Tränen auf der Autobahn - Uwe Daniel - E-Book

Tränen auf der Autobahn E-Book

Uwe Daniel

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Beschreibung

Ein Potpourri aus 29 Erzählungen und Kurzgeschichten. Die Titelgeschichte ist eine Love-Story. Henrick verbringt ein paar Wochen an der Ostsee und lernt Tim kennen und lieben. Eingerahmt ist diese Liebesgeschichte von teils heiteren, manchmal spannenden, oder alltäglichen Geschichten. Einige Erzählungen beschäftigen sich thematisch mit HIV, ohne zu dramatisieren und geben dem Lesenden Raum für eigene Gedanken.

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Prolog von Dieter Ebels

Es liegt jetzt schon einige Jahre zurück, als ein, mir bis dahin unbekannter Mann, namens Uwe Daniel, Kontakt zu mir aufnahm. Er erklärte mir, dass er ein Buch geschrieben hat und es gerne veröffentlichen würde. Dann fragte er mich, ob ich als erfahrener Autor ihn bei diesem Projekt den einen oder anderen Tipp bezüglich der Veröffentlichung geben könne, was ich natürlich sehr gerne getan habe. Nicht nur, dass wir uns zusammengesetzt haben, wir haben uns auch bei einem ausgedehnten Spaziergang durch den Landschaftspark Duisburg-Nord ausgetauscht. Dabei habe ich mit Uwe Daniel einen Menschen kennengelernt, der mich mit seiner außergewöhnlichen Offenheit und Ehrlichkeit tief beeindruckt hat, einen Mensch, den ich sehr gerne in meinen Freundeskreis aufgenommen habe. Uwes Lebensgeschichte hat mich sogar dazu inspiriert, einen Teil davon in meine Krimis einfließen zu lassen. Als Uwes Erstlingswerk „Der Junge, der das Schreiben lernte“ schließlich auf dem Markt kam, habe ich mich sehr für ihn gefreut und ihn als neuen Schriftstellerkollegen darum gebeten, das Vorwort meines seinerzeit erschienenen Krimis „Mord am Magic Moutain“ zu verfassen, was er zu meiner Freude auch tat. Nun, da Uwe sein neues Werk vollendet hatte, war es für mich eine Ehre, ebenfalls den Prolog dafür zu schreiben. Das Buch mit dem Titel „Tränen auf der Autobahn“ ist, wie sein Vorgänger „Der Junge, der das Schreiben lernte“, eine wunderschön geschriebene Sammlung von Geschichten, die beim Lesen eindrucksvoll in verschiedene Welten führen. Es ist ein Buch, das ich den Leserinnen und Lesern nur ans Herz legen kann. Ich wünsche dir, lieber Uwe, viel Erfolg mit deinem neuen Titel und dass du weiterhin so fantasievoll deiner Feder freien Lauf lässt.

