Unser Haus am Meer & Ein Sommer im Rosenhaus - Nele Jacobsen - E-Book
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Unser Haus am Meer & Ein Sommer im Rosenhaus E-Book

Nele Jacobsen

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Beschreibung

Zwei Romane von Erfolgsautorin Nele Jacobsen in einem E-Book!

Unser Haus am Meer.

Statt politische Skandale zu recherchieren, wird die Reporterin Josefine von ihrem Chef nach Usedom verbannt. Sie soll einen Kapitän interviewen – den Autor eines Glücksratgebers. Der erweist sich als überraschend attraktiv, allein sein Bruder raubt Josefine mit seiner nordischen Dickfelligkeit den letzten Nerv. Dennoch beginnt sie schon bald die Schönheit der Ostseeküste für sich zu entdecken und kommt dabei einem Geheimnis um das alte Kapitänshaus der Brüder auf die Spur ...

Ein Roman, so aufregend und schön wie ein Tag am Meer.

Ein Sommer im Rosenhaus.

Nach dem Tod ihres Mannes und dem Auszug der Kinder sucht die Botanikerin Sandra einen Neuanfang für sich. Sie kauft ein altes Gärtnerhaus auf Usedom an der Ostsee, zu dem ein verwilderter, aber einmalig schöner Rosengarten gehört. Doch die Pflege der empfindlichen Pflanzen erweist sich als schwieriger als gedacht, so dass sie den britischen Rosenexperte Julian zu Rate ziehen muss. Der hilft ihr zwar, verhält sich sonst jedoch merkwürdig abweisend. Dann findet Sandra heraus, dass ihr Garten ein Geheimnis birgt – aber um es zu lüften, müssen sie und Julian sich zusammenraufen ...

Mit wunderbaren Rosenrezepten zum Nachkochen.

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Seitenzahl: 642

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Informationen zum Buch

Unser Haus am Meer:

Wo liegt das Glück, wenn nicht am Meer? Statt politische Skandale zu recherchieren, wird die Reporterin Josefine von ihrem Chef nach Usedom verbannt. Sie soll einen Kapitän interviewen – den Autor eines Glücksratgebers. Der erweist sich als überraschend attraktiv, allein sein Bruder raubt Josefine mit seiner nordischen Dickfelligkeit den letzten Nerv. Dennoch beginnt sie schon bald die Schönheit der Ostseeküste für sich zu entdecken und kommt dabei einem Geheimnis um das alte Kapitänshaus der Brüder auf die Spur. Ein Roman, so aufregend und schön wie ein Tag am Meer.

Ein Sommer im Rosenhaus:

Wo liegt das Glück, wenn nicht im Rosengarten? Nach dem Tod ihres Mannes und dem Auszug der Kinder sucht die Botanikerin Sandra einen Neuanfang für sich. Sie kauft ein altes Gärtnerhaus auf Usedom an der Ostsee, zu dem ein verwilderter, aber einmalig schöner Rosengarten gehört. Doch die Pflege der empfindlichen Pflanzen erweist sich als schwieriger als gedacht, so dass sie den britischen Rosenexperte Julian zu Rate ziehen muss. Der hilft ihr zwar, verhält sich sonst jedoch merkwürdig abweisend. Dann findet Sandra heraus, dass ihr Garten ein Geheimnis birgt – aber um es zu lüften, müssen sie und Julian sich zusammenraufen... Mit wunderbaren Rosenrezepten zum Nachkochen.

Über Nele Jacobsen

Nele Jacobsen, geboren 1976 in West-Berlin, ist Diplom-Politologin und Journalistin und arbeitete jahrelang für Print und Fernsehen. Mit ihrer Familie lebt und schreibt sie in der Nähe von Dresden. In ihrem Garten am Elbhang blüht ihre Lieblingsrose, eine „Eliza“, jedes Jahr ab Juni in silbrig schimmerndem Pink. Bei atb ist außerdem ihr erster Roman „Unser Haus am Meer“ lieferbar. Mehr Informationen zur Autorin unter www.nele-jacobsen.com.

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Nele Jacobsen

Unser Haus am Meer&Ein Sommer im Rosenhaus

Zwei Romane in einem E-Book

Inhaltsübersicht

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Unser Haus am Meer

1 Josefine

2 Markus und Ben

3 Josefine

4 Ben

5 Josefine

6 Markus

7 Josefine

8 Josefine

9 Markus

10 Josefine

11 Ben

12 Josefine

13 Ben

14 Josefine

15 Ben

16 Josefine

17 Josefine

18 Markus

19 Josefine

20 Ben

21 Josefine

22 Josefine

23 Josefine

24 Markus

25 Josefine

26 Markus

27 Josefine

28 Markus

29 Josefine

30 Markus

31 Josefine

32 Markus

33 Josefine

34 Markus

35 Josefine

36 Ben

37 Josefine

38 Markus

39 Josefine

40 Markus

41 Josefine

42 Markus

43 Josefine

44 Markus

45 Josefine

46 Markus

47 Josefine

48 Josefine

49 Josefine

50 Markus

51 Josefine

52 Markus

53 Josefine

54 Markus

55 Josefine

56 Markus

57 Josefine

58 Markus

59 Josefine

60 Markus

61 Josefine

62 Markus

63 Josefine

Ein Sommer im Rosenhaus

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Rosenrezepte

Impressum

Nele Jacobsen

Unser Haus am Meer

Roman

Hab die ganze Welt gesehn

von Singapur bis Aberdeen.

Wenn du mich fragst,

wo’s am schönsten war,

sag ich: Sansibar.

Achim Reichel, »Aloha Heja He«

1Josefine

Ob es in der Kanzlermaschine eine Bar gibt? An der man lässig lehnen und Martini trinken kann? Ich muss das dringend recherchieren, dachte Josefine, während sie das Interview mit dem Bundesumweltminister schrieb. Sie war soeben von dem Termin in die Redaktion zurückgekehrt, und wie nicht anders zu erwarten, war er hervorragend gelaufen. Sie hatte den Minister so sehr in die Enge gedrängt, dass er gedroht hatte abzubrechen. Radio- und Fernsehsender, andere Zeitungen würden sich auf seine Aussagen stürzen, so viel stand fest.

Josefine nahm einen Schluck Kaffee aus der pinkfarbenen XL-Tasse mit dem Schriftzug Profi-Nervensäge, drehte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zum Fenster und blickte auf die Berge. Bei Föhnwind schienen sie der Stadt immer näher zu kommen. Die Sonne am wolkenlosen Himmel ließ den Schnee auf den schroffen Spitzen glänzen, die grünen Hänge lockten. Jetzt ins Auto steigen, die Wanderschuhe an und hinaufkraxeln zur Watzler-Alm, das wär’s, dachte sie. Eine Käsevesper und einen Schoppen in der Sonne auf der Bank vor der Hütte. Sie schloss genießerisch die Augen und spürte die Wärme. Aber – mit Schwung drehte sie sich wieder zurück zum Computer – nicht für mich, nicht jetzt. Sie hatte einen Text zu liefern, das perfekte Interview. So dass Mittermann sie verdammt noch mal mit der Kanzlerin nach Washington schicken musste! Ihre manikürten Fingernägel klackerten eilig über die Tastatur. Gab es denn nun eine Bar an Bord der Kanzlermaschine?

Sie tippte gerade Kanzlermaschine bei Wikipedia ein, da erklang das Warnsignal: Kollege Sven, der am Schreibtisch an der Tür saß, warf den Hörer zweimal auf das Telefon. Achtung, Chef im Anmarsch hieß das – und schon trat er ein: Herbert Mittermann, Reporterlegende der Siebziger mit Richard-Gere-Tolle und einem Bauchansatz, der davon zeugte, wie gern er gut aß und feierte. Schnurstracks kam er über die ausgetretenen Pfade der grau-grün gesprenkelten Auslegware auf Josefines Schreibtisch zu. Die anderen zwanzig Kollegen atmeten auf.

»Josie, wenn du ein Kerl wärst, wärst du ein Pfundskerl! Provozierst beinahe eine Kabinettskrise! Hatte soeben den Minister persönlich am Ohr, der sich über dich beschwert hat.« Mittermann lachte und stützte sich mit beiden Händen auf dem Block mit den Interviewnotizen ab. »Da müssen sie sich warm anziehen, die Preiß’ da oben in Berlin, wenn meine Reporterin kommt.« Er setzte sich mit einer Pobacke auf ihren Schreibtisch und ihr iPhone.

Josefine betete, dass es Mittermanns Gewicht standhalten würde, fuhr sich durch die langen blonden Haare und verzog den sorgfältig geschminkten Mund zu dem Lächeln, auf das sie und ihr Zahnarzt so stolz waren. »Danke, Herbert. Kein Problem, jederzeit. Ich reise auch gern mit der Kanzlerin …«

»Ich weiß, Josie. Darüber sprechen wir später.« Er klopfte ihr auf die Schulter. »Jetzt habe ich erst einmal eine ganz andere Aufgabe für dich.« Er hielt inne. Keine Tastatur war zu hören im Großraum, nur die Klimaanlage brummte.

Josefine straffte sich, zog ihre weiße Bluse und den Bleistiftrock zurecht und schlug die Beine übereinander. Dabei streifte ihr Blick die Stilettos, die sie letzte Woche in Mailand gekauft hatte, von wo aus sie über die Streiks in Italiens Stahlindustrie berichtet hatte. Korallenrot mit Sling. Damit würde sie an der Bar in der Kanzlermasch…

»Glück!«, unterbrach der Chef ihre Gedanken. »Glück, Josie!«

Sie schaute ihn fragend an.

