Jenny - Michael Marker - E-Book

Jenny E-Book

Michael Marker

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Beschreibung

"Jenny" versammelt Erzählungen der Liebesbeziehung von Michi und Jenny; erste romantische Gefühle im Teenageralter, der Gang getrennter Wege, erneutes Aufflammen alter Leidenschaften, Familiengründung bis hin zum tragischen Höhepunkt.

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Bisherige Veröffentlichungen des Autors:

IM Julia - Novelle

ISBN: 9783756816101

Jenny – Erzählungen

ISBN: 9783752629293

Louis Lalage – Novelle

ISBN: 9783756836895

Manche Menschen berühren unsere Seelen

Inhalt

Seeräuber-Jenny

Liebeskummer

Krieg und Liebe

Familienplanung

Familienbande

Holzwirtschaft

Vom Fehlen

Zum Autor

Seeräuber-Jenny

Während des letzten Jahres hatte ich immer öfter unter Anfällen von Atemnot gelitten, die besonders in den vergangenen Monaten erheblich verstärkt aufgetreten waren. Unser Hausarzt, der `Hubschrauber´, wusste auch nicht so richtig, was er mit mir anstellen sollte. Eigentlich hieß er ja ganz anders. Keine Ahnung, warum ihn alle so nannten. Er hatte gerade zu der Zeit seine Praxis bei uns in der Nähe eröffnet, als ich für meine Kinderärztin zu alt geworden war. So war ich bei ihm gelandet.

Während des vergangenen Frühjahres hatte ich mehrere schwere Erkältungen durchgemacht. Ich erklärte mir dies durch meine häufigen Aufenthalte im Schwimmbad (und nicht nur dort), wo ich mit meiner Nachhilfeschülerin die Feinheiten der menschlichen Anatomie erforscht und ihren Gebrauch eingeübt hatte. Davon hatte ich meinen Eltern natürlich nichts erzählt.

Einmal hatte der Hubschrauber von Lungenentzündung gesprochen und Penicillin verordnet. Danach ging es mir wieder besser. Die Atemnot aber kam wieder, besonders wenn ich mich körperlich anstrengte.

Der Winter hatte mir dann eine weitere Lungenentzündung eingebracht, die der `Hubschrauber´ wieder mit der chemischen Keule kurierte.

Gegen meine Kurzatmigkeit probierte er eine Reihe von Sprays aus, die mir für den Augenblick Erleichterung verschafften, aber nichts daran änderten, dass mir bei nächster Gelegenheit erneut die Luft weg blieb.

Meine Eltern machten sich Sorgen, setzten Himmel und Hölle in Bewegung. Irgendjemand empfahl dann einen längeren Aufenthalt an der See.

Damals gab es auf der Insel noch das Internat in den ehemaligen Militärgebäuden aus der Zeit des oberösterreichischen Idioten.

Mein Klassenlehrer stellte den Kontakt her und wir kamen überein, ich solle die zweite Hälfte des Schuljahres dort verbringen, um durch meinen Seeaufenthalt den Unterricht nicht zu versäumen.

So stand ich dann eines Tages mit gemischten Gefühlen im Hafen und wartete auf die Fähre, die mich hinüber auf die Insel bringen sollte.

Zum ersten Male würde ich für längere Zeit von zuhause weg, von meinen Eltern getrennt sein.

Was wird mir die neue Schule bringen? Werde ich mich mit meinen Klassenkameraden verstehen, die ja zum Teil schon Jahre zusammen sind? Was ist mit den neuen Lehrern?

Hinzu kam der Abschied von Gaby, mit der ich mich so gut verstand, wie mit keinem anderen. Mit ihr konnte ich nicht nur über mein Hobby reden. Uns verband mehr, obwohl, oder weil wir trotz bester Gelegenheit nicht sofort miteinander geschlafen hatten.

