerprüfer.
Kaum steh ich vor der Verkaufstheke, werde ich von der Rosl mit zusammengekniffenen Augen begutachtet. Sie schaut mich so durchdringend an, als wollte sie in meinem Hirnkastel alle Gedanken lesen, die mir derzeit durch den Kopf schießen. Dabei hat sie so ein verschmitztes, hinterkünftiges Schmunzeln in ihrem faltigen Gesicht, das ich nicht recht deuten kann. Ob sie wohl schon weiß, dass ich mit dem Lenz was am Laufen hab? Der entgeht doch sonst nix. Ich mein, der Lenz und ich, wir sind ja so vorsichtig, wissen S’. Wollen unser Verhältnis nicht an die große Glocke hängen. Uns erst mal ausprobieren. Weil, es ist ja so: Wir haben beide eine gescheiterte Ehe hinter uns. Ich, weil der Ritschi sich so eine frisch geschlüpfte Fünfundzwanzigjährige angeschafft hat, und der Lenz zwecks seiner Frau, die mit einem Spanier durchgebrannt ist. Und dann sind da ja noch meine Kinder. Die Josi und der Rupi. Ja, und mein Kleiner ist ja der beste Freund vom Lenz seinem Max. Nein, nein, da ist es schon besser, unser Verhältnis noch eine Weile geheim zu halten. Darum treffen wir uns eben nur heimlich. Und zwar immer dann, wenn meine Kinder bei ihrem Vater in München sind. Da parkt der Lenz sein Auto am Feuerwehrhaus und schleicht sich zu mir in die Wohnung hoch. Oder wir treffen uns zum Knutschen hinter einem Feldstadel, was dem Ganzen einen gewissen Kick verleiht. Nervenkitzel, wenn Sie verstehen, was ich meine. Fühle mich dabei wie damals mit vierzehn, als ich bei Nacht und Nebel heimlich aus dem Haus geschlichen bin, um zu rauchen. Aber wurscht, jetzt bin ich hier ein bisserl abgeschweift, gell.
»Sag mal, die Hofreiter Mona, wo hat die denn eigentlich gearbeitet?«, unterbreche ich der Rosl ihre Musterung, während das Gebäck aus der Auslage zu mir herüberlacht.
»Zwei Erdbeertörtchen«, hör ich mich zur Semmelmeier sagen. »Für die Kinder«, setz ich noch eins drauf.
Die Semmelmeier lacht auch und tütet mir das Gebäck ein.
»Soso, für die Kinder, aha. Die sind doch aber noch gar nicht da«, schaut mich die Rosl schon wieder so hinterkünftig an. »I hab dacht, du machst grad a Diät.«
Die Frau nervt.
»Beim Architekturbüro Steingassinger hot s’ gearbeitet. Ja sag amal, weißt du des ned? Oh mei, oh mei, jetzt ham mir in Engelsried scho wieder an Mord. Ma is sich ja bei uns des Lebens nimma sicher. Bis ma schaut, liegt ma als Gefriergut in der Truhe drin und wird womöglich hinterher noch verspeist.«
A geh, wer will denn schon die Rosl verspeisen. Die ist bestimmt zäh wie Leder. Und erst die runzlige Haut. Wie die Gesichtswarze von ihr schmeckt, mag ich mir gar nicht ausmalen. Schwirrt es mir im Kopf herum.
»Ich sag dir eins, das war g’wiss die Mafia. Ja, freilich, die Mafia. Die hockt ja mittlerweile überall drin. Wer weiß, mit wem der Wirt Geschäfte g’macht hat.«
Aha, der Wirt hat also irgendwelche Geschäfte gemacht. Ja, wenn das die Rosl sagt, dann muss da was dran sein.
»Hatte die Mona mit jemandem Streit?«, frag ich sie.
»Willst scho wieder kriminalisieren, ha?« Sie kommt ganz nah zu mir her. »Die Mona ist doch dauernd do drunten bei de Thailändern g’hockt. Wer weiß, was die do alles getrieben hot. In dem Thailand, do verschwinden doch de Menschen unter unerklärlichen Umständen. Tauchen nie wieder auf … außer vielleicht im Kochtopf. Man hört ja einiges …«
»Magst du von meiner Cassata probieren? Is sizilianisches Ostergebäck«, hält mir die Semmelmeier ein Stück über den Tresen. Das ist gemein. »Die Teigrolle ist mit Ricotta, Mandeln und kandierten Früchten gefüllt.«
»Bei de Italiener is es doch genauso. Die Mafia wickelt die Toten in einen Teppich ein und tragt s’ einfach so bei da Tür naus. Und keiner sagt was, ich hab …«
»An echt bayrischen Osterstriezel hätt ich auch noch im Angebot«, grinst der Semmelmeier hinter seiner Verkaufstheke hervor.
