Träume und Albträume - Michael Marker - E-Book

Träume und Albträume E-Book

Michael Marker

0,0

Beschreibung

Michael Marker präsentiert hier eine Sammlung seiner Kurzgeschichten, die zum Teil in den vergangenen Jahren entstanden sind, teils aber auch erst in allerjüngster Zeit. Die Texte variieren zwischen kritisch, liebevoll, beobachtend, humorvoll, hintergründig, befremdlich, verstörend. Kritik, auch verborgene Gesellschaftskritik und Humor, letzterer bisweilen auch schwarz, erschließen sich meist erst auf den zweiten Blick. Sie sind in der Regel nicht bösartig oder sarkastisch sondern entspringen eher einer Verständnislosigkeit gegenüber individuellem oder gesellschaftlichem Verhalten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 168

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bisherige Veröffentlichungen des Autors:

Das achte Gebot – Erzählungen

ISBN: 9783741222696

IM Julia – Novelle

ISBN: 9783756816101

Jenny – Erzählungen

ISBN: 9783752629293

Louis Lalage – Novelle

ISBN: 9783756836895

Träume und Albträume –

ISBN: 9783752840216

39 Kurze Geschichten

Inhalt

Vorwort

Ein Fall von Liebe

Theatertod

Parkbank

Preußisch Arkadien

Warum Weihnachten ausfällt

Philosophisches Dilemma

Rausch

Lug und Trug oder: Die Urlaubsreise

Küken

Politik

Unde venistis oder: Das Arschloch

Walthers Besinnung

Ende eines Sommers

Abrechnung I

Abrechnung II

Prinzessin

Solidarität

Absturz

Der Smaragdanhänger

Das Blechding

Vater werden

Erinnerung

Mops

Süße Rache

Traumhaft

Ambitionen

Der Fremde im Zug

Sein Schein

Ausfluch

Bewährungsprobe

Warum der Hase kein Osterhase mehr sein will

Epidemie

Unterwelt

Feind und Helfer

Fuchs und Haas

Der Fremde in meinem Bett

Abschied

Verführung

Konflikt

Zum Autor

Vorwort

Die Charaktere der überwiegenden Erzählungen in diesem Band entspringen ebenso wie die Handlungen selbst ausschließlich der Phantasie des Verfassers. Etwaige Ähnlichkeiten wären rein zufällig. In einigen Fällen basieren die Texte auf eigenen Erlebnissen, was am jeweiligen Textende entsprechend gekennzeichnet ist. Soweit bewusst Zitate verwendet wurden, sind diese, wenn auch ohne Nennung des zum Teil nicht bekannten Urhebers kursiv gekennzeichnet. Für etwaige Versäumnisse in dieser Hinsicht entschuldigt sich der Autor.

Mai 2023

Michael Marker

Ein Fall von Liebe

Carla hatte wieder einen ihrer Schreikrämpfe gehabt, die sie so oft bekam, wenn sie beim Sex Beherrschung und Besinnung verlor. Er hatte wie immer versucht, die Ruhe zu bewahren. Was waren schon Beschimpfungen wie Idiot oder Einfaltspinsel? Letzteres war in letzter Zeit ihr häufigster Ausdruck gewesen. Dabei pflegte sie die Betonung auf die dritte Silbe zu legen und verächtlich zu lachen. Manches Mal war es laut zugegangen. Diverse Anrufe von Nachbarn bei der Polizei waren die Folge gewesen. Er hatte alles versucht, Hilfe zu erlangen, aber es hatte nichts genutzt. Es sei eine Form von Hysterie, hatten die Psychiater erklärt und zu Therapien geraten. Aber Carla hatte jegliche Form von Behandlung abgelehnt.

