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Die Jurastudentin Vera von Hochstetten, klug, schön, aber etwas zu sehr angepasst, lebt in Düsseldorf ein ruhiges, zufriedenes Leben an der Seite ihres Jugendfreundes Roy. Sie ist viel zu vernünftig, um an Liebe auf den ersten Blick zu glauben. Das ist nur etwas für Träumer. So denkt sie bis zu dem Tag, an dem Roy seinen Freund Christopher mit nach Hause bringt. Ein Blick in zwei blaue Augen genügt und Veras geordnete Welt steht völlig auf dem Kopf. Sie wehrt sich vergeblich gegen ihre Gefühle für den fremden Mann. Aber es gibt kein Zurück mehr. Nicht zu Roy, nicht in ihr altes, vertrautes Leben mit ihm. Obwohl sie Herzklopfen vor einer ungewissen Zukunft hat, überwindet sie ihre Ängste, setzt sich über alle Hindernisse hinweg und folgt Christopher in seine Heimat Kanada. Noch niemals zuvor hat Vera sich so geliebt und geborgen gefühlt, wie bei diesem Mann. Er verkörpert alles, wonach sie sich immer gesehnt hat. Doch ihr Wunsch nach ewigem Glück in einer Märchenwelt geht nicht in Erfüllung. Nach nicht einmal zwei Ehejahren stürzt Vera von ihrer rosaroten Wolke hinab in die raue Wirklichkeit. Sie muss erkennen, dass ihr Traum von ewiger Liebe tatsächlich nur ein Traum gewesen ist. Obwohl sie Angst vor dem Alleinsein, vor einer ungewissen Zukunft in einem fremden Land hat, verlässt sie ihren Mann und wagt einen Neuanfang ohne ihn. Aber ist Veras Vermutung richtig? Liebt Christopher sie wirklich nicht mehr? Und was ist mit Roy? Welche Rolle spielt er noch in ihrem Leben? *Ein wunderschöner Roman um die ganz große Liebe. Taschentücher parat halten ... *Ich habe die Geschichte mit Begeisterung gelesen, einfach nur toll geschrieben. Konnte das Buch nicht zur Seite legen, so hat es mich gefesselt. Musste wissen, wie die Geschichte ausgeht. Fesselnd, spannend und romantisch. *Ich habe diese wunderschöne, anrührende Liebesgeschichte geliebt und mit den Protagonisten gelitten. Auch ein paar Tränen sind geflossen ...
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Seitenzahl: 507
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Das Buch: Die Jurastudentin Vera von Hochstetten, klug, schön, aber etwas zu sehr angepasst, lebt in Düsseldorf ein ruhiges, zufriedenes Leben an der Seite ihres Jugendfreundes Roy. Sie ist viel zu vernünftig, um an Liebe auf den ersten Blick zu glauben. Das ist nur etwas für Träumer. So denkt sie bis zu dem Tag, an dem Roy seinen Freund Christopher mit nach Hause bringt. Ein Blick in zwei blaue Augen genügt und Veras geordnete Welt steht völlig auf dem Kopf. Sie wehrt sich vergeblich gegen ihre Gefühle für den fremden Mann. Aber es gibt kein Zurück mehr. Nicht zu Roy, nicht in ihr altes, vertrautes Leben mit ihm. Obwohl sie Herzklopfen vor einer ungewissen Zukunft hat, überwindet sie ihre Ängste, setzt sich über alle Hindernisse hinweg und folgt Christopher in seine Heimat Kanada. Noch niemals zuvor hat Vera sich so geliebt und geborgen gefühlt, wie bei diesem Mann. Er verkörpert alles, wonach sie sich immer gesehnt hat. Doch ihr Wunsch nach ewigem Glück in einer Märchenwelt geht nicht in Erfüllung. Nach nicht einmal zwei Ehejahren stürzt Vera von ihrer rosaroten Wolke hinab in die raue Wirklichkeit. Sie muss erkennen, dass ihr Traum von ewiger Liebe tatsächlich nur ein Traum gewesen ist. Obwohl sie Angst vor dem Alleinsein, vor einer ungewissen Zukunft in einem fremden Land hat, verlässt sie ihren Mann und wagt einen Neuanfang ohne ihn. Aber ist Veras Vermutung richtig? Liebt Christopher sie wirklich nicht mehr? Und was ist mit Roy? Welche Rolle spielt er noch in ihrem Leben?
Die Autorin: Eigentlich wollte Gisa Stoermer Kriminalromane schreiben. Sie hat jedoch schnell erkannt, dass Mord und Totschlag nicht ihr Genre ist. Sie fühlt sich mehr zu großen Gefühlen hingezogen und begeistert seitdem eine Leserschaft, die an Romantik und die große Liebe glaubt. Die Autorin lebt an der Nordseeküste in Niedersachsen.
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Der Februartag war kalt und ungemütlich. Graue Wolken, die kaum das Tageslicht durchließen, bedeckten den Himmel. Ein kräftiger Wind wirbelte leichte Schneeflocken durch die Luft, die jedoch so zart waren, dass ihnen die Kraft fehlte, das Land erneut mit einer weißen Decke zu verhüllen. Sie schmolzen dahin, noch bevor sie den Boden erreichten. Die Meteorologen hatten für den heutigen Tag weder Schneefall noch Glatteis vorhergesagt, sodass der Verkehr auf den Straßen ungehindert fließen konnte. Wenn man nicht gerade im Stau stand.
Roy stand nicht gerne im Stau. Und er hasste Stop and Go-Fahren. Er hasste es, wenn es nicht voranging. Er hasste Baustellen auf der Autobahn. Die Strecke von Düsseldorf zum Frankfurter Flughafen schaffte man mit einem schnellen Auto in ungefähr zwei Stunden. Auf der Hinfahrt hatte er diese Zeit knapp unterboten. Für die Rückfahrt würde er wohl mehr Zeit einplanen müssen. Nur wegen dieser verdammten Baustellen!
Im Autoradio sang Bruce Springsteen ‚Born in the USA‘. Als Roy die unverwechselbare raue Stimme seines Lieblingssängers hörte, besserte sich seine Laune sofort. Mit Hingabe klopfte er mit den Fingern den Takt des Liedes auf das Lenkrad. »Born in the USA«, sang er leise mit The Boss. Unter anderen Umständen würde er jetzt die Lautstärke einige Stufen höher schalten und laut mitsingen. Aber ein kurzer Blick auf den Beifahrersitz, auf dem lang ausgestreckt sein Freund Christopher in tiefem Schlaf lag, genügte, dass er diesem Wunsch nicht nachgab.
»Born in the USA.« Roy drückte das Gaspedal hinunter, nachdem er endlich die - er wusste nicht wievielte - Baustelle passiert hatte. Sein Audi-Sportwagen reagierte in Sekundenschnelle und schoss davon. »I was born in the USA«.
Roy liebte dieses Lied. Es fächerte augenblicklich eine Fülle von Bildern vor seinem inneren Auge auf, die ihn für einen Moment in angenehme Erinnerungen hinabtauchen ließ. Er war zwar nicht in den USA geboren, hatte aber acht Jahre dort gelebt. Er dachte gerne an diese Zeit zurück. Für viele der Bands und Sänger, deren Musik damals auf jeder Party gespielt wurde, schwärmte er noch heute. Es war eine gute Zeit gewesen, die Christopher und er zusammen in Boston verbracht hatten.
Vor etwa einer Stunde hatte Roy seinen Freund am Frankfurter Flughafen in die Arme geschlossen. Christopher hätte zwar nach einem Zwischenstopp von ungefähr zwei Stunden nach Düsseldorf weiterfliegen können und wäre von Roy dort in Empfang genommen worden. Das wäre eigentlich naheliegend gewesen. Und auch bequemer. Aber für Roy kam nichts anderes in Frage, als seinen Jugendgefährten in Frankfurt abzuholen. Er wollte jeden einzelnen Augenblick ihres Wiedersehens voll auskosten.
Christophers Maschine aus Toronto war mit einer fast halbstündigen Verspätung gelandet. Als First Class-Passagier genoss er das Privileg, als einer der Ersten aussteigen zu dürfen. Mit seiner geräumigen Reisetasche als Handgepäck musste er auf keinen Koffer warten. Daher konnte er gleich nach der Passkontrolle in der Ankunftshalle seinen Freund Roy begrüßen, der sich laut rufend und winkend in der Menschenmenge bemerkbar machte, sodass sich Christopher gar nicht erst suchend nach ihm umschauen musste.
»Ich bin völlig kaputt«, waren seine ersten Worte gewesen. »Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte ich auf dem ganzen Flug kein Auge zugemacht.«
»Wie viele der hübschen Flugbegleiterinnen hast du vernascht?«, fragte Roy sofort.
»Eine«, gab sein Freund augenzwinkernd zu. »Glaub mir, es war nicht meine Absicht, aber sie hat mir ziemlich deutliche Signale gegeben. Da konnte ich doch nicht Nein sagen, oder?«
»Du verdammter Kerl«, sagte Roy voll anerkennender Bewunderung, während sie sich lachend noch einmal umarmten. »Es ist kaum zu glauben. Du hast dich kein bisschen geändert.«
Auf dem Weg zum Parkhaus, in dem Roy seinen Wagen abgestellt hatte, sprachen sie erste, nichtssagende Worte. Es kam jedoch noch zu keinem ausführlichen Gespräch, denn Christopher war in der molligen Wärme des Wageninneren eingeschlafen, noch bevor Roy auf den Zubringer zur Autobahn abbog. Soviel zum Auskosten des Wiedersehens!
