True Crime Neuseeland 2 - Adrian Langenscheid - E-Book
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True Crime Neuseeland 2 E-Book

Adrian Langenscheid

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Beschreibung

True Crime-Erfolgsautor Adrian Langenscheid entfacht mit 13 weiteren schockierenden Kriminalfällen aus Neuseeland herzklopfendes Lesevergnügen. Es ist ein atemberaubendes, zutiefst erschütterndes Portrait menschlicher Abgründe, das gerade wegen seiner kühlen, sachlich-neutralen Schilderung gewaltige Emotionen weckt. Eiskalte Serienmörder, verhängnisvolle Familiendramen, tragische Entführungen, niederträchtige Folter und skrupelloser Missbrauch: zwölf schockierende True Crime-Kurzgeschichten zu wahren Kriminalfällen aus Neuseeland erwarten Sie. Gefesselt, fassungslos, verblüfft und zu Tränen gerührt werden Sie alles in Frage stellen, was Sie über die menschliche Natur zu wissen glauben. Das Leben schreibt entsetzliche Geschichten und dieses Buch fasst sie zusammen. Tauchen Sie ein in die schockierende Welt der wahren Kriminalfälle und der echten Verbrechen!

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ADRIAN LANGENSCHEID

TRUE

CRIME

NEUSEELAND 2

WAHRE VERBRECHEN ECHTE KRIMINALFÄLLE

Impressum

Autoren: Adrian Langenscheid, Caja Berg, Benjamin Rickert, C.K. Jennar

Lektorat: Juno Dean

ISBN: 978-3-98661-123-1 eBook

1.Auflage Mai 2024

© 2024 Stefan Waidelich, Zeisigweg 6, 72212 Altensteig

Coverbild: © Canva (canva.com)

Covergestaltung: Pixa Heros, Stuttgart

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Einige Dialoge und Äußerungen, der in diesem Buch auftretenden Personen sind nicht wortgetreu zitiert, sondern dem Sinn und Inhalt nach wiedergegeben.

ADRIAN LANGENSCHEID

TRUE CRIME NEUSEELAND 2

WAHRE VERBRECHENECHTE KRIMINALFÄLLE

Über dieses Buch:

Eiskalte Serienmörder, verhängnisvolle Familiendramen, tragische Entführungen, niederträchtige Folter und skrupelloser Missbrauch: 13 schockierende True Crime-Kurzgeschichten zu wahren Kriminalfällen aus Neuseeland.

Gefesselt, fassungslos, verblüfft und zu Tränen gerührt werden Sie alles infrage stellen, was Sie über die menschliche Natur zu wissen glauben. Das Leben schreibt entsetzliche Geschichten und dieses Buch fasst sie zusammen. Tauchen Sie ein in die schockierende Welt der wahren Kriminalfälle und der echten Verbrechen!

Über die Autoren

Adrian Langenscheid ist Autor der erfolgreichen Buchserie True Crime International. Seine Bücher haben über die Grenzen Deutschlands hinaus Bestsellerstatus erlangt. Mit dem 15. Band der Reihe knüpft der True Crime-Experten an die beachtlichen Erfolge der Vorgänger an.

« Die Geschichte ist nicht viel mehr als eine Aufzählung der Verbrechen, Narrheiten und Unglücksfälle der Menschheit. »

- Edward Gibbon (1737-1794) britischer Historiker -

Vorwort

Die letzten Jahre hielten viele Überraschungen für mich bereit. Ohne große Erwartungen und aus leidenschaftlichem Interesse habe ich unterschiedlichste Kriminalfälle aus vielen Ländern zusammengetragen und in Büchern veröffentlicht. Alle sind zu Bestsellern im True Crime-Genre geworden. Mit „True Crime Neuseeland“ halten Sie nun das 14. Buch der Serie in Ihren Händen.

Der unerwartete Erfolg und die öffentliche Resonanz stimmen mich bis heute demütig. Auch weil ich im Rückblick auf meine ersten beiden Bücher einiges anders machen würde. Mir ist sehr bewusst, dass dieser Erfolg ohne Sie, liebe Leserinnen und liebe Leser, nicht möglich gewesen wäre. Deshalb widme ich Ihnen dieses Buch. Danke für Ihre Unterstützung, die ehrlichen Rezensionen und Rückmeldungen. Ich lese jede einzelne.

Herzlichst,

Ihr Adrian Langenscheid

« Es muss eingestanden werden, dass viele Kriminalromane so voller sensationeller Verbrechen sind wie ein Drama von Shakespeare. »

Gilbert Keith Chesterton (1874 – 1936.) englischer Journalist und Schriftsteller.

KAPITEL 1: Sagt kein Wort!