Ich muss hier raus. Und zwar so schnell wie möglich.
Ich schieb der Semmelmeier einen Fünfer über den Ladenpudel, pack mein Backwerk und wende mich zum Wegfahren. Roll auf direktem Weg raus. Wenn man von dem klitzekleinen Umweg absieht, bei dem ich der Rosl mit den Rollen über ihre Winterlatschen fahre.
Daheim stell ich fest, die Rosl hat irgendwie recht. Keine Kinder da. Die weilen noch mit meinem Gatten und seiner Ische auf Mauritius.
Mist. Okay, muss ich mich halt opfern. Ein Stück esse ich. Diät hin oder her, weil so dicke hab ich es jetzt auch nicht, als dass ich das köstliche Gebäck hier einfach vergammeln lassen könnte.
Am Abend packe ich dann das übrige Erdbeertörtchen in mein Auto rein und fahr zum Lenz. Der mag solche Gaumenfreuden genauso gern wie ich und wird sich riesig darüber freuen, wenn ich damit bei ihm ankomme. Werde ihn mit dieser Leckerei verköstigen, und alles ist wieder gut. Als Gegenleistung wird mich der Herr Kriminalhauptkommissar mit Informationen und Hinweisen zum Mord von der Mona füttern. Mein Techtelmechtel mit dem Lenz, eine Win-win-Beziehung also. In jeder Hinsicht.
Daisy, meine quietschgelbe Ente, steht mit dem Heck zur Hauswand. Ich muss also nicht wenden. Es kann gleich losgehen. Bei Sekunde zehn biege ich mit viel Schwung auch schon auf die Hauptstraße. Vorbei an der Kirche und am dorfeigenen Friedhof. Das Duftbäumchen, Marke »Grüner Apfel«, wedelt hin und her, und kaum bin ich am Wirtshaus vorbei, sehe ich im Rückspiegel, wie der Poldi, also quasi der Mann von der Gitti, dort grad zur Tür reingeht. Vermutlich hat er heute Abend mal Ausgang. Das trifft sich gut, vielleicht sollte ich ihn ausfragen. Immerhin war es seine Mottoparty, bei der wir die Mona gefunden haben.
Hau augenblicklich den Stachel rein. Rückwärtsgang. Fuß aufs Gas und dann voll Karacho vors Wirtshaus geparkt.
Hinter der Daisy scheppert’s.
Mist, hab den schmiedeeisernen Gartenzaun übersehen.
Der hängt aber auch derart schief in den Angeln. Ja, wie soll man das blöde Teil denn beim Rückwärtseinparken sehen? Weder ich noch die Daisy haben hinten Augen.
Am Eingang sticht mir eine Tafel ins Auge: »Schnitzeltage. Ein Kind umsonst«, steht da. Man beachte die Zweideutigkeit. Bestätigt meinen Verdacht, dass der Wirt als gelernter Metzger doch mehr als nur Rind und Schwein auf seine Speisekarte setzt. Aber Kinder?
Witz hin oder her, der Mann ist verdächtig. Und diese Meinung hab ich nicht allein. Weil wie ich gerade um die Wirtschaft herumschleiche und dabei durchs Fenster linse, da rempel ich um ein Haar mit einem Mann zusammen, der ebenso durch die Fensterscheiben lurt.
»Was suchen Sie da?«, fährt er mich aber so was von an. Es ist dieser Käsi, der mich augenblicklich von oben bis unten abscannt. Wie kommt der denn plötzlich so schnell daher?
»Das Gleiche könnte ich Sie auch fragen«, sag ich auf den Schreck.
»Frech werden auch noch. Name?«
Ich schau ihn fragend an.
»Name?«
»Ach so. Fuchs. Elvira Fuchs …«, stammle ich.
»Mhm.« Er holt ein Notizbuch aus der Jackentasche und blättert darin nachdenklich herum.
»Der Lenz, ist der auch da?«, frag ich vorsichtig.