All dies bereitete mir zwar keine Kopfschmerzen, nahm jedoch meine Aufmerksamkeit derart in Anspruch, dass ich von der kurzen Überfahrt nicht viel mitbekam und erst wieder zu mir fand, als ich aus der Kleinbahn ausstieg, die Hafen und Ort miteinander verband und am Bahnhof in Empfang genommen wurde.

Franz und Ferdinand waren Zwillinge und stammten von einer der Nachbarinseln. Wie viele andere aus der Region auch, wohnten sie nur unter der Woche im Internat. Die Wochenenden verbrachten sie zuhause.

Sie waren wegen diverser Vergehen, die über den Rahmen üblicher Schülerstreiche hinausgingen, dazu verdonnert worden, mich abzuholen und vermittels der mitgebrachten Fahrräder und eines Bollerwagens für das Gepäck ins Internat zu befördern. Davon wusste ich jedoch nichts. Die beiden unterließen es auch tunlichst, mich davon in Kenntnis zu setzen.

Dass sie dabei entgegen ihrer Anweisung mich den Wagen ziehen ließen, verschwiegen sie. Während sie selbst mit den Rädern die Fußgänger scheuchten, versuchte ich, ihnen mit dem Handwagen zu folgen. Erst später, als ich die Insel näher kennen gelernt hatte, stellte ich fest, dass sie mich in einem Riesenumweg einmal rund um die Insel gelotst hatten.

Sie gingen zwar nicht in dieselbe Klasse wie ich, nahmen mich aber schnell in ihre Clique auf. Als Landratte unter lauter Fischköppen war ich froh, so schnell Anschluss gefunden zu haben. Dies werde mir den Verlauf des Schuljahres fern der Heimat erleichtern, so hoffte ich. Beide machten einen lustigen Eindruck, waren eigentlich keine schlechten Schüler.

Gemeinsam durchstreiften wir die gesamte Insel, vom Hafen bis zur Seehundsbank, von den Stränden bis zum Watt. Bevorzugt trieben wir uns in dem kleinen Wäldchen zwischen Hafen und Ort oder in den Dünen im Ostteil der Insel herum, machten uns einen Jux daraus, auf unseren Rädern mit einem Affenzahn umherzujagen, plötzlich wild klingelnd Kurgäste zu erschrecken oder durch Pfützen zu rasen und Passanten nass zu spritzen. Auch die in den Dünen zahlreich vorhandenen Fasanenhähne waren nicht davor sicher, von uns mit Gejohle aufgescheucht zu werden.

Einen besonderen Spaß bereitete es uns aber, wenn wir abseits der Wege in den Dünen Liebespaare aufspüren und belauschen konnten, bevor wir sie schließlich laut grölend vertrieben. Mit ansteigenden Temperaturen wurde dies unsere Hauptbeschäftigung, wenn wir nicht wegen irgendeines Schabernacks zur Ableistung von Strafarbeiten eingesetzt waren. In dieser Hinsicht war der Lehrkörper recht erfinderisch.

Bei all unseren Streichen versuchte ich, darauf zu achten, es nicht zu arg zu treiben, insbesondere keinen wirklichen Schaden anzurichten, für den meine Eltern hätten einstehen müssen und niemanden zu verletzen.

Franz und Ferdinand hatten mich im Laufe der Zeit immer wieder wegen meiner Vorsicht aufgezogen. Meine Position in der Clique war nicht so gefestigt, dass ich nicht fürchten musste, von meinen Kameraden ausgegrenzt zu werden und wieder als Außenseiter dazustehen.

Das Leben auf so einer kleinen Insel kann verdammt langweilig werden, wenn man ganz auf sich allein gestellt ist.

Ich war deshalb stets auf der Suche nach einer Chance, mich durch eine spektakuläre Aktion bei den anderen in Szene zu setzen und mir ihren Respekt zu erwerben.

Die Gelegenheit dazu ergab sich allerdings erst ziemlich spät im Verlaufe des Schuljahres.