Sie wacht von ihrem eigenen Stöhnen auf. Das Erste, was Gloria bemerkt, ist die erbarmungslose Dunkelheit. Alles um sie herum ist so finster, wie sie es noch nie gesehen hat. Sie spürt eine Schwere auf ihren geschlossenen Augen, als ob Blei ihre Haut nach unten zieht. Es kostet das Mädchen unermessliche Anstrengung, ihre Augenlider zu öffnen. Sie blinzelt kurz. Dann noch einmal. Doch das Ergebnis ist das gleiche: Es bleibt dunkel! In diesem Moment realisiert sie, dass ihre Augen verbunden sind. Schweiß tritt ihr auf die Stirn, ihre Glieder beginnen zu zittern. Mit aller Kraft hebt sie ihren schmerzenden Kopf ein wenig an, während ihr ein gedämpftes Stöhnen entweicht. Immer noch verwirrt, schleicht sich die Erinnerung in ihr Bewusstsein. Ein kalter Schauer läuft ihr über den Rücken. Bilder des Grauens tauchen vor ihrem inneren Auge auf. Sie hört die Schreie erneut, sie erinnert sich an die Pistole. „Leben sie noch?“, fragt sich Gloria bang zum tausendsten Mal in ihren Gedanken. Sie mahnt sich zur Ruhe, doch vergebens. Das Mädchen versucht, nach Luft zu schnappen, als sie das speicheldurchtränkte Stoffbündel in ihrem Mund spürt. Jeder Versuch, um Hilfe zu schreien, wird im Keim erstickt. Auch ihre Ohren sind verstopft. Kaum ein Laut dringt zu ihr hindurch. Stattdessen kann sie ihr Blut in den Ohren rauschen hören. Ihr Puls beginnt zu rasen, als Gloria realisiert, dass sie nicht nur blind, stumm und taub ist, sondern sich auch kaum bewegen kann. Sie spürt groben, rauen Stoff an ihren Knöcheln, der ihr ins Fleisch schneidet. Ein unerträglicher Druck auf der Brust macht ihr das Atmen schwer. „Denk nach“, befiehlt sich der Teenager in seinen Gedanken. Sie weiß, wenn sie jetzt in Panik verfällt, ist sie verloren. Der Druck der Fesseln auf ihren Handgelenken ist längst nicht so stark wie der auf ihren Knöcheln. Sie kann die Hände zwischen den Seilen reiben und die Finger bewegen. Wenn sie sich genügend anstrengt, würde es ihr vielleicht gelingen, sich zu befreien, denkt sie hoffnungsvoll. Das Mädchen hat keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, bis sich das Seil endlich lockert. Plötzlich sind ihre Finger frei. Gloria zittert vor Aufregung, löst auch die zweite Hand, bevor sie die Seile von ihrem Körper reißt, sich die Kopfbedeckung abzieht und den Knebel ausspuckt. Als die Jugendliche endlich ihre Augen öffnen kann, fürchtet sie sich noch mehr. Es ist nach wie vor dunkel um sie herum. Sie ist weiterhin von etwas umschlossen, das ihr jegliches Licht nimmt. Jetzt erst bemerkt sie den Geruch in ihrer Nase. Es duftet nach Heu. Panisch schiebt Gloria Halmbüschel für Halmbüschel zur Seite. Mit letzter Kraft kriecht sie aus ihrem Gefängnis und lässt sich keuchend auf den kalten Holzboden fallen. Sie hätte erwartet, dass sofort jemand auf sie zustürmt. Im schlimmsten Fall diese furchtbare Frau, die sie zuvor bewacht hat, im besten Fall ihr Retter. Doch nichts passiert. Alles um sie herum bleibt ruhig, und das Mädchen realisiert, dass es allein ist. Mühsam erhebt sie sich und schaut sich um. Sie ist in einer Scheune, in die kaum Licht dringt. Es muss Nacht draußen sein, vermutet sie. Gloria schaut kurz auf das Gefängnis zurück, aus dem sie sich gerade befreit hat: Sie sieht eine Höhle aus Heu, in der jetzt nur noch Seile, Kissenbezüge und Säcke umherliegen, mit denen sie Minuten zuvor noch gefesselt und geknebelt war. Ein Gänsehautschauer läuft dem Mädchen über den Rücken, als sich die schreckliche Erkenntnis in ihr Bewusstsein vorkämpft: Sie haben sie hier zum Sterben zurückgelassen. Niemand hätte die 14-Jährige bis zum Ende des Winters gefunden, bevor das Heu an die Tiere verfüttert war. „Renn“, schreit eine Stimme in ihrem Kopf. „Renn weg, so weit du kannst. Such Hilfe.“ Doch der Teenager wagt es nicht, die Scheune zu verlassen. Sie kauert sich in eine Ecke, bis die Nacht langsam in den Morgen übergeht. Sie fürchtet, dass jemand hinter der Scheunentür Wache hält. Werden die Verbrecher sie erschießen, wenn Gloria wegrennt? Nur die Gedanken an ihre Familie und ihre Freunde halten sie davon ab, erneut in Panik zu verfallen. Bang fragt sie sich auch: Sucht die Polizei nach mir? Wird mein Gesicht überall in den Fernsehnachrichten gezeigt? Doch genau das geschieht nicht. Während die Jugendliche stundenlang um ihr Leben bangt, schweigen die Medien: Keine Zeitung, kein Nachrichtensender, keine Radiostation berichtet über eine 14-Jährige, die ihrer Familie gewaltsam entrissen wurde. Niemand in der Öffentlichkeit sagt ein Wort über die tödliche Gefahr, in der Gloria schwebt.

