Undercover: Fever - S.P. Bräutigam - E-Book

Undercover: Fever E-Book

S.P. Bräutigam

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Beschreibung

Ich war schon seit Beginn meiner Karriere eine taffe FBI-Agentin, doch dann sollte ich ein hilfloses Mädchen von nebenan spielen! Auf was hatte ich mich nur eingelassen? Eigentlich waren meine Jahre als Kunsträuber vorbei, aber diesen neuen Auftrag konnte ich nicht ablehnen. Die Vergangenheit hatte mich schneller wieder eingeholt, als mir lieb war. Finn lebt als Kopfgeldjäger in Las Vegas und arbeitet nebenbei als Berater für das FBI. Aufgrund seiner Vergangenheit kennt er die kriminellen Abgründe von Las Vegas bestens. Generell kommt er mit den Agenten gut zurecht, bis er auf die FBI-Agentin Miranda trifft, die sich von keinem Mann etwas vorschreiben lässt. Bereits am ersten Abend brennt in beiden heiße Leidenschaft und sie landen miteinander im Bett, ohne zu ahnen, dass sie am nächsten Tag gemeinsam Undercover auf eine Mission geschickt werden, um die berüchtigten "Undergrounds", die organisiertes Verbrechen begehen, zu enttarnen. Miranda und Finn schleusen sich als Paar in die Organisation ein. Doch bald ist sich Miranda nicht mehr sicher, ob Finn wirklich auf ihrer Seite ist, oder ob er ein doppeltes Spiel mit ihr treibt ... Romantic Thrill. 

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S.P. Bräutigam

UNDERCOVER 2: FEVER

© 2019 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Covergestaltung: © Mia Schulte

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-379-8

ISBN eBook: 978-3-86495-380-4

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Danksagung

Autorin

Widmung

Prolog

Miranda

Ich war schon seit Beginn meiner Karriere eine taffe FBI-Agentin, doch dann sollte ich ein hilfloses Mädchen von nebenan spielen! Auf was hatte ich mich nur eingelassen?

Finn

Kapitel 1

Miranda

Der Mann, der einen Sitzplatz weiter saß, schmatzte laut. Immer wieder nahm ich das knirschende Geräusch der Maiskörner zwischen seinen Zähnen wahr. Der Film war schon fast zu Ende, jedenfalls hoffte ich das, weil ich keine Schnulzen leiden konnte. Aber meine beste Freundin liebte Liebesfilme, also hatte ich Erbarmen gehabt und nachgegeben. Ein langsames theatralisches Lied erklang aus den Lautsprecherboxen, was dem Film mehr Dramatik verlieh. Viel zu kitschig für meine Verhältnisse. Ich schloss für einen Moment meine Augen und seufzte laut. Meine Freundin stupste mich an und zeigte auf die Leinwand. Ich lächelte wortlos in ihre Richtung und versuchte, die letzten Minuten des Films zu ertragen. Der hübsche Schauspieler mit den eisblauen Augen gab der zierlichen Frau einen langen, alles verzehrenden Kuss. Ich verdrehte die Augen und beobachtete die Szene weiter.

»Ich werde immer für dich da sein«, sagte der gutaussehende Mann zu der Blondine und streifte mit seinem Daumen sanft ihre rosige Wange.

»Scott! Ich liebe dich! Du darfst das nicht für mich tun«, sagte sie und fing an, wie ein Kind zu heulen.

»Ich tue es für dich, Amalia.«

Amalia weinte bitterlich und blieb allein zurück. Der Bildschirm im Kinosaal verdunkelte sich und der rote Samtvorhang ließ die Leinwand verschwinden. Einige Sekunden später wurde das Licht eingeschaltet. Ich blinzelte, um mich an das helle Licht der Deckenleuchter zu gewöhnen. Der Kinosaal leerte sich schnell - wahrscheinlich wollten alle Kinobesucher schnell an die frische Luft, um sich von dieser schrecklichen Schnulze zu erholen. Ich war ja selbst schuld, schließlich hatte ich meiner besten Freundin versprochen, mit ihr in diesen Film zu gehen.

»Und wie fandest du den Film?«, fragte mich Hailey auf dem Weg nach draußen. Ihre saphirblauen Augen leuchteten.

Mir war bis heute nicht bewusst gewesen, dass sie Liebesfilme so toll fand.

»Pfft«, zischte ich und drehte meinen Daumen nach unten.

»Miranda, sei nicht immer so zynisch«, sagte meine Freundin und verzog ihren Mund.

»Zynisch? Hollywood versucht uns weiszumachen, dass es da draußen noch richtige Männer gibt, und ich soll nicht zynisch sein?«, fragte ich schnell und verfinsterte meine Miene, indem ich den Mund zusammenzog.

»Es gibt noch Männer, die keine Weicheier sind!«, stellte Hailey klar.

»Hailey, nur weil du einen Mann gefunden hast, der für dich durchs Feuer gegangen ist, heißt das nicht, dass die restlichen Männer auch so sind«, versuchte ich ihr zu erklären. Zu versuchen, meiner Freundin klarzumachen, was ich von den heutigen Männern hielt, war genauso vergebens, wie zu versuchen, ein kleines Kind daran zu hindern, vor dem Abendessen Süßigkeiten zu naschen.