Wir befanden uns auf dem Rückweg von der Seehundbeobachtung bei Osterhook. Es war für Anfang Juni ungewöhnlich warm und darum hatten wir in der Meierei Einkehr gehalten. In der Nähe der Jugendherberge verließen wir den sich schnurstracks von Ost nach West ziehenden Weg, um den zwar längeren, aber viel abwechslungsreicheren Weg vorbei an der Melkhörndüne durch das Pirolatal zu nehmen und vielleicht die dort brütenden Kiebitze zu ärgern.

Infolge der reichlich genossenen Limonade überkam mich ein menschliches Bedürfnis, so dass ich mich seitlich in die Dünen schlug, um sie wieder auf ihren natürlichen Weg zu bringen. Meine Kameraden gingen indes langsam weiter.

Gerade hatte ich mich erleichtert und wollte den Rückzug antreten, als ich ganz in der Nähe das Gekicher einer Gruppe von Mädchen vernahm. Vorsichtig pirschte ich mich an sie heran. Dort unterhalb des Dünenkamms saßen sie, vor sich den breiten, hellen Sandstrand und das ruhige Meer.

Wortfetzen drangen zu mir herauf.

„Na macht schon.”

„Es guckt ja keiner.”

„Wozu brauchst du schon einen Badeanzug?”

„Wir brauchen ja nicht weit rein zu gehen.”

Jetzt hieß es, schnell zu handeln.

Mit ein paar Sprüngen war ich von der Düne herunter und hastete den anderen hinterher. Schnell war der Plan gefasst. Wenig später lagen wir nebeneinander auf dem Dünenkamm und beobachteten die Mädchen, die sich ihrer Kleider entledigt hatten und halbnackt im Wasser planschten.

Auf Franz´ Kommando rutschten wir vorsichtig im Schutz der Sanddorn- und Wildrosenbüsche hinunter, griffen uns jeder ein Kleiderbündel und verschwanden wieder im Gebüsch. Alles war das Werk eines Augenblicks.

Nun hieß es abwarten, ob wir entdeckt worden waren. Gespannt warteten wir in unserem Versteck auf die Reaktion der Mädchen, wenn sie den Verlust ihrer Kleidung bemerkten.

Dann kam die erste, fand ihre Sachen nicht und begann zu suchen.

Neben mir begann einer zu kichern, aber Ferdinand brachte ihn mit einem Stoß seines Ellenbogens zum Schweigen.

Jetzt lief sie zu ihren Freundinnen zurück, sprach mit ihnen. Alle kamen heran und begannen, immer verzweifelter nach der verschwundenen Kleidung zu forschen.

In unserem Versteck zwischen den Büschen freuten wir uns über den gelungenen Streich, amüsierten uns über den Schreck, den wir den Mädchen eingeflößt hatten.

Schließlich trugen sie ja selbst die Schuld daran, dass sie sich ausgezogen hatten. Ja, wir weideten uns an ihnen, an ihrer Angst und an ihrer Nacktheit.

Dies war der Zeitpunkt, uns zu zeigen, die Kleider zurückzugeben und den Schrecken der Mädchen vollkommen zu machen, indem sie erkennen mussten, dass sie von uns Jungen beobachtet worden waren.

Wir traten aus den Büschen heraus und schwenkten johlend unsere Beute. Kreischend stoben die Mädchen davon und hockten sich, ihre Blöße bedeckend, in einiger Entfernung zusammen.

„Lasst uns die Sachen hinlegen und verschwinden. Wir hatten unseren Spaß.”

„Nein, wir wollen zusehen, wie sie sich anziehen.”

„Oder besser ganz ausziehen!”

„Au ja, lasst uns fummeln!”

„Sie sollen die Sachen auslösen.”

„Was wollen wir verlangen?”

„Küsse.”

„Anfassen.”

„Spinnt ihr? Wenn wir sie zwingen, kann uns das übel ausgehen!”

„Aber gucken und Küsse ist das Mindeste.”

„Es war deine Idee, Michel. Geh du hin und sag ihnen, was wir verlangen.”

