Uferläufe - Michael Hirle - E-Book

Uferläufe E-Book

Michael Hirle

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Beschreibung

Ein Buch über Fluchten, die Großen und die Kleinen und über's Ankommen, Bleiben und Weiterziehen

Das E-Book Uferläufe wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Liebe, Natur, Spiritualität, Stadt, Neuanfang

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Allen Fluchtbeladenen

Was es diesmal zu erfühlen gibt:

1. Unverdautes Glück - Prosa

2. Wolkenflößler

3. Staffellauf

4. Im Frühling

5. Wenn ein Wind

6. Fahrradschieben

7. Wilde Bienen

8. Torlauf

9. Lichtreife

10. Ebenherzig

11. Schwere Vögel - Prosa

12. Der Träume Anfang

13. Erklär‘s mir nicht

14. Golden

15. Wenn da Wind...

16. Abschied werden

17. Insel werden

18. Beobachter

19. Anteilnahme

20. Rehgefühle - Prosa

21. Wärmer als Schnee

22. Rückseiten unerlöst

23. Streunen

24. Morgenaugen

25. Liturgie

26. Vermählung

27. Scherbenernte

28. Death-Metal statt Disco - Prosa

29. Fürchten lehren

30. Unten

31. Gewitterschwimmen

32. Rückwärts tanzen

33. Geisterstunden

34. Ebbezeit

35. Wundschaukeln

36. Vorabendwunder

37. Möglichkeiten

38. Scherben ordnen

39. Er liebt Rot

40. Zuweilen engmaschig

41. Zimmerpflanzen

42. Schlafwandeln

43. Nachtaugen

44. Stege

45. Fremdes Auge

46. Geheimnis

47. Das alte Kleid - Prosa

48. Im September

49. Quellen

50. Sterne steigern

51. Schwäne im Regen

52. Hunger

53. Mitten

54. Reihenfolgen

55. Erste Sterne

56. Ablöse

57. Reste - Prosa

58. Schlüssel frei

59. Weiterfahrt

60. In den Feldern noch Wind

61. Brücken

62. Begegnung

63. Enden

64. Raum

65. Ins Leise

66. Farben

67. Endlichkeit

68. Ernst und Gabe

69. Riemengang

70. Das Kreisen um den Zylinder

71. Verstehen

72. Ein einzig‘ Feuer

73. Meisterlich

74. Kein Winter

75. Birnen und Eselsohren

76. In zwei Stunden Rom

77. Erstes

78. Herbstsonne

79. Golden

80. Neben mir, Frühling

81. Wiedersehen

82. Wanderabschied

83. Bruchstelle

84. Schacht und Anker

85. Kopie

86. Datteln und Bier

87. Den Wanderstab schälen

88. Rote Ameisen

89. Schlagseite

90. Verzeihende Sommer

91. Ewigkeiten

92. Herbstwaisen

93. Verwundete Stille

94. Mit leeren Taschen

95. Frischwäsche

96. Nachgewittervögel

97. Laufen lernen

98. An Sonnentagen

99. Dunkles Papier

100. Wunder

101. Grüne Paprika

102. Mauersteinehen

103. Sonnen in Zellophan

104. Alle Welt

105. Ränder

106. Herzschnitzen

107. Feuerstellen

108. Rückkehr

109. In 20 Minuten

110. Warten

111. Ein Abend

112. Schwalben kreisen unruhig

113. Papierflieger

114. Rohbau

115. Windmühlenflügel

116. Morgen

117. Nochmals Schwäne

118. Bruchstellen

119. Stubengesänge

120. Winter im Juli

121. Glas

122. Bunt

123. Ankunft

124. Momente

125. Gipfelwelten

126. Nachtgeburten

127. Fessel

128. Schneckenpfade

129. An anderen Sommern

130. Schleier - Prosa

131. Friedhof

132. Ungeteilte Himmel

133. Strandgeflüster

134. Weitergehen

135. Auf den Bäumen stets dasselbe Lied

136. Anders

137. Zerbrechliche Saaten

138. Nicht mehr dort

139. Mit dem Schnee fallen

140. Traumes Licht

