Traummänner & Traumziele: Karibik 2 - Susan Mallery - E-Book
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Traummänner & Traumziele: Karibik 2 E-Book

Susan Mallery

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Beschreibung

KARIBISCHE KÜSSE

Gefangen in einer lieblosen Ehe, fordert Lucy die Scheidung! Tycoon Dio Ruiz willigt ein - unter einer Bedingung: verspätete Flitterwochen in der Karibik! Lucy akzeptiert den Deal und merkt schon bald, was Dio im Schilde führt. Unter funkelnden Sternen fordert er eine Hochzeitsnacht!

NOCH EIN KUSS UND ICH BIN VERLOREN

Der attraktive Millionär Jarrett kennt alle Tricks der Frauen! Doch dieser ist neu: eine schöne Unbekannte wird bewusstlos in der Nähe seiner Villa auf der Karibikinsel St. Alicia gefunden. Als die Fremde zu sich kommt, kann sie sich angeblich an nichts erinnern

KARIBISCHE NÄCHTE DER SEHNSUCHT

Eine Brautmodenschau in der Karibik! Designerin Cara fühlt sich wie im Paradies. Wenn nur die Erinnerungen nicht wären: An Keith, der sie vor dem Altar schmählich im Stich ließ - und der auf einmal mit einem teuflisch sexy Lächeln vor ihr steht und so tut, als wäre nie etwas geschehen ...

FÜR IMMER NUR DU

Kira schwebt auf Wolke sieben. Auf einer Karibikinsel verbringt sie leidenschaftliche Stunden mit dem reichen Hotelier André Gauthier. Schon beginnt Kira von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen, da beschuldigt André sie, ihn betrogen zu haben - mit seinem Erzfeind!

LEIDENSCHAFT IN DEINEM BLICK

Raffaele Petri brennt vor Rache: Er will die Firma des Mannes zerstören, der seine Schwester auf dem Gewissen hat. Doch dabei muss ihm Lily Nolan helfen, deren Ruf als Analystin legendär ist. Sie lebt abgeschieden, und als er sie endlich in sein Team gelockt hat, versteht er auch warum: Eine Narbe zeichnet ihr Gesicht. Trotzdem übt Lily einen unwiderstehlich femininen Zauber auf ihn aus. Vehement besteht er darauf, dass sie ihn in die Karibik auf die Insel des Feindes begleitet - und ein atemloses Spiel zwischen Leidenschaft und Rache beginnt …

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Seitenzahl: 980

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Cathy Williams, Susan Mallery, Kat Cantrell, Janette Kenny, Annie West

Traummänner & Traumziele: Karibik 2

IMPRESSUM

Karibische Küsse erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2015 by Cathy Williams Originaltitel: „The Wedding Night Debt“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA SOMMERLIEBEBand 27 - 2016 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Beatrice Norden

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733734480

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Scheidung. So etwas gab es nur bei anderen Leuten. Bei Leuten, die sich nicht um ihre Ehe bemühten. Die nicht verstanden, dass man eine Beziehung pflegen und so sorgsam behandeln musste wie kostbares Porzellan.

Das hatte Lucy jedenfalls bisher immer gedacht. Nun fragte sie sich, wie es passieren konnte, dass sie in einem der prächtigsten Häuser Londons stand und auf ihren Mann wartete, um ihm zu sagen, dass sie die Scheidung wollte.

Sie blickte auf ihre diamantbesetzte Armbanduhr und fühlte, wie der Knoten in ihrem Bauch immer größer wurde. Noch eine halbe Stunde. Sie konnte sich nicht erinnern, wo ihr Mann die vergangenen anderthalb Wochen verbracht hatte. New York? Paris? In beiden Städten hatte er Wohnungen, aber vielleicht hatte er die Zeit auch mit einer anderen Frau in seiner Villa auf Mustique verbracht. Sie hatte keine Ahnung.

In dem riesigen Spiegel mit dem handgeschnitzten Rahmen sah sie sich selbst: einen Meter fünfundsiebzig, gertenschlank mit blondem Haar, das ihr lang über die Schultern fiel. Mit sechzehn war sie von einer Agentur entdeckt worden, und ihr Vater hatte versucht, ihr eine Karriere als Model einzureden. Warum ein so hübsches Gesicht verschwenden? Für schwierigere Aufgaben waren Frauen in seiner Welt nicht gemacht.

Gegen diese Ansicht hatte sie sich erfolgreich gewehrt. Aber was hatte ihr das Universitätsstudium genützt, wenn sie schließlich doch hier gelandet war? Sie bewegte sich in diesem riesigen Haus wie ein Geist von Raum zu Raum und spielte die perfekte Gastgeberin. Als ob das eine befriedigende Aufgabe war für jemanden mit einem Diplom in Mathematik!

Sie war zur Grünen Witwe mutiert, nur dass keine Kinder im Haus lachten und kein liebender Ehemann nach Hause kam und fragte, was es zum Essen gebe. Alles wäre besser als das, was sie hatte, nämlich nichts.

Jedenfalls fast nichts. Sie gestattete sich ein kleines Lächeln, denn ganz so steril wie in der Vergangenheit war ihre Situation nicht mehr. In den letzten zwei Monaten hatte sich ihre Lage verbessert.

Das entschädigte sie für die vergeudete Zeit, in der sie wie eine teure Puppe herausgeputzt, höflich lächelnd Dinner-Partys für die Reichen und Schönen gegeben hatte … für die sehr, sehr Reichen. Von all dem würde die Scheidung sie befreien. Vorausgesetzt Dio machte kein Theater. Sie wüsste keinen Grund, warum er das tun sollte, und doch bebte sie innerlich vor Aufregung.

Dio Ruiz war ein Leitwolf. Er war das Alphatier, das nur nach seinen eigenen Regeln spielte. Auf Frauen wirkte er ebenso sexy wie bedrohlich.

Lucy aber würde sich nicht einschüchtern lassen. Seit sie sich zur Trennung entschieden hatte, redete sie sich das Tag für Tag ein. Ich will die Scheidung!

Der einzige Haken an der Sache war, dass es ihn völlig unvorbereitet treffen würde. Dio mochte keine unliebsamen Überraschungen. Sie hörte die Eingangstür ins Schloss fallen, und ihr Magen verkrampfte sich. Ohne sich umzudrehen, spürte sie seine starke, übermächtige Persönlichkeit, als er den Raum betrat.

Erst jetzt wandte sie sich um und sah ihn an. So sehr sie ihn nach allem auch hasste, sein Anblick raubte ihr auch jetzt noch den Atem.

Bei ihrer ersten Begegnung war er ihr wie der bestaussehende Mann auf Erden erschienen. Daran hatte sich seither nichts geändert. Seine hellen, silbergrauen Augen standen in eindrucksvollem Kontrast zu dem rabenschwarzen Haar und der sonnengebräunten Haut. Die Lippen waren sinnlich geschwungen, der Blick wirkte stets ein wenig herablassend. Seine Miene verbreitete unmissverständlich die Botschaft, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte.

„Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst in Paris.“ Dio wirkte ehrlich überrascht. Ungeplante Begegnungen mit seiner Frau gab es nicht oft. Ihr Zusammentreffen verlief stets förmlich und arrangiert, niemals spontan. Gemeinsam traten sie nur bei sozialen Veranstaltungen auf. Sie hatten ihre eigenen Wohnbereiche in dem riesigen Haus, bereiteten sich in ihren privaten Kokons auf die Veranstaltungen vor und trafen sich erst in der großen Eingangshalle. Erst dann präsentierten sie der Öffentlichkeit das Bild des perfekten Paars, das mit der Wahrheit nicht das Geringste gemein hatte.

Gleich nach dem Betreten des Raums hatte Dio seine Krawatte abgenommen und auf das weiße Ledersofa geworfen. Nun stand er stirnrunzelnd vor ihr und öffnete die obersten Knöpfe seines Hemds.

„Also …“, begann er. „Was verschafft mir das unerwartete Vergnügen?“

Lucy atmete tief ein. Dios Duft würde sie mit verbundenen Augen erkennen. Er verströmte unwiderstehliche Männlichkeit.

„Störe ich deine Pläne für den Abend?“ Sie vermied es, auf die sonnengebräunte Haut zu blicken, die sich in seinem Hemdausschnitt zeigte.

„Mein Plan war, ein paar ziemlich langweilige Dokumente über eine Firma zu studieren, die ich zu übernehmen gedenke. Was glaubtest du denn, wobei du mich stören könntest?“

„Keine Ahnung.“ Lucy zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich weiß schließlich nicht, wie du in meiner Abwesenheit deine Zeit verbringst.“

„Möchtest du, dass ich dir meinen Tagesablauf erläutere?“

„Es ist mir egal, was du treibst, aber es hätte ein wenig peinlich werden können, wenn du mit einer anderen Frau im Arm erschienen wärst.“ Ihr Lachen klang kalt, und sie hasste sich selbst für ihren harten, abweisenden Tonfall.

So war es nicht immer gewesen. Als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn mit ihren Geschichten über ihr Studentenleben zum Lachen gebracht und ihrerseits fasziniert zugehört, wenn er von seinen vielen Reisen um die ganze Welt erzählte. Dass ihr Vater ihre Beziehung zu Dio nicht nur akzeptierte, sondern sie sogar nach Kräften unterstützte, war eine erfreuliche Abwechslung gewesen. Mit ihren früheren Bekanntschaften war er nie einverstanden gewesen, und er hatte sie das jedes Mal deutlich spüren lassen. Mit ein wenig mehr Lebenserfahrung hätte sie sich gefragt, woher dieser plötzliche Sinneswandel kam. So aber hatte sie sich Hals über Kopf verliebt und die Motive ihres Vaters nicht hinterfragt.