Hailey hatte vor ein paar Monaten schreckliches durchgemacht. Ihr Held war Logan Connor, ein Polizist des L.A. Police Department, gewesen. Er hatte sprichwörtlich alles für sie getan und hätte auch sein eigenes Leben für sie geopfert. So etwas gab es selten, und ja, manchmal beneidete ich sie darum. Ich mochte Logan, er war nett, gutaussehend und wir unternahmen oft etwas zu dritt. Logan und Hailey waren so etwas wie meine zweite Familie.

»Du könntest auch einen von den netten und guten Männern haben. Matt zum Beispiel«, sagte Hailey ernst und warf ihr braunes Haar zurück.

»Matt? Ernsthaft?«, fragte ich und blieb abrupt stehen.

»Ja, was hast du gegen Matt?«, fragte Hailey verwundert.

Matt war ein Kollege von Logan und arbeitete ebenfalls beim LAPD.

»Ich mag Matt. Er ist nett, lieb und nicht auf den Kopf gefallen.«

»Aber?«

»Aber es funkt nicht zwischen uns. Da ist kein Feuer, rein gar nichts. Er ist wie ein kleiner Golden Retriever, der friedlich und brav neben mir stehen bleibt. Zu brav.«

»Vielleicht braucht es manchmal einfach ein bisschen Zeit, bis das Feuer entfacht wird.«

»Wie war es bei Logan und dir? Hast du dafür Zeit gebraucht?«, fragte ich sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Nein, ich fand ihn schon zu Beginn anziehend«, sagte sie schnell und ihre Wangen färbten sich rosa. Typisch Hailey, wenn sie von Logan sprach, wurde sie immer verlegen.

»Na siehst du. Entweder man steht aufeinander oder nicht, und ich will nicht einfach nur in einer Beziehung sein nach dem Motto: ›Hauptsache, ich habe jemanden‹.«

»Es gibt so viele Männer auf der Welt, irgendwann wird auch dir der Richtige über den Weg laufen, vertrau mir«, erwiderte Hailey und strich mir sanft über den Arm.

»Daran glaube ich mittlerweile nicht mehr.«

»Oh Miranda«, sagte Hailey und kniff mich in die Seite.

»Nein, Hailey. Hör auf mit diesem ›Er ist irgendwo da draußen, du musst ihn nur noch finden‹. Vielleicht gibt es nicht für jeden Topf einen passenden Deckel. Es ist okay, ich muss keinen Partner haben. Man findet sich irgendwann damit ab.« Es war so, als ob die Gesellschaft nicht verstehen könnte, dass ich mich damit schon längst abgefunden hatte. Hailey gehörte noch zu der Sorte, die stets dachte, Prinzessin und Prinz fänden zusammen. Vielleicht hatte sich mein Prinz jedoch im dunklen Wald verirrt und war von Wölfen gefressen worden.

Meine letzte feste Beziehung war schon ein Weilchen her und ich ließ mich so schnell auf niemanden mehr ein. Manchmal wusste ich selbst nicht, was ich wollte. Auf der einen Seite mochte ich die Unverbindlichkeit: nur Sex, keine Verpflichtungen. Emotional gesehen würde mich wohl jeder als Wrack bezeichnen. Ich war betrogen und verarscht worden und man hatte mein Herz in tausend Stücke gerissen. Dieses Gefühl wollte ich nie wieder erleben. Also errichtete ich eine Mauer nach der anderen um mich herum, bis sich irgendwann so viel Beton um mein Herz befand, dass selbst Thor mit seinem Hammer diese Mauer nicht hätte auseinanderbrechen können.

»Aber …«, versuchte Hailey, Einspruch einzulegen, und sah mich mitleidig an.

Ich hasste diesen Blick von ihr, schüttelte den Kopf und wir liefen schweigend zur nächsten Seitenstraße, in der bereits ein schwarzer SUV auf uns wartete. Hailey hatte Logan direkt nach dem Film informiert, dass wir bereit waren, nach Hause aufzubrechen. Logan, Haileys Freund, machte sich immer Sorgen um sie und erlaubte ihr nicht einmal, mit einem normalen Taxi zu fahren. Die Ereignisse, die im letzten Jahr geschehen waren, hatten ihre Spuren hinterlassen. Als Hailey die Tür des Wagens aufriss, strömte mir der vertraute Geruch von Logans Parfüm entgegen.

»Steigt ein, Mädels«, sagte Logan freundlich und versuchte, seine Haare, die mittlerweile lang geworden waren, mit einem Griff nach hinten zu legen.

Wir stiegen in den Wagen und schnallten uns an.

»Wie geht’s dir, Miranda?«, fragte er und lächelte wieder.

»Mir geht’s gut, danke«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Mein Standardspruch, egal, wie es mir ging. Es war einfacher, den Leuten etwas vorzulügen, als ihnen die Wahrheit zu verraten.

»Wie war der Film?«, fragte er und griff wieder ans Lenkrad, nachdem er Hailey mit einem Kuss begrüßt hatte. Das perfekte Paar.

»Mit einem Wort? Furchtbar«, sagte ich und grinste.

»Zum Glück hat sie dich gezwungen, mit ihr in den Film zu gehen. Sonst wäre ich wohl derjenige gewesen, der sich das hätte antun müssen«, meinte Logan, blickte in den Rückspiegel und nickte mir kurz zu.

»Ja, ich hatte die Ehre, mir zwei Stunden eine Schnulze anzuschauen, während neben mir ein netter Herr in Zeitlupe Popcorn aß«, sagte ich mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme.

»Oh, das nächste Mal werde ich an deine Stelle rücken. Willst du noch mit zu uns? Wir könnten es uns gemütlich machen und einen Film schauen?«, fragte Logan.