Das Martyrium der Entführten hat seinen Ursprung Monate zuvor mit einem Feuer auf einer kleinen Farm in North Otago. Dort lebt das Ehepaar Verna und Paul McFelin mit seinen drei Kindern. Bereits seit sieben Jahren investieren sie all ihre Zeit, Liebe und Geld in die Restaurierung des 120 Jahre alten Hauses auf einem vier Hektar großen Grundstück. Die Kinder besitzen eigene Ponys, Verna McFelin züchtet englische Schäferhunde und engagiert sich in örtlichen Clubs. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Paul arbeitet sie Tag und Nacht in ihrer eigenen Pizzeria, die ein beliebter Stopp bei Busunternehmen mit Touristen ist und innerhalb von 20 Minuten eine große Gruppe mit Pizzen versorgt. Ein Bus nach dem anderen hält an der Pizzeria. Das Ehepaar arbeitet rund um die Uhr. Ihr Geschäft ist eine Goldgrube – bis eines Tages ein Anruf das Leben der beiden für immer verändert. Verna ahnt noch nicht, dass die Nachricht, die sie gleich erhalten wird, der Anfang vom Ende ihres beschaulichen Lebens und der Auslöser für Gloria Kongs Martyrium ist.

Die stämmige Blondine, gerade schwanger mit ihrem vierten Kind, jongliert mehrere heiße Pizzen auf Keramiktellern vom Ofen zu den Gästen, als das Telefon klingelt. Hastig stellt sie die Teller auf einem Tisch ab und nimmt den Anruf entgegen. „Ihr Haus steht in Flammen“, berichtet eine männliche Stimme. Verna McFelin glaubt, sich verhört zu haben. Fünf simple Worte rauben der jungen Frau den Verstand, lassen ihre Gedanken rasen und Schweiß auf ihre Stirn treten. Beinahe lässt sie das Telefon aus den zitternden Händen fallen. Die dreifache Mutter will etwas sagen, doch aus ihrer Kehle kommt nur ein Krächzen. Voller Panik denkt sie an die Hundewelpen, die in der Waschküche sind und dringend gerettet werden müssen. Es dauert Sekunden, bis Verna ihre Stimme wieder findet und mit ihrer Sorge über die Hundewelpen herausplatzt.

Die Tiere können gerettet werden – das Haus jedoch ist vollkommen zerstört. Das Ehepaar McFelin ist nicht ausreichend versichert und muss seine Ersparnisse aufwenden, um sein Heim wieder aufzubauen. Um die Zeit dafür zu haben, verkauft es die Pizzeria, damit Paul sich nun Tag und Nacht dem Wiederaufbau widmen kann. Die Familie zieht während der Renovierungsarbeiten in ein kleines Haus auf dem Bauernhof eines Freundes, das als Lagerraum für Geräte genutzt worden war. Was die bald vierfache Mutter jedoch nicht weiß: Ihr Ehemann plant längst, wie er schneller an Geld herankommen könnte, auch wenn die Familie nur bedingt unter Geldknappheit leidet, wie Verna später gesteht. Dennoch setzt Paul seinen Plan in die Tat um, als seine jüngste Tochter Kate gerade einmal vier Wochen alt ist.

Es ist Mittwoch, der 29. Juni 1983, als Paul McFelin mit zwei weiteren Komplizen namens David Larnach und Paul George in das ländliche Haus des chinesischen Gemüsegärtners Jimmy Kong in der Gemeinde Oamaru eindringt. Die jungen Männer sind maskiert und bewaffnet. Laut schreiend überrumpeln sie die Bewohner. Mit vorgehaltener Waffe zwingen sie die Anwesenden, sich ihrem Willen zu beugen, durchsuchen das Haus und stecken alles ein, was ihnen wertvoll erscheint. Jimmy Kong, seine Frau und drei weitere Familienmitglieder werden gefesselt und geknebelt. Nur ein Familienmitglied bleibt davon verschont: Gloria. Zitternd befolgt die schwarzhaarige, schlanke 14-Jährige die Befehle der Verbrecher. Sie nehmen das Mädchen unter vorgehaltener Waffe mit. Jimmy muss hilflos mit ansehen, wie sie seine Tochter aus dem Haus führen.

„Kein Wort zu den Bullen. Sonst stirbt sie.“ Die Warnung der Verbrecher ist deutlich. Sollten sie erfahren, dass die Kongs die Polizei eingeschaltet haben, würden sie die Gefangene töten. Die Entführer zwingen sie zunächst, in den Familienwagen einzusteigen. Zwei Kilometer vom Elternhaus entfernt wechseln die Kidnapper mit ihrer Geisel das Auto und steigen in den dort abgestellten Fluchtwagen ein. Von hier aus geht es in ein Haus in Oamaru, wo Gloria kurzerhand in einen Schrank gesteckt wird. Jetzt tritt das vierte Mitglied der Bande in Aktion: Karen McFelin, die Schwester von Paul, die den Teenager bewachen soll. Die Entführte wird schließlich ins Badezimmer gebracht. Einen ganzen Tag lang liegt sie gefesselt in der Badewanne. Wie und wann es der Kong-Familie derweil gelingt, sich von ihren Fesseln zu befreien, ist nicht bekannt.