„Such dir doch eine andere, wenn du meiner Leidenschaft nicht gewachsen bist, du Schlappschwanz!“ Die Häme, die sie in diesen Ausdruck legte, hatte ihm fast den Verstand geraubt. Aber wie immer hatte er sich nicht gewehrt, selbst als sie handgreiflich wurde. Er hatte sie nur zum Schweigen bringen wollen, indem er ihr seine Handkante quer über ihren sinnlichen Mund hielt. Sie hatte ihn abgewehrt und war in ihrer Rückwärtsbewegung ins Stolpern geraten. Der Aufprall auf der schweren Marmorplatte war heftig gewesen. Krachend war ihre Kalotte geborsten. Blut und weißliche Gehirnmasse ergossen sich auf das Parkett. Nach einem Augenblick des Nichtbegreifens trug er sie hinüber ins Schlafzimmer und bedeckte sie mit ihrem Lieblingskleid, das sie immer so verführerisch für ihn abgestreift hatte. Dann gab er ihr einen Strauß Rosen aus dem Garten in ihre gefalteten Hände und schloss ihre Augen.

Es blieb ihm nicht mehr viel zu tun. Er setzte sich an seine Maschine und verfasste zwei Briefe, einen an seine Kinder, in dem er versuchte, ihnen das Unbegreifliche verständlich zu machen und sie um Verzeihung bat und einen an die Polizei, in dem er den Hergang wahrheitsgemäß und unter Hinweis auf Carlas temporäre Unberechenbarkeit schilderte. Nein, es war kein Mord gewesen, noch nicht einmal Körperverletzung mit Todesfolge, nur ein ganz banaler Unfall. Es war ihm egal, dass ihm niemand glauben würde. Aber wie sollte er ohne ihre Liebe weiterleben?

Er setzte sich in sein Auto und fuhr hinaus in den Wald, dorthin, wo sie sich auf dem einsamen Waldparkplatz damals zum ersten Male geliebt hatten. Als sein Blick auf die Familienbilder fiel, die er an die Windschutzscheibe geheftet hatte, kamen ihm die Tränen.

Dann gab er sich den Fangschuss.

Theatertod

Ein Messer blitzte auf. Ein Schrei erklang. Die Scheinwerfer erloschen. Der Vorhang schloss sich. Die Zuschauer atmeten hörbar auf, als sich die Spannung löste.

Die Lichter im Saal gingen an. Es war wieder einmal ein Meisterstück des gefeierten Autors gewesen. Das Publikum applaudierte frenetisch der soeben miterlebten Uraufführung, zu der sogar das Fernsehen erschienen war. Die Regie hatte es geschickt verstanden, das Publikum bis zur letzten Sekunde im Unklaren zu lassen. Gewiss, die Ermordung des Publikumslieblings war allseits erwartet worden. Der fiese Protagonist, den er verkörperte, hatte es aber auch verdient gehabt, abgemurkst zu werden. Offen war bis zum Schluss nur geblieben, wer den Mut hatte oder so verzweifelt war, das Scheusal ins Jenseits zu befördern.

Langsam erhoben sich die Zuschauer von ihren Sitzen, spendeten stehend Beifall, wollten durch ihr rhythmisches Klatschen die üblichen Vorhänge mit den Verbeugungen von Darstellern, Regisseur und des bei der Premiere selbstverständlich anwesenden Autors erzwingen. Aber nichts geschah.

Im Saal begann man, unruhig zu werden. Vereinzelt machte sich Unmut in Pfiffen Luft.

In diesem Augenblick ertönte aus den Lautsprechern eine sonore Stimme, die dazu aufforderte, sich noch einen Augenblick zu gedulden und einstweilen die Plätze wieder einzunehmen, bis die Vorbereitungen für die Premierenfeier abgeschlossen seien, die sich aufgrund eines technischen Problems leider noch ein wenig verzögerten. Bis es soweit sei, solle man die eingespielte Musik genießen.