141. Nachtbeichte

142. Schokoladenmünder

143. Weißes Porzellan

144. Uferläufe

145. Ernte

146. Landgang

147. Unsichtbares

148. Im Baume

149. Stundenglasklänge

150. Wagnis

151. Versal

152. Herbsteinsamkeit

153. Höhenangst

154. Mondgezogen

155. Wehrlos

156. Am Vortag

157. Unter Gläsern

158. Kummerschläge

159. Anvertrautes

160. Ich kühle meine Stiche

161. Lange Winter

162. Faser

163. Passage Übergang

164. Vor den Türen, Neugier

165. Erste Tage, schwer

166. Eden, später

167. Asphaltnadel

168. Schwalbenfeier

169. Hölzerne Kerzen

170. Nachtlied

171. Junge Katzen

172. Weidengruß

173. Begraben

174. Sommerrost

175. Steine wenden

176. Nächtliches

177. Brücke

178. Nachtbeichte

179. Wunde Stellen

180. Frühstück im Dunkeln

181. Türme

182. Nachtgeboren

183. Druckstellen

184. Zeit

185. Angelehntes

186. Schwäne sind‘s nicht

187. Kleines Schlösschen

188. Stürme haben sich heut‘ verirrt

189. Degentage

190. Spiegeltauchen

191. Herzwölben

192. Ähnlich, anders

193. Schwimmen

194. Stühle

195. Herbstschaun

196. Malkasten

197. Mögliche Höhen

198. Pferd im Schatten

199. Morgengewitter

200. Bevorzugt Rosensträucher

201. Am Rande des Vergessens

202. Das erschöpfte Ich

203. Geflochten zu einem Kranze

204. Waldgeister

205. Schmetterlinge im Winter

206. Zwischenwelten

207. Gelehnt an meinem Atem

1. Unverdautes Glück (2023)

Ein loser Pflasterstein lässt mich stolpern,

die Mauer die mich fängt, haltlos, bartlos,

zu jung, für etwas Haltung,

und doch, eine Mauer, die hält, mich hält.

Ich stürze, nicht schwer, sanft,

doch es reicht für etwas Blut.

Die Kälte und einige Kiesel drücken es sofort zurück

in seine Wunde, ein Kratzer nur,

aber er genügt, um mich zu spüren.

Ich wasche ihn im Schnee,

der noch andere Wunden bedeckt.

Der Winter ist noch nicht auskuriert,

er gräbt sich nicht nur in das,

was an seiner Brust liegt, sondern auch in das,

was sich verhüllt in seine Mitte wagt.

Die Fenster sind beschlagen, ein weiterer Vorhang

vor all den anderen Blumen mit

gesenkten Köpfen, die hinaus in die Kälte starren;

Kitsch, der – verbannt an die Fensterkante – keinen

Schritt mehr wagt, ausser man entdeckt ihn,

dann entlockt er den Betrachtenden ein Lächeln.

Mein Buch, das ich gerade noch in den Händen hielt,

liegt jetzt geöffnet auf dem Boden,

die Seiten in die Höh’ gestreckt, wie ein Käfer,

der umgedreht mit dem Himmel ringt.

Das Lesezeichen ist aus seiner warmen Welt geglitten,

es dauert wohl, bis es seinen vertrauten Platz erneut

findet, vielleicht leg ich es dann auch beiseite.

Die Sätze, die mir Freude bereiteten,

wirken beim zweiten Male oftmals kraftlos und leer.

Und während ich die Seiten meines Buches inspiziere,

mich orientiere an Eselsohren,

stolpere ich erneut.

Zwei Füße abgelegt auf einem Stück Karton.

Ein wollener Mantel bis über die Knie gezogen,

ein Gebirge aus abgetragenem Stoff.

An die Mauer gelehnt,

ein in einen Schal gewickelten Kopf.

Der Schal, ein Verband für eine grosse Wunde.

Keine Augen, kein Mund, aber ein Rasseln,

das sich durch die Luft schlängelt

und hinter dem Gebirge hervorwinkt.