Als Dio ihr nach einigen romantischen Wochen einen Antrag machte, war sie außer sich gewesen vor Glück. Sein intensives Werben hatte sie ebenso beeindruckt wie die Tatsache, dass er nicht warten wollte. Keine lange Verlobung! Er hatte es eilig gehabt, ihr den Ring auf den Finger zu streifen, und sie hatte das Gefühl genossen, geliebt und begehrt zu werden.

Manchmal fragte sie sich, wie ihre Ehe verlaufen wäre, wenn sie nicht zufällig dieses Gespräch am Abend ihrer Hochzeit mitgehört hätte. In glückseliger Stimmung hatte sie sich durch das Hochzeitsfest treiben lassen. Auf der Suche nach Dio, den sie nirgendwo entdecken konnte, kam sie schließlich am Büro ihres Vaters vorbei und erkannte die beiden Stimmen sofort.

Was sie hörte, hatte sie innerlich zu Stein erstarren lassen. Was für ein Deal! Dio rettete mit seiner Investition die verlustreiche Firma ihres Vaters und bekam sie selbst als Zubehör dazu. Ihr Vater hatte geradezu auf der Ehe bestanden, vermutlich in der Annahme, Dio so fester an das Familienunternehmen binden zu können. Sie war das Sicherheitsnetz ihres Vaters!

Als sie ihn später mit dem Gehörten konfrontiert hatte, war ihm das nicht viel mehr als ein Schulterzucken wert gewesen, begleitet von dem Satz: „Dio bekommt mit dieser Ehe Zugang zu gesellschaftlichen Schichten, den ihm sein ganzes Geld nicht ermöglichen könnte.“

Innerhalb weniger Stunden war Lucy aus all ihren Träumen gestürzt. Sie war zwar eine verheiratete Frau, aber ihre Ehe war vorüber, ehe sie noch richtig begonnen hatte. Schlimmer noch, es gab für sie kein Entrinnen. Ihr Vater hatte dubiose Geschäfte mit geliehenem Geld gemacht, die ihn womöglich vor Gericht bringen konnten. Mit Dios Geld und ihrer Ehe war er gerettet. Sie hatte ihren Vater vor dem Gefängnis bewahrt, sich selbst aber in eines begeben.

Allerdings hatte sie darauf bestanden, dass die Ehe nur auf dem Papier bestand. Kein Sex! Keine romantischen Stunden! Wenn Dio glaubte, er habe sie mit Haut und Haaren gekauft, hatte er sich getäuscht. Anfangs war sie seinem Charme verfallen, wofür sie sich inzwischen schämte, aber ihren Stolz ließ sie sich nicht nehmen.

„Kann ich dir etwas zu trinken bringen?“, fragte Dio höflich. „Eigentlich müssten wir dieses seltene Ereignis feiern, findest du nicht? Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal ohne vorherige Verabredung gemeinsam im selben Raum waren.“

Dio hatte Robert Bishop und seine Firma schon lange im Auge gehabt. Aufmerksam hatte er verfolgt, wie der Betrieb immer weiter in Schulden versank, und wie ein geübter Jäger hatte er sich Zeit gelassen. Rache genoss man am besten kalt!

Er hatte nur nicht mit der Tochter gerechnet. Für seine Pläne war Lucy in ihrer zarten Schönheit eine unerwartete Komplikation. Mit ihrer Unschuld hatte sie etwas in ihm berührt, wovor ihn all sein Zynismus nicht bewahren konnte. Ursprünglich hatte er sie nur in sein Bett bekommen und sich eine Weile mit ihr vergnügen wollen, um Robert Bishops Demütigung perfekt zu machen. Doch schon nach kurzer Zeit hatte er erkannt, dass ihm das nicht genügen würde.

Leider war er nach eineinhalb Jahren weiter als je zuvor von seinem Ziel entfernt. Er hatte diesen herrlichen Körper noch immer nicht berühren dürfen. Lange hatte er sich eingebildet, das Spiel verlaufe nach seinen Regeln. Doch inzwischen hatte er einsehen müssen, dass sie und ihr betrügerischer Vater ihn hereingelegt hatten. Statt Robert Bishop die Polizei auf den Hals zu hetzen, hatte er dessen Firma gerettet, weil er Lucy an seiner Seite und in seinem Bett wollte. Ungewollt war er ihrem scheuen Charme verfallen. Sie war ihm zu Kopf gestiegen wie eine Droge.

Dabei hatte sie ihn nur zum Narren gehalten. Gott allein wusste, ob ihr schmieriger Vater den Plan ausgeheckt hatte, aber es spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, dass die beiden alle Trümpfe in der Hand hielten, während er keines seiner Ziele erreicht hatte.

Lucy lehnte den angebotenen Drink mit einem Kopfschütteln ab, doch er ignorierte ihre Weigerung. Er goss sich selbst ein Glas Whisky ein und brachte ihr ein Glas Wein.

„Entspann dich“, forderte er sie auf und drückte ihr das Glas in die Hand. Dann zog er sich ans Fenster zurück, nippte an seinem Drink und betrachtete sie schweigend. Sie hatte ihm bereits in der Hochzeitsnacht unmissverständlich klargemacht, dass es für sie keine echte Ehe war. Sie wollte keinen Sex, kein freundliches Geplauder, ihn nicht einmal besser kennenlernen.

Er hatte sich nie bemüht, die Situation zu ändern. Niemand konnte ihr vorwerfen, nicht die perfekte Vorzeigefrau zu sein. Mit ihrer Schönheit und ihrem eleganten Auftreten war sie für die Öffentlichkeit genau die richtige Partnerin an seiner Seite. Für die Welt seiner Geschäfte hätte er sich keine Bessere wünschen können.

„Da du nicht in Paris bist, scheint etwas mit dem Apartment dort nicht zu stimmen. Aber du solltest inzwischen wissen, dass ich mich um so etwas nicht kümmere. Das ist dein Job.“

Lucy versteifte sich innerlich. Ihr Job. Das sagte alles. Nicht gerade das, was eine junge Frau vom Leben erwartete. Eine Ehe, die man als Job bezeichnete.

„Mit der Wohnung in Paris ist alles in Ordnung. Ich wollte nur …“ Sie holte tief Luft und trank einen Schluck. „Ich habe beschlossen, dass wir reden müssen.“

„Wirklich? Worüber? Deinem Bankkonto geht es mehr als gut. Hast du etwas gesehen, das du unbedingt haben möchtest? Ein Haus in Italien vielleicht? Eine Wohnung in Florenz? Kauf sie dir.“ Er zuckte achtlos mit den Schultern und leerte sein Whiskyglas. „Solange es auch für geschäftliche Zwecke nutzbar ist, habe ich kein Problem damit.“

„Warum sollte ich mir ein Haus kaufen wollen, Dio?“

„Was denn dann? Juwelen? Ein Kunstwerk? Was?“

Sein Ausdruck gelangweilter Gleichgültigkeit machte sie wütend. Meist konnten sie wenigstens fünf Minuten höflich miteinander umgehen, wenn sie gezwungen waren, Zeit miteinander zu verbringen. Heute war Dio schlimmer als gewöhnlich. Das war keine gute Voraussetzung für ihr Vorhaben.

„Ich will mir überhaupt nichts kaufen.“ Unruhig begann sie, hin und her zu gehen, ohne auf die Kostbarkeiten zu achten, die sie umgaben. Wie alle ihre Häuser war auch dieses mit dem Besten eingerichtet, das für Geld zu haben war. Die Gemälde waren atemberaubend, das Mobiliar von Hand geschreinert und die Teppiche aus afghanischer Seide.

An nichts wurde gespart, und es war ihr Job, darauf zu achten, dass alle ihre Domizile tadellos in Schuss waren. Einige benutzte Dio selbst, wenn er sich im Land aufhielt. Andere stellte er Geschäftspartnern zur Verfügung, und dann hatte sie dafür zu sorgen, dass es den Gästen an nichts fehlte.

„Wenn das so ist“, sagte Dio, „dann komm zum Punkt und sag, was du zu sagen hast. Ich werde heute hier übernachten, weil ich einiges in der Stadt zu erledigen habe.“

„Und natürlich hättest du dir ein anderes Quartier gesucht, wenn du gewusst hättest, dass ich hier auf dich warte“, erwiderte Lucy spitz.

Seine Reaktion beschränkte sich auf ein müdes Schulterzucken.

„Ich finde“, begann Lucy zögernd, „dass sich die Bedingungen zwischen uns geändert haben, seit mein Vater gestorben ist.“

Diese Eröffnung nahm er stumm zur Kenntnis. Den Blick unverwandt auf sie gerichtet, stellte er sein Whiskyglas auf den Beistelltisch. Soweit es ihn betraf, war die Welt ohne Robert Bishop ein freundlicherer Ort, auf jeden Fall ein ehrlicherer. Wie seine Frau darüber dachte, wusste er nicht. Bei der Beerdigung hatte sie kaum ein Wort gesagt und ihr Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille verborgen.

