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Die turbulente und spannende Geschichte um das Schicksal des Boxerhundes Trull.
Der von seiner Herrin getrennt wird, aber durch eine Kette von Gefahren aus eigener Kraft wieder zu ihr zurückfindet, ist vordergründig ein unterhaltsamer Abenteuerroman.
Dahinter verbirgt sich eine sensible Auseinandersetzung mit dem Verhältnis Mensch-Hund/Vierbeiner/Tier, die auch falsch verstandene Tierliebe, Tierquälerei aus Gewinnsucht und Geldgier, ganz konkret bei Hundekämpfen, anspricht.
Die Botschaft des Buches wird letztlich von Trull selbst, der tragenden Persönlichkeit des Romans, verkörpert.
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Trull ein Kämpferherz
Roman
Bettina Szrama
Wenn dir dein Hund das liebste ist;
so glaube nicht, es wäre Sünde,
dein Hund bleibt dir im Sturme treu,
der Mensch nicht mal im Winde
Dieses Buch ist ein Roman. Alle darin geschilderten Ereignisse sind frei erfunden. In besonderem Maße gilt das für Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, auch wenn einige von ihnen nicht der Fantasie der Autorin entsprungen sind. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.
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Alle Rechte vorbehalten © Dezember 2020
Max
Melissa und das Leben auf dem Reiterhof
Trull
Abschied und Schmerz
Das Tierheim
Allerlei Veränderungen
Zirkus
In den Klauen des Satans
Flucht aus der Hölle
Eine unverhoffte Wendung
Fünf Jahre später
Wenn die Zeit gekommen ist, wo die Abende wieder länger werden, die Apfelbäume vor dem Haus ihre Blätter verlieren und ein böiger, kalter Ostwind heulend um die Ecken pfeift, hole ich meine alte, längst vergessene Schreibmaschine hervor und versuche meinen Träumen und Erinnerungen Gestalt zu verleihen. Aber wenn ich dann beim warmen Schein des prasselnden Kaminfeuers hinter meinem Schreibtisch sitze und das leere Papier nachdenklich betrachte, während die Maschine leise zu rattern beginnt, dauert es meistens nicht lang, bis ich lieben Besuch bekomme, der leise tapsend die knarrende Holztreppe heraufkommt und nicht abwarten kann, bis ich „Herein“ sage. Er vergewissert sich kurz, ob die Geräusche aus meinem Zimmer auch wirklich von mir stammen, bevor er geräuschvoll eintritt. Es ist mein Boxerhund „Max“, der sich in solchen Momenten schrecklich langweilt und sich von mir vernachlässigt fühlt. Er ist aber deswegen kein Tyrann oder gar verwöhnt, wie man es oft bei Hunden von Singles beobachten kann. Ganz im Gegenteil. Er ist ein so lieber putziger Kerl, dass ich, obwohl ich mich bei der Arbeit nur ungern stören lasse, jedes Mal eine Ausnahme mache und meine Schreibarbeit unterbreche. Dabei wundere ich mich immer wieder aufs Neue, wie er es immer noch schafft, mit der Behändigkeit eines jungen Hundes die schweren Eichentüren meines alten Fachwerkhauses zu öffnen. Denn mittlerweile kommt er, obwohl ich in ihm immer noch den kleinen, niedlichen Boxer sehe, den ich vor zehn Jahren rechtmäßig von einem Züchter erworben hatte, in die Jahre. Sein einst rotes Fell wird weiß und seine früher so munteren Bewegungen ruhiger und gesetzter.
Ich lebe allein in meinem Haus, weit entfernt vom Großstadtlärm. Und obwohl ich die Ruhe und Einsamkeit liebe, habe ich doch im Laufe der Zeit die Gesellschaft meines treuen Boxerhundes schätzen gelernt. Dabei kann ich mich noch genau erinnern, wie ich in jungen Jahren immer einen großen Bogen um diese kraftvollen Respekt einflößenden Hunde gemacht habe. Nach meinen Beobachtungen musste ich feststellen, dass es vielen Hundeliebhabern und Nichtliebhabern, die mit dieser Rasse noch nicht vertraut waren, ebenso erging. Schließlich gab es damals zu wenig Literatur über Boxer und nach den irreführenden Geschichten, die des Öfteren über sie im Umlauf waren, hielt auch ich die Furchtlosigkeit und Kampfbereitschaft dieser liebenswürdigen Hunde anfangs für Aggressivität. Aber ich muss zugeben, dass ich sehr bald eines Besseren belehrt wurde. Denn als alter Hundenarr umgab ich mich schon von frühester Jugend an mit Hunden, die ich über alles liebte, aber keiner von ihnen konnte sich mit dem Max vergleichen, der sie an Liebenswürdigkeit, Mut und Treue zu seinem Herrn bei Weitem übertrifft. Ich möchte damit die Qualitäten anderer Hunderassen keinesfalls in den Schatten stellen, muss aber dazu sagen, dass ich, seitdem ich einen Boxer besitze, abends wesentlich ruhiger einschlafe und Spaziergänge im Dunkeln für mich keine Gefahr mehr bedeuten. Denn so freundlich er sich auch mir und meinen Bekannten gegenüber verhält, gehört er doch abstammungsmäßig einer uralten, zu den Doggen zählenden Kampfhunderasse an und ist für jeden Fremden, der sich mir mit schlechten Absichten nähert, ein durchaus ernst zu nehmender Gegner. Dabei ist es nicht nur sein Mut und Beschützerinstinkt, den ich so sehr an ihm schätze. Es ist die bedingungslose Freundschaft, die er mir entgegenbringt, die weder von Falschheit noch von Hinterlist geprägt ist. Man muss nur in diese großen, klaren Hundeaugen blicken, die einen erstaunt, manchmal fragend oder pfiffig ansehen, schon ist man seinem unwiderstehlichen Charme für immer ausgeliefert. Und diesen besitzt Max zweifelsohne. Denn wenn er es geschafft hat, mich bei meiner Schreibarbeit zu unterbrechen, setzt er meistens alles daran, um meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sein kräftiger, etwas gedrungener Körper hopst dann in freudig tänzelnden Bewegungen um mich herum, während der kurzen, samtweichen Schnauze abwechselnd grunzende, brummende oder schniefende Laute entweichen, die gleichfalls der Bemühung um meine Aufmerksamkeit dienen.
