Umsturz im Kopf - Wilfried Bergholz - E-Book

Umsturz im Kopf E-Book

Wilfried Bergholz

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Beschreibung

Wilfried Bergholz (Jahrgang 1953) begann seine berufliche Laufbahn beim Jugendradio DT64 und war in Ostberlin in den 80er Jahren freier Journalist und Schriftsteller. Da er 1987 für sein erstes Buch UMSTURZ IM KOPF in der DDR keinen Verlag fand, ließ er das Manuskript von einer Freundin abtippen, mit vier Durchschlägen. Und so entstanden 55 Bücher, die man sich ausleihen konnte und nach 14 Tagen zurückbrachte. Außerdem gab es zahlreiche Lesungen in Wohnungen. Im Laufe der Jahre gingen immer mehr Bücher »verloren« - das letzte Exemplar war Ausgangspunkt für diesen Nachdruck mit dem Originaleinband, dreißig Jahre danach. Die Miniaturen, Skizzen und Gedichte wirken heute überraschend aktuell und bieten einen interessanten Einblick in das Innenleben des Prenzlauer Bergs in den 80er Jahren. Somit erweisen sich die Texte auch als authentische Ergänzung zur Autobiografie des Autors, die 2015 erschien unter dem Titel: »Die letzte Fahrt mit dem Fahrrad - 19 Gespräche mit Matteo über Mut, Glück und Aufbegehren in der DDR«.

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Wilfried Bergholz

UMSTURZ IM KOPF

Texte 1983 - 1987

Nachdruck

Wilfried Bergholz war nach Abitur und Armeedienst ab 1975 redaktioneller Mitarbeiter beim Jugendradio DT64, später freier Journalist in Ostberlin. Im Sonntag veröffentlichte er zahlreiche Artikel. Von 1978 bis 1983 studierte er Klinische Psychologie bei Hans-Dieter Schmidt an der Humboldt-Universität Berlin.

Er begann Mitte der achtziger Jahre erste Prosa-Texte zu schreiben, die er 1987 unter dem Titel Umsturz im Kopf selbst veröffentlichte. Er veranstaltete zahlreiche Lesungen, moderierte aber auch Auftritte bekannter Liedermacher wie Stephan Krawczyk, Gerhard Schöne, Norbert Bischoff, Kurt Demmler und andere.

1987 gründete er zusammen mit Ulf Erdmann und Ralf Kleinschmidt das Kinderliedtheater Ulf & Zwulf, für das er bis 2002 fast alle Texte und auch einige Kompositionen schrieb – im Ganzen 12 LPs/CDs. Die erste LP Stadtabenteuer wurde 1988 von einer Kinderjury als »Beste Kinderlieder-LP des Jahres« ausgezeichnet.

Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen dieser Zeit zählen Hörspiele, Texte für die Punkband Die komischen Vögel, das Theaterprojekt Der Mann im Kasten und das Sachbuch Liederleute (zusammen mit Petra Schwarz).

Ab 1989 war Bergholz Student am Literaturinstitut »Johannes R. Becher« in Leipzig und nahm dort an den Montagsdemonstrationen und später an den revolutionären Ereignissen in der Gethsemanekirche in Berlin teil.

Ab 1990 schrieb er für den Deutschen Fernsehfunk DFF, der erst am 31.12.1991 abgeschaltet wurde, Drehbücher für zahlreiche Kinderfilme. Der SFB sendete zu Beginn der neunziger Jahre drei Prosatexte in der Literatursendung Passagen und vier Geschichten in der Reihe Ohrenbär.

1991 gründete er zusammen mit Gerhard Kämpfe und Dr. Jürgen Hagen die Kindershow GmbH, um die vielfältige Kinderliederszene der DDR zu unterstützen. Seine Produktion »Gerhard Schöne singt Kindergedichte« wurde 2003 mit dem Medienpreis »Leopold« ausgezeichnet.

Ab 2002 arbeitete Wilfried Bergholz als Kinderpsychologe, seit 2013 ist er wieder schriftstellerisch tätig. Er lebt in Berlin und hat vier Kinder.