Ich entschuldige mich. Vielleicht zu leise,

vielleicht zu..., ich wühle in meinen Taschen,

ein paar Münzen gegen mein schlechtes Gewissen.

Ich werfe sie in den leeren Kaffeebecher,

der zwischen den Beinen klemmt,

die Münzen klingen dumpf,

als fielen sie in einen leeren Brunnen.

Ich gehe schnell weiter, ohne mich umzudrehen,

will keine Reaktion, kein Gespräch,

schon gar keinen Dank.

Als ich das Tempo wieder zügle,

berührt jemand meine Schulter.

„Ihr Buch?“ Der Verband, von dem Gesicht gerutscht.

Eine Frau, vielleicht jünger, vielleicht älter als ich.

Ihr fehlen ein paar Zähne doch ihre Augen leuchten,

sind wach wie die einer Katze. „Ihr Buch?“

„Äh, ja. Aber Sie können es gerne behalten,

ich bin damit durch.“

„Sie sollten es zu Ende lesen, es ist wirklich gut,

vor allem das Ende.“

„Ich weiss...“ Sie hält es mir entgegen,

unser beider Blicke sind auf das Lesezeichen gerichtet,

das nicht lügt.

Sie merkt, wie ich mich winde, um Ausflüchte ringe,

ich möchte es eigentlich nicht nehmen.

Ihre Hände – und meine?

Blutig, mit Kiesgesichtern,

die nicht lächeln sondern grimmig verzogen sind.

„Vielleicht wollen Sie es mir erzählen,

das Ende,

bei einer Tasse Kaffee und etwas Gebäck?“

2. Wolkenflößer

Noch ist‘s nicht Abend

und der Frühling unter Schnee begraben,

alle Farb‘ noch Knospenleise,

mir ist‘s als lebt‘ ich auf selbe Weise,

in meine Flügel eingebunden.

Ein Strick am Herze vorbeigeführt,

ganz nah,

es schlagen lässt nur halb,

nur der Blick in den Himmel,

wo alles sein könnt‘,

lässt mich steigen auf ein Floß,

das alle Berg‘ überwindt‘.

An Zweigen schon die Dringlichkeit,

es dem Sommer aufzutun,

Federkleider wölben sich,

um durch die Still‘ zu brechen,

lauter noch als an silberfarbenen Nächten,

der Morgen,

der mit dem selben Floße fährt,

alle Hoffnung mit hinaufgenommen,

ein Ruder, das sich gegen Fluten wehrt,

die den Traum erkranken,

der mich in meinem eng geschnürten Flügelmieder,

erhält.

3. Staffellauf

Noch ist‘s Frühe,

Schwindel, Traumgegärtnert,

Tänze, die nicht zu End‘ gepflückt,

werten mir den Tag,

der heiser ist,

kaum Worte spricht,

leidet nur im Jetzt.

Wir stehen bei den Schwänen,

die uns schon Verwandte sind

und doch,

zeigen sie sich stets

außerhalb unseres Willens,

das ist‘s was Schönheit birgt:

das Nichtgewollte,

das uns doch beschenkt.

Das Osterfeste naht in abgezählten Tagen,

der Mond schon liegend,

in seinem Grabe,

ehe er ersteht aus überwundener Schwere.

Dies‘ volle Auge dann,

blickt zurück in Fülle,

das Erinnerte,

lebt weiter nur im Gefühle

und doch reicht‘s mich und mein Herze,

wie einen Staffelstab,

weiter an das Neue.

4. Im Frühling,

wo Fluchten mich erhielten,

nie dem Winter dienten,

Vögel sandten,

ans Fenster mir,

um Erlerntes zu beschwören,

um mich in der Still‘ zu bewähren,

aufzubegehren,

wenn Schatten nur mit Flucht belohnen,

mich verorten in Versuch Nummer Eins.