Damit sind seine sprachlichen Ressourcen aber noch lange nicht erschöpft. Reagiere ich nämlich nicht gleich auf seine eigenwillige Zeichensprache, hockt er sich artig vor mich hin und macht eine Schippe. Er rutscht dann ganz dicht an mich heran, hebt seinen hübschen, ausdrucksvollen Kopf, rollt die weiche Oberlippe etwas ein, sodass man ein ganz kleines bisschen von dem starken, kräftigen Gebiss sieht, und schiebt die Unterlippe zu einer Schnute nach oben. Von so viel Charme und Zuneigung überwältigt, muss ich einfach seinen Kopf in meine Hände nehmen, wobei es mir doch einige Mühe bereitet, ihm nicht einfach einen dicken Kuss auf die kleine feuchte Nase zu drücken und ihn danach zärtlich zwischen den Ohren zu kraulen. Wenn er sich in seiner ganzen Größe aufrichtet, seine kräftigen Pfoten auf meine Knie stützt und seinen Kopf sekundenlang auf meiner Schulter ruhen lässt, ist dies für mich mehr als nur ein Beweis seiner unerschütterlichen Treue zu mir. Manchmal ist er dabei abgesehen von dem leisen Schniefen ganz still, und ich werde das Gefühl nicht los, dass wir beide in diesen Momenten das Gleiche denken, nämlich an die armen vierbeinigen Kreaturen, die kein Zuhause haben und die streunend gerade irgendwo auf den Straßen umherirren. Fällt dann rein zufällig mein Blick auf den in Öl gemalten Boxer an der Wand über mir, eines jener bedauernswerten Geschöpfe, dessen Lebensweg von menschlichen Grausamkeiten nicht verschont geblieben war, beginnt meine alte Schreibmaschine wie von selbst zu tippen.
Die Gedanken beginnen zu fließen, und während Max sich schnarchend zu meinen Füßen legt und meine Augen wie magnetisch von dem muskulösen Hund auf dem Bild angezogen werden, befinde ich mich gedanklich bereits in einer ganz anderen Welt, nämlich der des Boxers Trull, die mit ihrer Profitgier, ihrer Kälte und Härte selbst vor den Tieren nicht haltmacht. Und ich hoffe, dass ich mit dem vorliegenden Roman einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass Tierquälerei irgendwann einmal ein Ende finden wird. Nämlich dann, wenn Menschen bereit dazu sind, zu verstehen, dass auch die kleinste Kreatur auf Erden ein Stück ihrer selbst ist, die sie lieben und achten sollten, weil niemand ohne den anderen auf unserem schönen Planeten existieren kann.
Es war im Spätherbst, mitten im November, an einem Tag, an dem das Wetter sich noch im Zweifel befand, ob es sich nun für den Herbst oder bereits für den Winter entscheiden sollte. Sturm und Eisregen wechselten mit Sonnenschein und Gewitter. Die alten, knorrigen Eichen entlang der Straßen bogen sich ächzend unter der Last der entfesselten Naturkräfte. Die letzten Herbstblätter wirbelten durch die Luft, bevor sie sanft auf die spiegelglatte Fahrbahn fielen. An solch einem Tag, an dem man nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen würde und niemand gern freiwillig den wärmenden Herd verließ, kamen die polnischen Gastarbeiter.