Ich mochte Logan. Er war immer zuvorkommend und erkundigte sich lieber einmal zu viel als zu wenig nach dem Wohlbefinden der Menschen, die ihm wichtig waren.

»Nein danke, ich muss morgen früh in die Zentrale zu Miller. Er will etwas mit mir besprechen. Ich sollte also früh ins Bett gehen, wenigstens einmal in dieser Woche.« In den letzten Tagen hatte ich ein paar Dates gehabt. Ich hatte mir nicht viel davon versprochen, da die meisten Männer einfach Weicheier waren. Mit einem von ihnen hatte ich geschlafen, aber es würde definitiv nicht mehr daraus werden, da er mich gleich am nächsten Tag dutzende Male angerufen hatte und ich nicht auf Kletten stand.

»Was will Miller von dir? Ob wir vielleicht zu viel am Arbeitsplatz quatschen?«, fragte Hailey und trommelte auf dem Armaturenbrett herum.

»Wir sind Frauen, wir müssen immer reden. Egal wann und egal wo«, antwortete ich.

Hailey war meine beste Freundin und mit ihr konnte ich über alles sprechen. Miller war das inzwischen auch aufgefallen. Zwar hielt er viel von Teamwork, aber Hailey und ich übertrieben es manchmal mit Klatsch und Tratsch.

Logan setzte mich am Rand des Stadtteils Westwood ab. Ich lebte schon seit einer Weile in Los Angeles. Vor drei Jahren hatte ich mich auf Anhieb in meine kleine Zweizimmerwohnung verliebt, sie war einsame Spitze und ich konnte sie mir finanziell auch leisten. Allein zu leben, hatte seine Vorteile. Ich hatte nie Probleme damit gehabt, jemanden kennenzulernen. Aber es war schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die meisten Männer hatten es nur auf das eine abgesehen. Vielleicht war ich deshalb zu einem Eisklotz mutiert. Sex zur Verdrängung von Gefühlen zu benutzen, war nicht schlecht. Die Leere, die sich am nächsten Tag ausbreitete, war mir mittlerweile fast schon egal.

Nachdem ich meine Tasche in eine Ecke geworfen hatte, setzte ich mich auf mein schwarzes Ledersofa und schaltete das Spätprogramm ein. Ich dachte über die Frage von Logan bezüglich meines Befindens nach. Ich hatte wie immer geantwortet, dass es mir gut ging, und hatte keine Ahnung, wann ich diese Antwort das letzte Mal wirklich ernst gemeint hatte. Heute war ein Tag, an dem es mir nicht gut ging. Der Alltag lenkte mich von all meinen Grübeleien ab, und auch der Film hatte mich auf andere Gedanken gebracht, aber kein Mensch konnte gegen die Melancholie ankämpfen, die erst am Abend einsetzte, wenn man allein in seiner Wohnung war. Mein Job war mein Leben und ich genoss jede einzelne Sekunde davon, aber sollte das alles sein? War das der Sinn meines Lebens? In dieser Minute ertappte ich mich bei dem Gedanken, wie gern ich jemanden an meiner Seite haben würde, mit dem ich meine Erlebnisse teilen konnte. Aber für mich gab es einfach nicht den richtigen Mann, den Mister Perfect.

Ich versuchte, mich mit einem Teleshoppingsender abzulenken, aber mein Kopf wollte einfach nicht abschalten. Auf dutzende Gedanken konzentriert, schlief ich irgendwann ein, während im Hintergrund leise die Werbung für Küchengeräte lief.

Finn

Ungeduldig stand ich mir die Beine in den Bauch. Dabei versuchte ich, nicht zu verkrampft dazustehen, denn ich sollte locker wirken. Es hatte gefühlte vierzig Grad, Normaltemperatur für eine Stadt, die in der Wüste lag. Las Vegas, die Spielerstadt in Nevada, war seit drei Jahren mein Zuhause – oder etwas, was dem sehr nahekam.

Für eine Kippe sollte es noch reichen, bevor der Flüchtige den Schuppen verließ und ich ihn festnehmen konnte, dachte ich und zündete mir eine Zigarette an. Ein Laster, das ich nicht aufgeben konnte. Kaum hatte ich den Glimmstängel in den Mund genommen, sah ich, wie sich Clayton Hibster, einer der kleineren Drecksäcke, die sich in Las Vegas niedergelassen hatten, verpissen wollte. Er kam gerade aus einem Internetcafé und drehte sich in alle Richtungen um, als wüsste er, dass jemand hinter ihm her war.

Lässig zog ich an meiner Zigarette, als Clayton sich an mir vorbeistehlen wollte. In dem Moment, als er sich auf gleicher Höhe mit mir befand, stellte ich ihm ein Bein. Er flog in hohem Bogen auf den asphaltierten Boden und fiel der Länge nach hin. Das musste wehgetan haben.

»Verdammte Scheiße! Hast du denn keine Augen im Kopf, Junge?«, brüllte der Kleinganove mich an.

»Doch, doch, ich habe genau gesehen, wen ich auf den Boden befördert habe«, erwiderte ich, drehte seine Arme auf den Rücken und wollte ihm Handschellen anlegen.

»Scheiße, du bist einer von denen!«, rief Clayton und wand sich unter meinem Griff. Versuchte er gerade, abzuhauen? Seine Hose war durch den Sturz weit aufgerissen und er schien verletzt zu sein. Würde er trotzdem versuchen wegzulaufen, wäre sein Zustand nur zu meinem Vorteil.

