Ungehindert - Anat Baniel - E-Book

Ungehindert E-Book

Anat Baniel

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Besondere Kinder brauchen besondere Eltern. In diesem Buch erfährst du, wie du die Entwicklung deines Kindes durch einfache und wirkungsvolle Methoden fördern kannst. Jedes Kind kann lernen und sich verbessern - unabhängig von seiner Diagnose. Fang am besten gleich an, und hilf deinem Kind dabei, sein volles Potential zu erreichen und über seine Grenzen hinauszuwachsen. Die neun Grundlagen wirken bei jedem Kind und können ganz einfach in euren Alltag eingebaut werden. Aufbauend auf den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften erklärt Anat Baniel, wie sich das Gehirn deines Kindes auf bemerkenswerte Weise verbessern kann. Die Methoden, die in diesem Buch beschrieben werden, führen zu erstaunlichen Fortschritten bei Kindern mit Zerebralparese, genetischen Defekten, ADHS, Autismus und vielen weiteren Diagnosen und werden auch dein eigenes Leben bereichern. Die Entwicklung deines Kindes wird dich begeistern. Versuch es einfach, und freue dich auf wunderbare Veränderungen und beeindruckende Erfolge.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 425

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anat Baniel verwendet in der englischsprachigen Originalausgabe „Kids Beyond Limits“ in den einzelnen Kapiteln

abwechselnd die männliche bzw. die weibliche Form,

wenn sie allgemein von einem Baby oder einem Kind spricht.

Dies wurde in der deutschen Übersetzung beibehalten.

„Das Kind“ wird demnach in den Kapiteln nicht als „es“

bezeichnet, sondern abwechselnd als „sie“ bzw. als „er“,

sodass in dem jeweiligen Kapitel durchgehend von einem Mädchen oder einem Jungen die Rede ist.

Anmerkung zur deutschen Übersetzung

Größere Bestellmengen des Buches

können ab einer Auflage von 25 Stück

direkt unter [email protected]

zu einem vergünstigten Preis angefordert werden.

Das sagen Expertinnen, Experten und Eltern über die Anat Baniel Method®NeuroMovement®

„Anat verhilft Kindern mit besonderen Bedürfnissen zu solch raschen und effektiven Fortschritten, dass man es sehen muss, um es zu glauben.“

– Dr. Moshe Feldenkrais

„Dieses leicht verständliche, aufschlussreiche und praktische Buch zeigt Eltern von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, wie sie ihre Kinder dabei unterstützen können, Fortschritte zu machen. Baniel tritt in die Fußstapfen des revolutionären Wissenschaftlers und Praktikers Moshe Feldenkrais – der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts, der sich mit der Verbesserung von Bewegung beschäftigt hat – und zeigt, warum die in Mainstreamtherapien vorherrschende Herangehensweise oft falsch und manchmal für die Kinder sogar schädlich ist, weil sie Kinder darauf trainiert, Meilensteine der Entwicklung wie „Äffchen“ nachzumachen, obwohl sie in ihrer eigenen Entwicklung noch nicht dazu bereit sind. Dieser Ansatz hier – viel weiser, viel feiner, wahrhaft ganzheitlich, viel raffinierter, viel mehr in Einklang damit, wie Gehirnentwicklung abläuft – verdeutlicht, wie man Zugang zur Neuroplastizität des Kindes erhält und bewirkt weit größere Erfolge, sodass die Fähigkeiten der Kinder von selbst wachsen können. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, weil ich Baniels kleinen Patientinnen und Patienten vielfach bei ihren Besuchen zugeschaut habe. Ich habe dabei immer wieder Kinder gesehen, deren Eltern gesagt worden war, dass sie aufgrund ihrer Gehirnschädigung niemals gehen, sprechen, komplexe Gedanken fassen oder sich selbst regulieren lernen könnten, dennoch haben sie dank dieser sanften Technik genau diese Sachen erlernt. Ich habe den friedlichen Gesichtsausdruck dieser Kinder gesehen, wenn sie etwas Neues gelernt haben und ihr Verstand und ihr neuroplastisches Gehirn die neue Fähigkeit plötzlich integrierten; ich habe die ungebändigte Freude bei ihren ersten Schritten gesehen, und ich habe zugesehen, wie die Kinder sich entwickelten und unabhängiger wurden. Baniel ist eine Meisterin in der Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen und besonders kreativ bei Kindern mit Gehirnschädigung. Die Geschichten, die hier präsentiert werden, sind keine Übertreibung; sie sind der Triumpf, von dem sicherlich die meisten Eltern von Kindern mit besonderen Bedürfnissen profitieren werden.“

– Norman Doidge, MD, Autor von Wie das Gehirn heilt: Neueste Erkenntnisse aus der

Neurowissenschaft; Faculty University of Toronto Department of Psychiatry und

Research Faculty, Columbia University Department of Psychiatry,

Center of Psychoanalytic Training and Research

„Ich habe Anats Arbeit mit schwer beeinträchtigten Personen mehr als zwei Jahrzehnte lang beobachtet und bin Zeuge von Verwandlungen geworden, die schlicht atemberaubend sind. Ich hoffe, dass die Anat Baniel Method®NeuroMovement® so viele Menschen wie möglich erreicht, und dass sie Teil der wissenschaftlichen Lehre, Ausbildung und Forschungsprogramme in der Rehabilitationsmedizin und in der Physiotherapie wird, je früher, desto besser.“

– Dr. Daniel Graupe, Professor of Bioengineering und Adjunct Professor of

Neurology and Rehabilitation Medicine an der University of Illinois, Chicago

„Anats Arbeit mit Kindern ist magisch. Sie ist die Gehirnflüsterin. Diese überaus wichtige Arbeit wird Kinder mit besonderen Bedürfnissen und ihre Eltern von ihren Ängsten und Einschränkungen befreien und ihnen eine Welt voll neuer Möglichkeiten und Freude eröffnen.“

– John Gray, Autor von Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus

„Anats Arbeit ist wundervoll und tiefgreifend. Kids Beyond Limits hilft Eltern und anderen Bezugspersonen auf meisterhafte Weise, besondere Kinder in ihrem Leben zu unterstützen. Dies ist ein Buch voll großer Weisheit sowie tiefer Wertschätzung für die großen Herausforderungen, die die Erziehung eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen mit sich bringt.“

– Jack Canfield, Autor von Hühnersuppe für die Seele und The Success Principles

„Dank der Anat Baniel Method®NeuroMovement® kann meine vierjährige Tochter ihr physisches, kognitives und emotionales Potential kontinuierlich verbessern und neu definieren. Es ist beeindruckend zu beobachten, wie sich diese Verwandlungen entfalten. Ich hoffe, dass eines Tages alle Eltern und alle Kinder mit besonderen Bedürfnissen Zugang zu dieser Arbeit haben und davon profitieren werden.“

– Michele Shusterman, Mutter eines Kindes mit Zerebralparese

„Nach der ersten Woche, in der mein Sohn Sitzungen mit Anat hatte, war Teo das erste Mal in seinem Leben aufmerksam. Zuhause wurde er neugieriger und wollte die Welt um sich herum erkunden. Seine Umgebung wurde ihm bewusster. Durch diese Arbeit habe ich großartige Werkzeuge bekommen, die ich bei meinem Sohn anwenden kann.“

– Karinna Barlow, Mutter eines autistischen Kindes

„Jack bekam seine ersten Lessons im Alter von 15 Monaten. Nachdem er nun schon seit drei Jahren Lessons der Methode bekommt, ist er nicht mehr als autistisch diagnostiziert. Er kann gut sprechen, ist mitfühlend, intelligent und spielt gerne.“

– Patty Tobin, Mutter eines autistischen Kindes

„Heute ist Plum das erste Mal gekrabbelt. Ihr Krabbeln war einfach wie etwas ganz Alltägliches und dennoch das größte Wunder.“

– Yeshi Neumann, Großmutter eines Kindes

mit Entwicklungsverzögerungen unbekannter Ursache

„Im Alter von drei Monaten wurde bei Joseph unkontrollierte Epilepsie diagnostiziert. In Folge entwickelte er sich extrem verzögert. Die Veränderungen, seitdem er Lessons der Anat Baniel Method®NeuroMovement® bekommt, sind unglaublich.“

– Fiona und Chris Stewart, Eltern eines Kindes mit Epilepsie

Mehr Referenzen von Eltern, Expertinnen und Experten auf www.anatbanielmethod.com

Für alle Kinder, mit denen ich

gearbeitet habe. Dass sie

trotz ihrer Beeinträchtigungen

lernen und wachsen können,

ist meine stetige Inspiration.