Es gab nur eine einzige Straße, die ihr Ziel – eine kleine ländliche Gemeinde im Norden – mit der nahe gelegenen Stadt verband. Alle, die aus irgendeinem Grund dorthin wollten, sei es, um sich von der Enge und dem Mief der Großstadt auf dem Lande an der frischen Luft zu erholen oder um sich beim Bauern in der Ernte ein paar Euro dazuzuverdienen, mussten diese Hauptstraße entlang, ob sie nun direkt von der Stadt oder der Autobahn kamen. Jene kleine bäuerliche Gemeinde, auf die der graue polnische Fiat an diesem ungemütlichen Morgen zusteuerte, lag am Ende eines ausgedehnten Waldgebietes. Dieses war aufgrund seiner wald- und wasserreichen Umgebung mit der klaren, sauberen Luft gleichfalls ein Anziehungspunkt für Touristen und Naturfreunde. Hier herrschte kein Lärm, keine krankmachende Hektik, hier gab es keine stinkenden Müllhalden und keine rauchenden Schornsteine. Stattdessen roch es nach Rindern, frischem Heu und nach Pferden. Vor allem nach Pferden, denn davon gab es in dem kleinen ländlichen Ort mehr als genug. Die wenigen Menschen des Bauerndorfes lebten von den Pferden. Die Tiere bedeuteten für sie Arbeit, Brot und Lebensinhalt. Das Zentrum, um das sich das gesamte dörfliche Geschehen drehte, war der Reiterhof. Er lag friedlich eingebettet zwischen alten Fachwerkhäusern auf einer von saftigen Wiesen umgebenen Anhöhe und war für jeden, der die Straße entlang kam, schon von Weitem zu sehen. Deshalb passierte es manchmal, dass polnische Durchreisende vor den Stallungen anhielten, um Handel zu betreiben oder nach Arbeit zu fragen. Im Sommer in der Erntezeit waren sie sogar eine willkommene Hilfe, da sie für wenig Geld ordentlich arbeiteten. Wenn sie dann nach mehreren Wochen in ihre polnische Heimat zurückfuhren, konnten sie sich mit dem verdienten Geld eine bescheidene Existenz aufbauen. Aber es gab auch welche unter ihnen, die die grenznahe Lage des Dorfes ausnutzten, um durch ungesetzlichen Handel schneller zu dem begehrten Geld zu kommen.
Solch einer nun – er nannte sich Jaroslaw - steuerte sein Fahrzeug zielstrebig auf eines der Ziegelgebäude zu, an dessen Ende eine junge Frau wartend vor einem Holzzaun stand, der irgendwann einmal grün gestrichen worden war und inzwischen an mehreren Stellen abblätterte. Die Frau hob die behandschuhte Rechte, als sie den Fiat bemerkte. Jaroslaw lenkte seinen Wagen bis dicht an die Winkende heran und brachte das Fahrzeug vor einer riesigen Pfütze zum Stehen.
Melissa Kronberg, eine junge Frau in den Dreißigern, erwartete den Polen bereits sehnsüchtig. Sie war weder schön, noch war sie hässlich, weil sie den ganzen Tag in Männerkleidung umherlief. Auch an diesem Morgen stand sie in hohen Schaftstiefeln, abgewetzten Reithosen und einem weiten Regenumhang aus Gummi vor ihrer Gartentür. Die langen blonden Haare hatte sie unter einer viel zu großen Schirmmütze versteckt. Von ihrer Weiblichkeit war außer den grünen Augen, die in dem verfrorenen Gesicht fast grotesk wirkten, nicht viel zu erkennen. Sie lebte hier in Gesellschaft von fünfzig Pferden und einer Dackelhündin, gemeinsam mit ihrem Mann Karl in einem zu einer kleinen Wohnung ausgebauten Pferdestall gleich neben der Reithalle.
Melissas Leben war nicht leicht verlaufen, seitdem sie vor zehn Jahren den oberflächlichen Bauernsohn Karl Kronbach geheiratet hatte, mit dem sie sich später in dieser einsamen, aber reizvollen Gegend niederließ, um sich eine Existenz aufzubauen. Da sie beide Pferde liebten, pachteten sie gemeinsam einen Reiterhof und verhalfen ihm in den zehn Jahren ihres Schaffens zu einem guten Namen. Denn Melissa, in geschäftlichen Dingen äußerst geschickt, hatte alsbald die Leitung des Hofes übernommen. Während sie die zahlreichen, noch nicht sattelfesten jungen Reiter in die schwierige Kunst des Reitens einwies, wirtschaftete ihr Mann Karl mit viel handwerklichem Geschick in den Ställen. Ganz nebenbei kam er dabei als Springreiter zu reiterlichen Erfolgen. Aber wie das Schicksal so spielt, machte das Unglück auch vor ihrer Tür nicht halt. Eines Tages stürzte Karl beim Springtraining. Das Pferd verletzte Karls rechtes Bein so schwer, dass er es um ein Haar verlor. Doch die Kunst der Wissenschaft machte das Unmögliche möglich. Die Ärzte flickten ihm die Knochen wieder zusammen, aber mit dem Reiten war es von diesem Augenblick an vorbei. Seitdem hinkte er leicht und verrichtete nur noch die Stallarbeit. So kam irgendwann der Tag, an dem ihm diese eintönige Arbeit über den Kopf wuchs. Die Pferde, die er einst geliebt hatte, wurden ihm verhasst, und er begann mit dem Schicksal zu hadern. Er gab Melissa die Schuld für seine viel zu früh beendete Reiterkarriere und suchte Vergessen im Alkohol. Immer öfters sah man ihn in den Kneipen, umgeben von Männern mit einer dicken Brieftasche. Diese gut betuchten Möchtegernmachos fühlten sich auf Rennbahnen und Tierauktionen genauso zu Hause wie in zwielichtigen Bars und Nachtklubs. Karl fühlte sich unter ihnen heimischer als bei Melissa auf dem Reiterhof und entwickelte mit der Zeit Eigenschaften, die Melissa zutiefst verunsicherten. Es war, als verändere sich sein Wesen von Grund auf. Herzlosigkeit und Selbstsucht triumphierten über dem wenigen Guten in ihm und begannen seinen Charakter in erschreckender Weise zu verändern.