»Nein. Und jetzt gehen S’ bittschön«, legt er etwas Freundlichkeit in seine Stimme, klappt das Notizheft zu und verstaut es wieder in seiner Jackentasche. Und weil er mich jetzt gar so nett bittet, gehe ich halt.
Im Nebenzimmer vom Wirt probt heute der Männerchor. Das machen sie jeden Montag. Kann mir allerdings überhaupt nicht vorstellen, dass der Poldi da mitsingt, weil der nämlich nicht singen kann. Kaum stehe ich bei ihnen drin, sehe ich fünfzehn Herren im exakt gleichen filzgrauen Trachtenanzug in Reih und Glied. Haben dabei eine Hand im Hosensack und jodeln, was das Zeug hält. Treffen so vermutlich die höheren Töne besser. Auch dem Haslinger seinen fetten roten Zinken kann ich einwandfrei unter all den Trachtenhüten erkennen. Blinkt förmlich hervor.
Ohne Umwege geh ich weiter in die Wirtsstube, wo freilich meine drei Freunde von heute Vormittag am Stammtisch hocken und dabei ihre Gläser beobachten. Entweder die Herren sind wieder oder immer noch da. Reden tun sie jedenfalls immer noch nix. Diesmal ignoriere ich sie ebenso.
Der Poldi hockt samt Binkl am Hirn am Tresen und diskutiert mit dem Wirt. Klamüsert irgendwelche Schriftstücke auseinander. Ich hock mich mal dazu. Bestelle mir bei der Martha einen Russ, was ich freilich gleich drauf bereue, weil das Bier-Limo-Gemisch halt überhaupt nicht zu meiner Diät passt. Zu viel Kalorien. Aber wurscht. Beim Ermitteln muss man eben auch mal Kompromisse eingehen. Ich kann doch nicht in einer bayrischen Bauernwirtschaft am Tresen ein Wasser bestellen. Wie schaut denn das aus? Was sollen da die Herren am Stammtisch von mir denken?
Bei der Diskussion geht’s um die Achtziger-Jahre-Fete, besser gesagt, um den dort entstandenen Wasserschaden. Um irgendwelche Versicherungsleistungen halt. Lauter so Zeug, was mich jetzt direkt grad überhaupt nicht interessiert, gell.
Die zwei wandern anschließend gemeinsam durch die Stube und beaugapfeln die Wasserränder an den Tischen und der Wandverkleidung.
»Die Hofreiter Mona, war die öfter bei euch?«, frag ich derweil die Martha.
»Mei, ab und zu. Wenn jemand Geburtstag g’feiert hat«, stellt sie mir recht unwirsch meinen Russ auf den Bierdeckel.
Hoppala, welche Laus ist der Martha denn heute über die Leber gelaufen, die ist doch sonst nicht so patzig.
»Und bei den Trachtlern war s’ doch auch. Nach der Plattlerprobe is sie jedes Mal mit den Mannsbildern bis Mitternacht im Keller in da Bar verhockt. Mein Lieber, die hat fei ihre Knödel aus ihrem Dekolleté rausg’hängt. De Kerle ham allesamt Stielaugen gekriegt.« Sie zapft ein Bier und bringt es an den Stammtisch zu den Bierdimpfeln hinüber.
Die Martha ist nett. Also, normalerweise. Wenn sie halt nicht gerade eine Laus hat, gell. Ich finde, sie ist eine Seele von Mensch. Kann keiner Fliege was zuleide tun. Ich kenn sie schon ewig. Ist hier Bedienung, solang ich denken kann, gehört sozusagen zum Inventar. Passt auch erscheinungsmäßig recht gut zur Wirtschaft. Schaut ein bisserl heruntergekommen aus. Ihre Haare triefen vor Fett, und wenn sie am Tisch die Bestellung aufnimmt, braucht sie die Speisekarte gar nicht erst herzulegen, weil man an ihrem Schurz erkennen kann, was es beim Wirt alles zu essen gibt. Außerdem riecht sie ein bisserl streng. Aber das war schon immer so. Ich kenn sie ja nicht anders.
»Hast du einen Knutschfleck?«, muss ich sie jetzt fragen, weil sie trägt heute zwar ein breites Halstuch, aber der Fleck ist trotzdem deutlich zu erkennen.
Sie winkt grinsend ab und kratzt sich am Kopf. Daher frag ich halt nicht weiter, obwohl’s mich schon interessieren würde, mit wem die Martha so rummacht.