Unterdessen verfolgt das Quartett seinen Plan. Sie konfrontieren die Eltern nicht lange nach dem Überfall telefonisch mit ihrer Forderung: 120.000 US-Dollar (umgerechnet etwa 110.300 Euro) wollen sie für das Leben des Familienmitgliedes. Im Jahr 1983 entspricht diese Summe dem Vierfachen des durchschnittlichen Jahreseinkommens. Insgesamt fünf Anrufe erreichen die Familie Kong, in denen weitere Anweisungen für die Geldübergabe mitgeteilt werden.

Die Kongs ignorieren die Warnung, die Polizei nicht einzuschalten. Sie alarmieren die Beamten und berichten ausführlich vom Überfall. Von nun an liegen alle Hoffnung und das Leben von Gloria in den Händen von Detective Inspector Neville Stokes aus Christchurch. Der leitende Ermittler nimmt die Warnung der Entführer sehr ernst. Noch in der Tatnacht beantragt er eine lokale Nachrichtensperre. Keine der örtlichen Medien soll berichten, dass die 14-Jährige entführt wurde. Stokes ahnt, dass eine öffentliche Berichterstattung zu ihrer Hinrichtung führen würde. Die Kidnapper sollen auf keinen Fall erfahren, dass die Polizei involviert ist und bereits alles daran setzt, sie zu schnappen und das Mädchen zu retten.

Am nächsten Morgen, dem 30. Juni 1983, bittet der Ermittlungsleiter seinen Polizeipräsidenten sogar um eine landesweite Nachrichtensperre. Er genehmigt die Informationsblockade für die „New Zealand Press Association“, „Radio New Zealand“, „Television New Zealand“ und private Radiosender. An diesem Tag wird zudem Senior Sergeant Joe Franklin, Leiter der Nationalen Medieneinheit im Polizeipräsidium in Wellington, nach Oamaru gerufen. Er trifft kurz nach Mittag ein und übernimmt sofort die Kontrolle über eine große Gruppe lokaler und überregionaler Reporter, Fotografen und ganzen Filmteams. „Das können wir doch nicht machen“, versucht ein Redakteur zu widersprechen, als Franklin die Medien zum Schweigen auffordert. Ein zweiter schließt sich ihm an. Die Redakteure stemmen sich mit allen Kräften gegen die Nachrichtensperre.

„Wir müssen es tun, sonst wird Gloria Kong sterben!“ Franklin bleib hart und appelliert an die Vernunft der Journalisten, denn die Polizei hat keinerlei Handhabe, die Informationsblockade zu erzwingen, sie kann nur darum bitten. Die Ermittler sind von der Zusammenarbeit und dem Einverständnis der Medien abhängig, um den Teenager vor dem sicheren Tod zu bewahren. Eine Nachrichtensperre sei hilfreich, um die Täter zu verunsichern, ohne sie in Panik zu versetzen, argumentiert Franklin. Zudem erspare das Schweigen der Medien der Polizei die üblichen Anrufe von Spinnern und anderen Unbeteiligten. So könnten sie ihre Ressourcen vollständig auf die Rettung des Mädchens konzentrieren. Es dauert nicht lange und Franklin überzeugt mit diesen Argumenten auch die Zweifler. Am Ende sind sich alle einig: Die Presse wird kein Wort verlieren. Dies ist der Beginn einer Nachrichtensperre, die es so noch nie zuvor in Neuseeland gegeben hat. Kein leichtes Unterfangen, denn je mehr Zeit verstreicht, je näher die am Telefon genannten Fristen kommen, desto mulmiger wird es so manchem Journalisten bei diesem Vorgehen. Aber niemand sagt ein Wort über den Äther, kein Wörtchen gelangt in die Druckausgaben. Lediglich Pressemitteilungen werden vorbereitet, sodass die Medien jederzeit bereit für die Berichterstattung sind, sobald sie grünes Licht von der Polizei erhalten. Die Reporter sind immer auf dem aktuellen Stand – der vollumfängliche Informationsfluss ist Teil des Deals zwischen Medien und Polizei. Doch an die Öffentlichkeit dringt weiter kein Wort über die Entführung von Gloria Kong. Während die Medien über alles andere berichten und die 14-Jährige, von Karen McFelin bewacht, gefesselt und geknebelt in der Badewanne liegt, arbeiten die Beamten unter Hochdruck an der Befreiung der Jugendlichen. Als Familie Kong einen weiteren Anruf von den Tätern erhält, um Bedingungen für die Übergabe des Lösegeldes zu nennen, zeichnet die Polizei das Gespräch heimlich auf.

Es ist die Nacht des 30. Juni, als die Entführer ihr Opfer geknebelt und gefesselt in die abgelegene Scheune bringen. Ihre Ohren sind mit Watte abgedichtet, ihre Augen verbunden, in ihren Mund ist eine Socke gestopft. Zwei Säcke und einen Kissenbezug haben die Entführer über die 14-Jährige gestülpt. Der Kissenbezug ist fest um ihren Hals fixiert, ein weiteres Seil ist von den Knöcheln bis zu den Schultern um ihren Körper gebunden. Die Entführer begraben sie in einer Höhle aus Heuballen und losem Stroh. Dann überlassen sie das Mädchen ihrem Schicksal.

