Und die Füße weit unten - Barbara Walder - E-Book

Und die Füße weit unten E-Book

Barbara Walder

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Beschreibung

»Und die Füsse weit unten« erzählt vom unentwegten Versuch einer nicht näher bezeichneten »Sie«, durch die Tage und Nächte zu kommen. Ob im Kino, bei einem Bier, in der Vorlesung, im Tram, immer höhnt und lärmt es in ihrem Kopf. Sie steht in der Buchhandlung und versucht zu lesen, aber alles gerät in Unordnung. Und sie schaut sich dabei zu und sieht sich selbst wie einen fremden, fernen Ort.

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Inhaltsverzeichnis

Titelei

Impressum

Prolog

Und die Füße weit unten

Epilog

Barbara Walder

Und die Füße weit unten

Ein Langgedicht.

 

 

© Songdog Verlag, Bern und Wien 2020

Cover: Yvo Egger, St. Gallen

ISBN 978-3-903349-01-8

 

 

 

Prolog

Das Eigene steht vogelfrei. In der Wüste. Hoch oben kreisen die Krähen. Man sieht ihm zu. Von ferne. Und kann nicht helfen. Denn schwer hängen die Arme. Fest stehen die Füße. Sie wurzeln nicht. Nein. Aber sie können nicht gehen. Zu schwarz ist der Himmel. Von Krähen. Die Augen suchen das Vogelfreie. Doch sehen nichts. Zum Fraß steht es bereit. Bald wird sich der Himmel senken. Man wird zusehen. Wie die Vögel kommen. Und sich einverleiben, was sich so freigiebig darbietet. Weshalb?

Und die Füße weit unten

Nein, sie wurde nicht gefragt. Gut, das ist normal. Niemand wird gefragt. Und dennoch, sie wurde nicht gefragt. Ob man jetzt das Wort Glück in den Mund nehmen sollte -. Aber gefragt wurde sie nicht. Wie auch sonst niemand. Natürlich. Aber natürlich ist mindestens so schwierig wie Glück. Also gefragt wurde sie ja nicht. Auch nachher nicht. Doch darüber später.

Sie geht über die Straße. Auf der anderen Seite der Straße weiter. Vor der Buchhandlung bleibt sie stehen. Ein kurzer Blick auf die Bücher im Schaufenster. Hinter ihr eine Frau. Bewegt sich schnell und gleitend. Ein gelber Schal flattert im Wind. Auf dem Buch hinter dem Spiegelbild Krähen. Sie tritt ein. Ein Fuß noch über der Schwelle. Ein Gefühl der Leichtigkeit. Die Hand hält den Türgriff umschlossen schon stehen beide Füße drinnen. Die Tür noch offen.

Bücher stapeln sich. Vom Boden bis zur Decke. An den Wänden. Zwei große Tische füllen den restlichen Raum dazwischen. Schmale Gänge. Am Rand eines Tischs inmitten sich türmender Bücher steht Nina. Hinter der Kasse und schaut in ein Buch sie hebt kurz den Kopf und nickt. Freundlich. Vor den zwei großen Fenstern Regale auch dort und dahinter in den Fenstern. Fotobände. Großformatiges dicht an dicht.

In die Tiefe Buch um Buch abtragen sich in die Flucht der Zeilen werfen und sich wundern. Suchen. Nicht wissen. Wonach. Sich vom Glück überraschen lassen. Serendipity. Soweit die Utopie.

Sie steht. Schaut sich zu weiß nicht recht. Was nun mit sich anfangen? Der Versuch sich zurechtzufinden. Inmitten von Hohngelächter das stumm und fern. Gut hörbar um die Ecken grinst ihre Eingeweide durchpflügt jede Gewissheit bloßlegt. Alles still. Atemlose Spannung. Damit man nicht entdeckt werde.

Die Bücher. Still. Geduldig? Möglichkeiten in sich bergend. Doch schwer zu lesen. Sauschwer. Spottfraß perforiert die Seiten und höhlt die Silben aus.

Nicht gefragt worden sein.