Von draußen erklangen die Signalhörner sich nähernder Einsatzfahrzeuge. Witze wurden gerissen, ob vielleicht jemand die Theaterkasse geklaut oder den Typen im gegenüber gelegenen Rathaus endlich einmal Feuer unter dem Hintern gemacht habe. Es seien wohl die Bullen, bemerkte einer, deren Martinshörner klängen irgendwie schräg, nicht so kernig wie die der Feuerwehr. Man wisse ja, dass das alles Schlaffies seien, die immer gerade dann nicht kämen, wenn man sie bräuchte.

„Klar, 1 – 1 – 0, die Jungs, die man ruft. 1 – 1 – 2, die Jungs, die auch kommen.“

Das Gelächter seiner Nachbarschaft war dem Spaßvogel sicher.

Regisseur und Autor betraten die Bühne. Hinter dem noch immer geschlossenen Vorhang war es still, totenstill.

Zwei Herren in Trenchcoat und mit Schlapphüten betraten mit einigen Uniformierten den Raum, die sich sofort an den Ausgängen postierten. Irgendetwas stimmte hier nicht, das war allen im Saal schlagartig klar geworden.

„Was ist denn los?“

„Kann einem vielleicht mal einer sagen, was das soll?“

Erster Widerstand keimte auf. Der eine der beiden Beschlapphüteten, offenbar der Anführer der Truppe, ergriff ein Mikrofon.

„Es besteht kein Grund zur Unruhe, es hat nur einen Toten gegeben.“

„Witzbold. Es konnte schließlich jeder sehen, wie der Kerl verdientermaßen abgemurkst wurde.“

„Sehe ich aus, als machte ich Scherze? Jemand hat den Hauptdarsteller ganz real und unplanmäßig ins Jenseits befördert. Befolgen Sie einfach die Anweisungen meiner Kollegen. Wir werden Ihre Namen und Sitzplatznummern notieren, um sie eventuell später als Zeugen zu befragen.“

Inzwischen waren immer mehr Menschen am Rande der Bühne zusammengekommen.

Der Requisiteur beschwor, er habe das Theatermesser extra vorher geprüft, um sicherzugehen, dass die Klinge beim Auftreffen im Heft verschwinde und könne sich nicht erklären, wie man jemanden damit habe umbringen können. Es sei denn, das Teil sei ausgetauscht worden.

Der Autor legte dar, es sei gerade der Clou des Stückes, bei jeder Aufführung einen anderen Mitspieler, ein anderes Opfer des Fieslings zum Täter aufzubauen, so dass er selbst gar nicht wisse, wem der Regisseur die Rolle des Vollstreckers heuer zugedacht gehabt habe. Wer immer ein Motiv gehabt haben könnte, den eigentlich beliebten Hauptdarsteller um die Ecke zu bringen, konnte gar nicht davon ausgehen, das Messer in die Hand und somit die Gelegenheit zur Tat zu bekommen.

Der Regisseur wiederum behauptete, die Rolle des Mörders ausgelost zu haben und selbst nicht zu wissen, welchem der anderen Schauspieler die Aufgabe zugefallen sei, den Star des Ensembles zu erdolchen.

Allenthalben stand man vor einem Rätsel.

„Tja, dann werden Sie uns wohl alle aufs Revier begleiten müssen.“

In diesem Augenblick flüsterte ihm sein Assistent etwas ins Ohr.

„Ich erfahre gerade, dass der Tote gar nicht erstochen wurde, sondern erschossen. Offenbar unter Verwendung eines Schalldämpfers, gerade in dem Augenblick, als ihn der falsche Dolch traf und der Vorhang fiel. Es kommen also auch das gesamte Theaterpersonal und möglicherweise auch Zuschauer als Tatverdächtige in Frage. Wir werden Sie also alle abführen und vernehmen.“

Ein Tumult bahnte sich an. Einige Zuschauer behaupteten, sie hätten von ihren Mittelplätzen aus doch gar nicht die Gelegenheit gehabt, unbemerkt ein Mordinstrument in Anschlag zu bringen.

