Männer, Mord und Remmidemmi - Alexandra Stiglmeier - E-Book

Männer, Mord und Remmidemmi E-Book

Alexandra Stiglmeier

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Beschreibung

Zünftig, schräg und saukomisch. Elli Fuchs wäre gerne Kriminalerin geworden. Hat nicht geklappt, Fünfer im Turnen und überhaupt. Jetzt verkauft sie Klodeckel – bis sie unter einem Wannensockel einen Toten entdeckt, eingetütet in einen Futtermittelsack. Ein mysteriöser Fall um tragische Familiengeheimnisse drängt sich der Elli auf, in dem sie unbedingt ermitteln muss. Wenn da nur nicht der Fasching, die Kinder und diese verdammte Männersuche wären, die die Sache unnötig kompliziert gestalten …

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Alexandra Stiglmeier ist im Pfaffenwinkel geboren. Aufgewachsen bei der Oma auf dem Bauernhof sowie im Sanitär- und Spenglereibetrieb der Eltern, lebt sie heute mit ihrer Familie in Peiting. Sie schreibt bayrische Theaterstücke und verbreitet ihren Humor als Kabarettistin bayernweit auf Wirtshaus- und Kulturbühnen.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Im Anhang befinden sich ein Glossar und Rezepte.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: shutterstock.com/FooTToo, shutterstock.com/Olga_Lots

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Christiane Geldmacher, Textsyndikat Bremberg

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-982-2

Originalausgabe

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1

»Das gibt’s doch ned, dass es für die Klobrille keine Scharniere mehr gibt«, raunzt mich der Wimmer über den Ladentresen an.

»Doch, das gibt’s«, sag ich, weil es für die Klobrille halt auch definitiv keine Scharniere mehr gibt. Und basta!

Woher ich das weiß?

Ja mei, ich bin Fachverkäuferin für Sanitärartikel und kenn mich halt aus mit Toilettendeckeln, und dieses schäbige Trumm hier hat mindestens schon vierzig Jahre auf dem Buckel. Wenn Sie mich fragen, dann gehört der dringend entsorgt. Genauso wie der Besitzer selbst. Der nämlich steht seit einer Viertelstunde hier im Laden und redet mir seinen alten Deckel schön.

»Schaun S’, der ist ja pfenniggut. Eine richtige Qualität ist das noch. So was kriegt man heute gar nimma.«

»Das kann schon sein, aber wir haben trotzdem keine Scharniere für die Klobrille.«

Langsam werd ich grantig.

»Reden S’ doch ned so saudumm daher. Sie wollen mir doch bloß einen neuen Deckel verkaufen. Keine Ahnung ham S’, so schaut’s aus. Für jeden Deckel gibt’s ein Ersatzteil. Ja, meinen Sie, ich bin auf da Brennsupp’n dahergeschwommen, ha?«, plustert er sich vor mir auf, dass die Daunenjacke spannt. Verlangt den Chef und so. Und jetzt bekomm ich doch glatt – Mitleid.

Nicht mit dem Daunenjacken-Wimmer. Nein, mit der Klobrille. Ja, weil die Arme muss sich doch tatsächlich jeden Tag mit dem Arsch vom Wimmer abgeben. Zwangsläufig!

Also ehrlich, ich möchte nicht mit der Brille tauschen. Es ist bestimmt ganz furchtbar, wenn sich dieser Mann mehrmals täglich auf sie draufhockt. Weil der Wimmer ist nicht nur ein nerviger, sondern auch recht greislicher Geselle. Entspricht überhaupt nicht meinem Geschmack, was Männer betrifft. Ich steh halt mehr auf fesche Kerle, wissen S’? Und der Wimmer ist eher klein und sperrig. Hat was von einem Waldschrat, wenn Sie mich fragen. Ein kleines, breites Männlein, mit knorrigen, buschigen Augenbrauen, die wie lange Insektenfühler aus dem Gesicht ragen und die sich jetzt, wo er mir über die Ladentheke rübermeckert, lustig auf und ab bewegen. Darum muss ich ihn halt dauernd anschauen. Hilft ja nix. Aber was ich just in dem Moment in seiner Visage seh, das gefällt mir überhaupt nicht. Anscheinend ist der jetzt so sauer, dass sich sein gesamtes Blut in seinem Schädel drin sammelt. Und ehrlich, bevor mir der Wimmer samt seiner aufgeplusterten Daunenjacke hier abhebt wie ein roter Heißluftballon, ruf ich mal lieber den Chef.

Schon steht der Haslinger in seiner ganzen Herrlichkeit im Türrahmen drin. Also praktisch mit seiner schmuddeligen Hose und der lappigen Strickjacke. Mei, so gammlig wie immer halt. »Alfons, griaß di! Gut, dass du da bist!«, frohlockt der Wimmer gleich, wie er den Haslinger sieht. Nimmt sein Prachtstück vom Ladenbudel und hält es dem Chef vor die Nase.

»Du, schau dir meine Klobrille an. Mir ist da gestern das Scharnier abgebrochen. Ich hab’s schon mit Sekundenkleber versucht, aber das hebt mir ned. Und jetzt brauch ich ein neues Scharnier von dir.«

»Gibt’s ned.«

»Was, das gibt’s ned?«

Oh, jetzt ist er enttäuscht, der Wimmer.

»Ja, was kann man denn da machen?«, schaut er wehmütig auf sein Schmuckstück.

»Mei, wegschmeißen halt«, zuckt der Haslinger gelassen mit den Schultern und zieht dabei seinen Rotz tief in seinen Zinken hinauf.

»A geh, Alfons. Hast wirklich nix Passendes da?«

»Naa, hab ich ned, und jetzt schleich dich mit deinem Graffl!«

Wie ein beleidigter Schulbub packt der Wimmer sein Prachtexemplar und stiefelt ohne ein weiteres Wort zur Ladentür hinaus.

»Der Trottl ist mir grad no abgangen«, brummt der Haslinger, fährt sich mit dem Handrücken über seine Nasenlöcher und schnieft dabei ganz laut. Dann dreht er sich arschlinks um und schlürft mit seinen abgelatschten Schlappen in unser Büro zurück. »Chef, hätten S’ dem jetzt nicht gleich einen neuen Deckel verkaufen können?«, schrei ich zu ihm hinüber.

»Dem Wimmer was Neues verscherbeln? Mei, Fuchsin, du kennst den noch ned. Das ist der größte Noatschoaß von Engelsried, das kannst vergessen«, kommt es prompt zurück.

Wie ich später in unser Büro reinkomme, da kann ich vor lauter Rauch nichts sehen. Der Haslinger nebelt mit seiner depperten Zigaretten mal wieder den ganzen Raum ein. Was aber andererseits echt ziemlich gut für mich ist, weil somit ja auch ich für den Haslinger kaum sichtbar bin. Ich pack die Gelegenheit beim Schopf und schau in meinem Computer schnell mal kurz bei Parship rein. Parship kennen Sie, oder? Kommt doch die Werbung immer im Radio. Haben Sie bestimmt schon gehört. Das ist so ein Internetportal, bei dem sich Paare finden können, die gemeinsam in den Hafen der Ehe reinschippern wollen.

Blöderweise finde ich nix zum Schippern und fang jetzt erst mal kräftig zum Surfen an. Ich brauch nämlich dringend einen neuen Mann. Der alte ist mir leider vor vier Monaten abhandengekommen. Hat mich ausgetauscht. Gegen so eine frisch geschlüpfte Fünfundzwanzigjährige. Und so bin ich dann, teils aus der Not heraus und teils aus geistiger Umnachtung, umstandshalber wieder zurück in dieses blöde Kaff, in dem ich einen Teil meiner Kindheit verbracht habe.

Das Telefon klingelt.