2015 erschien seine Autobiografie unter dem Titel »Die letzte Fahrt mit dem Fahrrad – 19 Gespräche mit Matteo über Mut, Glück und Aufbegehren in der DDR«.

© 1. Auflage 2017

Gestaltung: Udo M. Wilke

Lektorat: Christiane Müncheberg

und Günter Jordan

Abbildungen: Wilfried Bergholz

Verlag: tredition, Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Wilfried Bergholz

UMSTURZ IM KOPF

Texte 1983 - 1987

Nachdruck

Alles hat seine Zeit hier. Ab heute schreibe ich wieder auf richtig weißem Papier und Haartönung soll es morgen geben. Das hat mir die Kleine aus der Drogerie schon verraten. Leider sind Zahnbürsten zurzeit knapp, aber sie weiß auch nicht warum. Auf die Tomatenzeit freue ich mich schon jetzt. Dann kommen bald die Melonen und zu Weihnachten zwei oder drei Apfelsinen. Alles hat seine Zeit hier. Ich warte und lese von einem Franzosen namens Valère Novarina, der in seinem "Drame de la vie" insgesamt 2587 Personen auftreten ließ und damit sogar das Buch der Bücher (nur 1954) übertreffen konnte.

Allein die Aufzählung aller Namen dauert eine gute Stunde. Doch damit nicht genug. Die bloße Aneinanderreihung all dieser Namen wurde in Avignon letzten Sommer unter dem Titel „Générique“ als ein für sich stehendes Theaterstück uraufgeführt. Mit großem Erfolg, wie ich lese. Sonniges Frankreich.

08.04.1987

Kauflust. Unten vor dem Haus hastet die halbe Bevölkerung dieses Landes von Laden zu Laden. Von Schlange zu Schlange. In der vagen Hoffnung, etwas ganz Besonderes in der Hauptstadt zu erstehen. Im Sinne des Wortes.

Vor einem Geschäft für Kinderschuhe sah ich zwei ältere Damen. Unschlüssig. Waren wir da schon drin? Offenbar nicht. Denn mit großem Schritt ging es gleich der Nase nach hinein. Die reinsten Ladenstürmer, wo haben die das ganze Geld her?

Nur selten geht es wirklich nach Bedarf. Das Angebot bestimmt die Nachfrage und die Eingeborenen der Planwirtschaft kaufen alles weg, was ihnen vor die Tüte kommt. Da können die Planer so viel planen wie sie wollen, nur Rotkohl und Weißkohl sind Ladenhüter.

Die von der Kauflust Ergriffenen sind selig. Mit einem Glanz des Glücks auf dem Gesicht tragen sie taschenschwer Briefpapier, Salzstangen, Bettvorleger, Papiertaschentücher, Porzellanvasen, Fotoapparate, Damentaschen, Schallplatten und Kinderschuhe in ihre Autos, die in den Nebenstraßen geparkt stehen. Als Basislager für die Expedition. Da wird gepackt und umgepackt und auch mal schnell eine Zigarette geraucht.

Jahr für Jahr wiederholt sich dieses Spektakel in den Schulferien, um in der Vorweihnachtszeit seinen eigentlichen Höhepunkt zu erreichen. Hilfe, die Sachsen kommen!

Taucht dann im Gewimmel der Schiebenden und Wartenden plötzlich ein Passant auf, der irgendwo auf der Welt ein paar Bastmatten, Letscho oder Gummibärchen erworben hat, ergreift die Menge eine unbezwingbare Neugierde. Selbstbewusstere erkundigen sich höflich, wo die Kostbarkeit zu haben sei. Und schnurstracks erfasst die Menge der zwanghafte Wunsch zur Bewegung. Wie die Ameisen folgen sie einer Duftspur, die sie sicher ans Ziel bringt.

Käme doch endlich einer vorbei mit Bananen im Netz und der Auskunft, selbige würden am Tierpark feilgeboten. Was für eine himmlische Ruhe hätten wir hier am Viadukt. Die Straßen wären leer wie am Ostersonntag. Bananen am Tierpark. Kein Stehplatz bliebe in der U-Bahn frei. Der Schwarzmarkt blühte. Ein Fahrschein für zwanzig Mark.