Im Frühling,

spür‘ ich meine Seel‘,

die mich beerbt,

die vieles von mir überlebt,

wenn Gedanken an ein Ende ziehen

und ein Körper als Antwort bleibt,

auf die Frag‘ ob ich einst war auf Erden,

beschriftet mit Zahlen,

auf einem wiederbeschreibbaren Stein,

ach wie viele mögen noch folgen,

ehe er wieder Berg.

Im Frühling, wo man erwartet,

Nächte mehr sind als Tage,

den Uhren ist‘s anvertraut,

ehe erste Seen tauen,

Wälder wieder Schatten werfen,

Farben sich ermutigen,

sich zu setzen,

auf Knospenbänke.

Wo das Licht der Sterne näher rückt,

auch die Hand des Mondes,

um im Dunkeln zu jener Gest‘ zu werden,

die Rückkehr spricht und

eine weitere Nacht auf Erden,

die Tag ist, anderswo.

5. Wenn ein Wind

Auf dem Boden Narben,

Dinge die man zog,

ohne anzuheben,

Schwere die tiefer sank,

ungehalten,

dem Holze Augen malte,

die stetig darauf blicken,

was in ihren Höhlen stand,

schwarze Linien,

verweigern ein Porträt

und doch sind darin Gesichter,

die die Feder führen,

ein Kiesel, genügt,

um mit stumpfer Mine,

Landschaften zu zeichnen,

die nur hier sind,

so nah, als malten sie sich selbst,

ohne abzusetzen,

Einlinienpoesie,

die Teppiche verdecken.

Ein Haar an einem End‘ gezogen,

dorthin wo schon viele...,

sich zu einem Tier verdichten,

das dort lebt wo Ecken...,

unter meine Füße flüchtet,

wenn ein Wind...

Wenn ein Wind, noch nicht Sturm,

ehrlich ist im Leisen,

hör‘ ich hin.

Und wenn er Wellen nicht aus dem Meere bricht,

weil sie einer Heimkehr sicheres Geleit,

stehe ich dabei und denke,

welche Aufgab‘ ist die Meine,

sprich Ruder, bis mein Herze voll.

Auf dem Boden,

ein Körper, der sich nicht bewegt,

vernarbt, belebt und unbewegt,

ausgestreckt wie auf einem Kreuze,

das Anfang war und nicht End‘.

Auf dem Boden,

noch nicht aufgestellt,

wo Narben sich erhalten,

Kronen abgenommen,

auf die Seit‘ gelegt,

damit sich ihre Form erhält.

Wenn ein Wind spricht: „atme“,

wenn alle Schwere auf mich drückt,

Knie auf allen Gliedern,

es ist kein Spiel, es ist kein Spiel,

dann werde ich gehorchen,

dem Winde Fänger sein und Anfang,

Selbstversorger mit Fremdkapital,

niemals seh‘ ich‘s in Münzen,

welch‘ Wert mir wurd‘ ausgelegt,

nur das Herze sucht‘s zu fassen,

auf seinem Boden Heldenkratzer

und jene Schwer‘ die sank,

hab Dank, es ist dieselbe,

die von anderer Seit‘ sich entgegenstemmt,

mich erhält auf meinem Bodenkreuze,

das mir Anfang ist, nicht End‘.

Wenn ein Wind,

es gut mit mir meinet,

niemals flüsternd,

die Dinge um mich,

beschreibend.

6. Fahrradschieben

Nicht mehr aufsetzen,

weil kein Weg mehr ausgefüllt,

Anstieg auf gerader Strecke,

Kegellicht, ziehst nur Schatten,

ich hoffe auf den Morgen,

der echtes Licht zu mir spricht.

Nebeltaub, beide Seiten,

spränge von irgendwoher ein Tier,

ich säh‘s erst, vor mir,

zu spät, um zu reagieren,

zu spät, um nicht in Grabenkämpfe

hinein zu navigieren.