»Was denkt ihr eigentlich, wer ihr seid? Ihr könnt euch nicht alles rausnehmen! Ihr seid nichts als Söldner«, erklärte Clayton, immer noch auf dem Boden liegend.

»Wir haben einen Namen«, sagte ich, warf meine Kippe auf den Boden und trat sie mit meinem schwarzen Stiefel aus.

Clayton hatte es endlich geschafft aufzustehen, und für sein Übergewicht war er ziemlich schnell. Wie von der Tarantel gestochen, rannte er los. Weit würde er allerdings nicht kommen, denn mein bester Freund Jared stand schon am anderen Ende des Gehsteiges und grinste mich an. Clayton lief ihm direkt in die Arme, und Jared war nicht so verständnisvoll wie ich. Mit einem geschickten Manöver hatte er den Kerl erneut auf den Boden befördert. Jared bestand fast nur aus Muskeln, und allein der Anblick, wie er Clayton umwarf, ließ mich Mitleid mit dem Möchtegern-Gangster bekommen.

»Das ist Körperverletzung! Ich ergebe mich ja, ihr Schweine!«, sagte Clayton und jammerte kläglich.

»Oh, das ging aber schnell. Wir haben mit ein bisschen mehr Widerstand gerechnet«, sagte Jared und strich sich seine schwarzen Haare zurück.

»Ich werde euch anzeigen! Ihr werdet hinter Gitter kommen«, schrie Clayton laut.

Passanten, die hauptsächlich aus Touristen bestanden und Fotos von den Sehenswürdigkeiten auf dem Strip machten, hatten sich mittlerweile um Clayton versammelt. Ich musste ihn da rausholen, bevor die Leute noch Fotos von der Situation machen und in den sozialen Netzwerken verbreiten würden. Schnell hatte ich mir den Weg zu ihm gebahnt, half ihm, aufzustehen, und Jared bat die Meute, sich zu entfernen.

»Übrigens nennt man uns Kautionsagenten. Du hättest deine Schwester mal nicht um ihr Haus bringen sollen«, sagte ich und beförderte Clayton auf den Rücksitz unseres schwarzen Vans.

Seit drei Jahren arbeitete ich nun in Las Vegas. Was genau ich tat? Ich war Mitglied in einer Gruppe von Kautionsagenten. Wir sammelten die Straftäter ein, die auf Kaution auf freiem Fuß und nicht zum Gerichtstermin erschienen waren. Diese Gruppe nannte sich Special Bail Agents. Der Chef dieses Vereins war Samuel Williams. Er hatte noch andere Geschäfte am Laufen, von denen ich mich allerdings fernhielt. Außerdem war ich ein Spitzel des FBI. Ich hatte zwar keine Marke und auch keine wirklichen Befugnisse, aber ich sammelte Informationen über gewisse Leute. Diese gab ich dann ans FBI weiter. Ab und zu sah mal ein Special Agent vorbei, um zu schauen, ob man die Lage unter Kontrolle hatte. Die meisten dieser Agents waren zuvorkommend und wirklich nett. Natürlich gab es auch hier Ausnahmen, so wie den Letzten, dem ich am liebsten eine Abreibung verpasst hätte. Die Jobs machten mir Spaß und ich konnte sehr gut von ihnen leben, auch wenn ich viel von dem eingenommenen Geld direkt wieder verprasste.

Jared stieg auf den Beifahrersitz und ich trat aufs Gaspedal.

»Wollen wir heute versuchen, noch einen dranzukriegen, oder reicht uns das Geld?«, fragte Jared und rieb sich die Hände.

»Wie hoch war die Kaution, die auf deinen Kopf ausgesetzt wurde?«, fragte ich Clayton, der auf dem Rücksitz saß und verbissen versuchte, sich von dem Kabelbinder, der um seine Hände gewickelt war, zu befreien. An einer Ampel drehte ich mich zu ihm um und er spuckte mir direkt ins Gesicht.

»Drecksack«, murmelte ich, nahm mir ein Taschentuch aus meiner Hosentasche, wischte mir den Speichel ab und war versucht, dem Typen eine zu knallen. Wenn ich jedes Mal einen Penny bekommen würde, wenn ich daran dachte, handgreiflich zu werden, wäre ich mittlerweile reich.

»Dir sage ich gar nichts, du dreckiger Arsch!«, erklärte Clayton selbstsicher und drückte mit seinen Füßen gegen den vorderen Sitz, auf dem Jared Platz genommen hatte.

»Hey, wenn du das nicht sofort unterlässt, wirst du deine Beine bei der Ankunft auf der Polizeistation nicht mehr spüren«, drohte Jared. Seine tiefe Stimme schüchterte normalerweise jeden Kleinkriminellen ein, aber bei Clayton war das anscheinend anders.

»Darfst du überhaupt in diesem Land sein oder bist du illegal hier?«, fragte Clayton frech.

In seiner Akte hatte schon gestanden, dass er ein Rassist sei und aufgrund diverser Vergehen, wie zum Beispiel Diebstahl, hinter Gittern gesessen hatte. Doch bei Jared war er damit an den Falschen geraten, denn dieser hatte sich schon oft solche Kommentare anhören dürfen. Sein Vater stammte aus Puerto Rico und seine Mutter war Amerikanerin. Er war ein typischer Mischling und hatte dunkelbraune Augen, die nun böse zu funkeln begannen. Ich bemerkte, wie sehr er versuchte, sich zusammenzureißen, als er seine Faust fest zusammenballte und tief ein- und ausatmete.