Dieter Ebels

Inhaltsverzeichnis

1. Wo warst du? - Trilogie Teil 1

2. Berge, Regen, Raki

3. Das Bad

4. Zwei Reihen vor mir

5. Raus aus der Deckung

6. Dogsitting

7. Nackt

8. Der Anfang – HIV und ich

9. Vorher

10. Tränen auf der Autobahn

11. 45 Jahre

12. Irgendwo in einem kleinen Dorf – Trilogie Teil 2

13. Wiedersehen nach dem Lockdown

14. Ganz anders, als du denkst

15. Warten, aber mit Stil

16. Peace

17. Das Wunder

18. Montage

19. Träume

20. Gift

21. Zukunft - Trilogie Teil 3

22. Sag es oder sag es nicht

23. Triton

24. Tornado an der Kiellinie

25. Nie wieder verstecken

26. Wende oder Wände

27. Warum muss der Inder auf den Speicher?

28. Größe ist nicht alles

29. John

Wo warst du? Trilogie Teil 1

Es ist heiß an diesem Dienstag im August. Nach der Wanderung im Wald, wo es wegen der alten Bäume noch angenehm kühl war, hat Olli jetzt Lust auf einen Eiskaffee und ein Stück leckere Torte. Frisch geduscht und in bequem locker sitzender Kleidung läuft er zum einzigen Café des kleinen Ortes. Im überschaubaren Außenbereich des Cafés sind alle Tische besetzt. Da es unter den Sonnenschirmen noch sehr heiß ist, ist ein Platz im Innenbereich sehr willkommen. Das Café ist leer und er setzt sich an einen kleinen Tisch. Die Ruhe in der kleinen Konditorei ist einfach wohltuend und Olli lässt gedanklich die letzten Tage seines Urlaubs Revue passieren. Die Hektik der Großstadt hat er bereits nach wenigen Tagen hinter sich gelassen. Aus der Küche kommt ein Herr mittleren Alters und schaut über die Theke. Schon beim ersten Blick in das Gesicht des Mannes ist er verunsichert. Ihm ist, als würde er den Herrn kennen. Er ist etwas kleiner als Olli, wahrscheinlich ca. einen Meter achtzig. Er trägt sein Haar sehr kurz, sportliche Figur und sauber gestutzte Brusthaare, die vorwitzig aus dem Ausschnitt seines Polo-Shirts schauen. Er kommt an Ollis Tisch und nimmt die Bestellung auf. Seine Stimme klingt dunkel und männlich, aber irgendwie hat Olli das Gefühl, diese Stimme zu kennen. Um die Hüften trägt er eine Schürze und darunter eine knielange Shorts, die den Blick auf dunkel behaarte, leicht gebräunte Beine freigeben. Kurze Zeit später wird die Bestellung auch schon serviert. Olli nimmt einen Schluck vom Eiskaffee und während er den Mann hinter dem Tresen beobachtet, legt sich seine Stirn in Falten. Er überlegt und versucht sich zu erinnern, woher ihm die Gesichtszüge und die Statur des Mannes so bekannt, ja fast vertraut vorkommen? Er wusste genau, diesen Mann zu kennen. Aber woher? Oder täuscht er sich doch? Dann schießt es plötzlich wie ein Blitz durch seine alten, grauen Zellen. Er hat plötzlich ein Bild vor seinem geistigen Auge. Es muss jetzt über vierzig Jahre her sein, dass sich ihre Wege, ihre Leben trennten. Damals, als Jugendlicher, trug er sein dunkles Haar länger und lockig. Seine Stimme war auch noch etwas heller. Olli fragt sich, ob er es wirklich sein könnte? Sein Jugendfreund Jü, mit dem er über drei Jahre seine Freizeit gestaltet hatte, bei dem er die Wochenenden verbringen durfte. Als sich ihre Wege trennten, war Olli klar, dass die sozialen Unterschiede zwischen ihnen einfach zu groß sind, unüberwindbar. Olli war nur ein einfacher Junge aus einer Arbeiterfamilie und fühlte sich im Hause der Oberschicht nicht zugehörig. Während er nichts besaß, bekam sein Freund alles von seinen sehr wohlhabenden Eltern finanziert. Kein Wunsch wurde ihm abgeschlagen. Olli muss fünfzehn Jahre alt gewesen sein, als er spürte, dass sich bei ihm aus der Jugendfreundschaft mehr entwickelte, er seinen Kumpel plötzlich begehrte und er Teil seiner Fantasien wurde. Er war zutiefst davon überzeugt, dass sie keine gemeinsame Zukunft haben würden. Und Jü zeigte damals bereits Interesse an Mädchen. Olli hatte früher nicht den Mut, die Kraft, seinem besten Freund seine Gedanken und die für ihn neuen, wirren Gefühle mitzuteilen. Er wusste ja selber noch nicht, wie er seine Gefühle ordnen sollte. Wenn Olli bei Jü übernachten durfte, schliefen sie in getrennten Betten in seinem Zimmer und Olli verzehrte sich nach ihm. Er traf für sich eine Entscheidung und zog sich von seinem Freund, von dessen Familie zurück.

Was hat ihn nur hierhin verschlagen? Ihm stand mit dem Reichtum seiner Eltern die Welt offen. Olli denkt, ich muss ihn fragen und geht zur Theke. Er sagt: „Mag sein, dass ich mich täusche, aber bist du es Jü, ich meine Jürgen Lührs?“ Der Mann zögert einen Moment, legt seine Stirn in Falten und sagt: „Ja, das bin ich,“ hält kurz inne und fügt mit strahlenden Augen hinzu, „ich glaube es nicht, Oliver, bist du es wirklich, mein Freund Olli Reck? Wo warst du? All die vielen Jahre. Damals war plötzlich unser Kontakt abgebrochen. Wie alt waren wir? Sechzehn?“ „Fast“, erwidert Olli, „wir waren fünfzehn“ und geht um die Theke herum, öffnet seine Arme und die alten Jugendfreunde liegen sich mit Tränen in den Augen in den Armen.