Bachplätschern,

Szeneapplaus,

noch steh‘ ich auf der Bühne,

liegend eher,

weil‘s die Szene von mir will,

mein Herz zählt zu viel,

es verzählt sich nie,

ein Münzwurf lädt zum Spiel,

weiter oder...

ganz nüchtern spricht‘s,

die Zwillingsseiten meinen‘s gut mit mir,

weiter...

nur eine ausgekühlte Stirn,

auch die Gedanken dahinter,

schieben ihre Räder wieder,

ungeölte Stille,

ich hoffe Meer

und es leidet sich zurück zu Pantoffeltierchen,

einzeln, in getrennten Zimmern,

wackelig,

der Versuch auf zu wenig Rädern,

aber es reicht,

um mich von erstarrter Stell‘,

wegzubewegen,

Lichterkegel vorne,

ewiges Licht hinten,

ein Flattern wohl für jene,

die es sehen,

unsteter Kampf,

doch es reicht für Gegenverkehr.

7. Wilde Bienen

Sanft nur sanft,

sprichst du in Bildern,

doch mein Herze bebt,

denn du bist zugegen.

Taumelnd mein Gang,

als wär ich trunken,

die Blicke derer,

die uns nicht mit Liebe sahen,

nüchtern,

einem Lächeln nicht verbunden.

Entlass‘ mich nicht zurück ins Alte,

es gäbe dem Erinnern Recht,

ernenn‘ die Unsicherheit mir zum Pfade,

lass schüchtern sein nur das erste Tasten,

als erlernt‘ ich neu das Gehen.

Unsere Wärm‘ noch prüfen,

ob sie noch dem Feuer nah,

ehe ich die Kält‘ der Fremde wage,

wir umhorchen uns,

wir umfühlen uns,

die Bienen werden zahm,

sehen uns als Blüte,

mit ausreichender Süße,

nun.

8. Torlauf

An den Zäunen Grenze,

rostig ihre Hände, still ihr Gebot,

dahinter Berge,

gelehnt an erstarkte Felder,

Nebel gießt‘s in Gläser,

sie sind schon übervoll.

Der Himmel trägt noch Nacht,

etwas Licht ist schon hineingelegt,

mich treibt‘s zum Sprunge,

mich treibt‘s darunter,

in den Bächen rauscht‘s bekannt,

anders, als ich sie ließ, gestern,

als der Abend noch ins Rote brannte,

Asche von sich stieß,

Sternenglut blieb bis in die Stunde,

als sich Herzen schieden,

als trat ein Prophet in ihre Mitte,

mit erhobener Stimme,

mit erhobenem Stabe nur um sie,

geheilt zusammenzufügen.

Die Grenze, die ich fühlte,

vor der ich stand,

rostig ihre Hände,

still ihr Gebot,

lädt mich heut‘ zum Weiter,

entlang an aufgereihten Pfählen,

Freiheit ist‘s, wenn sich findt‘,

ein Sprung noch vor dem Tor.

9. Lichtreife

Auf Tellern, Leere,

Brot wandert durch Hände,

die Größ‘ bestimmt die erste Hand,

die dann, stets gleich gewandet,

Geteiltes weiterreicht,

ehe es am Tellerrande wartet,

bis sich Segensdank legt auf‘s Mahle.

Hölzern jene Schalen,

die zum Munde führen,

was von Sonn‘ und Haut umhüllt,

in den Schatten großer Fässer hineingeführt,

was dort gärte, gäret jetzt,

in meinem Herzen, Wärme.

Ein Treten vielbefußter Stunden,

bis am End‘ dort Reiches ist,

Herausgeführtes,

das im Dunkeln überwunden wurde,

auch die Sonn‘,

die sich spiegelt nun im Blute,

um von dort neue Felder zu bestellen.

Und das Brot in meinem Munde,

so lang gekaut,

bis es nur mehr Süße,

das bittere Korn herausgeführt,

aus meiner Mühle,

die auch Worte dünnt,

damit sie in anbestimmter Größe,

in dein Ohre dringen.

Dein Wort nur,

nimmt alle dem die Mühe,

ein Leichtes ist‘s,

wenn alle Dinge einander dienen,

nachts, noch auf dem Berge,

mit dem Blick auf dem See,

wo der Mond nicht mehr alleine,

dienet dir die Still‘,

selbst die Wachen dienen ihr,

neigen sich hinein in den Schlafe,

damit nur Welt ist und du

und das Gebet das gesprochen und gedacht,

das Lauteste wurd‘,

was je zur Welt gebracht.