„Auch wieder wahr. Also kommen nur die Randplätze und die hinterste Reihe in Frage. Es sei denn, jemand habe kurz zuvor den Saal verlassen.“

Die Schließer sagten allerdings übereinstimmend, es habe in den letzten Minuten des Stückes niemand mehr den Saal verlassen oder wieder betreten.

Also war man so klug wie zuvor.

„Und was wird nun aus der Premierenfeier im Ratskeller, dem Presseempfang, der Tourneé?“

„Das können Sie vergessen.“

„Oh Gott, oh Gott! So ein Skandal. Wir sind ruiniert“, sagte der Intendant des Tourneetheaters.

„Wir können das Haus dicht machen“, lamentierte der Oberbürgermeister.

„Seien Sie froh, dann sparen Sie sich wenigstens die Subventionen“, entgegnete ihm ein kritischer Vertreter der Presse.

„Wenn es nach mir ginge … Ich habe mir mein Wochenende auch anders vorgestellt. Bedanken Sie sich doch bei meinem Chef.“

Dabei wies er mit dem Daumen in Richtung Vorhang, wo auf dieses Stichwort hin ein Herr erschien und fragte: „Verstehen Sie Spaß?“

Parkbank

Die beiden Männer, die nebeneinander auf der Bank im Park saßen und auf den kleinen See hinaus blickten, konnten unterschiedlicher nicht sein. Schon äußerlich sah man es ihnen aufgrund von Körperhaltung und Kleidung an.

Der große, elegante Herr hatte sich mit der höflichen Frage, ob der Platz noch frei sei, auf die Bank gesetzt und der andere war stumm ebenso höflich an den Rand gerückt.

Der eine hatte einen großen Becher Mitnehmkaffees aus dem Café am Parkeingang und eine Tüte mit belegten Brötchen neben sich auf die Bank gestellt, der andere entnahm einen Thermos und eingewickelte Butterbrote einem Plastikbeutel vor ihm auf dem Boden.

„Sie sind jeden Tag hier, nicht wahr? Jedenfalls sehe ich Sie immer von meinem Fenster dort oben.“ Dabei deutete er mit dem Daumen hinter sich auf das moderne Bürogebäude.

„Es sind immer eine Menge Leute hier im Park, wie wollen Sie da von so weit oben einen Einzelnen hier unten erkennen? Sind Sie sicher, dass Sie mich nicht verwechseln?“

„Gestern zum Beispiel haben Sie da drüben gesessen, vorgestern hier nebenan und davor ganz dort hinten.“

Bei diesen Worten wies er mit dem Lachsbrötchen in seiner Hand in die betreffenden Richtungen.

„Ich setze mich dort hin, wo gerade ein Platz frei ist.“

„Sie sind mir irgendwie aufgefallen.“

„Ich bin doch eigentlich ein ganz durchschnittlicher Mensch. Ich denke nicht, dass ich besonders auffalle.“

„Vielleicht gerade darum. Sie sitzen stundenlang hier, aber Sie sind kein Penner.“

„Es gibt viele Bezeichnungen, Obdachlose, Wohnungslose, Berber. Bis dahin ist es oft nur ein kleiner Schritt. Ich erhebe mich nicht über sie. Ich habe eben momentan zu viel Zeit, das ist alles.“

„Sie Glücklicher! Ich habe nicht einmal genug Zeit, mich richtig um meine Familie zu kümmern.“

„Sie haben sich die Zeit genommen, hier zu sitzen und uns hier unten von sich dort oben zu beobachten.“

„Kleine Privilegien, die ich mir nur selten erlauben kann.“

„Hätte ich weniger Zeit, dann wüsste ich, wie ich für meine Kinder sorgen könnte.“

„So hat jeder seine eigenen Probleme.“

„Entweder reale Alltagssorgen oder Luxusprobleme.“

„Ich glaube nicht, dass Sie mit mir tauschen wollten.“

„Glauben Sie, Sie fänden sich in meiner Situation zurecht?“

„Ich würde zumindest versuchen, etwas an meiner Lage zu ändern.“

„Warum tun Sie es dann nicht? Ich vermute, Sie können es sich leisten, sich Zeit für die wirklich wichtigen Dinge zu erkaufen.“