Und für alle Eltern,

die ihre Kinder niemals aufgeben.

„Unsere einzige Einschränkung

ist unsere Überzeugung,

dass es so ist.“

Moshe Feldenkrais, PhD

Inhalt

Vorwort von Michael Merzenich, PhD

Einleitung

Teil I Das Fundament

1 Wie alles begann

2 Vom Reparieren zum Verbinden

3 Das großartige Gehirn deines Kindes

Teil II Die Neun Grundlagen

4 Grundlage eins. Bewegung mit Aufmerksamkeit

5 Grundlage zwei. Langsam

6 Grundlage drei. Variation

7 Grundlage vier. Feinheit

8 Grundlage fünf. Enthusiasmus

9 Grundlage sechs. Flexible Ziele

10 Grundlage sieben. Der Lernschalter

11 Grundlage acht. Vorstellungskraft und Träume

12 Grundlage Neun. Bewusstsein

13 Über die Einschränkungen hinaus

Anhang: Häufig gestellte Fragen

Danksagung

Literaturverzeichnis

Referenzen

Über die Autorin

Vorwort

Kids Beyond Limits ist ein großartiges Geschenk für all jene, die ein Kind lieben, das dringend Hilfe benötigt. Wenn das auf dich zutrifft, nimm dir bitte die wichtigen Botschaften dieses Buches zu Herzen. Der Ansatz der Autorin in Bezug auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen hat sich aus ihren zahlreichen praktischen Erfahrungen heraus entwickelt, die ihr immer wieder gezeigt haben, dass sich das Gehirn dieser besonderen Kinder verändern kann, oft auf eindrucksvolle Weise. Sie „erwachen“ regelrecht, erhalten neue Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten werden gestärkt, und ihr junges Leben wird verwandelt. Wir Menschen sind mit einem plastischen Gehirn ausgestattet, das heißt, mit einem Gehirn, das während des gesamten Lebens zu ständiger Veränderung fähig ist. Trotz der großen Schwierigkeiten, die manche Kinder haben, arbeitet in ihnen diese großartige Ressource und wartet nur darauf, um von den Kindern, von der erfahrenen Praktikerin, die so bemüht ist, ihnen zu helfen, sowie von den liebenden Eltern und Großeltern genutzt zu werden. Anat Baniel erklärt auf hervorragende Weise, wie der effektive Einsatz dieser fabelhaften angeborenen menschlichen Fähigkeit Wunder bewirken kann und zu einer positiven Veränderung des Gehirns führt.

Ich habe viel Zeit meiner eigenen wissenschaftlichen Karriere damit verbracht, verstehen zu lernen, wie wir uns diese Fähigkeit des menschlichen Gehirns – Umgestaltung und Neustrukturierung – zunutze machen können, um Kindern und Erwachsenen mit neurologischen Schwierigkeiten zu helfen. Aus mehreren Jahrzehnten Forschung, zusammengefasst in vielen Tausenden Publikationen, haben wir Wissenschaftler die „Regeln“ definiert, die für Neuroplastizität in neurologischen Begriffen gelten. Wir wissen nun, wie wir das Gehirn dazu anregen können, sich zum Besseren zu verändern.

Ich war dann sehr erstaunt, dass meine Freundin Anat Baniel, die parallel dazu in ihrer Arbeit einen ganz anderen Weg gegangen ist, exakt dieselben Regeln definiert hat. In diesem Buch interpretiert Anat diese Regeln in praktischen und verständlichen Begriffen. Ihr Buch wird einen wertvollen Beitrag für die praktische Arbeit leisten und wird euch dabei unterstützen, in eurer Rolle als Eltern oder Großeltern noch kompetenter zu werden.

Wie Anat in diesem Buch erklärt, begann sie ihre Entdeckungsreise während ihrer engen Zusammenarbeit mit ihrem Mentor, dem großartigen Visionär Moshe Feldenkrais. Von diesem Standpunkt ausgehend kristallisierte sich in Anats Arbeit durch genaue Beobachtung der vielen Tausend Kinder, denen sie geholfen hat, ihr Verständnis heraus, wie man eine Verbindung zu den Kindern mit großen Schwierigkeiten herstellt und ihnen dadurch wirklich helfen kann. Sie wurde dafür bekannt, den „hoffnungslosen Fällen“ der Kinder mit besonderen Bedürfnissen helfen zu können. Als ihr Bekanntheitsgrad wuchs, begann sie, mit den unterschiedlichsten Kindern zu arbeiten, wodurch sie so viel persönliche Erfahrung wie kaum ein anderer gesammelt hat. Dabei hat Anat zwei große Wahrheiten entdeckt.

Erstens: Die Ursache für die Einschränkungen eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen ist in den Prinzipien der Neuroplastizität zu finden. Dieselben Prinzipien können genutzt werden, um dem Kind dabei zu helfen, große Fortschritte zu machen. Diese Prinzipien stellt Anat Baniel hier hervorragend in Form der Neun Grundlagen in praktischen Begriffen dar.

Zweitens (und dies ist eine noch größere Wahrheit): Die meisten „hoffnungslosen Fälle“ der Kinder sind nicht hoffnungslos.

Dieses Buch ist ein bedeutendes Manifest, das wichtige praktische Folgerungen dessen zum Ausdruck bringt, was ich „die Revolution der Neuroplastizität“ genannt habe. Unser Gehirn unterliegt ständiger Veränderung. Jedes Mal, wenn wir Menschen eine Fähigkeit erwerben oder verfeinern, wird unsere Gehirnmaschinerie neu vernetzt – das Gehirn spezialisiert sich durch Umgestaltung. Jede neue oder verbesserte Fähigkeit entsteht durch diese Veränderungen im Gehirn. Wie können wir diese großartige Anlage des Menschen in unserem eigenen Leben besser nutzen? Wie können wir sicherstellen, dass unsere Kinder diese menschliche Fähigkeit so effektiv wie möglich für ihre Entwicklung nutzen? Besonders für Kinder, die Schwierigkeiten haben, einfach nur zu reagieren, Handlung zu initiieren, Dinge zu verstehen, sich kompetent zu bewegen und Kontrolle über ihre Welt zu haben, kann die Neuroplastizität von großem Nutzen für ihre Entwicklung und den Erwerb ihrer Fähigkeiten sein und ihr Leben verbessern. Wenn du es schaffst, eine Verbindung zum Kind aufzubauen – wie die Autorin es so hervorragend beschreibt –, dann ist mit entsprechender Unterstützung fast jedes Kind mit besonderen Bedürfnissen auf beeindruckende Weise zu kontinuierlichem und manchmal beinahe unglaublichem persönlichem Wachstum fähig.

Man darf nicht unterschätzen, wie komplex und schwierig es sein kann, ein Kind mit Einschränkungen auf einen vielversprechenden Pfad erfolgreicher Entwicklung zu bringen. Wenn wir das Gehirn des Kindes dazu anregen wollen, effektiver zu arbeiten und bessere Leistungen zu erbringen, müssen wir dort ansetzen, wo das Kind zum aktuellen Zeitpunkt in Bezug auf seine Fähigkeiten steht. Es braucht einen hochgradig personalisierten Ansatz und bedeutet ganz gewiss eine ganze Menge sehr harter Arbeit für alle, die daran beteiligt sind. Die Prinzipien in diesem Buch sollen dein Verständnis verbessern, wie diese Personalisierung zu erreichen ist, sodass du dem besonderen Kind in deinem Leben helfen kannst, neue erkennbare Fortschritte in eine positive, ermutigende Richtung zu machen.

Denke daran, dass aus kleinen positiven neurologischen Veränderungen, die man jeden Tag erreicht, im Laufe eines Jahres großartige Fortschritte werden können und im Laufe eines jungen Lebens noch viel mehr. Die Autorin beschreibt anhand einer Vielzahl wunderbarer Beispiele, wie jegliche Verbesserung der neurologischen Verhaltenskontrolle eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten für das Kind eröffnet. Anat Baniel erklärt, wie die Prinzipien praktisch angewendet werden können, um das Kind für kontinuierliches Wachstum zu rüsten, denn das Gehirn ist für Veränderung gemacht. Sobald sich das Kind auf diesem positiven Weg des Wachstums befindet, wird jede kleine Weiterentwicklung aufregend für dich und das Kind sein.