Karl pfiff auf Melissa und das, was sie sich gemeinsam geschaffen hatten. Lieber identifizierte er sich mit seinen gut gekleideten Freunden, die immer nach der neuesten Mode frisiert waren und sich gern mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den glatt rasierten Gesichtern präsentierten. Um ihnen zu gefallen, prahlte er mit Dingen, die er nie erreicht hatte, mit denen er sich aber gern schmückte. So wurde er schnell, ohne es zu bemerken zur leichten Beute für ihre dunklen Geschäfte. Der Pferdehandel blühte und Karl mit seinen guten Verbindungen zu Züchtern und Händlern war genau der richtige Mann für sie.
Melissa bemerkte zwar die Veränderungen, die mit Karl vor sich gingen, sie ahnte aber noch nichts von dessen krimineller Ader. In so mancher einsam durchwachten Nacht entsann sie sich der vergeblichen Warnungen ihrer Familie vor dieser unseligen Verbindung und eine nie gekannte Angst bemächtigte sich ihr. Denn Karl kümmerte sich um nichts mehr, weder im Haus noch auf dem Hof. Immer öfter kam er erst im Morgengrauen betrunken nach Hause und schlief bis zum Mittag seinen Rausch aus. Eine Bombe hätte ihm in solchen Momenten nichts anhaben können. Er wachte einfach nicht auf. So blieb ihr nichts anderes übrig, als die Arbeit auf dem Hof und im Haus allein nur mithilfe der polnischen Arbeiter zu verrichten. Dabei geschah es, dass ihr runder Körper mit der Zeit immer magerer und sie nachts immer öfter von Albträumen geplagt wurde. Manchmal wachte sie schweißgebadet auf und sah sich bettelnd und krank, ohne Heim bei Eis und Kälte durch leere Straßen irren. In solchen Augenblicken kam sie sich allein und verlassen vor und sie dachte darüber nach, wie es wohl gekommen wäre, hätten sie ein Kind gehabt. Aber da sie beide zu der Sorte Menschen gehörten, die dem Irrtum unterlagen, das Glück nur auf dem Rücken der Pferde zu finden, gehörte ein Kind nicht in ihre Zukunftsplanung. Ein Kind hätte ein Heim gebraucht, Wärme und Geborgenheit. Sie aber folgten ihrer Bestimmung, Pferde zu reiten, zu züchten und zu pflegen, eine Aufgabe, die ihre ganze Hingabe erforderte.
Ihre Ehe war für Melissa längst zur Hölle geworden. Denn Karl war gerade dabei, den Hof und ihr Leben zugrunde zu richten. Die Liebe, die es einmal zwischen ihnen gegeben hatte, war längst am Biertisch zerbrochen und begann nun in Hass und Gleichgültigkeit umzuschlagen. Nur die gemeinsame Furcht vor einem Leben allein, ohne den anderen in dieser kalten, erbarmungslosen Welt ließ diese beiden so unterschiedlichen Menschen zusammen ausharren.
Eines Tages nun, als Karl nüchtern war, was hin und wieder vorkam, überraschte er sie damit, dass er sich einen Hund zulegen wolle. Melissa reagierte nicht sonderlich darauf. Zu gut kannte sie ihren Karl. Was sollte er auch mit einem Hund anfangen, er, der die Verantwortungslosigkeit in Person war. Sie war fest davon überzeugt, dass diese neue Idee wie so vieles andere im Sande verlaufen würde. Umso erstaunter war sie, als Jaroslaw aus dem Wagen ausstieg und mit einem Pappkarton geheimnisvoll lächelnd auf sie zukam. Er ging des Sturmes wegen leicht gebückt und überreichte ihr das Behältnis mit den Worten: „Große Überraschung. Frau werden staunen!“
Melissa nahm ihm höflich die Kiste ab und wünschte ihm, obwohl sie ihn nicht sonderlich mochte, einen guten Morgen. Während sie ihn fragte, ob er eine gute Fahrt gehabt hätte, bat sie ihn ins Haus. Sie liefen beide durch den Garten auf einen terrassenförmigen Anbau zu, in dem sich unzählige Schuhe und Stiefel türmten.