Clayton hatte sich - trotz Kabelbinder an seinen Händen - von seinem Gurt befreien können und war ganz weit nach vorn gerutscht. Direkt an der Lehne von Jared flüsterte er leise unverständliches Zeug.

»Clayton, wenn du etwas zu sagen hast, dann sprich es laut aus«, sagte ich kopfschüttelnd, weil ich keine Lust auf Kindergartenspielchen hatte.

»Mit dir rede ich nicht.« Clayton wandte sich Jared zu.     

»Hat es dir etwa die Sprache verschlagen oder verstehst du nicht, was ich sage, du Nigger?«, meinte Clayton und fing an, dämlich zu lachen.

Jared betätigte einen Knopf unter seinem Sitz, der daraufhin mit einem lauten Knall nach hinten schoss und Clayton zwischen Rücksitz und Vordersitz einklemmte. Der krümmte sich vor Schmerzen und schrie laut auf.

»Wenn er blutet, kannst du mein Auto reinigen«, sagte ich zu Jared, der ungehemmt lachte und sich mit der Hand auf den Oberschenkel schlug.

»Das war es wert«, meinte Jared, klatschte in seine Hände und nahm Claytons Akte aus dem Handschuhfach. »Die Kaution betrug 300.000 Dollar. Zehn Prozent davon bekommen wir, was ein schönes Sümmchen für uns beide ergibt«, fügte Jared hinzu.

Es wäre noch lukrativer, den ein oder anderen Job allein auszuführen, aber zu zweit war es einfach sicherer. 15.000 Dollar würden für die nächsten Monate reichen.

Clayton jammerte die restliche Fahrt zum Polizeirevier und bedachte uns beim Aussteigen erneut mit allerlei Kraftausdrücken.

»Leidet er am Tourette-Syndrom?«, fragte einer der Beamten, die Clayton in Empfang nahmen.

»Nein«, sagte Jared kurz und knapp.

»Der sieht ja ganz ramponiert aus. Was habt ihr denn mit ihm getrieben?«, fragte Harrison, der beim Las Vegas Police Department arbeitete und für die Übergabe zuständig war.

»Er war frech«, erwiderte Jared und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Zum Glück ist er nicht zu sehr ramponiert, wie eure letzten Flüchtigen, aber passt auf, sonst bekommt ihr irgendwann wirklich mal eine Anzeige«, sagte Harrison ernst.

»Er kann froh sein, dass wir ihn überhaupt noch lebend abgeliefert haben. Das nächste Mal, wenn jemand einen rassistischen Kommentar über mich abgibt, vergrabe ich ihn im Death Valley«, sagte Jared und stieg wieder in den SUV.

»Ihr solltet auf Harrison hören«, sagte Baker, der ebenfalls beim Police Department in Las Vegas arbeitete, aber im Gegensatz zu Harrison arrogant und herablassend war.

»Ich habe ihn nicht angerührt«, erklärte ich dem schwarzhaarigen Polizisten.

»Ich will gar nicht wissen, wie viel Dreck du schon am Stecken hast«, sagte Baker harsch.

Kapitel 2

Miranda

Am nächsten Morgen fuhr ich extra früh in die Zentrale, damit mein Chef sich nicht beschweren konnte, dass ich unpünktlich war. Fünfzehn Minuten vor dem Termin tanzte ich vor seinem Büro an, und Pamela, seine Sekretärin, bat mich schon herein.

Nachdem Miller mir gesagt hatte, was mein neuer Auftrag werden sollte, sagte ich fest entschlossen: »Ich muss aber nicht einen auf Hailey machen und meine Haare blond färben, oder? Denn wenn ich Ihnen eins versprechen kann, dann, dass ich mit blonden Haaren absolut furchtbar aussehe.«

Miller hatte die Hände gefaltet und saß angespannt auf seinem Schreibtischstuhl. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und wippte dauernd mit seinem Fuß auf und ab.

»Nein, Sie müssen sich Ihre Haare nicht färben. Sie bekommen nur eine neue Identität und werden vor Ort einem Kollegen unterstützend unter die Arme greifen. Um wen es sich genau handelt, werden Sie dort erfahren«, sagte Miller und knirschte mit seinen Zähnen.

»Ist es Benjamin Rowen vom LAPD?« Von ihm hatte ich schon so viel gehört. Er war eine lebende Legende.

»Jetzt seien Sie mal nicht so ungeduldig. Aber ja, es handelt sich um Benjamin, und seine Mission ist unglaublich wichtig. Es geht um mehr als um den Drogenhandel in Las Vegas. Sie sollen herausfinden, was sich da drüben genau abspielt. Es wird nicht leicht, aber ich setze alles auf Sie, Miranda. Sind Sie für diesen Fall bereit oder gibt es irgendwelche Einwände Ihrerseits?«, fragte Miller in einem strengen Tonfall.

Ich kam mir vor wie bei einem Verhör. »Nein, ich bin bereit«, erklärte ich ihm. In letzter Zeit hatte ich mehr im Büro gesessen, als außerhalb tätig gewesen zu sein, und ich war glücklich darüber, mal wieder aus der Stadt zu kommen.

»Hier ist Ihre neue Identität. Morgen geht es los. Ihr Flug geht am späten Nachmittag. Packen Sie und sagen Sie niemandem auch nur ein Wort«, sagte Miller und reichte mir eine braune Akte über den Tisch.