Er nickte begeistert. »Glück. Das ist das Thema der Stunde. Es gibt da diesen brandneuen Ratgeber, dieses Kapitänsprinzip. Da schreibt so ein junger Kapitän, wie man ins Glück segelt, wie man sein Lebensglück findet. Meine Frau hat sich das gerade gekauft. Das ist etwas, was die Menschen immer interessiert.«

Gemurmel und Gekicher von den Kollegen. Josefine vergaß die Stilettos und sackte auf ihrem Stuhl zusammen. »Ein Ratgeber?« Das konnte er doch nicht ernst meinen, sie sollte einen Ratgeber besprechen? Über … Glück? Eins von diesen Machwerken etwa, in denen selbsternannte Glücksgurus ihre Weisheiten kundtaten, jetzt also auch noch ein Kapitän?

»Allerdings: ein Ratgeber.« Der Chef hob den Hintern und zog das iPhone hervor. »Es wird dir guttun, mal ein anderes Ressort zu bedienen als immer nur Politik, Politik. Gesellschaftsthemen sind genauso wichtig. Für die Leser vielleicht sogar noch wichtiger.« Er schob ihr das Handy über den Schreibtisch zu. »Wenn du die Story gut hinbekommst, ist sie einen Titel wert. Ich sehe es schon vor mir.« Mit erhobener Hand zog er eine imaginäre Zeile vor sich in die Luft. »Endlich glücklich! Unterzeile: So segeln Sie ins Glück! Und der schmucke Kapitän lacht uns entgegen. Wird ein Verkaufshit, das sage ich dir. Das reißt unsere Auflage richtig hoch.«

»Ins Glück segeln? Das kann nicht dein Ernst sein, Herbert!« Josefine sah ihn erschüttert an. »Was ist mit der Korruptionsaffäre in Bremen? Ich habe da einen Insider aufgetan, der redet bei uns.«

»Willst du die Leser einschläfern? Nein: Glück, Josie, Glück! Du sollst herausfinden, wie die Leute glücklich werden können. Ich hab schon mit dem Verlag telefoniert. Das Buch ist unterwegs zu dir.« Er griff nach ihrem iPhone. »Wo ist deine Wetter-App? Ach da! Wir wollen nämlich zum Bergsteigen.« Er inspizierte das Display. »Aha. Schön, schön.« Dann legte er das Gerät auf Josefines Computertastatur und schaute sie wieder an. »Die große Glücksreportage wird das, das ultimative Glücksrezept exklusiv für unsere Leser. Nicht mehr und nicht weniger. Und misch bitte ein bisschen von diesem Kapitänsgedöns bei. Jetzt kommt die Urlaubszeit, die Leute träumen von Meer, Sonne und Strand. Das wird groß, Josie, richtig groß.« Er wandte sich zum Gehen. »Fahr zu diesem Kapitän Harm Harmsen oder wie der heißt, und lass dir alles ganz genau erklären. Wo auch immer der zu Hause ist, irgendwo an der Ostsee, glaube ich. Ahoi!« Er lief zur Tür und zog sein eigenes Handy aus der Hosentasche, als es klingelte. »Ja, Schatz, ich komm jetzt. Ja, die grauen Bergschuhe, nicht die schwarzen. Was? Der Große will auch mit? Na, nun schlägt’s dreizehn!«

Josefine blickte ihm fassungslos hinterher und wischte ihr iPhone ab. Ihre nächste Geschichte würde sich also nicht um die aktuelle politische Lage, sondern um einen Glücksratgeber drehen. War das zu fassen? Wer brauchte schon Glücksratgeber? Gut, einige davon erreichten tatsächlich Millionenauflagen, offenbar gab es also Leute, die sie lasen. Aber mal ehrlich, änderte denn irgendjemand sein Leben aufgrund eines solchen Ratgebers? Und nun sollte sie eines von diesen Pamphleten auch noch hochjubeln? Sie schüttelte den Kopf. Nein, das würde sie nicht tun. Sie würde ernsthaft und kritisch recherchieren und berichten, wie sie es immer tat. Sie nickte. Genau. Sie würde diesen Kapitän und seinen Ratgeber ordentlich auseinandernehmen. Niemand konnte von ihr verlangen, dass sie sich verbog und etwas unkritisch in den Himmel lobte. Auch Herbert Mittermann nicht.

»Ahoi!«, riefen zwei Kollegen, die an ihrem Schreibtisch vorbei zum Kaffeeautomaten spazierten.

»Schnauze«, fuhr Josefine sie an.

Das Gekicher vom Schreibtisch gegenüber nahm dadurch jedoch kein Ende. Carolina B. K. Bechsel – B für Bettina und K für Katharina, für Josefine allerdings B für Blöde und K für Kuh – grinste sie breit an. »Wie schön für dich, dass du auch mal eine Titelgeschichte bekommst. Warte. Ist das die …«, BK nahm ihre Hand und klappte den Daumen, den Zeigefinger und den Mittelfinger hoch, »… ist das tatsächlich die dritte, seit du hier arbeitest? In wie vielen Jahren doch gleich?« Sie nahm die andere Hand und zählte die fünf Finger runter. »In fünf?« Sie grinste. »Während ich in der gleichen Zeit, lass mich überlegen …«, sie schaute auf ihre Finger und hielt dann fünf hoch, »… fast doppelt so viele hatte wie du?«

»Mathe ist wohl nicht deine Stärke?« Josefine tippte Ostsee in die Wetter-App. Aber die weigerte sich, mit so ungenauen Angaben Informationen preiszugeben, und verlangte einen Ortsnamen.

Carolina hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte. »Was sagst du? Ich bin auf einmal so schläfrig. Das Thema Ratgeber macht mich müde. Glücksratgeber, herrje, wie trist. Kann man nur hoffen, dass die Leser das anders sehen und den Titel kaufen, damit er nicht zum Auflagenkiller wird, was, Johnfeld?« Sie stand auf und lief lachend aus dem Raum, wie immer kerzengerade, ihren Po in dem viel zu engen Minirock schwingend, als ob der alte Büroteppich ein verdammter Catwalk wäre.

Grrr, machte Josefine innerlich. Sie straffte den Rücken und setzte ihre hochmütigste Miene auf. Die Bechsel wollte Krieg? Den konnte sie haben! Mit dieser dämlichen Glücksstory würde sie ein für alle Mal an ihr vorbeiziehen. Und wenn sie diesen Kapitän mit seinem Glückszeug dafür teeren und federn musste!

Hinterher würde sie in der Kanzlermaschine Martini trinken – ob an der Bar oder nicht, das war ihr jetzt piepe. Statt Kanzlermaschine tippte sie Kapitänsprinzip bei Google ein.

Aha, da war es. Sie beugte sich näher an den Computerbildschirm und überflog die Buchinfos: Das Kapitänsprinzip – So steuern Sie Ihr Lebensschiff ins Glück! – In acht Schritten.

Sie rollte mit den Augen und erschreckte sich, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.

»Hast du dein Ratgeberlein gefunden?« Die Bechsel grinste ihr ins Gesicht.

»Zufälligerweise habe ich einen Auftrag. Chefsache. Und du? Mir kam zu Ohren, dass dir die Story über den Psychodoc geplatzt ist.« Josefine schob die Schmolllippe vor. »Wie schade. Und nun? Gar nicht dabei im nächsten Heft?«

Das reichte, um BK loszuwerden. Sie nahm die Hand von Josefines Schulter und ging wortlos zu ihrem Platz. Josefine vertiefte sich wieder in ihre Recherche.

Der Autor hieß tatsächlich Kapitän Harm Harmsen, und der Verlag bewarb das Buch mit dem Slogan »Der ultimative Törn in ein glückliches Leben«.

Wenn Mittermanns Frau nur nicht so viel Zeit hätte, durch die Buchhandlungen zu stöbern. Dann hätte ich jetzt nicht diesen Ärger, dachte sie. Na gut, weiter. Wohin musste sie zu diesem Kapitän? Kapitän Harm Harmsen lebt in Heringsdorf auf Deutschlands Sonneninsel Usedom, las sie.

Wo war denn das? Den Namen hatte sie zwar irgendwann schon mal gehört, aber wo diese Insel zu finden war, wusste sie nicht.

»Kannst du Polnisch?«, fragte die Bechsel grinsend vom Computer gegenüber. »Könnte sein, dass du das dort gut gebrauchen kannst.«

»Sei still, BK.« Tatsächlich, Usedom lag kurz vor Polen. Das wurde ja immer schlimmer, dachte Josefine. Heringsdorf. Da stank schon der Name. Provinz und dann noch bei den Fischköppen, herzlichen Dank.

Ob es in dem Örtchen überhaupt ein vernünftiges Hotel gab?

Am besten, sie rief gleich beim Verlag an und ließ sich die Nummer von diesem Kapitän geben. Vielleicht hatte der einen Tipp, wo sie unterkommen konnte. Und natürlich musste sie ihren Besuch ankündigen. Der würde sich freuen! In den Komet schaffte es schließlich nicht jedes Buch. Und dann noch als Titelstory. Besser ging es ja wohl nicht.

Sie schüttelte noch einmal ungläubig den Kopf. Ein Glücksratgeber. Und das ihr.