Roy warf seinem Freund während der Fahrt immer wieder einen kurzen Blick zu. Christophers Gesicht war nicht mehr das eines achtzehnjährigen Teenagers, sondern das eines erwachsenen Mannes mit den ersten leichten Anzeichen von Falten auf der Stirn und um die Augen herum. Seine Gesichtszüge waren nicht mehr ganz so jungenhaft wie damals, sondern männlicher geworden. Sein Freund sah aber immer noch so unverschämt gut aus wie vor zehn Jahren, stellte Roy neidlos fest. Und ganz sicher hatte er auch heute noch die gleiche Wirkung auf Frauen wie damals. Roy freute sich über das Wiedersehen und die gemeinsamen Tage, die vor ihnen lagen, und die sie beide so richtig genießen wollten, bis sie sich Ende der Woche auf den Weg nach Bayern machten, wo in diesem Jahr die Eishockeyweltmeisterschaft ausgetragen wurde.
Zehn Jahre waren vergangen, seit Roy die USA verlassen hatte, um mit seinen Eltern nach Deutschland zurückzukehren. Christopher und er waren damals beide achtzehn Jahre alt gewesen und das Jurastudium an der altehrwürdigen Harvard Universität lag greifbar nahe vor ihnen. Die Aufnahmeprüfung hatten sie beide mühelos bestanden. Dass nichts aus ihrem Studium wurde, lag daran, dass Christopher das von den Freunden seit langem herbeigesehnte Angebot aus der National Hockey League NHL bekam. Als der Anruf kam, dass man ihn draften wolle, war er überglücklich in Roys Zimmer im Wohnheim gestürmt und hatte ihn abgeküsst. Sofort danach hatte Christopher seine Siebensachen gepackt und sich auf den Weg in seine Heimat gemacht. Der größte Traum der beiden Freunde war es seit Kindertagen gewesen, eines Tages von der NHL entdeckt zu werden. Seit ihrem Eintritt ins College spielten sie mit Leidenschaft für den Harvard Eishockey Club und hatten so manche Meisterschaft gewonnen. Aber nur Christopher bekam den ersehnten Vertrag. Er brach nach Edmonton auf mit dem Versprechen, alles dafür zu tun, um seinen Freund so schnell wie möglich nachzuholen. Roy spürte noch heute die bittere Enttäuschung jener Tage. Heute wusste er jedoch, dass er weder das herausragende Talent, noch die nötige Härte für eine Karriere in der nordamerikanischen Eishockeyliga hatte. Aber damals war er am Boden zerstört gewesen. Ohne seinen besten Freund fühlte er sich in Boston nicht mehr wohl. Gerne ließ er sich daher von seiner Mutter zur Rückkehr nach Deutschland überreden. In Hamburg begann Roy ein Jurastudium und spielte in seiner Freizeit Eishockey bei einem Amateurverein. Als der Hamburger Eishockeyclub in die Bundesliga aufstieg, war Roy zwanzig Jahre alt und ein so guter Spieler, dass man schnell auf ihn aufmerksam wurde und ihm einen Vertrag anbot. Ohne lange zu überlegen gab er das Studium auf und wurde Profisportler. Natürlich verdiente er in Deutschland nicht solche gigantischen Summen, wie sie in der NHL gezahlt wurden. Aber sein Gehalt konnte sich durchaus sehen lassen. Vor allem jedoch war er glücklich, dass auch sein Traum sich doch noch erfüllt hatte, Eishockeyspielen zu seinem Beruf zu machen. Der Kontakt zu seinem Freund Christopher war trotz der großen Entfernung zwischen den beiden Kontinenten nie wirklich abgebrochen. Sie telefonierten immer wieder einmal miteinander. Auf dem Eis, als Spieler einer gegnerischen Mannschaft, waren sie sich noch nie begegnet. Bei dieser Weltmeisterschaft würde dies mit etwas Glück zum ersten Mal geschehen. Sie freuten sich beide darauf. Bevor das Turnier Ende der nächsten Woche begann, wollten die Freunde einige Tage privat miteinander verbringen und über alles reden, was sich im Leben des jeweils anderen in den letzten Jahren getan hatte.
Als er nach knapp drei Stunden Fahrtzeit endlich Düsseldorf vor sich liegen sah, atmete Roy auf. Er war froh, dass er sein Ziel fast erreicht hatte. Geschickt lenkte er seinen Wagen durch den Verkehr hinüber auf den Zubringer zur Oberkasseler Brücke. Er wohnte auf der linken Seite des Flusses, in dem Düsseldorfer Nobelvorort. In wenigen Minuten würden sie zu Hause sein. Es wurde Zeit, Christopher zu wecken.
»Chris, wir sind gleich da«, teilte Roy seinem Freund mit, wobei er ihm mit der rechten Hand leicht auf den Oberschenkel schlug.
Sofort öffnete Christopher die Augen, richtete sich auf und blickte sich etwas benommen um. »Bin ich doch tatsächlich eingeschlafen, oder? Wo sind wir?«, fragte er laut gähnend, während er die Rückenlehne seines Sitzes in eine aufrechte Position brachte.
»Und ob du geschlafen hast«, bestätigte Roy. »Du hattest wohl wirklich Nachholbedarf. – Wir sind in Düsseldorf. Das da unter uns ist der Rhein«, erklärte er. »In fünf Minuten sind wir zu Hause.«
»Netter kleiner Fluss«, kommentierte Christopher.
Roy lachte. »In Deutschland ist eben alles ein wenig kleiner als bei dir in Kanada.«
Er nahm den Fuß vom Gas, als er sich in die Abfahrt von der Brücke einfädelte, fuhr links ab auf die Lütticher Straße, folgte dieser ungefähr einen Kilometer und bog schließlich in eine kleine Seitenstraße ein. Nach weiteren einhundert Metern bremste er seinen Wagen vor einem weiß verputzten Zweifamilienhaus ab, das mit seinen Sprossenfenstern, den grünen Klappläden und der soliden grünen Haustür einen exklusiven Landhausstil verkörperte. Diesen Baustil hatten einige der Nachbarhäuser übernommen, die in dieser ruhigen Straße neben hübschen Einfamilienhäusern und imposanten Jugendstilvillen standen. Rotdornbäume säumten die Bürgersteige rechts und links der Straße. Die Vorgärten der Häuser sahen tadellos gepflegt aus, waren jedoch, ebenso wie Sträucher und Bäume, winterlich kahl. Vereinzelt streckten Schneeglöckchen und Märzenbecher ihre hübschen Köpfe aus der Erde und setzten in das trostlose graue Einerlei kleine weiße Tupfer. Zahlreiche Krokusse unterstützten sie dabei mit einer Vielzahl bunter Farben. Der Winter war in diesem Jahr lang und sehr kalt gewesen, auch Mitte Februar kletterte die Temperatur tagsüber kaum einmal über den Gefrierpunkt. In den Beeten und auf den Rasenflächen lagen die Reste der Schneedecke, die das ganze Land vor wenigen Tagen noch vollständig bedeckt hatte. Etwa einhundertfünfzig Meter von dem Haus entfernt, vor dem Roy sein Auto angehalten hatte, floss der Rhein. Dieser war durch Grünanlagen von den Grundstücken auf der rechten Straßenseite getrennt und über schmale, gepflasterte Wege zwischen den Häusern in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Von den Fenstern und Balkons der oberen Wohnungen konnte man auf den Fluss schauen, die vorüberfahrenden Lastkähne beobachten und nachts dem Tuckern ihrer Dieselmotoren lauschen. Über den Rhein hinweg sah man auf das Panorama der Stadt Düsseldorf mit ihren Brücken und dem Fernsehturm als markantem Wahrzeichen.
»Dort oben wohne ich.« Roy wies mit dem Zeigefinger auf die obere Fensterfront des Hauses, während er seinen Wagen auf die Zufahrt zur Tiefgarage lenkte. »Besser gesagt, dort wohnen Vera und ich«, korrigierte er sich.
»Hm«, machte Christopher. »Das Haus gefällt mir.« Er atmete einmal tief ein. Das Ziel seiner langen Reise war erreicht. Dieser Gedanke machte ihn schlagartig munter. »Die nahe Grünanlage gefällt mir auch. Da kann ich jeden Tag laufen und etwas für meine Fitness tun.«
»Meine Freundin wird mit dir laufen. Sie wird dir auch Düsseldorfs Sehenswürdigkeiten zeigen und sich überhaupt die nächsten Tage um dich kümmern, während ich beim Training bin. Tut mir leid, dass ich nicht rund um die Uhr für dich da sein kann, Chris. Aber im Gegensatz zu dir habe ich noch nicht frei, sondern muss leider bis Donnerstag jeden Tag ins Stadion.«
»Das ist völlig in Ordnung. - Unser Spielplan sah keine wichtigen Matches mehr vor. Und meine Verletzung klingt gerade erst ab. Ich hätte sowieso nicht mitspielen dürfen. Da wir auch in diesem Jahr leider nicht mehr um den Cup mitspielen, haben Verein und Trainer mir erlaubt, einige Tage vor Beginn der WM nach Deutschland zu kommen. Das war die Gelegenheit, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Auch wenn du nicht viel Zeit hast, wir werden das Beste daraus machen.«
»Das machen wir«, nickte Roy. »Das war ein böses Foul. Ich hab’s im Internet gesehen. Bist du soweit wiederhergestellt, dass du die WM spielen kannst?«
»Aber ja«, tat Christopher zwei gebrochene Rippen mit einer lässigen Handbewegung ab. »Überhaupt kein Problem. Ich muss nur für die nötige Fitness sorgen. Und ich soll nicht zu viel deutsches Bier trinken, sagt mein Trainer.«
»Na, schau’n wir mal«, lachte Roy. »Wo steht Toronto in der Tabelle? Du sagst, ihr habt auch dieses Jahr keine Chancen auf den Cup?«
»Überhaupt keine. Das ist so verdammt frustrierend, dass ich ernsthaft über einen Vereinswechsel nachdenke. Ich bin jetzt achtundzwanzig. Das heißt, ich kann noch sechs, höchstens sieben Jahre spielen. Weißt du, ich will unbedingt noch einmal den Stanley Cup in den Händen halten, bevor ich meine Karriere beende. Das sollte doch, verdammt noch mal, möglich sein. - Wie sieht es in deinem Verein aus? Habt ihr Chancen auf den Pokal?«
»Keine großen. Besser gesagt, überhaupt keine«, gab Roy verdrossen zu.
