Vailele Beach - Felix Leitner - E-Book

Vailele Beach E-Book

Felix Leitner

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Beschreibung

»Dieses Biest. Dass sie mich nicht mehr liebte, nehme ich ihr gar nicht übel. Aber, dass sie mich gleich ermorden lassen würde, das ist nun wirklich übertrieben!« Michael Kros langweilt sein Job bei sonnenwärts.tv, einem drittklassigen Reiseunternehmen, das von einem gierigen und schmierigen Chef geführt wird. Als er den ungewöhnlichen und gleichzeitig außergewöhnlich attraktiven Auftrag erhält, die Südseeinsel Samoa für den deutschen Billigtourismus zu erschließen, sagt er sofort zu. Was ihm seltsam erscheint, ist die nahezu aussichtslose Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, aber er wäre endlich raus aus Düsseldorf und seinem Alltag. Kein anderes Reiseunternehmen konnte Samoa zu erschwinglichen Preisen anbieten, aber Michael traute es sich zu. Mit einem seltsamen Verdacht fliegt er in die Südsee: Seine Frau war ganz und gar nicht betrübt gewesen, dass er nun solange weg sein würde. Sein Chef war nicht bekannt für riskante Visionen und wieso musste er das Geld für das Hotelprojekt zunächst in einem Auslandskonto parken, auf das er gar kein Zugriff haben sollte?

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Felix Leitner

Felix Leitner lebt, arbeitet und schreibt in München oder der Oberpfalz. Er mag Shakespeare, amerikanische Unterhaltungsliteratur und die Südsee. Wenn es die Arbeit zulässt, verfolgt er sein Ziel: Alle Inseln des Pazifiks mindestens einmal besucht zu haben. Oder seinen Traum: unterhaltsame Komödien mit Witz über Liebe und Freundschaft zu schreiben.

WEITERE ROMANE VON FELIX LEITNER:

RUM MIT ANANAS

TERM

Inhaltsverzeichnis

Düsseldorf

Samoa

Gang ins Ministerium

Fiafia

Ray

Rat der Matais

Der Realtor Club

Kuko

Fono

Diebstahl der Marienstatue

Einbruch bei Rensington

Fisch, Yams und Großmutter Lekiki

Elle McPherson

Eden’s Edge

To Sua Ocean Drench

Stigmata Girl

Rays Leiche

Damos‘ Geburtstag

Keine Lösegeldforderungen

Im Versteck

Grabschändung

Exorzismus

Neue Pläne

Eine neue Intrige

Spatenstich

Verfolgungsjagd

Böser Geist in der Bucht

Feindliche Übernahme

Durchsuchung

Versteckspiel

Zyklon

Epilog: Nach dem Sturm

Düsseldorf

Michael Kros prüfte den Sitz seiner dunkelroten Krawatte im Spiegel des kalten Lichts der Bürotoilette. Die Zukunft des anstehenden Sommerkatalogs interessierte ihn nicht. Die Krawatte trug er lang und schmal. Von seinem linken Seitenscheitel warf sich sein braunblondes Haar korrekt zu einer Welle nach rechts. Kurz schloss er seine hellblauen Augen und als er sie wieder öffnete, entdeckte er sein jugendliches Glitzern in seinen Augenwinkeln wieder. Er war noch nicht zu alt, um für immer in einem Büroturm zu verschwinden. Mit einem Zupfen richtete er das Revers seines blauen Anzugs und ging zu dem Meeting, das seine berufliche Zukunft endlich wieder auf neue Wege bringen würde.

Seit einigen Jahren hatte er die belanglosen Reisebroschüren von sonnenwärts.tv erstellen müssen und bei jeder Einleitung zu einer Reiseregion innerlich erbrochen. Die Urlaubsträume ratloser Normalverbraucher, denen gelber Sand und heiße Sonne irgendwo auf dieser Erde genügten, solange das Buffet lang und der Alkohol billig war, beglichen seine Miete und Rechnungen – mehr aber nicht. Er machte diesen Job bei sonnenwärts.tv, weil das Internetunternehmen irgendeinen Idioten gefunden hatte, der venture capital bereitgemacht hatte, und mit diesem Risikokapital seinen alten Arbeitgeber aufgekauft hatte. Gleich nach der Übernahme waren Leute wie er mit alten Arbeitsverträge in die Abteilung für Reisekataloge und Online-Werbung strafversetzt worden. Selbstverständlich sprach sein Chef und »Freund« Johannes Belling nicht von einer Strafe; denn in sonnenwärts.tv waren ja alle Freunde. Früher war Michael Reisescout gewesen und hatte die Tourismusdestinationen selbst besucht, ausgewählt und auch mit aufgebaut. Eine solche Funktion gab es nicht mehr bei einem Anbieter von Websites für Billigurlaubsreisen und Michael war eine teure, schwerkündbare Altlast für das Unternehmen geworden. Die meisten seiner Kollegen hatten nach einiger Zeit freiwillig gekündigt, da ihnen die Arbeit zu stupide war. Michael aber war hartnäckig und kassierte sein bestehendes Gehalt. Als Strafe – oder in buisnessNeudeutsch Herausforderung – durfte er nun Werbetexte für die Partnerhotels von sonnenwärts.tv schreiben oder Ü30 Single-Kreuzfahrtkataloge erstellen. Woanders übernahmen das Praktikanten.

Michael lächelte der einen Person im Unternehmen zu, die er wirklich als Freundin und nicht als ritualisierte Bürobekanntschaft bezeichnen würde: Sandra. Sie trug einen knielangen schwarzen Rock mit weißen Kreisen und ein weißes, langärmliges Top und lächelte zurück.

»Siehst gut aus, Michael«, warf sie ihm zu, als er den Gang zum Büro seines Chefs hinabging.

