Totentanz: Fluch der Pazzi - Martina André - E-Book

Totentanz: Fluch der Pazzi E-Book

Martina André

0,0

Beschreibung

Florenz 2014: Gabrielle Falconi flieht vor ihrem Exmann, einem skrupellosen Mafiaboss, der es auf das Erbe ihrer gemeinsamen Tochter abgesehen hat. Nachdem sie die kleine Luisa bei einer Freundin in Schottland in Sicherheit gebracht hat, wartet bei Gabrielles Rückkehr nach Florenz ein Killer, der sie ins Jenseits befördern will. Als sie nach dessen Angriff mit ihrem Wagen in einen eisigen See stürzt, scheint ihr Schicksal besiegelt zu sein. Florenz 1477: Nach der Hinrichtung seines Vaters schwört Damian de' Castello Rache und schließt einen Pakt mit dem Teufel. Er verdingt sich als Auftragsmörder für Francesco de' Pazzi und verliert dabei alles, was ihm je wichtig war. Doch Damian will eine zweite Chance und widersetzt sich den Gesetzen der Ewigkeit. Ein dramatischer Kampf zwischen Gut und Böse beginnt, der nicht nur mächtige Gegner auf den Plan ruft, sondern auch das Schicksal zukünftiger Generationen bestimmt. Von der Autorin des Bestsellers "Das Geheimnis des Templers".

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 1046

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Totentanz

Fluch der Pazzi

Martina André

»Totentanz: Fluch der Pazzi«

ISBN 978-3-911050-08-1

Veröffentlichung: Juli 2024

© Martina André

Die Originalausgabe erschien 2014 bei Rütten & Loening, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co, KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Gestaltung von Umschlag- und E-Book unter Verwendung privater Fotos und Illustrationen, © Martina André

Impressum/Herstellung:

Martina André c/o Dr. Lukas Mühlbauer

25/8 Greenpark, Edinburgh EH17 7TA, United Kingdom

Handlung und Personen in diesem Roman sind bis auf einige historische Persönlichkeiten, deren Handeln ebenfalls der Fantasie der Autorin entsprungen ist, frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen und deren Handlungsweise sind rein zufällig.

www.martinaandre.com

Über das Buch

Florenz 2014: Gabrielle Falconi flieht vor ihrem Exmann, einem skrupellosen Mafiaboss, der es auf das Erbe ihrer gemeinsamen Tochter abgesehen hat. Nachdem sie die kleine Luisa bei einer Freundin in Schottland in Sicherheit gebracht hat, wartet bei Gabrielles Rückkehr nach Florenz ein Killer, der sie ins Jenseits befördern will. Als sie nach dessen Angriff mit ihrem Wagen in einen eisigen See stürzt, scheint ihr Schicksal besiegelt zu sein.

Florenz 1477: Nach der Hinrichtung seines Vaters schwört Damian de' Castello Rache und schließt einen Pakt mit dem Teufel. Er verdingt sich als Auftragsmörder für Francesco de' Pazzi und verliert dabei alles, was ihm je wichtig war. Doch Damian will eine zweite Chance und widersetzt sich den Gesetzen der Ewigkeit.

Ein dramatischer Kampf zwischen Gut und Böse beginnt, der nicht nur mächtige Gegner auf den Plan ruft, sondern auch das Schicksal zukünftiger Generationen bestimmt.

Von der Autorin des Bestsellers "Das Geheimnis des Templers".

Über die Autorin

Martina André wurde 1961 in Bonn geboren. Der französisch klingende Nachname ist ein Pseudonym und stammt von ihrer Urgroßmutter mit hugenottischen Wurzeln. Heute lebt die Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz sowie in Edinburgh, Schottland, das ihr zur zweiten Heimat geworden ist.

Folgende Romane sind als Taschenbuch, eBook und Audiobook erhältlich, die zum Teil auf Englisch, Finnisch und Niederländisch übersetzt wurden:

Die Gerard "Gero" von Breydenbach-Reihe:

• Das Rätsel der Templer (2007)

• Die Rückkehr der Templer (2011)

• Das Geheimnis des Templers (2012)

• Das Schicksal der Templer (2015)

• Das Erbe der Templer (2019)

• Die Prophezeiung der Templer (2022)

• Mystery of the Templars (2018)

RoboLOVE:

• RoboLOVE Operation Iron Heart (2019)

• RoboLOVE Operation Copper Blood (2020)

• RoboLOVE Operation Silver Soul (2020)

Andere:

• Die Gegenpäpstin (2007)

• Schamanenfeuer (2009)

• Die Teufelshure (2010)

• Flamme von Jamaika (2013)

• Totentanz (2014)

Inhalt

Prolog

Teil I

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Teil II

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Nachwort und Danksagung

Personenverzeichnis

Glossar

Mehr von Martina André

Prolog

»I will tell your story if you die, I will tell your story and keep you alive.«

Laleh, »Some Die Young«, 2013

Januar 2014 Italien/Florenz/Mugello

Elle nahm den gleichen Zug zurück nach Edinburgh, mit dem sie in die schottischen Highlands gefahren war, und von dort aus ging es nach London, wo sie in den nächsten Flieger nach Florenz steigen würde.

Kurz vor dem Abflug rief sie ihren Leibwächter Alberto an, um ihm mitzuteilen, dass sie wie geplant gegen neun Uhr früh mit City Jet auf dem Aeroporto Firenze-Peretola »Amerigo Vespucci« landete. Sie hatte absichtlich eine kostengünstige, ausländische Airline gewählt, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Sie durfte kein Risiko eingehen, wenn es darum ging, mögliche Verfolger erst gar nicht auf die Spur ihrer Tochter zu führen. Trotzdem fühlte sie sich von allen Seiten beobachtet, wofür schon alleine Alberto sorgte, der sie, sobald sie italienischen Boden betrat, keinen Schritt lang aus den Augen lassen würde. Seine ständige Aufmerksamkeit raubte ihr den letzten Nerv, und sie hoffte inbrünstig, dass der Spuk bald vorüber war. Der Termin mit ihrem Advokaten in Mailand, der die Lage gründlich entschärfen sollte, stand leider erst in den nächsten Tagen auf dem Programm. Zuvor hatte sie noch einiges in Florenz zu erledigen und musste in einem ihrer Restaurants noch mal nach dem Rechten sehen, obwohl Alberto ihr geraten hatte, sich möglichst im Haus zu verbarrikadieren, bis sich die unselige Angelegenheit ein für alle Mal geklärt haben würde.

»Wie ist es gelaufen?«, wollte Alberto noch wissen, bevor sie das Gespräch beendete. »Hat Luisa den Abschied einigermaßen gut verkraftet?«

Elle musste lächeln, weil der ältere Mann seine Sorge um das Kind kaum verhehlen konnte. Auch wenn er ansonsten gerne den hartgesottenen Kerl mimte, zeigte er stets ein weiches Herz, wenn es um Luisa ging. Seit Don Salvatores Tod übernahm er nur allzu gerne die Rolle des Großvaters für die Kleine. Wahrscheinlich, weil er nie eigene Kinder gehabt hatte.

»Sie ist in sicheren Händen«, erwiderte Elle vage. »Und das ist ja schließlich die Hauptsache. Alles andere erzähle ich dir später.« Die Sorge, von Silvio und seinen Leuten abgehört zu werden, verfolgte sie überallhin.

»Na dann ist es ja gut«, gab ihr Leibwächter am anderen Ende der Leitung zurück und stieß einen langgezogenen Seufzer aus. »Möge die Heilige Jungfrau dafür sorgen, dass Don Luigi und sein verteufelter Sohn möglichst bald das Zeitliche segnen.« Seine Stimme klang merkwürdig kalt.

»Alberto?«, fragte Elle zaghaft. »Du hast doch nicht etwa wem auch immer einen entsprechenden Auftrag gegeben?«

»Mach dir keine Sorgen, cara mia, und selbst wenn, hättest du damit nichts zu tun.«

»Alberto!«, rief sie aufgebracht in den Hörer, während das Boardingpersonal nach ihrem Ticket verlangte. »Alles, was ›la Famiglia‹ betrifft, hat auch etwas mit mir zu tun. Ich will nicht, dass die Angelegenheit sich jenseits von Recht und Gesetz verselbständigt, hast du mich verstanden? Ab morgen wird sich unser Anwalt um die beiden kümmern und niemand sonst!«

In der Leitung war nur noch ein Klicken zu hören. Mit fahrigen Händen nahm Elle die abgestempelte Bordkarte entgegen und begab sich anschließend durch den langen Gang des Zubringers an Bord der Boeing 727. Eine Stewardess begrüßte sie freundlich am Eingang und bot ihr eine italienische Tageszeitung an.

»Mafiakrieg in Neapel«, las sie beim Überfliegen der ersten Seite in plakativen Lettern. Elle erschauderte. Ein sonderbarer Zufall, dass sie ausgerechnet mit einer solchen Schlagzeile unter dem Arm den Weg zurück nach Hause antrat. Als ob sie sich nicht schon genug Gedanken machte. Über ihr eigenes Schicksal und das ihrer Tochter, welches allem Anschein nach unauflöslich mit dem Unwort ihres Lebens – Mafia – verwoben war. Würde dieser Wahnsinn denn niemals ein Ende nehmen?

Im Innern des Fliegers angekommen, suchte sie sich einen freien Fensterplatz in den hinteren Reihen und dachte, kaum dass sie saß, weiter über Alberto und seine Kollegen nach. Deren Loyalität reichte traditionell über den Tod des Patrons hinaus und übertrug sich wie selbstverständlich auf Elle und ihre Tochter, ganz gleich, ob es ihr passte oder nicht.