„Was willst du damit sagen?“

„Ich möchte nicht länger an dich gekettet sein, und ich sehe auch nicht mehr die Notwendigkeit.“ Sie versuchte laut und deutlich zu sprechen, doch sein intensiver Blick verunsicherte sie.

„Zufällig bist du auch an einen Lebensstil gekettet, um den dich die meisten Frauen beneiden würden.“

„Dann solltest du mich gehen lassen und eine von diesen Frauen für dich finden“, gab sie mit brennenden Wangen zurück. „Wir wären beide glücklicher … aber wie es mir geht, ist dir vermutlich gleichgültig.“ Lucy hielt seinem Blick nicht länger stand. Noch immer schaffte er es, sie in ihrem Innersten aufzuwühlen, obwohl sie alles getan hatte, um ihre Gefühle für ihn abzutöten. Als sie noch glaubte, dass er sich ernsthaft für sie interessiere, hatte sie nachts von ihm geträumt und sich tagsüber nach ihm verzehrt. Aber das war vorbei, seit sie die Wahrheit wusste.

„Soll das heißen, dass du mich verlassen willst?“

„Kannst du mir das verdenken?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage und blickte ihm jetzt endlich in die kühlen grauen Augen. „Wir führen keine Ehe, Dio. Jedenfalls keine richtige. Ich verstehe nicht einmal, warum du mich überhaupt geheiratet hast.“ Das stimmte natürlich nicht, denn ihr Vater hatte sie brutal über den Deal mit Dio ins Bild gesetzt.

„Du hättest meinen Vater auch kaufen können, ohne mich zu heiraten“, fuhr sie fort und hielt tapfer seinem eisigen Blick stand. „Ich weiß, dass ich nur Teil eines Deals war, weil mein Vater hoffte, du würdest deinen Schwiegervater nicht ins Gefängnis bringen wie einen gewöhnlichen Kriminellen.“

„Wie hättest du dich denn gefühlt, wenn dein lieber Daddy im Gefängnis gelandet wäre?“

„Niemand möchte einen engen Verwandten dort sehen.“

Dio hatte eine andere Antwort erwartet, aber er schwieg. Er war sehr erstaunt über die Entwicklung dieses Abends. Glaubt Lucy wirklich, so einfach davonzukommen? Erst fängt sie mich ein und lässt sich einen Ring anstecken, verweigert sich mir aber schon in der Hochzeitsnacht. Und nun, kaum dass ihr Vater gestorben ist, will sie mir vollends den Rücken kehren?

„Nein, Knastbrüder sind keine besondere Zier bei Familienfesten.“ Er stand auf, um sein Glas neu zu füllen.

„Sag mir eines, Lucy. Was hast du von dem … kreativen Umgang deines Vaters mit der Pensionskasse seines Unternehmens gehalten?“

„Ich habe nie genau gewusst, was er getan hat“, entgegnete sie verlegen. Bis zu jenem zufällig mitgehörten Gespräch hatte sie tatsächlich keine Ahnung von seinen Machenschaften gehabt. Aber statt nach den krummen Geschäften ihres Vaters hätte Dio sie besser nach ihrer Einstellung zu ihm als Mensch fragen sollen. Robert Bishop hatte seine Tochter stets gegängelt und klein gehalten. Statt des erhofften Sohnes hatte er sich mit einer Tochter abfinden müssen und nie akzeptiert, dass auch Frauen in allen Lebensbereichen leistungsfähig waren. Ihre bildschöne Mutter war für ihn nur ein Aushängeschild gewesen, mit der er sich bei wichtigen Empfängen schmücken konnte. Er hatte sie unterdrückt und betrogen, und Agatha Bishop war mit achtunddreißig Jahren an Krebs gestorben.

Während er sie ansah, fragte sich Dio, was wohl in diesem hübschen Kopf vorging. „Dann will ich deine Wissenslücke füllen“, erwiderte er grob. „Dein Vater hat viele Jahre lang die Pensionskasse seines Unternehmens geplündert und die Mitarbeiter betrogen. Der Mann war Alkoholiker. Er hatte gerade noch genügend funktionierende Gehirnzellen, um sich Gelder anzueignen, die nicht ihm gehörten. Er hätte das ganze Unternehmen versenkt, wenn ich nicht zu seiner Rettung gekommen wäre.“

„Warum hast du das denn überhaupt getan?“, fragte Lucy neugierig. Nach dem Wenigen, das ihr Vater angedeutet hatte, stammte Dio aus ärmlichen Verhältnissen. Doch als er wie aus heiterem Himmel in ihrem Leben erschien, war er bereits mehrere Millionen schwer. Warum gab er sich also mit der Firma ihres Vaters ab?

Das war eine lange und komplizierte Geschichte, und Dio hatte nicht die Absicht, sie ihr jetzt zu erzählen.

„Die Firma hatte Potenzial“, erwiderte er nur mit einem plötzlichen Lächeln, das ihr Herz schneller schlagen ließ. „Das Unternehmen hatte Verbindungen in die richtigen Netzwerke, und meine Intuition hat sich bezahlt gemacht. Es hat inzwischen mehr abgeworfen, als ich investiert habe. Und außerdem …“ Er sah sie einen Augenblick schweigend an, ehe er fortfuhr: „Wie viele notleidende Firmen gibt es schon mit einem solchen Bonus? Siehst du ab und zu mal in den Spiegel? Welcher gesunde Mann hätte dir widerstehen können?“

„Allerdings“, fuhr er gleichmütig fort, „habe ich dich ja nicht bekommen. Du bist mit mir ausgegangen, hast mich scheu angelächelt und mich glauben lassen, dass du dir etwas aus mir machst. Du hast mich ein Stück an dich herangelassen, es aber zu einer Kunstform entwickelt, dich im richtigen Moment mit unschuldigem Lächeln zurückzuziehen. Damals musste ich jeden Abend kalt duschen, wenn ich nach Hause kam. Und dann hast du mich in der Hochzeitsnacht eiskalt wissen lassen, dass du dich nicht als Teil des Deals betrachtest. Du hast mich an der Nase herumgeführt.“

„Ich … das war nie meine Absicht.“ Allerdings verstand Lucy, dass es Dio aus seiner Warte so vorgekommen sein musste.

„Warum fällt es mir nur so schwer, das zu glauben?“, entgegnete er. Erstaunt stellte er fest, dass er sein Glas bereits zum zweiten Mal geleert hatte. Vorsichtshalber verzichtete er darauf, es erneut zu füllen. „Du hast mit deinem Vater einen hübschen kleinen Plan ausgeheckt, um mich hereinzulegen.“

„Das ist nicht wahr!“ Hektische rote Flecken bedeckten Lucys Wangen.

„Als ihr mich erst am Haken hattet, konntest du die Maske fallen lassen. Und jetzt sprichst du plötzlich von Scheidung. Deinen Vater kann der lange Arm der Justiz nicht mehr erreichen, und du willst dich aus dem Staub machen.“ Nachdenklich neigte er den Kopf zur Seite. Ein neuer Gedanke war ihm plötzlich gekommen. Zum ersten Mal fragte er sich, wie sich seine Frau während seiner vielen Abwesenheiten wohl die Zeit vertrieb.

Es wäre ein Leichtes gewesen, ihr nachzuspionieren, aber er hatte sich nicht vorstellen können, dass diese Eisprinzessin etwas hinter seinem Rücken trieb. Allerdings war sie nicht immer so kalt gewesen. Bis zu ihrer Hochzeitsnacht hatte sie einen sehr sinnlichen Eindruck auf ihn gemacht. Gibt es also doch einen anderen Mann?

„Ich will dich verlassen, weil wir beide etwas Besseres verdienen.“

„Wie reizend von dir, auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen.“ Er verzog die Miene zu einem Lächeln, doch sein Blick blieb eisig. „Ich habe nie gewusst, dass du so eine mitfühlende Ader hast.“ Morgen würde er einen Detektiv auf sie ansetzen. Er musste wissen, was vor sich ging.

„Es gibt keinen Grund sarkastisch zu werden, Dio.“

„Wer ist sarkastisch? Ich denke allerdings …“ Er tat so, als müsse er über seine nächsten Worte sorgfältig nachdenken. „Du willst mich also verlassen. Aber dir ist hoffentlich klar, dass du nichts mitnehmen wirst.“

„Wie meinst du das?“

„Ich habe vor der Hochzeit einen wasserdichten Ehevertrag aufsetzen lassen. Du hast ihn brav unterzeichnet, obwohl ich nicht weiß, ob du ihn überhaupt gelesen hast.“

Lucy erinnerte sich schwach, dass sie ein langes, kompliziertes und langweiliges Dokument unterschrieben hatte. Ihr Vater hatte sie gedrängt, und sie hatte gehorcht.

Und jetzt wollte sie diese Ehe nur noch so schnell wie möglich beenden und ihn nie wiedersehen. Der Gedanke verursachte einen kleinen Stich tief in ihrem Inneren, doch sie schob das Gefühl rasch beiseite.

„Als reicher Mann hielt ich es für angeraten, mich zu schützen. Soll ich dir sagen, was du unterschrieben hast? Ich habe das gesamte Unternehmen mit Mann und Maus bekommen. Das ist der Lohn dafür, dass ich es vor dem unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch gerettet und deinen Vater vor dem Gefängnis bewahrt habe. Weißt du eigentlich, um welche Summen er den Pensionsfond betrogen hat und wie viel ich investieren musste, um die Angestellten vor der Altersarmut zu bewahren?“ Er sah Lucy an. Es erstaunte ihn immer wieder, dass sich hinter dieser unschuldigen Miene ein so durchtriebener Charakter verbarg.