»Danke, heute hole ich mir den Auftrag. Dann bin ich raus hier.«

Sie lehnte sich über die Trennwand ihrer Arbeitskabine, die als billiger Büroersatz des Reiseunternehmens für Billigreisen gedacht war. Das billige Produkt, das sie verkauften, färbte auch auf die Einrichtung und auf den Charakter der meisten Angestellten ab. Aber nicht auf Sandra, die ihn zu sich winkte. »Ich höre seltsame Dinge über das anstehende Projekt. Jens von der Finanzabteilung wundert sich, ob auch genug Geld für die Investitionen bereitgestellt wurde.«

Sie roch nach Vanille und ihre schwarzen Locken wackelten lebendig, wenn sie mit ihm sprach. »Ich werde die Zahlen genau prüfen, versprochen. Bei unserem Laden ist das Geld doch immer knapp, wieso sollte es jetzt anders sein?«

»Wahrscheinlich hast du recht.« Sandra blickte ihn prüfend an. »Es ist nur, dass ich Johannes nicht traue«, jetzt flüsterte sie. »Wozu muss vor Ort eine eigene Kapitalgesellschaft gegründet werden?«

Sandra hatte die Details genau studiert, auch Michael hatte sich gewundert. Aber die Gesellschaft würde – hoffentlich er! – auf Samoa gründen. Im wunderschönen Pazifik, wo er schon sein Leben lang hinwollte! »Ich werde fragen, wozu es nötig ist, die Samoan Sun Limited zu gründen. Aber das ist eine Entscheidung der Geschäftsführung. Mein Fachgebiet sind Hotels. Aber Sandra … ich traue Johannes auch nicht«, warf er ihr leise zu, nachdem er sich umgesehen hatte. »Aber es ist die Chance, hier endlich herauszukommen. Ich werde dir eine Karte schreiben, versprochen.«

»Versprich sowas nicht, es würde nur Gerede verursachen.« Sie deutete mit ihrem Kopf zum Büro und lehnte sich dann zurück. »Michael Kros, flirtest du schon wieder mit mir?«

»Ich wünschte, ich dürfte es.« Er hielt aber den angemessenen Abstand.

»Besser du gehst jetzt hinein oder du verpasst deine große Chance.« Ihr Smartphone klingelte und sie sah entschuldigend zu ihrem kleinen weißen Gerät.

»Du siehst gut aus. Bleib so, wie du bist.« Für einen kurzen Augenblick sah er sie wehmütig an und zwinkerte dann grinsend. Dann ging er zur Tür und legte seine Hand auf die schwarze Plastikklinke. Sandra deutete nochmal mit ihrem Finger auf ihn und warnte ihn stumm, auf sich aufzupassen. Michael hatte die feste Absicht, seinen Chef und seine Frau davon überzeugen, dass er der richtige Mann für das wichtigste Projekt von sonnenwärts.tv seit der Firmengründung war.

Mit einer Kaffeetasse in der Hand kam Lorenz zu Sandras Arbeitsplatz, als sich die Tür zum Meetingraum geschlossen hatte. Das kurzärmlige blaue Hemd stand ihm wie ein Busfahrer. Sandra seufzte innerlich, denn offensichtlich fühlte sich ihr Arbeitskollege heute besonders schick, denn er spielte mit seinem Mittelfinger zwischen den schwarzen Knöpfen seines Hemdes. Als er mit ihr sprach, ließ er sogar den Mittelfinger im Hemd stecken. Mit der kleinen Plauze und den Geheimratsecken wirkte er wie ein Büronapoleon: »Hey, war das nicht unser Kros, der Sri Lanka erschlossen hat?« Nach Zustimmung suchend blickte er sie an. Da sie schwieg, winkte er seinen besten Kumpel von sonnenwärts.tv herüber. »Dominik, haben wir Michael Kros immer noch in der Firma?«

»Ich glaube es nicht, den gibt’s immer noch!« Dominik war von seinem Arbeitsplatz aufgestanden, aber zu faul die zwei Meter herüberzulaufen. Stattdessen stützte er sich auf seine Trennwand. Ihn kümmerte es nicht, die Unterhaltung durch das Büro zu führen.

»Er wurde vor gut zwei Jahren versetzt. Vorher saß er noch hier. Neben dir«, erinnerte ihn Sandra.

»Ich hätte schwören können, er ist schon seit zehn Jahren weg. Der verstaubt doch bestimmt schon eine Ewigkeit im Archiv.«

»Du kennst doch gerademal dein Emailarchiv oder hast du schon ein echtes Archiv von innen gesehen. Michael ist in der Abteilung für Reisekataloge.«

»Sowas haben wir noch? Übrigens, ich habe auch ein Videoarchiv auf meiner Festplatte«, bemerkte Lorenz und fühlte sich dabei schlau und digital. »Du solltest vorbeikommen. Egal ob Horrorfilm, Science-Fiction oder Loooove Movie, ich hab alles da. Und einen Netflix-Account.«

Das Gespräch mit ihm war aussichtslos. Seine billige Einladung ignorierte sie. Als würde sie sich von ihm auf einer alten Wohnzimmercouch zu einem langweiligen Film flachlegen lassen. Wie faul war die Männerwelt geworden! »Vor zehn Jahren hatte noch nicht jeder WhatsApp und die Firma hieß noch Bremmer Reisen.« Benannt nach dem alten Bremmer, der die Firma mit über siebzig Jahren verkauft hatte und nun auf Madeira seine Liebe zu Strelitzien, Hortensien und Kaplilien auslebte. »Michael ist erst seit gut zwei Jahren versetzt worden und Netflix doch auch schon ein alter Hut.«

»Netflix und alt?« Lorenz schaute sie erstaunt an. »Dominik, Sandy findet Netflix schon veraltet?«

»Warum nicht? Das gab es doch schon zu meiner Schulzeit. Ich wüsste gar nicht, was wir vorher geschaut haben.«

»Keine Ahnung. Aber der Kros macht nun seit zwei Jahren diese mitleiderregenden Katalogtexte. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Mensch das solange aushalten kann.« Sie lachten.