2Markus und Ben

»Schläfst du immer noch?« Markus betrat Bens Zimmer, und Staub begann zu tanzen in den Strahlen der Mittagssonne, die durch die alten Kastenfenster fielen. Markus kickte ein T-Shirt und Jeans auf dem knarrenden Dielenboden zur Seite, um sich seinen Weg zu bahnen, und riss beide Fensterflügel auf. »Frische Luft! In deiner Piratenhöhle stinkt’s.«

Seeluft strömte in den Raum, und Markus genoss die Sonne auf seinem Gesicht, er schloss die Augen und lauschte dem Rauschen des Meeres. Heute waren es höhere Wellen als an den Tagen zuvor, der Wind hatte zulegt. Vielleicht sollte ich nachher eine Runde schwimmen gehen, dachte er, öffnete die Augen wieder und sah, wie zwei Möwen sich vom Hausdach in den Sommerhimmel schwangen und über die hohe Pappel und den Knupperkirschbaum im Garten Richtung Promenade schwebten. Für einen Moment kreisten sie über den Köpfen der Spaziergänger und Radfahrer, dann flogen sie über den schmalen Dünengürtel hinweg zum Strand. Markus sah, wie die ersten Urlauber ihre Strandkörbe belegten. Eine Familie mit zwei Söhnen war schon dabei, mit knallgrünen Schaufeln eine Sandburg zu bauen. Dahinter staksten drei Frauen in hochgekrempelten Jeans durch die heranrollende Gischt, den Blick auf den nassen Sand gerichtet, um keine Muschel oder gar einen Bernstein zu verpassen, den die Ostsee hier von Zeit zu Zeit ausspuckte. Unter wolkenlosem Himmel lag sie da, blau, glitzernd und wogend, während am Horizont ein Frachter entlangzog und sich ein weißer Bäderdampfer der Spitze der Seebrücke näherte.

Wenn er eines liebte, dann war es dieser Ausblick vom alten Kapitänshaus der Familie auf die See. Er konnte über alles hinwegtrösten, dachte Markus. Fast alles.

Er drehte sich zum Bett seines Bruders. Nur eine sonnenblonde Haarsträhne lugte aus dem Deckenberg heraus. »Guten Morgen«, kam es heiser darunter hervor.

Markus schnaubte verächtlich. »Morgen ist gut. Ich war schon bei der Bank.«

»Bin hellwach.« Ben wühlte sich aus der Decke und zog ein ausgeleiertes Kapuzenshirt über. »Und?« Er gähnte.

»Keine Chance.«

Ben hielt im Gähnen inne. »Wirklich nicht?«

»Auf keinen Fall, wenn ich Jürgen richtig verstanden habe.«

»Kann doch wohl ein Auge zudrücken, der olle Stiesel.« Ben stellte die nackten Füße auf die ausgetretenen Dielen vor dem Bett.

»Tut er aber nicht.« Markus bückte sich und nahm eine Teetasse vom Boden auf.

»Heißt das, wir kriegen nichts?«

»Keinen Cent.« Markus blinzelte.

»Hey.« Ben trat auf ihn zu und fasste seine Schulter. »Wir finden schon einen Weg. Wir werden das Haus nicht verlieren.«

Markus musste sich zusammenreißen, um seinem Bruder nicht eine zu knallen.

»Das Haus geht nicht an Hartenberg. Wirste sehen.« Ben streckte sich. »Was ist das?« Er zog einen Briefumschlag aus Markus’ hinterer Jeanstasche.

»Für dich. Vom Deutschen Surfverband.« Markus hob ein Schokoriegelpapier auf und steckte es in die Tasse.

Ben blickte auf den Brief, winkte ab und schleuderte ihn durchs Zimmer. Er landete in der Ecke auf einem Blumentopf, dessen pflanzlicher Bewohner üppige grüne Blätter in Form von fünf Fingern hatte.

Markus schaute dem Brief nach. »Willst du nicht wissen, worum es geht?«

»Weiß ich schon.« Ben nahm die Jeans vom Boden. »Die wollen, dass ich Ehrenvorsitzender werde und die Leitung der Jugendarbeit übernehme.«

»Für ganz Deutschland? Das ist doch toll!«

»Ich als Vorsitzender eines Verbandes?« Ben lachte und schob eine blonde Zottelsträhne aus dem Gesicht hinters Ohr. »Sitzungen, Bürokram, den ganzen Tag vorm Computer hocken – nein, danke. Mir reichen meine kleine Surfschule und ein paar hübsche Urlauberinnen, mit denen ich die Segel setze – mehr brauche ich nicht.«

Markus zog die Augenbrauen hoch und bückte sich nach einem Apfelgriebs, der zum Glück noch einigermaßen frisch aussah. »Und das, obwohl wir nach deiner glorreichen Aktion wirklich jeden Cent …«

»Danke, dass du mir das immer wieder auf’s Brot schmierst. Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, dass es mir unendlich leidtut und dass …«

»Ben?« Eine schwache Frauenstimme drang aus dem Nachbarzimmer. »Bist du auf, Benjamin, mien Seuten? Ich höre dich. Kommst du zu mir rüber? Schnell. Ich glaub, ich weiß jetzt, was es ist, was der alte Käpt’n Hermann uns hinterlassen hat.«

Ben hob entschuldigend die Schultern und lief barfuß an Markus vorbei in das Zimmer der Oma hinüber.

Unter dem wuchtigen Ölgemälde eines Hochseedampfers in voller Fahrt lag Oma Charlotte in ihrem Bett. An der gegenüberliegenden Wand, so dass sie es gut sehen konnte, hing das gerahmte Foto eines Mannes mit weißem Bart, Kapitänsmütze und vier Streifen auf den Uniformschulterstücken. Schade, dass er diesen Mann, seinen Großvater Gustav, den letzten Kapitän der Familie, nicht mehr kennengelernt hatte, dachte Ben. Lächelnd trat er an dem übergroßen Nussbaumkleiderschrank vorbei auf seine Oma zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wie geht’s dir heute, Charlotte?«

Die kornblumenblauen Augen in dem faltigen Gesicht schauten unruhig durch den Raum. »Mein Rheuma verrät mir, dass der Wind gedreht hat und die See heute aufgebauscht ist. Mein Gustav wird bald wieder bei mir sein.«

Ben nahm ihre Hand. Dies war also einer der schlechten Tage. Zum Glück kamen sie nicht allzu oft vor. Meistens machte Oma den Eindruck einer rüstigen alten Dame, die völlig ohne Grund im Bett lag. »Sicher wird Opa bald wieder hier sein, Öming. Wo fährt er denn gerade?«

»Rostock–Rio–Rostock. Bananen, Liebling, Bananen. Er wird mir sicher eine Staude mitbringen für mein Gewächshaus.«

»Ganz bestimmt.« Er strich die Bettdecke glatt. »Möchtest du einen Tee trinken? Ich könnte uns welchen machen.«

»Nimm den frischen aus Ceylon, mien Jung. Den Gustav neulich aus Ceylon mitgebracht hat, ja? Und gib mir bitte mein Strickzeug.« Sie deutete auf Wollknäule und Stricknadeln auf dem Nachttisch.

Ben gab sie ihr. »Bin gleich wieder bei dir.« Er strich über ihre eingefallene Wange, schob eine Silbersträhne zur Seite und sah, dass ihre blauen Augen beim Stricken geradeaus auf ihren Gustav gerichtet waren. Gerade wollte er aufstehen und das Zimmer verlassen, als sie ihre Arbeit unterbrach, die knochige Hand vorschnellen ließ und sein Handgelenk umklammerte. Sie zog ihn zu sich herunter. »Damals auf Sansibar, als dein Ururgroßvater Hermann für den König fuhr …«

Er versuchte, sich loszumachen. »Ich weiß: Damals waren die goldenen Zeiten der Seefahrt. Das hast du schon immer gesagt, Charlotte.«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf und zog ihn näher zu sich heran. Er konnte kaum verstehen, was sie flüsterte: »Das Vermächtnis, Ben, das Vermächtnis des alten Hermann. Sein Geheimnis von Sansibar. Ich glaub, ich weiß jetzt wirklich, was es ist.«

Das Geheimnis von Sansibar. Seit Generationen versuchte die Familie, es zu lüften. Ururopa Hermann hatte einen Brief hinterlassen, in dem er andeutete, etwas sehr Wertvolles von der Insel mitgebracht zu haben, damals, 1896. Wie oft hatte Ben diese Legende der Familiengeschichte schon gehört. Und wie oft hatten er und Markus auf Geheiß von Öming das Haus danach abgesucht. Inzwischen glaubte er, dass es den geheimnisvollen »Schatz« von Sansibar nicht gab, niemals gegeben hatte. Sie waren eben eine Seefahrerfamilie gewesen. Da fuhren die Männer zur See, und die Frauen spannen von Generation zu Generation Seemannsgarn. »Ich komme gleich wieder mit dem Tee, Charlotte. Und dann erzählst du mir, was es ist, ja?«

Er lief über die knarrende Treppe hinunter in die Diele und vorbei an der Seemannskommode in die Küche. Die alte Porzellanuhr über der Speisekammer ließ ihr ruhiges Klack-Klack hören. Es roch nach frisch gebrühtem Kaffee. Einen dampfenden Pott vor sich, saß Markus am Tisch aus alten Planken, den sie vergangenen Sommer gemeinsam im Garten gezimmert hatten, und stierte in seinen Laptop. Im Vorbeigehen sah Ben, dass das Mail-Programm geöffnet war. »Na? Gute Nachrichten vom deinem Verlag? Ist eines deiner Bücher endlich mal auf der Bestsellerliste gelandet?« Er kicherte. »Nicht? Och! Ich mache mir langsam Sorgen. Vielleicht solltest du dir mal einen richtigen Job suchen, in einem Verbandsvorstand zum Beispiel, anstatt oben in deiner Kemenate unterm Dach verquaste Geschichten zu schreiben, die keiner lesen will. Wie hieß gleich dein letzter Roman? Abendmitte. Seitenrot? Zu schade, dass er gefloppt ist.« Er drehte den Wasserhahn am altmodischen Keramikbecken auf und füllte den Wasserkocher.