»Das freut mich doch sehr«, lachte Christopher mit entwaffnender Ehrlichkeit. Er sah in das grinsende Gesicht seines Freundes. »Jetzt will ich aber raus aus den Klamotten und unter die Dusche. Und dann ein Düsseldorfer Bier. Egal, was der Trainer sagt. Du hast mir so viel davon erzählt, jetzt will ich es probieren. Was sagst du noch, wie heißt das Bier?«
»Düsseldorfer Alt. Es ist ein dunkles Bier, das sehr gut schmeckt. Mir jedenfalls. Ich freue mich schon darauf, nachher mit dir und Vera einen Bummel durch die Altstadt zu machen«, sagte Roy. Dabei fragte er sich, was seine Lebensgefährtin wohl zu seinen Plänen für die nächsten Tage sagen würde. »Was ist übrigens mit deiner Freundin? Wie heißt sie? Wie sieht sie aus? Hast du Fotos dabei?«
»Welche meinst du?«, fragte Christopher und grinste Roy an. »Die vom letzten Monat? Von letzter Woche oder die von gestern?«
»Du hast dich wirklich nicht geändert«, stellte Roy lachend fest. »Und natürlich stehst du immer noch auf Blondinen, oder?«
Er dachte zurück an ihre gemeinsamen Highschool- und Collegejahre. Während dieser Zeit hatte Christopher seine Freundinnen gewechselt wie andere Leute ihre Hemden. Und alle diese Mädchen waren stets blond und sehr attraktiv gewesen. Roy und die anderen Mitglieder ihrer großen Freundesclique hatten ihn damals sehr bewundert und ihn glühend um seine Chancen bei den schönsten Mädchen beneidet. Christopher brauchte nur zuzugreifen, und das hatte er auch immer ausgiebig getan. Seine Eroberungen waren legendär. Als er Boston verließ, hinterließ er eine lange Spur gebrochener Herzen, aber auch viele Freunde, die froh waren, dass diese unüberwindbare Konkurrenz endlich aus dem Weg war. Roy hatte nicht zu den Neidern gehört. Er hatte Christopher seine Erfolge von Herzen gegönnt. Auch wenn das bedeutet hatte, dass er immer nur die Mädchen bekam, die sein Freund nicht wollte. Trotz aller freundschaftlichen Gefühle war das manchmal doch etwas frustrierend gewesen.
»Warum sollte ich mich ändern?«, fragte Christopher zurück. »Ich genieße mein Leben, so wie es ist. Ich glaube, ich bin nicht der Typ für eine feste Beziehung. Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die mich auch nur ansatzweise vom Gegenteil überzeugen konnte. Außerdem hast du recht, mein Geschmack hat sich nicht geändert. Ich stehe immer noch ausschließlich auf Blondinen.«
»Das war mir klar«, nickte Roy lächelnd. »Glaub mir, eine feste Beziehung ist was Feines. Seit ich mit Vera zusammenlebe, geht es mir rundherum so richtig gut. Ich würde gerne so schnell wie möglich heiraten und einen Stall voll Kinder haben.«
»Aber?«
»Sie will erst ihre Ausbildung beenden. Ich darf sie also erst nach dem zweiten Staatsexamen fragen, ob sie mich heiraten will. Und das kann dauern.«
»Du hast schon immer von Frau und Kindern geträumt«, erinnerte sich Christopher.
»Ja, das ist wahr«, gab Roy zu.
Er lenkte den Wagen in die Zufahrt zur Tiefgarage und stellte den Audi auf seinem Stellplatz neben Veras Porsche ab.
»Ist das auch deiner?« Mit unverhohlener Bewunderung sah Christopher auf den silbernen Sportwagen. Der war genau nach seinem Geschmack. Vielleicht sollte er doch endlich seinen alten Honda verkaufen und sich ein flottes, sportliches Auto zulegen, überlegte er spontan.
»Nein, der gehört Vera«, erklärte Roy. »Ein Geschenk ihres Vaters zum Einserabitur.«
»Netter Vater«, stellte Christopher fest.
»Ich komme gut mit ihm zurecht«, war alles, was Roy darauf sagte. Er kannte Christophers Einstellung zu Vätern. »Willkommen zu Hause. Nur noch ein paar Minuten, dann wirst du Vera kennen lernen. Ich bin gespannt, was du sagst.«
»Ich lass mich überraschen«, sagte Christopher höflich. Roys Frauengeschmack war noch nie der seine gewesen. Er wusste, dass ihn nichts Besonderes erwartete.
Christopher öffnete die Beifahrertür, streckte sich genussvoll beim Aussteigen und griff dann nach seiner Reisetasche auf dem Rücksitz. Dabei warf er einen erneuten bewundernden Blick auf den Porsche. Nebeneinander hergehend durchquerten die beiden Freunde die Garage und öffneten die Tür zum Treppenhaus, das sie in die obere Etage führte.
»Komm rein«, sagte Roy einladend, nachdem er die Wohnungstür aufgeschlossen hatte. Er drückte auf den Lichtschalter, trat dann beiseite und ließ seinem Freund den Vortritt in die Diele, die mit ihrem glänzenden Holzfußboden, den weiß verputzten Wänden, an denen viele gerahmte Fotos hingen, einer in einer Nische versteckten Garderobe sowie einer großen Anzahl von Spots an der Decke einen hellen und freundlichen ersten Eindruck auf den Gast machte. Es roch gut, stellte Christopher fest.
»Alle diese Fotos hat Vera gemacht. Sie ist eine echt gute Fotografin«, erklärte Roy nicht ohne Stolz.
»Die sehe ich mir nachher mal in Ruhe an«, versprach Christopher. Ein erster kurzer Blick auf die Fotos zeigte ihm, dass diese ganz bestimmt einen zweiten Blick wert waren.
»Ich stelle dir jetzt erst mal Vera vor, dann zeige ich dir die Wohnung und das Gästezimmer. Danach kannst du duschen und was immer du willst.«
»Ich stecke seit ich weiß nicht wie vielen Stunden in diesen Klamotten. Eine Dusche und umziehen wäre herrlich«, gestand Christopher. »Aber zuerst will ich natürlich deine Freundin begrüßen.«
Roy lachte. »Dann komm. Bestimmt ist Vera im Arbeitszimmer vor dem Computer. Seit Wochen geht das schon so. Ich sehe sie kaum noch.«
Seine Stimme klang jetzt ein wenig unzufrieden, änderte sich jedoch, als er neben Christopher den Flur entlang ging und schließlich vor einer der zahlreichen weißen Landhaustüren stehen blieb, die von der Diele aus in diverse Zimmer führten. Wie alle anderen Türen war auch diese geschlossen. Roy klopfte kurz an, drückte die Messingklinke herunter und stieß die Tür auf.
»Schatz, wir sind da«, verkündete er munter in den Raum hinein.
An einem mit unzähligen Büchern und Papieren bedeckten Schreibtisch saß beim Schein einer hellen Tischlampe eine junge Frau vor dem Computer. Ihre flinken Finger tippten eifrig auf der Tastatur.
Bei Roys Worten hielt Vera in ihrer Tätigkeit inne, drehte mit Schwung die Sitzfläche ihres Bürostuhls herum und sah überrascht auf die beiden Männer, die im Türrahmen standen. Sie war den ganzen Tag so vertieft in ihre Arbeit gewesen, dass sie nicht mitbekommen hatte, dass Roy die Wohnung verlassen hatte. Wo auch immer er gewesen war, er hatte einen Gast mitgebracht, mit dem er Englisch sprach. Sicher ein neuer Spielerkollege. Sie rollte den Stuhl vom Schreibtisch fort und stand auf, als Roy und sein Begleiter das Zimmer betraten und auf sie zukamen.
»Vera, ich möchte dir meinen Freund Chris vorstellen. Er kommt aus Toronto. Ich habe dir von ihm erzählt. Wir beide haben zusammen in Harvard Eishockey gespielt«, erklärte Roy.
»Ja, du hast mir von deinem Freund erzählt«, behauptete Vera, obwohl sie nicht sicher war, ob das tatsächlich stimmte. Sie sprach jetzt ebenfalls Englisch. Lächelnd ging sie auf Christopher zu und schaute hoch in sein Gesicht.
»Ich freue mich, dich kennen zu lernen, Chris«, sagte sie und reichte dem jungen Mann die Hand.
Als sie in sein Gesicht, in seine blauen Augen, in seine sehr blauen Augen sah, begann ihr Herz plötzlich heftig zu klopfen. Das zu bemerken, irritierte sie. Sie schob dieses Gefühl sofort beiseite, weil sie nichts damit anfangen konnte.