Ich empfehle dir, die Anregungen, die in diesem Buch präsentiert werden, ernst zu nehmen. Sie vermitteln dir eine klare Vorstellung davon, wie du dem Kind, das du liebst, wirklich helfen kannst.

– Michael Merzenich, PhD, Neurowissenschaftler, Professor Emeritus an der UCSF und Mitglied der National Academy of Sciences and the National Academy of Medicine

Einleitung

S eit einigen Jahren haben mich Eltern sowie meine Studentinnen und Studenten immer wieder gebeten, ein Buch über meine Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen zu schreiben. Mehr noch als ihr wiederholter Wunsch waren es die Erfolge bei den vielen Tausend Kindern im Alter von ein paar Wochen bis hin zu Teenagern, die mich dazu gedrängt haben, dieses Buch zu schreiben. Im Laufe der Jahre durfte ich miterleben, wie sie sich durch meine Arbeit oder durch die Arbeit mit Practitioners, die ich ausgebildet habe, verwandelten. Ich empfand das starke Bedürfnis – eine Verantwortung –, mein Wissen mit den Eltern und anderen Bezugspersonen zu teilen, die ihrem Kind zu helfen versuchen, über seine oder ihre gegenwärtigen Einschränkungen hinauszuwachsen.

Erst gestern habe ich zum ersten Mal mit einem vierzehnjährigen Jungen gearbeitet, der im Säuglingsalter eine schwere Gehirnschädigung erlitten hatte. Dadurch war er blind geworden, hatte keine Sprachfähigkeiten und keine willentliche Bewegung. Bereits nach ein paar Tagen, in denen er Sitzungen von meinen Kolleginnen und Kollegen und eine Sitzung von mir erhalten hatte, begann er zum ersten Mal in seinem Leben zu lautieren und seine Beine zu bewegen; seine Arme waren freier, und es war eindeutig, dass er an dem Vorgang aktiv teilnahm – er konnte sogar ein paar einfache Bewegungsanweisungen befolgen, die ich ihm gab – und er liebte es. Sein Selbst in ihm wurde wach.

Am Ende der Sitzung schaute mich die Mutter dieses Jungen, die ihr Leben der Pflege ihres Sohnes gewidmet hatte, an, und wir tauschten wissende Blicke. In unseren Augen standen Tränen, da wir Dankbarkeit über diese wunderbaren, obgleich dezenten Veränderungen verspürten, selbst wenn wir es nicht wagten, diesen anderen Gedanken laut auszusprechen: Wenn sich dieser Junge im Alter von vierzehn Jahren so rasch verändern und zum Leben erwachen konnte, auf eine Weise, wie er es noch nie zuvor getan hatte, wie würde sein Leben heute aussehen, hätte er dieselbe Gelegenheit vor dreizehn Jahren erhalten. Seine Mutter war nahe daran, dies zum Ausdruck zu bringen, als sie sagte, was bereits viele Eltern vor ihr gesagt hatten: „Ich wünschte, wir hätten früher von dir und deiner Methode erfahren.“

Der Moment, als dieser Junge seinen „Durchbruch“ hatte, war keineswegs einzigartig. Es ist nur eine von vielen Tausenden Lessons, in denen ich den tiefen Wunsch verspürt habe, jene Personen zu erreichen, die für Kinder mit besonderen Bedürfnissen sorgen, um ihnen zu zeigen und sie wissen zu lassen, was für ihre Kinder möglich ist. Als ich diese Arbeit vor mehr als drei Jahrzehnten begann, war ich überrascht, wenn Eltern meine Arbeit mit Kindern als „Wunder“ bezeichneten. Ich wusste, dass die Veränderungen, die wir sahen, wirklich passierten, aber ich hatte nur ein eingeschränktes Verständnis darüber, in welchem Zusammenhang das, was ich machte, mit den Erfolgen bei den Kindern stand. Mit der Zeit wurde mir klar, dass die Resultate, die wir miterlebten, kein Zufall waren. Da diese Ergebnisse sich immer wieder wiederholten, bei Hunderten von unterschiedlichen Kindern mit einer Vielzahl an Krankheiten und Diagnosen, konnten sie nicht einfach als spontane Genesungen oder Fehldiagnosen abgetan werden – wie es Medizinerinnen und Mediziner manchmal machten, wenn sie keine andere Erklärung dafür hatten, was passierte.

Ich habe im Laufe der Jahre Tausende atemberaubende Verwandlungen miterlebt, aber ich habe mich selbst nie als „Wunderheilerin“ gesehen. Vielmehr habe ich verstanden, dass diese Umgestaltung, diese Verwandlung immer im Gehirn des Kindes selbst stattfand. Die Veränderungen der Kinder waren demnach auf die Fähigkeiten ihres Gehirns zurückzuführen.

Jedes Mal, wenn ich die Verwandlung eines Kindes miterlebte, egal, ob es sich um ein Kind mit Autismus, sensorischer Integrationsstörung, Zerebralparese, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder einer anderen Diagnose handelte, verspürte ich das dringende Bedürfnis, das Wissen und die Werkzeuge dieser Methode zu so vielen Kindern wie möglich zu bringen. Ich wollte Eltern und anderen Betreuungspersonen einfache, praktische Anwendungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, um dem Kind zu helfen, das ungenutzte, bemerkenswerte Potential und die Fähigkeiten seines Gehirns zu nutzen. Darum geht es in diesem Buch.

Die Grundideen dieses Buches stellen einen Paradigmenwechsel dar; sie sind eine bahnbrechende, verändernde Kraft. Diese Grundideen können für dich bei der Unterstützung deines Kindes unschätzbar wertvoll sein. Sie ermöglichen deinem Kind, die erstaunlichen Verwandlungen zu erleben, zu denen das Gehirn von nahezu allen Kindern mit besonderen Bedürfnissen fähig ist; Verwandlungen, die er oder sie andernfalls vielleicht niemals erreichen würde.

Meine Kenntnisse, die ich im Laufe der Jahre erarbeitet habe, basieren auf einer Kombination aus dem, was ich von meinem Lehrer Dr. Moshe Feldenkrais gelernt habe, meiner eigenen Erfahrung mit Tausenden von Kindern und der Forschung im Bereich der Neurowissenschaften. Jedes Jahr erlangt die Wissenschaft neue Erkenntnisse über das Potential des menschlichen Gehirns, verwirft damit alte Paradigmen, verschiebt die Grenzen dessen, was als möglich angesehen wird und enthüllt neue Optionen, wie sowohl dem gesunden als auch dem geschädigten Gehirn geholfen werden kann, seine Aufgaben besser zu erfüllen.

Damit sich das bemerkenswerte Potential manifestiert, das in diesem Buch beschrieben ist, musst du die verblüffenden Fähigkeiten des Gehirns deines Kindes schätzen lernen: Es kann sich unter den richtigen Umständen durch die sogenannte Neuroplastizität selbst verändern.

Und dann brauchst du natürlich praktische, einfache und konkrete Vorschläge, wie du diese Prinzipien im echten Leben bei deinem Kind anwenden kannst, ungeachtet seiner oder ihrer spezifischen Krankheit, Diagnose oder einzigartigen Geschichte. Dies waren meine Absicht und mein Ziel beim Schreiben dieses Buch, das du jetzt in deinen Händen hältst.

Die ersten drei Kapitel helfen dir zu verstehen, wie sich das Gehirn deines Kindes verändern und verbessern kann und wie dies oftmals zu einer Verwandlung im Leben deines Kindes führt. Die neun Kapitel danach beschreiben die sogenannten „Neun Grundlagen“, die das Gehirn benötigt, um aufzuwachen und die „Quantensprünge“ zu vollziehen, damit dein Kind sein oder ihr Potential bestmöglich ausschöpfen kann. Am Ende jedes Kapitels der Neun Grundlagen sind in einem eigenen Abschnitt „Werkzeuge“ zum Üben der Neun Grundlagen aufgelistet. Dies sind konkrete, einfach anwendbare Vorschläge, wie du die Grundlagen im Alltag bei deinem Kind anwenden kannst, um dir auf diese Weise die innovativen Prinzipien der Neuroplastizität zunutze zu machen. Durch die Grundlagen und Werkzeuge bleiben die großartigen Fähigkeiten des Gehirns deines Kindes nicht nur ein großes Versprechen, sondern sie werden tatsächlich wahr.