Die Kunst war, auf den Füßen zu landen. Sie kletterte die Leiter hinauf. Und spürte schon die brennende Haut, die bloß dem blanken Blech entlangstreifte. Mehr als einmal schon war sie voll auf dem Hintern gelandet. Sie musste dies unbedingt vermeiden, den Schmerz. Aber vor allem die Scham. Sie nahm sich zusammen.

Die Augen über die Buchrücken gleiten lassen. Die Hände tatenlos. Am Ende der hängenden Arme. Wörter. Ohne Sinn. Lauter unlesbare Zeichen. Sie zerfransen vor den Augen. Was tut sie hier? Ganz und gar nicht dahin gehören. Nichts zu suchen haben hier. Nein nichts. Doch weiter! Durch den Nebel schreiten. Sich nur nichts anmerken lassen. Nie.

Nirgendwo sonst sein wollen. Die Füße am Ort lassen. Auch wenn es darunter brennt.

Es klingelt die Tür geht auf. Eine große Gestalt ein Mann. Ein bärtiger Kopf hoch oben auf dunkelrotem Wintermantel. Mit festen Schritten schreitet er geradewegs zur Kasse. Dort steht Nina wobei. Sein Blick suchend umherstreift. Er wird finden. Was immer er sucht hier oder anderswo. Ganz gleich.

Es gibt solche. Menschen tatsächlich. Bewegen sich unerhört zielsicher. Durchqueren Räume. Legen Distanzen zurück. Kommen und gehen wieder. Immer gewiss. Unbeirrt. Als ob sie immer dahin gehörten. Wo sie sind. Als ob sie gänzlich unberührt seien. Vom Unwägbaren als ob sie sicher wären. Und nicht ganz und gar unsicher. Als ob sie nicht wüssten dass. Es nichts zu überschauen gibt. Zu überschauen nie gelingen kann weil. Der Nebel kommt. Und der Horizont sich zusammenzieht.

Nervös flattert ihre Aufmerksamkeit und fiebrig. Zwischen den Buchstaben und Silben. Der Blick abirrend ständig. Angezogen von diesem Menschen diesem zweifellosen. Sack. Diesem Weltdurchschreiter. In sich ruhend seine Schritte zielsicher unentwegt. Hierhin dorthin zurück und so weiter was soll’s. Auch die Art innezuhalten. Zu schauen. Weiterzugehen.

Ihre Gedanken verzweigen sich. Nehmen unabsehbare Verläufe keine Kontrolle. Möglich? Die Wortzeichen lösen sich von den Konventionen. Flottieren frei. Im Raum im Orbit. Bilden ein Schwarzes Loch. Das schwer wiegt und wächst. Blindheit frisst sich durch. Die Poren. Der letzte Rest von Bedeutung schwindet. Die Hände halten ein zufälliges Buch die umblätternden Seiten nichts als Papier. Bedruckt. Nichts dringt hinter die Augen. Aber still. Scheinbar unberührt. Hoch konzentriert und vertieft.

Ein erneutes Klingeln. Eine Frau mit grünem Wollmantel gesellt sich dazu. Kälte streift die aufrechten Beine. Eigentümlich fluoreszierende Lippen. Es wird langsam eng hier. Sie steht da und weiß nicht wie. Dies rechtfertigen? Wo sie doch nichts zu lesen vermag. Blöd ist bis in die Knochen. Wie lange bleibt sie noch. Unentdeckt? Den Blick starr über den Zeilen blättert um und. Bedeutung blitzt. Springt hervor wie ein fliegender Fisch. Aus der dichten Fläche des trüben weiten Wassers. Flüchtig. Wie sich gebärden? Damit man nicht entdeckt werde? Die eigene Unmöglichkeit sich nicht zeige. Fliegenschwärme überziehen zusammenhangslose. Sätze. Umschwirren das stille Ich. Spottfraß perforiert den Boden. Auf dem sie steht.

Nein, gefragt wurde sie nicht. Weder vorher noch nachher.

Dass sie die Schuhe binden konnte, war für sie normal. Aber dass sie dafür - also für das Binden der Schuhe einer andern - von einer Mutter von oben, plötzlich und unerwartet, vom Balkon, also einer Art Galerie, ein Gang vor den Eingangstüren und auf die Straße hin mit weißem Geländer mit Gitterstäben gesichert, also von weit oben hinabgeworfen, einen Schokoladeriegel bekam, das war sehr erstaunlich. Etwas Normales wurde dann ein wenig weniger normal.