Während die anderen am Fuße der Düne zurückblieben, ging ich auf die immer noch in ihrer Sandburg verharrenden Mädchen zu. Als Zeichen des Unterhändlers schwenkte ich einen BH. Etwa auf halber Strecke blieb ich stehen.

Mein Kommen war bemerkt worden. Nach einigen Momenten der Ratlosigkeit löste sich eines der Mädchen aus der Gruppe und kam schnurstracks auf mich zu. Wie die anderen auch, trug sie nicht mehr als eine Unterhose, die, nass vom Bad im Meer, die Details ihres schlanken Körpers eher modellierte als verdeckte.

Sie mag vielleicht zwölf oder dreizehn gewesen sein. Damals waren die Mädchen nicht wie heute, wo man eine gut gebaute Zwölfjährige kaum von einer schlanken Achtzehnjährigen zu unterscheiden vermag.

Ihr Körper wies bereits deutlich die entsprechenden Rundungen von Po und Busen auf, auch wenn sie wohl noch nicht voll entwickelt war.

In aufrechter Haltung und mit festem Schritt kam sie mir entgegen, mich unablässig fixierend, ins Gesicht schauend, so dass ich ihrem Blick kaum standzuhalten vermochte und zu Boden sah. Da war keine Spur von Scham auf ihren Wangen. Eher war ich es, der rot wurde.

„Was wollt ihr, ihr Lumpen?!”

Genauso fühlte ich mich in diesem Moment.

„Ihr wollt doch etwas von uns.”

„Gebt uns unsere Sachen zurück und verschwindet!”

„So einfach geht das nicht. Meine Kameraden verlangen, dass ihr eure Sachen auslöst.”

„Bist du der Anführer dieser Piraten?”

„Nein.”

„Wie heißt du?”

„Michael, und du?”

„Jenny. Was verlangt ihr?”

„Kommt darauf an, was meine Freunde wollen und ob ihr grundsätzlich bereit seid.”

„Ich werde mit meinen Freundinnen reden.”

Sie verschwand in der gleichen stolzen Haltung, in der sie gekommen war. Drüben im Lager der Mädchen entspann sich eine lebhafte Diskussion. Ich bekam davon nichts mit, außer dem heftigen Gestikulieren.

Dann kam sie zurück.

„Wir sind grundsätzlich bereit. Es kommt auf eure Forderungen an.”

„Einige wollen, dass ihr euch ganz auszieht, einige wollen euch anfassen.”

Sie schluckte.

„Ausziehen? Kommt nicht in Frage. Und Antatschen schon gar nicht!”

„Ich muss Rücksicht auf meine Freunde nehmen.”

„Und ich meine Freundinnen vor euch beschützen. - Feine Freunde hast du!”

„Es war nicht meine Idee, etwas von euch zu verlangen. Wenn es nach mir ginge, hättet ihr eure Sachen längst wieder. Ich wollte euch nur einen Schrecken einjagen und euch dabei beobachten, aber die anderen spielen nicht mit.”

„Du bist auch nicht besser als sie.”

„Ihr seid in der Jugendherberge, nicht wahr?”

„Ja. Und ihr?”

„Wir sind hier im Internat.”

„Lernt ihr das da, euch an Schwächeren zu vergreifen? Toll, darauf könnt ihr echt stolz sein!”

„Es tut mir Leid, ehrlich.”

„Wenn ihr eure Forderungen nicht zurücknehmt, dann warten wir eben, bis man uns sucht. Ihr müsst schließlich auch wieder zurück zum Abendessen.”

Daran hatten wir bisher nicht gedacht. Die Zeit lief gegen uns. Wir kehrten jeder in unser Lager zurück und beratschlagten die neue Situation. Keiner meiner Kameraden wollte mit weniger als einem Kuss zufrieden sein. Ich teilte Jenny das Ergebnis mit.

„Einverstanden, aber ohne Anfassen. Hände auf den Rücken. Ihr legt unsere Kleider vor euch auf den Boden, tretet zurück. Wir stellen uns vor euch hin und ziehen uns an. Danach bekommt jeder von euch seinen Lohn, jeder von der, deren Sachen er hat. Du hast übrigens meine.”