Ich schlug sie kurz auf und überflog meinen gefälschten Lebenslauf. Es war beeindruckend, was das FBI alles konnte.

»Savannah? Sehe ich aus wie eine Südstaatenschönheit?«, fragte ich skeptisch und zog eine Augenbraue nach oben.

»Jetzt sind Sie es. Geboren und aufgewachsen in New Orleans. Halten Sie sich einfach an die Agenda, damit nichts schiefgehen kann«, sagte Miller.

»Margio? Waren meine Eltern mexikanische Einwanderer, oder was?«

»Miranda«, sagte Miller in einem schroffen Ton und erhob sich. Er wollte mich schnell wieder aus seinem Büro befördern, das zeigte er ganz offen. Ich bedankte mich und wollte gerade die Tür öffnen, als sich Miller noch einmal kurz räusperte.

»Und Miranda, kein Wort zu irgendwem«, ermahnte er mich noch mal. Als würde ich jedem erzählen, dass ich einen Undercover-Einsatz hätte. Für wie blöd hielt er mich?

»Ich mache das nicht zum ersten Mal«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.

»Aber Sie hatten damals keine Freundin wie Hailey.«

Oh, erwischt. Meinen Mund konnte ich vor Hailey einfach nicht halten, sie war wie eine Schwester für mich, der ich alles anvertraute. Meine Seelenverwandte.

»Versprochen«, erwiderte ich und ging aus der Tür. Natürlich nicht.

Einen Tag später saß ich abends mit Logan und Hailey in einem italienischen Restaurant namens Vitos. Ich wollte noch einmal Zeit mit ihnen verbringen, bevor ich zu meiner Mission aufbrach. Wer weiß, wie lange ich von Los Angeles weg sein würde.

»Ihr wisst, dass ich über einen Auftrag nicht reden darf, oder?«, fragte ich und fuhr mit meinem Finger die Initialen nach, die Gäste in den Tisch geritzt hatten.

»Ja, aber eine kleine Information kannst du uns doch geben«, bettelte mich Hailey mit großen Kulleraugen an. Sie erinnerte mich an einen kleinen Welpen, dem man nichts abschlagen konnte. Der Kellner brachte in diesem Moment unser Essen, und damit war ich erst einmal aus der Schusslinie.

»Und?«, fragte Hailey erneut, als der Kellner außer Sichtweite war.

»Miller wird mich umbringen und dich gleich mit«, sagte ich und rollte meine Spaghetti auf einen Löffel.

»Aber ich muss doch wissen, wo du bist. Ist es ein anderer Bundesstaat oder gar ein anderes Land? Komm schon, Miranda.« Hailey starrte mich unentwegt an, und ich konnte mich nicht mehr auf mein Essen konzentrieren, legte mein Besteck auf die Serviette und seufzte laut.

»Soll ich kurz den Tisch verlassen, damit ich keine geheimen Informationen an Fremde weitergeben kann?«, fragte Logan.

»Nein, das musst du nicht. Hailey wird es dir sowieso verraten«, sagte ich, denn sie konnte kein Geheimnis vor Logan bewahren.

»Okay, ich bin bereit«, sagte Hailey und kam ganz nah an mein Gesicht.

»Du musst mir dafür nicht deine Nase an meine Wange halten. Ich sage dir nur ein Wort, und das kann alles bedeuten. Und du weißt von nichts, wenn Miller dich fragt«, erklärte ich ihr und sie wich einige Zentimeter zurück.

»Las Vegas«, sagte ich daraufhin.

»Nein! Du darfst Rowen helfen, habe ich recht?«, sagte sie laut, ein wenig zu laut.

»Hailey, das ist eine geheime FBI-Aktion. Würdest du dich bitte ein wenig zurückhalten, damit nicht das ganze Lokal darüber Bescheid weiß? Vielleicht hat mich Miller schon verwanzt und wir sitzen morgen beide auf der Straße«, sagte ich ein wenig genervt.

»Oh wow! Was würde ich dafür geben, Benjamin Rowen kennenzulernen«, sagte Hailey und sah verträumt in die Luft.

»Danke, mein Schatz«, erwiderte Logan und stupste seiner Liebsten in die Taille.

»Aber Benjamin Rowen, Logan. Er ist eine Legende beim FBI, und das, obwohl er nur ein Polizist des LAPD ist«, erklärte Hailey.

»Nicht nur beim FBI. Ich habe damals auch die ein oder andere Information über ihn bekommen. Er ist schon so lange undercover, dass ich nicht weiß, ob er noch auf der guten Seite steht«, sagte Logan.

»Nein, er wird bestimmt nicht abtrünnig geworden sein. Er gehört zu den Guten«, antwortete ich.

»Menschen können sich ändern, und die böse Seite ist verlockend und gleichzeitig unheimlich gefährlich«, meinte Hailey.

»Aha, mein Mädchen spricht aus Erfahrung. Ich würde jedenfalls nicht meine Hand für diesen Kerl ins Feuer legen. Sei bitte vorsichtig, Miranda«, warnte mich Logan.

»Ja, keine Sorge. Ich kann mich verteidigen und werde auch ständig mit Miller und Black in Kontakt stehen«, sagte ich. Black war der zuständige Beamte des FBI in Las Vegas. Ich kannte ihn schon von diversen Einsätzen und freute mich, ein bekanntes Gesicht wiederzusehen.

»Ich würde am liebsten mitfliegen! Logan, komm, wir gehen nach Las Vegas. Einen kleinen Urlaub hätten wir uns doch verdient.«

»Wir waren doch erst in Las Vegas«, sagte Logan, lachte und hob seinen Ringfinger nach oben.