»Halt einfach die Klappe, Ben.« Markus klickte die Mails weg.

»Ob du jemals raufkommst, auf die heilige Liste?« Ben ging in Deckung, als ob Markus nach ihm langen würde. Aber der ließ sich nicht beirren und wiegte nur den Kopf hin und her.

Das Wasser im Kocher brodelte, Ben füllte ein Tee-Ei mit der Ceylon-Mischung. Dabei sang er einen Song von Bob Marley und tänzelte mit seinen nackten Füßen über die Fliesen mit dem arabesken Muster, die Kapitän Hermann dem Familienklatsch zufolge in Oman vom Sultan geschenkt bekommen hatte, als das Telefon im Wohnzimmer klingelte.

Markus ging hin.

Ben goss den Tee auf und hörte die Stimme seines Bruders durch die Tür nur leise.

Als Markus nach ein paar Minuten wieder in die Küche trat, war alles Blut aus seinem Gesicht entwichen.

Ben lief auf seinen Bruder zu und fasste ihn an der Schulter. »Was ist mit dir? Wer war das, Hartenberg? Will er das Ultimatum nicht einhalten, der Gauner? Er hat per Handschlag versprochen, dass wir vierundzwanzig Monate Zeit haben, um das Haus zurückzukaufen.«

Markus sank auf den Stuhl. Seine Stimme war kaum zu hören, so leise sprach er. »Ob es im Ort ein Zimmer mit Dusche gibt, hat sie gefragt.«

»Wer – sie? Was für ’ne Dusche?« Ben stützte sich vor Markus auf dem Tisch ab und schaute seinem Bruder ins Gesicht. Hatte er Fieber? Er fühlte seine Stirn.

Markus war zu abwesend, um die Hand seines Bruders wegzuschieben. »Sie will kommen, und sie wird alles aufdecken.«

»Was wird wer aufdecken?« Kein Fieber. Ben goss seinem Bruder ein Glas Wasser ein.

»Die klingt wie eine zickige Dampfwalze. Ich bin so was von geliefert. Jetzt werden wir das Haus auf jeden Fall verlieren.« Er drehte das Wasserglas in seinen Händen.

Ben haute mit der Faust auf den Tisch. »Markus, verdammt, erzähl! Was ist los?«

»Ich bin nicht Harm Harmsen«, sagte Markus und schaute Ben glasig an. »Und das wird sie herausfinden.«

»Wer zum Teufel ist Harm Harmsen?«

Markus zog schweigend den Laptop heran, klickte das Mail-Programm wieder auf. »Die Mail vom Verlag. Ganz oben.«

Ben beugte sich hinunter und las laut: »Sehr geehrter Herr Harmsen … hä?« Er blickte fragend zu seinem Bruder auf.

»Lies einfach«, sagte Markus.

Ben las. »Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Das Kapitänsprinzip. So steuern Sie Ihr Lebensschiff ins Glück auf Platz 47 in die Bestsellerliste eingestiegen ist. Die Verkaufszahlen steigen konstant, wir rechnen damit, bald die Top 20 zu erreichen.«

Ben sah Markus erstaunt an. »Kapitänsprinzip? Herr Harmsen?«

»Harm Harmsen.« Markus nickte traurig. »Kapitän und Glücksexperte.«

Ben schaute ihn einen Moment lang schweigend an und sortierte seine Gedanken. »Und du hast das geschrieben? Diesen Harm Harmsen gibt es gar nicht?«

»Na ja, irgendwie schon.«

Ben rüttelte ihn. »Sprich Klartext.«

»Es gibt ein Bild von ihm. In dem Buch.« Markus sah Ben verlegen von der Seite an. »Dein Bild. Ich habe dein Foto verwendet. Du bist Harm Harmsen.«

Ben blickte ihn entgeistert an. »Was?«

Markus erhob sich. »Ich hatte diesen Ratgeber vor Jahren geschrieben, als ich mit einem meiner Romane nicht weiterkam. Damals, als Erfolgsratgeber reihenweise auf der Bestsellerliste standen: Wie werde ich reich in drei Sekunden? Wie schubse ich meinen Chef vom Sessel? Da habe ich gedacht, viel schöner wäre doch ein Glücksratgeber.«

»Du und Glücksexperte!« Ben musste lachen. »Der Mann, der melancholisch seinen Künstlerträumen nachhängt. Der im Leben nun wahrlich nicht geseg…«

»Mir kam eben die Idee mit dem Kapitänsprinzip«, unterbrach ihn Markus. »Liegt ja in der Familie. Ich fand das Bild mit dem Schiff, das ins Lebensglück steuert, so schön.« Er machte eine Geste, als ob er Wasser durchpflüge. »Hatte nie daran gedacht, das Buch irgendwo anzubieten. Aber als du dann dein kleines Pokerspiel verloren hattest, habe ich es doch gemacht. Ich wusste, dass dieser Verlag immer Ratgebertitel sucht. Und prompt landet das Ding nun auf der Bestsellerliste.«

Ben las noch einmal ungläubig die Mail. Da stand es, unzweifelhaft: Harm Harmsen – Das Kapitänsprinzip – So steuern Sie Ihr Lebensschiff ins Glück, eingestiegen auf Platz 47. »Einen Kapitän erfinden, schön und gut. Aber warum hast du ein Foto von mir genommen und nicht eines von dir selbst?«

Markus sah ihn entsetzt an. »Bist du verrückt? Wenn einer meiner Schriftstellerkollegen herausfindet, dass ich so etwas schreibe, dann kann ich einpacken. Keiner würde meine Romane noch ernst nehmen. Nein, ich konnte unmöglich rein in das Buch.«

»Aber ich, oder wie?«

»Na klar. Außerdem siehst du doch ganz kapitänsmäßig aus. Und so jugendlich und verwegen mit deinem Dreitagebart.«

»Verwegen.« Ben tippte sich an die Stirn.

Markus nickte. »Wie gemacht für die Zielgruppe.«

»Zielgruppe?«

»Frauen um die vierzig. Die beschäftigen sich mit solchen Themen. Midlife-Crisis, verstehst du? Die drückt sich bei Frauen nicht in gesteigertem Interesse an Autos und Sex aus, sondern an Gesundheit, Ernährung und eben in der Suche nach Glück.«

»Soso.« Ben schmunzelte. »Du kennst dich aber aus.«

»Ganz genau. Und jetzt will diese Reporterin vom Komet herkommen und eine große Geschichte über Harm Harmsen schreiben, den Kapitän mit den klasse Glückstipps.« Markus griff Bens Schultern. »Du musst für die Reporterin den Kapitän spielen, Ben. Damit können wir uns retten. Diese Zeitschrift hat eine Millionenauflage, und wenn wir Glück haben, verdienen wir durch diesen Artikel so viel, dass wir doch noch das Geld zusammenkriegen für Hartenberg, um das Haus vor dem Stichtag zurückzukaufen.«

Ben starrte ihn nur an, unfähig zu antworten.

Markus fuhr fort: »Diese Reporterin darf auf keinen Fall merken, dass hier was nicht stimmt. Sonst sind wir ein für alle Mal erledigt. Immerhin war das so was wie Betrug.«

Ben machte sich los. »Warte mal, ganz langsam für einen müden Surfer zum Mitdenken. Du erfindest einen Kapitän, lässt ihn ein Buch schreiben über das Glück, verwendest einfach mein Foto – und nun soll ich auch noch mitspielen?« Er boxte seinen Bruder vor die Brust. »Du spinnst doch.«

Wütend marschierte Ben durch die quietschende Tür auf die Holzveranda und, immer schneller werdend, durch den Garten über die Dünen bis an den Strand. Erst als das kalte Wasser seine Füße umspülte, hielt er an. Er atmete tief ein, stellte sich in den Wind und schloss die Augen. Wie kam Markus bloß auf diese bescheuerte Idee, ihn als Harm Harmsen zu verheizen? Seinen eigenen Bruder? War er noch zu retten? Ben ließ sich nach hinten in den Sand fallen, streckte Arme und Beine von sich und schaute in den blauen Himmel. Er – ein Kapitän? Klar, Opa war einer gewesen. Und alle anderen Männer vor ihm in der Familie. Aber das war auch schon alles, was er von diesem so verantwortungsvollen, ehrfurchtgebietenden Beruf wusste. Er blickte einer Möwe nach, die den Strand überflog. Nein, er war ein Surfer, der sich kaum erinnern konnte, wann er das letzte Mal etwas anderes als Jeans getragen hatte – er konnte keinen geschniegelten Kapitän spielen. Völlig ausgeschlossen. Er sprang auf, klopfte den Sand von der Hose und lief zurück zum Haus.

Sobald er wieder in die Küche trat, setzte Markus zu einer flehenden Rede an. »Bitte, Ben. Du musst mitmachen! Ich werfe mich auch vor dir auf die Knie, wenn es das ist, was du willst. Du musst den Kapitän geben.« Er legte die Hände auf Bens Schultern. »Nur so können wir das Haus retten, jetzt wo die Bank uns keinen Kredit mehr gibt. Bitte, Bruderherz!«

Ben machte sich los. »Hör auf mit dem Quatsch!« Er lief zur Teekanne und zog das Ei heraus. »Ich bin kein Kapitän, und ich spiele keinen Kapitän. Wieso glaubst du eigentlich, einfach so über mich bestimmen zu können?« Er holte zwei Keramikbecher mit blau-weißem Zwiebelmuster aus dem alten Küchenbuffet und goss den dampfenden Tee hinein.