»Wo ist denn der Unterschied zu euren Aufgaben: Ihr sitzt wie er nur stumpf am PC. Keiner von euch lernt die Reiseziele mehr kennen, die er bewirbt oder verkauft.«

»Sandy, wir sind ein Internet-Reiseunternehmen. Wir vermitteln nur. Schnell und billig. Wieso soll ich Tunesien sehen müssen, ich verkaufe die scheiße nur. Und Dominik da drüben verkauft Städtereisen. Wir kaufen Bewertungen ein, lassen uns Bilder zuschicken, bewerten selbst ein wenig, fügen die goldene sonnenwärts-Sonne dazu … oder auch mal drei Sonnen als Toptip und dann laden wir den Rotz hoch.«

»Früher hat unsere Firma auch selbst Hotels betrieben. An wenig erschlossenen Orten, damit war Bremmer reich geworden. Bezahlbare aber unbekannte Destinationen erschließen.« Deswegen hatte sie sich damals hier beworben. »Michael war einer der besten Reisescouts gewesen.«

»Das macht doch kein Unternehmen mehr heute. Ja, ja, Richard und die Sri Lanka Sache. Ich habe heute sieben neue Hotelangebote auf der ganzen Welt hochgeladen, ohne ein einziges Mal dort gewesen zu sein. Das ist effektiv, günstig und vor allem bin ich heute Abend zurück auf meiner Couch für die nächste Folge Big Bang Theory.« Er winkte ab und ging zu seinem Kumpel rüber. »Haben wir noch dieses Sri Lanka Hotel im Angebot? Michaels Wunderwerk …«

Sandra hörte nicht mehr hin. Das Hotel gab es nicht mehr, da der neue Chef es aus dem Katalog gestrichen hatte, um Kosten zu sparen. Sonnenwärts.tv betrieb gar kein Hotel mehr, sondern war nichts weiter als ein Onlineportal. Ein Potemkinsches Dorf. So wie St. Petersburg den Europäern europäische Kultur vorspielen sollte, spielte die Website von sonnenwärts.tv den Kunden Kompetenz und Urlaubsexpertise vor. Aber wenn man hinter die Fassade blickte, würde man nur Lorenz und Dominik sehen, die in Bürostühlen mit vom Fast Food fettigen Fingern Fotos und Angebote hochluden. Unglücklich stieß Sandra mit ihren Fuß gegen den Bürotisch. Wozu hatte sie eine Ausbildung gemacht? Ein Softwarebot würde ihren Job bald ausfüllen können. Sie blickte zum Meetingraum. Michael hatte seinen Job gemocht und sie auch mal mitgenommen. Für Bremmer Reisen hatten sie in Mosambik eine schöne kleine Lodge errichtet. Gut konnte sie sich noch an die Rebellengruppe erinnern, die sie verschleppt hatten und von der sie nur mit Glück, Geld und Michaels Gerissenheit entkommen waren. Die Lodge wurde immer noch betrieben, aber nicht von ihrem jetzigen schäbigen Arbeitgeber.

Als die Tür sich keine Viertelstunde wieder öffnete, schritt Michael strahlend aus dem Meeting. Sie fragte ihn, ob er den Job bekommen hatte und er nickte ihr enthusiastisch zu. Michael war überrascht, wie einfach die Besprechung gewesen war. Sein Chef und seine Frau hatten ihn das Projekt geradezu aufgedrängt. Sonnenwärts.tv wollte einen neuen Weg im Billigreisesegment einschlagen und sie hatten ihn dafür ausgewählt: Michael sollte die Südsee für die Kunden von sonnenwärts.tv erschließen. Das weit entfernte Samoa sollte dafür Teil des Fernreiseprogramms für den kleinen Geldbeutel werden. Eine wahnsinns Idee, wie Michael voller Begeisterung fand.

Abseits der Hauptstadt Samoas und eine halbe Erdkugel entfernt von den Bürotürmen Düsseldorfs hatte der Gottesdienst der Freien Christlichen Kongregation zwei Stunden gedauert. Fuimaono hörte gerne die Geschichten aus der Bibel und stellte sich Abraham, Jesaja oder Salomo gerne als starke Polynesier vor, die über Recht und Unrecht, Leben und Tod richteten. In seinem Kopf trugen sie rote oder weiße Roben, diskutierten und kämpften in steinernen Tempeln und Königsgemächern im heißen, sandigen und heiligen Land.

»Ich mag es, wenn du weiß trägst«, flüsterte ihm seine Freundin Lanuola zu. Sie war von der Nachbarinsel Savai’i und hatte ihm nie verraten, weshalb sie von dort weggegangen war. Er zupfte an seinem weißen Leinenhemd. Er trug wie alle weiß für Jesus, aber bevorzugte seine Tarnanzughosen. Die Reihen waren nicht ganz voll, aber das lag an der kleinen Kongregation, der Fuimaono angehörte. Die Gottesdienste der Christlichen Vereinigungskirche Samoas oder der katholischen Kirche auf Samoa waren immer voll. Die feinen Unterschiede der Kongregationen kannte er nicht und kümmerten ihn auch nicht. Er war hier, weil der Priester vorne rechtschaffende, feurige Worte zur Decke hinauf spuckte.

»Gläubige, das Ende naht. Im Nahen Osten wütet der Krieg. Die Städte brennen, Völkerscharen werden ausgelöscht, Teufel vergewaltigen Frauen und Kinder, Nationen verbrennen im Hass.« Die Frauen wedelten sich Luft zu, die langsam durch die offenen Fenster der Kirche wehte. Sandalen knirschten auf dem Holzboden, während vom Rednerpult das Armageddon im Nahen Osten beschrieben wurde. »Das Feuer wird zuerst den Nahen Osten verschlingen, bis der Weltenbrand uns hier auf Upolu erreicht.«

»Zum Glück sind wir von einem schützenden Ozean umgeben«, scherzte Lanuola leise. Er antwortete ihr mit einem zurechtweisenden Blick.