Ich lass es viermal klingeln, weil der Haslinger und der Kunde sollen merken, wie stressig ich es hier habe.

»Sanitär Haslinger, Elvira Fuchs, grüß Gott«, melde ich mich vorschriftsmäßig. »Ach, Frau Pichelmeier!«, sag ich dann höflich, leg aber meine Stirn in Falten und setz dabei meinen Die-schon-wieder-Blick auf.

Die Pichelmeier nervt mich wirklich tierisch. Ruft täglich an, weil ihre depperte Kloschüssel einen Sprung hat. Und jedes Mal wenn sie anruft, erzählt sie mir von ihrem Mann, der vor drei Jahren verstorben ist. Danach folgt der Bericht über ihren Nachbarn, der sich jeden Morgen bei unserem Bäcker zwei Semmeln kauft, obwohl er definitiv allein wohnt. Und dann kommt freilich noch die Geschichte mit ihrem Horst. Ach, die erzählt sie ja am allerliebsten. Horst ist ihr Hamster, wissen S’, und der hat neuerdings Asthma. Aber da ist die Pichelmeier selbst dran schuld, weil sie ihn vor zwei Wochen versehentlich mit ihrem Staubsauger eingesaugt hat. Und so viel Staub auf einem Haufen, wie so ein Staubsauger in seinem Behälter aufwirbelt, verträgt so eine mickrige Hamsterlunge halt nicht.

Nach einer gefühlten halben Stunde legt sie endlich auf.

»Die Pichelmeier war’s«, informiere ich meinen Chef durch den Nebel hindurch.

»Ach, was hat s’ denn für einen Schmerz?«

»Mei, pressieren tut’s ihr halt. Ihre Kloschüssel hat doch einen Riss.«

»Ach so, ja, ja, das weiß ich schon lang, dass die Pichelmeirin einen Sprung in der Schüssel hat. Das pressiert ned, die alte Kachel kann warten.«

Bei unseren Kundschaften, da pressiert’s eigentlich immer. Besonders dann, wenn’s faktisch gar nicht pressiert, gell? Am meisten pressiert’s bei den Rentnern. Ja, die haben gar keine Zeit nicht. Und schon gar nicht für den Handwerker. Da muss dann immer alles gleich sofort sein, weil ein Ruheständler will halt nicht den ganzen lieben langen Tag warten, bis der Handwerker auftaucht. Hat einen jesusmäßigen Freizeitstress. Da ist so ein Fulltime-Job, wie ich ihn in meiner Funktion als alleinerziehende Mutti innehabe, gleich direkt ein Zuckerschlecken dagegen.

Die Ladenglocke geht.

Schon biegt die Marie mit einem Tablett ums Eck.

»So, Bua, da, deine Brotzeit.« Damit stellt sie dem Chef einen Teller mit einer reschen Brezen und ein paar Weißwürst auf den Schreibtisch. Mitten auf die Ausschreibung der Erzdiözese München und Freising. Ein frisch eingeschenktes Weißbier kommt auch noch dazu.

Der Haslinger fackelt nicht lang herum. Nimmt einen großen Zug vom Weißbier, wischt sich den Schaum aus dem Bart, tunkt die Weißwurst kräftig in den Hausmacher-Senf, sodass der nur so spritzt, und zuzelt herzhaft an der Wurst.

Dass ein Bayer seine Weißwurst zuzelt, das ist ja nix Eigentümliches. Aber der Haslinger macht halt noch so fürchterliche Schmatzgeräusche dazu. Und das find ich jetzt echt eklig.

Trotz seiner rauen Umgangsformen wird der Haslinger hier in Engelsried und Umgebung überall respektiert und geschätzt. Mei, der sitzt mit seinem Arsch aber auch im Gemeinderat, im Trachtenverein, bei der Feuerwehr und im Männerchor. Ich glaub, der Haslinger ist in jedem Verein, den es in Engelsried gibt. Außer im katholischen Frauenbund. Da freilich nicht. Und bei den »Turner-Weibern«, da gewiss auch nicht. Nein, bei den »Turner-Weibern« würde der Chef samt seiner Bierwampen wirklich keine optimale Figur abgeben. Okay, bei der Schwangerschaftsgymnastik-Gruppe, da hätte er rein optisch echt gute Karten. Aber weil die bei uns im Ort wegen Nachwuchsmangel aufgelöst wurde, bleibt dem Haslinger der Zugang zu deren diversen sportlichen Aktivitäten leider versperrt.

»Mei, Bua, iss doch anständig«, schüttelt die Marie den Kopf und stupst dem Haslinger ihren fetten Zeigefinger in die Wampe. »Was soll denn die Elli von dir denken? So kriegst du nie a Frau.«

Aha, daher weht der Wind! Die Marie will mich mit ihrem Sohn verkuppeln. Spinnt die? Was soll ich mit dem Rüpel? Ich mein, ich bin freilich auf der Suche nach einem neuen Mann, aber der Haslinger ist doch nun wirklich eine Zumutung. Welche Frau möcht sich den schon ins Haus holen? Gut, er hat selbst ein Haus. Angeblich sogar mit Wellnessoase. Wenn ich mir den Haslinger Alfons allerdings so anschau, bin ich davon überzeugt, dass der mitnichten so eine Einrichtung hat. Und wenn doch, dann ist die bestimmt kaputt.

Die Marie scheint gleich gemerkt zu haben, dass ich gerade ihr »Söhnlein Brillant« begutachte, und lächelt freundlich zu mir herüber. Vermutlich deutet sie meine Musterung schon als Zusage. Meint, dass ich ihr Prachtstück nehme. Liebevoll streichelt sie ihm über das rote, mit Weißwurst vollgestopfte Bäckchen und wischt ihm dabei gleich den Senf vom Mund. Der Haslinger hat noch gar nicht fertig gekaut, da reißt sie ihm auch schon den Teller aus den Händen, packt das leere Weißbierglas und macht sich vom Acker. Der Chef zündet sich eine frische Marlboro an, widmet sich wieder seiner Ausschreibung, und ich begebe mich weiter auf Männersuche. Die Zeit britschelt dahin.

Der große Zeiger auf der Uhr ist noch nicht ganz herum, da wird meine Männersuche jäh unterbrochen. Weil nämlich jetzt der Otto die Tür von der Werkstatt aufreißt und samt Lehrling zu uns ins Büro reinplatzt. Schneeweiß ist der Otto im Gesicht. Um es genau zu sagen, sein komplettes Gfries hat die Farbe von einem frisch ausgepackten Mozzarella, und das ist halt jetzt komisch.

Der Lehrbub gibt auch kein besseres Bild ab. Normalerweise versteckt ja der Bub seine bis hinter zur Ohrmuschel reichende picklige Visage hinter so einer affigen Achtziger-Jahre-Frisur, wissen S’? Der hat so einen riesigen Seitenscheitel, mit so langen Haaren dran, dass er dauernd den Kopf zur Seite schwenken muss, damit er überhaupt was sieht. Aber heute, da blinzelt ein Konterfei aus dem Scheitel hervor. Sie, ein Gesicht ist das, ach, ich kann’s auf Anhieb gar nicht so recht beschreiben. Er schaut jedenfalls so dermaßen verschreckt drein, dass man meinen könnte, er wäre dem Leibhaftigen persönlich begegnet.

»Was is los?«, frag ich gleich. Bekomme aber keine Antwort. Stattdessen kaut der Lehrbub wie wild auf seinen Fingernägeln herum, und der Otto lehnt sich samt staubiger Latzhose gegen meinen Schreibtisch. Und jetzt schaut auch der Haslinger recht verdutzt unter seiner wilden Kopfbehaarung zu ihnen rüber. Fragt ebenso, was los ist. Und weil halt beide immer noch so wortlos dastehen, da haut er mit seiner Faust auf den Schreibtisch, dass die Brezenbrösel nur so fliegen, steht auf und fordert den Buben zum Reden auf, indem er ihn packt und kräftig schüttelt.