Nachdem Don Salvatore Leonardo im letzten Jahr überraschend an einem Herzinfarkt gestorben war, hatte Elle den Clan auflösen wollen. Doch die ehemaligen Bediensteten ihres Vaters hatten sich mit aller Macht einer solchen Entscheidung entgegengestellt. Sie fürchteten die Rache ihrer früheren Widersacher, falls Elle die Nachfolge ihres Vaters als Patronin ausschlagen sollte und sie sich daraufhin kopflos und unorganisiert ins Private zurückziehen mussten.

Nach langem Ringen hatte Donna Gabrielle, wie sie von ihren Angestellten genannt wurde, Alberto das Zepter über die Privatarmee ihres Vaters übergeben, die er nun mit ein paar jüngeren Clanmitgliedern befehligte. Offiziell waren die Männer noch immer in der Investmentfirma ihres Vaters beschäftigt, die nach seinem Tod von verschiedenen Advokaten geleitet wurde. Inoffiziell verfügten sie über eine ganze Reihe anderer Qualitäten, die mehr im militärischen Bereich lagen und von denen Elle am liebsten gar nichts wissen wollte. Sie selbst hatte bereits vor Don Salvatores Tod mit dessen umstrittener Vergangenheit als Drahtzieher eines durch und durch mafiösen Anlage-Imperiums abgeschlossen. Obwohl er sie nie eingeweiht hatte, wusste sie inzwischen, dass sein Vermögen und damit ihr Erbe nicht mit ehrlichen Geschäften erwirtschaftet worden war. Instinktiv hatte sie nie in seine Fußstapfen treten wollen und nach ihrem Kunststudium entgegen ihrer eigentlichen Überzeugung ihr Heil in der traditionellen Rolle als Ehefrau und Mutter gesucht. Nach einer kurzen Anstellung als Kuratorin in einem Museum hatte sie ihren Job an den Nagel gehängt, als Luisa vor fünf Jahren geboren wurde. Erst seit der öffentlichkeitswirksamen Scheidung von deren Vater, Silvio Falconi, einem millionenschweren Baumagnaten aus Florenz, im vergangenen Jahr hatte sie mehrere erfolgreiche Nobelrestaurants in der Toskana eröffnet, die sich auf Sterne-Küche spezialisiert hatten. Das sicherte ihr Auskommen mehr als genug und machte sie unabhängig vom fragwürdigen Erbe ihres verstorbenen Vaters, das sie ebenso ausgeschlagen hatte wie dessen Nachfolge. Wobei es leider nicht möglich gewesen war, dies auch sogleich für Luisa zu tun. Sobald das Mädchen achtzehn war, würde sie ein gewaltiges Vermögen erben. Etwas, das sie nicht nur als zukünftige Heiratskandidatin für den europäischen Geldadel interessant machte, sondern auch für Elles Exmann und dessen Vater Don Luigi. Die beiden waren nicht weniger in mafiösen Strukturen verstrickt als ihr Vater, was sie jedoch erst während ihrer Ehe erfahren hatte, und seit dessen Tod lauerten sie nun auf Luisas zukünftiges Vermögen. Voraussetzung dafür war nicht nur der achtzehnte Geburtstag des Mädchens, sondern auch, dass dessen Mutter so bald wie möglich von der Bildfläche verschwand.

Man musste kein Prophet sein, um zu wissen, dass Elle sich in einer latenten Gefahr befand, einem Mord zum Opfer zu fallen. Oder einem bedauerlichen Unglück, wie man ein solches Ableben unter Anhängern der Mafia gerne bezeichnete.

Es war außerdem klar, dass sich die Männer des Leonardo-Clans die Bedrohung durch Silvio und Don Luigi Falconi auf Dauer nicht gefallen lassen würden. Wobei Alberto ohnehin nicht verstehen konnte, warum Elle immer noch deren Familiennamen trug, doch sie wollte den Konflikt mit Silvio nicht noch weiter aufheizen, indem sie amtlich ihren Mädchennamen Leonardo wieder annahm. Schon gar nicht wollte sie darüber nachdenken, welche Konsequenzen ein Racheakt oder gar ein direkter Angriff auf die Familie Falconi haben würde. Wie Alberto auf die Idee kommen konnte, dass sie nichts damit zu tun haben würde, war ihr schleierhaft. Solange sie mit Silvio verheiratet gewesen war, hatte zumindest scheinbar Friede zwischen den beiden Familien geherrscht, erst mit ihrer Scheidung war das Chaos ausgebrochen, und seitdem verfolgte sie nicht nur die Angst vor Silvios Rache, sondern auch vor der Verantwortung, die sie unweigerlich tragen musste, falls die Fehde zwischen den beiden Clans in einem erneuten Blutbad eskalierte.

Obwohl sie hundemüde war, gelang es ihr nicht, auf dem ansonsten ruhigen Flug ein wenig Abstand zu gewinnen und die Augen zu schließen. Wie ein gehetztes Tier stürmte sie nach draußen, nachdem sie die Passkontrolle hinter sich gelassen hatte. Kalte Luft, geschwängert von Abgasen, schlug ihr entgegen. Menschen in Mänteln, Mützen und Schals verschwanden mit ihren Koffern und Taschen in Bussen, Taxen und Privatlimousinen. Hektisch sah sie sich nach allen Seiten um und seufzte erleichtert, als sie in dem Gewusel von Fahrzeugen endlich Alberto entdeckte, wie er in zweiter Reihe parkend am Steuer des anthrazitfarbenen, abgedunkelten Mercedes nervös mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte. Wie verabredet, war er allein gekommen. Auch wenn es in der momentanen Situation vielleicht besser gewesen wäre, noch einen zweiten bewaffneten Leibwächter mitzunehmen, hatte er darauf verzichtet, weil so wenige Personen wie möglich wissen durften, dass Elle alleinreisend soeben aus dem Ausland gekommen war. Bei laufendem Motor stieg er aus und sah sich hastig nach allen Seiten um, bevor er ihr wie üblich die Tür zum Fond öffnete. Elle sprang regelrecht in den Wagen und lehnte sich halbwegs entspannt zurück. Als Alberto schließlich wieder hinter dem Steuer saß, schloss die Zentralverriegelung automatisch, damit während der Fahrt niemand von außen eindringen konnte. Mit leicht erhöhter Geschwindigkeit lenkte er den Wagen auf eine der Umgehungsstraßen von Florenz und steuerte die E 35 in nördliche Richtung an.

»Danke, Alberto, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Elle warf rasch einen Blick auf ihr kleines, unauffälliges Mobiltelefon, das sie sich extra angeschafft hatte, um mit Janet in Verbindung bleiben zu können, in deren Obhut sie Luisa zurückgelassen hatte. Weder eine SMS noch ein Anruf waren zu verzeichnen. Stattdessen erinnerte sie sich an ihr Gespräch mit Alberto, das er so abrupt abgebrochen hatte.

»Ich hoffe, du hast mich richtig verstanden«, begann sie von neuem. »Ich wünsche kein eigenmächtiges Handeln der Famiglia, was die Sache mit Silvio betrifft. Sollte ich erfahren, dass er oder seine Leute zu Schaden kommen und jemand von unseren Jungs etwas damit zu tun hat, werde ich denjenigen eigenmächtig zur Verantwortung ziehen und der Polizei übergeben.«

Alberto antwortete nicht, sondern nickte nur stumm, während er Gas gab und ungewohnt laut die Umdrehungen des Motors hochschraubte.

»Wir haben die Wachen ums Haus verdoppelt.« Mit finsterer Miene schaute er in den Rückspiegel. »Auch wenn du nicht glaubst, dass Silvio und Don Luigi es garantiert auf dich abgesehen haben, wirst du mich nicht davon abhalten können, gewisse Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Es geht bei der Sache nicht nur um deinen Kopf.«

»Ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst.« Elle schaffte es nicht, die Gereiztheit in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Oder denkst du, ich bringe Luisa zweitausend Kilometer weit fort, weil ich mir keine Sorgen mache?«

Aufgewühlt schaute sie nach draußen und sah eine für die Toskana ungewöhnlich eisige Landschaft an sich vorbeiziehen. Der Himmel war leicht bedeckt, und die Trostlosigkeit der Umgebung spiegelte ihre eigenen Gedanken wider. Wie, um Himmels willen, sollte sie dieser Hydra jemals entkommen? Die Mafia ließ ihren Opfern gewöhnlich nur geringe Chancen, ein neues Leben zu beginnen. Und wahrscheinlich hatte sie es tatsächlich Alberto und seinen Männern zu verdanken, dass Silvio sie nicht längst zur Strecke gebracht hatte. Es war schon schlimm genug, wenn man einen psychopathischen Exmann im Nacken hatte, umso schlimmer war es, wenn er sich auf eine kriminelle Organisation verlassen konnte, die bis in die höchsten politischen Kreise reichte.

Elle dachte an Luisa und dass sie am liebsten mit ihr auf eine einsame Insel ausgewandert wäre. Doch im Zeitalter des Internets und der Handy-Ortung gab es keinen adäquaten Unterschlupf, der sie geschützt und dem Mädchen gleichzeitig eine zivilisierte Zukunft geboten hätte.

Elles ganze Hoffnung lag auf dem Gespräch mit Dottore Caesare. Der Advokat ihres verstorbenen Vaters verfügte über exzellente Verbindungen in die höchsten gesellschaftlichen Kreise und würde – so hoffte sie – einen juristischen wie finanziellen Kompromiss ausarbeiten, der Silvio und seinen Vater endlich ruhigstellen sollte.

Wortlos verfolgte Elle, wie Alberto vor Barberino di Mugello den Wagen in Richtung Colle Barucci lenkte und die Schnellstraße über einen Seitenarm des Sees nahm, der an dieser Stelle vollkommen mit Eis bedeckt war.