»Das tue ich nicht. Aber vielleicht erinnerst du dich mal, wer das Haus verpokert und uns überhaupt erst in diese Lage gebracht hat?«

»Danke für Holzhammer Nummer zwei an diesem jungen Tag.« Ben schloss die Augen und ballte die Fäuste. Himmelherrgott. »Nein! Ich mach’s nicht!« Er nahm die Becher und stieg die knarrenden Stufen zu Charlotte in den ersten Stock hinauf.

3Josefine

»Gewonnen!« Leopoldine riss die Arme hoch, warf den Tennisschläger von sich und rannte zum Netz. »Komm schon, Schwesterchen!«, rief sie Josefine zu, die auf der anderen Platzseite an der Grundlinie stand und in mühsam beherrschter Wut die Saiten ihres Schlägers zurechtschob. »Komm her, und gratuliere deiner großen Schwester, die nun mal die beste Tennisspielerin von Schwabing ist, das musst’ zugeben!«

Widerwillig ging Josefine zum Netz und umarmte sie. »Glückwunsch, Leo.« Es klang, als ob sie etwas ganz anderes gesagt hätte. Warum nur schaffte sie es so selten, ihrer Schwester Kontra zu geben?

Jeden Mittwoch in der Mittagspause standen sie sich hier gegenüber, um ein paar Bälle zu schlagen, wie sie es vor den Kollegen nannte. In Wahrheit war es alles andere als entspanntes Ballspiel – es war Krieg. Josefine hatte schon überlegt, heimlich Tennisstunden zu nehmen. Aber wann? Sie hatte Zwölfstundentage und oft Termine am Wochenende. Wann, um alles in der Welt, sollte sie da Tennisstunden einschieben? Sie äugte zu Leopoldine hinüber, die an der Bank summend ihren Schläger in der Tasche verstaute, den Reißverschluss zuzog und sich mit dem Handtuch die schweißnassen blonden Haare trocknete.

Plötzlich kam ihr ein Verdacht: Nahm Leo womöglich selbst Extra-Unterricht? War sie ihr deshalb immer einen Schritt voraus? Aber nein, das war abwegig. Oder? Leo hatte dafür doch genauso wenig Zeit wie sie. Leo, das leuchtende Vorbild, stets die Mustertochter der Eltern, die alles richtig gemacht hatte: Psychotherapeutin mit gut laufender Praxis, Spezialgebiet Paartherapie. Mit einem soliden Ehemann. Drei reizenden Kindern. Dem wohlerzogenen Labrador Stan und einem hübschen Haus in Grünwald. Sie, Josefine, dagegen ohne Mann und Kinder, dafür mit einem – in den Augen ihrer Eltern – völlig belanglosen Job. Was galt schon eine Journalistin? Selbst, wenn sie eine der besten ihres Fachs war und bei einem der renommiertesten Magazine arbeitete. Die Familienfeiern der Johnfelds in Starnberg waren Josefine stets ein Graus. Schon wenn das automatische Tor zur Seite rollte, sie in die Kieseleinfahrt einbog und durch das Spalier der Linden auf das Haus und den See zufuhr, fragte sie sich, wann sie wohl wieder flüchten dürfte. Denn sobald sie den Marmorspringbrunnen auf dem Rondell vor dem Haus umrundet und ihr Auto geparkt hatte, öffnete sich die Haustür, und ihre Mutter empfing sie. Zuerst gab es ein Küsschen auf die Wange, aber dann begann sofort das Punktesammeln. Ein kritischer Blick auf ihr Outfit – zu leger wie immer. Das Auto – war immer noch dieses alberne Beetle Cabrio. Ihre Haare – offensichtlich war es schon wieder Wochen her, dass sie beim Friseur gewesen war.

Ja, sie würde Tennisstunden nehmen, beschloss sie in diesem Moment. Und wenn sie dafür Montagmorgen um sechs Uhr auf dem Platz erscheinen müsste.

»Ich wünsche dir einen wunderschönen Nachmittag, Schwesterherz!« Leopoldine küsste Josefine rechts und links auf die Wangen. »Woran musst du denn heute noch weiterarbeiten? An Schminktipps und einem Vorher-nachher-Shooting?«

Josefine schaute sie wütend an. »Hast du so etwas jemals im Komet gelesen?«

»War nur ein Scherz.« Leo schulterte ihre Tasche.

»Zufällig hatte ich heute ein Interview mit unserem Bundesumweltminister. Es ging um die …«

»Wie spannend.« Leo sah auf die Uhr. »Leider muss ich los, Maria ablösen, die Kinder warten. Also, ciao, ciao, meine Liebe.« Sie winkte und stieg in ihren Mercedes SUV. Warum nahm sie eigentlich keiner in ihrer Familie ernst? Josefine warf ihren Schläger in die Tasche und rubbelte sich die Haare mit dem Handtuch ab. Wenn sie doch nur erzählen könnte, dass sie zum Stab der Journalisten gehörte, die in Berlin und an allen anderen Orten der Welt die Regierungsarbeit auf Schritt und Tritt verfolgten und sogar in der Kanzlermaschine hautnah dabei waren, das würde ihre Familie beeindrucken. Stattdessen ging es jetzt wohin doch gleich?

Nach Heringsdorf auf Usedom.

Und das nur dank dieses dämlichen Glücksratgebers. Und des blöden Mittermanns. Und dieses doofen Kapitäns Harm Harmsen.

Wütend zog Josefine den Reißverschluss der Tennistasche zu, warf sie auf den Rücksitz ihres Beetles und brauste nach Hause, von wo aus sie ihre Reise nach Usedom vorbereiten wollte. Die Reise, die ihr schon jetzt gehörig auf die Nerven ging.

4Ben

»Habt ihr euch gestritten, Ben?« Charlotte sah ihm mit dem Strickzeug in der Hand entgegen, als er das Zimmer betrat. Sie hatte wirklich Ohren wie ein Luchs. »Ihr sollt doch nicht streiten. In einer Familie muss man sich vertragen, das ist wichtig.«

»Ja, Oma.« Ben balancierte die viel zu voll gegossenen Teebecher vorsichtig zum Bett.

»Worüber streitet ihr denn? Es besteht doch gar kein Grund. Ihr lebt hier in diesem wunderschönen Haus direkt am Meer. Wenn ich nicht mehr bin, gehört es euch. So ein schönes Haus! Mein ganzes Erwachsenenleben habe ich hier verbracht, keine Nacht habe ich woanders geschlafen. Und immer wenn Gustav nicht auf See war, war er glücklich, in dieses Heim zurückkehren zu können. Er liebte dieses Haus, so wie ich es liebe.«

Sie war also wieder im Heute angelangt, dachte Ben erleichtert.

Sie ergriff seine Hand. »Du musst mir versprechen, dass ihr es nie verkauft, unser Kapitänshaus. Es muss immer in Familienbesitz bleiben, hörst du?«

»Vorsicht, Charlotte, verschütte nicht den Tee«, wich er aus und gab ihr den Becher in die Hand.

»Hörst du das Meeresrauschen direkt vor dem Fenster? So etwas Schönes. Ich möchte es immer hören. Bis zu meinem letzten Tag, wenn ich einschlafe und Gustav wiederbegegne.« Sie nippte an dem Tee. »Ceylon. Das schmeckt nach Fernweh, findest du nicht? Ich sehe die Terrassenfelder der Teeplantagen regelrecht vor mir, die Gustav uns immer beschrieben hat.«

Mit gerunzelter Stirn sah Ben Charlotte zu, wie sie lächelnd einen Schluck nach dem anderen nahm.

Wie hatte das nur passieren können? Dieser Abend kurz nach seiner Rückkehr aus Australien. Wie hatte er sich nur verleiten lassen können zu pokern? Steuerschulden waren Steuerschulden. Keine Frage. Und sie mussten beglichen werden. Natürlich hätte es sie eigentlich gar nicht geben müssen, wenn er nicht zu verplant und zu geizig gewesen wäre, für die Surfschule einen Buchhalter zu beauftragen. Es hatte sich eben gezeigt, dass er deutlich besser surfen konnte, als seine Finanzen im Blick zu behalten. Inzwischen war der Buchhalter da, mit dem Finanzamt gab es einen Tilgungsplan – aber das Kapitänshaus war so gut wie futsch. Wie hatte er nur alles riskieren können? Und dann noch mit dem schmierigen Hartenberg!

Der Dampf des Tees stieg ihm in die Augen.

Und was hatte ihn gebissen, das Haus zu setzen? Er schloss die Augen. Immerhin hatte er die vierundzwanzig Monate Vorkaufsrecht noch aushandeln können. Allerdings war diese Frist nun schon fast abgelaufen. Wenn sie doch nur irgendwie das Geld …

Seine Gedanken wurden unterbrochen von Markus’ Stimme, die aus dem Garten durch das angelehnte Fenster drang: »Verschwinden Sie! Runter von unserem Grundstück!«

Charlotte reckte sich in ihrem Bett. »Seech eis, was ist da los, Ben? Guck doch mal ut.«

Ben lief zum Fenster. Die alte Pappel nahm ihm zunächst die Sicht, aber dann sah er Markus den Rasen überqueren – geradewegs auf Hartenberg zu. Mit seinen Bommel-Budapestern stand der Immobilienmakler mitten im Rosenbeet, einen Zollstock in den Händen. Es sah aus, als hätte er gerade den Abstand zwischen Pappel und Gartenzaun vermessen. Die Basecap auf seinem Bollerkopf verdeckte von hier oben sein Gesicht, aber Ben konnte sich genau denken, wie Hartenberg Markus mit seinen wulstigen Lippen angrinste. So wie er es mit mir gemacht hat, dachte Ben. Damals in dieser verhängnisvollen Pokernacht.