In der Küche stellte Melissa den Karton auf einem Eichentisch ab und wandte sich mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht erneut Jaroslaw zu. Der Pole, der sich einmal kräftig schüttelte, bevor er die weite Kapuze seines Regenmantels abnahm, schmunzelte erneut geheimnisvoll und begann vorsichtig den Karton zu öffnen. Dieser war nicht verschnürt, sondern mit einem durchlöcherten Deckel verschlossen. Als er die Abdeckung entfernte, kam ein kleiner, winziger Hund zum Vorschein. Er saß artig auf einem wollenen Tuch und blickte erstaunt aus großen, dunklen Augen zu Melissa hoch. Ein kleiner Teufel mit einem tiefschwarzen, faltigen Gesicht, an dem links und rechts traurig zwei kleine, braune Ohren herabhingen.
„Was ist denn das für ein komischer Kauz?“, fragte Melissa belustigt den Polen und trat einen Schritt zurück, um den seltsamen Inhalt genauer betrachten zu können. In diesem Augenblick, noch bevor Jaroslaw zu einer Erklärung ansetzen konnte, erschien Karl geräuschvoll in der Tür, eingebettet in eine Wolke aus Alkohol und Zigarettendunst. Er schwankte leicht und zögerte einen Moment, um die Situation im Raum richtig zu erfassen. Dann stürzte er sich auf den verdutzten Polen und zog ihn anstelle einer Begrüßung an seine Brust. „Polanski, mein Freund!“, rief er in überschwänglichem Eifer, „wo warst du denn solange? Wir haben dich schon vermisst!“ Er presste den kleineren Jaroslaw an sich, bis diesem sprichwörtlich die Luft ausging. Als sein Blick dabei zufällig auf die Kiste fiel, kannte seine Freude keine Grenzen mehr. Er ergriff den Hund im Genick und hielt ihn in Augenhöhe weit von sich, während er ihn bestaunte.
„Es ist ein Boxer“, gab der Pole stolz seine Erklärung ab, und Karl bejahte es fachmännisch. Der Welpe erschrak und pinkelte ihm mitten ins Gesicht. Melissa war vor Schreck wie versteinert. Doch Karl amüsierte sich wider Erwarten über die Angst des Kleinen und lachte, bis der Kleine aufgeregt zu schniefen begann und ihm die kleinen spitzen Zähne zeigte. Zur Strafe wurde er wieder in die Schachtel gesteckt und Karl fragte Melissa, die der Szene mit gemischten Gefühlen gefolgt war: „Hat er schon gesagt, was er dafür haben will?“ Zu dem Polen gewandt sagte er die Finger zum besseren Verständnis zu Hilfe nehmend: „Wie viel?“ Doch Jaroslaw wollte ihn nicht verstehen, und so fügte Karl energischer hinzu: „Na, was kostet der Köter?“
Spätestens jetzt kehrte das verschmitzte Lachen in das runde Gesicht zurück und der Pole entgegnete freudig: „Oh, Jaroslaw verstehen. Hund fast geschenkt. Karl haben beim letzten Mal gesagt, wollen guten, starken Hund, aber billig. Jaroslaw haben guten und starken Hund besorgt. In Polen Hund billig, nur vierhundert Euro.“
„Für vierhundert muss das Tier aber von einem Züchter sein und Papiere besitzen“, mischte sich Melissa in das Gespräch ein.
Doch Jaroslaw schüttelte den blonden Schopf. „Habe nur das hier“, worauf er ein weißes, zerknittertes, mehrmals gefaltetes Stück Papier aus seiner Hosentasche zog. Es war die unleserliche Bescheinigung irgendeines polnischen Tierarztes.
Empört entgegnete Melissa: „Was sollen wir denn damit?“, und reichte es zweifelnd an Karl weiter, der umständlich in den Taschen seiner Lederjacke nach dem Portemonnaie suchte. Für ihn war nur der Preis ausschlaggebend. Ein deutscher Boxer war teuer, viel zu teuer für ihn, um sich einen solchen Hund auf normalem Wege zu besorgen. Als er die Geldbörse endlich gefunden hatte, nahm Melissa sie an sich und beharrte nun energisch auf die Herkunft des Boxers. Am Ende behauptete sie sogar, der Hund sei gestohlen.
Damit hatte sie Jaroslaw empfindlich in seiner Ehre getroffen. Das Gesicht des Polen verfärbte sich, er setzte eine empörte Miene auf und meinte händeringend: „Pole nicht Hund gestohlen. Haben Hund von Züchter rechtmäßig auf Tiermarkt erworben. Jaroslaw mit Wort dafür bürgen. Das sogar besonderer Hund. Echt russischer Boxer. Vater Champion auf Ausstellung und großer Kämpfer mit viel Herz.“
Das Letztere war genau das, was Karl hören wollte. Er holte flugs aus dem Wandschrank drei Gläser nebst einer Flasche Weinbrand, goss etwas von der süßlich braunen Flüssigkeit in die Gläser, klopfte Jaroslaw beruhigend auf die Schulter und meinte: „Mein Freund, ich weiß doch, dass du keine Hunde stiehlst. War doch nur ein Scherz von Melissa. Weiber sind nun mal so. Ich freue mich über das Tier und darüber, dass du an mich gedacht hast. Deshalb trinken wir jetzt auch einen darauf.“
Einen Augenblick später prosteten sie sich zu, während der Welpe verschüchtert in seiner Kiste hockte und abwechselnd von einem zum anderen blickte. Angelockt von seinem ängstlichen Schniefen erschien auf der Schwelle des Wohnzimmers eine kleine langhaarige Dackelhündin. Neugierig trippelte sie näher, umkreiste Melissa schwanzwedelnd, bevor sie sich mit ihren kurzen Pfötchen auf dem Stuhl abstützte und aufgeregt am Karton zu schnüffeln begann. Melissa, von der Szene gerührt, setzte die Kiste mit dem Boxer auf den Küchenfußboden ab. Sie kannte ihre Cori und wusste, dass sie den Kleinen freundlich aufnehmen würde. Die Hündin begann auch sofort mit dem Boxer zu spielen. Doch sie war zu groß für das winzige Kerlchen und überrannte ihn mit voller Kraft, sodass er aus der Kiste purzelte und ängstlich fiepend hinter Melissas Füßen Schutz suchte. Die beiden mit dem Alkohol beschäftigten Männer schienen den Boxer vergessen zu haben. Sie leerten lautstark ein Glas nach dem anderen und Karl, einer alten Gewohnheit zufolge, besorgte rasch eine zweite Flasche.