Roys Freund sah sehr gut aus. Er war über 1.90 m groß und wog um einiges mehr als neunzig Kilo. Sein hellblondes, dichtes Haar war so lang, dass es halb die Ohren bedeckte und ein Stück in den Nacken fiel. Seine tiefblauen Augen mit den dichten Wimpern waren sehr eindrucksvoll. Er hatte weiche Gesichtszüge mit rundem Kinn und gut geformter Nase, außerdem sympathische Lachfalten in den Augenwinkeln. Dass Christopher aus Kanada stammte, vermutete man bei seinem Anblick sofort, wenn man Klischees bedienen wollte. Er trug zu verwaschenen Jeans und hellen Wildlederboots eine dicke, rot-schwarz karierte Holzfällerjacke, deren Kragen aufgestellt war. Um den Hals hatte er lässig einen roten Schal geschlungen. Er war ein unglaublich attraktiver Mann. Männer mit Dreitagebart hatten Vera schon immer schwach gemacht. Alles an diesem Mann gefiel ihr auf den ersten Blick: Sein Gesicht, seine Augen, sein Lachen. Seine Stimme war tief und männlich. Sie bewirkte, dass Vera ein Kribbeln im Nacken verspürte.
»Hallo, Vera«, sagte Christopher. »Schön, dich kennen zu lernen. Ich bin Chris Henderson.«
Beim ersten Blick in Veras Gesicht hatte Christopher das Empfinden, als sei die Zeit plötzlich stehen geblieben. Ein merkwürdiges Gefühl, das er noch niemals zuvor erlebt hatte. Er war der festen Überzeugung, seit er bei der Begrüßung ihre Hand ergriffen hatte, habe er kein einziges Wort gesagt. Ihr Lächeln zeigte ihm jedoch, dass er die Worte, die in seinem Kopf nachhallten, tatsächlich ausgesprochen hatte.
Ihr Anblick verschlug ihm völlig die Sprache. Noch nie in seinem Leben hatte er eine so unfassbar schöne Frau gesehen. Wie war Roy an diese Wahnsinnsfrau gekommen? Wie zum Teufel war es ihm gelungen, sie zu erobern? Ihr dunkles, fast schwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt. In leichten Wellen fiel es ihr bis fast an die Taille. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht mit zarter, klarer Haut. Ihre ausdrucksstarken, mit schwarzem Kajal umrandeten Augen waren groß und geheimnisvoll und von einem sehr dunklen, sehr intensiven Blau. Sie wurden umrahmt von langen, dichten Wimpern. Ihre hübsche kleine Nase passte perfekt zu ihrem Gesicht, und ihr sinnlicher Mund lud geradezu zum Küssen ein. Christopher schätzte ihre Größe auf nicht mehr als 1.75 m. Ein Blick auf ihre langen Beine überzeugte ihn davon, dass diese äußerst sehenswert waren. Ihre Figur konnte er nur erahnen. Sie trug ein Minikleid aus dicker roter Wolle zu schwarzen Wollstrümpfen und rotgemusterten Stulpen sowie, statt Schuhen, Wollsocken. Aber er sah mit diskretem Kennerblick, dass kein Zweifel daran bestand, dass ihre Figur ebenso atemberaubend war wie ihr Gesicht und ihre Beine. Beim Klang ihrer Stimme rann ihm ein Schauer über den Rücken. Sie war dunkel, die Tonlage ruhig und unaufgeregt. Genauso, wie er es bei einer Frau liebte.
Als Christopher in Veras schönes Gesicht sah, das zu ihm aufschaute, geschah es. Heftig und unerwartet schlug der Blitz ein. Mit einer solchen Wucht, dass es ihn fast umwarf. Trotz der Fülle von Emotionen, die auf ihn einprasselten und die ihm den Atem raubten, wusste er ohne den geringsten Zweifel, dass hier die Frau vor ihm stand, von der er sein Leben lang geträumt hatte. Es war kaum zu glauben, aber sein Traum war soeben in Erfüllung gegangen. Er hatte sie gefunden. Er hatte sich verliebt. Auf den ersten Blick und zum ersten Mal in seinem Leben so richtig und wahrhaftig verliebt. Er würde dieses Mädchen zu seiner Frau machen, das stand für ihn fest. Er würde sie vom Fleck weg heiraten ohne lange zu überlegen, wenn … ja, wenn sie nicht Roys Freundin wäre. Diese Tatsache, die sich ungebeten und unerwartet heftig in seine Gedanken drängte, riss Christopher so brutal aus seinen Träumen, dass er das Gefühl hatte, aus einer großen Höhe hinab auf die Erde zu stürzen. Ein unerträglicher Schmerz fuhr durch seinen Körper.
Wie durch eine Watteschicht hörte er Roy sagen: »Chris bleibt ein paar Tage bei uns. Bis Ende der Woche, bis wir ins Trainingslager fahren.«
»Wie bitte?«, fragte Vera ungläubig. Roys Ankündigung brachte sie schlagartig in die Realität zurück, heraus aus ihrer Verzauberung, in der sie sich seit dem Blick in Christophers Augen befand. »Wie stellst du dir das vor? Warum sagst du mir nichts davon, dass du einen Freund einlädst? Dann hätte ich Vorbereitungen treffen können.« Vor lauter Ärger sprach sie Deutsch, ohne dass sie es bemerkte.
»Habe ich dir wirklich nicht gesagt, dass ich Chris eingeladen habe?«
»Nein, das hast du nicht. Wer soll sich um deinen Freund kümmern? Wie hast du dir das gedacht? Du bist fast den ganzen Tag nicht da. Ich muss zur Uni. Meine Hausarbeit muss bis Freitag fertig sein. Ich …«
»Ach komm, Vera, das wird schon irgendwie gehen«, versuchte Roy die Wogen zu glätten. Er lächelte sie beschwichtigend an.
»Ja, natürlich wird es schon irgendwie gehen. Wie immer auf meine Kosten«, entgegnete Vera zornig.
Christopher stand etwas ratlos da und sah von einem zum anderen. Er sah Roys zerknirschtes Gesicht. Er hörte den scharfen Ton in Veras Stimme; ihr ärgerlich verzogenes Gesicht zeigte deutlich, dass ihr irgendetwas nicht passte. Was die beiden sagten, verstand er nicht, denn er sprach kein Deutsch. Aber er ahnte, dass es um ihn ging. Es sah ganz so aus, als gefiele es Vera nicht, dass er hier war. Und sie wollte nicht, dass er blieb.
»Es tut mir leid, Vera«, sagte er. Seine Stimme klang gepresst, sein Gesicht war blass vor Enttäuschung. »Ich hätte nicht so einfach kommen sollen. - Ich gehe in ein Hotel, Roy. Wir …«
»Das kommt gar nicht in Frage«, unterbrach Vera ihn sofort. Sie machte einen Schritt auf ihn zu und sah ihm ins Gesicht, während sie gleichzeitig ihre Hand auf seinen Arm legte. »Du bist herzlich willkommen, Chris. Der Streit zwischen Roy und mir hat nichts mit dir zu tun. Roy vergisst ganz gerne einmal, mich über Dinge zu informieren, die auch mich betreffen. Und das ärgert mich immer wieder. – Also noch einmal, herzlich willkommen in Düsseldorf, Chris. Ich richte schnell das Gästezimmer für dich her, das dauert nicht lange. In der Zwischenzeit macht Roy euch beiden einen Drink.«
»Ich möchte keine Last für dich sein, Vera«, sagte Christopher. Innerlich jubelte er jedoch. Er war überglücklich, dass sie ihn nicht fortschickte.
»Du bist keine Last, Chris. Ich freue mich, dass du da bist«, versicherte Vera mit einem Lächeln.
Sie schaute bei ihren Worten etwas zu lange in Christophers blaue Augen. Als sie es bemerkte, wandte sie hastig ihren Blick ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Roy.
»Mach für euch beide einen Drink«, bat sie ihn. »Zum Abendessen müsst ihr ausgehen. Wir haben nichts im Haus. Es ist deine Einkaufswoche. Aber das hast du anscheinend auch vergessen«, fügte sie ein wenig bissig hinzu.
»Tut mir leid, Schatz. Ich habe wirklich total vergessen, dass ich dran bin mit Einkaufen«, gab Roy kleinlaut zu. »Ich erledige das gleich morgen früh, versprochen. Du kommst aber doch mit uns zum Essen, oder?«
»Nein, ich komme nicht mit. Ich muss gleich zurück an die Arbeit. Am Freitag ist Abgabetermin. Ich weiß nicht, ob ich bis dahin überhaupt fertig werde.«
»Natürlich wirst du das.«
»Stimmt. Werde ich.«
Und dann lächelte sie ihn doch an. Roy war froh darüber. Er mochte Missstimmungen in seinem Privatleben nicht. Da er ein ehrlicher Mensch war, gab er zu, dass meistens er der Grund für Auseinandersetzungen zwischen ihnen beiden war. Selbstverständlich hatte er gewusst, dass Vera an einer Hausarbeit schrieb und hatte Christopher trotzdem eingeladen. Roy verließ sich darauf, dass ihr Organisationstalent sich auch dieses Mal bewähren würde, ihre Arbeit für die Uni zu erledigen und sich gleichzeitig um seinen Freund zu kümmern. Vera schaffte das, da machte er sich keine Sorgen.