Es gab noch andere normale Sachen. Aber davon später.

Giftiges Summen im Ohr. Vor den Augen dichte Fläche. Schneegestöber. Vage Erkennbares durch flimmerndes Treiben. Den Kopf hochhaltend. Sie geht nach links. Das Grinsen in den Eingeweiden spiegelt sich an glattpolierten Bücherbergen nichts. Lesbares nirgends. Nur Hohngeflüster laut. Doch plötzlich wieder. Ein fliegender Fisch. Springt durch das Schneegestöber. Sie sieht ihn erkennt seine Konturen die schillernde Farbe der flatternden Flossen.

Blitzschnell ihre Hand und greift nach dem Buch. Damit sie es halte das springende Wesen das flüchtige das schon wieder davon. Unberechenbar und. Ha. Schon gar nicht zu kontrollieren das Flockentreiben das Schließen der Oberfläche. Sie hält das Buch öffnet es liest weiter mit bodenloser Selbstverständlichkeit. Als ob sie gerade dies und nichts anderes schon immer und mit größter Leichtigkeit. Tun würde und. Die Welt ihr zuschaute und sähe wie routiniert. Sie ist. Im Bücheröffnen ein Spiel auch dies. Sie behält sich im Auge.

Liest. doch war ihr Gespräch nur kurz, kaum fünf Minuten hat es gedauert, während sie zusammen von der Bushaltestelle bis zur Kreuzung gingen. Aber er konnte sich doch nicht mehr erinnern, was er gesagt hatte auf ihre Frage, was er nun denn eigentlich

der Bärtige plötzlich. An ihrer Seite. Der Schatten seiner langen Gestalt. Lässt die flüchtig gebündelten Gedanken in alle Richtungen. Davonstieben. Sie muss hinschauen es gibt nicht viel zu sehen. Ein Mann. Was sonst. Aber unleugbar. Präsenz dies vor allem. Sich ausbreitend unverfroren. Nebenstehende vaporisierend. Utopie der kurze. Glaube selbst zu sein einmal mehr.

Spottfraß perforiert den Boden. Unter den Füßen.

Sie fragte sich, wie man wohl einschläft, wenn man es doch gar nicht merkt. Und ob die Schwester die Augen immer schon schließt, auch wenn sie noch gar nicht schläft. Oder schläft sie schon?

Gefragt werden?

Leerstelle. Klaffend dort. Wo die Füße stehen.

Nichtigkeit. Den Blick mühsam abgewandt. Von allem was sich bewegt. Sich an die Zeichen klammern die fremden Buchstaben. Nichts sehen gar nichts. Keinen Sinn nur blöde Blindheit. Ab und zu flatternd flüchtige Flossen aus dem Nebel springen. Krähengekrächz. Fliegenschwarm. Immenses Summen und Flirren.

Menschsein. Ha. Ein verfickter Irrtum. Ist sie eine. Fata Morgana. Fern sieht sie ein Bild ein Cover es. Liegt vor ihr. Hochfliegende Arme. Ein Sprung. Inmitten leerer Landschaft. Weiteres könnte sich ergeben.

Alles hinter sich lassen. Hochfliegen. Abtauchen. Sich verlieren. In den Silben vergessen was sonst nichts anderes. Wahrnehmen nur die Wörter. Eine Welt eine fremde eine eigene wo kein Spottfraß das Sehen perforiert. Nein. Nur fortwährendes Fortbewegen Zeile um Zeile den Kopf ganz frei. Gartengleich zu begehen Seite um Seite und zu beschauen nach Lust und Laune und alles fügt sich zusammen und man spielt mit den Konturen und stößt die gebauten Türme um ganz nach Belieben es ist ein. Spiel ein herrliches. Gedanken im freien Fall in freier Linie und nichts geht verloren zwischen den Zeilen. Dicht verwoben weit und breit die roten Fäden. Kein Spottfraß. Nein. Eine Fülle an Lesbarem. Soweit die Utopie.

