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Vom Industrierelikt zum Tourismusmagnet Es müssen nicht immer Berge oder Strände sein. Auch Industrielandschaften, Zechen oder Fabrikhallen haben touristisches Potenzial, wie Albrecht Steinecke in diesem Band zum Industrietourismus zeigt. Dabei geht er auf die Merkmale und Besonderheiten dieses jungen Tourismussegments ein und skizziert im Detail dessen Bedeutung, etwa für strukturschwache Regionen. Zudem zeigt er Erfolgsfaktoren, Marketingstrategien und Zukunftsperspektiven auf. Eine spannende Lektüre für Destinationsmanager:innen und für Verantwortliche in historischen Industriedenkmälern. Für Studierende und Lehrende an Tourismushochschulen bietet das Buch viele Impulse.
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Seitenzahl: 325
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Albrecht Steinecke
Tourism NOW: Industrie und Tourismus
Zwischen Fabrikruinen, Markenwelten und Kreativquartieren
UVK Verlag · München
Nach dem Studium in Kiel und Dublin war Prof. Dr. Dr. h. c. (BSU) Albrecht Steinecke zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin und der Universität Bielefeld. Zu den weiteren beruflichen Stationen zählen langjährige Tätigkeiten als Geschäftsführer des Europäischen Tourismus Instituts (Trier) und als Hochschullehrer an der Universität Paderborn. Auf der Grundlage seiner Forschungs- und Beratungserfahrungen hat er zahlreiche, teilweise preisgekrönte Studienbücher zu aktuellen touristischen Themen verfasst.
Umschlagabbildung: © Travel_Motion | iStockphoto | Altes Fabrikgebäude illuminiert bei Nacht, Landschaftspark Duisburg Nord.
Autorenbild: © Universität Paderborn
DOI: https//doi.org/10.24053/9783739881904
© UVK Verlag 2022— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]
ISSN 2702-7821
ISBN 978-3-7398-3190-9 (Print)
ISBN 978-3-7398-0583-2 (ePub)
„Du bist keine Schönheit
Vor Arbeit ganz grau
Du liebst dich ohne Schminke
Bist ’ne ehrliche Haut
Leider total verbaut
Aber grade das macht dich aus […]
Du Blume im Revier.“
Herbert GrönemeyerGrönemeyer, Herbert „Bochum“ (1984)
Hässlich, düster und verschandelt – auf den ersten Blick entsprechen Industriestädte nicht den gängigen Vorstellungen von einem Traumreiseziel, das seinen Gästen einen unbeschwerten Aufenthalt in einer schönen Umgebung bietet. Ihr herber Charme und die offene Art ihrer Bewohner scheinen sich erst bei genauerem Hinschauen zu erschließen – und solche Eigenschaften sind touristisch auch nur schwer zu vermarkten.
Dieses spröde Flair ist für Städte und Regionen ein großes Handicap, wenn sie sich erfolgreich auf dem Tourismusmarkt positionieren wollen. Dort agieren bereits zahlreiche Anbieter, die über eine attraktive Produktpalette verfügen und die Erwartungen ihrer anspruchsvollen Kunden erfüllen. Kein Wunder also, dass die „Blume im Revier“ und andere Industriestädte lange Zeit im Schatten von eleganten Seebädern, pittoresken Bergdörfern und pulsierenden Kulturmetropolen standen – und allenfalls Destinationen eines beruflich bedingten Reiseverkehrs waren.
Angesichts dieser harten Konkurrenz und ungünstigen Voraussetzungen ist es umso erstaunlicher, dass sich einige altindustrielle Räume – wie Phönix aus der Asche – in den vergangenen vier Jahrzehnten zu populären Reise- und Ausflugszielen entwickeln konnten (der Begriff „altindustriell“ bezieht sich auf früh industrialisierte Räume, die innerhalb des Industrialisierungsprozesses eine Pionierrolle eingenommen haben). Ihre Renaissance verdanken sie vor allem dem Erhalt und der touristischen Erschließung spektakulärer Industrierelikte.
Von Orten der Arbeit und Produktion zu Stätten der Erholung und des Konsums – dieser Transformationsprozess ist jedoch nicht durch eine spontane Neugier und ein leidenschaftliches Begehren der Nachfrager ausgelöst worden. Vielmehr bedurfte es enormer Anstrengungen von Denkmalpflegern, Politikern und internationalen Organisationen, um das industriegeschichtliche Erbe zu bewahren und das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken.
Inzwischen haben immer mehr Industrieregionen das ökonomische Potenzial des Tourismus erkannt und ein breites Spektrum zeitgemäßer Angebote entwickelt. Es reicht von Industriemuseen und Grubenfahrten über Rundgänge und Themenrouten bis hin zu Vorführungen und Events. Damit sprechen sie vor allem ein Reisepublikum an, das auf der Suche nach neuen Erlebnissen jenseits der ausgetretenen Touristenpfade ist.
Informative und erlebnisreiche Zeitreisen in die Geschichte der Industriellen Revolution sind allerdings nur ein Marktsegment des Industrietourismus. Der Begriff umfasst zudem die touristische Nutzung der gegenwärtigen Industriekultur, denn neben öffentlichen Einrichtungen treten auch zahlreiche produzierende Unternehmen als Akteure auf dem Freizeit- und Reisemarkt auf. Im Rahmen ihrer Kommunikationspolitik nutzen sie öffentliche Werksführungen, eigene Firmenmuseen und aufwändig gestaltete Markenwelten (Brand Lands), um die Besucher zu informieren, ihre Produkte emotional aufzuladen und die Markenloyalität der Konsumenten zu steigern.
Parallel zur Entwicklung des Industrietourismus hat sich die Tourismuswissenschaft mit diesem Phänomen beschäftigt. Ziel des vorliegenden Bandes ist es, den aktuellen Stand der Forschung verständlich und anschaulich darzustellen – u.a. auch durch zahlreiche Beispiele aus der touristischen Praxis. Im Mittelpunkt steht dabei die Beantwortung folgender Fragen:
Was waren die treibenden Kräfte bei der Entwicklung des Industrietourismus?
Welche Besonderheiten weist dieses Marktsegment auf?
Was sind typische Merkmale, Motive und Verhaltensweisen von Industrietouristen?
Wie sind die vielfältigen Aspekte der historischen und gegenwärtigen Industriekultur bislang touristisch in Wert gesetzt worden?
Welche Bedeutung hat der Industrietourismus in Deutschland und anderen Ländern?
Welche wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen werden durch die industrietouristische Nachfrage ausgelöst?
Welche Perspektiven bestehen für dieses Marktsegment und welche Ansprüche werden die Kunden in Zukunft haben?
Als Grundlage dient dabei der breite Fundus an wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema, die seit den 1980er-Jahren auf nationaler und internationaler Ebene erarbeitet worden sind. Einschränkend muss darauf hingewiesen werden, dass sie vor Beginn der Coronapandemie (2020) entstanden sind. Deren Auswirkungen auf die künftige Entwicklung des Industrietourismus sind gegenwärtig schwer abzuschätzen: Kurzfristig haben die industrietouristischen Attraktionen – wie alle Unternehmen der Reisebranche – einen erheblichen Rückgang der Gästezahlen verzeichnet; mittelfristig wird jedoch wieder ein Anstieg der Nachfrage erwartet.