»Ich weiß, dass du nur unser Bestes willst«, lenkte Elle ein und beugte sich nach vorn, um Alberto in gespielter Zuversicht auf die Schulter zu klopfen. Doch bevor sie den in die Jahre gekommenen Chauffeur und Bodyguard auch nur berühren konnte, zerriss ein scharfer Knall die gedämpfte Stille im Wagen. Dann ein zweiter. Blut spritzte an die Windschutzscheibe, und der Wagen geriet augenblicklich ins Trudeln. Gelähmt vom Schock, blieb Elle nichts weiter übrig, als ohnmächtig mitanzusehen, wie sich der Mercedes nach rechts in eine bedenkliche Schräglage neigte und wie von einem Katapult gelenkt auf das Brückengeländer zuschoss und es schließlich durchbrach. Die Airbags lösten mit einer ohrenbetäubenden Detonation aus, und Elle wurde, eingehüllt von einer stahlharten weißen Wolke, in ihren Sitz geschleudert. Der Aufprall des Wagens auf der Eisfläche war vergleichsweise sanft, und bevor sie halbwegs wieder zu sich kam, war sie umgeben von einem gurgelnden Geräusch, das sie erst recht in Panik versetzte. Ihr erster Gedanke war, dass sie ihren Gurt lösen musste, um aus dem Wagen hinauszukommen, möglichst bevor der vier Tonnen schwere, gepanzerte Mercedes in den Fluten versank. Doch die Überreste der abschwellenden Airbags hatten sich mit ihrem Gurt verheddert, so dass es ihr unmöglich war, sich zu befreien.

»Alberto!« Noch während sie seinen Namen schrie, wurde ihr klar, dass der Mann, der sie ihr halbes Leben begleitet hatte, nicht mehr zu retten war. Seine Schädeldecke war halbseitig zertrümmert, der Inhalt hatte sich wie rote Grütze über Windschutzscheibe und Armaturen verteilt.

Ihr nächster Gedanke galt Luisa und dass sie als Mutter die verdammte Pflicht hatte, alles zu ihrer eigenen Rettung zu tun. Hastig tastete sie sich ab. Sie selbst war bis auf ein paar harmlose Prellungen offenbar unversehrt geblieben.

Währenddessen spritzte eiskaltes Wasser über ihre linke Schulter ins Wageninnere. Auch von vorn drang Wasser ein – durch ein münzgroßes Loch, das der Knall offenbar hinterlassen hatte. Ein Umstand, der ihr im Moment zwar weniger bedrohlich vorkam, aber früher oder später dazu führen würde, dass der ganze Wagen volllief, nachdem er zügig zum Grund des Sees gesunken war.

Erschienen ihr die ersten paar Meter unter Wasser noch einigermaßen hell, so wurde es nun zusehends dunkler, je weiter der Wagen nach unten sank. An dieser Stelle war der künstlich angelegte Stausee gut und gerne dreißig Meter tief. Sie wusste es von ihrem Vater, der die Bauarbeiten als Aufsichtsratsmitglied einer ortsansässigen Betonfirma begleitet hatte. Seltsamerweise waren zu dieser Zeit mehrere Mitglieder eines konkurrierenden Familienclans verschwunden, und böse Zungen hatten später behauptet, sie würden nun am Grunde des Sees liegen, einbetoniert in mehrere Brückenpfeiler, die sich für die Verbindung zweier Landzungen als notwendig erwiesen hatten.

Elles Panik wandelte sich in Resignation, als sie es schließlich geschafft hatte, ihren Gurt zu lösen und sich gleichzeitig bewusst darüber wurde, niemals lebend die Oberfläche des Sees erreichen zu können. Bei den herrschenden Wassertemperaturen von garantiert unter vier Grad hatte sie selbst als gute Schwimmerin keine Chance, unversehrt aufzutauchen. Tatenlos musste sie mitansehen, wie der Wagen in fast völliger Dunkelheit mit einem Ruck auf dem Grund des Sees aufsetzte und die rückwärtige Scheibe unter dem Wasserdruck von jener Stelle, wo sie geborsten war, in sämtliche Richtungen zu splittern begann. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie platzte und sich das eisige Wasser mit einem Schwall über sie ergießen würde.

Plötzlich entdeckte sie ihr Mobiltelefon, das allem Anschein nach unbeschädigt im Fußraum lag. Vielleicht konnte sie ja Hilfe herbeirufen, obwohl dann noch immer das Problem bestand, wie man sie möglichst rasch und unversehrt aus dem Wrack bergen sollte. Aber schon beim Blick aufs Display ereilte sie die ernüchternde Erkenntnis, dass die Anzeige des Telefons keine Verbindung anzeigte.

Verzweifelt schaute sie auf und schrak jäh zurück, als sie unvermittelt das Gesicht eines Mannes erblickte, der sich von außen an die Fensterscheibe drückte und ihr undefinierbare Zeichen gab. Nein! Das konnte nicht sein! Begann man so schnell zu halluzinieren? War vielleicht schon der Sauerstoff knapp? Sie kniff die Augen zu und öffnete sie vorsichtig. Verdammt! Das Gesicht war immer noch da. Schemenhaft und kaum erkennbar, aber doch so echt, dass ihr der Gedanke kam, ihr sei vielleicht jemand ins Wasser hinterhergesprungen, der den Vorfall beobachtet hatte und sie nun retten wollte. Etwas, das Elle bei intensiverem Nachdenken surreal erschien, denn der Kerl trug weder Taucheranzug noch Sauerstoffmaske, und die Temperaturen hier unten waren weiß Gott nicht zum Baden geeignet.

Bei genauerem Hinsehen sah sie, dass sein sportlich durchtrainierter Körper vollkommen nackt war. Dunkle, schulterlange Locken waberten wie Seetang um sein markantes Gesicht. Offensichtlich schien ihm die Kälte des Wassers nichts auszumachen. Elle schöpfte Hoffnung, Vielleicht war der Typ ein Eistaucher, der den Unfall zufällig beobachtet hatte. Aber dann wäre es wohl besser, er tauchte wieder auf und forderte umgehend professionelle Hilfe an. Sie machte wilde Zeichen, dass er ohne sie nach oben schwimmen und jemanden anrufen sollte, der sie hier herausholte. Wenn er wenigstens ein Sauerstoffgerät dabeigehabt hätte. Apropos Sauerstoff! Elle fiel auf, dass der Typ überhaupt keine Luftblasen erzeugte. War er zu allem Glück ein Apnoe-Taucher? Falls ja, würde ihr auch das nichts nützen, denn sie selbst war es nicht. Trotzdem gab er ihr weiterhin wilde Zeichen, die ihr eindeutig zu verstehen gaben, dass sie endlich zu ihm nach draußen kommen solle.

Elle fasste all ihren Mut zusammen und betätigte den manuellen Türöffner. Doch nichts geschah. Offensichtlich funktionierte die Zentralverriegelung noch immer, und ihr kam beim besten Willen keine Idee, wie sie das ändern könnte. Verzweifelt schüttelte Elle den Kopf, um dem Mann verständlich zu machen, er solle endlich auftauchen, bevor er noch selbst ertrank. Doch er schien ausharren zu wollen, jedenfalls bewegte er sich nicht vom Fleck und sah sie mit seinen auffallend grauen Augen merkwürdig intensiv an.

Nur Sekunden später brach die Heckscheibe, und eine riesige Welle eisigen Wassers schwappte über sie hinweg. In Panik schnappte sie nach Luft und sog mit nur einem Atemzug das eisige Wasser in ihre Lungen.

Wild um sich schlagend versuchte sie, der tödlichen Gefahr zu entkommen, doch es war zwecklos. Plötzlich wurde es dunkel und still, und sie sah wieder den Mann, der ihr völlig unbeeindruckt unter die Arme fasste und sie mit Kraft aus dem Wrack zog. Körperlos schwebte sie mit ihm davon, seine Hände fest um ihre Taille geschlungen. Erstaunlicherweise spürte sie weder Kälte noch Atemnot. Eingehüllt in eine dichte Wolke des Vergessens, wurde es schließlich Nacht.

TeilEins

Fluch der Dämonen

Kapitel1

»Der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich den Frieden gebe und schaffe das Übel.«

Jesaja 45,7

März 1476 Fiesole - in der Nähe von Florenz

»Schau nicht hin«, flüsterte Damian seiner Mutter zu und hielt ihren Kopf so fest an seine Brust gedrückt, dass sie kaum noch zu atmen vermochte.

Sie zitterte am ganzen Leib, und ihre heißen Tränen durchtränkten den Stoff seines gefütterten Mantels. Er selbst hätte auch am liebsten geweint – nein, geschrien, um ehrlich zu sein –, als man seinen Vater auf das Podest führte, auf dem das Urteil vollstreckt werden sollte. Versteinert vor Wut und nicht zuletzt wegen der abgrundtiefen Trauer, biss er sich auf die Lippen, als die Schergen der Signoria dem ehemals stolzen Kaufmann einen Sack über den Kopf zogen, um ihm dann einen Strick um den Hals zu legen.

Ernesto de’ Castello ertrug das armselige Schauspiel in einer bewundernswerten Würde, die seinen einzigen Sohn in den Wahnsinn trieb. Was dann geschah, schlug Damian beinahe die Beine weg. Der Henker gab den Helfern ein Zeichen und ließ seinen Vater in schwindelnde Höhe ziehen, was dessen Hals überstreckte und ihn unwillkürlich mit den Beinen strampeln ließ, weil der Körper, nicht der Geist, sich gegen das Unvermeidbare wehrte. Damian spürte, wie seine Mutter, einer Ohnmacht nahe, in seinen Armen versank, während der Vater vor ihren Augen verstarb. Vollkommen versteinert stand er mit ihr da, umringt von einer johlenden, keifenden Menge, die keinerlei Gnade walten ließ und sich daran ergötzte, einen ehemals hochgeachteten Mann wie eine strangulierte Gans an einem Strick baumeln zu sehen, den letzten Zuckungen erliegend, dabei halb nackt und von der Kerkerhaft abgemagert bis auf die Knochen.

