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Ella ist fünfzehn und depressiv. Die einzigen Vertrauten, die sie hat, sind Rachel und Esther - zwei Mädchen, die ebenfalls unter psychischen Erkrankungen leiden. Von ihnen erhält Ella Rat und Verständnis. Doch gemeinsam tauchen sie immer weiter in die Dunkelheit hinab, unbemerkt von Schule und Familien. Können sie sich gegenseitig retten? Dieses Buch wirft einen ehrlichen Blick auf seelische Erkrankungen bei Jugendlichen. Es ist sowohl Warnung als auch der Appell, nicht wegzusehen, ganz gleich ob als LehrerIn, TherapeutIn, FreundIn oder Elternteil.
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Seitenzahl: 55
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Für meinen Stern.
Prolog
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Epilog
Das Größte, Unvergesslichste und in gewisser Weise auch das Beste, was mir je im Leben passiert ist, ist gleichzeitig auch das Traurigste.
Dieses Ereignis geschah vor fast fünf Jahren und ist für mich eine Mischung aus einem epischen Drama und einem... einfachen Erlebnis.
Ich werde diese Geschichte erzählen, denn allein für meinen Kopf ist sie zu gewaltig. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen drei Mädchen – ja, eine von ihnen bin ich, Ella. Die anderen beiden heißen Rachel und Esther.
Wir drei waren im selben Alter und uns verband eine wirklich eigenartige Freundschaft.
Da es mir teilweise sehr schwerfällt, aus meiner Sicht zu erzählen, ist die Geschichte hauptsächlich aus der Erzählersicht. Fast jedes Kapitel beginnt mit einem Ausschnitt aus Esthers Tagebuch. Dies ist hoffentlich hilfreich, um dieses Mädchen zu verstehen.
Es ist wahr, ich dachte ehrlich, ich würde genau wissen, was sie denkt... doch nein, erst in den letzten Augenblicken war alles anders.
Sie ist ein Rätsel. Sie war es schon immer, bis ganz zum Schluss. Und verstanden habe ich das erst, als es zu spät war.
Das, was damals geschehen ist, ist sehr schwer zu beschreiben.
Jemand, der nichts damit zu tun hatte, wird es am schwierigsten haben, alles nachzuvollziehen und zu verstehen. Vielleicht geht es auch nicht. Esther und ich waren schon immer der Meinung, die menschliche Sprache sei viel zu begrenzt. Es gibt zu wenig Worte, um manche Dinge richtig auszudrücken – man muss sie einfach erleben.
Wenn man Esther das erste Mal begegnete, würde jeder der Meinung sein, sie wäre das wundervollste, wunderschönste und überhaupt außergewöhnlichste Mädchen der Welt. Auch bei Ella war es so.
Doch außergewöhnlich – was heißt das schon? Jemand ist außergewöhnlich, wenn er anders ist als der Durchschnitt. Vielleicht äußerlich, vielleicht von der Art zu sprechen oder natürlich charakterlich. Auffällig auf eine ganz spezielle Art. Vielleicht sehr talentiert, besonders liebenswert, mutig, klug oder schön.
All dies war Esther. Niemand, der sie kennenlernte, würde sagen können, er hätte die Begegnung bedauert.
Doch was steckt hinter jemandem, der außergewöhnlich ist? Was denkt so ein Mensch? Was dachte Esther?
Ein Mädchen von vierzehn Jahren. Manche sagen, das sei nicht mal genug Zeit, um überhaupt gelebt zu haben. Aber das stimmt nicht. Es kommt nicht auf die Zeit an, sondern nur darauf, was du in dieser Zeit tust und bist. Esther war der Beweis dafür, dass man nicht alt sein musste, um Weisheit zu erlangen und das Leben zu verstehen.
Sie hatte zwar keinen weißen Bart, dafür aber dunkles, überlanges Haar. Es ging ihr beinahe bis zur Hüfte, war wellig und dick. Wenn man sagen würde, sie hätte ihre Haare besonders gepflegt, wäre das gelogen. Aber sie waren trotzdem schön.
Selbst wenn sie nicht schön gewesen wären, hatte Esther immer noch ihr hübsches Gesicht. Ein Schneewittchen-Gesicht. Und einen zierlichen Körper, ohne feminine Kurven, aber dennoch perfekt.
Rachel sagte einmal, sie fand, Esther würde aussehen wie ein Engel.