Indessen brachte Melissa den verängstigten Hund vor Cori auf ihrem Arm in Sicherheit. Sie hatte noch nie einen Boxerwelpen gesehen und begann ihn, während sie der Unterhaltung der beiden Männer leicht angewidert folgte, genauer in Augenschein zu nehmen. Er war eigentlich ein ganz gewöhnlicher kleiner Boxerhund. Abgesehen von den dunklen, glänzenden Augen, die neugierig jede ihrer Bewegungen verfolgten und viel Ähnlichkeit mit großen, sprechenden Kinderaugen hatten, stellte sie nichts Besonderes an ihm fest. Der Boxerwelpe hatte einen runden, breiten Kopf mit einer kurzen, kräftigen Schnauze, die durch die von der Stirn über das Maul verlaufenden Falten einer Ziehharmonika glich. Sein kurzes, gelbes, von dunklen Strichen durchzogenes Fell fühlte sich samtig weich an, und auf der breit angesetzten Brust prangte ein kleiner weißer Fleck. Anstelle der Rute saß ein kurzer Stummelschwanz und die dicken, tollpatschigen Pfoten waren die gleichen wie bei allen Welpen. Ein Kenner dieser Rasse allerdings hätte an einigen Feinheiten schnell den Hund von hohem Adel und außergewöhnlicher Schönheit erkannt.
Melissas Blick blieb wieder an Karl hängen, dem die langen rotblonden Haare ins verschwitzte Gesicht hingen und dessen Augen vom Alkoholgenuss zu schielen begannen. Leise zweifelnd fragte sie sich, was dieser Mann, der am frühen Vormittag schon auf den Beinen wankte, wohl mit einem Hund wie diesem wollte. Auch sie hatte des Öfteren schon mit dem Gedanken gespielt, sich einen vierbeinigen Wächter für das einsam gelegene Gehöft anzuschaffen. Doch bisher blieb neben ihren Pferden zu wenig Zeit für andere Dinge. So ein Tier brauchte ihrer Meinung nach wenigstens ebenso viel Aufmerksamkeit und Zuwendung wie ein Kind. Ein Hund bedeutete Verantwortung für sie, und genau das konnte Karl ihm nicht geben. So wie sie Karl kannte, würde er über kurz oder lang die Betreuung des Boxers ihr überlassen. Bei einer Weigerung ihrerseits würde der Welpe entweder auf der Straße landen oder, wenn er viel Glück hatte im Tierheim. Sie entsann sich an eine Zeit, als Karl schon einmal einen Hund ins Haus gebracht hatte. Es war ein Mischling, den er eines Abends ausgehungert und verschüchtert in einer Ecke im Pferdestall gefunden hatte. Eine kurze Zeit wurde er von ihnen beiden liebevoll umsorgt und bemuttert. Doch als Karl bemerkte, dass der Hund sich Melissa anschloss, wollte er ihn wieder loswerden und überzeugte sie davon, dass es sich doch nur um eine alte kranke Hündin handle, die man nicht leiden lassen dürfe und die deshalb getötet werden müsse. Eines Morgens dann nahm Karl die widerstrebende Hündin mit auf die Jagd und verschloss sie im Kofferraum seines Autos. Melissa sah sie nie wieder. Erst viel später erfuhr sie von Freunden, dass Karl den kleinen Hund im Wald an einen Baum gebunden und erschossen hatte. Sie hatte das Tier geliebt und nie den Eindruck gewonnen, dass das muntere Hündchen alt und schwach gewesen wäre, aber sie hatte Karl gegenüber auch keine Einwände vorgebracht und ihren sinnlosen Tod zugelassen. Nun machte sie sich deswegen seit Jahren Vorwürfe und scheute sich deshalb vor der Verantwortung, wieder einen Hund zu übernehmen. Das Klirren von Glas brachte Melissa in die Wirklichkeit zurück.