„Ich kann mir fast alles leisten.“

„Sie Glücklicher. Das ist der Unterschied zwischen uns.“

„Bin ich glücklich, nur weil ich mir fast alles kaufen könnte, wenn ich es wollte?“

„Bin ich glücklich, weil ich die Zeit habe, über die Dinge des Lebens nachzudenken?“

„Wer von uns ist glücklicher?“

„Sie können sich alle Wünsche erfüllen.“

„Sie haben wenigstens noch welche.“

Preußisch Arkadien

Am letzten Tag meines Aufenthaltes besuchte ich das Schloss, in dem das Fundament für die Trennung der Welt, von Menschen und Familien und letztlich auch für meine eigene Zerrissenheit gelegt wurde, bevor ich mich im Restaurant stärkte für alles, was auf mich zukommen sollte.

Ich achtete nicht auf die anderen Gäste, weil mir die Stimmung mit der sich in dem von Wäldern umsäumten Wasser spiegelnden Sonne wichtiger war. Irgendwo da drüben lagen die Heilandskirche und die Pfaueninsel hinter den Windungen des sich seenartig erweiternden Flusses und ich dachte daran, welche Dramen, Geschichte und Geschichtchen sich hier in unmittelbarer Nähe abgespielt hatten.

Etwas südlich von hier am Eingang des Parks hatte sich der Dicke Willem mit seiner Geliebten getroffen. Nicht viel weiter nördlich hatten die Handlanger des oberösterreichischen Idioten über die deutsch-perfektionierte bürokratische Organisation des Massenmordes beraten. Um die Ecke, einmal quer durch den Park, lag die bis heute in zweierlei Grüntönen gestrichene Eisenkonstruktion, deren verbindende Funktion jahrzehntelang ins Gegenteil verkehrt gewesen war. An den Vorhang, der hier gefallen war, erinnerte in der Mitte eine wenig beachtete Markierung, ein weißer Strich, den zu überqueren es heute nur eines kleinen Schrittes bedurfte, den zu wagen noch vor kurzem gefährlicher und unmöglicher gewesen war, als seinen Fuß auf den Mond zu setzen. Vielleicht waren seinerzeit mehr Menschen auf dem Mond spazieren gegangen, als zur selben Zeit gerade hier, wo die Mächtigen der Welt ihre spezielle Art von Menschenhandel betrieben hatten. Nur ein paar Schritte entfernt hatten sich damals die unbedarften Neulinge an Staatenlenkern von dem schnauzbärtigen georgischen Diktator und Massenmörder über den Tisch ziehen lassen, der bereits begonnen hatte, sein System der willkürlichen Verhaftungen und Ermordungen auch hier, ebenfalls nur einen Steinwurf entfernt, zu etablieren.

Endlich erschien der schon lange herbeigewunkene Kellner und präsentierte die Rechnung. Ein Taxi brachte mich zurück in das Hotel am anderen Ende der Stadt. Ich fuhr hoch auf mein Zimmer und bereitete mir einen Kaffee. Dann setzte ich mich hinaus auf die Terrasse, legte die Beine hoch und blickte hinüber auf den Park, von dem nicht viel mehr zu erkennen war als die Bäume zwischen Marlygarten und Hauptallee und der Turm der Friedenskirche.

Dort unten in der Krypta lag der in geistiger Umnachtung Dahingedämmerte mit seiner Frau, einer Tante der legendären Sisi. Er hatte seinerzeit die große Chance nicht nutzen wollen. Nebenan im Mausoleum hatte nach jahrzehntelangem Exil der dicke polternde Haustyrann seine hoffentlich letzte Ruhe gefunden, dessen unglücklicher Sohn hier mit seinem privaten Paradies den Grundstein zu diesem neuen Weltwunder gelegt hatte. Er hatte die posthume Odyssee des Vaters mitgemacht und ruht nun nach mehr als zweihundert Jahren endlich, wie er es immer gewollt hatte, vor seiner ersten großen Schöpfung, umringt von den einzigen Lebewesen, die er wirklich geliebt hatte.