Ella konnte dem nicht zustimmen, weil Engel in ihrer Vorstellung blonde, dicke Babys waren. Aber der Vergleich mit einem höheren Wesen war doch treffend. Esther sah sich nicht oft im Spiegel an, vielleicht wusste sie gar nicht, wie sie aussah. Es würde zu ihr passen.
Esther ist ein eher altmodischer Name, doch im 21. Jahrhundert sind ausgefallene Namen auch nichts Seltenes.
Das am meisten Besondere war wohl ihr Charakter, der eindeutig zu abstrakt war, um ihn richtig beschreiben zu können. Selbst wenn man Worte wie phantasievoll, tiefgründig oder leidenschaftlich nennen würde, würden sie doch nicht ganz das treffen, was man eigentlich sagen will. Aber man kann seine ersten Assoziationen benutzen, um ein Bild von ihr zu schaffen: Esther und eine mondlose Nacht, Esther und eine duftende Blumenwiese, Esther und rauschende Wellen, die Herzmuscheln aus den Tiefen des Meeres an Land bringen. Esther und ein Märchenschloss mit Türmchen und weißen Pferden, Esther und Kerzenschein in Finsternis, Esther und tausend verschlossene Türen, hinter denen leise Musik klingt...
Das eigene Zimmer ist für jedes Kind sein Königreich. Man lebt darin und kann Wände und Boden so gestalten, wie man es möchte. Ella fand schon immer, dass das Zimmer eine Menge über einen Menschen verrät. Hängen Fotos an den Wänden? Gibt es viele Bücher? Dekoration, Farben, Pflanzen oder kreative Bilder aus dem Kindergarten? Was sieht man, wenn man aus dem Fenster schaut?
Esthers Zimmer war nicht besonders modern, ewig unaufgeräumt und unheimlich gemütlich.
Ihre Familie glich äußerlich einer Bilderbuchfamilie. Alles war intakt: Ihr Vater war Zahnarzt, ein ruhiger und stets freundlicher Mann.
Ihre Mutter arbeitete als Osteopathin, sie ging in ihrem Beruf richtig auf, so hatte Esther es erzählt. Dann gab es noch Olav, ihren älteren Bruder. Und natürlich Flora, Esthers hässliche Hündin, die sie aus dem Tierheim „befreit“ hatte. Ella hatte Flora nie ausstehen können, weil sie immer bellte, wenn Ella kam.
Bekannte und sogar Freunde der Familie wären nie auf den Gedanken gekommen, dass etwas nicht stimmen könnte. Dass dieser Bilderbuchfamilie ein schlimmes Schicksal bevorstünde. Doch Ella hatte es besser gewusst.
Mit Olav hatte Esther wenig zu tun gehabt, Ella hatte ihn nicht öfter als fünfmal gesehen. Er war ein unordentlicher, sehr introvertierter Junge, der, soweit Ella wusste, schon zweimal von der Schule verwiesen worden war. Wenn Ella ihm bei Esther zu Hause begegnet war, hatte sie immer wieder sein Engelsgesicht verblüfft. Gesprochen hatte er nie.
Ihre Mutter hatte als erste bemerkt, dass mit Esther etwas nicht in Ordnung war. Sie hatte sich Gedanken gemacht, aber nie genug gehandelt. Das Einzige, was sie vollbracht hatte, war, ihre Tochter in eine Therapie zu schicken. Dass das bei Weiten nicht ausreichte, war ihr scheinbar nie klar geworden.
Esther, die nicht viel von ihrem Zuhause sprach, hatte einmal erwähnt, dass ihr Vater einfach nie zuhörte. Nie verstand. Schon möglich, dass er einfach völlig überfordert mit der gesamten Situation gewesen war.
Wenn man aus einem der zwei Fenster ihres Zimmers sieht, kann man auf den großen Garten blicken und auf unzählige Mirabellenbäume. Auf ihrem Schreibtisch lagen mehrere Federn zum Schreiben, und eine Sammlung verschiedener Füller. Beim zweiten Fenster war der Rollladen fast immer runtergelassen, sodass das Zimmer nicht sehr hell war. Auf einem Regal standen viele Kerzen und kleine Steine.
Neben dem Bett lag ein uralter Laptop, der einen immer wieder damit überraschte, dass er überhaupt ansprang. Groß und dunkelgrau. Genau damit hatte es angefangen: Die merkwürdige Freundschaft zwischen Esther und Ella.