»Und wann hast du die Mona hier zuletzt gesehen?«, frag ich sie dann doch was.
Schon verfinstert sich ihr Blick wieder. Schaut gebannt auf den Tresen. Fokussiert dort etwas. Vermutlich die Laus. Ich schau auch hin. Nein, es ist keine Laus. Eine Fliege sitzt dort auf einem Bierdeckel.
»So a Matz.«
»Die Hofreiter Mona?«
»Na, die Scheißfliege«, haut sie jetzt mit der flachen Hand auf den Deckel.
Von wegen, die Martha kann keiner Fliege was zuleide tun, gell.
»Keine Ahnung. Beim Nuschler seinem Siebziger war s’ jedenfalls da«, verbröselt sie gedankenverloren die tote Fliege zwischen Daumen und Zeigefinger und lässt die Leichenteile auf die Theke fallen. Ich bin mir sicher, ihre feindseligen Gesichtszüge gelten nicht der Fliege.
»Hocken überall, de Scheißviecher.«
Okay, ich muss sagen, wo sie recht hat, hat sie recht. Es ist mir auch schon aufgefallen, dass beim Wirt viele Fliegen sind. Und das, obwohl erst April ist. Der wird doch nicht noch irgendwo eine Leiche rumliegen haben? Wer weiß, vielleicht murkst ja die Martha hier nicht nur Fliegen ab.
Dann gesellt sich der Poldi zu mir her.
»Griaß di, Elli, du, wegen der Sache mit der Feuerspritze. Wenn ich mich recht erinnere, dann hast du doch das Wasser in die Stube gepumpt?« Er stellt sich dabei auf seine Zehenspitzen. Macht sich also größer. Was man echt nachvollziehen kann, weil er halt klein ist. Überhaupt hat sich sein Körperbau seit dem qualifizierten Hauptschulabschluss kaum merklich verändert. Gut, die eitrigen Pickelchen sind weg, dafür hat er jetzt jede Menge Mitesser. Aber wurscht. Beruflich jedenfalls ist er eine Größe, weil Bankdirektor.
»Mei, was hätte ich machen sollen, wir hätten die Streithähne ja sonst nie auseinandergebracht, gell. Ach, das zahlt doch eh die Versicherung«, sag ich.
»Ja, das ist noch nicht raus. Die sträuben sich nämlich. Sagen, das war mutwillig. Das ist so, dass …«
»Du, eine Frage! Du hast doch sicher mit der Gitti alles für die Party hergerichtet. Ist dir da speziell was aufgefallen? War was seltsam? Die Mona muss doch schon vor der Party in der Gefriertruhe dringelegen sein«, komme ich aufs Wesentliche zu sprechen.
»Nö. Die Gitti hat die Party ganz alleine vorbereitet. Es sollte doch eine Überraschung sein.«
»Hast du die Hofreiter Mona gekannt?«
Der Poldi wird rot im Gesicht.
»Flüchtig.«
»Flüchtig, aha. Warum wirst dann rot? Hast du mit der ein Techtelmechtel gehabt?«
»Spinnst du jetzt!«, kommt es prompt. »Vor fünf Wochen war sie ja noch bei mir in der Bank, und da ist man halt so zum Reden gekommen.« Der Poldi versucht seinen nicht vorhandenen Hals aus seiner windigen Brust zu strecken, was ihm freilich nicht gelingt. Schiebt mit dem Finger sein Spekuliereisen auf die Nasenwurzel. Genau so, wie es die Gitti immer macht. Und da frag ich mich jetzt, wie die zwei eigentlich zusammen schmusen. Beide die Brille vor der Nase, das muss doch stören?
»Aha, und was habts dann da so geredet?«
»Mei, vom Urlaub und so. Sie ist doch gleich drauf für vier Wochen nach Thailand gefahren.«
»Oder auch nicht!«
»Was? Ach so. Ja, jedenfalls hat die immer in so einer Tierorganisation geholfen und hat Spenden eingesammelt … Du, jetzt noch mal wegen der Sache mit der Feuerspritze …«, fängt er schon wieder mit dem Krampf an, und nun ist es doch recht gut, dass der Haslinger samt blau schimmerndem Zinken nebst der noch immer angeschwollenen Wurstlippe aus dem Nebenzimmer und direkt auf uns zugewackelt kommt. Hat anscheinend schon leicht einen im Tee.