Der Kevin fängt zu plärren an.

Also, der Haslinger ist doch wirklich ein ungehobelter Holzklotz. Als zweifache Mutter weiß ich, dass Schütteln bei heulenden Buben gar nix bringt, und so entreiß ich dem Chef das Plärrhaferl und nehm ihn erst mal in den Arm. Also, den Lehrbub, nicht den Chef. Wie sich dann der Bub beruhigt hat, schieb ich seinen Vorhang aus dem Gesicht und rede leise auf ihn ein.

Und siehe da, es wirkt.

»Wir haben eine Hand gsehen. Im Loch«, stammelt er mir in die Bluse und fängt gleich wieder zu heulen an.

»D-dd, daa iis a Hand iin da Wand drin«, stottert der Otto.

»A Hand in da Wand drin? Schmarrn, do habts euch täuscht. Habts auf da Baustelle mal wieder an Dübel zu viel geraucht, ha?«, zeigt der Haslinger ihnen den Vogel.

»Da ist wirklich a Hand. Mir sind doch nicht blöd«, plärrt der Bub wieder in meine Bluse, und jetzt möchten wir es freilich genau wissen, was die zwei da in der Wand auf der Baustelle gesehen haben, gell?

Keine fünf Minuten später sitzen wir auch schon im Firmenwagen vom Haslinger und fahren zum Moserhof, der neben einem weiteren Gehöft etwas außerhalb von Engelsried steht.

Engelsried, kennen Sie nicht? Ich sag mal so, wer dieses Dorf kennt, der wohnt da. Und für alle, die jetzt nicht da wohnen, erkläre ich mal kurz, wo das Kaff in etwa liegt. Orientieren wir uns zunächst mal am Mond. So, und jetzt da, wo der Mond ist, also praktisch da, direkt dahinter, da liegt’s. Genauer gesagt, es ist so ein Kuhdorf im schönen oberbayrischen Pfaffenwinkel. Ein herrlicher Landstrich, zumindest für den, der das Landleben mag. Kaum haben wir den Ort verlassen, fliegen auch schon verschneite Wiesen an uns vorbei. Auch die schneebedeckten Berge sind heute zum Greifen nahe. Aber die Idylle trügt. Ja, weil die Fahrt echt kein Vergnügen nicht ist, weil der Otto und ich dicht zusammengepresst vorn auf dem Beifahrersitz sitzen. Vor uns im Fußraum liegen Schmierzettel, Brotzeittüten und verrotzte Taschentücher. Der Haslinger ist doch ein Saubär. Angetrunkene Speziflaschen rollen hin und her, und auf dem Armaturenbrett lagert zwischen einem Pfund Staub und einem verschmierten Auftragsblock eine alte, deckellose Leberkässemmel, deren Wurstscheibe sich wie eine Luftmatratze in der Mittagssonne wölbt. Hinten drin im Wagen sitzt der arme Kevin auf einer Werkzeugkiste neben dem Kittel vom Chef, den er immer beim Klodurchbutteln trägt und der einen echt widerlichen Duft verbreitet. Das Werkzeug fliegt bei jeder Kurve durch die Gegend, und so bin ich freilich froh, wie endlich der Moserhof in Sicht kommt.

Ich hab ihn als einen eher schmucken und idyllischen Bauernhof in Erinnerung. Aber als Kind hat man halt doch oft eine andere Sichtweise auf die Dinge. Wie wir nämlich an dem Gehöft ankommen, da staun ich erst mal nicht schlecht. Der Hof steht zwar am gleichen Fleck wie früher. Aber das, was um den Moserhof herumsteht, das war damals da nicht. Einen Verhau haben die inzwischen. Vermutlich ist der Moser irgendwann einmal unter die Messies gegangen.

»Was sagt denn eigentlich der Moser zu der Hand?«, frag ich, wie wir in die Einfahrt einbiegen.

»Wieso Moser? Dem Moser gehört der Hof doch scho lang nimma«, informiert mich mein Chef.

»Ach so, ja, und warum heißt der Hof dann noch Moserhof?«

»Ja, weil halt der Hof seit Generationen der Familie Moser gehört hat.« Gut, da hätt ich jetzt auch von selbst drauf kommen können.

»Ja und, wer hat dann den Hof gekauft?«, frag ich, wie wir aussteigen. Dem Haslinger muss man aber auch immer alles aus der Nase ziehen.

»Da Slawinski«, kommt ihm der Otto zuvor und stiefelt mit gesenktem Haupt schon mal die Stufen zum Eingang rauf.

Vor der Haustür bleibt er allerdings stehen.

»Aha, und der hat den Hof gleich samt den Kühen übernommen, oder wie?«, hak ich noch mal nach.

»Ah, Schmarrn! Der Hurler Hans hat doch im Stall seine Viecher drin.«

»Wer bitte ist der Hurler Hans?«

»Oh mei, Fuchsin, also du weißt scho gleich gar nix mehr von Engelsried, oder? Der Hurler Hans is doch der Nachbar. Und wie der Moser damals Bürgermeister gworden is, hat er seine Landwirtschaft aufgeben und dem Hurler seinen Stall zur Nutzung überlassen«, klärt er mich genau über die Sachlage auf. »Was is denn jetzt? Geh ma, geh ma«, treibt er den Otto an, der immer noch wie angewurzelt vor der Haustür steht.

»Chef, geh du vor«, bettelt der, und so gehen wir halt rein.

Drin stinkt es fast noch mehr wie draußen. Es riecht nach menschlichen Ausdünstungen. Wer weiß, was dieser Slawinski isst. Manche Leute haben einen seltsamen Geruch in der Bude.

Im Hausgang ist fast kein Durchkommen, so viel Krempel steht da herum. Heizkessel, alte Boiler, Waschmaschinen, allerhand Schrott eben.

Ich folge dem Chef in einen Raum, wo es ausschaut wie im Lager von der BayWa. Zementsäcke, Fliesen, Werkzeug, alles liegt da durcheinander herum. Aber klar, is normal, weil Baustelle. Sonst is nix Auffälliges zu sehn.

»So, wo soll jetzt do a Hand sein?«, schreit der Haslinger irritiert zum Otto und zum Kevin in den Hausgang hinaus, wo die zwei noch immer herumdümpeln. Trauen sich nicht rein und geben auch keine Antwort. Es dauert eine Weile, bis sie halbwegs bei uns im Raum stehen.

»D-d-dd-da«, deutet der Otto auf ein etwa tennisballgroßes Loch in der Wand. »Do iiis so was … weißes … stinkendes Plastikzeug rauskommen, wie ich das Loch rausgebrochen hab. Und d-daann … hab ich halt mit dem Baustrahler neigleuchtet.«

»So, aha«, leuchtet der Chef mit einer Taschenlampe ins Loch, zieht hernach einen Meterstab aus Ottos Hosentasche, klappt ihn auf und stochert damit im Loch herum.

»Also drin is was, in dem Loch. Aber was es is … Mhm, mei, stinken tut’s bestialisch. Da is a Hohlraum.«

»Was ist denn hinter der Wand für ein Raum?«, frag ich und schau gleich mal nach. Allerdings ist die Tür zum angrenzenden Zimmer verriegelt.

»Ja, da ist dem Slawinski sein Bad drin«, erklärt mir der Otto.

»Aha, und warum ist das dann abgesperrt?«

»Keine Ahnung. Der Slawinski sperrt das immer zu.«

»Blödsinn«, steht der Haslinger schon hinter uns. »Jetzt geh mal weg da!«, schiebt er mich zur Seite und wirft sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, die auch prompt aus den Angeln fällt und uns somit einen Einblick in das bestehende Bad freigibt.