Keine Nichtpräsenz dort wo die Füße stehen.

Nicht gefragt werden.

Und am Sonntag läuteten die Kirchenglocken.

Der Bärtige. Schaut sie nicht an. Nein nicht. Ein einziges Mal kein. Zufälliger Blick. Verirrt sich. In ihre Richtung was. Meint er eigentlich wer. Er sei. Soll sie etwa. Sich kümmern angewiesen sein auf ihn seine fadenscheinigen. Hipster! Interakte. Interessiert sie einen Scheiß. Sein Getue. Sein scheinheiliges. Seine verfluchte. Konzentration seine. Zielsicherheit. Seine insichruhende Einbildung so. Ein Scheinbarer ha. Ruckartig dreht sie sich um. Ihre Augen nehmen Maß an ihrer eigenen Entschiedenheit. Sie könnte in Wände rennen Bäume ausreißen. Trotzig. Stark bis zum. Umfallen. Ha.

Was. Sucht er? Was interessiert ihn treibt ihn um begehrt er. Nicht unsympathisches Gesicht dies. Kann man ja zugeben. Wo es doch stimmt. Hohngelächter durchzieht die windigen Gänge der Innereien. Schnattert zwischen den. Gedankensilben. Der Boden unter den Füßen gefährlich perforiert. Spottfraß.

Gesprächsfetzen dringen zu ihr. Die fluoreszierenden Lippen sprechen sie fluoreszieren einen Scheiß. Sie sprechen mit Nina.

Erstaunlich wie da Distanzen überwunden werden. Wie monströs die Leichtigkeit. In der sie sich verstehen. Als ob es natürlich so sei und nichts dabei. Sie sprechen die gleiche Sprache sicher die auch sie versteht. Im Grunde.

Mit unerhörter Zuversicht fliegen die Wörter die Silben. Und kreuzen die einen die andern und finden ihren Weg. Zirkulieren und werden weitergereicht. Als ob die Laute so. Nicht anders und genau und wahrhaftig dazu geschaffen sich zusammenzufügen dort. In jenem Mund sich auszuformen über die Lippen hinaus abzuheben. Durch den Raum zu fliegen Atom an Atom sich vorwärtsschiebend in wildem Tanz. Und an einem andern Ort wieder anzukommen einzutreffen. Das Weitere nicht vorstellbar. Wie tatsächlich die dröhnenden Geschosse die Lautbündel vom andern dann. Verstanden werden aufgeschlüsselt eingeordnet eingefügt. Und blitzschnell wieder freihändig aus der Hüfte heraus und über die Lippen gespickt weitergefahren. Mit diesem immensen Unterfangen. Sie steht still und stumm.

Und nicht zu vergessen die Blicke die Gesten. Alles frei und fröhlich koordiniert und abgestimmt. Streicht sich die eine hier Haarsträhnen weg. Und fährt dort die andere mit der Hand übers Gesicht. Ziellos. Doch immer treffsicher. Lässt sie den Blick umherschweifen lächelt lacht redet weiter. Ihre Blicke kreuzen sich und verweilen gehen weiter streifen anderes flüchtig aber. Immer richtig. Gestikulieren sie ungehemmt und gnadenlos drauflos. Als ob nicht schon lange der Überblick abhanden. Unmöglich haltbar. Als ob alles seine Richtigkeit hätte genau. So. Noch dazu von beiden erkannt.

Die roten Fäden munter weiterspinnend. Nicht ganz und gar verloren sich heillos verheddernd verknotend. Erschlagen von den lose umherschwirrenden Wortbauteilen. In der Manteltasche nesteln zwischendurch die Nase putzen den Haargummi neu spannen mit der Hand über einen Buchdeckel streichen das Halstuch zurechtzupfen den Wollpulli in die Hosen stopfen und immer diese. Monströse Selbstverständlichkeit. Als ob. Sie wirklich. Tatsächlich sicher seien. Was zu sagen sei. Und zu verstehen.

Nicht gefragt worden sein.

Vorsichtig sein. Und vor allem dankbar. Nicht immer ganz klar wofür. Aber auf jeden Fall bei zugewandten Blicken.

---ENDE DER LESEPROBE---