Lucy ließ den Kopf sinken. Jedes Mal, wenn ihr Vater erwähnt wurde, schämte sie sich entsetzlich. Sie blickte auf ihre perfekt manikürten Hände hinab. Wie wundervoll würde es sein, nie wieder Nagellack tragen zu müssen. Vielleicht sollte sie eine Nagellackverbrennungsfeier veranstalten. Der Gedanke ließ sie lächeln.

Dio sah sie stirnrunzelnd an. Findet sie das alles etwa lustig?

„Solange du meine Frau bist“, brachte er mit mühsam kontrolliertem Zorn hervor, „bekommst du alles, was du dir wünschst.“

„Jedenfalls, solange du meine Einkäufe gutheißt“, entgegnete Lucy.

„Habe ich dir jemals einen Wunsch abgeschlagen?“

„Alles, was ich kaufe, sind Kleider, Juwelen und Accessoires“, entgegnete Lucy, „und auch nur, weil ich sie für die Rolle brauche, die ich für dich spiele.“

Dio zuckte achtlos mit den Schultern. „Von mir aus hättest du dir auch eine ganze Fahrzeugflotte anschaffen können.“ Seine Miene wurde noch finsterer. „Wenn du mich allerdings verlässt“, erklärte er kühl, „gehst du mit nichts als den Kleidern auf deinem Leib.“

Lucy wurde blass. Sie hasste die Schattenseiten des Reichtums, aber tatsächlich hatte sie nie ein anderes Leben gekannt. Bin ich nach all den Jahren des verwöhnt und umsorgt Werdens überhaupt auf ein Leben in der rauen Arbeitswelt vorbereitet? Sicher, sie hatte einen Universitätsabschluss, aber bevor sie damit etwas hatte anfangen können, war sie Hals über Kopf in diese Ehe gestürzt.

„Das ist mir egal“, gab sie trotzig zurück.

Dio hob spöttisch die Augenbrauen. „Du weißt doch nicht einmal, wie man einen Job sucht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Sieh dich doch an! Du bist im Luxus aufgewachsen, und während andere junge Frauen sich der Welt gestellt haben, hast du mich geheiratet und weiter im Luxus geschwelgt. Sag mir, was dich auf das große Böse vorbereitet hat, das man Realität nennt?“

Lucy erkannte in seinem kalten Blick, dass er sie wirklich ohne einen Penny hinauswerfen würde. Aber sie musste ihm recht geben. Sie war es nicht gewöhnt, sich um die banalen Dinge des täglichen Lebens zu kümmern. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis sie sich in der Arbeitswelt zurechtfand. Und wovon sollte sie in der Zwischenzeit leben?

„Wenn du gehen willst, hast du zwei Möglichkeiten.“ Dio beugte sich vor. „Du verlässt mich mit nichts, oder …“

„Oder … was?“, fragte sie ihn argwöhnisch.

2. KAPITEL

In dieser Form würde ihre Ehe nicht lange bestehen können, das war Dio klar. Eigentlich war das schade, denn sie hatten etwas ganz Ungewöhnliches geschaffen … eine wie eine geölte Maschine funktionierende Beziehung, die sich als sehr erfolgreich erwies. Lucy ergänzte seine Fähigkeiten in ungeahnter Weise mit ihren. Anders als sie war er nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden und hatte sich am eigenen Schopf aus einem Leben in Armut emporziehen müssen. Das war ihm nur gelungen, weil er seine Geschäfte hart und aggressiv verfolgte und sich auf seinem Weg alles nahm, was er brauchte.

Er war der König im Betondschungel und klug genug, um zu wissen, dass die Hyänen hinter jeder Ecke lauerten. Er war gleichermaßen gefürchtet und respektiert. Die angeborene Eleganz der Frau an seiner Seite glättete die scharfen Kanten seiner rauen Persönlichkeit. Als Team funktionierten sie prächtig.

Vielleicht hatte er deshalb nie die Probleme angesprochen, die unter der Oberfläche brodelten. Denn damit hätte er vermutlich ihre erfolgreiche Partnerschaft riskiert.

Aber vielleicht war er auch nur zu träge gewesen – dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht – und hatte sich eingebildet, dass die Frau, die er immer noch begehrte, irgendwann aus eigenem Antrieb auf ihn zugehen würde.

Womit er überhaupt nicht gerechnet hatte, war ihr Wunsch nach einer Scheidung.

Nun goss er sich doch noch einen Drink ein und kehrte zu seinem Stuhl zurück. „Als wir heirateten“, begann er schließlich, „habe ich mir keine Ehefrau vorgestellt, die im am weitesten entfernten Flügel des Hauses schläft, wenn wir eine Nacht unter demselben Dach verbringen. Das ist wohl kaum der Traum eines Mannes von einer glücklichen Ehe.“

„Ich hätte nie gedacht, dass du Träume von einer glücklichen Ehe hast, Dio. Du schienst mir nicht die Sorte Mann zu sein, der nach der Arbeit glücklich zu seiner Frau, den Kindern, dem Hund und dem Grill im Garten heimkommt.“

„Wie kommst du darauf?“

Ein Schulterzucken. „Du hast mir diesen Eindruck vermittelt.“ Und trotzdem habe ich mich in ihn verliebt. Der Blick aus seinen erstaunlichen Augen, die wohltönende Stimme und die Aufmerksamkeiten, die er ihr schenkte, hatten sie dazu verleitet, ihren Verstand auszuschalten und nur auf ihr Herz zu hören.

„Ich habe vielleicht mein Leben nicht darauf ausgerichtet, eines Tages vor einem Altar zu stehen. Aber das heißt nicht, dass ich mir eine Frau gewünscht habe, die das Bett nicht mit mir teilt.“

Lucy errötete. „Na ja, wir scheinen beide enttäuscht von dem, was wir bekommen haben“, entgegnete sie.

Dio wischte ihre Bemerkung mit einer abwehrenden Geste beiseite. „Es hat keinen Zweck, unsere Ehe zu analysieren“, stellte er fest. „Wir sollten lieber überlegen, wie wir mit der Situation umgehen.“ Er nippte an seinem Drink und sah sie nachdenklich an. „Ich könnte dir einen Vorschlag machen. Du willst die Scheidung? Gut. Ich kann dich nicht daran hindern, zum nächsten Anwalt zu laufen und die Scheidung zu beantragen. Obwohl du dann, wie gesagt, diese Ehe mit nichts verlässt als der Kleidung auf der Haut. Das ist bestimmt keine schöne Perspektive für jemanden, der die letzten eineinhalb Jahre keine Sekunde über Geld nachdenken musste.“

„Geld ist nicht alles auf der Welt.“

„Erfahrungsgemäß sagen das Leute, die genügend Geld haben. Menschen, die am Monatsende nicht wissen, wie sie die nächsten Rechnungen bezahlen sollen, haben gewöhnlich eine pragmatischere Sichtweise.“ Dio war in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Er wusste sehr gut, was Geld bedeutete. Es schenkte ihm die Freiheit, alles zu tun und zu lassen, was er wollte, ohne sich für jeden Penny rechtfertigen zu müssen.

„Ich wollte damit nur sagen, dass Geld allein nicht glücklich macht.“ Lucy dachte an ihre eigene freudlose Kindheit. Auf Außenstehende hatten sie wie eine glückliche, privilegierte Familie gewirkt. Hinter geschlossenen Türen hatte sie genau das Gegenteil erlebt. Kein Geld der Welt hatte daran etwas ändern können.

„Aber ein Mangel an Geld kann Not und Verzweiflung bringen. Stell dir vor, du müsstest all das hier verlassen und in einer Ein-Zimmer-Wohnung hausen, die du dir mit Mäusen im Schrank und Schimmel an den Wänden teilst.“

Lucy stöhnte. „Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen, Dio?“

„London ist teuer. Du würdest vielleicht ein wenig Geld verdienen, aber sicher nicht genug, um dir eine anständige Wohnung in einem netten Stadtteil leisten zu können.“

„Dann verlasse ich London eben.“

„Du willst aufs Land ziehen? Du hast dein ganzes Leben in der Großstadt verbracht. Du bist es gewöhnt, ins Theater zu gehen, in die Oper und zu Kunstausstellungen. Aber keine Sorge, du wirst nicht darauf verzichten müssen. Allerdings gibt es nichts umsonst im Leben. Du willst die Scheidung? Kannst du haben. Aber erst, wenn du mir gegeben hast, was mir zusteht.“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Lucys Hirn die richtigen Verbindungen herstellte und sie begriff, was er gerade gesagt hatte. Dennoch fragte sie ungläubig: „Was meinst du damit?“

Dio hob die Augenbrauen und lächelte diabolisch. „Erzähl mir nicht, dass jemand mit einem Abschluss in Mathematik nicht zwei und zwei zusammenzählen kann. Ich verlange nur meine Hochzeitsnacht, die du mir bisher verweigert hast, Lucy.“

„Ich … habe keine Ahnung … wovon du sprichst“, stammelte sie.

„Du verstehst mich sehr gut“, entgegnete er kühl. „Glaubst du vielleicht, ich habe mir eine sexlose Ehe vorgestellt, als ich dir den Ring an den Finger gesteckt habe? Du willst gehen? Na gut, du kannst verschwinden, sobald wir die Ehe auch wirklich vollzogen haben.“

„Das ist Erpressung!“ Lucy sprang auf und begann, ruhelos im Raum auf und ab zu gehen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Damals hatte sie sich so auf die Hochzeitsnacht gefreut! Und nun forderte er sie ein.