»Hoy, Fuchsin. Bist o do. Servus, Poldi, alte Fischhaut«, klopft er dem Herrn Bankdirektor aufs Hemd, dass der gleich zwei Schritte nach vorne macht. »Martha, a Runde Marille«, bestellt er uns einen Schnaps und gesellt sich zu uns her.
»Du, Haslinger, wegen der Schlägerei. Also, angefangen hast doch du, oder?«, wendet sich der Poldi gleich an den Chef, aber der hört gar nicht hin.
Prostet mir mit dem Marillenschnaps her. Ich proste zurück, und bis ich mich’s versehe, ist der Abend auch schon wieder herum. Bis zum Lenz hab ich es dann freilich nicht mehr geschafft. Ja, weil ich halt am Tresen versumpft bin. Vertrag doch beim besten Willen keine drei Stamperl Schnaps nicht, und ich kann ja nicht leicht angedudelt noch bis zum Herrn Hauptkommissar in den Nachbarort fahren. Nein, nein, da reicht mir schon die Heimfahrt. Ja, weil mir in dem Zustand die Daisy doch nicht gehorcht. Macht immer das Gegenteil von dem, was ich will. Sag ich vorwärts, fährt sie rückwärts. Rauscht dabei voll Karacho erneut gegen den blöden Zaun vom Wirt. Dann ruckelt und zuckelt sie auf dem Parkplatz rum. Beschließe deshalb kurzerhand, dass ich sie lieber beim Wirt lasse. Im Fasching ist es mir nämlich schon mal passiert, dass die nicht heimgefunden hat. Ist einfach an unserer Hofeinfahrt vorbeigefahren. Ohne Vorwarnung. Erst vor dem alten, verfallenen Haus vom Onkel Hans ist sie stehen geblieben. Das liegt vermutlich daran, dass die Daisy, die ja früher dem Onkel gehört hat, täglich mit ihm vom Wirt nach Hause gefahren ist. Da sieht man es wieder, jahrzehntelange Gewohnheiten kann man eben schlecht ablegen, selbst wenn man ein Auto ist.
Ich wohne über der Wohnung vom Heinzi und der Leni zur Miete. Darum muss ich jetzt noch einige Stufen bewerkstelligen, bevor ich daheim in mein Bett falle.
Doofe Marille.
Zuerst denke ich ja noch über die Mona nach. Der Haslinger hat mir nämlich dauernd von ihrem tollen Busen vorgeschwärmt. Und der Poldi ist darauf schon wieder rot angelaufen. Und die Martha hat dabei schon wieder so finster dreingeschaut. Also ich weiß ja nicht, was an so einer prallen Frauenbrust so toll sein soll. Lang dauert es nicht, dann schlaf ich ein.
Irgendwann vernehme ich ein Geräusch im Hintergrund. Hört sich an wie eine Klospülung. Macht unglaublich durstig. Kein Wunder, mein Mund ist von dem Marillenschnaps so ausgetrocknet wie eine Feldwegpfütze im Sommer. Meine Lippen sind zusammengepappt. Die Zunge schwer wie Blei. Dann erscheint sie mir wieder, die Mona. Heute mit einem riesigen Dekolleté. Zieht mich samt dem Geräusch der Klospülung nach unten. Nimmt mich wie jede Nacht mit in die Tiefe der kalten Truhe hinein …
Ich springe schlagartig auf. Nein, nicht im Traum. In echt.
Aua, mein Schädel.
Der Heinzi war es, der mich mit der Klospülung aus dem Traum hinausgespült hat. Das ist ja mal wieder allerliebst. Da stapft man einfach ungefragt in meine Wohnung rein, hockt sich da auf die Keramik und reißt mich aus dem grauslichsten Alptraum heraus.
Ich bin ihm direkt dankbar dafür.
Bei ihm unten in der Wohnung geht doch die Spülung nicht. Und seitdem der Heinzi die Mona in der Truhe gefunden hat, ist er nicht fähig, den Spülkasten zu reparieren. Hat das Wasser abgedreht, und daher gehen nun alle bei mir oben aufs Klo.