Da in den Bundesländern bzw. Staaten unterschiedliche Aktivitäts- und Mobilitätseinschränkungen bestanden, ist es zu einer Verzerrung des Wettbewerbs gekommen (u.a. zwischen Outdoor- und Indoor-Einrichtungen). Die aktuellen Daten bilden also die atypische Krisensituation ab; sie können nicht als Basis generalisierender Aussagen benutzt werden. Aus Gründen der Validität und Vergleichbarkeit beziehen sich die quantitativen Angaben zu Besucherzahlen, regionalwirtschaftlichen Effekten etc. deshalb jeweils auf die Jahre vor Beginn der Coronapandemie.
Bei den Arbeiten an diesem Buch bin ich auf vielfältige Weise unterstützt worden; dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken:
Dipl.-Geogr. Axel Biermann (Geschäftsführer der Ruhr Tourismus GmbH, Oberhausen) hat sich die Zeit genommen, in einem Interview über seine langjährigen Erfahrungen im Destinationsmanagement einer altindustriellen Region zu berichten.
Prof. Dr. Angela Schwarz und Dr. Daniela Mysliwietz-Fleiß (Universität Siegen – Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte) sowie Prof. Dr. Marcus Herntrei, MBA und Yuliya Tsvilik, M. A. (Technische Hochschule Deggendorf – Fakultät European Campus Rottal-Inn) haben mir den Zugang zu wichtigen Literaturquellen ermöglicht.
Tim, mein Sohn, hat die heikle Aufgabe übernommen, das Manuskript zu korrigieren und konstruktiv zu kommentieren.
Dipl.-Ökonom Rainer Berger (UVK Verlag, München) war erneut ein kreativer, kompetenter und zuverlässiger Ratgeber.
Mein besonderer Dank gilt jedoch meiner Frau Renate, die sich auch bei der Arbeit an diesem Band – wie bei meiner wissenschaftlichen Tätigkeit in den vergangenen 40 Jahren – als eine liebevolle und sachkundige, kritische und aufmunternde Gesprächspartnerin erwiesen hat.
Überlingen, im Frühjahr 2022
Albrecht Steinecke
Genderhinweis
Aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet der Autor auf verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinneren und verwendet in der Regel das generische Maskulinum. Damit folgt er der Empfehlung des „Rats für deutsche Rechtschreibung“ vom 26.03.2021.
„Eine mittelalterliche Garnisonsstadt mit Stadtmauer, Fachwerkhäusern und Fürstenresidenzen schön finden, das kann jeder. Aber auf dem Gasometer in Oberhausen stehen, sich umgucken und sagen: Wat ’ne geile Gegend!, das muss man wollen.“
Goosen 2010
1| Ist das ein Denkmal oder kann das weg? Als der Gasometer in OberhausenGasometer, OberhausenOberhausenGasometer im Jahr 1988 stillgelegt wurde, sorgte diese Frage in der Stadt für leidenschaftliche Diskussionen. Durch das Engagement von Bürgern, Denkmalpflegern und Politikern konnte der Abriss des einst größten Gasbehälters in Europa verhindert werden. Seit der Umwandlung in eine Ausstellungshalle (mit einer Aussichtsplattform in 117 Meter Höhe) hat er sich zu einem bekannten Veranstaltungsort und einem markanten Wahrzeichen der Stadt entwickelt.
Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters – diese Tatsache gilt nicht nur für Menschen und Objekte, sondern auch für Landschaften. Bei der Wahrnehmung und der Bewertung von Natur- und Kulturräumen wie Gebirgen, Küstenregionen etc. handelt es sich nicht um anthropologische Konstanten; vielmehr haben sie sich im Verlauf der vergangenen 200 Jahre grundlegend verändert. Von den Bewohnern wurden die Alpen z.B. zunächst als unheimlich und gefährlich empfunden und für die wenigen Reisenden waren sie eher bedrohliche Transiträume als attraktive ReisezieleLandschaftswahrnehmung.
Es bedurfte einer völlig andersartigen Sichtweise, um sie zu den vielbesuchten Destinationen werden zu lassen, die sie gegenwärtig sind. Der neue touristische Blick auf die Berge und auch das Meer wurde wesentlich durch Maler und Literaten geprägt, die deren elementare Kraft und ungebändigte Wildheit romantisch verklärten bzw. dramatisch überhöhten – es sei nur an die Gemälde von Caspar David FriedrichFriedrich, Caspar David und William TurnerTurner, William oder die Gedichte von Lord ByronLord Byron und Albrecht von HallerHaller, Albrecht von erinnert.
Diese künstlerische Idealisierung löste seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunächst bei europäischen Adeligen und Besitzbürgern ein großes Interesse an entlegenen Bergdörfern und verschlafenen Fischersiedlungen aus. Mit ihrem Reiseverhalten fungierten sie als gesellschaftliche TrendsetterAdel (als Trendsetter) für die wachsende Mittelschicht der Beamten, Angestellten etc.
In der Folge erwies sich die Industrielle RevolutionIndustrielle Revolution als entscheidender Steuerungsfaktor für die Expansion des Tourismus und die Ausdehnung der Reiseperipherie. Speziell der Bau von Eisenbahnstrecken ermöglichte es nun einem massenhaften Reisepublikum, schnell, bequem und preisgünstig nach Brighton, Margate und Blackpool oder Davos, St. Moritz und Zermatt zu gelangen.
Während viele periphere und ländliche Regionen von diesem Boom profitieren konnten, führten die Industriestädte lange Zeit ein touristisches Schattendasein. Sie verfügten nicht über die Attraktivität weitläufiger Residenzstädte, gepflegter Kurorte oder mondäner Seebäder; vielmehr wurde ihr Stadtbild durch rasch errichtete industrielle Funktionsbauten geprägt. Sie waren keine Orte des Müßiggangs und des Konsums, sondern der Arbeit und Produktion.
Sofern die urbane Bevölkerung über die entsprechende Freizeit und die finanziellen Mittel verfügte, versuchte sie, dem alltäglichen Umfeld mit seinen rauchenden Schornsteinen, überbevölkerten Wohnquartieren und mangelhaften hygienischen Bedingungen an den Wochenenden bzw. während des Jahresurlaubs zu entfliehen. An dieser Situation änderte sich lange Zeit nichts: Bis in die 1980er-Jahre waren die Industrieregionen in Europa und den USA keine Zielgebiete, sondern vor allem touristische Quellmärkte (abgesehen von einem Geschäfts- und Dienstreiseverkehr).
Um den ästhetischen Reiz, die architektonische Qualität und auch die touristische Attraktivität von Fördergerüsten, Stahlwerken und Maschinenhallen zu erkennen, waren – wie beim Gebirge und dem Meer – erneut ein grundlegender Perspektivwechsel und eine positive Umdeutung erforderlich.