Rosa Kacheln an der Wand, Waschbecken mit Zahnbürste und Männerutensilien, Klo, Dusche. Ein normales Bad aus den Siebzigern oder von mir aus auch aus Anfang der Achtziger, würd ich jetzt mal so sagen. Seltsam ist allerdings die Badewanne, die im Eck genau angrenzend an der Wand vom neu zu installierenden Bade steht. Gut, die Wanne ist weniger seltsam, es ist vielmehr der Sockel hinter der Wanne, der seltsam ist. Einfach deswegen, weil er wirklich riesig ist. Ich mein, Badewanne einmauern schön und recht, aber braucht’s da so einen großen Sockel? Was stellt man denn auf so einen großen Mauervorsprung drauf? Einen lebensgroßen Buddha aus Plastik oder eine bieselnde Gipsfigur vom Dehner? Ich weiß es nicht. Geschmacklich jedenfalls ist das Bad eine glatte Fünf. Aber wurscht.

»Oh mei, was hat man denn do zamgmurkst? Komisch«, bemerkt nun auch der Haslinger und krault sich seinen roten ungepflegten Bart, steigt in die Wanne rein und vermisst den Sockel.

Das Loch im angrenzenden Raum dürfte nach Adam Riese genau in der Höhe vom Wannensockel sein. Und wenn der Otto jetzt recht hätte, dann würde die Hand theoretisch genau dort drinliegen. Mein Lieber, das wäre aber mal ein echter Sensationsfund.

»Komisch«, sagt der Haslinger wieder, wie er fertig ist mit dem Vermessen. Kratzt mit dem Meterstab an seinem Stiernacken herum und überlegt. Dann steigt er aus der Wanne und startet gleich rüber ins angrenzende neue Bad. Ganz gschaftlig ist er, der Chef. Im Gegensatz zum Otto, der sich immer noch verängstigt im Flur herumdrückt.

Dort steht auch auf einmal ein südländischer Typ mit einer speckigen Lederjacke und einem T-Shirt, das vermutlich keine Waschmaschine von innen kennt. Hat einen Zigarillo in seinem Mundwinkel geparkt und macht einen auf coole Socke. Vermutlich ist es dieser Slawinski. Zumindest schaut er aus wie ein Slawinski, und reden tut er auch so.

»Servus«, begrüßt er den Otto. Wie er allerdings den Kevin vor der kaputten Badtür sieht, die nur noch baumelnd an der oberen Türangel hängt, ist nix mehr mit cooler Socke.

»Hey, Junge, was du machst in meine Bad?«, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Geht ab wie ein Schnitzel. Drängt den Kevin unsanft zum Flur hinaus. »Hast du nix verloren in meine Bad, du Arsch«, packt er den Buben an der Gurgel und drückt ihn gegen die Wand. »Du, pass auf, Bub, ich hau dir gleich so eine in die Fresse, duu …!«

Ich geh dann mal dazwischen. Wegen Jugendschutz und so.

»Ja, hä, hä, wie hammas denn? Ned rabiat werden, geh!«, hält der Haslinger den Slawinski am speckigen Kragen fest. »Jetzt beruhig di! Mir ham da a Problem.«

»Is ja gut.«

»Da Otto wollt eine Wasserleitung von deinem alten Bad anzapfen. Und jetzt meint er, dass in deiner Wand, besser gsagt in dem Sockel dahinter, was drinliegt.«

»Is doch totaler Schmarrn, is doch nix drin«, nimmt der Slawinski einen Zug von seinem Stumpen und tut wieder ganz cool. »Is alles okay.« Er bläst dem Otto den Rauch ins Gesicht. »Hab ich doch gesagt, brauchst du nix anzapfen alte Leitungen, legst du neue. Alte Rohrleitungen sind Schrott, weißt?«

»Ja, ja, das is schon klar, aber …«

»Na also, hab i dir zwar gesagt, dass ich nix will, dass du anzapfst alte Leitung, aber jetzt ist schon passiert, weißt? Lass gut sein. Geh heim, und morgen kommst du wieder und zapfst Leitung in Keller drunten an, weißt? Legst dann neu Leitung rauf. Und alles is gut«, klopft er dem Otto auf die Schulter und ist drauf und dran, uns zur Haustür hinauszuschieben. Aber der Haslinger hat sich im neuen Bad drüben kurzerhand die Hilti geschnappt und stemmt jetzt im Nullkommanix ein riesengroßes Loch in die Wand. Eine ungeheure Staubwolke gibt das. Sein Haar ist hinterher ergraut, und sein Bart kräuselt sich wie ein vertrockneter Petersilienstock.

»Heiliger Strohsack!«, schreit der Slawinski.

»Ja, do legst di nieder!«, schreit auch der Chef. »Jesus, Maria und Josef! A Leich! A Leich is dodrin«, informiert er uns dann.

Und tatsächlich, im Sockelloch ist … eine Leiche.

2

Kurze Zeit später stehen wir alle im Hof und genehmigen uns auf den Schreck eine Runde Kräuterschnaps. Ich reich die Flasche dem Lehrbub weiter, weil Jugendschutz in dem Fall wurscht.

»Leiche muss schnell weg. In Bach vielleicht?«, dreht der Slawinski seinen Stumpen nervös hin und her.

»Spinnst du, ich kratze die Leiche fei nicht aus dem Sockel raus, das kannst fei total vergessen«, bockt das Plärrhaferl und nuckelt dabei an der Flasche vom Kräuterschnaps herum.

»Ja, hä, spinn ich, jetzt kippt sich der meinen ganzen Schnaps hinter die Binden«, reißt ihm der Haslinger gleich den Kräuterschnaps aus der Hand.

»Oder in Odelgrube?«, nimmt der Slawinski einen Zug von seinem Stumpen und bläst Ringe in die Luft.

»Ja, sag mal, ham s’ dir ins Hirn neigschissen, oder was? Ich ruf jetzt ’n Schmiedi an«, zieht der Haslinger sein Handy aus der Tasche.

»Wer bitte ist der Schmiedi?«, frag ich.

»Da Schmiedi? Ach, des is unser Dorfpolizist«, klärt mich mein Chef auf und wählt die Nummer. Und weil die Kirchturmglocken von fern schon halb eins schlagen, mach ich mich nun zu Fuß auf den Weg ins Dorf. Apropos Kirchturmglocken. Hier im Pfaffenwinkel wimmelt es nur so von Klöstern und schmucken Kirchen. Allen voran freilich die Wieskirche, die Besucher aus aller Welt anzieht. Und weil im Pfaffenwinkel halt früher viele Pfaffen und Mönche gelebt haben, wohnen hier auch heute noch viele gottesfürchtige und brave Menschen. Und genau diese Menschen sind es, die mich hier tierisch nerven. Diese kleinkarierten, altbackenen Landeier, die im Außen unheimlich heilig tun und Althergebrachtes pflegen wie einen Schatz. Seit meiner Kindheit hat sich da nicht viel verändert. Deshalb ist es mir in Engelsried einfach zu eng, zu langweilig, und ich möchte so schnell wie möglich wieder zurück in mein München. Wobei es hier durchaus Dinge gibt, die ich unheimlich gern mag. Diesen verführerischen Duft zum Beispiel, der jetzt, kaum dass ich am Dorfplatz angekommen bin, zu mir herüberwabert. Der Duft von einem frisch gebackenen Faschingskrapfen. Oh, ich liebe Krapfen! So ein Krapfen, herausgebacken in einem ganz frischen Fett, das ist doch etwas Feines. Am allerbesten sind die von unserem dorfeigenen Bäcker. Da kann ich einfach nicht widerstehen.