Als sich beide wieder gefasst haben, sagt Olli: „Es tut mir so leid, es war meine Schuld, ich konnte damals nicht anders. Ich würde dir das gerne alles erzählen.“ Jü schaut seinen alten Jugendfreund an und erwidert: „Ja, ich glaube, wir haben uns viel zu erzählen. Wenn die Gäste im Außenbereich gegangen sind, werden bei der Hitze keine neuen Gäste kommen und ich bin hier der Chef. Ich mache den Laden dann zu. Wäre 18 Uhr im Gasthaus für dich ok?“ Olli lächelt und sagt: „Gerne, ich freue mich auf den Abend mit dir. Ich bin gespannt, was dich in dieses kleine Dörfchen verschlagen hat?“ Er geht zurück an den kleinen Tisch und Jü läuft nach hinten, um etwas in der Küche zu erledigen. Olli ist überwältigt von der unerwarteten Begegnung mit Jü nach so vielen Jahren. Er hat keinen Appetit mehr, legt 10 € auf den Tisch und ruft nach hinten: „Jü, ich gehe dann mal. Bleibt es bei heute Abend?“ Jü kommt zum Tresen und sagt: „Auf jeden Fall. Es ist ganz ungewohnt, mit Jü angesprochen zu werden, hier nennt mich niemand so. Ich bin von unserem Wiedersehen noch ganz aufgewühlt und ich möchte alles erfahren. Bis später“ und lächelt Olli zu.

Berge, Regen, Raki

Es ist Mitte Mai und wir haben auf Kreta eigentlich sonniges, warmes Wetter erwartet. Aber nach unserer Landung auf dem Flughafen Heraklion müssen wir feststellen, dass auf die Jahreszeiten kein Verlass mehr ist. Ein Tiefdruckgebiet überquert Kreta, der Himmel ist bedeckt und es ist windig. Die Straßen sind noch nass und zeugen davon, dass es erst kürzlich geregnet hat. Elena, die Schwester meines Partners Nikos, wartet am Flughafen, um uns abzuholen. Nach einer innigen Begrüßung laden wir unser Gepäck in Elenas Auto. Im Wagen wartet der Neuzugang der Familie auf uns. Im Fußraum sitzt ein kleiner, schwarzer Hund und schaut uns aus großen, schwarzen Knopfaugen an. „Das ist Irma“, stellt uns Elena die Kleine vor und erklärt, sie sei ihr zugelaufen. Und da Elena wie Nikos in Deutschland aufgewachsen ist, wurde die kleine Hündin kurzerhand Irma getauft. Nachdem ich mich mit Irma vertraut gemacht habe und sie mich ausgiebig beschnüffelt hat, will sie sofort auf meinen Schoß, um während der Fahrt aus dem Fenster zu schauen. Sie wedelt die ganze Zeit unermüdlich mit ihrem Schwanz und wir beide waren offensichtlich spontanverliebt ineinander. Elena sagt: „Letzte Nacht ist noch ein schweres Unwetter über Kreta gezogen, aber das Wetter hat sich schon deutlich beruhigt. Heute Nachmittag sind nur noch einzelne Schauer angekündigt. Und ich habe eine Überraschung für euch. Ich habe für uns eine Bergwanderung gebucht.“ „Toll“, erwidert Nikos, „für wann denn? „Schon für morgen“, entgegnet Ellena, „aber das Wetter soll sich bis morgen noch stabilisieren und die Wanderung wurde vom Veranstalter auch nicht abgesagt. Die Tour hat auch nicht den Schwierigkeitsgrad der Samaria Schlucht. Ich kann allerdings nicht teilnehmen, ich bin etwas unpässlich, aber für mich springt Aris ein, unser Cousin.“ Nikos sagt: „Dann hoffen wir mal, dass morgen wieder die Sonne scheint. Und Aris, den habe ich ja schon einige Jahre nicht mehr gesehen. Wohnt er noch bei seinen Eltern im alten Dorf unserer Familie? Wie alt ist Aris jetzt?“ E-lena überlegt und antwortet: „Er müsste jetzt 25 Jahre alt sein und er wohnt tatsächlich noch im Dorf. Damit er morgen früh nicht so eine lange Anfahrt über die Berge hat, kommt er schon heute Abend zu uns und übernachtet im Gästezimmer. Ihr beide bekommt mein Schlafzimmer und ich selbst ziehe so lange in das Gästezimmer unserer Eltern.“ „Was für ein Aufwand“, entgegnet Nikos, aber zum Glück ist das Gästezimmer bei den Eltern ja gleich nebenan.“