Die Initiative ging in diesem Fall nicht – wie im 18. Jahrhundert – von Malern und Schriftstellern aus, sondern von weitsichtigen Persönlichkeiten, diversen gesellschaftlichen Interessengruppen sowie mehreren internationalen und staatlichen OrganisationenPressure-Groups des Industrietourismus.
Zunächst waren es Fotografen, die das öffentliche Interesse an der Industriekultur weckten. Zu den Vorreitern der deutschen Industriefotografie gehören u.a. Bernd und Hilla BecherBecher, BerndBecher, Hilla. Seit den 1970er-Jahren bereisten sie mehrere europäische Industrieregionen, um dort Hochöfen, Gasbehälter, Wassertürme etc. in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu dokumentieren. Da viele dieser Gebäude vom Abriss bedroht waren, wurden die beiden zu wichtigen Chronisten des ausgehenden Industriezeitalters. In dieser Tradition stehen gegenwärtig auch die zeitgenössischen Fotografen, die ihre Arbeiten auf kuratierten Internetplattformen wie „Pixelprojekt_Ruhrgebiet“Pixelprojekt_Ruhrgebiet (Website) oder „PixxelCult“PixxelCult (Website) publizieren (vgl. Liedtke 2015, S.31).
Darüber hinaus setzten sich auch Architekten, Denkmalschützer, Historiker und Archäologen für die Bewahrung des industriekulturellen Erbes ein. Berühmte Architekten wie Fritz SchuppSchupp, Fritz und Martin KremmerKremmer, Martin hatten bereits in den 1930er-Jahren auf den besonderen architektonischen Wert von Industriebauten hingewiesen.
„Wir müssen erkennen, dass die Industrie mit ihren gewaltigen Bauten nicht mehr nur ein störendes Glied in unserem Stadtbild und in der Landschaft ist, sondern ein Symbol der Arbeit, ein Denkmal der Stadt, das jeder Bürger mit wenigstens ebenso großem Stolz dem Fremden zeigen soll wie seine öffentlichen Gebäude.“
Fritz Schupp/Martin Kremmer (Architekten zahlreicher Industriebauten) (1931)
(vgl. Buschmann 2013, S.1)
Ein allgemeiner öffentlicher Bewusstseinswandel fand in Deutschland allerdings sehr viel später statt (vgl. Schwarz 2008a, S.52–54; Föhl 2014, S.200–201; Meier/Steiner 2018, S.22–23):
In der Deutschen Demokratischen Republik wurden bereits in den 1950er-Jahren erste Inventarisierungen des industriellen und technischen Erbes durchgeführt, das – entsprechend der staatlichen Ideologie – als Beweis für die zivilisatorischen Leistungen der werktätigen Bevölkerung galt.
In der Bundesrepublik Deutschland reichen die Anfänge der Industriedenkmalpflege bis in die 1970er-Jahre zurück. Zu den ersten Maßnahmen gehörte das „Nordrhein-Westfalen-Programm 1975“, in dem die Landesregierung öffentliche Zuschüsse für den Erhalt industriegeschichtlicher und technischer Anlagen zur Verfügung stellte. Außerdem wurden mehrere stillgelegte Einrichtungen in Industriemuseen umwandelt und in den Denkmalämtern neue Stellen für fachlich qualifizierte Mitarbeiter geschaffen.
2| Eine Kathedrale der Arbeit – die spektakuläre Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IVZecheZollern II/IV, Dortmund in Dortmund ist 1902/03 nach Plänen des Architekten Bruno MöhringMöhring, Bruno errichtet worden. Aufgrund einer Petition von Künstlern, Kunsthistorikern und Architekten an den NRW-Ministerpräsidenten wurde das Jugendstilgebäude im Jahr 1969 als erstes Industriedenkmal Westfalens unter Denkmalschutz gestellt.
Darüber hinaus engagierten sich zunehmend auch Einwohner für den Erhalt industriegeschichtlicher Gebäude bzw. Anlagen (vgl. Berger/Golombek/Wicke 2015, S.28; Claßen 2021; Scheytt 2021):
Nach langen Auseinandersetzungen gelang es z.B. einer Bürgerinitiative in Oberhausen, den geplanten Abriss der Siedlung EisenheimOberhausenSiedlung EisenheimSiedlungEisenheim, Oberhausen in den 1970er-Jahren zu verhindern. Die anderthalb- und zweigeschossigen Häuser waren bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts für Hüttenarbeiter und Bergleute errichtet worden; damit gilt die Siedlung als älteste Arbeiter- und Zechenkolonie des Ruhrgebiets.
Durch eine ähnliche Aktion konnte auch der Gebäudekomplex der Zeche CarlZecheCarl, Altenessen in Altenessen gerettet werden, der seitdem als soziokulturelles Kultur- und Kommunikationszentrum genutzt wird.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es in Deutschland ca. 800 Initiativ-Gruppen für Industriedenkmalpflege – davon allein in Nordrhein-Westfalen ca. 350.
Denkmal – kulturelles Erbe – Heritage: grundlegende Begriffe für unterschiedliche Erinnerungskonzepte
Fotografen, Politiker, Denkmalpfleger, Einwohner und (mit einem Zeitverzug) auch Destinationsmanager – jede dieser Interessengruppen engagiert sich aus spezifischen Motiven für den Erhalt von Industrierelikten. Die jeweiligen Ziele kommen auch in der Verwendung unterschiedlicher Begriffe zum Ausdruck (vgl. Prietzel 2009, S.55–56; Meier/Steiner 2018):
Bei Denkmälern handelt es sich um Gebäude und Objekte, die aus wissenschaftlicher, gesellschaftlicher bzw. politischer Sicht als wichtige Zeugnisse der kulturellen Vergangenheit bewertet werden. Ihre Errichtung bzw. ihr Erhalt dienen dazu, die Betrachter an bedeutende Ereignisse bzw. Persönlichkeiten zu erinnern und das Identitäts-, Heimats- und Geschichtsbewusstsein zu stärken. Denkmäler gehören zu den elementaren Bestandteilen einer öffentlichen Gedenkkultur, die durch den jeweiligen Zeitgeist bestimmt wird (der z.B. bei den Kriegerdenkmälern des Ersten und Zweiten Weltkriegs besonders deutlich wird).
Der Begriff des industriekulturellen Erbes beinhaltet hingegen nicht nur die Würdigung positiver historischer Geschehnisse – z.B. beeindruckender technischer Innovationen oder herausragender Leistungen von Unternehmern und Arbeitern. Vielmehr umfasst er auch die Reflexion über die Schattenseiten der Industriegeschichte – z.B. die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse in der Frühphase der Industriellen Revolution oder die ZwangsarbeitZwangsarbeit in diktatorischen Herrschaftssystemen.