Schon steh ich bei der Semmelmeier im Laden und kauf mir vier Stück. Einen mit Pudding und drei mit Marmelade, und kaum komm ich mit meinen soeben erworbenen Köstlichkeiten aus dem Laden heraus, da schreit mir von der anderen Straßenseite auch schon die Rosl herüber: »Elli, wart!«, fuchtelt sie aufgeregt mit ihrem Gangstecken und wackelt schnurstracks auf mich zu.

Oh mei, die ist mir heute gerade noch abgegangen.

Vermutlich kommt sie vom Friedhof oder aus der Kirche. Weil, sie betet gern. Beten ist aber nicht das Einzige, was die Rosl ausgiebig betreibt. Nein, das tut sie eigentlich eher mehr so nebenberuflich. Hauptberuflich ist sie nämlich als Dorfratschen unterwegs. Ist so eine Art wandelndes »Dorf-Facebook«.

»Mir pressiert’s!«, ruf ich und will flüchten.

»Du, wart schnell, ich muss dich was Wichtiges fragen«, stellt sie sich breit vor mich hin. »Soo, host dir einen Puddingkrapfen kauft, ha?« Sie deutet mit ihrem verkrüppelten Zeigefinger auf die Krapfen. Ich weiß jetzt nicht, was an der Frage wichtig sein soll. Weil es die Rosl nämlich einen feuchten Dreck angeht, was ich kaufe.

Aber noch bevor ich mich von ihr abwenden kann, da fährt der Notarzt an uns vorbei. Hinterher ein Aufgebot an Polizeifahrzeugen mit Rosenheimer und Münchner Kennzeichen, und das mit einem Mordstatütata. Und jetzt gibt’s halt ein Riesentohuwabohu, weil naturgemäß augenblicklich halb Engelsried vor lauter Neugierde die Köpfe aus den Fenstern hängt. Einfach deswegen, weil halt sonst eher selten was los ist in dem Kaff.

»Aufm Moserhof ham s’ a Leich gfunden!«, schreit die Rosl und informiert gleich alle. Ich frag mich, woher die das schon wieder weiß. »Im Betonsockel hinter da Badewanne war’s drin, gell? Ich hob mir das scho immer denkt, dass der ausländische Grattler Dreck am Stecken hot!«

»Den Slawinski meinst?«

»Ja, freilich, wen soll ich denn sonst meinen? Ein Gschwerl ham mir do bei uns«, schüttelt sie den Kopf. »Kommt alles vom Osten rüber, das gottlose Gschwerl. Vom Osten! A Eisenhändler is a. Der Schlawinski. A Eisenhändler. Sammelt auf seinem Hof so altes Glump und verscherbelt das dann in Osten hinüber. In Osten! Wer weiß, vielleicht schachert der ja ned nur mit Alteisen, sondern o mit Frauen.«

Tja, dann sollte sich die Rosl wirklich in Acht nehmen. Weil wenn hier nämlich eine Frau zum alten Eisen gehört, dann ist das ja wohl sie. Denk ich mir noch, sag’s aber nicht. Weil ich nämlich jetzt geh. Schließlich ist es Winter, und ich hab keine Lust, dass ich bei dem Schmarrn, was die Rosl immer vom Stapel lässt, in meinen dünnen Stiefeletten hier auf dem Bürgersteig festfriere.

Kaum bin ich ein paar Schritte von ihr weg, da ist sie auch schon von halb Engelsried umzingelt und kann somit in ihrer Funktion als Dorfratschen in die Vollen gehen.

Ich leg die Krapfen auf den Beifahrersitz von der Daisy und fahr los. Daisy, das muss ich hier noch schnell loswerden, ist mein Auto. Eine zitronengelbe Ente. Hab sie unter alten Decken und Planen aus Omas Stadl ausgegraben. Wachgeküsst sozusagen. Unser Dorfmechaniker, der Hias, hat sie wieder flottgemacht, und seitdem läuft die wie am Schnürchen.

Ich fahr zum Lidl. Da gibt’s prima Parkplätze, das ist ein echter Vorteil, wenn man auf dem Land wohnt, man bekommt leicht einen Parkplatz. In München gibt’s auch Parkplätze, aber nur ganz kleine. Und meistens solche, in die man rückwärts einparken muss. Rückwärts einparken? Das kann ich … nicht. Hab ich noch nie können. Ich fahr lieber fünfmal ums Karree, bevor ich in eine Parklücke reinfahre, in die ich nicht auf Anhieb reinpass.

An vorderster Front, also quasi direkt vor dem Eingang, hat der Lidl vier famose Mutter-Kind-Parkplätze. Nur der ganz rechte ist besetzt, und so fahr ich mit Schwung daneben rein. Steh jetzt also genau mittig – vom Strich. Uns Frauen wird ja nachgesagt, dass wir gleich mehrere Dinge gleichzeitig machen können. Und ich muss sagen, es stimmt. Ich kann in einen Puddingkrapfen reinbeißen und gleichzeitig auf zwei Parkplätzen parken. Ja mei, die Krapfen haben einfach so verführerisch zu mir herübergerochen. Konnte einfach nicht widerstehen.

Gerade nehme ich noch einen Bissen von dieser wunderbaren Faschingskulinarik, drückt sich doch tatsächlich so ein Depp mit einem Lieferwagen links neben mich in die Parklücke rein.

So ein Arsch. Ich krieg die Tür gar nicht mehr auf. Noch dazu lächelt er blöd zu mir rüber, steigt aus und läuft zur Bäckerei vom Lidl.

Spinnt der? Was hat der mit seinem Lieferauto auf dem Mutter-Kind-Parkplatz verloren?

Zu faul zum Gehen, oder was?

Dem werd ich jetzt zeigen, wo der Bartl den Most holt.

Ich steig aus. Und zwar über den Beifahrersitz. Das ist bei so einem kleinen Auto gar nicht so leicht. Zuerst die Beine, dann den Rest.

Nö, geht nicht!

Gut, dann eben andersherum. Ich zwäng meinen Leib flugs an der Schaltung vorbei und lass mich mit dem Arsch auf den Beifahrersitz rüberplumpsen. Jetzt schnell noch die Beine nachholen. Oh Mann, so Füße können vielleicht lang sein.

Kaum sitz ich komplett auf dem Sitz, fällt mir ein, dass dieser Platz schon besetzt ist. Und zwar mit den Krapfen.

Das ist jetzt blöd. Saublöd, um es genau zu sagen. Ich steig aus und begutachte den Schaden. Was für eine Riesensauerei.

Die Krapfen, platt gedatscht, verdienen jetzt das Wort Krapfen leider nicht mehr. Okay, als Blechkuchen könnten sie vielleicht noch durchgehen. Den Lammfellsitz von der Daisy hab ich mir gehörig mit Marmelade und Puderzucker eingesaut. Der Rest klebt mir am Hintern.

Ich hol mir schnell ein Taschentuch aus der Handtasche und wisch kräftig am Sitz, und wie ich dann an meinem Mantel herumreibe, da kommt der Lieferheini aus der Bäckerei vom Lidl raus. Er trägt eine blaue verdreckte Latzhose, eine Mütze und eine Brotzeit.

So eine Unverschämtheit!

Das sind mir schon die Liebsten! Kaufen bloß eine Kleinigkeit und müssen dann bis vors Loch hinfahren. Noch dazu auf einen Mutter-Kind-Parkplatz. Da hört sich doch alles auf!

Ich schmeiß das Tempo auf den Beifahrersitz und dann die Autotür zu. Und stampf mit jeder Menge Wut im Bauch auf ihn zu. Na, der kann was erleben!

Demonstrativ stell ich mich vor ihn hin.

»Macht man das jetzt so? Dass man da zwecks einer Brotzeit ganz vorn hinfährt, ha?«, schnauz ich ihn aber so was von an und kling dabei wahrscheinlich wie die Rosl. Is mir aber grad wurscht, weil ich aktuell extrem sauer bin.