Doch trotz aller Widrigkeiten kann Gloria sich befreien. Vor lauter Angst bleibt sie jedoch die ganze Nacht in der Scheune und hält sich versteckt. Es ist Freitag, der 31. Juni 1983, 8:55 Uhr, als sie schließlich zu einem Bauernhaus weiter unten an der Straße läuft und von dort aus ihren Vater anruft. Als Jimmy Kong die Beamten über den Anruf seiner Tochter informiert, ist die örtliche Polizei gerade mit ihrer morgendlichen Personalbesprechung beschäftigt. Die Einsatzkräfte eilen zum Haus, in dem die 14-Jährige Zuflucht gefunden hat. Dort entdecken sie die Jugendliche verschmutzt und zerzaust. Immer noch trägt sie nur ihren dünnen Rock und das leichte Oberteil. Sie ist unterkühlt, weswegen ihre Haut verfärbt ist und sie unter Sprachstörungen leidet. 36 Stunden, nachdem ihr Martyrium begann, kann Jimmy Kong seine Tochter wieder in seine Arme nehmen. Eine Decke liegt um ihre Schultern, in die sich die Jugendliche von innen festkrallt, als ihr Vater sie beim Gehen stützt und vom Bauernhaus wegführt. Die Stirn in Falten, ist sein Gesicht noch immer von den sorgenvollen Stunden gezeichnet. Noch kann er es kaum fassen: Er hat seine Tochter wieder. Lebend!

Jetzt ist auch die Zeit des Schweigens vorbei. Nur 10 Minuten später informiert Joe Franklin die Reporter über Glorias Befreiung. Er wünscht sich zwar, dass die Nachrichtensperre weiter gehalten werde, um den Entführern nicht zu verraten, dass ihr Opfer entkommen ist. Doch mit der Rettung hat er keinerlei Argumente mehr in der Hand, um die Medien in Schach zu halten. Sie wollen berichten. Und von nun an informieren sie vollumfänglich.

Die Beamten konzentrieren sich jetzt auf die Ermittlung der Täter. Aber es mangelt an Hinweisen oder gar Verdächtigen. Wer hat das Mädchen entführt und zum Sterben in der Scheune zurückgelassen? Es gibt nicht die geringste Spur. Wenige Stunden, nachdem die Entführung durch die Medien gegangen ist, versammelt sich ein Team von 30 Polizeibeamten unter der Leitung von Strokes und Franklin, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie sehen nur eine Möglichkeit: Jetzt brauchen sie die Medien! Das Ermittlerduo wünscht sich nun eine umfassende Berichterstattung, um die Öffentlichkeit auf das Verbrechen aufmerksam zu machen und so viele Hinweise wie möglich aus der Bevölkerung zu bekommen. Sie vermuten, dass die Täter aus der Gemeinde von Oamaru stammen. Daher konzentriert sich ihre Ermittlung auf diese Region. In einer Kleinstadt wie Oamaru, die mit den Außenbezirken gerade einmal 25.000 Bewohner hat, kennen sich die Menschen. Nach den ausführlichen Beiträgen in allen Medien sind die Einwohner wütend darüber, dass eine von ihnen unter Heu begraben sterben sollte. Ein wehrloses 14-jähriges Mädchen von nebenan! Die Beamten wissen, dass Wut das Interesse anheizt. Je mehr Einzelheiten bekannt werden, desto mehr regen sich die Menschen auf, wollen helfen und geben Hinweise, glauben die Ermittler.

In aller Eile wird eine zehntägige Medienstrategie entworfen, geprüft von Anwälten, um eine spätere Verurteilung nicht durch Fehler seitens der Staatsanwaltschaft zu gefährden. Von nun an erscheint der Fall täglich auf der Titelseite der „Oamaru Mail“. Jeden Tag wird das Verbrechen aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Einmal berichten die Zeitungen über die grausamen Details, wie Gloria gefesselt und zum Sterben zurückgelassen wurde, ein anderes Mal informieren sie, dass die Täter Ortskenntnisse besitzen müssen. Mit Sätzen wie „Es könnte Ihr Nachbar sein!“ oder „Die Verhaftung könnte im Haus nebenan geschehen!“ soll die Öffentlichkeit alarmiert werden. Die Bewohner werden durch die Berichterstattung sensibilisiert, dass die skrupellosen Verbrecher unter ihnen weilen könnten. Solche Straftäter hätten kein Platz in ihrer Gemeinde. Es wird sogar eine Belohnung von 2.000 US-Dollar (umgerechnet etwa 1.830 Euro) für sachdienliche Hinweise ausgelobt, die noch mehr Interesse in der Bevölkerung hervorruft.