„Ich gebe sie dir so.”

„Ich will keine Extrawurst. Das macht es auch nicht ungeschehen.”

„Ich weiß, aber trotzdem. Entschuldige bitte.”

Dann standen wir in einer Reihe im Sand, die Gesichter zur Sonne, die Kleiderbündel vor uns. Die Mädchen kamen eine hinter der anderen auf uns zu, stellten sich vor uns. Manche schämten sich wohl, uns so entgegentreten zu müssen. Ich schämte mich, ihnen das angetan zu haben.

„Kopf hoch, Kinder. Die warten doch nur darauf, dass wir Angst vor ihnen haben. Den Gefallen werden wir ihnen doch nicht tun!”

„Wir halten unser Wort“, meldete sich Franz.

„Auf das Versprechen von euch Halunken gebe ich nichts.”

Jennys Blick traf mich. Am liebsten wäre ich im Boden versunken.

„Na, ihr Helden, noch nie ein nacktes Mädchen gesehen?”

Ich schwieg.

„Dann könnt ihr jetzt die Gelegenheit auskosten. So, Mädels, zieht euch an. Und danach wie besprochen.”

Die Mädchen bückten sich nach ihrer Kleidung. Ich kam Jenny zuvor und reichte sie ihr. Sie sollte sich nicht auch noch vor mir beugen müssen.

„Danke.”

Kaum hatten sie ihre Sachen übergestreift, da traten sie vor uns hin.

„Hände weg!”

Wir gehorchten.

„Achtung. - Jetzt!”

Jenny hatte mir eine Ohrfeige gegeben. Neben mir krümmten sich jaulend meine Kameraden mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die Mädchen hatten ihnen mit ihrer ganzen Kraft ihre angewinkelten Knie zwischen die Beine gerammt.

In den nächsten Tagen war den meisten nicht nach irgendwelchen Streichen zumute. Um die Jugendherberge machten sie einen großen Bogen.

Während der nachmittäglichen Freizeit fuhr ich mit dem Rad zur Jugendherberge und wartete, aber sie würdigte mich keines Blickes, ebenso am nächsten Tag, als sie mit ein paar Freundinnen das Haus verließ. Ich ging ihr nach bis in den Ort und geleitete sie auch wieder zurück, ohne dass sie mich beachtet hätte. Trotzdem stand ich am dritten Tag wieder vor der Tür.

„Was willst du noch?”

„Mit dir reden.”

„Was sollen meine Freundinnen von mir denken, wenn sie mich ausgerechnet mit dir sehen?”

„Ich weiche nicht von deiner Seite.”

„Das tut ein Hund auch nicht.”

„Und deshalb meinst du, du könntest mich wie einen Köter wegjagen.”

„Verdient hättest du es.”

„Bitte, wann kann ich mit dir reden?”

„Meinetwegen, damit du endlich Ruhe gibst. - Geht schon vor. Ich komme gleich nach. - Also?”

„Ich möchte mich bei dir entschuldigen.”

„Das hast du bereits.”

„Warum hast du mich nicht auch getreten?”

„Ich hatte den Eindruck, dass du kein so schlechter Kerl bist wie deine Freunde.”

„Danke.”

„Aber wenn du nicht aufhörst, mich zu verfolgen, kann ich es mir ja noch einmal überlegen.”

„Ich werde zu unserem Direktor gehen und alles beichten.”

„Das lass lieber sein, sonst kriegen wir noch Ärger, dass wir so gebadet haben, noch dazu dort, wo es nicht freigegeben ist.”

„Gib mir eine Chance, es wieder gut zu machen.”

„Das kannst du nicht. Warum sollte ich auch?”

„Ich schäme mich so, für das, was wir getan haben.”

„Wieso schämst du dich? Wir waren nackt, nicht ihr. Ihr habt nur gegafft. Die Augen sollen euch ausfallen!”