Unter dem Terminus des HeritageHeritage (Merkmale) werden zumeist kulturtouristische Projekte subsumiert, die überwiegend kommerzielle Verwertungsinteressen verfolgen. In ihnen findet eine gegenwartsorientierte Auswahl historischer Ereignisse statt, bei der die sperrigen und „dunklen“ Dimensionen der Industrialisierung weitgehend ausgeblendet werden. Stattdessen wird die Vergangenheit in einer unterhaltsamen und leicht konsumierbaren Weise vermittelt – z.B. durch ReenactmentsReenactment in historischen ErlebnisweltenErlebniswelten (industriegeschichtliche) oder animative „Mitmachaktionen“ in Museen.
Angesichts der unterschiedlichen und teilweise divergierenden Interessen kommt es zwischen den Akteuren immer wieder zu Konflikten über den angemessenen Umgang mit Industrierelikten – speziell zwischen Touristikern, die für eine Erschließung plädieren, und Denkmalpflegern, die sich für den sachgerechten Erhalt der Objekte einsetzen (bei Vorträgen hat der Autor z.B. mehrfach erlebt, dass Denkmalpfleger in den anschließenden Diskussionen erklärten, sie seien überhaupt nicht an einer touristischen Nutzung „ihres“ Denkmals interessiert).
Als konfliktträchtig erweist sich auch das Verhältnis zwischen Denkmalpflegern und lokalen Initiativen, die sich speziell für die Instandsetzung historischer Maschinen und Lokomotiven einsetzen. Sie legen häufig größeren Wert auf eine spektakuläre Inbetriebnahme als auf eine historisch korrekte Rekonstruktion (vgl. Cossons 2008, S.19).
Trotz des zivilgesellschaftlichen und politischen Engagements zur Bewahrung des industriekulturellen Erbes spielten Industrierelikte und -regionen weiterhin noch keine wichtige Rolle im Tourismus. Offensichtlich bedurfte es zusätzlicher Impulse, um eine breite Öffentlichkeit auf deren kulturellen Wert und ungewöhnliche Attraktivität aufmerksam zu machen.
Als Gunstfaktor für spätere Entwicklung des Industrietourismus hat sich dabei die Aufnahme historischer Industrieeinrichtungen in die UNESCO-WelterbelisteUNESCO-WelterbelisteBedeutung für den Tourismus erwiesen. In dieser Liste waren zunächst (zumindest in Europa) nur Kathedralen, Burgen, Schlösser, historische Stadtquartiere und archäologische Stätten vertreten – also Objekte, die unter traditionellen kunst- und architekturhistorischen Kriterien als besonders wertvoll galten. Mit den Salzbergwerken in Wieliczka und Bochnia (Polen)Salzbergwerke in Wieliczka und Bochnia (Polen) wurden im Jahr 1978 erstmals auch Industrierelikte entsprechend gewürdigt (vgl. Chybiorz/Piwowar 2017, S.7).
Seitdem sind weltweit ca. 50 Objekte der Industrie und Technik in die Liste aufgenommen worden; dazu zählen u.a. stillgelegte Industriebetriebe, historische Infrastruktureinrichtungen (Kanäle, Brücken, Schiffshebewerke etc.), umfangreiche Industriekomplexe, Industriedörfer bzw. -städte sowie weitläufige Industriekulturlandschaften. Angesichts einer Gesamtzahl von mehr als 1.100 Einträgen spielen diese Relikte allerdings immer noch eine geringe Rolle im breiten Spektrum der Welterbestätten (vgl. Röhr 2015, S.9; Höhmann 2016, S.19).
Deutsche Industrie- und Technikobjekte auf der UNESCO-WelterbelisteUNESCO-Welterbelistedeutsche Industrie- und Technikobjekte– die Leuchttürme des industriekulturellen Erbes
Rammelsberg – Museum & BesucherbergwerkRammelsberg – Museum & Besucherbergwerk, Goslar, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft (1992; Erweiterung 2010)
Völklinger Hütte, Völklingen (1994)Völklinger Hütte, Völklingen
Industriekomplex Zeche Zollverein, Essen (2001)ZecheZollverein, Essen
Fagus-Werk, Alfeld (2011)Fagus-Werk, Alfeld
Hamburger Speicherstadt und Kontorhausviertel mit Chilehaus (2015)
Augsburger Wassermanagement-System (2019)
Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří (2019; Deutschland/Tschechien)
Die Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste stellt für historische Industrieeinrichtungen den kulturellen und zugleich touristischen Ritterschlag dar. Sie gelten nun – quasioffiziell – als global bedeutende „Meisterwerke der menschlichen Schöpferkraft“ und stehen damit auf einer Ebene mit namhaften Kulturstätten wie der Akropolis, der Chinesischen Mauer oder den Pyramiden von Gizeh (vgl. Kesternich 2020, S.28).
Obwohl mit der Auszeichnung primär ihr kultureller Wert gewürdigt wird, nutzen die Welterbestätten den Titel auch als touristisches Gütezeichen, mit dem sie sich – speziell auf dem internationalen Markt – als einzigartige Besucherattraktionen vermarkten. Allerdings sind empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass das begehrte Label kaum zu einer Steigerung der Nachfrage beiträgt (max. +3 Prozent). Allenfalls die weniger bekannten Welterbestätten können in stärkerem Maße davon profitieren (vgl. PwC 2007, S.82; Quack/Wachowiak 2013, S.291–292; Voit 2017, S.101–102).
Während die UNESCO vor allem für die symbolische Nobilitation der Industriekultur sorgte, trat in den 1990er-Jahren die Europäische UnionEuropäische Union (Fördermaßnahmen) als weiterer Akteur auf, indem sie Mittel zur Anschub- bzw. Kofinanzierung industrietouristischer Projekte zur Verfügung stellte. Durch die Rückbesinnung auf das gemeinsame industriekulturelle Erbe sollten das Identitätsbewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer gestärkt werden. Außerdem ging es um eine Unterstützung altindustrieller Regionen, die erhebliche wirtschaftliche, soziale und ökologische Probleme zu bewältigen hatten.
3| Von einer boomenden Bergbaustadt zu einem populären Touristenort – durch den Abbau und die Verarbeitung von Kupfererz erlebte das norwegische RørosRøros (Norwegen) bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Blüte. Seit der Stilllegung der letzten Grube im Jahr 1977 hat sie sich mit ihren grasbedeckten Arbeiterhäusern und bunt bemalten Holzgebäuden zu einem beliebten Reiseziel entwickelt. Sie wurde bereits im Jahr 1980 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen und ist eine Station der „Europäischen Route der Industriekultur (ERIH)“Europäische Route der Industriekultur (ERIH).
Im Mittelpunkt der kultur- bzw. wirtschaftspolitischen Fördermaßnahmen stand dabei die transnationale Verknüpfung von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Partnern aus mehreren Ländern in Form von Netzwerken, Themenrouten, Arbeitsgemeinschaften etc. Inhaltliche Schwerpunkte waren museumsdidaktische Themen, die Kombination von Denkmal- und Sozialgeschichte sowie die Gestaltung des touristischen Angebots (vgl. Wilhelm 2003; Soyez 2006, S.76).