Als der Leichnam am Seil völlig erschlaffte, fürchtete Damian, seine Mutter könne der Schlag treffen, vor allem, wenn er selbst die Fassung verlor. Dabei durften sie von Glück sprechen, dass der Gonfaloniere de Giustizia nur ihnen beiden die strikte Anwesenheit bei der Hinrichtung ihres Familienvorstandes auferlegt hatte. Nicht auszudenken, wenn man Damians Schwestern Isabella und Ricarda, kaum den Kinderschuhen entwachsen, verpflichtet hätte, das grauenvolle Sterben des eigenen Vaters mitanzusehen.

Rache, war Damians einziger Gedanke, der ihn in dieser finsteren Stunde am Leben erhielt. Er würde sie alle töten. Den Henker zuerst und dann jene Männer, die seinen Vater hatten verhaften lassen, die Justizbeamten der »Otto«, die für die Geheimpolizei von Florenz zuständig waren. Danach die Ratsmänner der Signoria, die für das hohnspottende Urteil im Namen der Gerechtigkeit gegen Ernesto de’ Castello verantwortlich zeichneten. Und erst ganz zum Schluss würde er sich Lorenzo de’ Medici vornehmen, jenen Mann, der sich auf diese Weise lästiger Konkurrenten entledigte, indem er sie unter Einsatz von Schmiergeld aus fadenscheinigen Gründen vernichten ließ. Was man Damians Vater vorgeworfen hatte, war lächerlich. Don Ernesto war seit jeher ein ehrenhafter Ritter, gütiger Gutsherr und angesehener Papier- und Tuchhändler aus Fiesole gewesen, der es sich als einer der wenigen Bürger von Florenz erlaubt hatte, öffentlich gegen die ungerechten Steuererhebungen aufzubegehren, die von den Herrschenden von Jahr zu Jahr weiter in die Höhe getrieben wurden. Raubrittertum hatte er das Treiben der Signoria genannt. Wobei seine Frau ihn von Beginn an gewarnt hatte, er solle vorsichtig sein. Darauf achtgeben, die Medici, die bei der Angelegenheit ihre Finger im Spiel hatten, nicht zu erzürnen, vor allem Lorenzo. Doch Ernesto de’ Castello war immer ein ehrlicher, bisweilen starrköpfiger Mann gewesen. Geboren im Zeichen des Widders, hasste er nichts mehr als die Ungerechtigkeit. All das war ihm am Ende zum Verhängnis geworden. In einer Stadt, in der seit Jahrhunderten die Schlangen regierten und die Dämonen in Scharen durch Straßen und Lüfte zogen.

Mit einem verächtlichen Schnauben schulterte Damian keine drei Monate später seine Satteltaschen und prüfte ein letztes Mal den Sitz seines Schwertes, bevor er sich zu seiner verhärmt aussehenden Mutter hinunterbeugte und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren war er nun das Oberhaupt der Familie. Was nicht bedeutete, dass er den zwei jüngeren Schwestern den Vater und schon gar nicht seiner Mutter den Mann ersetzen konnte.

Seit dem gewaltsamen Tod ihres Gemahls war die ehemals stolze Frau zumindest äußerlich zu einer kraftlosen Rose verwelkt, deren Lebenswille von Tag zu Tag mehr zu schwinden drohte. Einzig die beiden halbwüchsigen Töchter, die schweigend am Fenster der Wohnstube hockten und im morgendlichen Sonnenlicht ein paar armselige Näharbeiten verrichteten, gaben ihr die Kraft, sich nicht aufzugeben.

Isabella war sechzehn, eine blühende Rose von schlanker Gestalt, mit seidigem braunem Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte. Ricarda würde im nächsten Sommer vierzehn werden, und sie versuchte, was ihr Aussehen betraf, ihrer schönen Schwester nachzueifern, auch wenn die Mittel dafür mehr als knapp waren. Wenn es Damian nicht bald gelang, die Familie wieder zu Reichtum und Ehre zu bringen, würden die Mädchen wohl kaum einen passablen Ehemann finden. Doch im Moment standen die Chancen dafür alles andere als gut.

Normalerweise hätten sie es bei ihrer Grazie und der exzellenten Erziehung leicht gehabt, einen passenden Gemahl zu finden. Aber ohne Mitgift war die Auswahl an potentiellen Bewerbern nicht nur dürftig, sondern schlichtweg nicht vorhanden. Es sei denn, sie entschieden sich für einen älteren Mann, der zwar vermögend war, aber irgendeinen körperlichen Makel aufwies und deshalb gerne auch eine junge Frau ohne Mitgift akzeptierte. Beide Mädchen hatten jedoch vehement bekundet, lieber ins Kloster gehen zu wollen, als irgendeinen alternden Galan zu heiraten, den sie verabscheuten. Damian schnitt es ins Herz, zu sehen, wie seine Schwestern unter der plötzlichen Armut litten. Anstelle ihrer prunkvollen, farbenfrohen Gewänder, die sie in ihrer Not auf einem Kleidermarkt verkauft hatten, trugen sie nun einfache Röcke und Kittel in ausgeblichenen Farben. Von dem Geld, das ihnen vom Verkauf ihrer Habe geblieben war, hatten sie sich Essen und Feuerholz geleistet, um nicht zu verhungern und in dem armeseligen Gesindehaus, das sie gegen ihren stolzen Palazzo eintauschen mussten, nicht zu erfrieren. Damian kämpfte derweil mit seinem schlechten Gewissen, weil er als geschlagener Ritter zunächst Pferd, Rüstung und Waffen behalten hatte, obwohl seine Familie vom Verkauf der Sachen mehr als ein Jahr lang hätte leben können. Doch nun war er froh, sich dagegen entschieden zu haben, weil ihm Jacopo de’ Pazzi, einer der reichsten Männer von Florenz, überraschend eine Anstellung als Condottiere in seiner neu gegründeten Söldnertruppe angeboten hatte.

»Behaltet Euch wohl«, murmelte er heiser und nickte seiner Mutter zu. »Ich schicke Euch und den Mädchen Geld, sobald ich meinen ersten Sold erhalten habe.«

Wenngleich Eleonore de’ Castello schwach und gebrechlich wirkte, war ihr Griff, mit dem sie ihren einzigen Sohn am Handgelenk packte, erstaunlich fest. Ihre ehemals feurigen Augen loderten in einem unseligen Glanz, der nichts Gutes verhieß.

»Geh nicht, Damian. Jacopo de’ Pazzi wird dich nur noch tiefer in den Abgrund reißen. Es heißt, Messer Francesco habe großen Einfluss auf ihn. Man erzählt sich, sein Neffe sei von den gleichen bösartigen Dämonen besessen wie seine unseligen Vorfahren. Und da macht es auch nichts, dass er die Geschäfte im Auftrag von Messer Jacopo in Rom führt und einen innigen Kontakt zum Heiligen Vater pflegt«, flüsterte sie unheilschwanger. »Wer mit den Pazzi einen Pakt eingeht, verschreibt seine Seele der Hölle. Um der heiligen Maria, Mutter Gottes, willen, höre ausnahmsweise einmal auf mich, auch wenn du schon lange glaubst, alles besser zu wissen.«

»Bei allem Respekt, den ich Euch und unserem Vater, Gott hab ihn selig, schulde, mein Entschluss ist gefasst.« Damian richtete sich zu voller Größe auf und sah seiner Mutter von oben herab in die Augen. Um zu wissen, dass er das Richtige tat, benötigte er weder ihre Erlaubnis noch ihre Bestätigung, er musste sich nur umschauen. Seit Monaten hauste er mit ihr und den beiden Mädchen in dieser verfallenen Hütte. Nachdem sein Vater auf der Piazza della Signoria in Florenz öffentlich gehängt worden war, hatte man die Familie wegen der angeblich immer noch bestehenden Steuerschuld gnadenlos enteignet. Ihren stolzen Palazzo hatten sie an irgendeinen Bauerntölpel verloren, der mit Lorenzo de’ Medici einen ominösen Pakt eingegangen war.

Renaldo de’ Faniere, ein niederträchtiger Großgrundbesitzer, der unweit entfernt sein Anwesen bewirtschaftete, hatte das gesamte Vermögen von Damians Eltern mit Unterstützung Lorenzo de’ Medicis und der florentinischen Ratsversammlung für einen Spottpreis aufkaufen dürfen. Der verbliebenen, aufs tiefste gedemütigten Familie de’ Castello hatte er danach großzügig eine Anstellung auf seinen Feldern und in seinem Haushalt angeboten.

Ihnen selbst war nur das verfallene Gesindehaus geblieben, und so kurz nach dem Winter hätte sie beinahe der Hungertod ereilt, wenn nicht ihre ehemaligen Bediensteten so barmherzig gewesen wären, ihre Vorräte mit ihnen zu teilen. Wobei sie noch froh sein durften, dass die Regierung von Florenz sie nicht alle in Sippenhaft genommen und komplett in die Verbannung geschickt hatte.

Kein Wunder, dass Damian mehrmals daran gedacht hatte, de’ Faniere zu töten. Doch damit hätte er seiner Familie keinen brauchbaren Dienst erwiesen. Mit den Günstlingen Lorenzo de’ Medicis, der als heimlicher Statthalter über Florenz und Umgebung regierte, verhielt es sich wie mit einer Hydra. Schlug man einen Kopf ab, wuchsen sogleich zwei neue. Deshalb galt es die ganze Schlange zu vernichten und nicht nur deren Häupter.

»Gegen den Löwen kommst du nicht an«, widersprach seine Mutter und meinte damit Lorenzo de’ Medici, der diesen Beinamen ganz offen für sich beanspruchte. Unter anderem auch, weil der Löwe eines der wichtigsten Symbole von Florenz war und schon Lorenzos Vater einige lebendige Exemplare dieser Raubkatzen in einer privaten Menagerie gehalten hatte.