„Das ist mein Angebot. Wir schlafen miteinander, wie es sich für Mann und Frau gehört. Dann kannst du verschwinden und bekommst von mir Unterhalt, sodass du für den Rest deines Lebens komfortabel leben kannst.“

„Aber was hättest du davon? Du findest mich ja nicht einmal anziehend!“

„Komm ein wenig näher, und ich werde dir beweisen, wie sehr du dich irrst.“

Mit klopfendem Herzen verharrte Lucy vorsichtshalber in sicherer Entfernung. In seinem Blick las sie, dass er seine Worte ernst gemeint hatte. Seit vielen Monaten hatte sie ihr eigenes Verlangen unterdrückt, fast schon vergessen. Nun spürte sie, wie es sich tief in ihrem Innersten regte.

Aber auf gar keinen Fall würde sie mit ihm schlafen! Ihre Eltern hatten eine Vernunftehe geführt, und es war alles andere als eine glückliche Beziehung daraus geworden. Sie hatte sich geschworen, sich nur dem Mann hinzugeben, der sie wirklich liebte. Es gab keinen Grund, diesem Prinzip untreu zu werden.

Entsetzt sah sie ihn langsam auf sich zukommen. Mit jedem seiner Schritte begannen ihre Nerven ein wenig mehr zu flattern.

„Ein paar Wochen nur …“, flüsterte er und fuhr ihr aufreizend langsam mit den Fingerspitzen über die Wange. Er spürte, wie sie unter seiner Berührung zitterte.

Konnte es sein, dass diese unterkühlte Frau an seiner Seite doch nicht ganz so immun gegen seine Ausstrahlung war, wie sie ihn gern glauben machen wollte? Vielleicht bekam er jetzt die Gelegenheit, das herauszufinden. Wenn sie erst geschieden waren, würde er es nie erfahren.

„Wochen?“ Gebannt von seiner Berührung stand Lucy wie angewurzelt auf der Stelle. Sie spürte, wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten und gegen die Spitze ihres BHs drückten. In ihrem Körper rührte sich etwas, das sie fast schon vergessen hatte.

„Genau! Nur ein paar Wochen.“ Sie war seine Frau, und er wollte sie, wie es sich für einen Ehemann gehörte. Danach konnte er sie in die Freiheit entlassen. Erst damit würde das Kapitel abgeschlossen sein, das ihn mehr als jedes andere in seinem Leben quälte.

Dio spürte seine wachsende Erektion. Lucys Blick verriet ihm, dass sie sie auch bemerkt hatte. Ihre Augen waren geweitet, die Lippen leicht geöffnet. Es wirkte wie eine Einladung, der er nicht widerstehen konnte … und auch nicht wollte.

Seit er vor dem Altar neben ihr gestanden hatte, war er seiner Frau nicht mehr so nah gewesen. Diese Gelegenheit konnte er sich nicht entgehen lassen.

Lucy spürte, dass er sie küssen wollte. Sie legte ihre Hände flach auf seine Brust, als wollte sie ihn auf Abstand halten. Doch als seine Lippen auf ihren Mund trafen, krallte sie ihre Finger in sein Hemd und zog ihn an sich.

Sie fühlte ihren ganzen Körper in Flammen aufgehen, als habe Dio ein Streichholz an ein Bündel dürren Reisigs gehalten. Vor der Hochzeit war sein Werben zurückhaltend gewesen, fast keusch. Von Zurückhaltung war jetzt nichts zu spüren. Jetzt loderte ungezügeltes Verlangen, auf beiden Seiten.

Sie spürte, wie seine Hand unter ihr seidenes Top glitt und ihre Brust umfasste. Als er aufreizend mit dem Finger über ihre feste Brustwarze strich, keuchte sie atemlos.

Im nächsten Moment zog er sich zurück. Sie brauchte ein paar Sekunden, um wieder zu sich zu kommen und zu begreifen, was sie gerade getan hatte. Die Erkenntnis traf sie wie ein kalter Wasserguss.

„Was zum Teufel bildest du dir eigentlich ein?“, fauchte sie ihn an.

„Ich wollte dir nur beweisen, dass wir ein paar Wochen sehr angenehm miteinander verbringen könnten.“ Amüsiert sah er zu, wie sie verlegen die Arme vor der Brust verschränkte, als könnte sie damit ihre leidenschaftliche Reaktion ungeschehen machen.

„Ich habe nicht vor, für Geld mit dir ins Bett zu gehen!“

Dio verzog spöttisch den Mund. „Warum nicht? Du hast mich für Geld geheiratet. Im Bett hätten wir wenigstens ein bisschen Spaß dabei.“

„Ich habe dich nicht wegen deines Geldes geheiratet!“

„Ich will nicht weiter mit dir diskutieren. Ich habe dir deine Optionen genannt. Du hast die Wahl.“ Er drehte sich um und ging zur Tür.

„Dio!“

Er blieb stehen und wandte nur den Kopf zur Seite.

„Warum?“

„Warum was?“

„Warum spielt es eine Rolle, ob ich mit dir schlafe oder nicht? Es hat doch bestimmt im vergangenen Jahr genügend Frauen gegeben, die bereitwillig mit dir ins Bett gesprungen sind. Warum ausgerechnet ich?“

Er antwortete nicht gleich. Lucy schien zu glauben, dass er seine freie Zeit mit anderen Frauen verbrachte. Er hielt es nicht für nötig, ihr zu widersprechen. Dabei hatte er nicht nur mit keiner anderen Frau geschlafen, er hatte nicht einmal das Bedürfnis verspürt. Gewiss hatte es immer wieder Frauen gegeben, die sich ihm mehr oder weniger subtil angeboten hatten, doch ihn hatte es immer nur nach der einen verlangt, die sich ihm beharrlich entzog.

„Ich kann das einfach nicht“, sagte Lucy leise. „Ich … vielleicht kannst du mir ein kleines Darlehen gewähren, bis ich auf eigenen Füßen stehe.“

„Wovon willst du dich ernähren, dich kleiden oder Miete zahlen?“

„Ich … ich habe schon die eine oder andere Idee.“

Dios Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Welches Geheimnis verbirgt sie vor mir? Was hat sie hinter meinem Rücken geplant?

„Tatsächlich? Was denn zum Beispiel?“

„Ach, nichts“, wich sie aus. „Ich glaube nur, dass wir beide glücklicher sein könnten, wenn wir diese Ehe beendeten. Wenn du mir nur ein wenig Geld borgst …“

„Lucy, du würdest mehr als nur ein bisschen Geld brauchen, um ein selbstständiges Leben in London zu führen.“

„Und das Geld willst du mir nicht leihen, auch wenn ich verspreche, es bis auf den letzten Penny zurückzuzahlen?“

„Du müsstest dafür einen großartigen Job finden oder einen reichen Kerl, der dich aushält“, entgegnete er scharf. „Sonst kann ich dir garantieren, dass ich mein Geld nicht wiedersehe, bis ich alt und grau bin.“

„Dir wäre es also lieber, wenn man deine Exfrau als Bettlerin auf den Straßen sähe?“

„Wer wird jetzt dramatisch?“ Dio merkte, dass sie sich nicht von ihm einschüchtern ließ. „Ich werde dich natürlich nicht vollkommen mittellos auf die Straße setzen“, lenkte er ein. „Aber es wird dir gewiss schwerfallen, einen angenehmen Lebensstil zu führen. Es sei denn, du hättest einen wohlhabenden Gönner im Hintergrund. Gibt es den?“

Dio ärgerte sich über diese Frage, kaum dass er sie ausgesprochen hatte.

Lucy schüttelte den Kopf. „Ich stehe nicht auf reiche Männer“, erklärte sie. „Das habe ich immer schon gewusst, und die Ehe mit dir hat alle meine Vorurteile bestätigt.“

„Wieso?“ Dio wollte wütend auffahren, beherrschte sich aber gerade noch rechtzeitig.

„Du sagst immer, dass es nichts im Leben umsonst gibt. Und du lässt es klingen, als wäre dir das das Wichtigste von allem.“

„Ich kann mich nicht erinnern, so etwas behauptet zu haben.“

„Vielleicht nicht wörtlich, aber sinngemäß. Du scheinst es nicht für möglich zu halten, dass ich ohne ein fettes Bankkonto länger als eine Woche überlebe, aber …“

„Aber du hast plötzlich das Verlangen, mir das Gegenteil zu beweisen.“ Dio sah sie nachdenklich an. Es war etwas in ihren Gesichtszügen, das ihn immer schon fasziniert hatte. Sie war nicht aufdringlich sexy, so wie sie auch keine makellose Posterschönheit war, aber es war etwas an ihr, das seine Blicke wieder und wieder auf sich zog.

Dieses Etwas hatte seine Pläne durcheinandergebracht. Er hatte das Unternehmen ihres Vaters zu einem Spottpreis aufkaufen und ihn dann den Wölfen zum Fraß vorwerfen wollen, so wie er es verdient hatte. Doch er hatte nicht mit der Wirkung gerechnet, die diese Frau auf ihn hatte.