»Es ist uns vorhergesagt. Dort wird die letzte Schlacht geschlagen und das Jüngste Gericht wird über uns kommen. Für alle unter uns, die Sünden getan haben, beichtet. Oh, beichtet ihr Sünder, bevor es zu spät ist! Jesus wird kommen und die Verfluchten in das ewige Feuer senden. Von Flammen verschlungen, werden die Sünder ihre ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.« Dies war die zweite Kongregation des Priesters, nachdem ihm auf Tuvalu nach einigen Jahren die Gläubigen ausgegangen waren. Der Irak-Krieg von 2003 hatte ihm anfangs eine lebendige Gemeinde beschert. Die Bilder der brennenden Ölquellen und die schwarzen Säulen aus Qualm hatten mehr und mehr Anhänger zu ihm gebracht. Das war einige Zeit gut gegangen, aber die Erscheinung Jesu war leider ausgeblieben. Zähneknirschend hatte er lernen müssen, dass Endzeitbeschwörungen mit einem konkreten Termin nicht das beste Mittel waren, um eine Gemeinde langfristig aufzubauen. Als 2006 immer noch kein Armageddon eingetreten war, verschwanden seine Anhänger und mit ihnen die Spenden – sein Einkommen. Frustriert hatte er seine weiße Robe mit dem purpurroten Ornament, das restlichen Geld und eine zerfledderte Bibel der Gideons, die er aus einem Hotel geklaut hatte, eingepackt und Tuvalu verlassen.

Auf Upolu hatte er eine neue Gemeinde gefunden. Niemand kannte ihn und der Nahe Osten stand erneut in Flammen. Glücklicherweise waren zehn Jahre vergangen und hier im Pazifik hatte man die Angst vergessen, die der Irak-Krieg ausgelöst hatte. Es war ein neuer Start für ihn und für die leicht Angsterfüllten: eine echte win-win Situation.

»Heute übertreibt er es aber mit den Flammen und den Sündern.« Lanuola trug ein weißes mit Blumen besticktes Kleid und einen grobgeflochtenen hellen Hut. Durch die Maschen glänzte ihr gesundes schwarzes Haar, das ihr links und rechts die Brust hinabfiel.

»Behalte deine frevelhaften Bemerkungen besser für dich, oder du wirst den Zorn des Herrn auf dich ziehen«, fuhr er sie an.

»Ach komm, du glaubst doch nicht, dass Jesus erscheint, nur, weil mal wieder Krieg im Nahen Osten herrscht. Dann hätte er nie Zeit, auch die anderen Regionen der Welt zu besuchen.«

»Es ist vorhergesagt. Es wird dort geschehen.« Fuimaono rieb sich verärgert seinen kurzen schwarzen Schnurrbart.

»Wo dort?« Da er nichts sagte, lächelte sie ihn schief an: »Du weißt gar nicht, wie groß der Nahe Osten ist oder in welchem Land dort gerade Krieg herrscht.«

»Das spielt auch keine Rolle!« Offensichtlich war er zu laut geworden, denn Lanuola lehnte sich zurück und zwei Samoaner hatten sich zu ihm umgedreht und ihre Augenbrauen gehoben. »Es spielt keine Rolle. Der Nahe Osten brennt. Frau, willst du wohl dem Priester zuhören!«

»Brüder, Schwestern, es ist die Zeit des Betens und des Zusammenhaltes gekommen. Die Schlacht wird zwar in der Ferne ausgetragen, aber die ersten Zeichen sind bereits auf Samoa erschienen.« Der Priester hatte gelernt, dass er mehr als nur ein Endzeitprophet sein musste. Seine Anhänger erwarteten konkrete Zeichen, um bei ihm zu bleiben. Er winkte seine Geheimwaffe hinein.

Eine dürre Gestalt schritt vorsichtig an den Reihen vorbei. Ihre Schlankheit war an sich schon bemerkenswert auf Samoa. Von welcher Familie stammte sie? Wer ließ seine Familienmitglieder so hungern? Aber Fuimaono konnte sie keiner Großfamilie auf der Insel zuordnen. Sie musste von der Südküste der Insel sein. Ihre Wangen hingen schlaf herab und sie hatte Augenringe. Nach vorne gebeugt schlurfte sie an die Seite des Priesters, die Hände vor sich gefaltet, als würde sie eine wertvolle Kugel oder Schale in ihren Handflächen verbergen.

»Sehet, meine Tochter Mirijama empfängt die Botschaften des Herren.« Die Samoaner konnten ihre Neugierde nicht in sich halten. Lautes Murmeln füllte den Innenraum der Kirche aus. Fuimaono hörte deutlich, wie einige Kirchgänger den Priester als Spinner beleidigten.

»Sie hat eher schon lange keine Mahlzeit mehr empfangen«, polterte Amiatu, die sechs Kinder großgezogen hatte. »Lasst das Mädchen nicht so hungern! Sie soll gleich heute nach der Kirche mit zu mir kommen. Ich kümmere mich um sie.«

»Bitte, bitte. Die Bürde der Botschaft lässt sie wenig Hunger verspüren«, verschaffte sich der Priester seine Autorität zurück. Die Sache mit Mirijama war, dass sie sehr, sehr gläubig war, und er selbst nicht wusste, was im Kopf seiner Tochter vor sich ging. Womöglich hatte er es etwas mit der Bibel in ihrer Kindheit übertrieben, aber ein anderes Buch hatte er nicht zur Hand gehabt, als sie von Insel zu Insel gezogen waren. Mirijama hatte das Buch der Bücher auf den langen Überfahrten und den einsamen Stunden verschlungen, während er gepredigt hatte. Glücklicherweise sprach sie kaum in der Öffentlichkeit, was die mysteriöse Natur seiner Tochter nur unterstrich. Als sie keine Erklärung von sich abgab, atmete der Pfarrer tief ein, streckte die Arme von sich, Handflächen nach oben und befahl ihr: »Zeig Ihnen die Male des Herren!«

Fuimaono lehnte sich staunend nach vorne. Langsam streckte Mirijama ihre Handflächen der Gemeinde entgegen. Ein Bluttropfen landete auf dem dunklen Tropenholz. »Der Herr ist nahe«, hauchte Fuimaono und bekreuzigte sich so schnell er konnte.