Die Tragik des vorletzten seiner Nachfolger kam mir in den Sinn, der, schon todkrank, seinen steinalten Vater, Bruder des vorgenannten Umnachteten, beerbt hatte. Der Vater war noch in den Traditionen einer untergegangen Welt verhaftet gewesen und der Sohn hatte nicht mehr die Zeit gehabt, sein Land an die Anforderungen der neuen Ära heranzuführen. Mit ihm starben die Hoffnung auf Fortschritt und Erneuerung, mit ihm verschwanden seine und seiner geliebten Vicky Ideen hinter den verschlossenen Mauern des Mausoleums.

Sein unfähiger Sohn schließlich, der nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als seine unglückliche Mutter dort hinten am anderen Ende des Parks unter Arrest zu stellen, während sein Vater noch dahinschied, führte mit seiner unbeherrschten Großspurigkeit das Land und mit ihm die alte Welt in den Untergang, aus dessen Wirren schließlich das Verbrecherregime des oberösterreichischen Idioten emporstieg, dessen Wahn die Welt in Brand steckte und das Land in ein Verderben stürzte, von dem es sich nicht mehr erholte.

Hinten im Park lag im Antikentempel der älteste Enkel des Großmauls, der durch seinen frühen Tod für den Verbrecher vielen seiner Standesgenossen das Leben gerettet hatte. Neben ihm ein weiterer Nachkomme des Kostümkaisers, der im Untergang Hand an sich gelegt und sein Leben im Spital neben dem Gartentor gegenüber der Kirche vollendet hatte.

Während die Sonne über dem Park unterging und nur noch einzelne Strahlen durch die schmalen Öffnungen des hoch aufragenden Campanile drangen, dachte ich darüber nach, was uns alles erspart geblieben wäre, wenn Fritz und Vicky doch Gelegenheit gehabt hätten, unser Land in eine friedliche und weltoffene Zukunft zu führen. Vicky starb im selben Jahr wie ihre eine ganze Epoche prägende Mutter und folgte ihrem Fritz nach nur dreizehn Jahren in das Mausoleum, dessen fest verriegelte Türen die Allgemeinheit gewöhnlich von einem stillen Gedenken ausschlossen.

Nur bei der Hochzeit des jetzigen Familienoberhauptes soll, wenn ich mich recht erinnere, der Brautstrauß für sie niedergelegt worden sein.

Nach eigenen Erlebnissen

Warum Weihnachten ausfällt

Seit jeher kraxelten die Weihnachtsmänner durch die Kamine in die Häuser, um dort ihre Geschenke für die mehr oder weniger braven Bewohner zu hinterlassen. Trotz ihres undefinierbar hohen Alters bereiteten ihnen die enormen Anforderungen an Kraft, Gelenkigkeit und Geschicklichkeit keine Schwierigkeiten, was wohl auf ihre jahrhundertelange Erfahrung zurückzuführen war.

Zwar kam es gelegentlich zu kleineren Missgeschicken, etwa wenn einer zu viel vom weihnachtlichen Backwerk genascht hatte und in Folge gesteigerter Leibesfülle im Kamin stecken blieb. Den Bewohnern des betreffenden Hauses konnte das egal sein, denn sie waren durch den infolge des verstopften Abzuges erhöhten Gehalt an Kohlenmonoxid sanft entschlafen. Ein bisschen Schwund ist immer. Der solchermaßen geräucherte Mitarbeiter musste dann eben im folgenden Jahr durch einen Kollegen ersetzt werden.