Am Ende des Buches findest du einen Abschnitt mit häufig gestellten Fragen, die ich über die Jahre hinweg gesammelt habe. Du findest auch Referenzen und Notizen, die mein Mitarbeiter Neil Sharp, MD zusammengestellt hat. Dort findest du wissenschaftliche Studien zu den Themen, die in den einzelnen Kapiteln besprochen werden. Die Referenzen sind vollständig angeführt mit abgekürzten Notizen; die vollständigen Notizen können online unter www.anatbanielmethod.com abgerufen werden. Relevante Forschung wird regelmäßig aktualisiert, sobald sie verfügbar ist.

Ich empfehle, beim Lesen mit den ersten drei Kapiteln zu beginnen, weil sie die wichtigsten Informationen vermitteln, um die einzigartigen Aspekte dieser Arbeit zu verstehen.

Nachdem du die einführenden Kapitel gelesen hast, lies die erste Grundlage „Bewegung mit Aufmerksamkeit“, da sie die Basis für alle folgenden Grundlagen ist. Danach kannst du die Neun Grundlagen entweder in der Reihenfolge lesen, wie sie im Buch vorkommen oder in einer beliebigen Reihenfolge, die für dich ansprechend ist. Ich schlage vor, dich mit jeder Grundlage und ihren Werkzeugen ein paar Tage lang zu beschäftigen, um dich damit vertraut zu machen, die nötigen Fähigkeiten zu erlernen und um dein Verständnis zu vertiefen. Wenn du alle Grundlagenkapitel gelesen hast, kannst du von Zeit zu Zeit eines davon auswählen und dich im Detail damit beschäftigen. Kurze Videos, Empfehlungen von Eltern und Beispiele von Lessons mit Kindern findest du online unter www.anatbanielmethod.com.

Ich bin mir sicher, dass du auf den folgenden Seiten wirkungsvolle neue Möglichkeiten entdecken wirst, um deinem Kind zu helfen, täglich über seine oder ihre gegenwärtigen Einschränkungen hinauszuwachsen. Dieses Buch lädt dich dazu ein, neue Wege zu entdecken, wie dein Kind Zugang zu den großartigen Fähigkeiten seines oder ihres Gehirns bekommen und sie verbessern kann, um sich selbst zu verändern.

Teil I
Das Fundament

1 Wie alles begann

„Wir haben in jedem Moment

mehr Möglichkeiten zur Verfügung

als uns bewusst ist. “

Thich Nhat Hanh

I ch werde oft gefragt, woher mein Interesse für die Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen kommt. Gab es etwas, was mich schon früh in meinem Leben zu dieser Arbeit hingezogen hat? Gab es ein Kind mit speziellen Bedürfnissen in meiner eigenen Familie oder in meinem Freundeskreis? Hat mich die Arbeit mit Kindern einfach angezogen? Die Antwort auf all diese Fragen ist nein. Mit Kindern mit speziellen Bedürfnissen zu arbeiten war nichts, was ich geplant oder bewusst ausgewählt hatte. Es begann, als ich ein Baby namens Elizabeth kennenlernte.

Es begann Anfang September 1980, während des ersten Jahres in meiner eigenen Praxis. Mein Lehrer und Mentor Dr. Moshe Feldenkrais und ich waren vor kurzem aus Europa in die Vereinigten Staaten gekommen. Wir hatten einige Workshops organisiert, die er leiten würde, sowie einige Termine mit Studentinnen und Studenten, die er in der Wohnung eines Freundes in der Upper West Side von Manhattan treffen würde. Ich würde ihn dabei als Assistentin unterstützen.

Als es an diesem ersten Morgen an der Tür läutete, begrüßte ich ein gutaussehendes junges Paar um die dreißig. Sie trugen ein weinendes Baby, das sie verzweifelt zu beruhigen versuchten. Das Baby, Elizabeth, weinte so sehr und hatte so großen Kummer, dass es für Dr. Feldenkrais unmöglich gewesen wäre, mit ihr zu arbeiten, wofür sie hergekommen waren. Nach kurzer Zeit fragte mich Dr. Feldenkrais, ob ich auf das Baby aufpassen könnte – die Mutter hatte sie in einer sicheren Position auf die Couch gelegt –, während er mit den Eltern für ein kurzes Gespräch ins Nebenzimmer ging.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie mit Kindern gearbeitet und hatte auch noch nie darüber nachgedacht. In meiner eigenen Praxis in Israel arbeitete ich hauptsächlich mit Erwachsenen aus dem Hochleistungsbereich, wie zum Beispiel mit Tänzerinnen und Tänzern, Musikerinnen und Musikern sowie mit Athletinnen und Athleten, die Schmerzen oder mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Während ich Baby Elizabeth beobachtete, wie sie weinend auf der Couch lag, passierte etwas, was ich nie erwartet hätte. Sie hatte großen Kummer, fühlte sich unwohl, und sie konnte sich nicht selbst bewegen. Aber ich hatte in diesem Moment nur eines im Kopf – den tiefen Wunsch, ihr Unbehagen und ihr Unglücklichsein zu lindern. Obwohl ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ich für sie tun konnte, nahm ich sie in den Arm. Ich wusste weder etwas Genaues über ihre medizinische Diagnose oder ihre Krankheit, noch dachte ich daran, dass etwas Besonderes an ihr war. Ich wusste nur, dass sie sehr unglücklich war.

Ich tat nichts anderes, als sie im Arm zu halten, aber innerhalb von Sekunden hörte sie auf zu weinen und beruhigte sich. Plötzlich war sie friedlich und schien sich wohlzufühlen. Als sie zu weinen aufhörte, trocknete ich ihre Tränen und schaute in ihr winziges Gesicht. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, gab es nichts Greifbares oder Objektives, das belegt hätte, was ich in diesem Moment fühlte, außer, dass ich eine tiefe Verbundenheit mit ihr empfand. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass sie eine Verbindung zu mir aufgebaut hatte, die sie beruhigte. Als ich in ihre großen braunen Augen schaute, die nun nicht mehr mit Tränen gefüllt waren, entdeckte ich darin eine wirkliche Person, ein Bewusstsein. In mir entstand das Gefühl, dass sie zu weit mehr fähig war, als ihre aktuelle Diagnose vermuten ließ. Ihre offizielle Diagnose – wie ich erst später erfahren würde – war tatsächlich ziemlich schlecht und verwies in die entgegengesetzte Richtung zu dem, was ich fühlte.

Die medizinische Erklärung war, dass sie eine globale Gehirnschädigung hatte. Das war Jahre bevor MRTs und andere Gehirnscans weiträumig in der Diagnose zur Anwendung kamen, also konnten die Ärzte nicht viel mehr sagen, als dass etwas Gröberes nicht stimmte.1 Soviel hatte auch ich bemerkt, während ich sie hielt. Zum Beispiel schienen ihre Muskeln und ihr Skelett nur sehr wenig aufeinander abgestimmt, und es war spürbar, dass ihr Bewegungsapparat kaum auf zielgerichtete Weise arbeitete: Die Muskeln auf ihrer linken Seite waren sehr spastisch, sie schielte stark und es deutete nur wenig darauf hin, dass das Baby sich ihres eigenen Körpers bewusst war.

Zu der Zeit, als ich Elizabeth und ihre Eltern kennenlernte, hatte ein traditioneller Physiotherapeut schon ungefähr sechs Monate mit ihr gearbeitet, ohne nennenswerte Erfolge. Ähnlich verstörend war die Prognose von zwei führenden Kinderneurologen: Einer hatte vorgeschlagen, das Baby in ein Heim zu geben. Aus medizinischer Sicht gab es keinen Anlass zur Hoffnung, dass sie jemals zu einem selbstständigen Leben fähig sein würde. Die Eltern waren verzweifelt, aber sie hielten sich immer noch am Glauben fest, dass es freudigere Alternativen gab; sie waren nicht bereit, diese Meinungen oder Empfehlungen zu akzeptieren. Sie gaben Elizabeth nicht auf.