Sicher, er hatte sie einen für ihn sehr vorteilhaften Ehevertrag unterschreiben lassen, aber er würde es nie übers Herz bringen, sie völlig ohne einen Penny vor die Tür zu setzen. Daher kam ihm der Eindruck, dass sie nicht immun gegen seine Annäherung war, gerade recht. Vielleicht würde er ja doch noch auf seine Kosten kommen.

„Ich kann dir versichern, dass ich keinen Wohltäter im Hintergrund habe“, beteuerte Lucy. „Und ich will auch nie wieder einen reichen Menschen in meinem Leben haben.“

„Wie tugendhaft! Glaubst du wirklich, dass dich ein Leben mit einem armen Schlucker glücklich macht? Du solltest mal von deiner Wolke herunterkommen und auf den Planeten Erde zurückkehren.“

Nach einer kurzen Pause sagte Dio: „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe Hunger. Wenn wir dieses Gespräch fortsetzen wollen, dann nur bei einem Essen.“

„Aber du wolltest doch gerade wieder gehen“, erinnerte ihn Lucy.

„Das war, bevor du mir deine radikale neue Sicht auf das Leben vorgestellt hast.“ Er wandte sich um und machte sich auf den Weg in die Küche. Lucy blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit hatte sie das Gefühl, ein echtes Gespräch mit Dio zu führen. Sie war allein mit ihm, nicht umringt von Leuten, die sich um seine Aufmerksamkeit bemühten, und keine wichtigen Geschäftspartner mussten mit höflichem Smalltalk unterhalten werden.

Lucy kannte die Küche gut. Wenn sie hier Gäste bewirteten, musste sie die Caterer einweisen und mit der Kücheneinrichtung vertraut machen. Wenn Dio wie so oft außer Landes war, nahm sie hier allein ihre Mahlzeiten ein.

Dio neben sich in der Küche zu sehen, war sehr ungewohnt. Einen Moment sah sie ihn ungläubig an.

„Also, irgendwelche Vorschläge?“, fragte er schließlich.

„Vorschläge wofür?“

„Was wir essen können.“

„Was hättest du denn essen wollen, wenn du mich hier nicht angetroffen hättest?“, fragte Lucy zurück. Mit zitternden Knien ging sie zum Küchentisch und ließ sich auf einem der Stühle nieder. Sein eindringlicher Blick machte sie nervös. Ein Blick auf seinen Mund genügte, um sie an die Leidenschaft seines Kusses zu erinnern. Noch immer fühlten sich ihre Lippen heiß und geschwollen an.

„Ich habe die Nummern von zwei exzellenten Köchen in meinem Handy gespeichert“, entgegnete er. Ihr ungläubiger Blick schien ihn zu amüsieren. „Die haben gewöhnlich ganz schnell eine Antwort auf meine Frage, was ich essen möchte.“

„Dann ruf sie an und bestell dir etwas von deinen Küchenchefs“, entschied Lucy. „Nimm auf mich keine Rücksicht. Ich …“

„Du hast schon gegessen?“

„Ich habe keinen Hunger.“

„Das glaube ich nicht. Du fühlst dich doch nicht etwa unwohl mit mir gemeinsam in einer Küche? Wir sind schließlich verheiratet.“

„Ich fühle mich nicht unwohl“, erwiderte Lucy ein wenig zu heftig. „Nicht im Geringsten.“

„Also, was schlägst du dann vor?“

„Weißt du denn überhaupt, wo du in dieser Küche irgendetwas Essbares findest?“

Über diese Frage schien Dio einen Moment nachzudenken. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich gebe zu, ich habe keine Ahnung, was sich in den Schränken verbirgt. Ich weiß allerdings, dass im Kühlschrank ein ausgezeichneter Weißwein steht.“

„Erwartest du etwa, dass ich für dich koche?“

„Wie könnte ich das ausschlagen, wenn du es so nett anbietest?“ Dio lächelte spöttisch. Dann ließ er sich am Tisch nieder. „Für einen Mann zu kochen, verletzt hoffentlich nicht deine feministischen Prinzipien, oder? Falls doch, könnte ich selbst nachsehen, was ich hier in der Küche finde und meine Kochkünste daran erproben.“

„Willst du uns vergiften? Du kannst doch überhaupt nicht kochen.“ Sie erinnerte sich an eine beiläufige Bemerkung, die er in einem früheren Gespräch fallengelassen hatte.

„Da hast du auch wieder recht. Also nicht.“

So hatte Lucy sich den Abend nicht vorgestellt. Sie hatte Überraschung als Reaktion erwartet und vielleicht sogar Zorn. Dios Wutausbrüche waren gefürchtet. Stattdessen fühlte sie sich auf einmal wie im Auge eines Wirbelsturms.

Sie kochte gern, wenn sie allein war und keine Gäste unterhalten musste. Rasch suchte sie zusammen, was sie für ein einfaches Nudelgericht benötigte. Hätte sie nicht bei jeder Bewegung seine Blicke auf sich gespürt, hätte diese Tätigkeit sogar beruhigend wirken können.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte er mitten in die Stille. Sie fuhr herum und sah ihn stirnrunzelnd an. „Was glaubst du denn zu können?“

„Ich glaube, ich könnte gut das Gemüse kleinschneiden.“ Er trat neben sie an die Arbeitsfläche. Seine plötzliche Nähe ließ Lucy erschauern. Sie spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten.

Sei nicht dumm, schalt sie sich im Stillen. Doch sie bekam die Erinnerung an seinen leidenschaftlichen Kuss nicht aus dem Kopf. Sie wollte das nicht! Sie hatte sich in den vergangenen Monaten eingeredet, dass sie ihn verabscheute, und solange sie ihn hasste, fiel es ihr leichter, ihre Gefühle zu ignorieren. Dann konnte sie das kleine Zittern ignorieren, wenn er ihr zu nah kam, und das wohlige Ziehen zwischen den Beinen.

Sie war sich sicher gewesen, dass sie ihm nie etwas bedeutet hatte. Für ihn war sie nur Teil einer geschäftlichen Transaktion gewesen. Doch jetzt …

Sein Kuss hatte eine andere Sprache gesprochen. Er begehrte sie. Die Wölbung in seiner Hose war unmissverständlich gewesen. Allein der Gedanke daran ließ sie innerlich erbeben.

Sie schob ihm eine Zwiebel und ein paar Tomaten hin und erklärte ihm, wo er Schneidebrett und Messer fand.

„Die meisten Frauen würden sich über deinen Lebensstil freuen“, bemerkte Dio, während er unbeholfen mit den Tomaten hantierte.

„Du meinst, sie würden gern von Villa zu Villa tingeln und sich wie eine Haushälterin um jede Kleinigkeit kümmern, denn wehe, ein wichtiger Kunde entdeckt einen Fleck auf der Tischdecke?“

„Seit wann bist du so sarkastisch?“

„Das bin ich doch gar nicht!“

„Hör nicht damit auf. Ich finde es anregend.“

„Du hast gesagt, die meisten Frauen würden mich um meinen Lebensstil beneiden. Ich habe dir nur widersprochen.“

„Du würdest dich wundern, was Frauen alles auf sich nehmen, wenn nur der Preis stimmt.“

„Ich bin nicht so eine Frau.“ Lucy trat einen Schritt zur Seite, denn Dio war ihr immer näher gekommen. Angelegentlich beschäftigte sie sich mit dem Topf, in dem sie die Zutaten zusammenrührte.

Einen Moment fragte sich Dio, was für eine Art Frau sie wohl sein mochte, bis ihm wieder einfiel, dass er das nur zu gut wusste. Sie hatte sich mit ihrem Vater zusammengetan, um ihn in die Falle zu locken, damit ihr Vater der wohlverdienten Strafverfolgung entging.

Sollte sich herausstellen, dass diese Frau verborgene Tiefen hatte, dann war er gern bereit, sie auszuloten. Warum auch nicht? Im Augenblick fand er ihr Zusammensein wider Erwarten sehr vergnüglich.

„Was du da kochst, riecht gut“, sagte er deshalb, um die erstaunlich entspannte Stimmung zu erhalten.

„Wenn ich allein bin, koche ich gern“, gestand Lucy und freute sich über das kleine Lob.

„Du kochst selbst, obwohl du weißt, dass du jeden Wunsch frei Haus geliefert bekommen kannst?“, fragte er erstaunt.

Lucy musste lachen.

Dio erinnerte sich an dieses Lachen wie aus einem anderen Leben. Es war leise und zurückhaltend, als entschuldige sie sich zugleich dafür, dass sie überhaupt lachte. Früher hatte es in seinen Ohren immer sehr verführerisch geklungen.

„Also …“, begann er, als sie einander gegenüber vor ihren dampfenden Tellern saßen. „Sollen wir zu Ehren dieses seltenen Ereignisses unsere Gläser heben? Ich glaube nicht, dass wir während unserer Ehe schon einmal zusammen in dieser Küche gesessen haben.“

Nervös nippte Lucy an ihrem Wein. Die Situation drohte ihr aus den Händen zu gleiten. Mit wie vielen Frauen hat er wohl so intim zusammengesessen, während er angeblich glücklich mit mir verheiratet ist? Sie hatte nicht mit ihm geschlafen, aber sie war sich natürlich bewusst, dass Dio eine gesunde Libido hatte. Und er dürfte absolut keine Schwierigkeiten haben, Partnerinnen zur Erfüllung seiner Wünsche zu finden.