Derlei Kollateralschäden häuften sich, als die Kamine immer kleiner und zum Schutz gegen ungebetene, nicht-weihnachtliche Besucher Gitter eingezogen wurden. Als die Menschen schließlich dazu übergingen, ihre Kamine zur Vermeidung von Versottung durch eindringendes Regenwasser mit Meidingerscheiben oder ähnlichen Dingen zu versehen, gelang es den Weihnachtsmännern kaum noch, auf diesem traditionellen Wege zu ihren Kunden vorzudringen.

Völlig unmöglich wurde es ihnen gemacht, als die Häuser gar keine Kamine mehr hatten, weil die Menschen die benötigte Wärme nicht mehr aus heimelig knisternden Scheiten bezogen. Als nachwachsende Rohstoffe waren diese eigentlich umweltfreundlich, verbreiteten aber leider auch Rauch und Staub und waren daher fanatischen Ökoaktivisten ein Dorn im Auge. Diese gaben keine Ruhe, bis sie auch die letzte offene Feuerstelle reglementiert, deren Abzüge zigmal gefiltert und am Ende verboten hatten. Dies bedeutete das endgültige Aus für diese Art von Frachtzustellung der Weihnachtsmänner.

Die Verteilung auf dem Landwege vermittels Schlittengespannen erforderte bei steigenden Ansprüchen an Zahl und Größe der zu verteilenden Präsente zudem einen stetig wachsenden logistischen Aufwand, der nur mit erheblichem Zuwachs an Personal bewältigt werden konnte. Dessen Einsatz musste koordiniert und verwaltet, die Zustellbezirke zudem je nach Geschenkaufkommen neu aufgeteilt werden.

Die Vorhaltung einer genügenden Menge an Gespannen führte die Weihnachtsmannorganisation aufgrund zunehmender Interventionen militanter Rentierschützer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die beständige Pflege des stark belasteten gleitenden Materials tat ein Übriges. Schlampige Verarbeitung durch Nullbock-Handwerker und minderwertige Materialien führten immer häufiger zu Ausfällen.

Unter den sich verändernden klimatischen Bedingungen kam es zu erheblichen Einschränkungen bei der rechtzeitigen und ausreichenden Beschneiung der benötigten Pisten. Die Schlitten blieben im Matsch stecken, was erhöhte Anforderungen an Tier und Material stellte. Die schwarzgestreuten Straßen verhinderten vollends den Einsatz der gewohnten Gerätschaften.

Solcher Not gehorchend ging man dazu über, anstelle der Schlitten offene Wagen einzusetzen oder Hybridschlitten zu verwenden. Dies stieß auf harsche Kritik seitens der Traditionalisten, welche die reine Lehre des Weihnachtswesens auf das Gröblichste missachtet sahen und sich solchen Neuerungen strikt verweigerten. Es kam zu lautstarken Debatten und bisweilen auch gewalttätigen Blockaden und Auseinandersetzungen. Am Ende drohte gar das Weihnachtsschisma.

Als sich dann noch Radikale in lila Gewändern lautstark zu Wort meldeten und im Sinne einer politischen Korrektheit die gendergerechte Einführung von Weihnachtsfrauen und Weihnachtsneutra forderten, schmiss der Weihnachtsmann mit den Worten „Macht doch euren Dreck alleene!“ endgültig die Brocken hin.

Philosophisches Dilemma

Er kannte ihn nicht und er wollte auch nichts über den Mann wissen, dem er gerade den Hals zudrückte; er tat es nur einfach so, weil er es konnte. Ein letztes Röcheln, Erschlaffen der Muskeln, dann sank der Körper in sich zusammen. Er ließ ihn fallen wie ein Stück Abfall, wie Mörtelspritzer beim Mauern zu Boden fallen oder Späne beim Hobeln. Er achtete nicht mehr auf das dumpfe Geräusch, mit dem sich die Körpermasse auf dem felsigen Boden den Schädel zerschlug.