Die Kleinstadtvertrautheit funktioniert, und zahlreiche Anrufe treffen ein. Nach einer Ausstrahlung über „Radio New Zealand“ und im Fernsehen, in der die Tonbandaufnahme des Anrufes eines der Entführer veröffentlicht wird, haben die Ermittler 20 verschiedene Namen auf ihrem Zettel. Einer von ihnen ist der des 25-jährigen David Larnach, dessen Stimme tatsächlich mit der des Anrufers übereinstimmt. Die Polizei horcht auf, als Nachbarn berichten, dass er mit dem 35-jährigen Paul George so eng befreundet ist, dass sie selten getrennt anzutreffen sind. 13 Tage nach der Entführung werden Larnach und George verhaftet. Zwei Täter sind geschnappt, die jedoch behaupten, nicht hauptverantwortlich zu sein. Das Gebäude, in dem Gloria ursprünglich festgehalten wurde, wird identifiziert. Nach und nach gelingt es den Ermittlern, das Verbrechen aufzuklären – dank der Medien und der wütenden Bewohner von Oamaru. Doch letztendlich sind es die Komplizen, die Paul McFelin verpfeifen und die Ermittler auch zu seinem Haus lotsen.

Die Nacht des 12. Juli 1983 ist dunkel und stürmisch, als die Polizei in das Heim von Paul McFelin kommt. Während es draußen blitzt und donnert und sintflutartiger Regen vom Himmel herabschießt, liegen Paul, seine Frau und die vier Kinder bereits im Bett. Doch dann stürmen sechs Beamte ins Haus, öffnen Schränke und durchsuchen Schubladen. Paul McFelin wird zunächst ins Badezimmer gebracht. Seine zitternden Hände verraten seine Nervosität. Die älteste Tochter Jacquai schreit, während Lisa sich vor Angst unter dem Bett versteckt, auf dem der 3-jährige Ben, vor Schreck erstarrt, liegt und seine Mutter mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. Nur Baby Kate schläft. Die Familie realisiert kaum, wie ihr geschieht. Niemand außer Paul weiß, dass die Polizei zu Recht hier ist und ihm Handschellen anlegt. „Nehmt mir meinen Vater nicht weg!“, schreit Jacquai, als die Polizisten ihn abführen.

Verna McFelin hat große Mühe, ihre Kinder zu beruhigen. Doch die vierfache Mutter hat nicht viel Zeit. Auch die stämmige Blondine soll aufs Polizeirevier, während eine Polizistin im Haus auf die Kinder aufpasst. Doch Verna kann im Verhör die Fragen der Ermittler nicht beantworten, die Ehefrau weiß von nichts. Die Mutter ist unschuldig – im Gegensatz zu ihrem Mann. Noch auf dem Polizeirevier erfährt die geschockte Frau, dass er wegen Entführung verhaftet und nicht mehr nach Hause zurückkehren wird. In diesem Moment bricht ihre ganze Welt zusammen. Wie soll sie das den Kindern erklären? Wie wird ihr Leben von nun an aussehen? Und wie konnte Paul so etwas Schreckliches tun? Ihre Gedanken rasen. Im Nachhinein wird Verna sich kaum noch an diese Momente erinnern können.

Ebenfalls erst später erfährt die Ahnungslose, dass auch ihre Schwägerin Karen beteiligt war. Dieser zweite Schock macht ihr schließlich das Autofahren unmöglich. Ihr Anwalt übernimmt dies und schrottet zu allem Unglück auch noch den Wagen der Familie. „Ich war so traumatisiert, dass ich mich nicht mehr an alle Details erinnern kann“, wird sie Jahrzehnte danach über diese Geschehnisse schreiben.

Das Verbrechen scheint zwar in dieser Nacht aufgeklärt, Gloria ist längst gesund bei ihrer Familie, doch nun beginnt das Martyrium von Verna McFelin und ihren Kindern. Die stämmige Blondine ist die Ehefrau eines Entführers, der eine Tochter im fast gleichen Alter hat. „Er verstand sich selbst nicht“, sagt sie später über seine Motive, „ich hasste ihn für das, was er getan hatte. Ich musste entscheiden, ob ich bleibe oder gehe.“

Verna bleibt aus Liebe. Über 90.000 US-Dollar (umgerechnet etwa 82.600 Euro) zahlt sie in den folgenden Monaten für die Prozesskosten ihres Mannes und ihrer Schwägerin. Um ihren Gatten zu sehen, muss sie ins 250 Kilometer entfernte Untersuchungsgefängnis nach Christchurch fahren. Verna McFelin wird von heute auf morgen zur alleinerziehenden Mutter – und ist nun auch noch den Anfeindungen aus der Gemeinde ausgesetzt.

Paul McFelin, seine Schwester Karen, David Larnach und Paul George werden vom Bezirksgericht Oamaru unter anderem wegen Entführung, schweren Raub, Körperverletzung, widerrechtliche Mitnahme eines Autos und Einbruch schuldig gesprochen. David Larnach wird später zu sieben Jahren und Paul George zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Beide treten als Kronzeugen in dem fünf Wochen andauernden Prozess gegen Paul McFelin auf. Immer wieder greift die Verteidigung die Polizei wegen ihrer Medienstrategie an. Erst verboten sie eine Berichterstattung, dann lenkten sie diese. Das Verbrechen sei eines derer, das schlussendlich am meisten in den Medien erwähnt wurde, argumentiert der Verteidiger. Doch die Kritik wird von den Geschworenen nicht angenommen, und Richter Hillyer lobt die Polizei gar bei der Urteilsverkündung. Am 12. April 1984 schickt der Oberste Gerichtshof in Auckland den vierfachen Vater für die nächsten elf Jahre ins Gefängnis. Seine Schwester Karen muss für sechseinhalb Jahre hinter Gitter. Der Richter versäumt nicht, bei der Urteilsverkündung das Verbrechen als eines der schwersten und schrecklichsten seiner Art zu bezeichnen.