»Jetzt übertreibt er es aber! Was hat er dem Mädchen angetan?« Lanuolas Augen funkelten zornig.

»Erkennst du die Zeichen nicht?«

»Erkennst du sie denn?« Lanuola wartete wieder nicht lange und er hasste es, dass sie sich klüger als er fühlte. »Das sollen Stigmata sein. Blutmale. Komm wir gehen.« Lanuola stand auf und strich sich ihr Kleid glatt.

»Sei nicht respektlos!« Demonstrativ blieb er sitzen. Er schämte sich. Was würden die anderen Gemeindemitglieder von ihm denken!

»Respektlos? Diese Show hier ist respektlos. Wir sehen uns bei der Kava Zeremonie. Denn Kava ist meine heilige Pflanze.« Lanuola schritt selbstbewusst aus der Reihe heraus, bekreuzigte sich am Ausgang und verließ dann die Kirche. Fuimaono mochte ihre Willensstärke, aber nicht, wenn sie sich ihm widersetzte. Offensichtlich hatte ihre aiga auf Savai’i ihr nicht beigebracht, wie man seinen Freund als Frau zu behandeln hatte.

»Lasst uns gemeinsam für Mirijama beten und ihr Kraft spenden. Der Herr verlangt viel von ihr. Und lasst uns für alle Samoaner beten, die vom rechten Weg abgekommen sind. So viele junge Männer leben in Apia in den Tag hinein. Sie trinken, sie rauchen und sie stehlen.« Unglückliche Schnaufer, tiefes Raunen und vehementes Nicken antworteten dem Priester. Diebstahl war auf Samoa besonders verpönt und führte nicht selten zu heftigen Auseinandersetzungen, die auch gewaltvoll enden konnten. Fuimaono betete voller Inbrunst um Erlösung für sich und Lanuola.

Samoa

»Du wirst reich sein«, hatte sein Boss gesagt. »Du wolltest schon immer in einem fremden Land wohnen«, hatte seine Ehefrau mit Nachdruck gesagt. »Das wird deine Karriere definitiv weiterbringen«, hatten sowohl sein Chef als auch seine Ehefrau gesagt. Unsicher sah Michael Kros auf den Strand vor seinem Hotel, dem legendären Aggie Grey’s. Der amerikanische Schauspieler Gary Cooper hatte hier den alternden Morgan gespielt, der sich im Film »Rückkehr ins Paradies« in die junge Polynesierin Maeva verliebt hatte. Geschrieben hatte die Geschichte der ebenfalls amerikanische Schriftsteller James Michener, der im Zweiten Weltkrieg im Südpazifik gedient hatte, und dem seine Ideen bei einem Cocktail hier im Aggie Grey’s zugeweht waren. Michael war noch nicht alt und auch nicht auf der Suche nach einer jungen Südseeschönheit. Er war verheiratet und anders als der smarte Schauspieler und weitgereiste Schriftsteller hatte er einen Job auf Samoa zu erfüllen.

Kritisch prüfte er die Bucht von Apia: Das Wasser war zu flach und der Sand zu dunkelbraun, um die Titelseite einer Reisbroschüre zu schmücken. Der Strand von Apia, der Hauptstadt Samoas, auf der Insel Upolu entsprach nicht der Südseeidylle, für die er hergeflogen war. Eine Straße führte direkt hinter dem sehr kurzen Strand entlang. Die Motoren der Autos und Busse störten das leise Rauschen der Wellen. Eine rote Plastiktüte hatte sich um einen Stein geschlängelt. An einer Brücke in der Bucht, die in Teilen auch noch der größte Hafen der Insel war, arbeiten Bauarbeiter. Das war an sich schon eine Katastrophe. Anstatt auf Palmen, fiel sein Blick auf die Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis am Anfang des Stadtzentrums. Gläubige Besucher könnten an der weißen Kirche mit den türkisfarbenen Dächern Gefallen finden, aber Kros kannte die Zielgruppe von sonnenwärts.tv: Massentouristen, die den Fussballgott aus dem TV kannten, aber mit einer katholischen Kirche nichts anfangen würden können.

Michael Kros hätte nicht gezögert, die Massentouristen hier in Apia unterzubringen, denn Kataloge und Realität befanden sich in einer äußerst losen Beziehung in seinem Unternehmen. Außerdem war er der Meinung, wer nicht bereit war, etwas zu bezahlen, durfte auch keine hohen Erwartungen haben. Kros drehte sich um und ein Blick auf die Häuserfassade Apias offenbarte das eigentliche Problem: Die Grundstücke waren bereits weg. Die Uferpromenade Apias war von zweistöckigen weiß-gestrichenen Gebäuden eingenommen. Er sah einen schäbigen Einkaufsmarkt, noch eine Kirche mit roten Dächern, das Hauptquartier der Polizei und einige einfache Restaurants. Michael würde eine Abrissbirne benötigen, um hier ein neues Hotel zu eröffnen. Denn das war sein Auftrag: Ein Grundstück auf Samoa finden und ein Hotel für sein deutsches Tourismusunternehmen sonnenwärts.tv aufbauen. Sprichwörtlich aufbauen. Michael war für die Planung, den Bau und das Management des Hotels verantwortlich. So ein Projekt hatte sein Chef noch nie in der Geschichte des Unternehmens vergeben. Es passte auch nicht zum Konzept des Buchungsportals, aber sein Chef hatte ihm versichert, mit Michael würde sonnenwärts.tv neue Wege gehen oder besser, zurück zu den Wurzeln, als es noch Bremmer Reisen gewesen war.