Der Lieferheini bleibt stehen. Schaut und grinst.

»Macht man das jetzt so, dass man auf zwei Parkplätzen gleichzeitig parkt?«, fragt er retour und deutet dabei auf mein Auto. Und das find ich jetzt echt unverschämt. Da geh ich erst gar nicht drauf ein.

»Überhaupt ist das ein Mutter-Kind-Parkplatz. Und ich kann nicht erkennen, dass Sie eine Mutter mit Kind sind«, feg ich ihn noch mal an. Er feixt schon wieder. Ist die Ruhe selbst. Holt einen Krapfen aus seiner Brotzeittüte und beißt genüsslich hinein. Puddingkrapfen mit Puderzuckerglasur.

»Wo ist denn Ihr Kind?«, fragt er mich dann.

Und nun weiß ich gleich gar nicht, was ich dazu noch sagen soll. Weil, ein Kind hab ich ja jetzt direkt grad keins dabei, gell? Ach, das ist wieder mal typisch. Die Kinder! Sitzen einem den ganzen Tag auf der Pelle, und wenn man sie mal braucht, dann sind sie nicht da.

Mit dem Krapfen im Mund latscht der Lieferheini an mir vorbei. Sperrt seinen Lieferwagen auf, legt die Brotzeit und den Krapfen auf die Ablage, startet den Motor und braust davon.

Ich steh blöd da und koch vor Wut. Also echt, Männer gibt’s! Ich sag’s ja immer. Da auf dem Land, da läuft einfach nix Gscheids herum. Und da bin ich ganz meiner Meinung.

Mein Handy klingelt.

Auf dem Display steht »Schweinchen Dick«. Der Haslinger ruft mich also an. Ich geh mal lieber ran.

»Stell dir vor, der Sauhund hat sich verdünnisiert!«, brüllt er mir ins Ohr.

»Wer?«

»Ja, der Slawinski halt. Sagt mir, dass er aufs Klo muss, und haut einfach ab. Du, so schnell ham mir gar ned schauen können, dann is der in sein Auto nei und auf und davon. Des is doch a Grattler, oder? Ja, wer zahlt mir denn jetzt eigentlich meine Arbeit, ha? Stell dir mal vor, der hat die Leich dadrin im Bad auf dem Gewissen, ja, dann wandert der doch für Jahre in Bau, und ich krieg keine müde Mark …«, winselt es aus dem Hörer heraus.

Ich leg auf. Wegen Funkloch und so. Auf das Gejammere vom Chef hab ich jetzt echt keine Lust.

Im Lidl weiß ich zuerst mal gar nicht, was ich alles einkaufen soll. In der Gemüseabteilung ist heut alles im Angebot. Prima, wenn die jetzt heute hier noch einen Mann für mich im Angebot haben, dann wäre der Tag perfekt. Nicht umsonst heißt es ja immer »Lidl lohnt sich«. An der Kasse mogle ich eine Packung Pariser zwischen das Gemüse. Aber, pst! Nicht weitersagen. Is ja Fasching, man weiß ja nie, was kommt, und muss dementsprechend gerüstet sein. Zugegeben, es ist ein bisschen peinlich. Ich hoffe, dass die Verkäuferin nicht einen auf Hella von Sinnen macht und übers Mikrofon ruft: »Tina, was kosten die Kondome!« Man weiß ja nie, wer alles an der Kasse hinter einem steht. Hier auf dem Land wird ja gern mal fleißig in der Gerüchteküche gekocht.

Also hau ich den Lauch auf die Pariser, weil sicher ist sicher.

Wie ich an der Bäckerei vom Lidl vorbeikomm, meldet sich mein Körper wegen Unterzuckerung. Tja, und bis ich michs versehe, steh ich an der Theke und kaufe mir einen Puddingkrapfen. Die Verkäuferin, eine freundliche, nach Schweiß miefende Person, sagt, wenn ich zwei Krapfen kaufen würde, würde sie mir heute einen dazu reinlegen, umsonst.

Warum? Schau ich so ausgehungert aus, oder will die ihre Krapfen loswerden? Vielleicht sind die ja schon kurz vor dem Vergammeln. Weil ich ein kriminalistisches Spürnäschen habe, nehm ich alle. Ja, ich muss doch wissen, ob die alle noch gut sind. Nicht dass ich die hernach den Kindern gebe, und die bekommen Bauchweh. Man weiß ja nie.

Am Ortsschild von Engelsried hab ich drei verbatzte Marmeladenkrapfen auf dem Beifahrersitz und drei halbe Puddingkrapfen im Magen. Das aber auch nur, weil ich auf der Heimfahrt wegen der Leiche so dermaßen ins Grübeln komm. So eine Grübelei kostet halt jede Menge Energie. Da braucht es dann schon ein bisserl Zucker, das ist doch klar.

Daheim angekommen komm ich zu dem Resultat, dass die Krapfen aus dieser Bäckerei definitiv schlecht waren. Ich sag doch, an die Krapfen vom Semmelmeier, da kommen die nie und nimmer nicht hin.

3

Im Hof draußen räumt der Heinzi gerade Reste eines Schneehaufens von unserem Vorgarten über den Zaun zum Nachbarn hinüber. Seitdem er arbeitslos ist, macht der so was öfter. Wurstelt den ganzen lieben langen Tag im Haus herum. Flickt irgendwelche Sachen zusammen oder bastelt stundenlang an seinem Auto herum. Manchmal setzt ihn aber auch die Leni einfach an die frische Luft, weil er ihr drinnen im Haus im Weg umgeht. Kann man ja gut verstehen, weil so ein Mann, der dauernd daheim ist, das kann schon echt nerven.

Der Heinzi ist übrigens mein Cousin. Ein herzensguter Kerl ist das. Zwar geizig und altbacken bis dorthinaus, aber sonst ein grandioser Zeitgenosse. Weil, wie mich der Ritschi gegen diese frisch geschlüpfte Fünfundzwanzigjährige ausgetauscht hat, da hat er mir sofort Asyl in seiner leer stehenden Wohnung hier im Haus angeboten. Und das ist echt nett von ihm.

Es stellt sich heraus, dass der Heinzi extra auf mich gewartet hat, weil er von mir alles über den Leichenfund auf dem Moserhof wissen will. Vermutlich hat die Rosl schon das ganze Dorf darüber informiert. Und freilich erzähl ich ihm nun jedes noch so klitzekleine Detail darüber. Der Heinzi ist nämlich nicht nur mein Cousin, sondern auch mein bester Freund. Wir sind praktisch miteinander aufgewachsen und haben schon als Kinder gemeinsam leidenschaftlich im Dorf ermittelt. Detektiv spielen war unsere Lieblingsbeschäftigung. Gut, manchmal war auch meine beste Freundin, die Brunner Babsi, dabei. Aber dann war der Heinzi nicht mehr gscheid bei der Sache, weil er der Babsi nämlich dann dauernd in die Bluse reingeschielt hat. Bloß, weil die damals schon einen Busen hatte.

»Den Slawinski kenn ich. Hab bei dem schön öfter mal ein paar Ersatzteile geholt«, sagt der Heinzi gleich, wie ich mit Erzählen fertig bin.

»Und würdest du dem zutrauen, dass der jemanden umbringt?«

»Mei, wissen tut man so was nie. Jedenfalls schachert der mit allem möglichen Zeug rum. Wenn du irgendwas im Geschäft nicht kriegst, der Slawinski beschafft dir alles. Ganz taufrisch ist der Kerl nicht, wenn du mich fragst.«

»Mhm«, sag ich und tappe von einem Fuß auf den anderen, weil es mich nun sakrisch friert und mir inzwischen die Krapfen tierisch im Bauchraum drücken. »Du, ich muss jetzt dringend … Weißt, die Kinder kommen gleich aus der Schule.« Kaum habe ich die Haustür aufgesperrt, kommt mir auch schon der Waldi entgegen und wedelt mit dem Schwanz.