Der aufheulende Motor eines vorbeifahrenden Autos weckte Vera aus einem unruhigen Schlaf. Benommen tastete sie im Dunkeln nach der Uhr auf dem kleinen Tischchen neben der Couch. Es war halb sechs. Also noch viel Zeit, bis sie aufstehen musste. Um kurz nach acht Uhr hatte sie ihre erste Vorlesung an diesem Tag. Mit dem Fahrrad brauchte sie bis zur Uni ungefähr vierzig Minuten. Der Gedanke, bei Eiseskälte mit dem Rad unterwegs zu sein, kostete sie im Winter, wenn sie morgens Unterricht hatte, stets einige Überwindung. Am Ziel angekommen war sie aber jedes Mal froh, mit dem Rad gefahren zu sein. Denn die Kälte vertrieb die morgendliche Müdigkeit und machte fit für den Tag. Mit dem Auto zu fahren war wegen des minimalen Parkplatzangebotes auf dem Unigelände ein Glücksspiel, auf das Vera sich nicht einlassen mochte, obwohl dies eine halbe Stunde länger schlafen bedeutet hätte. Sie hatte jedoch keine Probleme mit dem frühen Aufstehen, und sie liebte es, mit dem Rad zu fahren.
Heute Morgen fiel es Vera jedoch schwer, wach zu werden. Sie hatte das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Da sie nicht gehört hatte, dass Roy und sein Freund nach Hause gekommen waren, musste sie irgendwann doch eingeschlafen sein. Und hatte wohl die ganze Nacht von Christopher geträumt. Gestern Abend, nachdem die beiden Freunde die Wohnung verlassen hatten, war sie nicht mehr in der Lage gewesen, weiter an ihrem Aufsatz zu schreiben. Immerzu hatte sie Christopher vor sich gesehen, der sich nach dem Duschen leider rasiert hatte, dessen glattes Gesicht ihr aber beinahe ebenso gut gefiel wie das bärtige. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken an seine Stimme, sein Lachen und seine blauen Augen wie ein wilder Bienenschwarm herum und ließen keinen Platz mehr für wichtigere Dinge. Obwohl sie sich sehr bemüht hatte, war es ihr nicht gelungen, wieder Ordnung in dieses merkwürdige Gefühlschaos zu bringen, das in ihrem Inneren herrschte. Statt sich mit Roys Freund zu beschäftigen, sollte sie ihre Aufmerksamkeit lieber auf das äußerst komplizierte Erbrecht richten, welches das Thema ihrer Hausarbeit war. Das wusste Vera. Aber alles Bemühen war zwecklos gewesen. Kurz vor Mitternacht hatte sie den Computer schließlich entnervt ausgeschaltet. Auf dem Sofa im Arbeitszimmer, wo sie sich ihr Bett gemacht hatte, hatte sie sich lange schlaflos hin und her gewälzt, ihr Kopf voll mit Gedanken an Roys Freund. Er gefiel ihr.
Nur allzu gerne wäre Vera liegengeblieben, um noch ein wenig an den gutaussehenden Kanadier zu denken, der wie vom Himmel gefallen plötzlich in ihr Leben getreten war und dort für Unruhe sorgte. Aber diesem Wunsch würde sie unter keinen Umständen nachgeben. Obwohl bis zum Aufstehen noch Zeit war, schlug Vera energisch die Bettdecke zurück und tastete mit den Füßen nach ihren Pantoffeln. Den Tag zu beginnen war besser als sich in Träume zu verlieren, die ihr nicht gut tun würden. Sie knipste die Schreibtischlampe an und sah zum Computer hinüber, neben dem das lächelnde Gesicht ihrer Mutter sie aus einem silbernen Bilderrahmen heraus zärtlich ansah. Wie jeden Morgen schickte ihr Vera einen stillen Gruß. Am Abend wiederholte sich dieses Ritual, das Vera seit neun Jahren praktizierte, und bei dem sie sich ihrer Mutter stets sehr nahe fühlte. Sie durchquerte das Zimmer und öffnete die Tür zum Flur. Dort brannte auf der Schreibplatte eines antiken Sekretärs, der an der gegenüberliegenden Wand zwischen einem Abstellraum und ihrem Badezimmer stand, eine kleine Tiffany-Lampe, die als Nachtlicht diente. In der Wohnung war es still. Aus dem Gästezimmer drang kein Laut. Vom Schlafzimmer her hörte sie Roys leises Schnarchen. Sie hatte es vorher gewusst, er schnarchte immer, wenn er Alkohol getrunken hatte. Aus diesem Grund hatte sie sich gestern Abend vorsorglich auf der Schlafcouch im Arbeitszimmer ihr Bett gemacht.
Leise, um die beiden Männer nicht zu wecken, schlich Vera zur Küche. Sie brauchte heute Morgen als erstes einen starken Kaffee, um munter zu werden. Mit halb geschlossenen Augen öffnete sie die angelehnte Tür und tastete nach dem Lichtschalter. Und erschrak dann so sehr, dass sie mit einem Schlag hellwach war.
»Oh! Ich … Du … Du hast mich erschreckt«, stotterte sie und sah auf Christopher, der beim schwachen Licht der Dunstabzugshaube an der Arbeitsplatte stand und völlig in Gedanken versunken Kaffeepulver in den Filter der Kaffeemaschine gab.
Auch Christopher war leicht zusammengezuckt, als so plötzlich und unerwartet das Licht anging. Bei Veras Worten wandte er sich um und lachte sie an mit seinem sympathischen breiten Lachen. Dabei zeigte er ihr eine Reihe tadelloser Zähne. Er hatte offensichtlich, wie in seinem Beruf unerlässlich, einen guten Zahnarzt.
»Entschuldige, Vera. Das war nicht meine Absicht. Ich konnte nicht mehr schlafen und wollte mir einen Kaffee machen.«
Vera sah ihn an, wie er dort am Fenster stand, und ihr Herz begann wie verrückt zu klopfen. Barfuß, nur mit einer Jeans bekleidet, mit nacktem Oberkörper stand er mit zerzaustem Haar und Bartstoppeln im Gesicht da. >Kein Wunder, dass dieser Mann mich die ganze Nacht beschäftigt hat<, schoss es ihr durch den Kopf. Christopher hatte nicht nur ein sehr attraktives Gesicht, sondern auch einen absolut athletischen Oberkörper, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, mit Sixpack und Muskeln dort, wo sie hingehörten. Davon konnte Vera sich jetzt äußerst eindrucksvoll überzeugen. Dieser Mann war der reinste Wahnsinn. Und der Wunsch, zu ihm zu gehen, die Arme um seine Hüften zu schlingen und ihr Gesicht an seine nackte Brust zu legen, überfiel sie so plötzlich und so heftig, dass Vera, erschrocken über die Intensität ihrer Gefühle, nahe daran war, fluchtartig die Küche zu verlassen. Sie war jedoch kein spontaner Mensch, sondern eher kühl und besonnen. Auch wenn das Gefühl, sie gehöre dorthin, in seine Arme, an seine Brust, verwirrend intensiv war, gelang es ihr, diese unerwartete Regung sofort zu unterdrücken.
Nichts in Veras Gesicht verriet Christopher ihre Gedanken. Er lehnte an der Arbeitsplatte und sah sie unverwandt an. Sie war keinen Schritt näher gekommen. Sie stand an den Rahmen der Küchentür gelehnt, mit nackten Beinen und Füßen, die in großen, knallroten Pantoffeln steckten. Bekleidet war sie mit einem kniekurzen weißen, langärmeligen Nachthemd, das an Halsausschnitt und Saum eine Paspel aus rotem Satin hatte. Unterhalb des Dekolletés war mit rotem Garn das Wort ‚Traumfrau’ aufgestickt. Ihr Haar war verstrubbelt, ihr Gesicht ungeschminkt, und doch war die Frau vor ihm so schön, dass ihm bei ihrem Anblick das Atmen schwerfiel. Ihr Nachthemd und vor allem die zu groß geratenen Hausschuhe trugen wohl dazu bei, dass sie wie ein kleines, schutzbedürftiges Mädchen aussah, das ein wenig verwirrt dreinblickte. Nur zu gerne wäre Christopher zu ihr gegangen und hätte sie in seine Arme gezogen, um sie nie wieder loszulassen. Er musste sich zwingen, diesem Impuls nicht nachzugeben und ihr nicht zu zeigen, wie er sich gerade fühlte.
»Guten Morgen, Chris.« Veras Stimme war vollkommen ruhig, obwohl tief in ihr drin die Gefühle Purzelbaum schlugen. »Ich brauche auch unbedingt eine Tasse Kaffee. Glaubst du, das reicht auch für mich?«, fragte sie mit einem Blick auf die Kanne, die sich langsam füllte.
Christopher, völlig in den Anblick ihres hübschen Nachthemdes versunken, nickte nur. Er deutete mit dem Finger auf den Schriftzug. »Was bedeutet Traumfrau?«
»Oh«, machte Vera. Auf Gefühlschaos und komplizierte Fragen morgens vor sieben Uhr war sie einfach nicht vorbereitet. Trotzdem schaffte sie es, ihm eine vernünftige Antwort zu geben. »Ich glaube, dream girl … nein, dream woman ist die korrekte Übersetzung ins Englische. – Es ist hübsch, nicht wahr? Roy hat es mir zu Weihnachten geschenkt.«
Bei ihren Worten drehte sie sich einmal im Kreis, damit Christopher sie von allen Seiten sehen und bewundern konnte.
Dieser Aufforderung kam er natürlich sofort nach. Und Vera bereute ihre Koketterie, die gar nicht als solche gedacht war, sofort als sie seinem Blick begegnete, der ihr durch und durch ging.
