Das achte Gebot - Michael Marker - E-Book

Das achte Gebot E-Book

Michael Marker

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Beschreibung

Michael Marker präsentiert in seinen Erzählungen diverse verschiedene Ich-Erzähler und ihre teils befremdlichen, teils amüsanten, bisweilen aber auch verstörenden oder bedauernswerten Befindlichkeiten bzw. Gestörtheiten. Meist geht es dabei auch um Beziehungen und ihre Konflikte, die sich nicht immer in Wohlgefallen auflösen. Seine Charaktere tragen wie er selbst Narben auf der Seele.

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Bisherige Veröffentlichungen des Autors:

Das achte Gebot – Erzählungen

ISBN: 9783741222696

IM Julia – Novelle

ISBN: 9783756816101

Jenny – Erzählungen

ISBN: 9783752629293

Louis Lalage – Novelle

ISBN: 9783756836895

Inhalt

Vorwort

Vertrauen

Das achte Gebot

Unterwegs

Schatten

Bestohlen

Zum Autor

Vorwort

Alle Charaktere der in diesem Band enthaltenen Erzählungen entspringen ebenso wie die Handlungen selbst ausschließlich der Phantasie des Verfassers. Etwaige Ähnlichkeiten wären rein zufällig.

Der Text der Erzählung `Vertrauen´ enthält eine Passage in französischer Sprache, die hoffentlich leicht verständlich ist. Im Unterschied zum Protagonisten ist der Autor des Französischen weniger mächtig und hat sich bei der Abfassung eines Übersetzungsprogramms bedient. Für sprachliche und grammatikalische Korrektheit kann daher weder Garantie noch Verantwortung übernommen werden. Der Autor entschuldigt sich dafür ebenso wie für etwaige sprachliche Ungeschicklichkeiten.

März 2023

Michael Marker

Vertrauen

„Es gibt Mädchen so zum Träumen,

wo man dies und jenes tut,

doch nach Tagen kommen Fragen,

war das alles denn so gut?

Es gibt Mädchen, wo man immer wieder

Abschiedsbriefe schreibt,

aber einmal kommt die eine

wo man bleibt.“

Vielleicht habe ich das Lied von Joe Dassin nicht richtig zitiert. Es ist ja auch alles schon so lange her. Joe, der Sohn des großen Jules Dassin, der damals mit der großen Melina Mercouri zusammen war. Joe ist auch einer von denen, die viel zu früh gegangen sind. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wann und wie, aber ich erinnere mich an dieses Lied, besser gesagt an den Refrain. An diese Melodie, die mir nie mehr aus dem Kopf gegangen ist, seit ich sie zum ersten Male gehört habe.

Der deutsche Text orientiert sich natürlich nicht wortwörtlich am französischen Original, gibt aber sinngemäß den Inhalt seines Vorbildes ´La Fleur Aux Dents` wieder, die Darstellung eines Mannes, der irgendwie in den Tag hineinlebt, den es umhertreibt und der dabei mitnimmt, was er bekommen kann, instinktiv, aber immer auf der Suche nach der Beständigkeit einer festen emotionalen Bindung ist.

Im Original ist viel von ´aimer` die Rede, also ´lieben`, womit wohl eher die rein physiologische Verrichtung gemeint sein dürfte, die auch als ´faire l´amour` bezeichnet wird. Wir Deutsche neigen ja mehr dazu, bei der Verwendung des Begriffes alles auszuklammern, was mit seiner Erfüllung zusammenhängt. Die deutsche Sprache und Literatur haben eine lange Tradition, eins vom anderen zu trennen, während im Französischen diese Unterscheidung weniger gebräuchlich ist.

Für mich gehörten, sei es durch genossene Erziehung oder durch erworbene Bildung, bis auf eine kurze, von Neugier und Ehrgeiz, Wut und verletztem Stolz geprägte Phase, immer beide untrennbar zusammen. Dadurch habe ich es mir allerdings nicht gerade leicht gemacht. Man kann nicht behaupten, ich sei ein Typ gewesen, der mitgenommen hat, was er kriegen konnte und daneben, wie in dem Lied, immer nach der ultimativen Herausforderung gesucht hat. Für mich stand im Gegenteil bei jeder Begegnung immer die Frage nach potentieller Endgültigkeit im Vordergrund. Dass mir von daher der Ruf eines Weiberschrecks oder Hagestolzes, wenn nicht gar Schlimmeres, vorauseilte, erfuhr ich erst sehr viel später.

Insofern scheint die Wahl des Liedes als eine Art Vorwort vielleicht erst auf den zweiten Blick verständlich.

Mitte zwanzig sollte man eigentlich bereit sein, sich dem Ernst des Lebens zu stellen. Was immer auch man darunter verstehen mag. Ich jedenfalls hatte keine Ahnung, machte mir keine Vorstellungen davon, was mich erwartete. Bisher hatte ich nicht viele Gedanken an meine Zukunft verschwendet. Alles war irgendwie gelaufen. Das Studium hatte ich so durchgezogen, mich mehr oder weniger auf das Minimum an Pflichtveranstaltungen beschränkt und meine eigenen Interessensgebiete so gut es eben ging damit verbunden.