10. Ebenherzig

Deine Türe,

offen, stets,

in Höhlennähe,

wo Lieder vielstimmig erklingen,

Löcher tiefer, wenn man etwas in sie wirft.

Früh morgens noch zwei Schatten,

einer, der durch die Felsen glitt,

um von drin zu öffnen,

wenn dort wieder Leben ist.

Ein Atem,

der nicht mehr durch die Lungen rinnt,

das Leben an einem anderen Ort bestimmt,

wurd‘ ausgesprochen, Ebenherzig,

um jedes Herz mit einem Wort zu erklimmen,

es wurd‘ nie ausgesprochen,

nur erinnert.

Die Felsen noch Morgenfeucht,

verwandt mit jener Quelle,

die unter ihren Füßen fließt.

Der Körper, der noch wankte und sich stützte,

glitt von dort in neues Leben,

als wären‘s Steine am Meeresgrund,

ein neues Wasser führet ihn,

nicht hinweg, auf den Grunde unseres Selbst.

Alles Oben nun genommen,

ein Hinein in ungefüllte Stunden,

die ihren Vorangegangenen gleichen,

im anberaumten Jetzt.

11. Schwere Vögel (2022)

Die Luft ist anders.

Du sagtest: „Besuch mich, wenn die Sonne goldener ist.

Du wirst sehen, die Stadt wird blühen,

der späte Sommer ist ihr Frühling.

Dort, wo du in den Bergen mit den Vögeln

und den Blumen Lieder singst,

die so sehr nach Gebet klingen,

weil sie randvoll mit Wundern sind,

singen hier die Menschen,

auch in ihnen ist die Freude eingesenkt.

Vergiss die Menschen nicht!“

Nein, tu ich nicht, sie wundern mich am meisten.

„Nimm deine Gitarre mit

und lass uns neue Lieder schreiben,

die alten sind schon abgetragen, ausgelebt.“

Die Bahnfahrt war immer nah am Traume.

Je länger die Fahrt dauerte,

desto niedriger wurden die Berge. Hügel. Felder.

Doch die Vögel, sie kamen näher.

Gaben den Zäunen ein Lächeln.

Mit einem Flügelschlag malten sie Gesichter auf

die grellgelben Rapsfelder, die meine Augen blendeten.

In mein Buch tauchte ich nur selten.

Die Bilder, die ratternd an mir vorbeirauschten

und sich unverzüglich zu Erinnerungen wandelten,

waren stärker.

Jene Reisende, die mit mir einstiegen,

fanden längst ihre Haltestelle und jene,

die neu zustiegen, brachten neue Worte,

neue Dialekte,

mit ihnen kam die Fremde

und die Freude auf ein Abenteuer.

Am Bahnsteig: du.

Etwas Heimat in ungewohnter Kleidung.

Du trugst meine Tasche, die Gitarre trug ich selbst.

Vielleicht hatte ich Angst, die Melodien würden verloren

gehen, wenn ein neuer Ton an den hölzernen Korpus

klopft und mich dann aussperrt.

Die Tasche war viel schwerer und ich kein Gentleman.

Zu viel Ich hing noch an meinen Absätzen.

Meine Haltestelle war nicht Endstation,

doch Endstation vieler,

die dort auf den Bänken vor Müdigkeit und Hunger

nach vorne kippten, vielleicht so alt wie ich oder jünger,

die Gesichter zerknüllt vom Leben.

Weggeworfen, wieder aufgehoben, glattgestrichten,

neu beschrieben, abgebrochen, verworfen,

wieder aufgehoben...bei manchen war das Papier schon

ganz dünn und dicht beschrieben.

Deine Wohnung: ein Palast. Ich wunderte mich nicht

über die Spinnweben, die hoch oben in den Ecken wie

Flaggen wehten. Stuhl auf Tisch und ein Besen,

dann vielleicht.