»Denkt Ihr, Mutter, ich würde als verbliebenes Oberhaupt der Familie meine wunderhübschen Schwestern diesem feisten Scheusal Renaldo als Huren überlassen, nur um überleben zu können?« Wie ein wildgewordener Hengst, der keinerlei Bereitschaft zeigte, sich zähmen zu lassen, schüttelte er seine schwarze, schulterlange Mähne. Das Einzige, was ihm neben seiner Ausrüstung als Zeichen seiner Ritterehre geblieben war. Eigentlich hätte er zu seinem vierundzwanzigsten Geburtstag im November den Mantel eines Advokaten tragen sollen und sich nach einer passenden Braut umschauen dürfen. Doch mit nur einem Schlag hatten Lorenzo de’ Medici und seine Verbündeten, darunter der Gonfaloniere di Giustizia, der mit ihm unter einer Decke steckte, Damians glorreiche Zukunft zunichtegemacht.

»Seit dem ungerechten Tod unseres geliebten Vaters ist nichts mehr, wie es einmal war«, erinnerte er seine Mutter verbittert. »Glaubt Ihr ernsthaft, ich kann mich in ein solches Schicksal ergeben, ohne auch nur einen Finger zu rühren? Abgesehen davon wird sich Euer weiteres Dasein kaum von dem einer Bettlerin unterscheiden, wenn nicht schleunigst ein wenig Geld hereinkommt.« Ohne Mühe hielt Damian ihrem anklagenden Blick stand. »Jacopo de’ Pazzi hat keinen Moment gezögert, mir eine Stellung bei der Leibwache seines Neffen anzubieten. Aufgrund meiner adligen Herkunft und meines juristischen Studiums hat er mir sogar einen Posten als Condottiere zugesichert. Das bedeutet, ich werde eine Truppe von ehrlichen Männern anführen und dafür einen anständigen Sold erhalten. Von dem Geld kann ich Euch und den Mädchen wenigstens ein halbwegs vernünftiges Auskommen sichern, auch wenn Isabella und Ricarda ihren Anspruch auf eine standesgemäße Hochzeit zu Grabe tragen müssen, weil es mir kaum gelingen wird, ihnen eine entsprechende Mitgift zu garantieren.«

»Heilige Maria, Mutter Gottes, hilf«, flüsterte seine Mutter mit tränenerstickter Stimme. »Damian, so werde doch vernünftig. Ich kann nicht zulassen, dass du wegen uns deine Seele an den Teufel verkaufst. Die Pazzi sind verflucht, Junge. Jeder weiß es.«

»Unsinn, Mutter«, widersprach er, und trotz dieser Ungeheuerlichkeit weigerte sich alles in ihm, sein Mundwerk zu zügeln. »Das ist übles Gerede, von Lorenzo de’ Medicis Anhängern höchstpersönlich in die Welt gesetzt. Nichts davon ist wahr!«

»Ich weiß es von einer alten Seherin in Fiesole«, erwiderte Damians Mutter mit unheilschwangerer Stimme und warf ihm dabei einen Blick zu, als ob er selbst von Dämonen besessen wäre. »Obwohl die Pazzi von der Kirche begünstigt scheinen«, fuhr sie heiser flüsternd fort, »wird die gesamte Familie eines nicht allzu fernen Tages ein furchtbares Schicksal ereilen, und alle, die ihnen dienen, werden mit ihnen untergehen.«

»Altweibergeschwätz«, wischte Damian die Bedenken seiner Mutter mit einer wegwerfenden Handbewegung vom Tisch.

»Das ist es nicht«, zischte die sonst so sanftmütige Frau mit schmalen Lippen. »Als Pazzino de’ Pazzi im Jahre 1099 mit seinen Männern Jerusalem eroberte, haben sie Tausende Heiden und Juden erschlagen. Er und seine Krieger standen bis zu den Knöcheln im Blut der Getöteten. Hauptsächlich Alte, Schwache, Frauen und Kinder. Man erzählt sich, ein finsteres Dämonenheer sei durch die eroberte Stadt gezogen und habe auf ewig all jene gezeichnet, die durch ihr erbarmungsloses Vorgehen schwere Schuld auf ihre Seelen geladen hatten. Darunter auch Pazzino de’ Pazzi und seine Männer.«

»Soweit mir die Geschichtsschreibung bekannt ist«, hielt Damian mit einem triumphierenden Lächeln dagegen, das bezeugen sollte, wie wenig ernst er die Ausführungen seiner Mutter nahm, »wurden Pazzino und seine Männer mit großen Ehren in Rom vom Papst und in Florenz vom Bischof empfangen, und zur Belohnung ihres Beitrags zur Eroberung der Heiligen Stadt durften sie auf Geheiß des Papstes sogar die mitgeführte Reliquie der drei Feuersteine aus dem Heiligen Grab behalten, mit denen bis heute das Osterfeuer in der Basilika entzündet wird.«

»Ach Junge …« Nun war es an ihr, ihn mit einem mitleidigen Lächeln zu bedenken. »Was weißt du schon von Schuld? Glaubst du ernsthaft, Gott der Herr lässt sich von solch fragwürdigen Taten blenden und macht einen Unterschied zwischen Juden, Heiden und Christen? Wer seine Seele mit dem Blut eines Unschuldigen befleckt, wird für diese Todsünde in der Hölle büßen, da helfen auch keine heiligen Steine.«

»Selbst wenn du recht hättest«, Damian zuckte gleichgültig mit den Schultern, »was hat Francesco de’ Pazzi mit seinem Vorfahren zu tun?«

»Abgesehen davon, dass ein solcher Fluch über Generationen an die Nachfahren weitergegeben wird, glaube ich manchmal, du läufst blind durch die Gegend, mein Sohn«, schalt sie ihn. »Hast du dir den glutäugigen Franceschino noch nie genau angesehen?«

»Natürlich, er ist ein hochgeachteter Soldat.«

»Ich meine nicht seinen Rang, sondern sein Äußeres.«

»Sein Aussehen interessiert mich nicht, Mutter, schließlich bin ich kein Sodomit!«

»Er ist der Teufel in Person«, orakelte Donna Eleonore mit düsterem Blick. »Und ja, er ist ein gutaussehender Kerl, soweit ich das als alte Frau beurteilen kann. Rein äußerlich könnte er sogar dein Bruder sein. Aber ich schwöre bei Gott, er ist es nicht. Was du als großes Glück betrachten solltest, denn die Seele seines verfluchten Vorfahren wurde in ihm wiedergeboren. Allein an seinen dunklen, dämonischen Augen kann man erkennen, wie durch und durch schlecht er ist. Sein aufbrausendes Temperament ist in aller Munde, und seine Moral, was den Umgang mit Frauen betrifft, ist von so schlechtem Ruf, dass man meinen könnte, er sei in Wahrheit ein Hurenwirt.«

Für einen Moment wusste Damian nicht, was er auf eine solche Anschuldigung erwidern sollte. Doch dann besann er sich eines Besseren. »Francesco ist ein erfolgreicher Kaufmann und Kriegsherr mit hervorragenden Verbindungen zum Vatikan. In einer solchen Position ist es nicht ratsam, in welcher Weise auch immer zimperlich zu sein. Er ist gezwungen, sich durch seine Taten Respekt zu verschaffen. Ein Schicksal, das er mit vielen anderen Anführern teilt. Trotzdem hat ihm noch niemand die heilige Messe verweigert. Schon gar nicht haben ihn seine angeblichen Dämonen davon abgehalten, ein Gotteshaus zu betreten. Was unweigerlich der Fall wäre, sobald sie auf ein gesegnetes Kreuz treffen.«

»Glaubst du ernsthaft, Dämonen ließen sich von heiligem Boden und einem Kreuz schrecken? Wenn es so wäre, warum haben sie dann dafür gesorgt, dass unser Herr Jesus just an diesem Kreuz getötet wurde? Und das Kreuz konnte sie auch nicht davon abhalten, Tausende Menschen abzuschlachten. Einzig ein reines Herz kann sie auf Abstand halten. Und das ist etwas, das keiner der Patriarchen von Florenz besitzt. Schon gar nicht die Pazzi. Glaub mir, Damian«, flehte sie händeringend. »Francesco ist von Dämonen besessen, und durch ihn ist seine gesamte Familie diesen Dämonen ausgeliefert und du mit ihnen, wenn du nicht schleunigst einen anderen Weg einschlägst.«

Isabella und Ricarda hatten sichtlich beunruhigt ihr Nähzeug zur Seite gelegt und starrten ihre Mutter entgeistert an, doch keine von ihnen getraute sich, einen Kommentar abzugeben.

»Ich kann keinen anderen Weg einschlagen, Mutter«, betonte Damian steif. »Und ich will es auch gar nicht. Das Einzige, was ich will, ist Geld verdienen, um Euch und die Mädchen unterstützen zu können …« Er zögerte und wich ihrem kritischen Blick aus.

»Und was willst du noch?«, fragte sie leise.

Er blickte auf, unfähig, sie anzulügen. »Rache«, bekannte er klar und deutlich. »Ich will Rache für den Tod unseres Vaters. Die Männer, die ihm das angetan haben, sollen sterben, nicht mehr und nicht weniger.«

Er straffte sich und schickte sich an, zur Tür zu gehen.

»Komm noch einmal her«, befahl ihm seine Mutter in unduldsamem Ton, aus dem ihre Anstrengung zu hören war. Er gehorchte zögernd.