12.10.1985

Hitze der Nacht. Es ist Sommer in der Stadt und alles ist verrückt wegen der Hitze. Nur die Urlauber sind richtig froh und die Afrikaner und mein Gummibaum. Der fühlt sich wie am Äquator und kriegt vor Freude jeden dritten Tag ein neues Blatt. Seine Haut ist aus Leder, aber sein Gemüt ist weich. Das einzige, was er mir geben kann, ist Schatten und den gibt er gern. Wir sitzen unter seinem Blätterdach, trinken weißen Rum und zirpen wie die Grillen.

Wir warten auf die Nacht, warten geduckt, um dann im richtigen Augenblick aus den Startlöchern zu jagen. Ziellos, nur um uns abzukühlen. Auch Schatten werden müde in der Nacht.

Wir sind zu allem bereit, wohl wissend, dass alles gar nicht möglich ist. Irgendetwas wird uns aufhalten.

Ein Fluss ohne Brücke, eine Mauer ohne Tor, ein Meer ohne Ende. Alles kann passieren, und bewahre Gott, uns schwänden die Kräfte. Einfach so. Wegen dieser elenden Sehnsucht überall. Wer nicht mehr gehen kann, wird zum Jagen getragen. Wohin? Den kürzesten Weg und es ist immer noch so heiß.

Rein in die U-Bahn. Der Rest geht von alleine. Die Tür fällt zu. Immerzu Abfahrt und Abfahrt. Abfahrt und Abfahrt. Räder rattern. Alle Gerüche des Tages haben sich hier versammelt, Ort der Massen, Ort der Enge, Ort der Atemnot im dunklen Tunnel.

Du öffnest einen Knopf an deinem Hemd, du hältst fester den Haltegriff, der Mund wird trocken und an der nächsten Station steigst du einfach aus. Immer zu früh.

Es gibt Leute, die setzen sich im Kino in die erste Reihe und würden am liebsten in den Film hineinspringen. Und es gibt Leute, die setzen sich lieber auf einen Randplatz. Die haben eine schwache Blase oder einfach nur Platzangst oder sind Choleriker. Letztere sind leicht entzündlich und wenn im vollen Kino einer hustet, dann platzen sie. Sie brechen auseinander, wie zu stark gebrannter Ton.

Alle Menschen sind aus Ton. Aber jeder Mensch wurde anders gebrannt. Gebrannte Kinder fürchten sich vor dem Zerbrechen. Sie wollen lieb sein und müssen hassen.

Liebe ist nicht das Gegenteil von Hass. Oh nein! Beide sind Geschwister. Sie haben dieselbe Mutter und sie heißt Angst. Eine fruchtbare Frau und eine gute Mutter. Sie sieht ihre Kinder nicht nach dem Gesicht an. Was können wir dafür. Wir holten uns die ersten Beulen schon beim beschwerlichen Gang durch den Geburtskanal und brauchten dann Jahre, um halbwegs aufrecht zu gehen. Ein ganzes Leben um aufrecht zu denken. Hört nicht auf das Gejammer über das eigene Pech und das Glück der Anderen. Der einfachste Weg, dem beständigen Pech zu entgehen, ist ein ehrlicher Suizid oder die Flucht in das Anderland.

Aber bitte keine Spontaneität, das klappt in den wenigsten Fällen und ist ja auch nur ein Ruf nach Aufmerksamkeit. Das finale Ende steht jedem Menschen zu. „In einem Palast denkt man anders als in einer Hütte.“ Wunderbar. Und was ist Ludwig Feuerbach am Ende geblieben von seinem Glückseligkeitstrieb außer scheelen Blicken?

Gestorben ist er. Hütet euch vor dem Glück als Dauerzustand, das Glück nutzt sich ab wie ein Radiergummi. Mutter Angst wurde tausendmal geschwängert und kommt tausendmal nieder.

Und meine Stadt will nicht aufhören zu glühen und glotzt in die Dunkelheit mit geröteten Augen.

Die Kerzen zwischen den Fenstern, die Herzen in den Laken. Vergessene Goldfische träumen vom Golfstrom.

Unbemerkt verschwindet eine Hand im Aquarium.