Sie hatte ihn nie gefragt, was er auf seinen vielen Auslandsreisen hinter ihrem Rücken tat. Ist mir doch egal, hatte sie sich eingeredet. Nun aber spürte sie einen Stich bei dem Gedanken an fremde Frauen in seinem Bett. Dabei hatte sie sich im Kopf viele gute Gründe zurechtgelegt, warum es besser war, sich von ihm zu trennen. Sie war seinem Charme einmal erlegen und wusste aus schmerzhafter Erfahrung, dass seine Versprechungen nichts bedeuteten.

„Das wird wohl daran liegen, dass wir gar keine richtige Ehe führen“, entgegnete sie vorsichtig. „Warum hätten wir also in der Küche sitzen und gemeinsam frühstücken sollen? So etwas tun nur echte Paare.“

Dios Lippen wurden schmal. „Und natürlich weißt du genau, was echte Paare tun. Dabei bist du diese Ehe eingegangen ohne die geringste Absicht, die eine Hälfte eines solchen Paars zu sein.“

„Ich glaube, wir haben beide nichts davon, wenn wir uns ständig über die Vergangenheit streiten. Wir sollten besser in die Zukunft blicken.“

„Und die Zukunft heißt für dich Scheidung?“

„Ich werde nicht für all dein Geld mit dir ins Bett gehen, Dio“, entgegnete Lucy entschlossen. Für einen winzigen Augenblick gestattete sie sich die Vorstellung, wie es wohl wäre, von ihm leidenschaftlich geliebt zu werden. Aber Liebe wäre das ganz sicher nicht, und Sex ohne Liebe kam für sie nicht infrage.

„Du entscheidest dich also für die Armut.“ Er schob seinen Teller von sich und drehte seinen Stuhl ein wenig, sodass er seine langen Beine zur Seite ausstrecken konnte.

„Ja, wenn es sein muss. Ich werde schon zurechtkommen. Ich …“

„Ja … was?“ Er sah sie aufmerksam an, als er das Zögern in ihrer Stimme bemerkte.

„Ich habe Pläne“, antwortete Lucy ausweichend. Sie wollte nicht mit ihm darüber reden, aus Angst, er könnte ihre zaghaften Gehversuche zunichtemachen.

„Was für Pläne?“, beharrte er jedoch.

„Nichts Großes oder Wichtiges. Ich muss mir selbst erst einmal klar darüber werden, welche Richtung mein Leben von hier aus nehmen soll.“ Sie stand hastig auf und begann, den Tisch abzuräumen, sorgfältig darauf bedacht, seinem Blick auszuweichen.

Dio sah zu, wie sie geschäftig in der Küche hin und her eilte, hier etwas abwischte, dort etwas wegräumte. Offenbar war ihr vor allem wichtig, dieses Gespräch nicht fortsetzen zu müssen.

Sie will mich also verlassen, und sie hat Pläne! In Dios Gedankenwelt konnte das nur eines bedeuten: Es gab einen Mann! Vielleicht keinen reichen, aber einen Mann, der im Hintergrund lauerte und sie in sein Bett bekommen wollte … sofern ihm das nicht bereits gelungen war. Ihre vorgetäuschte Ehe würde also durch ein Verhältnis ersetzt werden, das sie wahrscheinlich schon seit Monaten hinter seinem Rücken auslebte! Hat sie mich etwa schon von Anfang an betrogen und sich nur auf die Ehe eingelassen, um ihren Vater zu retten?

Es erstaunte Dio, dass Lucy einverstanden schien, ihn mit leeren Händen zu verlassen. Offenbar waren ihre sogenannten Pläne so verlockend, dass sie bereit war, auf ihr Luxusleben zu verzichten.

Als Erstes musste er herausfinden, was sie im Schilde führte. Das war einfach. Er konnte ihr entweder selbst nachspüren oder jemanden dafür anheuern. Er entschloss sich für die erste Option. Wozu jemand anders etwas tun lassen, was man selbst erledigen kann?

„Ich werde die nächsten Tage in New York verbringen“, sagte er abrupt, stand auf und ging zur Tür. Dort blieb er noch einmal kurz stehen und sah sich zu ihr um. „Solange du noch meinen Ring am Finger trägst, könnte ich darauf bestehen, dass du mich begleitest. Aber unter diesen besonderen Umständen kann ich darauf verzichten.“

„New York?“ Lucy sah ihn verwirrt an. „Ich kann mich nicht erinnern, dass New York in diesem Monat noch im Kalender steht.“

„Ich habe meine Pläne geändert“, informierte Dio sie kurz. Während er sie noch ansah, überlegte er bereits, was er in den nächsten Tagen unternehmen könnte, um ihr Geheimnis zu lüften. „Du kannst hierbleiben und über meinen Vorschlag nachdenken.“

„Das habe ich bereits getan. Mehr gibt es da nicht zu überlegen.“

„Dann bleibst du eben hier und denkst über die Konsequenzen nach.“

3. KAPITEL

Lucy hatte schon bessere Nächte verbracht. Sie sollte die Zeit damit verbringen, über die Konsequenzen nachzudenken, hatte Dio gesagt. Er hatte ihr das so kalt entgegengeschleudert, dass sie sich hatte beherrschen müssen, um ihn nicht laut anzuschreien.

Für Dio war diese Farce einer Ehe ein gutes Geschäft. Er brauchte eine Frau zum Repräsentieren an seiner Seite, und sie erfüllte dafür alle Voraussetzungen. Ihr Vater hatte ihr immer wieder eingeschärft, dass es ihre Pflicht war, diese Rolle zu spielen. Andernfalls habe ihr Mann es in der Hand, die Familie zu ruinieren. Das war Erpressung, und sie hatte funktioniert. Lucy hatte ihre Rolle perfekt ausgefüllt.

Schon am Tag nach ihrer Hochzeit war Dio geschäftlich auf die andere Seite der Welt geflogen. Für die Zeit seiner Abwesenheit hatte er genaue Instruktionen hinterlassen, wie Lucy sich mit der Hilfe eines Personal Coachs auf ihre Aufgabe vorbereiten sollte. Wie eine Marionette hatte sie sich manövrieren lassen, bis sie genau dem Bild entsprach, das die Öffentlichkeit von ihr erwartete. Sie hatte an Dios Seite die strahlende Gastgeberin gespielt und sich ansonsten zurückgezogen und ihr Leben in Einsamkeit geführt.

Ihr Ehemann hatte kommentarlos zur Kenntnis genommen, dass sie sich ihm in der Hochzeitsnacht verweigerte, und war seinen Geschäften nachgegangen. Für Lucy reichte das als Beweis, dass er sie von Anfang an nur benutzt hatte. Er hatte eine Frau gesucht, die sich souverän im Kreis der Reichen und Schönen bewegte. Und genau die hatte er mit Lucy bekommen, denn sie war in solchen Kreisen aufgewachsen.

Frauen, zu denen er sich hingezogen fühlte, waren in ihrer Vorstellung ihr komplettes Gegenteil. Sie stellte ihn sich mit dunkelhaarigen, vollbusigen Sirenen vor, die willig seine körperlichen Bedürfnisse befriedigten. Solche Frauen eigneten sich nicht zum Repräsentieren in feinen Kreisen. Also hatte er sie als willkommene Beigabe zum Geschäft mit ihrem Vater erworben.

Aber nun auf einmal wollte er mehr von ihr. Seit sie ihren Wunsch nach Scheidung ausgesprochen hatte, wollte er seine Besitzansprüche geltend machen. Er hatte sogar deutlich gemacht, für welchen begrenzten Zeitraum er von ihr die Erfüllung der ehelichen Pflichten verlangte.

Konnte es eine größere Beleidigung geben? Er ging davon aus, dass er binnen weniger Wochen von ihr gelangweilt sein würde! Noch jetzt brannte ihr Gesicht vor Scham, wenn sie daran dachte. Lucy verabscheute Dio, und doch wurde sie im Schlaf von ganz anderen Bildern geplagt. Sie träumte davon, dass er mit ihr schlief. Dass er sie an Stellen berührte, die nie zuvor berührt worden waren, und ihr zärtliche Liebkosungen ins Ohr flüsterte.

Die ganze Nacht hatte sie sich unruhig im Halbschlaf hin und her gewälzt. Am nächsten Morgen erwachte sie in einem leeren Haus. Dio war nach New York abgereist.

Seine Abwesenheit erlaubte ihr Ausflüge in die Freiheit. Also zog sie sich an, erledigte ein paar Telefongespräche und machte sich auf den Weg.

Sekunden nachdem die Haustür hinter Lucy ins Schloss gefallen war, erhielt Dio eine Benachrichtigung. Er war gerade mitten in einer Telefonkonferenz, aber diese Mitteilung war ihm wichtiger.

„Wenn sie irgendwo anhält, geben Sie mir Bescheid. Ich will wissen, wo sie hinfährt und mit wem sie sich trifft“, wies er seinen Informanten an.

Am Schreibtisch hielt er es jetzt nicht mehr aus. Unruhig tigerte er in seinem Büro hin und her, bis er schließlich vor einem Fenster stehenblieb. Es reichte vom Boden bis zur Decke und gewährte einen traumhaften Ausblick über die Stadt.

Die ganze Nacht hatte er über Lucys Wunsch nachgedacht, aber noch immer war es ihm unbegreiflich. Sie wollte ihn verlassen! Sie war die einzige Frau, die sich ihm jemals verweigert hatte. Natürlich war es undenkbar, sie mit Gewalt in sein Bett zu zwingen. Niemals wäre er in der Lage, ihr auch nur ein Haar zu krümmen. Jede andere Frau konnte er mit seinem Charme gewinnen, doch bei Lucy verbot ihm sein Stolz, weiterhin um sie zu werben.