Wind rauschte friedlich durch die Palmen an Apias Uferpromenade, aber Michaels Gedanken kreisten weiter um das letzte Gespräch mit seinem Vorgesetzten und seiner Ehefrau. Warum Michael ganz alleine losgeschickt wurde – ohne Architekt, ohne Team? Nicht einmal einen verdammten Assistenten hatte man mitgeschickt. Das Budget sei eben sehr knapp bemessen und er der beste Mann in der Firma, hatte ihm sein Chef geantwortet. Das Geld würde kaum reichen, hatte Michael widerholt. Das Geld würde ausreichen, hatte er ihm wiederum versichert. Er solle als allererstes die Samoan Sun Limited gründen. Johannes Belling würde dafür sorgen, genug Geld für das Projekt dorthin zu transferieren. Als Michael noch mehr Bedenken vorbringen wollte, hatte ihn sein Chef angesehen und ihn laut zu denken gegeben: Dies sei eine sehr große Chance, endlich Karriere bei sonnenwärts.tv zu machen. Wenn Michael das nicht wolle, würde er das Projekt eben jemanden anderes anbieten. Daraufhin war Michael wenige Tage später nach Samoa geflogen. Das Projekt war seiner Ansicht schlecht vorbereitet und wenig durchdacht, aber das wunderte ihn bei seiner Billigfirma ganz und gar nicht. Da ihm die Firma immerhin Flug, Spesen und sein Gehalt weiterzahlte, hatte er den Job mit einem Grinsen angenommen. Samoa klang in seinem Kopf wie ein sanfter sehnsüchtiger Wunsch nach Ferne und herzliche Wärme zugleich. Endlich war er raus aus der Katalogabteilung. Endlich war er im Südpazifik.

Optimistisch schlenderte er zwischen einigen Touristen und Einheimischen an der Promenade entlang. Hier saßen Samoaner in weiten Hemden und bunten Röcken zu zweit oder zu dritt auf den Stufen und unterhielten sich. Die tropische Wärme machte ihn schon wieder durstig und Michael ging zu einem Kiosk neben einem trostlos-wirkenden Markt, der alte Computer verkaufte. Er schwitzte, denn er trug noch lange Stoffhosen mit Bügelfalte und ein langes blaues Hemd. Er wollte nicht wie alle anderen auf der Insel in Shorts und bunten Hemden herumlaufen. Unglücklich krempelte er die Ärmel zurück. Schweißflecken hatten sich auf seinem Rücken und unter den Unterarmen gebildet.

»Wann brichst du endlich wieder zur Südküste auf«, schnauzte ein Samoaner einen Kerl in zerrissener kurzer Hose an. Die Haut war so sehr von der Sonne gebräunt und ausgetrocknet, dass Michael sein Alter nicht einschätzen konnte. Sein langes braunes Haar stand wie eine Mähne nach vorne, seine spöttischen Blicke deuteten aber auf ein junges Alter hin. Diesen kaputten Straßenschleicher wollte der Kioskbesitzer, ein grimmiger Samoaner, aus seinem Laden haben. Denn er stank wie altes Seetang, Fisch und Möwenkot, dass alles mehrere Tage in einer Gluthitze gelegen hatten.

»Du wirfst die belegten Sandwichbrote doch eh in einer Stunde weg«, krächzte der Streuner.

»Link! Verschwinde und arbeite wieder, dann verkaufe ich dir die Sandwiches«, bellte der Samoaner. »Verschwinde, ich habe Kundschaft!«

Der angesprochene sah Michael beim Vorbeigehen lange an. Michael war froh, als er endlich draußen war, denn er befürchtete, der Gestank würde an ihm haften bleiben. Mit dem Geruch von Möwenkot in der Nase sah er sich um. Im Kiosk lagen bunte Schokoriegel an der Kasse aus und noch buntere Softgetränke setzten Wasserperlen im Kühlschrank an. Der Samoaner in seinem mit Zacken gemusterten blaugrünen Shirt passte wie ein Ausstellungsstück dazwischen. Michael blickte dem Streuner nach: »Kommen viele Obdachlose nach Apia?« In Europa sparten sich manche Obdachlose ihr Geld zusammen und kauften sich dann ein One-way-Ticket auf die Kanaren oder Balearen, da sie dort im freien Schlafen konnten. Michael hätte nicht gedacht, diesem Phänomen auf Samoa zu begegnen.

»Obdachlos? HA!« Der Samoaner lachte wieder in seinem bellenden Tonfall und reichte Michael eine Flasche gelbes Limo. »Link ist nicht gescheitert. Er lebt hier schon … zehn Jahre. Er ist nicht arm.«

Michael bezahlte und verließ verdutzt den Kiosk. Noch verdutzter blickte er auf den Gehsteig. Link saß dort und hielt ihm einen leeren Kaffeebecher entgegen. »Hey, Kumpel … etwas Geld. Ich habe heute noch nichts gegessen.«

Hatte der Samoaner nicht gesagt, der Kerl sei nicht gescheitert?

»Ein Hai soll dich beißen! Habe ich nicht gesagt, du sollst verschwinden!« Der Kioskbesitzer war hinter Michael aus seinem Laden gesprungen und fuhr Link an. Der Angeschriene rappelte sich auf und presste seine stinkende Brust gegen den Samoaner. Michael befand sich plötzlich mitten im Gerangel der beiden Männer.