»Was machen Sie da, Hartenberg?«, rief Markus. »Noch ist das unser Garten.« Er blieb kurz vor dem Wohlstandsbauch im weinroten Seidenblouson stehen.

Hartenberg trat aus dem Rosenbeet. »Muss doch wissen, ob da die Doppelgarage hinpasst, die ich geplant habe. Soll ja an nichts fehlen für die neuen Eigentümer, wenn ich den alten Kasten erst einmal in drei Luxuswohnungen umgebaut habe.« Er klappte den Zollstock zusammen. »Zeit ist Geld, junger Mann. Kann gar nicht früh genug mit den Ausschreibungen anfangen. Die Handwerker auf der Insel haben viel zu tun.«

»Noch gehört das Haus nicht Ihnen.« Markus machte einen Schritt auf ihn zu. »Verschwinden Sie von unserem Grund und Boden.«

Hartenberg lief zur Gartenpforte. »Schon gut.« Er zog sie hinter sich zu. »Aber ihr wisst schon: In fünf Monaten müsst ihr die Villa räumen.« Er grinste breit. »Fortuna war eben nicht auf eurer Seite, Freunde.« Er schwang sich in sein rotes Mercedes-Coupé, das er mit Warnblinkanlage direkt auf der Strandpromenade geparkt hatte, startete den Motor und fuhr davon, nicht ohne noch einmal zu hupen.

Ben schloss das Fenster.

»Mit wem hat Markus da geredet? Was haben die diskutiert? Das hab ich nicht verstanden. Was meinen die mit …«

»Gar nichts, Charlotte. Nichts weiter.« Ben nahm ihren Teepott an sich. »Das war nur ein alter Bekannter von Markus, der vorbeigekommen ist. Kein Grund zur Aufregung.«

»Aber das klang nicht gerade nach …«

»Ich hole uns das Halma, ja? Bin gleich wieder bei dir.« Er zog die Tür hinter sich zu und rannte die Treppe hinunter. Markus saß am Küchentisch, die Stirn auf den Planken.

Ben trat zu ihm und legte seinem Bruder die Hand auf den Rücken. »Ich mach’s.«

5Josefine

Eine Expedition in den hohen Norden. Josefine stand in ihrem Kleiderzimmer und schaute in den beleuchteten Schuhschrank. Die Stilettos? Nein. Die Bergschuhe? Nein. Turnschuhe! Sie feuerte sie in die Weekendbag und rollte die Kleiderschranktür auf. Was trug man so bei den Fischköppen? Die abgewetzten Jeans? Sie pfefferte ein paar Klamotten zu den Schuhen und schob die Schranktür wieder zu. Was noch? Desinfektionsspray, Mückenmilch, Müsliriegel.

Das Handy klingelte. Schatz ruft an, blinkte die Anzeige. »Konstantin«, begrüßte Josefine ihren Freund. »Tut mir leid, das wird nichts mit St. Moritz dieses Wochenende. Nein, auch nicht mit dem P1.« Sie klemmte das Handy zwischen Kinn und Schulter und zog den Reißverschluss der Reisetasche zu. »Heringsdorf. – H-E-R-I-N-G-S-D-O-R-F. – Doch, das ist in Deutschland. – Im Osten. – Ja, ich passe auf mich auf. – Natürlich habe ich an Sagrotan gedacht. – Ja, eine große Reportage. – Über Glück. Ich treffe einen Kapitän, der einen Ratgeber geschrieben hat. – Nein, ich weiß nicht, ob der gut aussieht und sexy ist. – Du brauchst wirklich nicht mitzukommen als Begleitschutz. – Ja, ich melde mich, wenn ich angekommen bin. – Danke, ich glaube kaum, dass ich dort Spaß haben werde, aber hoffentlich wird wenigstens die Story ein Erfolg.«

Konstantin war so aufmerksam, dachte sie, als sie nach dem Auflegen das Handy ans Kabel hängte, damit es morgen auf der Fahrt genug Saft hätte. Ein echter Gentleman. Und schon Partner in der Kanzlei, das hatte ihre Eltern besonders gefreut, als sie ihn kennengelernt hatten. Wenn ihre Mutter ihr nur nicht so mit dem Thema Hochzeit auf die Nerven gehen würde. Man musste doch nun wirklich nichts überstürzen.

Sie trug die fertig gepackte Tasche durch ihr Loft und stellte sie an die Wohnungstür. Auf dem Rückweg griff sie vom Sideboard das Buch, das der Postbote gebracht hatte, und riss die Zellophanfolie auf.

Das Kapitänsprinzip prangte in goldenen Buchstaben auf dem Cover. Und als Untertitel: So steuern Sie Ihr Lebensschiff ins Glück! Im Hintergrund durchpflügte eine Art Queen Mary 2 majestätisch den Ozean.

Josefine seufzte und fläzte sich mit dem Buch auf die weiße Designercouch. Draußen vor der bodentiefen Fensterfront wurde es bereits schummrig, die Lichter in den Wohnblocks rundherum gingen an. Sie stand noch einmal auf, um sich ein Evian aus der Küchenzeile zu holen. Dann klatschte sie einmal, um die Bogenlampe einzuschalten. Ein warmer Lichtkegel hüllte sie nun ein.

Also, Herr Kapitän, dachte sie, legte sich lang hin und schlug die Beine übereinander. Wollen wir doch mal sehen, wohin Sie schippern in Ihrem Buch. Sie trank einen Schluck Wasser und las zuerst den Klappentext: Haben Sie genug davon, wie in einer Nussschale von den Wogen des Lebens hin und her geschaukelt zu werden? Vom Wind getrieben, mal hierin, mal dorthin, ohne Führung, ohne Ziel und ohne Hoffnung?

Sie riss die Augen auf. Das war ja bekloppter, als sie befürchtet hatte. »Nein, Kapitän Wichtigtuer, ich treibe nicht ziellos durchs Leben.«

Besteigen Sie Ihr Lebensschiff, nehmen Sie Fahrt auf, und steuern Sie mitten hinein in Ihr Glück. Das Kapitänsprinzip zeigt Ihnen, wie Sie die Segel setzen und das Ruder in die Hand nehmen. Kapitän Harm Harmsen nimmt Sie mit auf seine Brücke und verrät Ihnen die Tricks des erfolgreichen Navigierens durch die Stürme des Lebens. Am Ende dieser Lektüre laufen Sie garantiert in Ihren Glückshafen ein, großes Seemannsehrenwort.

Himmelsakrament. Sie blätterte zum Vorwort:

Ahoi! Mein Name ist Harm Harmsen, Kapitän zur See, und ich heiße Sie herzlich willkommen auf meiner Brücke. Lassen Sie den Blick schweifen, und genießen Sie die Aussicht über die Weiten des Ozeans bis zum Horizont. Dies ist das Meer unserer Möglichkeiten – entdecken Sie all die Chancen und Wege, die Ihnen das Leben zu bieten hat. Sie können nach Norden, Süden, Osten oder Westen fahren, ganz wie Sie wünschen.

Josefine rollte mit den Augen.

In diesem Buch werden wir gemeinsam herausfinden, was Ihre Träume sind, was Glück für Sie bedeutet und welchen Kurs Sie einschlagen müssen, um an Ihr Ziel zu kommen. Und dann setzen wir die Segel und steuern auf dieses Glück zu, Seemeile für Seemeile, Boje für Boje.

Es wird Wetterfronten geben, es wird Piratenangriffe geben, vielleicht geht jemand über Bord. Aber seien Sie sich bewusst: Wenn Sie nicht endlich den Törn Ihres Lebens planen, sich Kompass, Kursdreieck und Zirkel schnappen, einen Kurs in Ihre persönliche Seekarte einzeichnen und ihn dann auch entschlossen einschlagen, dann werden Sie in Ihrer Nussschale schaukeln, bis Strömungen Sie erfassen, die Sie vielleicht dorthin treiben, wo Sie niemals hinwollten. Stehen Sie also fest an meiner Seite, Matrose, und ich lotse Sie sicher in Ihren persönlichen Glückshafen. Ahoi!

Ihr Kapitän Harm Harmsen

Kruzitürk… Sie wusste schon, warum sie Ratgeber hasste. Und nun sollte sie ernsthaft darüber schreiben? Nichts anderes schien Mittermann zu wollen. Diese ganze Sache würde sie nicht durch den Kakao ziehen dürfen, sie würde sie diskutieren und vielleicht sogar testen müssen.

Sie blätterte zur Autorenbiographie. Immerhin, hässlich war er nicht, dieser Harm Harmsen. Strohblonde Haare, ganz schön lang für einen Kapitän allerdings. Blaue Augen mit Lachfalten ringsherum, Dreitagebart auf dem starken Kinn. Unter dem Foto stand: Harm Harmsen, geboren in Heringsdorf auf Usedom. Indem er zur See ging, folgte er einer alten Familientradition, nach der seit Zeiten seines Ururgroßvaters immer ein Sohn der Familie Harmsen Kapitän wurde. Harm Harmsen studierte Nautik an der Universität in Rostock-Warnemünde. Als Kapitän zur See befuhr er alle Weltmeere für verschiedene Reedereien.