Karl hatte mit Jaroslaw die Flasche geleert und sie in den Abfalleimer geworfen. Nun drückte er dem sich wortreich verabschiedenden Polen das Geld in die Hand und tätschelte ihm zum Abschied die Wange. „Das werde ich dir nie vergessen, mein Freund“, hörte Melissa ihn angetrunken säuseln, während Jaroslaw vor der Tür rasch den Motor startete. Der Pole schien sehr zufrieden über das abgeschlossene Geschäft, bei dem er dreihundert Euro gut gemacht hatte. Verschmitzt lächelte er in sich hinein, als er mit heulendem Motor vom Hof rauschte.
Eduard schüttelte den grauen Kopf und beugte sich tiefer über den winzigen Körper, der im Neonlicht auf dem glatten, schalenförmigen Blechtisch ausgestreckt vor ihm lag. Dass es wieder einmal Nacht war, wo seine Hilfe benötigt wurde, verärgerte ihn leicht. Auch ein Tierarzt brauchte seinen Schlaf, schließlich war sein Tag anstrengend gewesen, und wo, wenn nicht im Schlaf, ließen sich die verbrauchten Kräfte wieder auftanken? Für Melissa hatte er sich durchgerungen und den Hörer nicht aufgelegt. Er kannte sie schon seit zehn Jahren, als sie damals mit ihrem ersten kranken Pferd zu ihm gekommen war und vermochte ihr seitdem keinen Wunsch mehr abzuschlagen. Jetzt stand sie an der kahlen weißen Wand neben dem Glasschränkchen mit den Pülverchen und Mixturen und kaute nervös auf einem Taschentuch. Ein Seitenblick bestätigte ihm, was er schon wusste. Seit ihrem letzten Besuch war sie noch magerer und noch um einen Schein blasser geworden. Das grelle Licht des kleinen Behandlungszimmers hob ihre eckigen Konturen noch schärfer hervor. Sie hielt den Blick gesenkt und schien nachzudenken. Feuchte Schlieren auf ihrem Gesicht verrieten, dass sie geweint hatte.
Während er den kleinen Boxer mit der bereits bläulich verfärbten Zunge mit einem Stethoskop untersuchte und behutsam das zitternde, heiße Bäuchlein befühlte, stellte er sich Melissa mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht vor. Denn so hatte er sie noch in Erinnerung, als er ihr das erste Mal begegnet war. Eine hübsche junge Frau mit einem gewinnenden Lächeln und einem Blick in grüne Augen, dem ein Mann so leicht nicht widerstehen konnte. Sie sprühte damals förmlich vor Energie, und alle im Ort waren der Meinung, mit dieser Frau einen Gewinn gemacht zu haben. Mit dem Welpen hatte sie Glück, dass er zusätzlich eine Kleintierpraxis betrieb. Er hatte sich nach dem Studium auf Großtiere in der Landwirtschaft spezialisiert. Dass vorwiegend Pferde einmal das Geschäft seines Lebens sein würden, davon hätte er früher nicht zu träumen gewagt, ebenso wenig, dass sich zwischen ihm und Melissa einmal eine tiefe Freundschaft entwickelte. Nach zehn Jahren Praxis in ihrer Nachbarschaft führte er heute eine kleine, aber gut gehende Klinik mit Gehilfen und weiteren Tierärzten. Anfangs bereiteten ihm die verschiedenen Krankheiten der Pferde Kopfzerbrechen, die sehr oft denen ihrer Besitzer ähnelten. Irgendwann gewöhnte er sich aber daran, neben Koliken und Lahmheit auch psychische Störungen wie Koppen, Weben oder Husten und Fettsucht zu behandeln. Durch Melissa war er im Ort zu einem beliebten Tierarzt aufgestiegen. Ihr hatte er viel zu verdanken. Deshalb machte er sich auch ernsthaft Sorgen um sie. Denn er mochte die hilfsbereite und bei jedem beliebte Melissa, und das nicht nur als Geschäftspartnerin. Er war Junggeselle, seine Arbeit hatte es ihm bisher nicht erlaubt, eine Partnerschaft einzugehen, da er für die Vierbeiner Tag und Nacht präsent sein musste. Zudem fehlte ihm hier auf dem Land die Gelegenheit, eine Frau fürs Leben zu finden. Dennoch hatte er sich in Melissa verliebt. Irgendwann war es einfach passiert und sie ahnte nicht einmal etwas davon. Nun musste er seine Gefühle vor ihr verbergen, was ihm heute Nacht besonders schwerfiel. Schließlich war sie eine verheiratete Frau und ausgerechnet mit einem der schlimmsten Trinker aus dem Ort liiert. Allein der Gedanke daran schmerzte höllisch. Am liebsten hätte er sich den Kerl zur Brust genommen. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, was Karl so hinter ihrem Rücken trieb, obwohl es die Spatzen von den Dächern pfiffen.