»Nichtsnutz, geh doch zurück …«, der Rest des Satzes des Samoaners ging unter, da Link ihn mit seiner Brust, den Kopf wie ein Hahn nach hinten gestreckt, zurückstieß. Der Samoaner und Michael krachten zusammen, Link rempelte erst Michael und dann den Ladenbesitzer an. Dann verpasste der Samoaner Link so heftig eine Ohrfeige, dass das Klatschen über die Straße knallte. Ein alter Samoaner mit grauen Bartstoppeln sah dem Streit emotionslos zu.

Link hielt sich seine linke Gesichtshälfte und sah den Kioskbesitzer wütend an. Dann nickte er kurz mit einem schmerzverzerrten Grinsen. »Entschuldigung. Das muss der Hunger gewesen sein. Bin morgen zurück.«

Der Samoaner fluchte laut, ging in seinen Laden und drückte dem Kerl dann ein Sandwich in die Hand. »Wasch dich! Deinen Gestank bekomme ich doch nie mehr aus dem Laden.« Link drückte den Samoaner herzlich, der ihn sofort wieder mit gerümpfter Nase von sich schob. Dann riss er die Plastikfolie von dem Sandwich und biss genüsslich hinein. Mit vollem Mund verabschiedete er sich und ging in Richtung Innenstadt. Der Samoaner sah Michael kurz an, schnaufte aus und ging zurück in seinen Laden.

Irritiert blieb Michael auf der Straße zurück, während sich der Verkehr friedlich durch die Straße schob. Niemand hatte auf den Streit reagiert. Michael drehte sich nochmal zum Strand um. Die Wellen brachen sich in Ruhe weit draußen auf dem Meer und die Sonne funkelte auf den Wellen, als würde sie über die Rauferei lachen.

Draußen auf dem Wasser unter der pazifischen Sonne blickte Morgan Rensington von seiner Liege auf das Unterdeck seiner hellblauen Yacht, die er Wollongong getauft hatte. In der Sonne schmierte sich dort Verena gerade ihre langen Beine ein. Heute trug sie einen dunklen Monokini mit einem Ring, der Ober- und Unterteil verband und dessen Stoff sich über ihren flachen Bauch spannte. Verena war irgendwas mit siebenundzwanzig Jahren alt und bei Australia’s Next Topmodel auf Platz 5 gelandet. Er konnte sich die Platzierung besser merken als ihr Alter, da sie mindestens einmal am Tag von ihrer »Karriere« sprach. Bisher hatte sich ihre Modelkarriere jedoch auf ein paar Autohäuserplakate und eine Gesundheitskampagne gegen schlechte Zähne beschränkt. Ihr Agent hatte sie schlecht beraten, da potentielle Kunden Verena danach immer als das Model mit den schwarzen Zähnen in Erinnerung hatten. Ansonsten redete sie nur über ihren fünften Platz bei Australia’s Next Topmodel, der jährlichen Showparade mehr oder weniger talentierter Küken, damals moderiert von dem bekanntesten Covergirl aller Hochglanzmagazine Jennifer Hawkins.

Es war in einem Autohaus an der australischen Gold Coast gewesen, wo Rensington das Möchtegernmodel kennengelernt hatte. Er hatte nach einem würdevollen aber nicht zu alt wirkenden Bentley in Silber gesucht, der vor seinem Anwesen bei Burleigh Waters parken sollte. Sie war mit ihm in den Bentley gesprungen und er hatte sie zu einem Dinner gefahren, wo sie am frühen Nachmittag Hummer mit Sekt gespeist hatten. Danach ging es schnell. Er hatte ihr von seinem Anwesen in Samoa erzählt und seiner anstehenden Rückreise dorthin. Grundsätzlich blieb er nicht länger als ein oder zwei Monate in Australien, da dort die Kosten und Steuern unverschämt hoch waren. Hier auf Samoa dagegen war er ein reicher Mann mit Yacht, angesehen unter einflussreich. In Australien war er nur obere Mittelschicht. Wer wollte schon im wohlhabenden aber langweiligen Grenzbereich zwischen oberer Mittelschicht und unterer Oberschicht sein Dasein fristen? Verena war mit in den Flieger gestiegen und seitdem bei ihm geblieben. Sie genoss seinen Reichtum und er ihren Anblick.

»Rensi?« Die Verniedlichung hatte sie leider seit ihrem ersten Date beigehalten. »Sind wir nicht endlich über dem Korallenriff? Die Sonne brennt.« Sie trug Sonnencreme mit Vanilleduft nach.

»Nein, mein Schatz. Ich habe dem Skipper die exakten GPS-Koordinaten gegeben.« Morgan ging die Stufen zum Unterdeck hinab.

Verena war aufgestanden und deutete auf das Wasser: »Aber dort sind doch nur überall Steine unter dem Wasser. Schwarze und weiße Steine.«

»Korallen sind Lebewesen, keine Steine.« Er fasste ihr an die Schultern, um sie zu drücken, doch sie wand sich sofort raus.

»Rensi, es sind über dreißig Grad und die Sonne knallt runter. Hier auf dem Meer wirkt das doppelt, willst du, dass ich mich verbrenne? Lass erst die Sonnencreme einwirken. Mir ist ganz wichtig, heute etwas für die Korallen zu tun. Ich bin nicht auf Samoa, um nur Urlaub zu machen. Ich möchte der Natur helfen und etwas gegen den Klimawandel tun.«

»Heute erkunden wir erst den Zustand des Korallenriffs. Olulu und Chris machen sich bereits fertig.« Die beiden Samoaner hatte er angestellt, um die Tauchgänge zu leiten und Verenas Projekt auf den Weg zu bringen. Er hatte es ihr versprochen müssen, als sie auf Samoa angekommen waren. Ihre Zeit mit ihm sollte kein Luxusurlaub sein, sondern für ihre post-Model Karriere helfen: Sie hatte sich dafür die Rolle einer Naturschützerin ausgesucht. Er vermutete, sie war durch Zufall beim Blättern der letzten Cosmopolitan darauf gekommen. Hätte in der Ausgabe Gisele Bündchen kleine Hundewelpen aus den Großstadt-Ghettos Südamerikas gerettet, dann hätte er heute eine Hundeauffangstation in Samoa aufgebaut. So waren es eben Korallen und Tauchgänge. Was auch immer ihren feinen Hintern an seiner Seite hielt.