Josefine klappte das Buch zu. Das konnte ja heiter werden. Glück. Was war denn schon Glück? Die Leute sollten einfach mal nicht so viel grübeln. Sie sollten die Aufgaben erledigen, die sie zu erfüllen hatten im Leben, und nicht ständig herumjammern. Kein Wunder, dass Hunderttausende Psychotherapeuten in Deutschland sich dumm und dusselig verdienten. So wie ihre Schwester. Josefine klatschte zweimal, um die Bogenlampe auszumachen, und stand auf. Immerhin kam sie durch diese Geschichte endlich mal wieder ans Meer. Die Ostsee kannte sie noch gar nicht, nur das Mittelmeer, den Indischen Ozean und Sylt natürlich, dachte sie, als sie ins Bad ging – Zeit fürs Bett. Morgen musste sie früh raus. Gut acht Stunden würde sie für die Fahrt an die Küste brauchen, hatte das Navi ihr verraten. Acht Stunden bis zum ach so glücklichen Kapitän. Na, dann man tau!

6Markus

Konnte das gutgehen?

Am nächsten Morgen in aller Frühe, die Sonne war gerade orangerot aufgegangen und ließ den Himmel rosa erstrahlen, saß Markus an seinem hölzernen Schreibtisch im Arbeitszimmer unter dem Giebel des Kapitänshauses und blickte durch das ovale Fenster auf das Meer. Die Wellenkämme tanzten weißlich orange heran, die Lichter der Kräne im Hafen von Swinemünde erloschen langsam. Erste Jogger liefen über die Planken der Seebrücke. Möwen erhoben sich in die Lüfte über den weißen Seebrückenhäuschen auf der Suche nach einem Frühstücksfisch, bevor sie sich auf einem Bein auf das Geländer stellen und den Kopf unter das Gefieder stecken würden, um ein Vormittagsschläfchen zu halten.

Markus wandte sich ab und blickte auf den Bildschirm. Schwarze Buchstaben auf weißem Grund sah er, einen Satz, der noch keinen Punkt hatte – aber er konnte sich jetzt nicht auf die Arbeit an seinem neuen Roman konzentrieren. Er nahm einen großen Schluck Kaffee.

Sie mussten es schaffen. Er nickte zu sich selbst. Ja, sie mussten und sie würden diese Reporterin überzeugen. Sie durfte gar nicht zum Nachdenken kommen. Das war das Beste.

Es klopfte, Ben trat ein. »Moin!« Auch er hatte einen Pott Kaffee in der Hand, sein Schlaf-T-Shirt und Boxershorts an und sah alles andere als wach aus. Er setzte sich auf den indianischen Teppich, der fast den gesamten kleinen Raum ausfüllte.

»Und? Hast du das Buch gelesen?« Markus schaute Ben forschend an. Hoffentlich nahm er das alles auch ernst. Das konnte man nie wissen bei seinem kleinen Bruder, der, obwohl auch fast vierzig, immer noch so tat, als wäre er fünfundzwanzig.

Ben nickte. »Hab fast die ganze Nacht gelesen.«

»Tatsächlich?« Markus war erstaunt.

Ben lächelte. »Nee. Aber ich hab reingeguckt und weiß Bescheid. Aber, sag mal, Markus: ›acht Kapitel, acht Bojen, acht Schritte zum Glück‹?« Er blickte spöttisch zu seinem Bruder auf. »Das geht aber flott.«

Markus stellte seine Kaffeetasse auf den Schreibtisch und verschränkte die Arme. »Kapitän Harm Harmsen hat eben einen präzisen Plan, wenn’s recht ist. Lies es richtig. Sorgfältig. Du musst wirklich wissen, was drinsteht. Wenn du Fragen hast, helfe ich dir weiter. Aber beeil dich. Die Reporterin will schon heute Nachmittag hier sein. Und wir haben bis dahin noch viel vor.«

»Was denn?« Ben nahm noch einen Schluck Kaffee.

Markus zeigte auf Bens Haare. »Erstens.« Dann auf das T-Shirt und die Boxershorts. »Zweitens.«

Ben stand auf und ging zur Tür. »Zu erstens: nein. Zu zweitens: Was meinst du?«

»Du brauchst eine Uniform.«

Ben lachte, die Türklinke bereits in der Hand. »Das ist doch albern.«

Markus schüttelte den Kopf. »Uniformen ziehen bei Frauen immer. Und der Friseurtermin ist ein Muss. Du siehst aus wie Reinhold Messner in Blond.«

»Pfff«, machte Ben, aber Markus griff schon nach dem Telefon, um Termine zu vereinbaren, während draußen an der Seebrücke der erste Bäderdampfer des Tages tutete und ablegte.

Einige Stunden später schob Ben den Vorhang zurück und trat aus der Umkleidekabine des kleinen Kostümverleihs. Er drehte sich vorm Spiegel. »Wie sehe ich aus?« Er zupfte an dem weißen Sakko.

»Mein Gott.« Markus kratzte sich am Kopf. »Du siehst aus wie vom Traumschiff.«

»Und die Mütze?« Ben fasste den kurzen dunkelblauen Schirm und schob sie in den Nacken.

Markus wandte sich an den Verkäufer am Tresen. »Haben Sie noch andere Kapitänskostüme?«

Der Verkäufer blickte nur müde von seiner Zeitung auf und schüttelte stumm den Kopf.

»Dann wird es wohl dieses werden.« Ben schob die Ärmel des Sakkos hoch. Die Knöpfe blitzten, die blauen Offiziersgrade mit den vier goldenen Streifen auf den Schultern standen ziemlich ab. »Sehen die nicht aus wie aufgeklebt?« Er zupfte daran.

Markus ließ sich in den abgeschabten Sessel vor der Kabine plumpsen. »Es sind nicht die Details. Wenn die ganze Uniform sie nicht schon stutzig macht, dann will ich Sascha Hehn heißen.«

»Sei doch nicht so pessimistisch, Bruderherz.« Ben lächelte seinem Spiegelbild zu. Er schien Gefallen an der Sache zu finden, tippte sich an die Mütze und steckte die Hand in die Tasche der blauen Hose. »Traumschiff also. Das wird die Rolle meines Lebens.«

»Wenn du sie versaust, gehen wir beide baden.«

»Aber so was von.« Ben tippte sich an den Mützenschirm und verließ den Laden als Kapitän.

»Und? Hat sie schon gesimst, wann sie da ist, deine Reporterin?«, fragte er, als sie draußen an den Geschäften und Eiscafés vorbeiliefen, begleitet von den Blicken der Urlauberinnen.

Markus schaute auf seine Uhr. »Müsste bald eintreffen. Komm, wir wollen noch zum Blumenladen. Du schenkst ihr einen riesigen Sommerstrauß als Willkommensgruß.«

»Ich?«

»Na ja, Harm Harmsen macht das.«

7Josefine

Den Schriftzug Leipzig in Weiß auf blauem Grund hatte sie gerade hinter sich gelassen, als die Sonne hinter den Wolken hervorkam. Josefine ließ das Verdeck des Cabrios herunterfahren und schnürte das Seidentuch fester um die Haare. Fast vier Stunden war sie bereits unterwegs, zum Glück herrschte wenig Verkehr. Langsam bekam sie Hunger.

Schkeuditzer Kreuz las sie und überholte zwei Lastwagen. Fünf Kilometer bis zur nächsten Raststätte. Ob es da eine Cola light und einen Salat ohne Pampendressing und traurigen Rucola gab?

Das Handy klingelte. Josefine schaltete auf Freisprecher.

»Josie, du sollst dich nicht umbringen mit dieser Raserei, das hört sich ja an wie zweihundertvierzig Sachen.« Ihr Chef klang regelrecht besorgt. »Fahr langsamer, du sollst mir die Geschichte liefern und nicht im Küstennebel begraben werden.«

Josefine rüttelte am Lenkrad vor Wut und trat noch fester aufs Gaspedal. »Herbert, was gibt’s?«

»Meine Frau sagt, all ihre Freundinnen haben sich das Kapitänsprinzip schon gekauft. Bald wird jeder darüber reden. Und erst mit deinem Artikel …«

Noch tausend Meter bis zur Raststätte. Tanksäule, Bett, Messer und Gabel. »Schön, Herbert. Aber was …«

»Mach das gut, Josie, hörst du? Nimm die Story ernst. Sonst kannst du Washington knicken, gell? Also rock it, Baby! Ciao, ciao.«

Schon hatte er wieder aufgelegt. Washington? Hatte er Washington gesagt? Hieß das, sie durfte mit der Kanzlerin auf Reisen gehen? Wenn – ja, wenn sie mit diesem Leichtmatrosen Harm Harmsen fertig wurde. Mit diesem segelnden Glücksspezi. Das dürfte doch ein Kinderspiel werden, dachte sie, verlangsamte und fuhr auf die Raststätte.

Ein paar Stunden später fuhr sie endlich von der Autobahn ab und bog auf die Landstraße. Windschiefe Eichen säumten die Allee, auf der früher die Pferdefuhrwerke in Richtung Küste gerollt waren und heute Auto an Auto brauste. Nix los war hier nicht, dachte Josefine und trommelte die Melodie des Mando-Diao-Hits mit, der gerade im Radio lief. Herrje, wie trist diese grüne Leere jenseits der Alleebäume war. Ab und an schlängelte sich die Straße durch ein Dorf, dessen einzig sichtbarer Bewohner ein im Staub einer Hofauffahrt schlafender Hund war. Und dann wieder endlose Alleen, grüne Leere, unterbrochen höchstens von Schilf und Moor. Mann, dachte Josefine, als sie die Hafenstadt Anklam durchfuhr. Wo war nur ihr Solidaritätsbeitrag geblieben? Hier jedenfalls nicht. Entsetzt sah sie die bröckelnden grauen Häuser vorbeiziehen. So würde doch wohl nicht auch Heringsdorf aussehen? Bitte nicht! Endlich erkannte sie die blaue Brücke, die das Festland mit der Insel Usedom verband, die hatte sie schon im Internet gesehen. Jetzt wurde es ein bisschen freundlicher. Hier und da ein Hofladen mit Biokäse und Biobrot. Ein knallig gestrichener Gutshof, dem man ansah, dass enthusiastische Städter sich seiner angenommen hatten. Ein Schild zum Flugplatz – so etwas gab es hier auch? Und dann endlich der Abzweig nach Ahlbeck und – Heringsdorf.