Ich erinnere mich, dass Elizabeths Vater sagte, er wäre sich sicher, eine Form von Intelligenz im Gesicht seiner Tochter zu erkennen, nur war diese Intelligenz gefangen und unfähig sich auszudrücken. Nachdem ich die Erfahrung gemacht hatte, Elizabeth im Arm zu halten und in ihr Gesicht zu schauen, war ich überzeugt, dass er Recht hatte. Ich war ganz seiner Meinung. Wir begannen also unsere gemeinsame Arbeit. Das tiefe innere Wissen, das ich mit Elizabeths Eltern teilte, erwies sich in weiterer Folge nicht nur als richtig, sondern auch als außergewöhnlich erfolgreich.

Elizabeths erste Sitzung

Als Dr. Feldenkrais an diesem Tag nach dem Gespräch mit den Eltern ins Wohnzimmer zurückkehrte, bemerkten alle drei, wie Baby Elizabeth sich in meine Arme kuschelte, sich wohlzufühlen schien und recht zufrieden, ruhig und aufmerksam wirkte. Dr. Feldenkrais beobachtete uns mit großem Interesse, dann fragte er mich, ob ich mit ihm mitkommen und das Baby halten könnte, während er mit ihr arbeitete. Ich trug Elizabeth in das andere Zimmer und hielt sie auf meinem Schoß, während ich mich auf die Ecke eines niedrigen Tisches setzte, ähnlich einem Massagetisch, der dort für Dr. Feldenkrais bereitgestellt worden war. Dr. Feldenkrais nahm auf einem Stuhl mit gerader Rückenlehne Platz, das Gesicht uns zugewandt, sodass er ganz einfach nach vorne greifen und seine winzige Schülerin berühren konnte.

Ich bin mir sicher, dass es auf einen ungeübten Beobachter so wirken musste, als ob Dr. Feldenkrais nur sehr wenig machte. Er zwang Elizabeth nicht in eine korrekte Position oder zu einer Bewegung, die von ihr erwartet wurde. Er massierte nicht ihre Muskeln oder richtete ihren Rücken gerade. Zu Beginn wären einem Beobachter vielleicht nur seine ungewöhnliche Konzentration und Aufmerksamkeit aufgefallen. Einige Augenblicke lang beobachtete er Elizabeth nur mit einer tiefen, fokussierten Aufmerksamkeit und Anwesenheit, die fast schon greifbar war – so charakteristisch für ihn, wenn er eine „Lesson“, wie er es nannte, durchführte. Nach einer Weile griff er nach vorne und berührte den oberen Rücken des Babys; dann bewegte er sanft und sehr kurz ihre Beine auf unterschiedliche Weise, schließlich berührte er mit seinen Fingern sanft ihre Hände, Arme und ihr Gesicht.

Ich war ganz davon eingenommen, wie konzentriert er arbeitete und welche Ziele er im Stillen verfolgte. Ich begann, einen Beweis für die versteckte Intelligenz zu erleben, deren Existenz Elizabeths Eltern und ich spürten. Der erste Beweis enthüllte sich beinahe magisch auf hoffnungsvolle und unverkennbare Art: Elizabeth war aufmerksam. Zwischen ihr und Dr. Feldenkrais war eine Verbindung entstanden. Die Veränderungen, wie sie sich in meinen Händen anfühlte, waren einerseits so subtil, dennoch so grundlegend und eindeutig; sie bewiesen, dass ihre versteckte Intelligenz – ihr Bewusstsein – erwachte.

Diese erste Sitzung mit Dr. Feldenkrais dauerte weniger als eine Stunde, das Gespräch mit den Eltern miteingerechnet. Es wurde vereinbart, dass die Eltern am nächsten Tag für eine zweite Lesson wiederkommen würden. Am nächsten Tag holte ich sie an der Tür ab und genauso wie am Tag zuvor weinte Elizabeth sehr stark, sie war ein sehr unglückliches Baby. Wieder beruhigte sie sich in meinen Armen, bevor ich sie für ihre Lesson ins Nebenzimmer trug. Sie saß schlaff auf meinem Schoß, ihren Kopf gegen meine Brust gelehnt, als Dr. Feldenkrais nach ihr griff, ihren Kopf sanft zwischen seinen Händen hielt und begann, ihn ganz leicht nach oben zu ziehen. Ich bemerkte, dass sich Elizabeths Becken nicht bewegte, was eine bemerkenswerte Beobachtung war: Wenn sich der Kopf eines Kindes nach oben bewegt, „weiß“ das Gehirn normalerweise, dass es den unteren Rücken durchstrecken und das Becken nach vorne rollen muss. Es ist ein zusammenhängendes Bewegungsmuster, das sich im Laufe der Zeit im Gehirn formt, allerdings bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt in der kindlichen Entwicklung. Ich legte meine Hände auf beide Seiten ihres Beckens und drückte es ganz leicht nach vorne, während Dr. Feldenkrais sanft ihren Kopf nach oben zog, so, als würden wir ihr Gehirn aufwecken und auf diese Teile ihres Körpers aufmerksam machen wollen, damit sie beginnen konnte, diese beiden Bewegungen zu synchronisieren. Dann drückte ich genauso sanft gegen ihr Becken und gab ihr das Gefühl, dass sie es nach hinten rollen konnte, während Dr. Feldenkrais ihren Kopf etwas nach unten gleiten ließ. Nachdem wir dies eine Weile gemacht hatten, begann Elizabeth ihr Becken zu bewegen und vor und zurück zu schaukeln, wobei sie die Vor-und-zurück-Bewegungen mit den Bewegungen ihres Kopfes koordinierte. Ihr Gehirn hatte es herausgefunden! Ich fühlte, wie Elizabeth in meinen Armen geradezu „erwachte“ und sich selbst entdeckte.

Zu dieser Zeit war Elizabeth 13 Monate alt, ein Alter, in dem sich die meisten Kinder selbst aufsetzen konnten; sie allerdings konnte noch nicht sitzen. Dennoch war es nicht unser Ziel, das Sitzen mit ihr zu üben oder sie dazu zu bringen, sich aufzusetzen. In Wahrheit dachten wir zu dieser Zeit nicht einmal daran, sie aufzusetzen. Mir war bewusst, dass es so schien, als wüsste Elizabeth irgendwie gar nicht, dass sie einen Rücken, ein Becken oder einen Kopf hatte; ihr Gehirn hatte noch keine Beziehung zu diesen oder anderen Teilen ihres Körpers aufgebaut. Sie konnte nicht sitzen, weil ihr Gehirn keine Verbindung zu ihrem Körper aufgebaut und das komplexe Netz an Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Teilen ihres Körpers nicht hergestellt hatte, aus dem die Fähigkeit zu sitzen entstehen könnte.

Erst wenn ihr Gehirn dieses komplexe, dynamische Verbindungsnetz bilden würde, stünden Elizabeth die Ressourcen zur Verfügung, um herauszufinden, wie sie sich selbst aufsetzen konnte. Ihr Gehirn könnte dann die bisher erworbenen Hintergrundinformationen nutzen, um jene Bewegungsmuster zu bilden, die für die Muskeln nötig sind, um sich aufzusetzen. Ihr Gehirn könnte in weiterer Folge dieselben Hintergrundressourcen verwenden, um viele zukünftige Fähigkeiten zu erschaffen und weiterzuentwickeln.

Ziel dieser Sitzung war es, Elizabeths Gehirn zu einem lernenden Gehirn zu machen – darum nennen wir unsere Sitzungen lieber „Lessons“ („Unterrichtseinheiten“) als „Therapie“. Die fokussierte Aufmerksamkeit der Lehrerin oder des Lehrers, ihre/seine Absicht und ihr/sein Bewusstsein, gekoppelt mit der fokussierten Aufmerksamkeit des Kindes bewirken, dass das Gehirn des Kindes mit neuen Informationen geflutet wird. Dadurch lässt sich erklären, wie die bemerkenswerten Veränderungen entstehen.

Nach Ende dieser zweiten Lesson stand ich auf und legte Elizabeth in die Arme ihres Vaters. Er hatte während der gesamten Lesson zugeschaut. Etwas hatte sich an Elizabeths Verhalten verändert, und es war eine deutliche Veränderung. Als ihr Vater sie an seiner Brust hielt, konnte Elizabeth plötzlich die Bewegungen ihres Kopfes kontrollieren. Sie begann, ihren Rücken absichtlich durchzustrecken, warf ihren Kopf nach hinten und sah mich von unten herauf an, dann brachte sie ihren Kopf wieder zurück nach oben und war offensichtlich erfreut über das Spiel, das sie gerade entdeckt hatte. In diesem Moment machte sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung von kontrollierter, willentlicher und angenehmer Bewegung. Elizabeth war verspielt – und Verspieltheit, wie wir wissen, erfordert ein fühlendes, denkendes und funktionierendes Gehirn! Es erfordert Bewusstsein über sich selbst und die Welt rundherum.