Nach dem Auspacken klingelt es auch schon an der Türe. Elena öffnet und ein junger Mann betritt den Raum. Ich denke, was für ein hübscher Kerl. Schlank, leicht gebräunt, kurzes lockiges Haar, breite Schultern und schmale Hüften. Er lächelt und begrüßt erst herzlich Elena, kommt dann auf uns zu, begrüßt ebenso herzlich Nikos und mich. Nikos stellt mich als seinen Partner vor. Wir nehmen uns Getränke und setzen uns auf den großen gemütlich eingerichteten Balkon. Irma immer an meiner Seite, legt sich zu meinen Füßen. Während die drei sich noch in ihrer Landessprache unterhalten, beobachte ich Aris und denke, ich könnte schwören, dass er schwul ist. Dann sagt Aris: „Wir können uns auf Deutsch unterhalten, ich spreche es nicht fehlerfrei, aber ich habe es ja in der Schule gelernt. Mir fehlt nur die Übung.“ „Perfekt“, sage ich, „das macht die Kommunikation etwas einfacher.“ Nikos und Aris ist die Freude über das Wiedersehen nach so langer Zeit deutlich anzusehen. Alle haben sich unglaublich viel zu erzählen. Zum Abendessen geht es rüber zu den Eltern. Nach dem Essen holt Nikos Papa den selbstgemachten, eisgekühlten Raki und schenkt allen ein. Als wir zu Bett gehen und ich mit Nikos alleine bin, frage ich ihn, ob Aris auch schwul sei. Nikos lacht und sagt: „Ich weiß es nicht genau, als ich ihn damals das letzte Mal sah, war er noch ein Jugendlicher. Da er aber noch im Dorf wohnt und noch nicht verheiratet ist, spricht einiges dafür, dass er einer von uns ist. Er hat ja bisher nicht mal eine Freundin gehabt.“ „Und das, wo er so umwerfend gut aussieht“, ergänze ich Nikos Feststellungen. „Wer weiß, vielleicht ergibt sich ja bei der Wanderung ein Gespräch in diese Richtung“, entgegnet Nikos.

Am nächsten Morgen ist es zwar noch bewölkt, aber tatsächlich trocken und so starten wir gut gelaunt in den Tag. Nach dem Frühstück, bringt uns Elena mit ihrem Auto zum Ausgangspunkt der Tour. Sie verabschiedet sich von uns und fährt zum kleinen Örtchen Skalotí, wo unsere Wandertour enden soll. Dort möchte sie mit Irma einen schönen Tag verbringen. Als sich alle Teilnehmenden am Treffpunkt eingefunden haben, werden wir mit einem bereitstehenden Bus zum Startpunkt der Tour gebracht. Der Bus hält nach relativ kurzer Fahrt irgendwo im Nirgendwo, aber unser Guide, ein grauhaariger, sonnengebräunter Mann mittleren Alters, erklärt, wir sind nun in Kallikratis und hier startet die Tour. Er stellt sich der Gruppe als Yiannis vor und erklärt, dass der Bus nach Skalotí fährt und dort auf uns warten wird. Die Wandergruppe besteht aus ungefähr fünfzehn Personen, meist Touristen Paare, die nicht sehr gesellig erscheinen, sich nicht gruppendynamisch verhalten und als Zweiergespann Yiannis folgen. Dieser erklärt, dass unsere Tour uns durch die Skalotí Schlucht führt und etwas länger als 12 Kilometer lang ist. Wir drei Männer, stechen aus dem Gefüge hervor und laufen als Trio. Sind die Wege anfangs noch breit, werden sie schnell zu unebenen Pfaden. Dann setzt nach kurzer Zeit Nieselregen ein. Keiner der Teilnehmenden hat im Mai an Regenkleidung oder einen Schirm gedacht. Einige Personen kramen große Plastiktüten aus ihren Rucksäcken, schneiden Löcher hinein und ziehen sich die Tüten über ihre Köpfe. So ist zumindest der Oberkörper etwas vor Regen geschützt. Wir tragen über unseren Shirts nur dünne Jeansjacken, die schnell vom Regen durchnässt sind. Anfänglich noch hoffend, dass es nur ein kurzer Schauer ist, entwickelt sich der Regenguss zu einem gleichmäßigen Landregen. Yiannis läuft, und die Gruppe trottet hinter ihm her. Gelegentlich erklärt er uns, um welche Pflanzen oder Felsformationen es sich handelt. Der Anblick der zerklüfteten Landschaft ist atemberaubend und ich mache unzählige Fotos von der örtlichen Flora. Schnell sind wir bis auf die Haut durchnässt. Die ohnehin dürftige Tagestemperatur fühlt sich dadurch noch viel geringer an. Uns ist kalt.