Wellen schlagen ganz kurz hoch. Keiner hält die Hand. Wieder einer weg. Ich weine. Zwei Menschen habe ich verloren in einer Nacht. Bleib doch hier! Bleib du doch hier! Wo willst du denn hin? Nur die U-Bahn bleibt.

Sie rast durch die geteilte Stadt und zündet mit ihren Lichtern die leeren Häuser an.

07.07.1983

Mir schien, ich wäre ein Hirsch,

und ich hörte, ich wäre ein Hund.

Ich lass alles zurück,

was mir geschenkt wurde,

bleibe auf dem Schiff,

damit ich den Steuermann höre,

wenn er ruft.

Du hast gehört und gehorcht,

jetzt stirbst du

eine Weile.

Und der Holunder blüht laut,

die Laterne verglimmt,

ein Traum ging verloren,

weil ein andrer ihn nimmt.

Die Beule im Auto,

die Flasche am Mund,

mir schien, ich wäre ein Hirsch

und ich hörte, ich wäre ein Hund.

21.12.1986

Gepriesen sei die Gasheizung. Diese einzigartige Erfindung der Ingenieure, die aus Nichts (oder fast Nichts) Heimat macht. Eben noch zwanzig Grad unter Null, selbst auf den U-Bahnhöfen beißender Schmerz in der Nase. Ohne Atem hastigen Schrittes die Treppe hinauf, ein Dreh am wundersamen Knopf, und in der winzigen Wabe der blassblauen Stadt ist Wärme.

Zwanzig Grad Wärme. Verschwendung und Lust.

Alles geht schwer in diesen Tagen oder gar nicht. Türen, Bahnen, Autos, Behörden, Laternen. Die Menschheit quält sich wacker durch einen Zustand beständiger Dämmerung, der sich Winter nennt.

Nicht auf die Idee gekommen, erholsamen Schlaf zu suchen, bemüht sie sich standhaft und erfolglos, alles genauso zu betreiben wie immer. Düsentriebwerke, auf Gestelle montiert, müssen Weichen erweichen, bärenstarke Eisbrecher plagen sich mit meterdicken Schollen herum, Autofahrer zerren sich gegenseitig durch die Schneewüste, um dann wie Eskimos kostümiert in ihren fahrenden Kühlschränken zur Arbeit zu fahren. Wenn sie fahren. Stotternde Ungeheuer mit weißen Mützen.

Welche Verschwendung an Zeit und Energie, um der Natur ein Schnippchen zu schlagen!

Dabei würde es ein Daunenkissen genauso tun, ein gemütliches Bett mit einer kleinen Kiste daneben für das Notwendigste: Obst, Zwieback, Nüsse, Schokolade, Kondensmilch und ein paar Dinge für den ganz individuellen Verzehr, Bier und Salzstangen. Nicht zu vergessen ein gutes, langweiliges Buch. Was wäre der zivilisierte Winterschlaf ohne Buch?

Doch die Vision trifft auf taube Ohren, kein Gedanke an Schlaf. Auch wenn der Theatersaal eiskalt ist und nur ein halbes Dutzend Eskimos den Weg zum Musentempel schafft, die Vorstellung findet statt. Es gibt wohl weitere Termine in wärmerer Zeit, aber dieser eine musste es sein. Man hatte rechtzeitig Karten bestellt, sich auf den Weg gemacht und erwartete nun eine tadellose Aufführung.

So wie andere vor ihnen in der leblosen Schneewüste ihr Fähnlein hissten, ihr Mütchen kühlten, so nehmen sie würdevoll Platz auf den vorbestellten Sitzen. Jeder seinen eigenen Eiszapfen an seiner Nase. Schließlich haben Amundsen und Scott nicht umsonst gelebt.

13.01.1987

Die Fliegen fliegen nach Süden. Ein Nachzügler kreist unentschlossen um die Küchenlampe. Unbeholfen, beinahe staksig. Ist es wahr, dass die Fliegen ihre schwächeren Artgenossen einfach zurücklassen?

Zurücklassen in stürmische Winterabende? Und sich selbst davon manchen? Höhenflug über die Alpen, in Genua kurze Zwischenlandung auf einer Tomaten-Pizza. Und dann Afrika. Sonniger Süden. Was denkt man über Afrika beim Kreisen um eine Küchenlampe?