Dann hättest du den Webern die Hände geschüttelt.

So war’s gesünder, für euch beide. Es war kalt.

Die Wände hoch. Die Zimmer groß,

doch die Wärme des Ölofens reichte nur für einen Raum.

Ein kleiner Fernseher kritzelte ein zittriges Bild,

aber der Ton, ja, der Ton war gut.

Doch das Gesagte unwichtig und im Hintergrund.

Schön, deine Wohnung zu sehen.

Schön, dich zu sehen. Schön,

dich in deiner Wohnung zu sehen.

Die so viel Du hatte und auch manche gemeinsame

Erinnerung.

„Morgen gehen wir in die Stadt. Zieh dich warm an.“

Wo ist der Frühling? Du hast ihn mir versprochen!

Golden ist hier nichts.

„Warte ab, bis du die Mitte siehst.

Sie glänzt vor allem im Dunkeln.“

Der nächste Tag war trüb und neblig.

Zuerst dachte ich, es wären meine Augen.

Oder die abgelegte Nacht, die sich an die Fenster

schmiegte, die Tränen weinte,

weil innen so wenig Wärme war.

Vielleicht half ja die Dusche.

Sie stand in der Küche gegenüber vom Herd und gerade,

als ich in die Kabine steigen wollte: „Warte! Der Strom!

Geh nicht duschen, wenn der Herd an ist,

irgendwas stimmt mit den Leitungen nicht.“

Ich hörte ein leichtes Schnalzen aus der Dusche,

gerade so, wie ich es von den Weidezäunen kenne.

Das anziehende Fingerschnippen eines Musikers: tanze!

Berlin Alexander Platz – oder was von ihm übrig blieb.

Ich lese ihn lieber, als dass ich über ihn gehe. Diese Stadt

hatte keine Mitte, sie hat viele. Dies kam mir aber

entgegen. Zu viel Haut, zu viele verschiedene Takte,

zu viele Blicke, zu viel Nähe...

Der Stachus ist mir eine Mutprobe, zu viel Mitte.

Die Straßen weitläufig. Viel zu sehen und doch war ich

zu müde, um das Gesehene zu behalten. Die Nacht lag

noch auf mir. „Komm schon, ein Kaffee, ´tschuldige,

ein Tee tut dir jetzt gut. Vielleicht wäre die Dusche doch

ganz belebend gewesen.“

Nächster Halt Brandenburger Tor.

Aber nicht zu Fuß, bitte.

Die U-Bahn-Station wie ausgestorben.

Ein Mann schälte eine Orange mit einem

großen Messer. Die große Klinge degradierte sie zur

Mandarine. Eine Frau mit einem dicken,

braunen Mantel eilte an die Oberfläche.

Ihren kleinen Hund auf dem Arm, sein Winseln übertönt

von den Absätzen ihrer roten Stiefel.

Die U-Bahn verspätet. Wir gingen nach oben.

Eine Menschentraube um das Schaufenster einer Bank

versammelt. In einem Fernseher,

wo sonst nur der Wellengang der Börse über einen

Balken floss, flimmerten undeutliche Bilder, wir sahen

fast nichts, die Menschen standen zu dicht.

Doch sie schüttelten die Köpfe. Murmelnd.

Fast schweigend.

Die Frau mit dem Hund ging als Erstes.

Ließ ihn zu Boden, jetzt führte er sie.

Polizeiwägen und Militärfahrzeuge fuhren an uns

vorbei. Nur mit Blaulicht, keine Sirenen.

Als wären auch sie verstummt.

Für einen Moment fühlte ich mich dieser Stadt ganz

nahe. Als wäre dort etwas Altes erwacht.

Eine alte Angst, wie ein Gespenst, für jeden spürbar.

Es rüttelte am Tisch

und das Besteck fiel uns auf den Schoß.

Wir gingen zu Fuß nach Hause.

Kaum Menschen auf den Straßen.

Und die, die wir sahen, hatten es eilig oder waren jung.