Trotz ihres innovativen Charakters und ihrer Subvention durch die Europäische Union mussten viele Initiativen ihre Arbeit jedoch am Ende des Förderzeitraums wieder einstellen. Eine Ausnahme ist die „Europäische Route der Industriekultur (ERIH)“Europäische Route der Industriekultur (ERIH). Sie geht auf eine Initiative von Institutionen aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden im Jahr 1999 zurück und ist bis zum Jahr 2008 im Rahmen diverser INTERREG-Programme finanziell unterstützt worden. Die Route gilt als Modell einer erfolgreichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit; im Jahr 2019 wurde sie als Kulturroute des „Europarates“Europarat (Kulturroute) zertifiziert (vgl. ERIH 2017) (→ 4.2).
Die Europäische Union hat die Förderung entsprechender industrietouristischer Initiativen bis in die jüngere Zeit fortgesetzt – speziell im Rahmen der LEADER-, INTERREG-, EFRE- und ERDF-Programme; dazu zählen u.a.:
das Projekt „SHIFT-X. Employing cultural heritage as promoter in the economic and social transition of old-industrial regions“SHIFT-X. Employing cultural heritage as promoter in the economic and social transition of old-industrial regions (2012–2014), in dem ein Wissens- und Erfahrungstransfer von Einrichtungen in Österreich, Deutschland und Belgien mit Partnern in Tschechien und Polen erfolgte (vgl. Albrecht/Walther 2017, S.43–44);
das Projekt „InduCult 2.0“InduCult 2.0 (2016–2019) – eine Kooperation von industriell geprägten Städten und Landkreisen sowie Hochschulen aus mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern (vgl. Harfst/Pizzera/Simic 2016; Wust/Lang/Haunstein 2017; Görmar u.a. 2019);
die Unterstützung der bilateralen Zusammenarbeit von industriekulturellen Institutionen im Rahmen der Kampagne „Europäisches Kulturerbejahr 2018“Europäisches Kulturerbejahr/European Cultural Heritage Year (ECHY).
Politischer Wille, kulturelle Akzeptanz und die Interessen gesellschaftlicher Lobbygruppen waren also die wesentlichen Triebkräfte, die zu einer wachsenden Bedeutung des Industrietourismus geführt haben. Im Gegensatz zu anderen Segmenten des internationalen Tourismus handelt es sich um einen Angebotsmarkt, dessen gegenwärtige Struktur weniger auf dem Nachfragedruck der Konsumenten beruht als vielmehr auf dem Engagement öffentlicher und privater Akteure (vgl. European Parliament 2013, S.26).
Von der Reisebranche ist das ökonomische Potenzial der historischen (und auch gegenwärtigen) Industriekultur hingegen recht spät erkannt worden. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts war der Industrietourismus „eine sehr randliche, fast exotische Sonderform der Tourismuswirtschaft“ (Soyez 2006, S.75). Dieser geringe Stellenwert war nicht zuletzt auf die Vorbehalte vieler Praktiker zurückzuführen, wie eigene Erfahrungen des Autors aus Beratungsprojekten exemplarisch deutlich machen:
In den 1990er-Jahren wehrte sich der Geschäftsführer des Tourismusverbandes in einer altindustriellen Region vehement gegen den Vorschlag, die regionalen Industrierelikte aktiv zu vermarkten; stattdessen wollte er in der Werbung ausschließlich die landschaftliche Schönheit der Destination herausstellen.
Die Geschäftsführerin der Tourismusorganisation in einer westdeutschen Großstadt zeigte im Jahr 2007 nur wenig Interesse an dem Vorschlag, die zahlreichen traditionellen Industrieunternehmen der Region in das Marketing-Konzept der Destination einzubinden – z.B. durch einen jährlichen „Tag der offenen Tür“ bzw. eine lokale Themenroute.
Entsprechende Hemmnisse und Unkenntnisse bestehen vielerorts noch in jüngerer Zeit. So haben z.B. auch die Verantwortlichen im ElsassElsass (industriekulturelles Erbe) lange Zeit das Image einer landschaftlich reizvollen Destination mit attraktiven mittelalterlichen Stadtquartieren gepflegt, obwohl die Region über zahlreiche gewerblich-industrielle Relikte verfügt. Dadurch blieben die Chancen einer Diversifizierung des Angebots und einer Ansprache neuer Zielgruppen weitgehend ungenutzt (vgl. Michna 2019).
Im Vergleich zu anderen Reisearten handelt es sich beim Industrietourismus also um einen late mover, der nur auf eine relative kurze Geschichte zurückblicken kann. Um ihre Attraktivität zu signalisieren, nutzen manche stillgelegte Industrieeinrichtungen deshalb den Vergleich zu populären Sehenswürdigkeiten, die bereits einen festen Platz im Repertoire beliebter Reiseziele haben.
Dabei dient speziell der Eiffelturm in Paris als Maßstab: So werden das Fördergerüst der Zeche Zollverein in EssenZecheZollverein, Essen und auch die Abraumförderbrücke F60 in Lichterfeld (Brandenburg)Besucherbergwerk Abraumförderbrücke F60, Lichterfeld (Brandenburg) jeweils als regionale „Eiffeltürme“ vermarktet. Ein solcher Rückbezug auf bekannte Vorbilder ist im Tourismus nichts Ungewöhnliches. Seit dem 19. Jahrhundert versuchen z.B. weltweit ca. 200 Regionen, am exklusiven Image der Schweiz als Playground of Europe zu partizipieren, indem sie die zusätzliche Bezeichnung „Schweiz“ verwenden – u.a. die Fränkische Schweiz, die Holsteinische Schweiz oder die Kleine Luxemburger SchweizSchweiz (als Zusatzbezeichnung von Regionen).
Trotz der zögerlichen Haltung vieler Destinationsmanager ist es einigen stillgelegten Industrieeinrichtungen gelungen, sich erfolgreich auf dem Tourismusmarkt zu positionieren. Zu den internationalen Besuchermagneten zählen die Zeche ZollvereinZecheZollverein, Essen in Essen und das Salzbergwerk Wieliczka (Polen)Salzbergwerke in Wieliczka und Bochnia (Polen) mit jeweils mehr als einer Million Besucher, das Iron Bridge Gorge Museum im englischen ShropshireIronbridge Gorge Museum (Shropshire) (545.000) und die Völklinger HütteVölklinger Hütte, Völklingen im Saarland (225.000).
Allerdings lassen solche positiven Beispiele keine Rückschlüsse auf den Gesamtumfang der industrietouristischen Nachfrage zu, der sich generell nicht exakt bestimmen lässt: Zum einen wird diese Reiseart weder in staatlichen Statistiken noch in nationalen Repräsentativbefragungen gesondert erfasst. Zum anderen publiziert die Mehrzahl der Einrichtungen – trotz hoher öffentlicher Zuschüsse – keine Angaben zum Besucheraufkommen, so dass die Gästezahlen nur mit einem hohen Rechercheaufwand und allenfalls exemplarisch ermittelt werden können (z.B. auf der Grundlage von persönlichen Anfragen bzw. Artikeln in Tageszeitungen).