Es war mir immer genug Zeit geblieben, beispielsweise mit Kommilitonen oder alten Schulfreunden in die Bretagne oder die Provence zu fahren, um meine Sprachkenntnisse noch weiter zu verbessern. Meine Eltern hätten mir das nicht finanzieren können, aber ich hatte die Semesterferien immer zwischen Jobben und Urlaub aufgeteilt und mir dadurch einiges erlauben können. Schon vor dem Abitur hatte ich auf Vermittlung meiner Lehrer jüngeren Schülern Nachhilfe erteilt. Es hatte mir Spaß gemacht. Nach dem Abitur waren diese Kontakte natürlich weggefallen.

Eines Tages hatte mich dann einer der Assistenten an unserem Institut darauf angesprochen, ob ich bereit sei, einem Jungen auf die Sprünge zu helfen, der eigentlich nicht dumm sei. Ich hatte kein Problem damit gehabt, diese Nebentätigkeit während meines Studiums auszuüben, da man mir hinsichtlich der zeitlichen Koordinierung mit meinen Lehrveranstaltungen entgegengekommen war. Um mir zusätzliche Fahrzeiten und Kosten zu ersparen, war ich auf den Vorschlag eingegangen, die Nachhilfestunden bei mir im Studentenwohnheim abzuhalten. Die Entlohnung war gut, wenn auch nicht üppig. Wie gewünscht quittierte ich jeweils am Ende der Stunden den Empfang des Betrages auf einem Quittungsblock mit der Aufschrift `Nachhilfe Ludwig´. Nun ja, alles musste wohl seine Ordnung haben. Man hatte wohl seine Gründe für dieses Prozedere.

Es dauerte eine ganze Weile, bis es mir gelang, ihm den Nutzen der französischen Sprache zu vermitteln. Über den Knaben selbst, der recht verschlossen wirkte, erfuhr ich während der ganzen zwei Jahre, die diese Episode währte, so gut wie nichts, nicht einmal seinen Namen. Manchmal wurde er von einer Dame in einem Cabrio abgeholt, auf dessen Rücksitz ein etwas jünger wirkendes Mädchen saß. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Es war mir auch egal, solange die Kohle stimmte, zumal mit höherem Semester das Studium meine ungeteilte Aufmerksamkeit erforderte.

Irgendwann stand das Examen an. Irgendwie lavierte ich mich durch die Prüfungen und fand mich mit der Frage konfrontiert, wie es nun weitergehen solle. Was fängt man mit einem solchen Studium an, das ich hauptsächlich wegen meiner privaten Interessen gewählt hatte? Es war mehr eine Verlegenheitslösung gewesen, mich für den Schuldienst zu bewerben, weil ich meinen Eltern schließlich nicht ewig auf der Tasche liegen konnte. Über Alternativen zu dieser Berufswahl hatte ich bisher keine Veranlassung gehabt nachzudenken.

So fand ich mich dann schließlich im Lehrerzimmer eines Gymnasiums wieder und schlug mich mit den Tücken von Fachdidaktik, pädagogischen Grundsätzen, Fachleitern und Mentoren und vor allem Schülern herum, diskutierte in Fachseminaren mit Leidensgenossen über Unterrichtsplanungen, Lernziele und lauter Dinge, die bis vor Kurzem noch böhmische Dörfer für mich gewesen waren. Ständige Unterrichtsentwürfe, Besuche von Fachleitern und Kollegen mit anschließenden Diskussionen ließen mir kaum Zeit für so etwas wie ein Privatleben. Irgendwann war ich dann soweit, dass man mich ab und an allein auf die Meute losließ. Offenbar traute man mir zu, einen halbwegs erträglichen Unterricht zustande zu bringen. Es wurde auch höchste Zeit, denn für die endgültige Laufbahnprüfung wurde die eigenständige Konzeption einer ganzen Unterrichtsreihe mit ausführlicher Begründung von Inhalten, Lernzielen und all dem Kram erwartet, deren Durchführung und anschließende kritische Analyse, alles zusammen auf zig Seiten zu Papier gebracht und gebunden.

Aber schließlich war der Stress vorbei und ich bekam, obwohl ich Protestant bin, zum folgenden Schuljahr eine Planstelle als Beamter in der Probezeit an einem katholischen Gymnasium zugewiesen, an dem ich mich recht schnell eingewöhnte.

Man erwies mir die Ehre, zusammen mit einer Fachkollegin zwei zehnte Klassen nach Paris zu begleiten. Da es sich um koedukative Gruppen handelte, war es zudem erforderlich, eine Dame und einen Herrn aus der Elternschaft als sittlichen Beistand mitzunehmen, so dass immer eine Lehrkraft und ein Elternteil die Zimmer der jungen Leute zwecks Einhaltung der vereinbarten Spielregeln kontrollieren konnten.