Das ist echt toll bei einem Hund – diese Freude, wenn man nach Hause kommt. Der Waldi ist der Hund vom Heinzi. Ein Dackel oder so was Ähnliches. Jedenfalls ein hässliches Tier mit kurzen Beinen.

Der Hund mag mich.

Ich mag ihn nicht.

Aber das interessiert den Waldi nicht die Bohne, er mag mich trotzdem. Am liebsten aber mag er mein Hosenbein, davon kann er sich oft gar nicht mehr losreißen. Und das ist halt jetzt blöd. Ich geb ihm einen kräftigen Tritt, sodass er gegen die Eingangstür von seinem Herrchen fliegt, und während ich die Stufen zu meiner Wohnung hochgehe, wird auch schon unten die Wohnungstür aufgerissen, und das Lockenwicklergestell von der Leni erscheint in der Tür.

»Ja, was war denn das, ha?«, fragt sie den Hund.

Dem scheint der Flug gefallen zu haben. Er wedelt freudig mit dem Schwanz.

Im Flur fall ich samt Einkaufskorb erst mal über einen Schuhhaufen. Herrgottsakra, bei uns schaut’s vielleicht aus. Schuhgeschäft? Dreck dagegen.

Mir ist irgendwie übel. Hunger hab ich keinen mehr, aber kochen muss ich trotzdem, also mach ich schnell eine Gemüsesuppe, die wird meistens lecker. Okay, heute nicht, weil meine Gedanken die ganze Zeit bei dieser Leiche sind. Da kann so eine Suppe ja nicht schmecken. Noch dazu, wo die Leiche so greislich war. Hat ausgeschaut wie Dörrobst, das seit Jahren irgendwo herumgelegen ist. Total zusammengeschrumpft und verhutzelt und das, obwohl sie in einem weißen Plastiksack eingetütet war. Tja, und da behaupten immer alle, dass sich Fleisch in Plastik gehüllt länger frisch hält. Nein, jetzt mal Scherz beiseite, habe wirklich keine Zeit für derartige makabre Witze. Die Kinder kommen aus der Schule. Der Rupi pfeffert seinen Schulranzen in den Flur, und die Josi kommt rein und reibt sich wegen der Suppe vor Freude die Hände. Sie hat neuerdings von den Fleischfressern zu den Veganern gewechselt und findet die Gemüsesuppe echt geil.

»Mann, endlich hast das mal geschnallt, Mutter«, lobt sie mich auf ihre Art, und wie sie sich die Suppe in den Teller reingießt, marschiere ich zwischen all den Schuhen im Flur hindurch zum Gustl ins Zimmer hoch, um ihm eine »Extraeinladung zum Essen« zu überbringen.

Gustl, das ist der Sohn vom Heinzi und der Leni. Haust über uns in einer Rumpelkammer auf dem Dachboden. Er isst fast täglich bei uns mit. Einerseits, weil ich Mitleid mit dem Kerl hab, weil er halt bei der Leni nur Dosenfutter kriegt, und andererseits, weil er ein dankbarer Allesfresser ist. Somit wird ihm die läppische Gemüsesuppe sicher munden.

»Essen ist fertig!«, schrei ich, aber der Gustl steht an seinem Mischpult, wie immer die Kopfhörer auf den Dreadlocks, und kann mich nicht hören. Wippt im Takt mit dem Kopf hin und her, und so bahne ich mir erst mal einen Weg zum Fenster frei, um ein bisschen frische Luft in die Bude zu lassen. Das ist aber gar nicht so leicht, weil beim Gustl liegt so viel herum, bei dem kann man praktisch direkt vom Fußboden essen. Pizzareste, stapelweise dreckiges Geschirr, und unter dem Bett hat er neuerdings eine Schimmelanbaustation. Und drum herum verrotzte Taschentücher sowie Gerümpel, so weit das Auge reicht. Wenn der Bub so weitermacht, wird der bald eine Ehrenmitgliedschaft bei den Messies bekommen.

Jetzt hat er mich entdeckt und latscht mit mir die Stufen in meine Wohnung hinunter. Ich bieg noch schnell in Rupis Zimmer ab und stell den Schulranzen rein. Mach aber gleich wieder kehrt, weil die Bude vom Rupi der vom Gustl immer ähnlicher wird.

Es färbt halt ab, wenn man so eng beieinander wohnt.

Am Nachmittag bin ich dann echt froh, dass ich dem Chaos hier mal entfliehen kann. Also pack ich mein Strickzeug und begebe mich zur Leni ins Erdgeschoss hinunter. Dort treffe ich mich nämlich regelmäßig mit ein paar Damen zum Stricken. Auf der Treppe kommt mir der Heinzi entgegen. Sein Bierbauch steckt teilweise in einem knallengen weißen Feinrippunterhemd drin, den Rest von seiner Wamp’n hat er in seiner abgekanzelten braunen Breitcordhose einquartiert. Was jetzt so direkt nichts Neues nicht ist, weil der Heinzi Sommer wie Winter so im Haus herumläuft.

Er hat einen Werkzeugkasten in der Hand und ist offenbar auf der Flucht. Was ich ihm auch gar nicht übel nehmen kann, wenn man bedenkt, wie viele Weibsbilder sich heute Nachmittag mal wieder in seiner Küche tummeln.

»Du, Elli, kann ich bei dir die Heizung entlüften?«, fragt er mich, und klar kann er. »Klar, geh nur rein, die Kinder sind in der Küche. Und wenn du willst, kannst du bei mir auch ein bisserl fernsehschauen, gell«, zwinker ich ihm zu, und schon ist er in meiner Wohnung verschwunden.

Unser Haus ist ja ein sogenanntes Einfamilienhaus. Weil halt die ganze Familie drin wohnt. Bei uns wohnen zusätzlich die Viecher. Hauptsächlich Rindviecher. Ja, die Leni zum Beispiel ist eine Kuh. Also zumindest hat sie Eigenschaften, die einer Kuh recht ähnlich sind. Gutmütig, lieb und träge. Und weil wir praktisch im Haus eine Kuh haben, haben wir freilich auch einen Stall. Keinen Kuhstall, nein, einen Saustall. Und der ist eindeutig bei der Leni in der Wohnung, und so taste ich mich nun bei ihr zur Küche vor, weil es im Flur so finster ist. Das Licht hat der Heinzi nämlich schon vor Monaten kaputtrepariert.

Die ganzen Strickerweiber sind schon in der Küche, zumindest hör ich sie dort gackern. Es geht zu wie im Hühnerstall. Auf der Eckbank sitzen die Babsi und die Gitti und hauen sich grad eine Torte rein. Schwarzwälder Kirsch.

Hat die Gitti gebacken. Heut früh. So nebenbei.

Die Gitti, meine alte Schulkameradin, macht immer alles so nebenbei! Ist die Perfektion in Person. Kaum hat sie mich erblickt, macht sie auch schon ein Wie-schaust-du-denn-aus-Gesicht, schiebt mit dem Zeigefinger ihre Brille auf die Nase und isst langsam weiter. Ich hab mich noch gar nicht ganz hingesetzt, da liegt auf meinem Teller schon ein Stück von der Schwarzwälder. Dazu klatscht mir die Leni einen Schlag Sahne in den Kaffee. Da bekommt doch das Wort »Kaffeeklatsch« gleich eine ganz andere Bedeutung.

Die Schwarzwälder ist ein Genuss.

Grad will ich von dem Leichenfund erzählen, da klopft die Rosl mit ihrem Stecken von draußen an die Fensterscheibe.