»Auch wenn es vielleicht keinen Sinn ergibt und die Dämonen, die bereits von dir Besitz ergriffen haben, sich von einer alten Frau nichts sagen lassen. Ich möchte dich zum Abschied segnen. Knie nieder!«

Damian tat, was sie verlangte, und verdrängte mehr oder weniger erfolgreich das mulmige Gefühl, welches ihn beschlich, während seine Mutter ihn ausgiebig bekreuzigte.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, murmelte sie fest. »Lieber Gott, ich bitte dich um deine Gnade, lass meinen einzigen Sohn für immer in deinem Angesicht bleiben und seine Seele den Mächten der Finsternis trotzen. Amen.«

Kapitel2

April 1476 – Florenz

Die Sonne stand schon tief über dem Arno und spiegelte sich wie rotglühendes Feuer in den auffälligen Bogenfenstern des dreistöckigen Palazzo Pazzi, als Damian endlich sein Ziel erreichte. Der hochherrschaftliche Bau war von Giuliano da Maiano geplant worden, einem Meister der florentinischen Architektur, und stand ziemlich prominent an jener Stelle, wo die Via dei Balestrieri die Borgo di San Pier Maggiore kreuzte.

Bereits von der Straße her offenbarte sich dem interessierten Betrachter die künstlerisch gestaltete Häuserfront, von zahlreichen Fresken geschmückt, die jenen heldenhaften Vorfahren der Pazzi bei seiner Eroberung von Jerusalem zeigten, den Damians Mutter als Auserkorenen der Dämonen bezeichnet hatte.

Die Säulenabschlüsse in den Arkadengängen waren mit Skulpturen von Delphinen versehen, die wohl Freude und Großzügigkeit ausdrücken sollten, und den drei Flammen des Heiligen Feuers, das Pazzino de’ Pazzi angeblich aus Jerusalem mit heimgebracht hatte. Beides gehörte zum Familienwappen der Pazzi, ebenso wie die Kreuze des Heiligen Grabes von Jerusalem, die sich nicht nur auf dem Abzeichen über dem Haupttor widerspiegelten, sondern auch auf den Strümpfen und Westen der Garde und den verschiedenen Kleidungsstücken der Familienmitglieder, wo sie auf tiefblauem Grund mit goldenem Zwirn aufgestickt waren.

Damian fiel der schwarze Trauerflor ins Auge, der überall an Erkern und Säulen aus durchscheinenden Seidentüchern angebracht worden war. Soweit er wusste, galt diese Geste der Anteilnahme am Tode Simonetta Vespuccis, der angeblich schönsten Frau von Florenz, die nach Auskunft der amtlichen Vertreter der Stadt vor nicht allzu langer Zeit an der Schwindsucht verstorben war. Obwohl Simonetta immer eine glühende Verehrerin der Medici gewesen war, ließen es sich die meisten vornehmen Familien wohl nicht nehmen, ihren Verwandten und auch den Medici ihre Anteilnahme unter Beweis zu stellen. Aber es hieß auch, ihr Mann, Marco Vespucci, habe sich bereits vor ihrem Tod den Pazzi zugewandt, weil er Giuliano de’ Medici, den Bruder Lorenzos, abgrundtief hasste. Die Spatzen pfiffen es von den Dächern, dass seine junge Frau eine Affäre mit Lorenzos Bruder gehabt haben solle. Trotzdem zeigte man wohl auch hier Respekt vor der prominenten Toten.

Damian verknüpfte eine andere Erinnerung mit Simonetta, doch die war zu süß und gleichzeitig zu bitter, um sich darin zu vertiefen.

Am Eingang des Palazzo wurde Damian, nachdem er den weitläufigen Innenhof betreten hatte, von einem Wachmann begrüßt. Der in blaues und gelbes Tuch gewandete Mann verlangte nach seinem Begehr, und als Damian sich als zukünftiger Condottiere des Hauses Pazzi ausgab, wollte der Uniformierte seine Empfehlungsschreiben sehen.

Nachdem Damian ihm diese mit einem gewissen Stolz in der Brust vorgelegt hatte, beauftragte der Wächter einen jungen Hausdiener, den ersten Schreiber der Pazzi zu rufen, der die Schriftstücke ohne Mühe als Messer Jacopos Handschrift legitimierte. Danach ging alles wie von selbst. Während Damian seinen Hengst einem Knappen überlassen durfte, der das Tier in einen großzügigen Stall führte, schritt er selbst in Begleitung des Schreibers eine breite Treppe hinauf zum Arbeitszimmer Jacopo de’ Pazzis. Auf dem Weg dorthin begegneten ihnen ein paar kichernde Mädchen, die ihn an seine Schwestern erinnerten und ihm bewusst machten, warum er das alles auf sich nahm. Die jungen Frauen waren kostbar gekleidet und gehörten allem Anschein nach zur Familie. Sie lächelten ihm schüchtern zu und bekundeten unter einem verschämten Augenaufschlag ihr unverhohlenes Interesse an seiner Erscheinung, obwohl seine Kleidung weiß Gott keinen Reichtum versprach. Damian war sich seines guten Aussehens durchaus bewusst. Jedenfalls hatte er noch nie Probleme gehabt, sich bei der Damenwelt Aufmerksamkeit zu verschaffen. Selbst Sandro Botticelli hatte ihn vor ein paar Jahren, anlässlich des vorösterlichen Reit- und Kampfturniers unter den adligen Söhnen von Florenz, ohne Scheu angesprochen, während er halbnackt, verschwitzt und blutbesudelt am Spielfeldrand sitzend mit seiner Mannschaft auf die nächste Partie Treibball wartete. Der aufstrebende Künstler wollte wissen, »ob er mit seinen schiefergrauen Augen, den dichten, schwarzen Haaren und seiner athletischen Figur nicht für ihn Modell stehen wolle«. Doch Damian hatte wie seine lachenden Kameraden nur Spott für Botticelli übriggehabt und ihn gefragt, ob ihm die Sodomiten ausgegangen seien, was dieser zugegebenermaßen überhaupt nicht lustig fand.

Einzig seine große Liebe hatte Damian weder mit seinem Charme noch mit seinen Muskeln erobern können. Sie hatte sich auf Geheiß ihrer Verwandtschaft für einen reichen und abgrundtief hässlichen Kaufmann aus Mailand entschieden. Trotzdem erhoffte er sich von seiner Anstellung bei den Pazzi auch wieder ein wenig mehr Glück in der Liebe, war es doch schon einige Zeit her, seit er das Bett mit einer Frau geteilt hatte.

Die Sterne schienen für Damian gut zu stehen, als der in die Jahre gekommene, leicht untersetzte Messer Jacopo de’ Pazzi (Messer galt für die Bezeichnung des Ritterstandes, eines Titels, dessen sich Damian aufgrund seiner adligen Herkunft auch bedienen durfte) vor ein paar Wochen auf ihn aufmerksam geworden war. Damals hatte sich Damian auf der Suche nach einer Anstellung an den Hauptmann der Wachmannschaften der Villa Loggia in Montughi gewandt.

Das stolze Anwesen der Pazzi lag unweit von Fiesole, in den Hügeln vor Florenz, und gehörte zu den zahlreichen Liegenschaften der schwerreichen Pazzi-Sippe.

Zwei Köpfe kleiner als Damian und offenbar beeindruckt von dessen breitschultriger Statur, engagierte ihn das grauhaarige Oberhaupt der Pazzi vom Fleck weg als Anführer einer neuen Söldnertruppe, die offiziell seinem jüngeren Neffen Francesco unterstand.

»Wenn Ihr so gut mit dem Schwert kämpfen könnt, wie Eure Reitkünste und die Eleganz Eurer Bewegungen versprechen, seid Ihr für mich und meinen Neffen in jedem Fall der richtige Mann«, hatte Messer Jacopo bereits damals geschwärmt und ihn zwei Wochen später zu einem weiteren Gespräch auf den Sommersitz der Pazzi eingeladen. Dort war er das erste Mal auf Francesco de’ Pazzi persönlich getroffen. Er war ein dunkelhäutiger, glutäugiger Mann mit schulterlangen, schwarzen Haaren, also ganz so, wie Damians Mutter ihn beschrieben hatte, der ihn neben seinem neuen Amt als Anführer einer zweihundert Mann starken Söldnerarmee in Kriegszeiten zum Truppführer seiner neuen Leibgarde im Frieden ernannte. Sie bestand angeblich nur aus einer Handvoll bestens gerüsteter Männer, die im Gegensatz zu den übrigen Wachsoldaten besondere Aufgaben zu übernehmen hatten. Um was genau es sich dabei handelte, wollte Jacopo de’ Pazzi ihm erst bei Dienstantritt mitteilen.

»Da sind wir«, verkündete der Schreiber und machte mit Damian vor einer hohen, mit Gold verzierten Tür halt. Ein weiterer Wachmann, der draußen auf sie gewartet zu haben schien, meldete sie bei Messer Jacopo an.

»Schön, Euch zu sehen, Messer Damian«, empfing ihn der Familienvorstand der Pazzi lächelnd und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Danach schickte er merkwürdigerweise den Schreiber hinaus mit dem Hinweis, er wolle mit Damian unter vier Augen sprechen. Jedoch nicht ohne sich zuvor von einem Diener einen besonders edlen roten Wein samt der dazu passenden Häppchen servieren zu lassen. »Greift nur zu«, empfahl ihm Messer Jacopo und deutete auf Käsegebäck und kandierte Früchte, dazu reichte er Damian einen Kristallkelch, in den er den Wein persönlich für ihn eingegossen hatte. »Ihr habt einen langen Ritt hinter Euch, Ihr müsst hungrig sein.«

Damian nahm das kostbare Glas entgegen und schaute sich unsicher um, so viel Prunk war er selbst aus dem ehemals wohlhabenden Haus seiner Eltern nicht gewöhnt.