»Ich … ich gehe dann mal duschen und mich anziehen«, sagte sie hastig und verließ schleunigst die Küche.
Zwei Stunden später saß Vera im Hörsaal der juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität und versuchte, sich auf die Worte des Dozenten zu konzentrieren. Normalerweise mochte sie den Unterricht bei Dr. Wagner. Er war einer der jüngeren Lehrer, der seine Vorlesungen über das trockene und von den meisten Studenten gehasste Steuerrecht mit jugendlichem Elan und Witz gestaltete, und der deshalb von allen sehr geschätzt wurde. Das war nicht bei jedem Dozenten der Fall. Heute aber wünschte Vera sehnlichst, dass die Vorlesung endlich vorbei sein würde. Heute war sie irgendwie nicht in der Lage, etwas von dem Stoff, den Dr. Wagner seinen Studenten zu vermitteln versuchte, zu verstehen. Sie bekam nichts davon mit, was er da vorne, lässig wie immer an das Stehpult gelehnt, von sich gab. Statt aufmerksam zuzuhören und sich nebenbei eifrig Notizen zu machen, wie sonst immer, kritzelte sie Mondgesichter und Strichmännchen auf ihren Block. Anstatt sich mit der Lösung juristischer Probleme zu beschäftigen, war ihr Kopf voll mit Gedanken an Christopher und an den Blick, mit dem er sie am Morgen in der Küche angesehen hatte. Vera wusste, dass sie gut aussah. Sie war daran gewöhnt, dass Männer sie bewundernd anschauten. Und sie hatte durchaus nichts dagegen. Im Gegenteil, sie freute sich über die Anerkennung. Die Erinnerung an Christophers Blick jedoch machte sie unruhig und nervös. Er durfte sie nicht so ansehen. Und sie durfte sich nicht wünschen, dass er es tat. Sie wollte keine Unruhe in ihrem Leben. Ihr Zusammenleben mit Roy war nett, ruhig und friedlich. Natürlich gab es auch in ihrer Partnerschaft hin und wieder die üblichen kleinen Streitereien. Aber Vera fühlte sich geliebt, sicher und geborgen an seiner Seite. Diese Harmonie würde sie nicht in Gefahr bringen durch Träume und Gedanken, die sie seit gestern beschäftigten. Mit Roy war Ruhe und Beständigkeit in ihr Leben eingekehrt. Seit sie mit ihm zusammen war, wusste sie, wohin sie gehörte. Dieser Zustand, nach dem sie sich so viele Jahre gesehnt hatte, durfte durch nichts und niemanden zerstört werden. Das würde sie unter keinen Umständen zulassen. >Um Himmels willen, was denke ich denn da? Das ist doch alles Unsinn<, schüttelte Vera über sich selbst den Kopf. >Mein ruhiges Leben ist nicht in Gefahr. Christophers Blick vorhin war meine Schuld. Was ist nur in mich gefahren, mich so kokett zu verhalten?! Und dann tut es mir leid und ich beschwere mich, dass er mich ansieht. Zugegeben, er gefällt mir. Er sieht gut aus. Er ist nett. Und Ende der Woche ist er wieder fort. Punkt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Und jetzt konzentriere ich mich wieder auf das Wesentliche in meinem Leben, und das ist mein Studium und Roy. Oder umgekehrt.<
Laute Geräusche um sie herum versetzten Vera zurück in die Gegenwart. Das Wunder war geschehen, die Vorlesung war endlich vorbei. Ihre Kommilitonen packten bereits ihre Bücher zusammen, griffen nach ihren Jacken und Mänteln und verließen allein oder in Gruppen und angeregt diskutierend den Hörsaal. Der Geräuschpegel war dementsprechend hoch. Immer noch tief in Gedanken versunken räumte Vera ihre Unterlagen in den geräumigen hellbraunen Lederrucksack, zog ihre Jacke an und wickelte sich ihren langen Schal um den Hals. Sie ließ sich Zeit dabei. Sie wusste, draußen vor der Tür wartete wie immer eine erhebliche Anzahl von Studenten auf sie. Die Mutigen würden sie zu einem Kaffee einladen wollen, die Schüchternen würden ihr sehnsuchtsvolle Blicke zuwerfen, aber nicht den Mut aufbringen, sie anzusprechen. Den meisten jungen Männern hatte sie zu Beginn ihres Studiums vor zwei Jahren klarmachen können, dass sie mit einem Mann zusammenlebte, also in festen Händen war. Diese Mitteilung hatten aber anscheinend noch nicht alle verinnerlicht. Und so kam es nach jeder Vorlesung zu einer Anzahl von Einladungen von Studenten aus allen Jahrgängen. Sogar manch ein Dozent hatte keine Skrupel, ihr Avancen zu machen. Freundlich, aber bestimmt lehnte Vera stets alle Vorschläge ab. Sie hoffte, dass sich irgendwann einmal in der Uni herumgesprochen haben würde, dass sie an Verabredungen, Flirts oder mehr absolut kein Interesse hatte.
Wie erwartet, stand vor der weit offenstehenden Tür des Hörsaals die übliche Schar ihrer Verehrer und versperrte die Sicht auf den Ausgang. Trotzdem sah Vera, als sie sich ihren Weg durch das Gedränge bahnte und dabei schon fast routinemäßig alle an sie gerichteten Vorschläge ablehnte, sofort in ein Gesicht, bei dessen Anblick ihr Herz einige heftige Sprünge machte.
Christopher stand gegenüber des Hörsaals, sein angewinkeltes Bein hinter sich an die Wand gestemmt, die Hände tief in den Taschen seiner Holzfällerjacke vergraben.
»Hallo, Vera«, sagte er.
Er stieß sich von der Wand ab und ging mit einem strahlenden Lächeln auf die Frau zu, auf die er voller Ungeduld gewartet hatte. Mit Erleichterung sah er, wie sich ihr nachdenkliches Gesicht, mit dem sie zur Tür herausgekommen war, bei seinem Anblick veränderte. Sie freute sich offensichtlich, ihn zu sehen, denn sie erwiderte sein Lächeln, wobei ihr schönes Gesicht ganz weich wurde. Diese Frau dort, die zum Anbeißen aussah in ihren engen Jeans, mit den hochhackigen Stiefeln und der dicken weißen Steppjacke, den langen bunten Wollschal einige Male um den Hals geschlungen, sie war seine Traumfrau. Seit sie ihm am Morgen diesen Begriff erklärt hatte, nannte er sie in Gedanken so: Traumfrau. Dream woman. Bei ihrem Anblick fühlte er sein Herz hart gegen seine Rippen schlagen. Seine Gefühle drohten ihn beinahe zu überwältigen. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, die Schar der jungen Männer, die vor dem Hörsaal standen, zu bemerken. So wie diese sich verhielten, handelte es sich ganz offensichtlich um Veras Verehrer. Christopher spürte einen kleinen Stich Eifersucht, musste aber grinsen, als er sah, dass sie ihn neugierig anstarrten und staunend zusahen, wie er auf Vera zuging und sie begrüßte.
»Chris«, sagte Vera überrascht. Einen Moment lang hatte sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle. Sie zeigte offen, wie sehr sie sich freute, ihn zu sehen. »Wie kommst du denn hierher?«
»Ich bin mit einem Taxi gekommen und habe mich bis zu dir durchgefragt«, erklärte Christopher. »Ich habe die Absicht, dich zum Essen einzuladen. Ich hoffe, du hast Hunger.«
»Ja … Nein … Das heißt, ja«, stotterte Vera.
Alle ihre Vorsätze, die sie während der Vorlesung gefasst hatte, waren mit dem Blick in Christophers Augen wie weggeblasen. Ihr Vorhaben, sich ein Brötchen und einen Kaffee in der Mensa zu kaufen und den Nachmittag wie geplant in der Bibliothek zu verbringen, war vergessen. Am Morgen hatte sie Christopher gesagt, dass sie heute und morgen leider nicht viel Zeit für ihn habe, und ihn damit getröstet, dass sie sich ab übermorgen besser um ihn kümmern würde, weil sie beschlossen hatte, am Mittwoch und Donnerstag alle ihre Vorlesungen ausfallen zu lassen. Trotzdem hatte er sich entschieden, einfach zur Uni zu kommen, um sie zum Essen einzuladen. Seine Spontaneität gefiel ihr.
»Ja, nein, ja«, lachte Christopher übermütig. »Das ergibt in der Summe zweimal Ja. Also, gehen wir essen.«
»Eigentlich habe ich keine Zeit zum Essen. Ich muss in die Bibliothek, Bücher tauschen und einiges recherchieren für meine Hausarbeit«, machte Vera einen halbherzigen Einwand.
»In die Bibliothek kannst du immer noch. Jetzt wird was gegessen. Ich habe nämlich Hunger. Und ich kenne mich hier nicht aus. Und wenn du nicht willst, dass ich verhungere …«
»Ist ja schon gut«, lachte Vera. »Wir gehen ja essen. Was möchtest du lieber? Unsere Mensa kennen lernen oder wollen wir in die Innenstadt fahren, um dort etwas zu essen?«
»Stadt würde mir gefallen«, gestand Christopher.
Er griff sich Veras Rucksack und warf ihn über seine Schulter. In eine angeregte Unterhaltung vertieft verließen sie das Fakultätsgebäude.