Halleluja, dachte Josefine, als sie schließlich von der Bundesstraße in den Ort einbog.

Weiße Villen mit Holzintarsien an Veranden säumten die schmale Straße. Seebäderarchitektur, Anfang letztes Jahrhundert, schätzte Josefine und blickte sich erfreut um. Pärchen schlenderten über rote Gehwege, vor den Schaufenstern links und rechts betrachteten Leute Teepötte, Keramikmöwen, neongrüne Bikinis und italienische Schuhe. Josefine musste bremsen, weil ein Junge auf einem Leihfahrrad mit einem Eis in seiner Hand die Spur nicht halten konnte. Sie hupte. Die Eltern schauten ihr bitterböse hinterher, als ob die Straße nicht zum Fahren da wäre.

»In zweihundert Metern haben Sie das Ziel erreicht.«

Josefine verdrehte sich den Hals nach dem Portal eines riesigen weißen Hotels im Gründerzeitstil, das sie soeben links hinter sich ließ. Leute mit Sonnenbrille im Haar und um die Schulter gelegtem Pulli saßen in den gelb-weiß gestreiften Polsterstühlen und tranken aus Champagnergläsern. Seepalais las sie im Augenwinkel. War das denn nicht ihr Hotel? Wo hatte sie der Kapitän denn untergebrach…?

»Sie haben Ihr Ziel erreicht.«

Josefine brachte den Wagen neben Stiefmütterchenrabatten zum Stehen. Über dem Eingang des Hotels Zum goldenen Anker hing ein goldener Anker. Eine junge Frau mit einer bunten Strähnchenfrisur, wie sie Josefine seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, begrüßte sie und schob ihr die Schlüsselkarte über den Rezeptionstresen. »Herzlich willkommen im Goldenen …«

»Danke!« Josefine nahm die Karte. »Gibt es WLAN auf dem Zimmer?«

»Selbstverständlich. High Speed, Frau Johnfeld.« Die Frau nickte freundlich. Wenigstens das, dachte Josefine, als sie ihre Zimmertür öffnete und die Reisetasche auf die Gepäckablage neben dem winzigen Schrank hievte. Ihre Füße versanken in Altrosa, als sie über den Teppich zum Fenster lief. Direkter Meeresblick, erste Reihe. Na bitte, hatte der Kapitän doch was Schönes ausgesucht, dachte sie und stieß das Fenster auf. Salzige Luft strömte in den Raum, sie atmete tief durch. Die Ostsee glitzerte golden im Sonnenlicht. Möwen flogen dicht über das Wasser. Strandkörbe mit blau-weiß gestreiften Bezügen waren über den weißen breiten Strand verstreut wie vergessene Sandförmchen. Einige hundert Meter reichte die Seebrücke ins Wasser, an deren Ende eine Pyramide aus blauem Glas prangte.

Vielleicht sollte sie gleich einen Spaziergang ans Wasser machen? Und auf dem Rückweg konnte sie schon mal schauen, wo der Kapitän wohnte. Sie zog die Turnschuhe an und stand wenige Minuten später wieder an der Rezeption. »Können Sie mir beschreiben, wie ich zu Kapitän Harm Harmsen komme?«

»Zu wem?«

»Käpt’n Harm Harmsen.«

»Tut mir leid. Ist mir nicht bekannt.«

Seltsam. So groß war Heringsdorf doch nun wirklich nicht.

»Möchten Sie im Restaurant zu Abend essen? Wir haben fangfrische Ostseescholle auf der Karte. Mit Bratkartoffeln.«

Josefine merkte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief. »Reservieren Sie mir gern einen Tisch.« Sie musste ja die fettigen Bratkartoffeln nicht essen. Oder vielleicht nur ein oder zwei. Bestimmt gab es auch einen von diesen Beilagensalaten mit Karottenschnitzen und Radieschen. »Vielen Dank. Ich mache einen kurzen Spaziergang zum Strand.«

»Viel Spaß.« Die Rezeptionistin wandte sich wieder dem Computer zu.

Josefine lief schnurstracks auf das Meer zu, das sie magisch anzog. Sie stapfte über die Düne – und da erstreckte es sich vor ihr bis zum Horizont, wo kleine Schäfchenwolken in das Wasser einzutauchen schienen. Sie atmete tief durch. Gleichmäßig rauschten die Wellen heran, die Schaumkämme rollten und trudelten auf den nassen Sand, und die Abendsonne färbte die nassen Stellen orange. Der Wind fuhr ihr in die Haare, so dass sie einen Haargummi aus ihrer Hosentasche zog und sich einen Pferdeschwanz band. Dann wandte sie sich nach links und lief der Abendsonne entgegen durch den tiefen Sand. Er kribbelte in ihren Schuhen, aber das machte ihr nichts aus. Zum ersten Mal seit langer Zeit verschwanden alle Gedanken an ihren Job aus ihrem Kopf. Sie sah nur das Meer, hörte das Rauschen, spürte den Wind auf dem Gesicht und die Sonnenstrahlen – und lief.

Als sie nach gut einer Stunde durchgepustet und vor sich hin summend wieder ins Hotel kam, sprach die Rezeptionistin sie an: »Es sind Blumen für Sie eingetroffen.« Sie bückte sich hinter den Tresen und kam mit einem riesigen eingepackten Strauß wieder hoch.

Josefine nahm ihn entgegen. Auf dem Zimmer zog sie als Erstes die Grußkarte heraus.

Herzlich willkommen in Heringsdorf, Frau Johnfeld.

Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Anreise. Morgen früh um zehn Uhr hole ich Sie in der Lobby ab.

Herzlich,

Ihr Kapitän Harm Harmsen

Um zehn? Da war ja der halbe Tag vorbei. Wohl ein Langschläfer, dieser Kapitän, dachte Josefine und wickelte den Strauß aus: wunderschöne Pfingstrosen, wie sie zugeben musste. Sie drapierte sie in der Vase, die die Rezeptionistin ihr gleich mitgegeben hatte, und stellte sie auf das Häkeldeckchen auf dem Nachttisch, als ihr iPhone den Eingang einer SMS ankündigte.

Von Leopoldine.

Gut angekommen bei den Fischköppen, Schwesterchen? Wie ist das Wetter?

Nanu? Seit wann interessierte sich Leo dafür, ob sie auf einer Dienstreise gut angekommen sei? Windig.

Sonst nichts?

Was willst du, Leo?

Dir viel Spaß wünschen. Bin nämlich etwas neidisch.

Wie bitte? Verarschen kann ich mich alleine.

Nein, ernsthaft. Löwes waren letztes Jahr im Sommer in Ahlbeck. Schwärmen heute noch. Soll sehr mondän sein.

In Ahlbeck vielleicht. Oder im Seepalais. Im Goldenen Anker wohl kaum. Stimmt. Bin begeistert. Und verliebt in die Ostsee. Das war immerhin wahr.

Wünsche Dir viel Erfolg mit deiner Story, Schwesterchen. Und erhol dich auch ein bisschen, du Arbeitstier!

Leo – so zahm? Das klang wirklich nicht ironisch. Was war los mit ihr? Danke. Willst du eine Postkarte?

Au ja. Mit Strandkorb!

Gebongt. Muss jetzt Ostseescholle essen gehen.

Schluss! Sonst heul ich. Ahoi!;)

Ciao, Leo. Und danke für die lieben Grüße.

Es geschahen doch Zeichen und Wunder. Josefine schüttelte den Kopf, verließ das Zimmer und wurde sofort eingehüllt von Bratkartoffelduft. Immer der Nase nach zum Restaurant. Und danach ins Bett fallen und schlafen, dachte sie. Morgen würde ein aufregender Tag werden.

8Josefine

Pünktlich am nächsten Morgen um zehn Uhr zog Josefine die Zimmertür hinter sich zu und lief die Treppe hinunter Richtung Lobby. Sie hatte hervorragend geschlafen und war nach dem Aufwachen als Erstes ans Fenster getreten, um das Meer zu betrachten, das ruhig und tiefblau dalag. Sie hatte das Fenster aufgestoßen, die noch kühle, salzige Luft gespürt und den Möwen gelauscht.

Wenn man nur jeden Tag mit solch einer Aussicht, mit diesem Gefühl von Weite und Freiheit beginnen könnte, dachte sie, sprang die letzten Stufen hinunter in die Hotelhalle und sah ihn sofort: Kapitän Harm Harmsen lehnte an der Rezeption und flirtete mit der Trägerin der Strähnchenfrisur. Er hatte doch tatsächlich eine blendend weiße Uniform an und eine Kapitänsmütze auf dem Kopf. Groß war er, und wie sie schon auf dem Foto bemerkt hatte, ziemlich gut geraten: Seine Augen waren gletscherblau, stellte sie fest, jetzt wo er vor ihr stand, die blonden Haare ordentlich gestriegelt und kürzer als auf dem Foto, der Dreitagebart leider abrasiert. Und so einer schrieb Glücksratgeber?

Harmsen lachte sie mit strahlend weißen Zähnen an. »Herzlich willkommen im hohen Norden, Frau Johnfeld! Hatten Sie eine gute Anreise?« Er sprach mit einem entzückenden nordischen Dialekt und drückte fest zu, als er ihr die Hand gab.