»So setzt Euch doch«, forderte Messer Jacopo ihn mit einer ungeduldigen Geste auf und deutete auf einen gepolsterten Stuhl. »Wenn wir mit unserem kleinen Exkurs fertig sind, möchte ich Euch gerne zum Abendessen einladen, später wird Euch mein Diener Eure Unterkunft zeigen. Ich habe Euch in den Unterkünften der Söldner eine eigene Kammer zuweisen lassen.« Er zwinkerte Damian wissend zu. »Als Mann von Stand möchte man sicher ab und an seine Privatsphäre haben, nicht wahr?«

»Habt Dank, Messer Jacopo«, erwiderte Damian zurückhaltend, obwohl er allgemein nicht unbedingt zur Schüchternheit neigte. Aber so viel Zuwendung auf einmal, zumal er noch nichts geleistet hatte, irritierte ihn. »Ich fürchte nur, das alles ist zu viel der Ehre.« Mit einem vorsichtigen Blick begegnete er den listigen, schwarzen Augen seines Gegenübers.

»Keineswegs, mein Freund«, entgegnete Jacopo. »Schließlich seid Ihr ein Ritter wie unsereiner und von Lorenzo de’ Medici aufs tiefste gedemütigt worden. Ich habe nicht nur ein Interesse daran, Eure Ehre wiederherzustellen. Wie mein Neffe bin ich bestrebt, unseren Widersachern das Handwerk zu legen, und wer eignet sich besser für eine solche Aufgabe als ein Mann, dem von eben jenen Feinden alles genommen wurde? Wobei ich zu bedenken gebe, dass wir keine gebrochenen Weichlinge gebrauchen können, sondern hartgesottene Männer wie Euch, die sich von der gegnerischen Seite nichts gefallen lassen und zugleich so bescheiden auftreten, als wären sie unschuldige Chorknaben.«

Damian nahm einen hastigen Schluck Wein und hob eine Braue.

»Ich glaube, ich verstehe nicht ganz«, bemerkte er zögernd. »Ich dachte, ich solle mich in erster Linie um Eure neu gegründete Schutztruppe kümmern, ihre Kampfübungen überwachen und sie ins Feld führen, falls Eure Verbündeten in Kriegszeiten Unterstützung verlangen.«

Messer Jacopo lachte kollernd. »Natürlich sollt Ihr das. Zumindest wird es Eure offizielle Aufgabe sein. Doch das ist längst nicht alles, wie ich bei unserem letzten Gespräch bereits erwähnte. Es ist nicht ganz einfach, Euch aus dem Nichts heraus ein Beispiel zu geben. Aber wie Ihr Euch vielleicht denken könnt, tobt seit Jahren ein unterschwelliger Machtkampf zwischen uns und den Medici, der zumindest nach außen hin zugunsten der Gegenseite verläuft. Die Medici setzen alles daran, die notwendigen Mehrheiten zu bestechen, um uns aus den wichtigen Ämtern in der Signoria von Florenz hinauszudrängen. Und nicht nur das. Auch im Kaufmännischen versuchen sie uns zu schaden, wo es nur geht. Wenigstens konnten wir den Papst inzwischen auf unsere Seite ziehen. Denn auch dem Heiligen Vater sind die Medici inzwischen zu sehr erstarkt, er würde Lorenzos Hochmut gerne brechen. Sicher ein Grund, warum er die Pazzi-Bank und nicht die Medici mit der Finanzierung von dreißigtausend Dukaten beauftragt hat, um die Festung Imola einnehmen zu können. Und auch die Unterstützung unserer Familie beim Erwerb des Alaunmonopols ist ein Zeichen seiner unendlichen Güte. Tatsachen, die Lorenzo de’ Medici in Wut und Wahnsinn treiben. Im Gegenzug versucht dieser weiterhin, gegen den Papst und seine Schützlinge vorzugehen, und biedert sich dem Herzog von Mailand an. Auf der anderen Seite hat er durch diverse Fehlentscheidungen nicht nur den Papst, sondern auch den Herzog von Urbino gegen sich aufgebracht. Federico da Montefeltro kennt sich als langjähriger Heerführer hervorragend im Kriegshandwerk aus und verfügt über eine beeindruckende Söldnertruppe. Er stellt also durchaus auch eine Bedrohung für Lorenzos Machtgelüste dar, obwohl er sich davon noch nichts anmerken lässt.«

»Verzeiht, Herr«, wandte Damian unvermittelt ein. »Verstehe ich das richtig, Ihr wollt Euch mit dem Papst verbünden, um einen Krieg gegen die Medici zu führen? Ist das der Grund, warum Ihr nun eine eigene Armee aufgestellt habt?«

»Von Wollen kann gar keine Rede sein«, erwiderte Messer Jacopo jovial. »Eher von Müssen. Allerdings sollten zunächst einmal die entsprechenden Ränke geschmiedet werden, um das Feld für die anstehende Schlacht zu bereiten. Bis dahin haben wir nicht vor, offen zu Felde zu ziehen. Vielmehr werden wir uns auf kleine, spitze Nadelstiche konzentrieren, die – perfekt ausgeführt – unseren lieben Lorenzo im wahrsten Sinne des Wortes in die Irre führen.« Er lachte düster und genehmigte sich einen Schluck Wein. »Nicht umsonst bedeutet Pazzi Irrer. Schon unsere Vorfahren waren augenscheinlich in der Lage, ihre Feinde in den Wahnsinn zu treiben. Doch dafür benötigen wir keine Truppe von über zweihundert Soldaten. Die habe ich nur zur Abschreckung eingekauft und, wie ich bereits sagte, um sie im Falle des Falles unter Eurer Führung zur Verstärkung meiner Verbündeten einsetzen zu können. Für die subtile Vorbereitung unserer Vernichtungspläne benötige ich weitaus weniger Männer, aber diese müssen umso verlässlicher sein. Deshalb will ich, dass Ihr über die Aufgabe als Condottiere hinaus die Leibgarde meines Neffen Francesco in Florenz befehligt, die sich aus Euch und vier weiteren, ausgesuchten Söldnern zusammensetzen wird. Da Francesco die meiste Zeit in Rom weilt, habt ihr genügend Zeit, zusammen mit diesen Männern diverse Geheimaufträge zu erledigen, die strikter Verschwiegenheit bedürfen. Eure Tarnung wird durch die Einbindung in den kaum nachzuvollziehenden Söldneralltag der übrigen Pazzi-Truppen gewährleistet.«

»Und was genau sollen wir tun?« Damian sah seinen neuen Herrn, dessen Lippen sich noch immer belustigt kräuselten, aus schmalen Lidern an.

Mit einem Schlag wurde Messer Jacopos Miene hart. »Ihr sollt töten.« Seine Stimme war so eisig, dass Damian das Blut in den Adern gefror. »Wer unseren Feldzug nicht unterstützt oder gar stört, muss sterben. Wer offene Rechnungen nicht pünktlich bezahlt, muss sterben. Wer uns an die Gegenseite verrät, findet den Tod. Ihr werdet das mit den Euch zugeteilten Männern erledigen, Messer Damian. Lautlos und ohne Spuren zu hinterlassen.«

Kapitel3

Mai 1476 – Florenz

Zunächst war Damian schockiert und nahe daran, dem Rat seiner Mutter zu folgen und seinen Dienst, kaum dass er ihn angetreten hatte, wieder zu quittieren. Was bedeuten würde, er musste das Angebot ablehnen, um sein Seelenheil vor einer solchen Teufelei zu bewahren. Doch so einfach war das nicht. Erstens hatte Messer Jacopo ihn bereits ins Vertrauen gezogen, und es war nicht abzusehen, wie er auf eine solche Abfuhr reagieren würde. Das Letzte, was Damian gebrauchen konnte, war, neben Lorenzo de’ Medici einen weiteren mächtigen Paten gegen sich aufzubringen. Und zweitens dachte er an den Tod seines Vaters. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, empfand er eine unselige Form blutrünstiger Vorfreude bei dem Gedanken, jene Männer, die das demütigende Sterben Ernesto de’ Castellos in aller Öffentlichkeit bejubelt hatten, nun im Auftrag der Pazzi dafür büßen zu lassen.

Eine Frage interessierte ihn noch, auch wenn sie das Risiko barg, dass Messer Jacopo ihm eine Antwort schuldig blieb. »Warum habt Ihr mich für eine solche Aufgabe ausgewählt? Ihr habt doch genug Söldner, die so etwas leicht erledigen könnten.«

»Weil wir dafür intelligente Kämpfer benötigen, auf die wir uns einhundertprozentig verlassen können. Wie Ihr Euch vielleicht vorstellen könnt, sind solche Missionen äußerst heikel. Die Oberen der ›Otto di Guardia‹, denen der Geheimdienst der Signoria untersteht, haben ihre Augen und Ohren überall. Sie arbeiten unter dem stetigen Einfluss der Medici und sind somit unser größter Feind. Das setzt nicht nur ein gewisses Geschick bei den Vorbereitungen besagter Einsätze voraus, sondern auch strikte Verschwiegenheit. Außer Messer Francesco und mir wissen nicht einmal unsere engsten Verwandten, was Ihr da tut. Und auch die übrigen zweihundert Söldner unserer Kampftruppe dürfen nichts davon erfahren.«

Damian nickte mit abwesendem Blick, kaum fähig, seine Unruhe zu verbergen. »Und wer sind meine Mitstreiter?«