Außerdem beziehen sich die Daten einzelner Industriemuseen nicht immer nur auf die Kernzielgruppe der Gäste, die sich ausschließlich für die industrielle Vergangenheit interessieren. Speziell die größeren Einrichtungen insitu dienen häufig als Locations von Events, mit denen sie ein unterhaltungsorientiertes Publikum ansprechenEventisierungSachsen-Anhalt. So werden die imposanten Großgeräte im Industriemuseum Ferropolis in Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt)Ferropolis, Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) – einem ehemaligen Tagebaugelände – jährlich nur von ca. 32.000 Tagesausflüglern und Touristen besichtigt. Hingegen verzeichnen die populären Festivals „Melt!“, „Splash!“ bzw. „With Full Force“, die regelmäßig vor der spektakulären Kulisse stattfinden, mehr als 100.000 Teilnehmer (vgl. Schröder 2020, S.32) (→ 4.5).
Angesichts dieser methodischen Probleme liegen gegenwärtig nur Schätzungen zum NachfragevolumenIndustrietourismusNachfragevolumenin Deutschland und anderen europäischen Ländern vor: Danach beläuft sich der Anteil des Industrietourismus an der Gesamtzahl der Übernachtungen auf weniger als ein Prozent. Nach Einschätzung von Experten verfügt der Industrietourismus jedoch über ein großes Wachstumspotenzial, da das industriekulturelle Erbe vielerorts noch nicht hinreichend genutzt wird. Mit Hilfe professioneller Marketing- und Management-Maßnahmen können die Industriemuseen und die Destinationen ihr Besucheraufkommen künftig erheblich steigern (vgl. ift 2010, S.16; European Parliament 2013, S.36; Baum 2014, S.56).
Es sind jedoch nicht nur fehlende aktuelle Marktforschungsdaten, die präzise Aussagen zum Umfang des Industrietourismus unmöglich machen. Als zusätzliches Problem erweist sich die Tatsache, dass der Begriff „Industrietourismus“ einen janusköpfigen Charakter hat:
Zum einen umfasst er die Besichtigung historischer Industrierelikte und öffentlicher Industriemuseen (in der englischen Fachliteratur: industrial heritage tourism)Industrial Heritage Tourism;
zum anderen bezeichnet er aber auch den Besuch produzierender Industrieunternehmen (industrial tourism)Industrial Tourism.
So verfügen einige Industriebetriebe bereits seit langem über firmeneigene Museen, in denen sie ihre Unternehmensgeschichte präsentieren. Darüber hinaus werden häufig auch Führungen angeboten, um den Besuchern einen Einblick in den Produktionsablauf zu ermöglichen und damit die Kundenbindung zu stärken (speziell Unternehmen der Konsumgüterindustrie nutzen diesen direkten Kontakt mit den Verbrauchern auch als zusätzlichen Vertriebskanal).
Zu den innovativen Instrumenten der Unternehmenskommunikation zählen Markenwelten(Brand Lands)Markenwelten (Brand Lands)Brand Lands (Markenwelten), die in den vergangenen Jahrzehnten von mehreren internationalen Konzernen errichtet worden sind. Durch den Einsatz attraktiver Inszenierungstechniken gelingt es diesen multifunktionalen Infotainment-Einrichtungen, ein breites Publikum anzusprechen. Zugleich definieren sie damit die zeitgemäßen Präsentations- und Vermittlungsstandards, die auch für die öffentlichen Industrierelikte und -museen gelten.
Erfolgreiche Beispiele solcher Markenwelten sind u.a. die BMW WeltBMW Welt, München in München mit drei Millionen Besuchern/Jahr, die AutostadtAutostadt, Wolfsburg in Wolfsburg (2,1 Millionen) und die Swarovski KristallweltenSwarovski Kristallwelten, Wattens bei Innsbruck in der Nähe von Innsbruck (650.000) (→ 2.7).
4| Weit mehr als nur ein nostalgischer Blick zurück in die Vergangenheit – das industrietouristische Angebotsspektrum umfasst nicht nur historische Relikte und öffentliche Industriemuseen. Zu den Akteuren auf dem Tourismusmarkt zählen auch zahlreiche Handwerks- und Industriebetriebe. Sie organisieren Führungen und betreiben Firmenmuseen bzw. Markenwelten, um die Besucher zu informieren und langfristig an das Unternehmen zu binden.
Industrietourismus: DefinitionIndustrietourismusDefinition
Unter diesem Oberbegriff werden zwei unterschiedliche Arten von Tagesausflügen und Urlaubsreisen zusammengefasst: Zum einen die Besichtigung von historischen Industrierelikten und Industriemuseen, bei denen es sich zumeist um öffentliche Einrichtungen handelt; zum anderen der Besuch von produzierenden Industrieunternehmen, die Betriebsführungen anbieten bzw. über eigene Firmenmuseen oder eine Markenwelt (Brand Land)Markenwelten (Brand Lands)Brand Lands (Markenwelten) verfügen. Darüber hinaus gibt es noch einen berufsbezogenen Industrietourismus in Form von Geschäfts- und Dienstreisen (der hier allerdings nicht weiter behandelt wird).
Angesichts dieser unterschiedlichen Akteure und Angebote, aber auch einer unbefriedigenden Datenlage ist es nicht möglich, ein idealtypisches Profil der Industrietouristen zu entwerfen: In Firmenmuseen und Markenwelten sind z.B. keine empirischen Erhebungen durch Außenstehende möglich, da es sich um privatwirtschaftliche Einrichtungen handelt. Aus Konkurrenzgründen erteilen die Betreiber auch keine Auskünfte über eigene Gästeanalysen (sofern sie die überhaupt durchführen).
Zu den Besuchern der öffentlichen Industriedenkmäler und -museen liegen gegenwärtig einige empirische Untersuchungen und Fallstudien vor, die allerdings nur einen recht groben Überblick über die Merkmale, Motive und Verhaltensweise dieser ZielgruppeIndustrietourismusMerkmale/Zielgruppen vermitteln (vgl. Pasternak/Terörde 2008, S.340; inspektour 2016, S.18; dwif/RVR 2018, S.11; Hausmann 2018, S.5–7; ERIH/RVR 2019; Köchling 2021, S.52–54):
Nachfragepotenzial: In einer bundesweiten Erhebung gaben 28 Prozent der Befragten an, sich grundsätzlich für industriekulturelle Attraktionen zu interessieren. Damit ist die Zielgruppe für Fabriken, Zechen und Industriemuseen deutlich kleiner als für klassische Sehenswürdigkeiten wie Burgen, Schlösser und Kathedralen (50 Prozent) bzw. Parks und Gärten (46 Prozent). Speziell in Bundesländern mit einer langen Industrietradition und einem breiten Angebot entsprechender Sehenswürdigkeiten besteht bei der Bevölkerung ein überdurchschnittlich hohes Interesse an einer Besichtigung von Industrierelikten bzw. -museen (z.B. in Nordrhein-Westfalen).