Kurz drauf schleicht er mit leisen Schritten durch den Flur, und ich begebe mich wieder ins Bett. Und im Halbschlaf, da fällt es mir dann ein: Die Mona hatte gefrorenes Blut auf der Bluse und Einstiche in ihrer Riesenbrust. Wie ich sie aus all den losen Lebensmitteln und eingetüteten Fleischstücken, zwischen Bockwürsten und Dunkelbiersoße ausgegraben habe. Dagesessen ist sie. Im Dirndl. Ohne Schuhe und mit abgeschnittenem Haar. Ich frag mich echt, was die als Tierschützerin mit dem ganzen Fleisch dadrin in der Truhe zu suchen hat. Okay, vielleicht wollte sie sich dort mit der Dunkelbiersoße einen netten Abend machen. Bei näherer Betrachtung hatte sie nämlich eindeutig einen Gefrierbrand.
Am nächsten Tag mach ich dann eine Schneiderfahrt. Der Lenz ist nicht da. Also folgt gleich drauf eine Überlandfahrt. Werde die Kinder in München bei ihrem Vater abholen. Die sind gestern Abend vom Urlaub zurückgekommen. Der Ritschi, hat heute schon wieder zur Arbeit müssen. Ist Leichenfledderer in der Münchner Gerichtsmedizin. Ach, habe ich das noch gar nicht erwähnt? Egal, jedenfalls dürfte er, oder einer seiner werten Kollegen, die Mona in der Zwischenzeit schon untersucht haben. Was für mich und meine weiteren Ermittlungen echt ziemlich aufschlussreich sein könnte.
Mit gefühlt hundert Sachen brettere ich durch die Ortschaften im Pfaffenwinkel. Weil es könnte ja sein, dass die da bei der Polizei Personalmangel haben und der Lenz Dienst bei der Streifenpolizei schiebt. Wer weiß, vielleicht hält er mich auf und wir können endlich in Ruhe miteinander reden. Aber nein, weder innerorts noch außerorts irgendein Polizist noch eine Geschwindigkeitskontrolle. Die Polizei ist auch nicht mehr das, was sie mal war.
In München werde ich am Mittleren Ring geblitzt. Den Mittleren Ring hab ich vielleicht dick. Mag überhaupt keine Ringe. Weder den mittleren noch den äußeren, und den, der neuerdings um meinen Bauch herum spannt, mag ich schon gleich gar nicht. Und weil mir eben klamottenmäßig nix mehr passt, da mache ich noch schnell einen Abstecher zum Stachus. Marschiere kurz zum Kaufhof rein. Brauche dringend ein Kleid, weil der Rupi hat doch bald Kommunion, und ich glaube nicht, dass mein hingefressener Bauchring bis dahin noch in mein rotes Kostüm hineinschrumpft. Finde auch auf Anhieb ein schönes Kleid und nehm es mit in die Kabine. Dort stelle ich fest: Ach du grüne Kanone. Irgendwann seit der Trennung vom Ritschi muss ich die Schallmauer zwischen zwei Kleidergrößen durchbrochen haben, oder die Teile fallen hier einfach klein aus. Egal, das Kleid passt nicht. Also raus aus dem Ding.
Skeptisch begutachte ich mich in Unterwäsche im Spiegel. Seltsam. Also entweder den Spiegel hat’s mal verzogen, oder aber der liebe Gott hat mich irgendwie umgebaut. Genau. Ich glaube, das macht der nachts, unbemerkt, wenn wir Frauen schlafen. Einfach so aus der Langeweile heraus. Ja, der macht das wie die Kleinkinder, die nachts klammheimlich aus dem Bett schleichen und mit verschiedenen Barbiepuppen spielen. Nimmt meinen Körper, den von der Babsi und den von der Leni. Reißt bei uns allen das Oberteil, den Kopf, das Unterteil und die Beine weg, und wenn alle Teile einzeln vor ihm liegen, baut er sie wahllos wieder zusammen. Ja, so wird’s wohl sein. Weil sooft ich mich hier im Spiegel betrachte, sehe ich, dass ich zwar noch meinen Kopf plus mein eigenes Oberteil habe, aber die breiten Hüften sind eindeutig die von der Babsi. Und bei genauerer Betrachtung hab ich jetzt auch noch die fetten Schenkel von der Leni. Unverschämt. Also das hätte es doch echt nicht gebraucht, oder? Das sollte man dem lieben Gott mal sagen. Der soll sich bitte schön ein anderes Spiel ausdenken.
Wieder angezogen, hänge ich das Kleid zurück auf die Stange.
»Hat’s nicht gepasst?«, fragt mich eine nette Verkäuferin. Sie ist Mitte fünfzig. Bietet mir gleich ein anderes Kleid mit einem besseren Schnitt an. »Das passt bestimmt«, sagt sie.