So elementar Elizabeths Bewegungen einer zufälligen Beobachterin oder einem zufälligen Beobachter vielleicht erschienen wären – diese willentlichen Bewegungen ihres Kopfes und Rückens, die deutliche Veränderung ihres Verhaltens und ihre spielerische Art waren allesamt Anlass für große Freude. Sie zeigten uns, dass Elizabeths global geschädigtes Gehirn fähig war zu lernen, fähig war, sich selbst zu organisieren, sodass Elizabeth ihren Körper gezielt kontrollieren und ihren Verstand bewusst einsetzen konnte. Sie erlangte Kontrolle – über ihren Körper, ihren Verstand und letztendlich über ihr eigenes Leben.

Nach meiner Begegnung mit Elizabeth begann sich bei meiner Rückkehr nach Israel der Schwerpunkt meiner Praxistätigkeit rasch zu verändern. Innerhalb der nächsten Wochen teilte mir Dr. Feldenkrais andere Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu. Eine ganz neue Welt, gefüllt mit neuen Möglichkeiten, öffnete sich vor mir. Elizabeths Eltern wollten, dass ich meine Arbeit mit ihr fortführte. Dies war der Beginn einer Verbindung, die mehr als zwanzig Jahre lang andauern sollte. Im Laufe dieser Zeit war Elizabeth mit vielen Herausforderungen konfrontiert, aber sie hörte nie auf sich weiterzuentwickeln; sie hörte nie auf zu arbeiten und zu lernen. Mit der Zeit gewann sie Fähigkeiten, die allen Widrigkeiten trotzten.

Wenn ich mich an unsere gemeinsame Arbeit zurückerinnere, gab es viele einprägsame und bahnbrechende Momente, aber einer ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben, da er sehr schön die Dynamik des Prozesses beschreibt, den ich in weiterer Folge die Anat Baniel Method®NeuroMovement® (ABM®NeuroMovement®) nannte.

Das kleine Mädchen, das Taschentücher zum Fliegen brachte

Während meiner Sitzungen mit Elizabeth lag mein gesamter Fokus auf ihr; ich richtete meine gesamte Aufmerksamkeit darauf, was sie tat, fühlte und dachte. Gleichzeitig hielt ich nach jeder Gelegenheit Ausschau, wie ich ihr vielleicht helfen konnte, ihre gegenwärtigen Fähigkeiten zu entdecken, diese Fähigkeiten weiterzuentwickeln und neue dazuzulernen. In den Sitzungen bilde ich eine Einheit mit dem Kind, selbst dann, wenn ich zu einer Ressource für das Kind werde. Oft fanden wir gemeinsam Fähigkeiten, die sie ansonsten aufgrund ihrer Behinderung vielleicht niemals selbst entdeckt hätte. Hier ist ein Beispiel: Als Elizabeth sieben Jahre alt war, konnte sie aufstehen und gehen, indem sie sich an etwas festhielt, aber sie konnte nicht frei gehen. Jedes Mal, wenn sie es versuchte, verlor sie schon nach einem oder zwei Schritten plötzlich das Gleichgewicht, stürzte wie ein Betrunkener in irgendeine Richtung und fiel flach auf den Boden. Ich hatte mir schon seit Monaten meinen Kopf darüber zerbrochen, hatte danach gesucht, was sie brauchte, um frei gehen zu lernen. Ich wusste, dass sie sehr nahe dran war.

Zu dieser Zeit konnte Elizabeth noch keinen Ball fangen, eine unschätzbare Art des Spiels, das zu komplexer Koordination beiträgt, etwas, das für Siebenjährige normalerweise ganz einfach ist. Wenn man einen Ball in ihre Richtung warf, streckte Elizabeth ihre Hände aus und hielt sie steif vor ihrem Körper. In dem Moment, wenn der Ball auf sie zuflog, wurde ihr Blick so starr, dass sie dem Ball nicht mehr mit den Augen folgen und ihre Bewegungen nicht mehr koordinieren konnte, um ihn zu fangen. Ich hatte einen großen, leichten, aufblasbaren Wasserball gefunden, der sich beim Werfen langsamer bewegte, aber noch immer konnte sie ihn nicht fangen.

Glücklicherweise fragte Elizabeth während einer dieser Sitzungen nach einem Taschentuch. Als ich eines aus der Box nahm, dachte ich: „Aha!“ Das Taschentuch würde vielleicht genau jene Gelegenheit bieten, nach der ich gesucht hatte. Ich hielt das Taschentuch vor mein Gesicht und blies es in Elizabeths Richtung. Das Taschentuch, das fast schwerelos war und eine ziemlich große, weiche Masse darstellte, glitt wie ein Blatt in einem sanften Windhauch auf sie zu. Und es stellte sich heraus, dass es genau das war, was sie brauchte. Elizabeths Blick wurde nicht starr, wie es normalerweise passierte, wenn der Ball auf sie zusegelte; stattdessen konnten ihre Augen nun das Taschentuch verfolgen, das sich langsam und wellenförmig bewegte, und sie konnte es fangen. Wenn ich an diesen Moment zurückdenke, mit all dem Wissen, das wir heute über das Gehirn und seine Fähigkeit zur Neustrukturierung haben, stelle ich mir vor, wie hochaktiv ihr Gehirn damals während dieses Vorgangs war. Millionen neuer Verbindungen entstanden zwischen den Neuronen und bildeten völlig neue Konstellationen in ihrem Gehirn, während Elizabeth die hoch komplexe Tätigkeit ausführte, dem Taschentuch mit den Augen nachzuschauen und es zu fangen.

Die Stunde war hier nicht zu Ende. Elizabeth war geradezu entzückt über das Spiel und hocherfreut über ihre neuerworbene Fähigkeit, das Taschentuch zu fangen. Sie lachte, als hätte sie gerade das wunderbarste Spiel auf der ganzen Welt entdeckt. Plötzlich hörte sie auf, hielt den Atem an und hielt das Taschentuch vor ihr Gesicht. Ich konnte sehen, was sie nun vorhatte. Sie hatte sich entschieden, das Taschentuch zu mir zurückzublasen!

Elizabeth blies gegen das Taschentuch, aber ihr Ausatmen war nicht stark genug, um es den ganzen Weg zu mir voranzutreiben. Das Taschentuch fiel neben ihr auf den Boden. Sie beugte sich nach unten, hob es hoch und pustete noch einmal dagegen. Diesmal passierte etwas ziemlich Außergewöhnliches: Elizabeth folgte dem Taschentuch, ging hinter ihm her und blies immer wieder darauf, sodass es in der Luft blieb, bis es dort angelangt war, wo ich saß. Die gesamte Zeit über ging sie ganz selbstständig, während sie auf das Taschentuch pustete und dabei ausgelassen lachte. Das Taschentuch war sehr nachsichtig, da es nur sehr langsam zu Boden schwebte, also hatte sie genug Zeit, um mehrfach darauf zu blasen. Mir war bewusst, wie erstaunlich dieser Moment war. Elizabeth war gerade zum allerersten Mal in ihrem Leben frei gegangen. Sie war so auf das Spiel mit dem Taschentuch konzentriert, dass sie es nicht einmal bemerkte. Alles, was sie bis dahin gelernt hatte, kombiniert mit ihrer neuerworbenen Fähigkeit, dem Taschentuch mit den Augen zu folgen, hatte sich irgendwie miteinander verbunden und hatte ihr eine neue Fähigkeit gegeben – zu gehen.

Während der Jahre, die ich mit Elizabeth arbeitete, legten wir immer großen Wert darauf, ihre bestehenden Fähigkeiten herauszufinden und auf ihnen aufzubauen, anstatt uns auf ihre Einschränkungen zu konzentrieren. Wir versuchten, die Fähigkeiten, die wir entdeckt hatten, in noch größere Fähigkeiten zu verwandeln, wieder und wieder. Mit der Zeit lernte Elizabeth nicht nur zu gehen, sondern auch zu sprechen, zu lesen, zu schreiben, Freunde zu finden und sozial zu interagieren. Bis ins Teenageralter – bis zu ihrer Bat Mitzwa Feier, wo mir die Bedeutsamkeit von Elizabeths Leistungen plötzlich so tiefgreifend bewusst wurde, dass ich zu Tränen gerührt war. Ich schluchzte vor Freude. Ich war nicht alleine; viele andere im Publikum weinten auch.