Einzugsbereich und Ausgaben: Industriemuseen sind zumeist Ziele eines monofinalen Tagesausflugsverkehrs (bei dem also nur ein Ziel auf dem Programm steht). Die Mehrzahl der Gäste kommt aus der näheren Umgebung und benötigt 30 bis 90 Minuten für die Anreise. Nur ca. 10–17 Prozent verbinden ihren Besuch mit einer Übernachtung. Diese Zielgruppe ist für die Destinationen jedoch von besonders großer Bedeutung, da sie weitaus höhere Ausgaben tätigt als die Tagesausflügler (117 vs. 29 Euro/Person).
Saisonalität: Die industrietouristische Nachfrage weist eine antizyklische Saisonalität und eine Konzentration auf die Wochenenden auf. Normalerweise ist der Samstag der besucherstärkste Tag und vor allem im Frühjahr sowie Herbst sind Nachfragespitzen zu verzeichnen. Da die Sommermonate eher für Haupturlaubsreisen zu Zielen am Meer oder im Mittel- bzw. Hochgebirge genutzt werden, verzeichnen die Einrichtungen in dieser Zeit relativ niedrige Besucherzahlen.
Besuchsmotive: Hinsichtlich der persönlichen Beweggründe sind die empirischen Untersuchungen zu widersprüchlichen Resultaten gekommen: In einer englischen Fallstudie gaben die Befragten vor allem eine allgemeine Neugier und ein historisches Interesse an; außerdem wollten sie einen abwechslungsreichen Tag mit der Familie verbringen (und ihre Kinder sinnvoll beschäftigen). Die Gäste der Zeche Zollverein in EssenZecheZollverein, Essen interessierten sich hingegen für die gesamte Anlage sowie die Industriekultur und Technik generell.
Zielgruppen: Neben Schulklassen gehören vor allem Familien, Senioren und Kulturtouristen zu den Museumsbesuchern. Bei vielen Individualgästen handelt es sich um das typische bildungsbürgerliche Publikum, das über ein hohes Bildungsniveau und ein besseres Einkommen verfügt. Da die Technikaffinität bei Männern generell stärker ausgeprägt ist als bei Frauen, stellen sie in zahlreichen Häusern die Mehrzahl der Gäste.
5| Eine beliebte Sehenswürdigkeit des städtischen Bürgertums und älterer Menschen – nahezu jeder vierte Einwohner hat das Museum Industriekultur in NürnbergMuseum Industriekultur, Nürnberg in den vergangenen fünf Jahren einmal besichtigt. Bei jungen Erwachsenen und im unteren Bildungs-, Einkommens- und Sozialmilieu stößt das Angebot des Hauses jedoch nur auf ein relativ geringes Interesse.
Allerdings können diese Resultate nicht auf alle industriegeschichtlichen Sehenswürdigkeiten übertragen werden, da jede Einrichtung eine spezifische Besucherstruktur aufweist. Wesentliche Steuerungsfaktoren sind dabei die attraktive Gesamtkonzeption, die spezifische Thematik, die ungewöhnlichen Exponate und die zeitgemäßen Vermittlungsformen. Die Betreiber müssen deshalb regelmäßig eigene Gästebefragungen durchführen, um über eine solide Datenbasis für ein professionelles Marketing und Management zu verfügen.
Der Industrietourismus als ForschungsobjektIndustrietourismusForschungsstand
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Industrietourismus setzte im deutschsprachigen Raum in den 1980er-Jahren ein. Seitdem sind konzeptionelle Überlegungen und empirische Fallstudien in zahlreichen Artikeln, Sammelbänden und Lehrbüchern veröffentlicht worden (vgl. Soyez 1986; Fontanari/Treinen/Weid 1999; Hinterhuber/Pechlaner/Matzler 2001; MfWA 2003; Schwark 2004; Steinecke 2007, S.246–272).
Auf internationaler Ebene liegt inzwischen eine unüberschaubare Fülle an Publikationen zu dem Thema vor: So verzeichnet „Google Scholar“ unter den Suchbegriffen industrial heritage tourism bzw. industrial tourism 1,6Millionen bzw. 2,6Millionen Einträge. Dabei handelt es sich zumeist um Bestandsaufnahmen des industriellen Erbes sowie um Potenzialanalysen zur touristischen bzw. anderweitigen Nutzung von Relikten (Konversion) – zunehmend auch unter dem Aspekt einer nachhaltigen EntwicklungNachhaltige Entwicklung (Sustainable Development) (vgl. Ifko 2016).
Während sich zunächst Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Westeuropa sowie den USA mit diesem Thema beschäftigt haben, sind in jüngerer Zeit zahlreiche Untersuchungen in Süd-, Südost- und Mitteleuropa, in Südamerika sowie in Asien durchgeführt worden. Exemplarisch soll auf Studien in folgenden Ländern verwiesen werden:
Albanien (vgl. Nepravishta/Mezini/Baruti 2019)
Australien (vgl. Chatterjee/Dupre 2019)
Brasilien (vgl. Corá/César/Merlotti Herédia 2019)
China (vgl. Ren 2014; Yin u.a. 2015; Yang 2017; Wang/Fu 2019; Xie/Lee/Wong 2019; Yuan u.a. 2019; Zhang u.a. 2020)
Griechenland (Agaliotou 2015; Ferranti 2019)
Kosovo (vgl. Spahija/Aliu/Veliu 2017)
Polen (vgl. Pawlikowska-Piechotka 2009; Dołzbłasz 2012; Buchczyk 2015; Barski/Zathey 2018; Lamparska 2019)
Rumänien (vgl. Cercleux/Merciu/Merciu 2011)
Serbien (vgl. Tufegdzic 2013; Ćopić/Tumarić 2015; Nedeljković Knežević u.a. 2019)
Slowenien (vgl. Gorjup-Kavčič u.a. 2010; Balažič 2011; Marot/Harfst 2012)
Spanien (vgl. Pozo/González 2012; Prat Forga/Cànoves Valiente 2015)
Südafrika (vgl. Merwe/Rogerson 2013, 2018)
Thailand (vgl. Yiamjanya 2020)
Tschechien (vgl. Bujok u.a. 2015; Bosák/Nováček/Slach 2018; Jelen 2018; Lamparska 2019)
Türkei (vgl. Günay 2014; Gül/Gül 2020)
Touristen haben generell – unabhängig von ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrer Nationalität oder ihren Reisemotiven – zwei wichtige Eigenschaften, die sie aus Sicht der Zielgebiete besonders interessant machen:IndustrietourismusEffekteEffekte des Industrietourismus Als Ortsfremde sind sie auf bestimmte Dienstleistungen angewiesen und treten deshalb in den Destinationen immer als zusätzliche Konsumenten auf. Durch ihre Nachfrage lösen sie zum einen tangible Effekte aus (also monetäre Wirkungen, die über Kennzahlen leicht zu erfassen sind), zum anderen aber auch schwer messbare intangible Wirkungen – z.B. Image-, Struktur- und Netzwerkeffekte (vgl. Murray 2016, S.2–3).