An der Berliner Straße stiegen sie aus der U-Bahn, überquerten die Fahrbahn und bogen in die Steinstraße ein, die zur Königsallee führte. Als sie an einem italienischen Restaurant vorbeikamen, das von außen einen ansprechenden Eindruck machte, entschlossen sie sich spontan, nicht bis zu Düsseldorfs Prachtstraße weiterzugehen, sondern hier einzukehren. Sie bereuten ihre Wahl nicht. Die Bedienung war freundlich und aufmerksam und das Essen hervorragend.
»Wieso sprichst du ein amerikanisches Englisch mit diesem kleinen, wie ich vermute, Westküstenakzent?«, fragte Christopher während des Essens. Er dachte heute ausnahmsweise einmal nicht an Fitness und Ernährungsplan, sondern gönnte sich eine große, üppig belegte Pizza, die er in großzügige Stücke zerteilte, um diese anschließend mit gesundem Appetit in sich hineinzuschaufeln.
»Ich bin zweisprachig aufgewachsen«, erklärte Vera.
Christopher sah fasziniert zu, wie geschickt sie ihre Spaghetti Carbonara um die Gabel wickelte. Ohne den Löffel zur Hilfe zu nehmen, schaffte sie es, mundgerechte Bissen auf die Gabel zu bekommen, ohne dass die Hälfte der Spaghetti herunterfiel. Er konnte Pasta nicht so formvollendet essen wie sie.
»Meine Mutter kam aus den USA, aus Kalifornien«, fuhr Vera fort. »Wir beide haben nur Englisch miteinander gesprochen. Wenn mein Vater abends nach Hause kam, unterhielten wir uns auf Deutsch. Deshalb mein gutes Englisch. Deshalb mein Akzent.«
»Das klingt nett. Ich mag es.«
»Danke.«
»Du sprichst in der Vergangenheit von deiner Mutter, bemerkte Christopher. »Heißt das, dass sie …« Er sprach nicht weiter.
»Sie ist vor neun Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Da war ich zwölf Jahre alt.«
»Das tut mir leid. Was ist passiert?«
»Meine Mutter war in Kalifornien bei ihren Eltern. Mein Großvater hatte einen Herzinfarkt und sie ist sofort zu ihnen geflogen. Der Infarkt war jedoch nicht so schlimm, wie es vorher schien, sodass Großvater nach einigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Besser gesagt, er hat solange herumgenörgelt, bis die Ärzte ihn gehen ließen. Meine Großeltern hatten ein Weingut im Napa Valley und Großvater wollte unbedingt bei der ersten Lese dabei sein. Ohne ihn ging es ja nicht. Er schien wieder völlig in Ordnung zu sein, deshalb hat meine Mutter ihre Koffer gepackt, um nach Hamburg zurückzukehren. Meine Großeltern haben sie mit dem Flugzeug zum Airport nach Los Angeles bringen wollen. Großvater flog diese Strecke nie über Land, sondern immer ein Stück raus auf den Ozean, um meiner Mutter eine Freude zu machen. Und dort, über dem Pazifik sind sie abgestürzt. Weshalb, konnte nie geklärt werden. Keiner von ihnen hat überlebt. Ihre Körper sind nie gefunden worden; ich hatte also nicht einmal ein Grab, an dem ich trauern konnte.«
»Mein Gott, das muss schrecklich für dich gewesen sein, sie alle auf solch furchtbare Weise zu verlieren.«
»Wäre Roy nicht gewesen, hätte ich es sicher nicht durchgestanden, auf einen Schlag alle diese geliebten Menschen zu verlieren. Mein Vater war mir weder Trost noch Hilfe. Ganz im Gegenteil. Nur kurze Zeit nach der Trauerfeier in Kalifornien hat er mich nach England auf ein Internat geschickt.« Veras Stimme klang jetzt ziemlich verbittert.
»Das tut mir leid«, sagte Christopher noch einmal. »Das war bestimmt eine harte Zeit für dich, erst deine Angehörigen zu verlieren und anschließend in die Fremde geschickt zu werden.«
»Ja, das war es. Ich war nicht gerne in diesem Internat. Es war ein reines Mädcheninternat und meine Mitschülerinnen waren ziemlich zickig. Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis ich meinen Vater davon überzeugt hatte, dass ich dort nicht noch einen Tag länger bleiben wollte. Roy und seine Eltern haben einen großen Anteil daran, dass ich die restlichen Jahre bis zum Abitur in einem Internat in Deutschland verbringen durfte. Dort hat es mir sehr gut gefallen.«
»Was haben Roy und seine Eltern mit deiner Geschichte zu tun?«
»Meine Eltern und Roys Eltern sind seit ihrer Studienzeit miteinander befreundet. Roys Mutter hat sich nach dem Tod meiner Mutter sehr um mich gekümmert.«
»Ich kenne Margaux Roesner auch ziemlich gut. Ich habe damals, als sie in New York lebten, manches Wochenende bei ihnen verbracht. Aber ich bin mit ihr nicht besonders gut klargekommen. Glaubst du, sie wird eine gute Schwiegermutter für dich sein?«
»Nein, ganz gewiss nicht. Heute kann sie mich nicht mehr leiden. Ich lasse es an der nötigen Dankbarkeit fehlen, das hält sie mir in regelmäßigen Abständen vor. Außerdem bin ihr zu selbstbewusst und zu selbständig geworden. Ich habe den starken Verdacht, keine Frau ist gut genug für ihren Sohn.«
»Dann wird sie nicht zustimmen, dass Roy und du heiratet?« Eine leise Hoffnung regte sich in Christopher, die sich bei Veras Antwort jedoch sofort in Luft auflöste.
»Oh doch, das wird sie. Dass wir heiraten, ist in beiden Familien eine lange beschlossene Sache.«
Über den Tisch hinweg sah Christopher sprachlos in Veras Gesicht, das bei diesen Worten keine Regung zeigte. Er konnte kaum glauben, was sie da gerade gesagt hatte.
»Das klingt nach tiefstem Mittelalter«, bemerkte er nach einem kurzen Schweigen. »Was sagt ihr als Betroffene dazu?«
»Wir werden irgendwann heiraten.«
»Ja, natürlich. Was für eine dumme Frage«, sagte Christopher mit Sarkasmus in der Stimme. Er sah den kurzen, leicht irritierten Blick, den Vera ihm zuwarf, bevor sie sich wieder über ihren Teller beugte, um eine weitere Portion Spaghetti um ihre Gabel zu wickeln. Er ärgerte sich über den Verlauf dieses Gespräches, obwohl er wusste, dass er überhaupt kein Recht dazu hatte. Wie Roy und Vera ihre Zukunft planten, ging ihn nun wirklich nichts an. Er bemühte sich um einen neutralen Tonfall, als er seine nächste Frage stellte.
»Was macht dein Vater beruflich?«
»Er hat zusammen mit Roys Vater eine Anwaltskanzlei in Hamburg. Ihre Klienten sind internationale Banken und Versicherungen, Investoren und reiche Geschäftsleute. Die Kanzlei hat Ableger überall in der Welt, wo das Geld ist. Sie haben einige Hundert Angestellte.«
»Ich verstehe. Deshalb dein Jurastudium. Nach Beendigung deiner Ausbildung wirst du in die Kanzlei eintreten, oder?«
»So wünscht es sich mein Vater.«
»Und was wünscht sich Vera?«
»Ich will ihm immer noch gefallen. Aus diesem Grund habe ich nie den Mut aufgebracht, mich gegen ihn durchzusetzen.«
»Ich weiß, dass Roy, genau wie ich, nach Beendigung seiner Karriere auch Jura studieren wird. Irgendwann geht ihr beide nach Hamburg und werdet Partner in der Kanzlei, oder? Und später werdet ihr das alles einmal erben, nicht wahr?«
»Ja, so wird es wohl kommen.«
»Du klingst nicht gerade enthusiastisch. Wann wirst du deinem Vater sagen, dass du eigentlich ganz andere Wünsche hast?«
»Gar nicht. Er würde es weder verstehen noch es akzeptieren. Und eigene Wünsche würden mein Verhältnis zu ihm nur noch schlechter werden lassen. Ich glaube nicht, dass ich das will.«
»Was ist der Grund für dein schlechtes Verhältnis zu deinem Vater? Weil er nach dem Tod deiner Mutter wieder geheiratet hat?«
»Er hat nicht wieder geheiratet. Sein ganzes Verhalten damals nach dem Tod meiner Mutter kann ich bis heute nicht verstehen. Beide hatten wir einen geliebten Menschen verloren. Wir hätten uns gegenseitig trösten können. Aber das hat er nicht zugelassen. Er hat mich nach Cambridge geschickt ohne mich vorher zu fragen, ob ich das überhaupt will. Es hat ihn auch nicht gekümmert, dass ich dort sehr unglücklich war. Ich habe es Roy und seinen Eltern zu verdanken, die ihn schließlich davon überzeugen konnten, dass ich in England eingehen würde, und dass ich in dem Internat am Bodensee weitaus besser aufgehoben sei. Roy war immer mein großer Bruder, der mich beschützt hat.«
Die Zärtlichkeit, die jetzt unüberhörbar in Veras Worten mitschwang, gab Christopher einen kleinen schmerzhaften Stich.