»Oh mei, de scho wieder«, jammert die Leni und schiebt die vergilbte Gardine so schwungvoll auf die Seite, dass die Babsi, die am Fenster sitzt, vor lauter Staub einen Hustenanfall kriegt.

Die Rosl deutet draußen herum, dass sie dringend reinwill. Das nervt. Die ist nämlich wie eine Stubenfliege, fliegt einfach ungefragt ins Haus, setzt sich irgendwo hin und geht dir auf den Wecker. Wie gesagt: »Stubenfliege«. Kann man verscheuchen, bringt aber nix. Dann setzt sie sich halt woanders hin und nervt da weiter.

Kaum ist sie mit ihrem Stock reingewatschelt, gibt sie auch schon ihre lästigen Bemerkungen ab: »So, hot man heut wieder a Dessousparty?«, glotzt sie der Babsi in den Ausschnitt. Und ja, ein bisserl hat sie recht, die Babsi lässt heute mal wieder tief blicken.

Die kleine Sarah Jessika drückt ihrer Mama, also quasi der Gitti, ihren Lockenkopf in die Brust. »Wann geht die Hexe wieder?«, fremdelt sie herum. Und ja, das Kind hat nicht unrecht. Die Rosl schaut wirklich aus wie eine Hexe. Kittelschurz, Kopftuch, bucklig und eine Warze im Gesicht, aus der ein schwarzes Haar rauswächst.

Die Rosl hängt jetzt ihren Gehstock an den Stuhl und ihre Bosheiten an den Nagel und fängt zu essen an. Dabei schiebt sie mit ihren langen, dünnen Fingern einen Krapfen ganz tief in ihren Hals hinein, und wie sie so mit ihrem Gebiss auf dem Krapfen herumkaut, da wackelt das Warzenhaar lustig am Kinn hin und her. Sie schnauft wie eine Dampflok. Vermutlich hat sie sich in ihrer Funktion als Dorfratschen heute a bisserl verausgabt.

Kaum hat sie den Krapfen vertilgt, informiert sie gleich alle über den Fund auf dem Moserhof.

»Und, is die Leich a Kerl oder a Weib? Du host die doch gesehen?«, will sie jetzt von mir wissen.

»A Frau«, antworte ich.

»So, a Weib also. Wie hot s’ denn ausgschaut, die Leich?«

»Mei, greislich, greislich hat sie ausgschaut.«

»Greislich?« Jetzt wird sie recht nachdenklich, die Rosl. Sie überlegt und überlegt. Ich kann sehen, wie es hinter ihrer faltigen Stirn in ihrem Hirn drin rattert. »War s’ recht verschrumpelt?«

»Die hat ausgschaut wie ein vertrocknetes Dörrobst, ein ausgebleichtes. Ich schätz, die Leiche war in dem Sockel schon länger drin.«

»So, so. Schon länger drin, aha«, überlegt sie wieder.

Es rattert und rattert.

Jetzt muss man wissen, dass im Hirn von der Rosl unheimlich viele Informationen drin gespeichert sind. Die hat vermutlich eine Datenbank so groß wie ganz Bayern. Da kann es in ihrem Alter freilich ein bisserl dauern mit den ganzen Überlegungen. Und wie sie so nachdenkt, die Rosl, da reibt sie nun mit ihrem knochigen Zeigefinger unter ihrem Zinken herum. Reibt waagrecht und senkrecht, dann quer und schnippt hernach mit dem Finger. Erinnert mich an Wickie und die starken Männer. Fehlt nur noch der Ausruf: »Ich hab’s!«

Der kommt nicht. Aber eine Idee hat sie trotzdem, und die teilt sie uns auch gleich mit.

»Das kann ja bloß die Moserin sein. Die Frau von unserem ehemaligen Bürgermeister. Na, na, na, da fragt man sich dreißig Jahre lang, wo die Moserin hinkommen is, und dann liegt die so mir nix, dir nix in am Sockel hinter da Wanne. Aber geh, ich hob’s fei damals gleich gsagt, die Moserin is umkommen! Das hob ich gsagt. Aber mir hot ja niemand geglaubt.«

»Also, wie kommst denn jetzt auf die Moserin?«, fragt die Gitti und lacht.

»Ja, weil s’ verschwunden is, damals. Und nie wieder auftaucht.«

»Aha, und wenn es nicht die Moserin ist, was sagst dann?«

»Wenn’s die Moserin ned is. Ja, dann … Dann wird’s happig. Dann können wir ja gleich alle einpacken, geh. Weil dann, dann sind mir do alle in Engelsried nämlich nimma sicher.« Rosl legt andächtig ihren angebissenen Krapfen zurück in die Schale, damit sie jetzt recht theatralisch fortfahren kann. Hebt warnend ihren Zeigefinger in die Höhe und kriegt Augen so groß wie zwei Wagenradl. »Weil dann, dann war’s …«, sie schluckt, schraubt ihre Stimme ganz weit runter und flüstert: »Die Mafia. Die Mafia! Die betonieren die Leut nämlich o ein. Und zwar … lebendig. Ver-re-cken dabei ganz, ganz langsam … Erstickungstod! Grausam!«

Stille.

»A geh, was tät denn die Mafia bei uns in Engelsried?«

»Womöglich hot die Semmelmeirin noch was damit zum tun. Die is doch o von Süditalien drunten. Direkt mit da Angst muss man es kriegen, bei uns im Dorf. Da passiert noch Schlimmeres, das werds ihr schon noch sehn. Noch Schlimmeres!«

4

Es ist schon gleich halb sechs, wie ich die Treppen zu mir hochsause. Im Wohnzimmer treff ich auf den Heinzi. Der steht da wie ein kleiner Schulbub, der gerade was ausgefressen hat.

»Die Heizung ist jetzt entlüftet. Und dein Fernseher ist echt der Hammer. Eine Bildqualität ist das, gigantisch.«

Ich muss grinsen, weil der Heinzi und die Leni, die haben in ihrem Wohnzimmer noch so einen ganz alten Fernseher herumstehen. In Holzoptik. Mit Antenne. Und VHS-Videorekorder. Die Leni schaut zweimal in der Woche Sissi oder Immenhof an, und der Heinzi pfeift sich dauernd irgendwelche alte WM-Fußballspiele rein. Und erst wenn seine Gattin im Bett ist, dann holt er die Kassetten mit Tutti Frutti aus der Versenkung. »Ich hab den Fernseher ein bisserl optimiert. Du hast jetzt viel mehr Sender wie vorher.« Ich hoffe inständig, dass mein Fernseher noch geht, jetzt, wo er dran herumgewurstelt hat.

»Duu, weißt, was mich heute Nachmittag dauernd beschäftigt hat?«, druckst er auf einmal herum und fixiert dabei den Wohnzimmerboden.

»Mein Fernseher?«

»Ja, klar der Fernseher, aber das mein ich jetzt gar nicht. Nein, weißt waaas?«

Nö, weiß ich nicht, und ich hasse dieses Rate-doch-mal-was-ich-grad-denke-Spiel, das er seit dem Kindergarten mit mir spielt.

»Nein, aber du wirst es mir ja gleich sagen«, behaupte ich genervt.

»Was bist denn jetzt so zwider? Also weißt du es jetzt oder nicht?«

»Mann, Heinzi, komm zum Punkt«, sag ich, weil es mich echt angast.

»Also, die Sache mit der Toten. Das geht mir halt gar nicht mehr aus dem Kopf. Schau mal, wenn da jemand umgebracht worden ist, ja, dann können wir doch da nicht tatenlos zuschauen. Ich mein, so was muss doch aufgeklärt werden, oder nicht?«, rückt er jetzt endlich raus.

»Vermutlich war’s eh der Slawinski, und die haben den Kerl längst verhaftet.«