Zu den direkten Nutznießern des touristischen Konsums zählen zunächst die Besucherattraktionen, die Einnahmen durch den Verkauf von Tickets, die Veranstaltung von Führungen und Events, die Nutzung ihrer Räumlichkeiten als Locations bzw. den Vertrieb von Merchandising-ProduktenMerchandising-Produkte in ihren Shops erzielen. Im Vergleich zu den Betriebs- und Erhaltungskosten sind diese Umsätze – speziell in den öffentlichen Industrieeinrichtungen – jedoch gering, da sie aufgrund ihres Bildungsauftrags in der Regel nur niedrige Eintrittspreise erheben:
6| Regionaler Wirtschaftsfaktor, positiver Imageträger, nachhaltiger Impulsgeber – die Wirkungen des Industrietourismus beschränken sich nicht auf die direkten Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten und Souvenirs. Zahlreiche Unternehmen, aber auch die einheimische Bevölkerung profitieren auf direkte oder indirekte Weise von der touristischen Nutzung des industriekulturellen Erbes.
Das Deutsche Bergbau-Museum in BochumDeutsches Bergbau-Museum, Bochum hat z.B. im Jahr 2019 nur 6,6 Prozent seines Budgets durch eigene Einnahmen erwirtschaftet sowie weitere 9,6 Prozent durch das Einwerben von Drittmitteln für Forschungsprojekte. Die wichtigsten Einnahmequellen waren öffentliche Zuschüsse durch den Bund, das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt Bochum u.a. Sie beliefen sich auf 17,1Millionen Euro/Jahr – d. h., jeder Besuch der knapp 170.000 Gäste wurde mit ca. 100 Euro subventioniert (vgl. Deutsches Bergbau-Museum 2020, S.101).
Mit diesem hohen ZuschussbedarfZuschussbedarf industrietouristischer Einrichtungen stellt das Deutsche Bergbau-Museum keinen Einzelfall dar. So ist eine Erhebung unter den Partnern der „Europäischen Route der Industriekultur (ERIH)“Europäische Route der Industriekultur (ERIH) zu dem Ergebnis gekommen, dass zwei von drei Einrichtungen durch eigene Einnahmen nur einen Kostendeckungsgrad von höchstens 50 Prozent erreichen (vgl. ERIH/RVR 2019, S.12).
Obwohl es sich bei Kulturtouristen generell um eine konsumkräftige und ausgabenfreudige Zielgruppe handelt, stoßen die Shops der Industriemuseen häufig nur auf geringes Interesse. In den Einrichtungen des Museumsverbunds „National Museum Wales“National Museum Wales hat z.B. nur jeder vierte Besucher Einkäufe getätigt (vgl. Thurley 2017, S.34).
Außerdem sind die Pro-Kopf-Ausgaben der Gäste für Souvenirs recht gering. Im walisischen Big Pit National Coal MuseumBig Pit National Coal Museum, Blaenavon (Wales) betrugen sie z.B. nur 1,86 Euro (bei diesem Wert ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Konsumverhalten der Besucher wesentlich durch die Lage sowie das Ambiente und Sortiment der Geschäfte beeinflusst wird) (vgl. Thurley 2017, S.35).
Großer Aufwand und niedriger Ertrag – ein solches Missverhältnis besteht auch in kommerziellen industrietouristischen Attraktionen: So decken die relativ hohen Eintrittsgelder der AutostadtAutostadt, Wolfsburg in Wolfsburg nur ca. 70 Prozent der operativen Kosten und die Salines de Guérande (Pays de la Loire)Les Salines de Guérande (Pays de la Loire)Pays de la Loire (Frankreich) (Industrietourismus) erzielen nur 0,7 Prozent ihres Gesamtumsatzes durch den Verkauf von Salz an Touristen (vgl. Otgaar/Klijs 2010, S.13, 15).
7| Sogar industrietouristische Besuchermagneten wie das Ironbridge Gorge Museum (Shropshire)Ironbridge Gorge Museum (Shropshire) sind auf eine öffentliche Förderung angewiesen: Im Jahr 2019 lag der Anteil der Subventionen, Spenden und Erbschaften bei ca. 30 Prozent des Gesamtbudgets. Darüber hinaus erhält die gemeinnützige Organisation projektbezogene Mittel von nationalen Stiftungen und der Europäischen Union, um notwendige Erhaltungs- und Restaurierungsarbeiten durchführen zu können.
Auf den ersten Blick scheint es sich bei der touristischen Nutzung des industriekulturellen Erbes also um ein Zuschussgeschäft zu handeln. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass durch die Besucherattraktionen erhebliche externe ökonomische Effekte ausgelöst werden. So profitieren zahlreiche Unternehmen aus anderen Branchen in weitaus größerem Umfang vom Tourismus als die Einrichtungen selbst:
Zu den Nutznießern zählen Restaurants, Unterkunftsbetriebe, Verkehrsunternehmen sowie Einzelhändler, da die auswärtigen Gäste Verpflegungs-, Übernachtungs-, Transport- und Versorgungsleistungen in Anspruch nehmen. So ist z.B. eine Untersuchung im Lowell National Historical Park (Massachusetts)Lowell National Historical Park (Massachusetts) zu dem Ergebnis gekommen, dass 90 Prozent der touristischen Gesamtausgaben solchen Anbietern zugutekommen und die Museumsanlage nur zu zehn Prozent daran partizipiert (vgl. Lupsiewicz 2016).
Um ihren Gästen ein zeitgemäßes und attraktives Produkt bieten zu können, müssen die Sehenswürdigkeiten für den Betrieb sowie für Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen zahlreiche Produkte und Dienstleistungen von anderen Firmen erwerben – z.B. von Hoch- und Tiefbaubetrieben, Handwerkern, Banken, Versicherungen etc. Die tourismusbedingten Umsätze in den Sehenswürdigkeiten und in diesen Wirtschaftszweigen fließen in Form von Löhnen, Gewinnen, Zinsen etc. aus den Betrieben heraus und sorgen in weiteren Unternehmen für Einnahmen.
Der Umfang dieser MultiplikatoreffekteMultiplikatoreffekte ist in mehreren Fallstudien ermittelt worden (vgl. Woodhouse 2014; MSP 2015, S.36; Wakelin 2016, S.46; Cudny 2017, S.71):
Für die Völklinger HütteVölklinger Hütte, Völklingen wurden jährliche Einkommenswirkungen in einer Gesamthöhe von 12,2Millionen Euro berechnet, die überwiegend zu einer Stärkung der saarländischen Wirtschaft führen. Rechnerisch ergibt sich hieraus ein Beschäftigungseffekt von mindestens 400 Arbeitsplätzen.
Die ökomischen Wirkungen des Ironbridge Gorge Museum, die durch die Gehälter der 200 Angestellten sowie die Ausgaben des Museums ausgelöst werden, belaufen sich jährlich auf ca. 23 Millionen Euro.
Als wichtiger regionaler Wirtschaftsfaktor erweist sich auch das Big Pit National Coal Museum in Blaenavon (Wales)