Das Kleid ist ein Zelt.
Danke auch.
Das kann sie hübsch selber anziehen, die dumme Nudel. Das Kleid kaufe ich bestimmt nicht. Also, nix wie raus aus dem Laden. Werde warten, bis meine Diät Früchte trägt und ich in meine alte Kleidergröße wieder reinpasse, und fertig. Mir ist nämlich die Lust auf Shopping vergangen.
Apropos Lust. Wie ich bei einem schlüpfrigen Geschäft vorbeigehe, lachen mich aus einem Schaufenster heraus so Handschellen an. Mit rosa Plüsch dran und einer stabilen Kette. Die muss ich unbedingt haben. Fürs … Sie wissen schon … na, für den Lenz und mich halt. Weil mit einem echten Hauptkommissar wird das, Sie wissen schon, eine echt spannende Angelegenheit, und freilich ist es auch authentisch. Also rein in die Tasche mit den Dingern und weiter.
Nach ein paar Schritten lacht mich schon wieder etwas an. Gebrannte Mandeln nämlich. Die lachen nicht nur, sondern duften auch noch so verführerisch. Auch die müssen her. Ach herrje, wenn das so weitergeht, dann wird das nix mit der alten Kleidergröße. Sollte ich eventuell mit dem Pfarrer reden, ob er die Kommunion vom Rupi nicht um ein, zwei Monate verschieben kann? Im Sommer ist doch so eine Kommunion auch viel schöner. Überlege ich noch und greife in die Tüte. Bei jeder Mandel, die ich esse, drückt mich zum einen das Gewissen, und zum anderen rückt die Kommunion immer noch weiter in die Ferne. Weihnachten wäre gut. Da kommt die Familie eh zusammen … Ich verschließe die Tüte. Hocke mich ins Auto und fahr zur Gerichtsmedizin. Habe mich dazu entschlossen, dort eine kleine Stippvisite zu machen, bevor ich die Kinder abhole.
Eine halbe Stunde später schlag ich auch schon dort auf. In der ganzen Abteilung keiner da. Das ist seltsam. Keine Ahnung, wo die alle sind. Darum stiefel ich direkt rein in den Raum, in dem der Ritschi bekanntermaßen Tote in verschiedenen Verwesungszuständen auseinandernimmt. Dort steht er auf dem blitzsauberen Fliesenboden am Seziertisch, eingepackt in einen waldgrünen Overall, und faselt etwas Lateinisches in ein Diktiergerät rein. Neben ihm auf einem Tisch liegen filigrane Rippenscheren, präzise Knochenspalterzangen und chromblitzende Messer. Ein beißender, süßlicher Geruch liegt in der Luft.
Ich habe den Ritschi schon öfter an seinem Arbeitsplatz besucht, und jedes Mal bin ich aufs Neue beeindruckt, wie der Mann es hier bei dem Gestank aushält. Dabei arbeitet er dadrin unheimlich gern. Ja, schon fast inbrünstig ernst nimmt er seinen Job. Auch heute ist er wieder mordsmäßig beschäftigt und so vertieft, dass er mich erst mal gar nicht wahrnimmt.
Kaum stehe ich neben ihm am Seziertisch, werfe ich ihm auch schon ein »Servus« entgegen und halte ihm die gebrannten Mandeln vor die Nase. Schmettere ihn damit aus der Welt der hingebungsvollen Gewissenhaftigkeit zurück in die Gegenwart.
»Was machst du da herinnen?«, fragt er mich frostig. Also quasi passend zur Umgebung. Macht mir ein Zeichen, dass er keine Mandeln will.
Gut, dann halt nicht.
Er schaltet abrupt sein Diktiergerät aus und deckt die Leiche, die auf dem Tisch liegt, mit einem Laken ab. Freut sich gar nicht über mein Kommen. Möchte mich auch irgendwie und unbedingt loswerden. Aber egal. Weil jetzt, wo ich schon mal da bin, will ich freilich von ihm wissen, wie die Mona zu Tode gekommen ist.
»Die Gute ist nach innen verblutet. Hatte mehrere Stichverletzungen an der Brust«, verrät er mir dann. Allerdings erst, nachdem ich nicht lockergelassen und mich vehement geweigert habe, den Raum zu verlassen.
»Dann ist der Täter eine grausame Bestie«, sag ich betroffen.