Während der Jahre, die ich mit Elizabeth arbeitete, legten wir immer großen Wert darauf, ihre bestehenden Fähigkeiten herauszufinden und auf ihnen aufzubauen, anstatt uns auf ihre Einschränkungen zu konzentrieren. Wir versuchten, die Fähigkeiten, die wir entdeckt hatten, in noch größere Fähigkeiten zu verwandeln, wieder und wieder.

Einige Jahre später erhielt ich eine Einladung zu ihrer Hochzeit. Ich erinnere mich, wie ich sie bei der Hochzeitszeremonie sah, strahlend in einem wunderschönen weißen Kleid, ihre dunklen Haare glänzten, und sie war umgeben von ihren Gästen, die sie bewunderten und liebten. Heute ist Elizabeth Anfang Dreißig und hat zwei Masterdiplome von zwei hochrangigen Universitäten, sie ist glücklich verheiratet und beruflich mit einem eigenen Unternehmen erfolgreich. Unlängst hat sie mir in einem Telefongespräch begeistert von ihrer Familie und ihrer Arbeit erzählt. Sie sagte: „Anat, ich habe die Leidenschaft meines Lebens gefunden. Ich bin glücklich.“ Elizabeths Geschichte ist ein bedeutendes Vorbild für mich sowie für Hunderte andere Kinder und ihre Eltern geworden. Ihre Entwicklung und ihre Erfolge ermutigen uns, über die Grenzen hinaus zu gehen und wahre Wunder zu erreichen.

Elizabeths Geschichte ist ein bedeutendes Vorbild für mich sowie für Hunderte andere Kinder und ihre Eltern geworden. Ihre Entwicklung und ihre Erfolge ermutigen uns, über die Grenzen hinaus zu gehen und wahre Wunder zu erreichen.

Welche Möglichkeiten hat mein Kind?

Irgendwann kommt die Zeit, wo sich die meisten Eltern fragen: Welche Möglichkeiten hat mein Kind? Meine Antwort auf diese Frage ist immer dieselbe, egal, ob das Kind mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen hat oder nicht: Erwartet Wunder. Charakteristisch für Veränderung ist, dass wir die Zukunft aus unserer gegenwärtigen Perspektive weder sehen noch genau vorhersagen können; unsere gegenwärtige Perspektive ist wie eine Linse, durch die wir ein eingeschränktes Bild der Zukunft sehen. Vor dreißig Jahren, als Elizabeth ein kleines, schwer beeinträchtigtes und sehr unglückliches Baby war, hatten nur sehr wenige Menschen eine optimistische Vorstellung von ihrer Zukunft.

Charakteristisch für Veränderung ist, dass wir die Zukunft aus unserer gegenwärtigen Perspektive weder sehen noch genau vorhersagen können.

Wenn wir uns überlegen, wie das, was wir als ein Wunder bezeichnen, entstanden ist, entdecken wir oft, dass es sich dabei nicht nur um das Resultat eines Zufalls oder Glückstreffers handelt, sondern dass eine Reihe von Ereignissen zur Entstehung des Wunders geführt hat – manchmal große Ereignisse, manchmal kleine, manchmal absichtliche und gut begründete, und manchmal haben kreative Bemühungen die Veränderungsvorgänge herbeigeführt. Bemerkenswerte Veränderungen beginnen oft mit der Bereitschaft, daran zu glauben, dass das Unmögliche möglich wird. Das gilt sogar für die Wissenschaft und die Medizin, die auf einem Wissen aufbauen, das wir für gesichert und unveränderbar halten und das auf gründlicher Untersuchung und unbestreitbaren Beweisen aufbaut. Und dennoch unterliegen sowohl Wissenschaft als auch Medizin ständiger Veränderung. Zum Beispiel war Autismus noch vor zwanzig Jahren nicht einmal im medizinischen Bereich als Diagnose anerkannt; die meisten Menschen betrachteten Aufmerksamkeitsstörungen (Hyperaktivität oder ADHS) eher als „schlechtes Benehmen“, als dass sie darin eine neurologische Wahrnehmungsstörung sahen, die besondere Unterstützung benötigt. Und wenn ein Kind einen Schlaganfall erlitt, der einen Bereich im Gehirn schädigte, verstand man nicht, dass andere Bereiche des Gehirns diese Aufgaben übernehmen und Handlungen steuern können, für die sie normalerweise nicht zuständig sind.

Heute wissen wir, dass sich das Gehirn verändern kann. Es ist sogar jener Teil von uns, der am meisten zu Veränderung fähig ist.

Heute wissen wir, dass sich das Gehirn verändern kann. Es ist sogar jener Teil von uns, der am meisten zu Veränderung fähig ist. Dank der Wissenschaft der Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich neu zu strukturieren und neue Fähigkeiten durch neue neurale Verbindungen zu gewinnen – erlangen wir immer mehr gesichertes Wissen, wie man die Fähigkeiten des Gehirns besser nutzen kann. Das Forschungsfeld der Neuroplastizität hilft uns, die Methode zu verstehen, die ich in diesem Buch beschreibe und die in den vergangenen dreißig Jahren bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen so viel Erfolg hatte.

Während meiner praktischen Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen habe ich vielfach erlebt, dass sich das Gehirn unter den richtigen Bedingungen verändern kann und sich tatsächlich sehr rasch verändert. Durch meine Ausbildungen in angewandter Psychologie und Statistik interessiere ich mich sehr für Wissenschaft. Aber viele Jahre lang gab es sehr wenig wissenschaftliche Literatur, die meine Theorie und meine vielzähligen Erfahrungen aus der Praxis unterstützt hätte. Die Neuroplastizität, diese bemerkenswerte Fähigkeit des Gehirns, hilft mir nun, die Erfolge zu erklären, die ich in den vergangenen dreißig Jahren bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen bewirken konnte.

Ein signifikanter Abschied von traditionelleren Methoden

Die Prinzipien, die ich in diesem Buch beschreibe, stellen einen signifikanten Abschied von traditionellen Ansätzen des Unterrichtens, der Therapie und der medizinischen Eingriffe dar. Viele traditionelle Systeme ähneln sich in ihrer Herangehensweise an die Einschränkungen eines Kindes. Sie versuchen, das Kind an ein standardisiertes Modell anzupassen oder sie auf andere Weise dazu zu bringen, was sie tun „sollte“, um mit der altersentsprechenden Entwicklung Schritt zu halten und die Meilensteine der Entwicklung zu erreichen. Dieses Buch beschreibt einen anderen Ansatz. Anstatt das Kind dazu zu drängen, was sie noch nicht selbst machen kann, schauen wir zuerst auf die gegenwärtigen Fähigkeiten und Bedürfnisse des Kindes und suchen nach einem Weg, wie wir ihrem Gehirn die nötigen Informationen zur Verfügung stellen können, damit sich das Kind weiterentwickelt und neue einzigartige Fähigkeiten entstehen.

Damit sich das Kind verändern und entwickeln kann, müssen wir mit seinem Gehirn kommunizieren; weder das Problem noch die Lösung ist in den Muskeln zu finden. Die Muskeln machen, was das Gehirn ihnen sagt. Der Verstand – jener Teil von uns, der Sprache bildet, Mathematikaufgaben löst und denkt – wird ebenfalls vom Gehirn gesteuert. Wenn ein Kind das Bein nicht bewegen kann, liegt das daran, dass ihr Gehirn noch nicht herausgefunden hat, wie man das macht; das Gehirn sagt dem Bein nicht, dass es sich bewegen soll, weil es noch nicht über die erforderlichen Informationen verfügt, um die notwendigen Bewegungsmuster zu bilden und die gewünschte Bewegung herbeizuführen. Dieselben Prinzipien gelten für Kinder, die Schwierigkeiten beim Sprechen haben, Probleme zu lösen oder klar zu denken. Unser Gehirn kann sich verändern – und es gibt immer einen Weg, um dem Gehirn eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen dabei zu helfen, besser zu funktionieren – eine Erkenntnis, die revolutionär war, als ich vor dreißig Jahren mit dieser Arbeit begann.