Wenn man Afrika nie gesehen hat, nie sehen wird?

Mich dauert stets die letzte Fliege, die zurückgelassene, die ausgestoßene. Was will sie mir sagen? Ist ihr Blick vorwurfsvoll? Hab ich nicht noch vor wenigen Tagen mit der Fliegenklatsche nach ihr gelangt? Und sie?

Hat sie nicht noch vor wenigen Tagen keck auf meiner Nasenspitze gesessen, als ich einen besonders schönen Traum hatte?

Es heißt Abschied nehmen. Der Winter ist fliegenlos. Schon immer. Fern. Fern fliegen die Fliegen. Nach Süden.

Die Fliegen fliegen im Keil,

so trotzen sie besser den Winden.

So teilen sie besser die Kräfte, weil

die Starken bilden den vorderen Teil

und die Schwachen fliegen hinten.

Lasst uns wie die Fliegen sein,

das wir unser Möglichstes geben:

der Starke ist groß und der Schwache ist klein

und trinken am Abend den gleichteuren Wein

auf ein noch besseres Leben.

26.10.1985

(nach Kurt Demmler)

Mach dich doch nicht verrückt, Franz! Die große Sinfonie blieb dir versagt und ein Alter in Taubheit blieb dir erspart. Bilder im Fieber. Zerrissene Filme. Feuerringe und Angstschweiß. Atemnot. Du weinst. Musik bestünde nur aus ein paar Strichen auf Papier, sie wäre nicht das Leben. Aber Franz, das Leben ist auch nicht das Leben. Das Leben ist so krank, und wer dafür eine Definition weiß, gehört auf einen Thron oder an einen Altar genagelt.

Im Grunde gibt es doch nichts Schöneres auf der Welt als Nervenfieber. Oder war es etwas anderes? Sag nichts, Franz! Ich weiß, wie schön das ist, wie schön das sein kann. Alles vergessen, der spitze Mund wird rund und sabbert fröhlichen Unsinn.

Das Essen wird gebracht, die Glocke schlägt den Takt, das Laken wird gewechselt und das Leben, das Leben regelt die Anstaltsordnung. Allen geht es alle Tage etwas besser. So muss der vorzeitige Tod eines Patienten als bewusste Brüskierung der Anstaltsleitung aufgefasst werden. Vielleicht gibt es deshalb noch immer Leute, die meinen, du wärst zu früh gestorben. Stell dir vor, Franz, die Welt stirbt vor der Zeit. Die Bäume würden sich verweigern nach diesem langen Winter. Smogalarm oft, Gestank immer, dazu Hochdruck und zwanzig Grad unter Null. Untergangsvision mit einer grauen Sonne, die nur schemenhaft hinter Nebelschwaden auszumachen war. Tagelang.

Stell dir das vor, Franz! Das Frühjahr kommt und die Bäume, die Sträucher, die Blumen dieser Stadt sagten NEIN! In diese Luft stecken wir nicht noch einmal unsere zarten Triebe, unsere Knospen, unsere Blätter. Wir kommen nicht raus! Seht zu, wie ihr klarkommt, Menschen!

Und die Menschen, das steht außer Frage, die Menschen kämen klar. Bis zum letzten Atemzug. Zytoplasma auf dem Schwarzmarkt für Gutbetuchte. Chlorophyll unerschwinglich, Photosynthese ausverkauft. Und die letzten beiden Menschen würden sich die letzte Luftblase vor der Nase wegschnappen. Im Dienste irgendeiner Religion. Fielen, einer nach dem anderen, in das Grab. Tief und stille ... Und die Krähe, das sonderbare Tier, schaut zu. Ihr Feld ist gut bestellt. Gottes Acker.

Stell dir das nur vor, Franz. Diesen Mann, der mit 31 Jahren sterben wollte und eines Tages feststellt, dass er 31 Jahre alt geworden ist. An einem einzigen Tag. Sorgsam trifft er alle Vorkehrungen. Räumt den Schreibtisch auf, bringt den Mülleimer runter, taut den Kühlschrank ab. Sein Tod ist sein Tod und andere sollen nicht Arbeit haben damit.