Hailey und Logan hatten erst kürzlich in Las Vegas geheiratet und ich gönnte ihnen das Glück vollkommen. Sie waren wie füreinander geschaffen und ergänzten sich perfekt.

»Aber wir haben gar nicht richtig gespielt. Ich liebe diese Spielautomaten«, antwortete Hailey und ihre Augen begannen zu funkeln.

»Hailey. Du wirst nirgendwo hingehen«, sagte ich.

»Ich würde so gerne wieder undercover arbeiten, aber nach der ganzen Ethan-Armstrong-Geschichte bin ich mir einfach nicht mehr sicher, ob ich mein Leben für jemanden opfern würde. Jedenfalls momentan nicht«, sagte Hailey.

»Nein, du solltest dir erst mal eine Auszeit nehmen. Die Sache mit Ethan ist erst ein paar Monate her. Das ist keine Zeit, um darüber hinwegzukommen«, stimmte ich ihr zu.

»Das sage ich ihr auch immer«, sagte Logan daraufhin.

Ethan Armstrong war ein bekannter Drogendealer, der die Geschäfte an der Westküste geleitet hatte. Zudem war er Haileys Ex-Lover. Logan hatte ebenso undercover gearbeitet und dadurch Hailey kennen- und lieben gelernt. Hailey und Logan hatten Ethan Armstrong letztendlich gemeinsam hinter Gitter gebracht.

Nach dem Essen fuhr ich zurück in meine beschauliche Wohnung und packte den restlichen Kram in meinen viel zu großen Koffer. Morgen dann würde mein neues Leben als Südstaatlerin Savannah beginnen.

Finn

Ich fuhr Jared nach Hause und genehmigte mir anschließend ein Fast-Food-Menü bei einer Burgerkette. Als Kautionsagent musste man zwar fit sein, aber auch viele Kohlenhydrate vernichten, und heute war mein persönlicher Cheat Day. Das heißt, ich stopfte tausende Kalorien in mich hinein. Ich klang schon wie eine Frau!

Ich beobachtete gerade ein Pärchen, und als das Mädchen sich umdrehte, musste ich an meine Ex-Freundin denken. Sie glich ihr in vielem: in ihrer Mimik, ihrer Haarfarbe und ihrer Gestik.

Der Schritt, ein Spitzel des FBI zu werden, war mir vor einigen Jahren nicht leichtgefallen. Ich hatte eine schwere Zeit hinter mir gehabt. Als Jugendlicher war ich auf die schiefe Bahn geraten, und dass trotz eines Vaters, der Chief eines Polizeireviers war. Ich wollte mich mit allen Mitteln gegen ihn und meine Familie stellen und hatte es auch erfolgreich geschafft. Zuerst fing ich mit kleineren Delikten wie Überfällen an, ich steigerte mich aber von Jahr zu Jahr. Je gefährlicher, umso besser. Es war wie ein Rausch gewesen, und die Verlockung, ein noch größeres Ding abzuziehen, war verdammt reizvoll gewesen. Die Drogen hatten mir dabei geholfen, alle Hemmungen fallen zu lassen. Ich war süchtig. Mit einundzwanzig Jahren hatte ich jedoch nach einer Tragödie an meinem persönlichen Scheideweg gestanden. Ich erinnerte mich an den Tag zurück, der der schlimmste meines bisherigen Lebens gewesen war:

»Gabriella, es ist Zeit aufzustehen! Wir sind spät dran. Snuffie will uns am Stadion treffen«, sagte ich und zog die Decke weg. Das Zimmer hatten wir in einer Gang-verseuchten Gegend in South Los Angeles gemietet. Das meiste Geld ging für die Drogen drauf, was anderes brauchten wir nicht zum Leben, wir hatten ja uns. Mit neunzehn Jahren war ich der Liebe meines Lebens begegnet: Gabriella.

»Gabby!«, sagte ich schroffer und lauter. Sie bewegte sich nicht. Ich packte meine Freundin am Arm und schüttelte sie. Ihr Kopf fiel wie der einer Puppe von der einen Seite auf die andere.

»Gabby!«, schrie ich erneut und drehte sie um. Sie war unglaublich kalt und atmete nicht mehr. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Blick war starr. In diesem Körper war kein Funken Leben mehr. Ich versuchte, sie wiederzubeleben, wobei einige ihrer Rippen ein fürchterliches knackendes Geräusch von sich gaben, und ich erkannte, dass ich ein paar davon gebrochen hatte. Ich gab ihr einige Ohrfeigen und schlug, in der absurden Hoffnung, dass sie doch noch aufwachen würde, immer fester zu.

»Nein, Gabby, verlass mich nicht! Baby, tu mir das nicht an!« Ich nahm sie in die Arme und drückte sie fest an mich. Erst da bemerkte ich, dass noch eine Nadel in ihrem Arm steckte. Gabby hatte sich nachts heimlich noch einen Schuss gesetzt, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Der sogenannte goldene Schuss hatte mir Gabby in dieser Nacht genommen.

»Gabby, nein«, schrie ich immer wieder, bis ich heiser wurde. Wieso hatte sie das getan? Warum hatte sie mich verlassen? Das Heroin hatte Gabby geholt, und ich würde der Nächste sein, wenn ich mich nicht endgültig davon lösen würde.