Damit sich das Kind verändern und entwickeln kann, müssen wir mit seinem Gehirn kommunizieren; weder das Problem noch die Lösung ist in den Muskeln zu finden.

Die Anat Baniel Method®NeuroMovement® stellt auf bewährte Weise eine Verbindung mit dem Gehirn von Kindern mit besonderen Bedürfnissen her, ermöglicht die Kommunikation mit dem Gehirn und erschafft Bewegungsmuster sowie Muster des Denkens und Fühlens, indem die angeborenen Fähigkeiten der Kinder genutzt werden. Durch Anwendung dieser Methoden stellen wir den Kindern Erfahrungen zur Verfügung, durch die sie sich selbst entdecken und die nächste Fähigkeit innerhalb ihrer Möglichkeiten erlernen können, egal, wie groß oder klein, einfach oder komplex die Fähigkeit erscheinen mag. Unser Ziel ist es immer, dass die Kinder „erwachen“, sich ihrer selbst bewusst werden und die grundlegenden Fähigkeiten entwickeln – zu lernen und zu wachsen. Sie erfahren ihren Körper auf neue Weise, sie bewegen sich auf eine neue Art, zu der sie davor nicht fähig waren; sie lernen zu spüren, was in ihnen und rund um sie vor sich geht. Sie werden sich ihrer selbst bewusst. Durch dieses Erwachen fühlen sie sich wohler und kompetenter, sie spüren sich besser.

Unser Ziel ist es immer, die grundlegenden Fähigkeiten des Gehirns der Kinder zu erwecken: zu lernen und zu wachsen.

Die Kraft der Eltern

Unterschätze niemals die Kraft elterlicher Liebe. Dies ist besonders wichtig, wenn dein Kind besondere Bedürfnisse hat. Deine Liebe und dein Wunsch, deinem Kind das Beste zu bieten, sind deine Motivation, nach Möglichkeiten zu suchen, wie er oder sie die höchstmögliche Lebensqualität erreicht. Ich bemerke das bei allen Eltern, die ich treffe. Ihre Bereitschaft, sich für neue Möglichkeiten für ihr Kind einzusetzen, während sie versuchen, das versteckte Potential ihres Kindes zu „entsperren“, erfordert Mut und ist inspirierend. Es liegt viel Kraft in dieser Entschlossenheit, und Liebe arbeitet Hand in Hand mit Wissenschaft und Können. Dies ermöglicht dem Kind, weit über die Grenzen der klinischen Diagnosen, des Verstandes und vergangener Erfahrungen hinauszuwachsen. Es ist oft der erste Schritt auf dem Weg zu den „Wundern“.

2 Vom Reparieren zum Verbinden

„Es gibt keine magischere

Überraschung als die

Überraschung, geliebt zu werden.

Es ist Gottes Finger auf der

Schulter des Menschen.“

Charles Morgan

E in Kind wird geboren. Es ist Perfektion, ein Wunder. Oft beginnen wir schon lange vor der Geburt, uns die Zukunft dieses Kindes vorzustellen. Er wird ein erfülltes und zufriedenstellendes Leben haben, wenn er erwachsen ist – unabhängig und vollständig. Dann kommt der Schock. Etwas stimmt nicht mit meinem Kind! Manchmal kommt dieser Moment ganz plötzlich, bei der Geburt oder sogar noch davor. In anderen Fällen entfaltet sich die Erkenntnis langsam. Vielleicht sind Diagnose und Ursache klar definiert, zumindest in medizinischen Begriffen, oder aber sie bleiben ungewiss.

Wenn die Erkenntnis, dass etwas nicht stimmt, in das Bewusstsein sickert, kann das überwältigende Angst, Verwirrung und tiefe Trauer (manchmal unbewusst) sowie oft auch ein verstörendes Gefühl von Schuld mit sich bringen. Aber der vorrangige und stärkste Teil dieser Erfahrung ist der Wunsch, irgendetwas zu tun, alles zu versuchen, was wir tun können, um unserem Kind zu helfen. Wir wollen ihm helfen, als „normales“ Kind aufzuwachsen. Wir wollen ihm helfen, damit er gehen, sprechen, denken und fühlen und ein unabhängiges und lohnenswertes Leben führen kann. Die Fragen, die wir uns selbst stellen müssen, lauten: Wie können wir diese Ziele erreichen? Wie können wir dem Kind helfen, über seine gegenwärtigen Einschränkungen hinauszuwachsen?

Wir müssen uns folgende Frage stellen: Wie können wir dem Kind helfen, über seine gegenwärtigen Einschränkungen hinauszuwachsen?

Wenn wir herausfinden, dass etwas nicht stimmt – dass etwas „falsch“ ist –, was auch immer das sein mag, ist die natürliche Vorgehensweise, sich auf die Einschränkung zu konzentrieren, darauf, was das Kind nicht tun kann oder was er falsch macht. In weiterer Folge versuchen wir es zu bekämpfen, zu stoppen oder es auf andere Weise zu überwinden. Wir wollen das Problem lösen und das Kind „reparieren“, damit er sitzen, sprechen, lesen und schreiben lernt und mit anderen sozial interagieren kann. Dabei orientieren wir uns an der Vorstellung, die wir von Kindern ohne besondere Bedürfnisse haben.

Der Wunsch, etwas Beschädigtes oder Defektes zu reparieren, ist ungeheuer wichtig und nützlich. In manchen Fällen ist Reparieren genau der richtige Ansatz – zum Beispiel, wenn Ärztinnen und Ärzte ein Loch im Herzen chirurgisch verschließen müssen, wenn ein Antibiotikum zur Bekämpfung einer Infektion benötigt wird oder wenn jemand eine Bluttransfusion braucht. Wenn entsprechende Behandlungsmethoden verfügbar sind, müssen diese Reparaturen ausgeführt werden, wenn sie notwendig sind. Gleichzeitig ist es wichtig zu verstehen, dass Reparieren nur eine von mehreren Herangehensweisen an ein Problem darstellt – eine, die große Einschränkungen mit sich bringt und in manchen Fällen sogar kontraproduktiv sein kann. Die „Neun Grundlagen“, die ich auf diesen Seiten vorstelle, sollen uns über die Grenzen des Reparaturansatzes hinausführen, indem sie dem Gehirn des Kindes neue Möglichkeiten bieten, damit dieses selbst die Lösungen erschaffen kann, die es benötigt.

Das Reparaturmodell näher betrachtet

Für die meisten von uns bedeutet das Wort „reparieren“, etwas Kaputtes auszubessern oder die Art, wie etwas aussehen, funktionieren oder aufgebaut sein soll, wiederherzustellen. Bei einem mechanischen Objekt wie zum Beispiel einem Auto oder einem Haushaltsgerät wissen wir normalerweise, was zu tun ist: Wenn wir es nicht selbst reparieren können, beauftragen wir Expertinnen oder Experten, die sich damit auskennen. Wenn unser Auto einen Platten hat, lassen wir das Loch flicken; wenn die Zündung des Motors nicht mehr funktioniert, lassen wir eine Automechanikerin oder einen Automechaniker die kaputten Teile ersetzen und das Auto wieder zum Laufen bringen. Die Person, die die Dinge repariert, benutzt ihr Gehirn, ihre Erfahrung und andere verfügbare Mittel wie zum Beispiel Ersatzteile, um das ursprüngliche Aussehen und die ursprüngliche Funktion der Maschine wiederherzustellen.

Im Gegensatz zu einem Kind kann ein Auto oder eine andere Maschine nicht aktiv am Reparaturprozess teilnehmen. Es hat keinen eigenen Verstand, keine Selbstheilungskräfte, und es besitzt nicht die Fähigkeiten zu lernen, zu wachsen und sich zu entwickeln. Die Rolle, die die Automechanikerin oder der Automechaniker beim Austauschen von Teilen oder beim Ausbessern des Motors innehat, ist das Wesentliche des Reparaturparadigmas. Und es ist ganz natürlich, dass man dasselbe Muster bei einem Kind mit besonderen Bedürfnissen anwenden will! Wir möchten die fehlenden Teile ersetzen und die Teile, die nicht gut funktionieren, reparieren. Wir möchten jemanden finden, der weiß, wie er dieses oder jenes anpassen kann, damit alles genau richtig funktioniert.

Im Unterschied zu Autos oder Küchengeräten ist dein Kind kein fertiges Produkt. Kinder sind lebendige Wesen, die fühlen und erfahren; „laufende Arbeiten“.