Im Warum, immer der Verweis auf früher,

nicht auf das Jetzt. Viele Bilder sind wohl vergessen,

nicht aber dieser Moment.

Dein Mitbewohner öffnete uns die Tür. Kam schnell.

Der Fernseher lief. Das Bild war noch immer mit

zittriger Hand gezeichnet. Zurecht. Ein anderes wäre zu

schön für das Gesehene. Die Stimme war klar.

Das Geschehene über Jahre nicht, vielleicht auch heute

noch nicht. Schwere Vögel, die nicht in ihr Nest flogen,

sondern den Wald in Asche lachten.

Ich kam, um mit dir Lieder zu singen.

Wir sangen kein einziges.

Für mich blieb die Stadt im endlosen Herbst.

Heimfahrt: Ich umarmte die Berge.

Ich umarmte sie aus der Ferne,

denn da reichten meine dünnen Arme für ihre

ausladenden Hüften.

Dieses Jahr fahren wir wieder nach Berlin.

Und irgendwie habe ich Angst,

dass dieser Herbst über eine neue Asche waltet,

die noch ganz Wald,

doch deren erste Flamm’ längst losgetreten.

Unter mir das Knirschen von Kies,

das Totenlied abgetragener Berge.

12. Der Träume Anfang

Vorangestellt, nur Lichtblindheit,

Sperriges auf Leitern,

das nicht ermüdet,

dort zu sein wohin man geht,

schon vorher,

sich über die Sprossen spannet,

damit man darüber greifet

oder sich mit Umkehr kleidet.

Es erhält sich in jener Höh‘,

wo schon Tiefe,

doch nicht bereit ist,

sich um mich zu kümmern,

wenn noch keine Flügel sind

und ich in Anfänge stürze.

Vollendt‘ nur was Wurzel hatte,

die Leiter gründt‘ in meinem Garten,

der stets grünet.

Wolkenmeister zeichnen zwischen Sprossen,

Stilleben ihrer Selbst.

Ich staune bei jedem meiner Schritte,

die an manchem Punkte zittern,

wenn ein Porträt überstiegen wird.

Das End‘ dieser Leiter,

bereit‘ mir Schwindel,

zugeknöpft noch,

woran sie lehnt.

Es reicht durch Monde, Sonnen, Nebel,

ein Weiter ist stets vorangestellt.

Die Tode, die mich befeuern,

die Händ‘ zu lösen,

damit‘s ein End‘ hat mit der Schwer‘,

ersterben in ihrem Willen,

wenn er unerhört.

Am Holze stets abgelegt:

Frücht‘ und Küss‘ und ein gespanntes Tuch,

in dem es sich gut ruhen lässt, Jahre,

manchmal Stunden nur,

dann zieht‘s mich weiter,

als zöge jemand an meiner Lebensschnur,

manchmal wankt‘s ganz arg,

als stünde unten jemand

und rüttele an meiner Leiter,

eine Hand, vielleicht ein Sturm,

niemand der sie zu brechen wagt,

wohl aber mit Genuss,

um zu sehen,

was nach unten fällt,

eine reife oder welke Frucht.

Ließe sich das End‘ auch erahnen,

es ist meiner Träume Anfang.

13. Erklär‘s mir nicht

Die Welt, sie ging voraus,

doch sie ist niemals auf Reise,

im Jetzt verharrt sie,

während sich ihr Wesen teilet.

Die Bäum‘, gebunden an ihre Wurzel,

doch ihr Ausdruck, so frei, so frei,

wie es mein Herze weitet,

an jener Stell‘,

wo auch die Enge waltet.

Heute sogen Himmel graue Farbe,

mir war‘s als streiften sie die Berg‘,

die von ihrer Nähe gaben,

als sie über ihre Scheitel wanderten.

Die Wasser sprechen viele Sprachen,

meinem Durste ist‘s die Eine.

In der Frühe Felsenkummer,

der erst vom Tage abgetragen,

am Abend dann zum Sande wird,

im besten Falle

und als welker Berg verstummt.

Die Lieb‘, sie spricht in Zeichen,

ihr Schönstes ist die Natur.