Doch nun hatte sich die Situation dramatisch verändert, und es wurde Zeit zu handeln. Er musste wissen, was sie in seiner Abwesenheit trieb. Der Gedanke, dass sie ihn möglicherweise die ganze Zeit über mit einem anderen Mann betrogen hatte, ließ ihn vor Wut schäumen. Als er die Übernahme von Robert Bishops Firma geplant hatte, hatte er sich den Verlauf der Dinge ganz anders vorgestellt. Er hatte die Firma mit einem sorgfältig vorbereiteten Handstreich einkassieren und den Mann zum Teufel schicken wollen. Komplikationen mit dessen Tochter waren nicht vorgesehen gewesen.

Obwohl er sich gewöhnlich nicht lange mit der Vergangenheit aufhielt, gestattete Dio sich jetzt die Erinnerung an die Ereignisse, die ihn schließlich auf seinen Rachefeldzug geführt hatten. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater Tag für Tag für einen Hungerlohn geschuftet hatte, während seine Mutter in den Häusern anderer Leute putzen ging, damit die Familie einigermaßen über die Runden kam.

Den größten Teil der Geschichte aber hatte er von seiner Mutter gehört, nachdem sein Vater seinen langen Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Erst da hatte er erfahren, wie übel seinem Vater mitgespielt worden war. Als Kind armer Einwanderer mit brillantem Verstand hatte er Robert Bishop während des Studiums kennengelernt. Lucys Vater hatte nur so getan, als würde er studieren und stattdessen seine Zeit auf wilden Partys verbracht. Weil er aus einer reichen Familie stammte, konnte er sich eines hochdotierten Jobs sicher sein. Da das Familienunternehmen aber bereits erste finanzielle Verluste verzeichnete, war ihm klar, dass er andere Erwerbswege finden musste, wenn er den liebgewordenen Lebensstil beibehalten wollte.

Für Robert Bishop war die Begegnung mit Mario Ruiz ein Glückstreffer. Er hatte sich den armen, aber genialen Kommilitonen mit kleinen Zuwendungen gewogen gemacht. Als dieser später einige wichtige Erfindungen machte, rettete Bishop damit das schlingernde Familienunternehmen. Und der Erfinder? Bittere Galle stieg in Dio auf, wenn er daran dachte, wie sein Vater betrogen worden war.

Mario Ruiz hatte naiv einen Vertrag unterzeichnet, der nicht das Papier wert war, auf dem er geschrieben war. Damit hatte er seine Rechte aus der Hand gegeben. Als er schließlich argwöhnisch wurde und Robert Bishop darauf ansprach, versuchte dieser nur, ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Von den beträchtlichen Summen, die seine Patente einbrachten, hatte er nicht einen einzigen Penny gesehen.

Die Geschichte war so ungeheuerlich, dass Dio sie kaum glauben konnte. Erst nach dem Tod seiner Mutter hatte er im Nachlass seiner Eltern untrügliche Beweise entdeckt. Robert Bishop zu ruinieren, war viele Jahre lang sein Antrieb gewesen … bis die unschuldige Schönheit von Lucy Bishop seinen Plan ins Wanken brachte. Er hatte gezögert und war Kompromisse eingegangen, bis er feststellen musste, dass seine Rache nur zur Hälfte gelungen war. Denn er hatte zwar die Firma bekommen, aber nicht den Mann, und er hatte die Frau, aber nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.

Nun war er gespannt, wie sich diese Geschichte entwickelte. Und ganz gewiss wollte er nicht nach Lucys Regeln mitspielen.

Auf dem Weg aus dem Büro warf er seiner Sekretärin beiläufig zu, dass er in den nächsten Stunden nicht erreichbar sei. „Denken Sie sich Ausreden aus, wie Sie wollen“, schloss er und sah sie mit einem verschmitzten Lächeln an. „Betrachten Sie es als Ihren Ausflug in ein gefährliches Leben.“

„Ich lebe jeden Morgen gefährlich, wenn ich dieses Büro betrete“, gab seine überaus tüchtige, mittelalte Sekretärin unbeeindruckt zurück. „Sie haben keine Ahnung, was es heißt, für Sie zu arbeiten!“

Dio kannte sich in den Straßen Londons fast so gut aus wie sein Fahrer, doch für die angegebene Adresse musste er doch sein Navi benutzen. Sein Ziel lag irgendwo in East London. Er hatte keine Ahnung, wie es Jackson gelungen war, Lucy zu folgen. Wahrscheinlich hatte er den Wagen stehen gelassen und die gleichen öffentlichen Verkehrsmittel benutzt wie sie. Da er nicht der Fahrer war, der sie gewöhnlich zu Wohltätigkeitsveranstaltungen oder anderen gesellschaftlichen Ereignissen brachte, dürfte sie ihn auch nicht erkannt haben.

Dio war froh, dass er Jackson engagiert hatte. Er war vertrauenswürdig und bestens geeignet für all die kleinen Aufträge, die man besser nicht an die große Glocke hängte.

Dass Lucy mit Bus und U-Bahn gefahren war, erstaunte ihn sehr. Robert Bishop hatte seiner Tochter bestimmt nie erlaubt, so nah mit dem gemeinen Volk in Berührung zu kommen. Als Snob war ihr Vater nicht zu überbieten gewesen.

Er fragte sich, ob das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel mit Lucys plötzlicher Abneigung gegen alles zu tun hatte, was mit Geld zusammenhing. Wie lange würde sie sich wohl darin gefallen, nichts auf die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens zu geben? Es war eine Sache, dem schnöden Mammon abzuschwören, eine andere, auf das Leben in einer Villa im besten Stadtteil von London zu verzichten.

Bei dem Gedanken verzog Dio verächtlich das Gesicht. Sie war nun einmal die Tochter ihres Vaters, und Bescheidenheit hatte der ihr bestimmt nicht beigebracht.

Er umfuhr das ständig verstopfte Zentrum der Stadt und fand sich dennoch in endlosem Stop-and-go-Verkehr zwischen Ampeln und Fußgängerüberwegen. Es war schon nach elf, als er endlich vor einem unscheinbaren Gebäude inmitten einer Reihe kleiner Läden hielt.

Dio sah ein Wettbüro, einen indischen Schnellimbiss, einen Waschsalon, mehrere kleine Geschäfte und schließlich am Ende der Reihe ein dreistöckiges altes Gebäude mit einer blauen Tür. Schon wollte er Jackson anrufen und fragen, ob er ihm die falsche Adresse durchgegeben hatte. Doch er unterdrückte den Impuls. Stattdessen stieg er aus dem Wagen und betrachtete minutenlang das Haus. Die blaue Farbe an der Tür begann abzublättern, und alle Fenster waren trotz des sonnigen Tages geschlossen.

Das Geläut der Türglocke schien durch das ganze Haus zu dringen. Gleich darauf waren Fußschritte zu hören, und die Tür wurde einen Spalt geöffnet. Die Sicherheitskette blieb eingehakt.

„Dio!“ Lucy traute ihren Augen kaum. Sie wähnte ihren ungeliebten Ehemann meilenweit entfernt, doch der Mann, der so bedrohlich vor der Tür stand, war eindeutig keine Halluzination.

Hinter sich hörte sie Mark mit seinem weichen walisischen Akzent fragen: „Wer ist da, Lucy?“

„Niemand!“ Das waren die ersten Worte, die ihr in den Sinn kamen, und Dios Blick verriet, dass sie genau das Falsche gesagt hatte.

„Niemand?“ Dios Stimme klang leise, aber eisig kalt. Er hatte die Hand auf die Türklinke gelegt.

„Was machst du denn hier? Du wolltest doch nach New York.“

„Wer ist der Mann, Lucy?“

„Bist du mir etwa gefolgt?“

„Beantworte einfach meine Frage. Wenn nicht, werde ich die Tür aufbrechen und es selbst herausfinden.“

„Du solltest nicht hier sein! Ich …“ Sie fühlte, dass Mark hinter sie getreten war und durch den Türspalt zu erkennen versuchte, mit wem Lucy sprach. Mit zitternden Fingern löste sie die Sicherheitskette von der Tür.

Dio beglückwünschte sich selbst zu der erstaunlichen Selbstbeherrschung, mit der er das Haus betrat. Im Gegensatz zu dem pflegebedürftigen Äußeren waren die Wände im Inneren hell gestrichen. Die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt, betrachtete er den Mann an Lucys Seite mit finsterer Miene.

„Wer sind Sie, und was zum Teufel haben Sie mit meiner Frau zu schaffen?“, fragte er mit gefährlich leiser Stimme.

Der Mann vor ihm war fast einen halben Kopf kleiner und von zierlicher Gestalt. Dio war sich sicher, dass er ihn mit einem Fingerstoß zu Boden bringen könnte, und am liebsten hätte er genau das getan. In dem Stadtteil, in dem er aufgewachsen war, hatte er gelernt, sich auch mit Fäusten durchzusetzen. Andererseits hatte er auch begriffen, dass es häufig besser war, wenn man nicht selbst die Schlägerei begann.

„Lucy, soll ich euch beide allein lassen, damit ihr reden könnt?“, fragte der andere statt einer Antwort an Dio.