Neville Stokes wird später zum Detective Superintendent befördert. Doch bis er im Jahr 1997 in den Ruhestand geht, meidet er die Medien. Verna McFelin hingegen sucht Jahre nach dem Verbrechen die Aufmerksamkeit der Presse. 2021 veröffentlicht sie ihr Buch „The Invisible Sentence“ (zu Deutsch „Die unsichtbare Verurteilung“), in dem sie detailliert schildert, wie sie und ihre Kinder Mobbing ausgesetzt waren, Schwierigkeiten hatten, eine Wohnung zu finden und von Stadt zu Stadt ziehen mussten, weil Paul immer wieder in ein anderes Gefängnis verlegt wurde. Um der sozialen Isolation zu entfliehen und anderen Betroffenen, vor allem Kindern, zu helfen, gründet sie bereits im Jahr 1988 die Organisation „Pillars“, die bis heute Angehörige von Gefängnisinsassen unterstützt.

Doch auch 40 Jahre nach der Tat hat die Gemeinde Oamaru Paul McFelin nicht verziehen, der bereits seit 30 Jahren wieder auf freiem Fuß ist. Das Paar ist immer noch zusammen, weitere Details sind jedoch nicht bekannt. Im April 2021 treffen so viele Beschwerden gegen eine geplante Lesung für Vernas Buch in der örtlichen Bibliothek ein, dass die Veranstaltung nur eine Woche vor dem Termin abgesagt und nach Christchurch verlegt werden muss. Oamaru verspürt noch immer Mitgefühl mit der damals 14-jährigen Gloria, die einst in einer Scheune zum Sterben zurückgelassen wurde

« Der Mensch weiß nicht, welchen Platz er einnehmen soll, er hat sich offensichtlich geirrt und ist von seinem wahren Ort herabgesunken, ohne ihn wiederfinden zu können. Ruhelos und ohne Erfolg sucht er ihn überall in seiner unergründlichen Finsternis. »

- Blaise Pascal (1623-1662) französischer Mathematiker, Physiker, Literat und christlicher Philosoph

KAPITEL 2: Gerechtigkeit im Jenseits

Der Anblick erschreckt ihn. John Campbell hatte zwar schon vermutet, dass sein Interviewpartner krank sei, aber wie ernst es tatsächlich ist, ahnte der Journalist nicht, bei dem Anruf, den er vor wenigen Tagen erhalten hatte. „Peter möchte gerne reden“, hatte der Anwalt am Telefon gesagt. Die Worte hallen in Campbells Kopf nach, als er den liebevoll eingerichteten Raum im Hospiz betritt. Der Nachsatz aus dem Telefonat mit dem Rechtsvertreter kommt ihm sofort wieder in den Sinn: „Sie müssen sehr schnell kommen“. Jetzt sieht auch der TV-Moderator, warum Eile geboten ist: Peter Ellis sitzt in einem bequem gepolsterten Sessel mit einer weichen Decke auf seinen Beinen. Um ihn herum sind Dinge aufgestellt, die der schwache Mann liebt: mehrere Schwanenfiguren aus Kristall und Porzellan, Kuscheltiere, Harlekinpuppen, ein detailreich geschmückter Buddha und ein Kissen mit dem Bildnis seines heißgeliebten Filmstars Marilyn Monroe. Seine zittrige Hand greift nach einer Limonade. Der Kranke stöhnt vor Schmerzen auf, bevor er trinkt. Der 61-Jährige hat Blasenkrebs im Endstadium, doch John Campbell begreift erst jetzt, wie ernst es um den Mann steht: Peter Ellis wird sterben! Das Gesicht ist eingefallen und abgemagert, das Atmen fällt ihm sichtlich schwer. Der Patient bekommt Morphin und wird palliativmedizinisch betreut. Nur noch die Symptome werden behandelt – die Krankheit selbst ist unaufhaltsam. Doch für das Interview verzichtet der Sterbende trotz starker Schmerzen auf das Medikament, weil er mit vollem Bewusstsein ein letztes Mal sagen will, was ihm wichtig ist. „Es ist nur ein Teil dessen, was mir passiert ist, ich nehme an, ich habe mich einfach durchgelacht“, erklingt es in undeutlichen Worten. Das Sprechen fällt ihm schwer, auch das Lachen ist nicht leicht. Sekunden später atmet er tief ein, senkt den Blick und unterdrückt nur mit Mühe die Tränen. „Aber es ist nicht lustig?“, fragt John Campbell vorsichtig nach. „Nein, ist es nicht“, bestätigt der Todkranke, der auf fast 30 Jahre Hölle zurückblickt, in denen er versuchte, seine Unschuld zu beweisen. Sieben Jahre verbrachte der Mann im Gefängnis. Seit 1991 kämpft er darum, seinen Namen reinzuwaschen. Sein halbes Leben lang wird er jetzt schon angefeindet, vorverurteilt und beschimpft. In Peters Augen gibt es kaum etwas Schlimmeres, als wegen sexuellen Kindesmissbrauchs angeklagt zu werden. Er soll satanische Rituale durchgeführt, auf gefesselte Kinder uriniert, sie in Särgen begraben oder gar einem Jungen den Bauchnabel mit einer Zange entfernt haben – all das und noch viel mehr soll er getan haben. Diese ungeheuerlichen Anschuldigungen verfolgen den ehemaligen Kindererzieher seit drei Jahrzehnten – bis auf sein Totenbett. John Campbell weiß, warum der schwerkranke Mann unter größten Schmerzen ein abschließendes Interview geben will. Deswegen fragt der Journalist ihn ganz deutlich: „Sie haben immer beteuert, unschuldig zu sein. Stimmt das?“ Peter sammelt ein letztes Mal alle Kraft zusammen. Es ist der verzweifelte Versuch eines Sterbenden, vor dem Tod seine Reputation wiederherzustellen. Er antwortet mit so fester Stimme wie möglich: „Nein, ich habe nichts davon getan. Ich bin unschuldig.“ Peter Ellis sagt dies in dem Wissen, dass er keine Gerechtigkeit mehr erleben wird. Dennoch möchte er mit dieser Beteuerung diese Welt verlassen. Nur wenige Tage nach dem Interview, am 4. September 2019, stirbt er als schuldig gesprochener Kinderschänder und erlebt nicht mehr, wie sein Name erneut die Schlagzeilen der neuseeländischen Presse beherrscht. Peter Ellis‘ Kampf erreicht erst nach seinem Ableben seinen Höhepunkt, weil zum ersten Mal in der Geschichte Neuseelands auch postum über einen verurteilten Verbrecher gerichtet werden soll.