»In diesem Internat habe ich mich sehr wohlgefühlt«, fuhr sie fort. »Weil mein Vater immer so kühl und abweisend zu mir war, bin ich in den Ferien gar nicht mehr nach Hause gefahren. Stattdessen war ich in Sommercamps überall auf der Welt. Und die Weihnachtsfeiertage habe ich in all den Jahren stets bei Roy und seinen Eltern verbracht.«
Bei der Erinnerung an die vielen Weihnachtsfeste ohne ihre geliebte Mutter kämpfte Vera kurz mit den Tränen. Bevor Christopher jedoch etwas Tröstendes sagen oder tun konnte, sie in den Arm nehmen zum Beispiel, was er nur zu gerne getan hätte, fuhr Vera fort. »Es fehlte mir nie an etwas. Teure Internate, gute Ausbildung, exklusive Ferienaufenthalte in aller Welt, das alles hat mein Vater mir ermöglicht. Das war für ihn selbstverständlich, ich musste nie um etwas bitten. Aber auf all das hätte ich gerne verzichtet, wenn er mir nur einmal gezeigt hätte, dass ich ihm etwas bedeute.«
»Zahlt er dein Studium hier in Düsseldorf?« Obwohl Christopher wusste, dass es ihn überhaupt nichts anging, stellte er diese Frage ohne nachzudenken. Veras Antwort war ihm plötzlich sehr wichtig.
»Ja, natürlich finanziert mein Vater meine Ausbildung. Er zahlt mein Studium und meinen Unterhalt, indem er mir jeden Monat einen recht großen Betrag auf mein Konto überweist. Roys Wohnung gehört dem Verein. Wir teilen uns aber die Nebenkosten und was sonst noch anfällt, Lebensmittel und dergleichen. Wobei er einen größeren Anteil übernimmt, was ich nur gerecht finde«, fügte Vera mit einem Lächeln hinzu.
Christopher atmete erleichtert auf. Vera ließ sich nicht von Roy aushalten. Sie war finanziell nicht von ihm abhängig. Irgendwie war ihm dieses Wissen wichtig, ohne dass er darüber nachdenken wollte, warum.
»Mein Vater ist stets sehr großzügig wenn es um Geld geht. Aber leider nie in Gefühlssachen. Ich versuche bis heute, ihn dazu zu bewegen, einmal Emotionen zu zeigen, und bin deshalb viel zu angepasst. Das weiß ich. Aber obwohl ich mir die größte Mühe gebe, ist unser Verhältnis zueinander nicht gut.«
»Vielleicht solltest du aufhören, dir die größte Mühe zu geben«, schlug Christopher vor.
»Du hast vollkommen recht. Aber irgendwie schaffe ich es einfach nicht, damit aufzuhören, vergeblich gegen Windmühlen zu kämpfen«, gab Vera mit einem schwachen Lächeln zu.
»Ich verstehe«, behauptete er, obwohl er ihr Verhalten dem Vater gegenüber keineswegs verstand. »Du musst ein sehr unglückliches Kind gewesen sein.« Über den Tisch hinweg griff Christopher nach Veras Hand und legte seine tröstend darüber.
»Zeitweise ja«, nickte Vera. Sein Einfühlungsvermögen gefiel ihr, und seine warme Hand auf ihrer zu spüren tat gut. Aber diese vertrauliche Geste durfte sie nicht zulassen. Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, bevor sie sanft ihre Hand zurückzog und nach ihrem Weinglas griff.
»Deine Kindheit war anscheinend genauso beschissen wie meine«, vermutete Christopher. Seine Stimme klang ruhig. Obwohl er enttäuscht war von Veras Reaktion, gelang es ihm, seine Gefühle nicht zu zeigen.
»Ich bin in Ordnung«, behauptete Vera, nachdem sie einen kleinen Schluck aus ihrem Glas getrunken hatte. Sie atmete auf. Die Gefahr war vorüber. Christophers Hand war wieder dort, wo sie ihr nicht gefährlich werden konnte: neben seinem Teller. Die Enttäuschung zu sehen, die über sein Gesicht gehuscht war, verwirrte sie mehr als sie wahrhaben wollte. Als sie das Glas abstellte, bemerkte sie das leichte Zittern ihrer Hand. Sie hoffte, dass es ihm nicht auffiel.
»Außer der Tatsache, dass ich wohl ein etwas ausgeprägteres Bedürfnis nach Sicherheit und Beständigkeit habe als andere Menschen, fühle ich mich gut«, fuhr Vera mit ruhiger Stimme fort. »Trotz allem, was passiert ist, trotz fehlender Vaterliebe habe ich mich nie unterkriegen lassen, und die fünf Jahre in dem Internat am Bodensee waren die schönste Zeit in meinem Leben.«
Sie sagte nicht: >Die Jahre mit Roy sind die schönsten in meinem Leben<, bemerkte Christopher mit Zufriedenheit. Nach Veras abweisender Geste vor wenigen Minuten empfand er jetzt eine große Erleichterung. Mit einiger Verwunderung registrierte er das Gefühlschaos, in das sie ihn allein mit ihren Worten stürzen konnte. In Sekundenschnelle ging die Achterbahn seiner Emotionen von ‚Himmelhochjauchzend’ runter auf ‚Zu Tode betrübt’. Ihn so dermaßen durcheinander zu bringen hatte vor ihr noch keine Frau geschafft, und er fühlte sich ziemlich hilflos dabei.
»Sich nicht unterkriegen zu lassen, ist auch meine Devise«, gestand er, tapfer seine Gefühle unterdrückend. »Glaub mir, ich hatte auch eine miese Kindheit. Und einen Vater, den man vergessen kann«, fügte er mit düsterer Miene hinzu.
»Willst du mir davon erzählen?«, fragte Vera mit weicher Stimme.
Sie merkte, jetzt war sie nahe daran, ihre Hand auf seine zu legen, um ihn zu trösten, denn seine Augen hatten einen ganz traurigen Ausdruck bekommen. Aber sie versagte sich diesen Wunsch, obwohl es ihr schwerfiel. Christopher sah jetzt sehr verletzlich aus.
»Nein, meine Geschichte würde uns nur unser gemütliches Essen hier verderben. Und das wäre zu schade. Denn erstens schmeckt es hervorragend und zweitens genieße ich deine Gesellschaft. Ich meine natürlich, in erster Linie genieße ich deine Gesellschaft und erst dann das Essen«, verbesserte er sich lächelnd. »Ich erzähle es dir später einmal.«
»Es tut mir leid, Chris, dass ich dir meine ganze Lebensgeschichte erzählt habe. Das war wirklich nicht meine Absicht.«
>Warum habe ich es dann getan?<, fragte sich Vera verwundert auch noch Tage später. >Ich kenne diesen Mann nicht und trotzdem habe ich meine ganze Seele vor ihm ausgebreitet. Mit Roy spreche ich doch kaum einmal über meine Empfindungen. Und dieser mir völlig fremde Mann bringt mich dazu, mich zu öffnen und ihm von meinen Ängsten und Gefühlen zu erzählen. Was ist bloß los mit mir? Das ist doch nicht normal. Das ist doch sonst nicht meine Art.<
»Entschuldige, bitte. Ich wollte uns nicht die Stimmung verderben«, fügte Vera mit einem kleinen, verlegenen Lächeln hinzu.
»Wie kommst du darauf, dass hier die Stimmung verdorben ist?«, fragte Christopher betont munter und mit seinem breitesten Lachen. »Das wird niemandem gelingen! Schon gar nicht unseren Vätern! Das lassen wir nicht zu, oder? – Ich glaube, ich habe noch nie eine solch gute Pizza gegessen. Magst du ein Stück probieren?«
Ohne Veras Antwort abzuwarten, schnitt er ein Stück von seiner Pizza ab und spießte es auf. Er führte seine Gabel über den Tisch auf ihren Mund zu.
Nach einem kurzen Blick in seine Augen, die sie sehr aufmerksam ansahen, öffnete sie ihren Mund und nahm den Bissen entgegen.
Mit dieser unbekümmerten Geste erreichte Christopher, dass ihr Tischgespräch wieder wie zu Anfang locker und unterhaltsam wurde. Aller Ernst war daraus verschwunden.
Für die nordamerikanische Boulevardpresse war Kanadas Frauenschwarm Nummer Eins Christopher Richard Henderson ein Playboy, und damit ein heißbegehrtes Objekt ihres Interesses. Christopher, der mit allen Mitteln versuchte, seine Privatsphäre zu schützen, war wenig glücklich darüber, dass Geschichten und Fotos von ihm und seinen ständig wechselnden Begleiterinnen Titelblätter und Zeitschriftenseiten füllten und er sich kaum dagegen wehren konnte. Die Klatschpresse wiederum nahm ihm übel, dass er sie mied, Interviewanfragen nie beantwortete und es ihnen schwer machte, Fotos von ihm zu schießen. Ganz anders ging Christopher mit der Sportpresse um. Bei der war er sehr beliebt, weil er stets bereit war, Interviews zu geben, Fragen zu beantworten und für Fotos zur Verfügung zu stehen. Er war ein angenehmer Gesprächspartner, sein Witz und seine Intelligenz wurden allgemein geschätzt. Auch die Fans liebten ihn, weil er ein Star zum Anfassen war, nett und freundlich zu jedermann und immer bereit, geduldig alle Autogrammwünsche zu erfüllen. Christopher war der Meinung, dass seine Leistungen im Sport, für die er schon etliche Male ausgezeichnet worden war, viel beachtenswerter waren als seine Leistungen auf anderen Gebieten. Aber bestimmte Magazine und deren Leser sahen das anscheinend anders. Damit musste er leben. Er las Artikel über sein angebliches Privatleben schon lange nicht mehr, weil darin zu viel gelogen, vermutet und hinzugefügt wurde. Eines jedoch stimmte: Er war ein Playboy. Er war es immer schon gewesen. Das gab Christopher freimütig zu. Er liebte die Frauen und die Frauen liebten ihn. Er liebte Sex, und er war ein guter Liebhaber.