Dann erreichen wir die Maniká Hochebene. In weiter Ferne steht ein windschiefer Baum alleine in üppig grüner Landschaft. Dahinter, auf der anderen Seite der Ebene erstreckt sich ein Gebirge, über dem sich gerade Wolken schieben und auf die Ebene absinken. Der Nebel legt sich über das Plateau und lässt alles mystisch erscheinen. Ein faszinierender Anblick und ich vergesse fast, dass ich durchnässt bin und friere. Ohne Ziegen zu sehen, vernehmen wir gelegentlich das Bimmeln der Glocken, welche die Tiere um den Hals tragen. Während ich damit beschäftigt bin, Bilder aus unterschiedlichsten Perspektiven zu schießen, habe ich gar nicht mitbekommen, dass Nikos und Aris in ein Gespräch vertieft sind. Als ich wieder zu den beiden aufschließe, erklärt Nikos mir, dass Aris wie vermutet, auch schwul ist. Nikos schildert, dass obwohl zwischen ihm und Aris fast zwei Jahrzehnte Altersunterschied liegen, alles wie damals sei. Seine Eltern stellten ihm immer wieder Frauen vor. Alles potenzielle Schwiegertöchter, die ihnen Enkel schenken sollten. Nikos ist deshalb auch in Deutschland geblieben. Aber seine Eltern fragten bei jedem Besuch auf der Insel, ob er immer noch keine Freundin hätte. Auch noch, als ich ihnen als Nikos Partner vorgestellt wurde. Es scheint so, als seien die Menschen auf der Insel immer noch in alten Traditionen verwurzelt. Nikos erzählt seinem Cousin davon, dass es sich erst geändert hat, als er mit seinem Vater alleine zum Schwimmen ging, das Gespräch suchte und seinem Pa erzählte, dass er mit mir glücklich sei und er niemals eine Frau heiraten würde. Sein Vater wurde sehr still, dachte nach, sagte dann: „Gut mein Sohn, Hauptsache du bist glücklich.“ Er meinte noch, ein Gespräch mit Nikos Mutter wäre nicht nötig, er würde es ihr sagen. Erst seit diesem Tag endete jegliche Nachfrage bezüglich einer Freundin.

Eine kleine Kirche neben der zwei Bäume mit mächtigen Baumkronen stehen, taucht vor uns auf. Yiannis schlägt vor, dort Rast zu machen, in der Hoffnung, dass es unter dem Blätterdach etwas trockener ist. Unter den Bäumen angekommen, holen die Teilnehmenden ihr Proviant aus den Rucksäcken. Neben belegten Broten gibt es Tomaten und kleine Frikadellen. Aus Thermoskannen wird Kaffee oder Tee eingeschenkt und getrunken. Der Becher in der Hand ist eine wohltuende Wärmequelle und bei jedem Schluck spürt man die Wärme der Flüssigkeit im Körper. Die Regentropfen fallen aus den Baumkronen auf uns nieder und als der Wind auflebt, ergießt sich ein ganzer Schwall Regenwasser über uns. Yiannis deutet auf die kleine Kirche, geht hinüber und stellt fest, dass die Türe unverschlossen ist. Wir gehen alle in die kleine Kapelle und stehen eng gedrängt, aber vor weiteren Regen geschützt. Damit die Touristen das Gespräch nicht verstehen, wechselt Aris in die Landessprache und sagt: „Nikos, was du mir eben erzählt hast, deine Geschichte von dir und deinen Eltern, ich überlege, ob ich auch diesen Weg gehen sollte?“ „Hm, ich glaube es wäre besser für dich und dein Leben hier Aris“, entgegnet Nikos, „Ich hatte ja noch das Glück, dass ich nicht auf der Insel lebe und nur zu Besuch hierher komme. Ich glaube nicht, dass sich etwas ändert, wenn du dich nicht outest. Sag es nur der engsten Familie, sonst wird es kein Ende finden und sie werden dich immer wieder nach einer Freundin fragen oder dir Frauen vorstellen. Spätestens wenn du einen Partner hast, den du der Familie vorstellen möchtest, wird es der bessere Weg sein.“ „Danke“, erwidert Aris, „es tut so gut mit dir darüber zu sprechen.“

Nur Yiannis hat das Gespräch mitbekommen und lächelt uns zu. Die Luft in dem kleinen, heiligen Gemäuer wird stickig. Yiannis öffnet die Türe und stellt fest, dass der Regen nachgelassen hat. Wir verlassen die Kirche und setzen uns wieder in Bewegung. Kurze Zeit später hört es auf zu regnen und die Sonne erstrahlt durch Wolkenlücken. Nikos fragt Aris: „Möchtest du denn