Zu gern hätte er sie in seine Arme genommen und ihr die Geborgenheit gegeben, die sie so dringend brauchte. Aber er wusste nicht, wie er es anstellen sollte. In der letzten Zeit war kaum noch ein Herankommen an sie. Sie igelte sich ein mit ihrem Schmerz und alles war Karls Schuld. Schon damals hätte sie sich von ihm trennen sollen, damals, als das Unglück passierte, als er gerufen wurde, um Achill zu erschießen. Eigentlich war ihm der Möchtegernmacho schon immer suspekt gewesen. Einer, der einem beim Sprechen nicht in die Augen sah, hatte etwas zu verbergen. Im nüchternen Zustand sprach Karl wenig. Das lag an seiner fehlenden Intelligenz. Karl brüllte lieber. Doch wenn der Alkohol ihm die Zunge löste, dann redete er wie ein Wasserfall und meistens von sich. Dann hörte man von ihm, was er für enorme Kräfte besaß, wie gut er reiten konnte, dass ihm alles zu Füßen läge und er alles erreichen könnte, wenn er nur wollte. Karl war ein Aufschneider. Gott sei Dank beeindruckte sein Größenwahn nur seinesgleichen. Allerdings verfolgte Eduard mit wachsender Besorgnis Karls zunehmende Brutalität Tieren gegenüber. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er Karl schon längst die Verantwortung für die Tiere entzogen. Wie oft war es vorgekommen, dass er als Tierarzt gerufen wurde, wenn Karl wieder eins seiner Springpferde gezüchtigt hatte. Karl hatte es als erfolgreicher Springreiter weit gebracht, das musste er ihm zugestehen. Auch er selbst hatte sich schon im Springreiten versucht, aber eben nur hobbymäßig, nicht für Geld und nicht so aussichtsreich wie Melissas Mann. Dafür waren seine Ausbildungsmethoden humaner. Verweigerten seine Pferde das Springen, grübelte er über die Ursachen nach. Karl dagegen fand Peitsche und Knüppel angebrachter. Fingerdicke Platzwunden und geschwollene Augen waren die Folgen. Achill, der als Sportpferd zu alt geworden war und die Leistung nicht mehr brachte, schlug Karl solange mit dicken Holzstangen gegen die empfindlichen Vorderbeine, bis das Pferd sich vor Schmerzen zu Tode stürzte. Dieser Pferdeschinder hätte sich das Genick brechen müssen, nicht das Pferd, fand Eduard, während er vorsichtig eine Spritze aufzog und Melissa leise aufforderte: „Ich werde ihm jetzt Blut abnehmen, kannst du den Hund festhalten?“
Melissa schrak aus ihren Grübeleien hoch und folgte rasch seiner Aufforderung. Sie erschien ihm unkonzentriert und nervös. Unter seinem prüfenden Blick umschloss sie den winzigen Körper sanft mit den Händen und sprach beruhigend auf den Boxer ein.
Eduard band ihm mit einem Gummischlauch die Pfote ab, um das Blut in der nur schwer sichtbaren Ader zu stauen. „Er ist sehr klein“, meinte er, vorsichtig die Spritze ansetzend. „Woher hast du ihn?“
„Er gehört nicht mir“, antwortete Melissa.
Der kritische Blick aus seinen grauen Augen hinter der goldenen Brille signalisierte, dass er längst erraten hatte, wessen Hund er gerade behandelte.
„Seine Chancen stehen schlecht“, stellte er kopfschüttelnd fest. „Er ist einfach zu jung. Das arme Geschöpf zählt höchstens sechs Wochen. Stimmt doch ...?“, fragte er, ohne aufzublicken und Melissa nickte, während er das Blut aus der Spritze in ein Reagenzglas füllte. „Ich kann ihm Blut abnehmen, ihn röntgen, im Notfall auch operieren. Aber was nützt uns das, wenn er zu schwach ist, nicht stark genug, um das alles durchzustehen.“
„Was hat er denn?“, fragte Melissa nun besorgt. „So ein Durchfall wird doch nicht gleich tödlich sein.“
In diesem Falle ja“, erklärte Eduard ihr mit ernster Miene. „Es ist Staupe. Diese gefährliche Krankheit steht schon ein normaler Welpe nicht durch, geschweige denn einer mit sechs Wochen.” Ohne ihre Antwort abzuwarten, lief er den Blechtisch mit dem Welpen vor sich herschiebend, durch die angrenzende Glastür zum Röntgengerät. „Binde dir die Schürze um“, forderte er sie im Laufen auf und griff nach der Bleischürze an der Wand. Die Schürze sollte ihr Schutz vor den Röntgenstrahlen geben. „Ich werde ihn jetzt röntgen.“
Der Welpe lag bewegungslos und schwer atmend unter dem Gerät, als sich Eduard in den angrenzenden Nebenraum begab, von wo aus er Melissa beruhigend zunickte, bevor er die Knöpfe am Schaltpult betätigte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er zurückkam und die Schürze wieder abnahm: „Wir müssen uns einen Moment gedulden, die Aufnahme braucht etwas Zeit“, erklärte er und wies sie an, mit dem Boxer auf dem Stuhl vor der Tür zu warten.
Währenddessen hörte Melissa ihn nebenan reden: „Solche Fälle häufen sich in der letzten Zeit. Es werden immer mehr Hunde illegal eingeführt. Sie sind billiger und kommen aus Vermehrungszuchten. Sie haben oft einen langen schrecklichen Transport hinter sich.“