„Ich dachte du hießest Jenny und nicht Godiva.”

Sie musste kurz lachen.

„Ach, du kennst die Geschichte. Umso schlimmer, dass du trotzdem mitgemacht hast.”

„Ich wollte nicht, dass es so kommt.”

„Rede dich nicht vom Galgen los! Schon das, was du gemacht hast ist schlimm genug.”

„Ich weiß. Gibst du mir trotzdem eine Chance?”

„Wie stellst du dir das vor?”

„Ich möchte dich zum Eis einladen oder ins Kino.”

„Damit du im Dunkel nachholen kannst, was neulich nicht geklappt hat.”

„Traust du mir das zu?”

„Oder deine Freunde warten schon und amüsieren sich.”

„Mit denen will ich nichts mehr zu tun haben.”

„Na gut, wenn du mir versprichst, so etwas nie mehr zu tun.”

„Nie mehr. Ehrenwort!”

„Was gilt das Wort eines Piraten?”

„Soll ich dich abholen?”

„Besser wir treffen uns gleich am Hospizplatz.”

An diesem Tag sollte für mich ein neues Leben anfangen, das hatte ich mir fest vorgenommen, Im Kino wurde ein alter Karl-May-Film gezeigt, irgendein Indianerstück, aber ich hatte keinen Sinn für die Handlung.

Jenny hingegen fieberte mit den Helden mit, erschrak, hielt den Atem an. Einmal kullerten Tränen über ihre Wangen. Ich wischte sie weg und gab ihr ein Taschentuch. Wenn es besonders brenzlig wurde für die Helden, schloss sie die Augen oder versank ganz tief im Kinosessel. Zum Höhepunkt der Spannung drückte sie sich eng an meine Schulter. Ich wagte nicht, diese Nähe zu erwidern und den Arm um ihre Schulter zu legen.

Nach Ende der Vorstellung gab ich ihr eine Cola aus.

„Seid ihr noch lange hier auf der Insel?”

„Nur noch diese Woche.”

„Hat es dir gefallen?”

„Ich habe ja nicht besonders viel gesehen.”

„Wenn du magst, könnte ich dich ein wenig herumführen.”

„Und wenn nicht? - Wir haben nur wenig Freizeit.”

„Schade, darf ich trotzdem auf dich warten?”

„Was versprichst du dir davon?”

„Dass du nicht mehr so schlecht von mir denkst.”

„Meinetwegen. Aber bilde dir nur ja nichts darauf ein!”

Am nächsten Nachmittag stand ich wieder treu und brav an der Ecke. Wir gingen ein Stück in Richtung Pirolaeck.

„Hier ist der Dorffriedhof. Er ist ganz schön. Oder hast du Angst?”

„Tote beißen nicht.”

„Ganz am Ende ist der Friedhof der Flüchtlinge, die nach dem Krieg ihre Heimat verlassen mussten, dahinter der Friedhof der Namenlosen, Schiffbrüchige und so, die angeschwemmt wurden.”

„Das ist aber traurig, weit weg von zuhause und keiner weiß, wo man abgeblieben ist. Von allen vergessen, von niemandem gekannt, known unto God. Keiner kommt zu seinem Grab und betet.”

„Doch, die Besucher, wie wir zum Beispiel.”

„Wir haben zuhause ein großes Familiengrab, da kommen alle rein, wenn sie nicht gerade irgendwo anders eingeheiratet haben.”

„Mit so was kann ich nicht dienen. Wir haben hier keine Familie. Alle Verwandten sind irgendwo im Osten. Lass uns von etwas anderem reden, das ist kein schönes Thema.”

„Weißt du, wer hier gleich um die Ecke wohnt?”

„Klar, auch wenn ich kein Insulaner bin.”

„Mein Vater ist ein großer Verehrer von ihr. Er hat sie sogar mal getroffen, als er im Krieg war.“

„Ist lange her, aber ihr Lied gibt es immer noch.”