Unser zum Teil auf Vorschlägen der Schüler, zum Teil auf Wunsch der Schulleitung beruhendes Programm war vorab mit der Elternschaft diskutiert worden. Jeglicher moralischen Gefährdung der sechzehn- und siebzehnjährigen Kinder sollte von vornherein vorgebeugt werden. Der wohl ohnehin eher provokativ vorgetragene Wunsch, einen Abend im Moulin Rouge zu verbringen, war daher empört zurückgewiesen worden. Stattdessen standen umfangreiche Besichtigungen von Kirchen und Museen an, die nacheinander abgearbeitet werden mussten. Die großzügigerweise eingeräumten Zeiten zur freien Gestaltung wurden tagsüber nur in Gruppen zu mindestens fünft oder sechst gestattet, wobei stets drei männliche Personen zugegen sein sollten. Abends gab es programmfreie Zeiten nur in Begleitung eines der Erwachsenen. Es gelang uns, den Besuch mehr oder weniger reibungslos über die Bühne zu bringen. Einen kleineren Zwischenfall gab es, als wir, bildungsbürgerliche Pflicht erfüllend, im Louvre das berühmteste Werk des Meisters da Vinci besichtigten. Einer der Jünglinge warf sich vor einem der Mädchen auf den Boden und rief: „Mona, sei meine Lisa!“

Alsdann begann er das Lied des Demis Roussos zu trällern:

„Wenn ich ein Maler wär, dann malte ich dein Bild. Du bist so schön, die ganze Welt soll dich bewundern. Doch deine Liebe will ich nur für mich allein. Das soll heute und immer so sein. Schön wie Mona Lisa, schön wie Mona Lisa, wie ein Bild der Phantasie …“

Beinahe wären wir von den herbeigeeilten Wachmännern hinausgeworfen worden. Vielleicht war das auch beabsichtigt gewesen, denn die jungen Herrschaften hatten bei fast jedem der anstrengenden Besichtigungstermine gestöhnt. Es gelang uns indes, die Situation zu retten, indem wir behaupteten, der Junge habe sich durch einen Anfall von akutem Liebeswahn dazu hinreißen lassen. Zur Abkühlung seines Gemütes bekam der Knabe die Aufgabe, ein Referat über die Hintergründe des Wirkens des Meisters in Frankreich und die Entstehungsgeschichte des Werkes zu halten. Das Mädchen war knallrot angelaufen und wurde fortan von ihren Mitschülern ob ihres stürmischen Verehrers aufgezogen.

An einem der Tage waren wir mit dem Schiff seineabwärts bis Giverny gefahren, um die Vorbilder der berühmten Seerosen im Original zu bewundern.

„Die Seerosen heißen im Französischen wie?“

„Les Nymphéas.“

„Wenn er andauernd Seerosen gemalt hat, war er wohl so etwas wie nymphoman!“

„Du bist albern. Wir wollen dir zugutehalten, dass du gar nicht weißt, was das bedeutet.“

„Doch, weiß ich. Wenn eine Frau nicht genug von Männern bekommen kann.“

„Monet hat auch weiter flussabwärts gemalt, die Kathedrale von Rouen. Was sagt euch das?“

„Dort wurde Jeanne d‘Arc, die Jungfrau von Orleans, als Hexe verbrannt.“

„Warum?“

„Weil sie sich als Mädchen wie ein Mann verkleidet und angeblich die französischen Soldaten verhext haben soll.“

„Vielleicht war sie ja auch nymphoman oder wollte einfach keine Jungfrau mehr sein.“

„Du bist und bleibst ein Kindskopf!“

„Also, wenn eine von euch etwas an ihrem Status ändern möchte …“

„Dann wärest du der Letzte, so notwendig haben wir das nicht. Eher ginge ich ins Kloster.“

„Und du gehst auf eigene Kosten nachhause, wenn du dich weiterhin so unreif und unsittlich aufführst, kapiert?“

„Jawohl, Monsieur l‘Abbé.“

„Vielleicht kannst du ja morgen auf dem Père Lachaise etwas Sinnvolles beitragen.“

Tatsächlich nahm sich der Bursche zusammen und führte die Gruppe zu einigen der bedeutenden Grabstellen, von denen es hier nur so wimmelte.

„Hier liegt Edith Piaf. Sie war eine berühmte Sängerin und ist nicht sehr alt geworden.“

„Woran ist sie gestorben“

„Alkohol und Rauschgift, Männer …“

„Also nehmt euch ein Beispiel daran.“

„Aber Herr Faller, wollen sie uns etwa zum Koksen anstiften?!“

„Kennt jemand eines ihrer Lieder?“

„Je ne regrette rien.“

„Mylord.“

„Wisst ihr auch, wer es für sie geschrieben hat?“