Ich floh aus der Wohnung, aus der Stadt, aus dem Bundesstaat und hatte mich nie wieder dort blicken lassen. Durch Zufall war ich auf ein Plakat mit einer Kampagne von einer Organisation gestoßen, die sich um Drogenabhängige kümmerte und diese dabei unterstützte, von ihrer Sucht loszukommen. Sie bezahlten mir die Entzugsklinik, weil ich kein Geld gehabt hatte, und nach einem Jahr galt ich als clean, ich hatte es geschafft. Ich hielt mich ein paar Jahre in Arizona auf, lernte Jared kennen und ging mit ihm zusammen nach Las Vegas. Für andere war Las Vegas der Ruin, für mich meine neue Lebensaufgabe.

Seit Gabriellas Tod hatte ich keine Frau mehr an mich herangelassen. Jedenfalls nicht emotional. Die ein oder andere Affäre hatte ich natürlich nicht ausgeschlagen, aber sobald es ernster wurde, brach ich den Kontakt ab. Vielleicht hatte ich verlernt zu lieben oder Angst, dass ich die Person wieder verlieren würde, wie ich es mit Gabby erlebt hatte. Wir waren ein Herz und eine Seele gewesen und die Drogen hatten sie mir entrissen, für immer. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es jemanden gab, den ich auch nur ansatzweise so lieben könnte, wie ich sie geliebt hatte.

Nachdem ich mein Fast Food verdrückt hatte, fuhr ich zurück in meine Wohnung, die unweit vor Paradise, einem Vorort von Vegas, lag. Ich sprang kurz unter die Dusche und schlief anschließend auf der Couch ein.

Am nächsten Abend beschloss ich, mit Jared an einer Hotelbar des Flamingo Casinos etwas zu trinken. Es war eine unserer Lieblingsbars in Las Vegas. Zum einen konnte man hier gut Touristinnen abschleppen und zum anderen waren die Getränke, im Gegensatz zu anderen Bars, spottbillig.

»Heute ist doch ein besonderer Tag. Die Getränke gehen auf mich«, sagte Jared in Richtung Kellner. Er hatte es also nicht vergessen. Heute war mein Geburtstag, doch ich feierte ihn für gewöhnlich nicht. Dreißig Jahre. Ein Meilenstein. Da ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie hatte, wollte ich diesen Tag am liebsten vergessen. Während meiner Drogenzeit hatte ich mich kein einziges Mal bei ihnen gemeldet, und das letzte Mal, dass ich meinen Bruder gesehen hatte, war vor neun Jahren gewesen.

»Happy Birthday, Bro«, sagte Jared und stieß mit mir an.

Jared kam einem Bruder verdammt nahe, auch wenn wir nicht blutsverwandt waren. Er war mein bester Freund und vielleicht der Einzige, auf den ich mich wirklich verlassen konnte, wenn es hart auf hart kam.

Ich hatte zwar die Finger von den Drogen lassen können, konnte aber nicht aufhören, zu stehlen. Ein neues Laster hatte sich entwickelt. Während eines Beutezugs hatte ich Jared kennengelernt. Zusammen erledigten wir einige Diebstähle und Einbrüche, die uns Reichtum und Ruhm bescherten. Nach fünf Jahren bestahlen wir allerdings den Falschen: Williams. Er war der Erste, der uns erwischte, und er stellte uns schließlich vor die Wahl: Entweder, wir arbeiteten in seiner Kautionsagentur, oder er würde uns der Polizei ausliefern. Er wusste, dass Jared und ich sehr gut zusammenarbeiteten, und das setzten wir auch bei unserer Arbeit als Kautionsagenten fort. Es war der perfekte Deal, und heute war ich glücklich, dass ich mich damals darauf eingelassen hatte.

Jared und ich tranken unser Bier an der Bar, als sich Williams, unser Chef, zu uns gesellte.

»Einen guten Job habt ihr gemacht. Auf euch ist immer Verlass«, sagte er und rieb sich über seinen Vollbart.

»Danke«, sagten Jared und ich im Chor.

Williams war der Boss der Kautionsagentur. Er war um die fünfzig Jahre alt und ließ andere für sich arbeiten. Woher er kam und was ihn nach Las Vegas verschlagen hatte, wusste keiner so genau. Williams hatte in der Vergangenheit als Informant fürs FBI gearbeitet und war auch undercover im Einsatz gewesen. Vor zwei Jahren fragte er mich, ob ich diesen Part für ihn übernehmen würde. Er fühlte sich dafür zu alt und hatte noch etliche andere Geschäfte am Laufen.

Als Spitzel zu arbeiten, bedeutete zusätzliches Geld, und ich hatte Verbindungen zu Dieben, die meine Missionen erleichterten, weil sie mir Informationen über Kautionsflüchtlinge verraten konnten.

»Diese Woche habe ich nur einen Fall für euch. Entweder ihr teilt euch die Kohle oder ihr spielt Schere, Stein, Papier«, sagte Williams und gab uns eine neue Akte.

Da ich diese Woche sowieso für das FBI tätig sein würde, konnte Jared den Fall ruhig übernehmen. Ich wusste noch nicht, warum das FBI mich wieder kontaktiert hatte, aber es musste wichtig sein.

»Du kannst den Fall haben«, sagte ich zu Jared und trank mein Bier aus.

»Warum bist du so gütig, Finn?«, fragte Jared nach.

»FBI«, sagte ich kurz und knapp, da er von meinem kleinen Nebenjob beim FBI wusste.

»Nicht, dass die dich irgendwann einmal abwerben. Jared und du seid meine besten Männer«, erklärte Williams.