„Kommst du mit? Allein traue ich mich nicht. Ich möchte meinem Vater so gern ein Autogramm schenken.”

Wir benötigten ein paar Anläufe, bis wir unseren Mut zusammen genommen hatten. Aber schließlich saßen wir bei ihr im Garten. Wer konnte Jenny mit ihren großen Augen und dem süßen Schmollmund schon etwas abschlagen. Sie schrieb das Autogramm mit einer besonderen Widmung für Jennys Vater und ließ uns Kuchen und Tee servieren.

„Wisst ihr, wie man hierzulande den Tee trinkt? Nein? Kluntjes in die Tasse, den ganz frisch aufgebrühten Tee darüber gießen. Mit dem Löffel die Sahne ganz vorsichtig darüber gleiten lassen. Bloß nicht umrühren!”

„Ich mag ihn lieber Englisch.”

„Recht so, mein Kind, lerne nur beizeiten, deine eigene Meinung zu vertreten. Lass dich nur nicht von anderen bevormunden oder herumkommandieren. Man muss besonders den Männern zeigen, wo es lang geht, sonst denken sie, sie könnten mit einem machen, was sie wollen.”

„Mein Papa ist aber sehr lieb zu meiner Mama.”

„Trotzdem. Es schadet nicht, wenn ein Mädchen weiß, was es will und was nicht. Das wirst du mit deinem Freund schon noch erleben.”

Jenny lief rot an.

„Ach, ist er etwa frech zu dir?”

„Nein, aber….”

„Na ja, ihr habt ja auch noch lange Zeit. Wie alt bist du eigentlich? Ich weiß, man fragt eine Dame nicht nach dem Alter. Aber wenn sie so jung ist wie du und ich so alt, dass ich deine Großmutter sein könnte, ist es schon erlaubt.”

„Vierzehn, … fast.”

„Wenn man so herrlich jung ist wie du, macht man sich gerne ein wenig älter. Später ist es dann umgekehrt. Und du, junger Mann, ich hoffe, du behandelst sie gut!”

„Ich will mir Mühe geben.”

Nachher saßen wir noch am Dünenrand und blickten auf die Wellen hinaus, die sich im ewigen Rhythmus am Ufer ausrollten, gefolgt von immer neuen Wogen, die sich sanft am Strand brachen.

„Wenn man das Meer so sieht, mag man gar nicht glauben, wie gefährlich es sein kann.”

„Ja, genau wie mit den Jungs. Sie tun lieb und nett, aber wenn man nicht aufpasst…”

„Sprichst du aus Erfahrung?”

„Das merkt man doch bei dir.”

„Du bist mir noch böse.”

„Ein wenig, Aber das hat damit nichts zu tun. - Was sie wohl von uns denkt?”

„Sie meint wohl, wir gingen miteinander.”

„Da täuscht sie sich aber gründlich. Nur weil ich dir erlaube, mir Gesellschaft zu leisten?”

„So verrückt ist der Gedanke nun auch nicht.”

„Eingebildet bist du gar nicht!”

„Ich dachte, Mädchen mögen Jungs, die ein bisschen älter sind als sie selbst.”

„Lass uns gehen, sonst komme ich zu spät zum Abendessen.”

„Kommst du danach noch an den Strand?”

„Heute nicht, ich möchte noch ein paar Karten schreiben.”

„Sehe ich dich morgen?”

„Wenn du nicht blind bist bis dahin.”

„Ich bin nicht Peeping Tom.”

„Verdient hättet ihr es alle!”

„Immer noch so böse?”

„Meinst du, du habest einen Orden verdient?”

Und wieder stand ich vor der Jugendherberge und wartete auf sie. Wir fuhren mit dem Rad durch das Pirolatal, einem flachen Streifen niederer Vegetation, der sich zwischen den Stranddünen und den landeinwärts gelegenen Dünen im Westen vom Pirolaeck hinter dem Friedhof, im Osten bis zur Melkhörndüne hinzog und sich dabei aufweitete. Ab und an scheuchten wir einen Fasan auf, der gackernd das Weite suchte. Die zahlreich hier vorhandenen Kiebitze bekamen wir nicht zu Gesicht. Nur ihr typisches Pfeifen war deutlich zu vernehmen.