Peter Hugh McGregor Ellis kommt am 30. März 1958 in Christchurch zur Welt. Er ist das älteste von vier Kindern, dessen Eltern sich trennen, als er neun Jahre alt ist. Als 17-Jähriger verlässt Peter die Schule, um als Tabakpflücker in Motueka zu arbeiten. Zwei Jahre später kehrt der Jugendliche zurück in seine Heimat und nimmt in den 80er-Jahren einen Teilzeitjob in einer Bäckerei an, der sich aber schnell zu einem Vollzeitjob ausweitet. Als der junge Mann die Arbeitsstelle aufgibt, beantragt er Arbeitslosenunterstützung, auf die er jedoch kein Anrecht hat. Dennoch werden ihm die Gelder genehmigt. Die Behörden decken den Betrug auf und klagen Ellis im Jahr 1986 wegen „Irreführung eines Sozialbeamten“ an. Sie verurteilen ihn zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Diese leistet er in der städtischen Kindertagesstätte „Civic Creche“ in Christchurch ab.

In dieser Umgebung ist Peter eine ungewöhnliche Erscheinung. Der schlaksige, groß gewachsene 28-Jährige trägt die Haare lang, nutzt Make-up, lackiert seine Fingernägel schwarz und bevorzugt helle Kleidung. Er ist homosexuell, was er seinen Kolleginnen in Gesprächen während der Kaffeepausen offen erzählt. Er ist der einzige männliche Angestellte in der Einrichtung. Peter bewährt sich in der Kita und bekommt eine Anstellung als Aushilfsarbeiter, absolviert in den folgenden Monaten nebenher eine Ausbildung bei der New Zealand Child Care Association und ist schnell qualifizierter als manch andere der dortigen Mitarbeiterinnen. Seine Vorgesetzte Dora Reinfeld schreibt in einem ihrer Monatsberichte: „Peter Ellis hat sich sehr gut eingearbeitet und bringt viel Energie in die Programmplanung ein.“ Sie beschreibt ihn als einen aufgeschlossenen, ungehemmten, unkonventionellen Menschen, der viel Enthusiasmus und Energie in seine Arbeit steckt. Doch manchmal scheint er zu übermütig: Eines Tages brechen Mitarbeiter ein Puppenspiel von ihm ab, weil „Personal und Kinder außer Kontrolle gerieten“. Trotz allem bescheinigt ihm seine Chefin einen fantastischen Teamgeist. Der neue Mitarbeiter pflegt ein herzliches Verhältnis zu den Kindern und überzeugt auch Eltern und Kolleginnen von sich. Anfang des Jahres 1990 ist er ein vollwertiges Mitglied der Kita und gibt sogar Nachhilfe. Peter liebt Tiere und hält Kaninchen, Katzen und Hunde als Haustiere. Ende September 1990 verkauft er der Mutter eines 4-Jährigen, der in seine Kindertagesstätte geht, einen schwarzen Hundewelpen und zeigt dem Kind, wie er das Geschlecht des Tieres bestimmen kann.

Es ist die Zeit einer moralischen Panik in Neuseeland, als Peter Ellis in der Tagesstätte für Kinder arbeitet.

---ENDE DER LESEPROBE---