»Ihr Schicksal ist dem Euren recht ähnlich«, erklärte Jacopo mit einem undurchsichtigen Lächeln. »Ihre Namen sind: Frederico Tedesco, genannt ›Tedeschi‹, ein blonder Deutscher aus dem Herzogtum Württemberg, dessen Vater bei der Medici-Bank in Basel Geld geliehen hatte, das er nicht zeitig zurückzahlen konnte. Woraufhin ihn Lorenzo durch seine Verbindung zu den Herrschenden hat enteignen und ähnlich wie Euren Vater im Schuldenturm jämmerlich hat zugrunde gehen lassen. Hinzu kommt Luca Allegro, auch ›Moro‹ genannt, ein dunkelhäutiger Söldner aus Pisa, dessen Familie auf eine vergleichbare Weise durch die Habgier der Medici vernichtet wurde. Dann wäre da noch Gulliveri Lamberti, genannt ›la pecora‹, das Schaf, ein kraushaariger Jüngling aus Volterra. Dessen gesamte Familie wurde vor vier Jahren beim Krieg mit Florenz von Lorenzo de’ Medicis Truppen brutal niedergemetzelt. Wobei sie keine Rücksicht auf Frauen und Kinder genommen haben. Gulliveri ist dem Tod nur deshalb entgangen, weil er sich mit seinem Onkel auf einer Pilgerreise nach Rom befand. Und zuletzt wäre da noch Laurentio di Baux, ein junger, schlanker Adliger aus Mailand. Er trägt schulterlanges, dunkelblondes Haar, wie es eines Ritters würdig ist. Eure Kameraden nennen ihn auch ›patrizio‹, weil man angeblich allein an seiner Haltung erkennen kann, dass er aus besseren Kreisen stammt. Seine jüngste Schwester wurde vor zwei Jahren von Lorenzos Söldnern zu Tode geschändet. Für die seitens der Familie di Baux geforderte Wiedergutmachung in Form einer Verurteilung der Täter zum Tod am Strang hatte Lorenzo de’ Medici nur Spott übrig. Geschweige denn war er bereit, eine Entschädigung in Höhe von fünftausend Fiorini zu zahlen. Im Gegenteil, seine Advokaten haben Laurentios Schwester als freizügige Mätresse am Hof des Herzogs von Mailand bezeichnet, die es nur darauf angelegt habe, sich von jedem dahergelaufenen Hund besteigen zu lassen. Obwohl Laurentios Vater lange als Notar in den Diensten von Galeazzo Maria Sforza gestanden hat, wollte dieser offenbar keine Missklänge zwischen Mailand und Florenz aufkommen lassen. Schon gar nicht wegen einer für ihn unbedeutenden jungen Frau. Seitdem hat Laurentio Rache geschworen. Nur der Tod der Medici wird die Ehre seiner Schwester wiederherstellen können. Ich meine, das alles sind ausgezeichnete Voraussetzungen, um bei den anstehenden Aufgaben die notwendige Begeisterung entwickeln zu können. Findet Ihr nicht auch?« Jacopos Augen glitzerten vor Vergnügen, weil er offenbar bei der Auswahl der Männer ein so glückliches Händchen gehabt hatte.

Dass dieses Potential an unbefriedigter Genugtuung wie dafür geschaffen war, die düsteren Pläne der Pazzi voranzutreiben, hatte wohl auch sein Neffe Francesco inzwischen erkannt.

Damian nickte schweigend. Selbst wenn das Vorhaben, die Medici zu stürzen, zunächst noch in weiter Ferne zu liegen schien, weil Lorenzo und sein Bruder einfach zu gut bewacht wurden, würde er bis dahin all jene mit Wonne dafür bluten lassen, die diesem Abschaum zu Diensten waren und weniger Vorsicht walten ließen.

Einige Monate später bereiteten sich Damian und seine vier Kameraden, die ihn von Beginn an vorbehaltlos als Anführer akzeptiert hatten, in der Abgeschiedenheit eines kleinen Besprechungsraumes auf einen weiteren, von Messer Jacopo befohlenen Auftragsmord vor. Inzwischen waren sie eine eingespielte Truppe. Die anfänglichen Skrupel hatten sie längst überwunden und sogar eine gewisse Eleganz entwickelt, was die Art und Weise des Tötens betraf.

Seit ihrem Dienstantritt hatten sie sieben Männer unauffällig ins Jenseits befördert. Wobei der Tod dieser Männer Florenz und seine Oberen durchaus in Aufruhr versetzt hatte, aber der oder die Täter blieben im Sumpf der erfolglosen Ermittlungsarbeit der »Otto« verschwunden. Ebenso wie einige Leichen, derer man nicht habhaft geworden war, und so konnten die betroffenen Angehörigen nichts anderes tun, als die abgängigen Personen als vermisst zu melden. Nicht wissend, dass ihre Lieben längst im Arno gelandet waren und als Fischfutter dem Meer entgegentrieben.

Natürlich war so etwas nicht angenehm, aber genauer betrachtet hatte Damian es sich schlimmer vorgestellt. Was vielleicht daran lag, dass die Planung stimmte und sie es gemeinsam taten. Aber auch weil es sich ausnahmslos um sogenannte Speichellecker Lorenzo de’ Medicis handelte, die es in den Augen ihrer selbsternannten Henker nicht besser verdient hatten.

Pietro della Scappi, ein angesehener Berater der Medici, war so ein Beispiel. Er machte seit neuestem im Auftrag der Medici Stimmung gegen die Pazzi, indem er bei florentinischen Kaufleuten das Gerücht verbreitete, es habe Unregelmäßigkeiten bei Pazzi-Banken in Brügge und Basel gegeben, mit entsprechenden Verlusten. Ihr Geld sei dort also nicht sicher, weil es mit den Geschäften der Medici-Konkurrenz allem Anschein nach nicht zum Besten stünde.

Messer Jacopo hatte della Scappi verflucht, als ihm die Geschichte zu Ohren kam. Zusammen mit seinem Neffen Francesco hatte er die Sache eine Weile aus der Ferne beobachtet, ohne jedoch seine übrigen Verwandten darüber in Kenntnis zu setzen. Zunächst hatten sie es noch im Guten versucht und della Scappi ein hübsches Sümmchen geboten, damit er die Seiten wechselte. Nachdem sich della Scappi als nicht bestechlich erwiesen hatte, war vor drei Tagen eine geheime Entscheidung zu seinen Ungunsten gefallen. »Pietro della Scappi muss sterben und das möglichst unauffällig«, bestimmte Messer Jacopo kalt. Damian hatte daraufhin ein wenig ermittelt und herausgefunden, dass der vermögende Mann mindestens einmal wöchentlich in der Herberge »Zu den sieben Sternen« auf der anderen Seite des Arno einen Abend mit jungen, männlichen Huren verbrachte. Meist feierten sie ausgelassen und inkognito in della Scappis großzügiger Herbergskammer, wo sie sich offenbar ausschweifenden fleischlichen Genüssen hingaben. Allerdings übernachtete della Scappi dort niemals. Was zu dem Plan geführt hatte, ihn auf dem Heimweg zu töten.

Unter den Söldnern, die Damian nun unterstanden, war es ein ehernes Gesetz, vorher nur wenig und hinterher gar nicht mehr über die erledigten Aufträge zu reden. Entsprechend schweigsam bereiteten sie sich auf ihren Einsatz vor.

Damian und seine Kameraden ließen sich ihre Anspannung nicht anmerken, während sie vor dem Ausgang in die Stadt routiniert den unauffälligen Sitz ihrer Waffen überprüften. Wie üblich gürteten sie ihre Schwerter über dem dunklen Wams. Hinzu kam ein nadelspitzer Langdolch, der unter dem Mantel in einer extra gegürteten Lederscheide steckte und gegen den ein Schwert geradezu harmlos erschien. Mit dem Dolch konnte man ein ahnungsloses Opfer im Handumdrehen aufspießen. Trotzdem kam diese Waffe unter Damians Befehl nur im äußersten Notfall zum Einsatz.

Er bevorzugte einen lautlosen, möglichst unblutigen Tod, indem er seine Opfer erstickte oder ihnen das Genick brach.

Das hatte darüber hinaus den Vorteil, dass sie ihre Kleider nicht verbrennen mussten, weil es unter den Wäscherinnen ansonsten zu dummen Fragen gekommen wäre. Außerdem hätte Messer Jacopo es garantiert nicht gutgeheißen, wenn sie nach jedem Auftrag neue Hosen und Mäntel benötigten. Zumal er einiges in ihre möglichst unauffällige und doch kostbare Zivilkleidung investiert hatte. Neben einem hellen Leinenhemd und einem dunklen, knielangen Wams aus braunem Samt trugen sie gewöhnlich eine enge, auf den Leib geschneiderte, weiche Hirschlederhose. Im Gegensatz zu den Uniformen, die sie bei offiziellen Anlässen anhatten, verzichtete man bei diesen Kleidern aus Gründen der Tarnung auf das Zeichen der Pazzi. Dazu kamen ein paar dunkelbraune Reitstiefel aus bequemem Ziegenleder, die bis zu den Oberschenkeln reichten und bei Bedarf bis zu den Knien hinuntergekrempelt werden konnten. Über allem trugen Damian und seine Kameraden einen knielangen, schwarzen Überrock aus leichter, feingewebter Wolle, der sich nicht nur bei Dunkelheit als nützlich erwies, sondern auch zur Verhüllung der Waffen.

Am späten Nachmittag legten Damian, Tedeschi, Gulliveri, Luca und Laurentio so gewandet den Weg zum Ort des Geschehens zu Fuß zurück, indem sie im dichten Gedränge der Händler und Käufer getrennt voneinander die Ponte Vecchio überquerten und sich bis zur hereinbrechenden Dunkelheit in einer Taverne gegenüber den »Sieben Sternen« einquartierten, wo sie, ohne viel Aufsehen zu erregen, einen Tisch besetzten und sich unauffällig dem Würfelspiel widmeten. Dabei genehmigten sie sich ein oder zwei Gläser Wein und einen Grappa. Aber nur einen, weil sie für das, was sie vorhatten, bei klarem Verstand bleiben mussten. Auch die vielen schönen Mädchen, die sich ihnen andienten, bissen sich an ihnen die Zähne aus, weil die Pazzi-Söldner keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen durften.