Beim Übergang Pirolaeck erreichten wir den Strand, wo wir uns etwas östlich unterhalb der Dünen mit den Rücken zum Windschutzzaun in den warmen Sand setzten. Hier waren wir ungestört, da die Reihe der Badestrände sich nur zwischen Pirola und dem weiter westlich gelegenen Ort erstreckte.

„Weißt du, Michael, was mir aufgefallen ist? Damals am Strand, als deine Kumpane uns angestarrt haben, als hätten sie noch nie ein Mädchen gesehen, da hast du mich gar nicht angegafft. Bin ich so hässlich?”

„Im Gegenteil, du bist sehr hübsch, aber ich habe mich nicht getraut, dich anzugucken. Kennst du das, dass man sich so schämt, dass man jemandem nicht in die Augen sehen kann?”

„Es waren ja auch nicht nur die Augen. Hast du noch nie zuvor ein Mädchen gesehen, so ganz oder doch beinahe?”

„Klar, mehrere!”

„Angeber, du schwindelst!”

„Eigentlich waren es nur zwei.”

„Und was ist so besonderes an mir, dass du mich nicht angesehen hast?”

„Das war etwas anderes. Ihr habt das ja nicht freiwillig getan. Du wolltest es nicht. Ihr wart in unserer Gewalt und wir haben das ausgenutzt. Trotzdem warst du so stolz und aufrecht, wie du mir entgegenkamst.”

„Man darf der Gewalt nicht nachgeben, sonst wird sie nur noch schlimmer und mächtiger.”

„Von mir hast du nichts zu befürchten.”

„Ich weiß, sonst wäre ich nicht gekommen.“

„Was würde wohl deine Freundin sagen, wenn sie von deiner Heldentat erführe?”

„Welche Freundin?”

„Du sagtest doch, du habest schon zwei feste Freundinnen gehabt.”

„Ja, letztes Jahr im Sommer und die andere vom Herbst bis zum Frühjahr, bis ich hierher kam.”

„Und haben die dich auch so gesehen, so ganz?”

„Ja, aber das war was ganz anderes.”

„Nicht so richtig mit Händchenhalten, Herzklopfen, Knutschen und so?”

„Nee, nicht so richtig. Das eine war nur rein körperlich, weil ich neugierig darauf war.”

„Aha, fummeln.”

„Nicht nur.”

„Ach, du meinst ihr hattet richtig Sex? Ganz ehrlich?”

„Ja.”

„Und die andere?”

„Gaby ist ein ganz toller Kumpel. Wir haben viel zusammen gemacht, fotografieren und so, auch uns gegenseitig. Wir haben auch ganz eng gekuschelt und so, aber wir wussten, dass es nicht auf Dauer sein würde. Und du, hast du einen Freund?”

„Noch nicht.” Sie wurde ein wenig rot bei diesem Gedanken.

„Wenn du länger hier wärest und ich auch, wäre ich gern dein Freund geworden.”

„Ach, du willst mich wohl auch befummeln! Typisch Jungs”

„Nicht nur.”

Peng! So schnell, wie sie mir eine runter gehauten hat, konnte ich gar nicht denken. Ich fasste an meine brennende Wange.

„Aua! Das habe ich doch gar nicht gemeint! Eher mit lieb haben, Händchenhalten und so.”

„Sorry, tut es sehr weh?”

„Du kannst mir gar nicht wehtun.”

„Morgen Nachmittag darfst du mich abholen, aber am Kino, nicht an der Jugendherberge.”

Damit strich sie mir über die noch immer schmerzende Wange und verschwand.

Der folgende Nachmittag sah uns am Strand hinter den Süderdünen, Richtung Flinthörn. Hierhin verirrte sich kaum ein Wanderer, so dass wir den ganzen Strand fast für uns allein hatten.