»Werden wir auch bunte Korallenfische sehen? Gibt es dort Haie?«

»Du hast deinen Tauschein nicht gemacht, erinnerst du dich?«

»Ich hasse den Geschmack von Plastik. Und dieser Plastikschlauch ist auch noch so extrem groß. Igitt. Ich hätte einen Zahn verlieren können. Wirklich!« Sie hatte sich beim Tauchkurs wie ein bockiges Kind angestellt.

Seine Geduld wurde von mehreren Martinis unterstützt, die er auf der Fahrt gehabt hatte: »Sieh dir doch wenigstens das Riff von oben an. Du kannst mir und den Jungs beim Tauchen zusehen. Komm mit, Olulu wird dir einen Schnorchel und eine Taucherbrille geben.«

Zurückhaltend und mit einem grimmigen Gesicht folgte sie ihm zum Heck. Die zwei Taucher checkten zunächst ihre Ausrüstung. Beide hatten braungebrannte Haut mit weißen Flecken, die von der vielen Sonne und dem Salzwasser kamen. Dann halfen sie Rensington, die Tauchflaschen anzulegen. »Sind die Flaschen nicht zu schwer?«, erkundigte sich Chris.

»Selbstverständlich nicht«, zischte er zurück. Im Gegensatz zu den zwei jungen Männern, wirkte er dünn und ausgemergelt wie ein alter Mann. Schnell zog er den Reißverschluss des Tauchanzuges bis zum Kinn. »Na, wie wirke ich?«

»Oh, du siehst aus wie ein richtiger Taucher.« Freudig gab sie ihm ein Küsschen auf die Wange. Bevor sie sich abwenden konnte, zog er sie noch mal zu sich und küsste sie unbeholfen. Die Jungs sollten sehen, dass er kein alter Mann war!

»Gebt ihr eine Taucherbrille und Schnorchel.« Bestimmend führte er sein Model an den Rand des Hecks und die Stufe zum Wasser hinab. Verena tippte mit ihrem großen Zeh in das Wasser und hielt sich dabei unbeholfen am Bordrand fest. »Es ist doch nur Wasser. Glasklares pazifisches Wasser.«

»Das offene Meer macht mir Angst. Wer weiß, was dort alles drin schwimmt.«

»Willst du nicht deine Korallen sehen und retten?«, fragte er sie freundlich. Dann nahm er ihre linke Hand: »Komm wir springen zusammen hinein.«

»Rensi … ich weiß nicht…«.

»Auf jetzt«, grummelte Chris. »Ich muss pissen.« Sie sah ihn angeekelt an. Er lachte laut, zwängte sich an ihnen vorbei, setzte sich hin und sagte noch, bevor er sich rückwärts in das Meer fallen ließ: »Jeder macht es.«

»Ist das wahr?«

»Komm jetzt. Wir machen anschließend Fotos von dir, wie du im Wasser tauchst und nach den Korallen siehst. Die Menschen wollen solche Bilder sehen, ansonsten kannst du auch nicht«, Rensington atmete ein und aus, »das Klima retten.«

Er gab ihr einen kleinen Schubs. Rensington bewunderte ihre langen Beine, als sie unbeholfen und fluchend im Wasser zappelte und sofort wiederauftauchte. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, den er mit einem liebevollen Hundeblick erwiderte. »Bist du wahnsinnig. Hier hätte eine Qualle sein können oder ein Rochen. Ich hätte…« Rensington ächzte unter dem Gewicht der Flaschen und war froh, als das Wasser ihm die Last abnahm. Als er Olulu und Chris hinterher zum Riff hinab tauchte, sah er wie Verena panikartig zur Yacht zurückschwamm und zuerst ihren Oberkörper unbeholfen auf die Bootsstufe schob und dann ihre langen Beine hinterher zog.

Eine halbe Stunde später war auch Rensington zurück auf dem Boot. In seinem Alter strengten lange Tauchgänge zu sehr an. Verena hatte sich auf eine Sitzcouch gelegt, die von der Sonne durch das Oberdeck geschützt war. Sie spielte auf ihrem Handy herum und trank einen gelben Fruchtcocktail. Er warf ein Netz mit fünf rosafarbenen Seesternen auf das Deck. »Sieh mal, diese Seesterne werden keine Korallen mehr fressen.«

»Oh, Rensi«, sie schenkte ihm ein Strahlen, als hätte er ein Katzenbaby gerettet und klatschte anerkennend in ihre Hände. Rensington wollte ihr gerade von den Korallen erzählen, als sie Chris fragte: »Hast du es getan? Also einfach …«

»Klar.« Der Taucher lachte wieder herzhaft über sie. Rensington sah ihn missbilligend an.

»Solltest du auch mal versuchen, Schätzchen.«

»Igitt. Ich will das Meer retten, da pinkel ich doch nicht rein.«

Sprachlosigkeit machte sich bereit, daher sprang Rensington schnell ein: »Danke, Chris. Verstaue mit Olulu die Ausrüstung und mach das Boot wieder startklar. Verena, wir wollten noch Bilder machen.« Auf Fotoshootings mit ihr im Fokus hatte sie nie etwas einzuwenden und hob auch immer ihre Laune.

»Du hast sie wohl nicht mehr alle. Im offenen Meer ist es gefährlich und außerdem jetzt eklig. Ich gehe da nicht rein. Ich habe mir gedacht, wir fahren zum Return to Paradise Beach, nehmen die Schnorchelbrille und machen dort ein Shooting. Das macht sich viel besser. Der Sand muss dort fast weiß sein und die Palmen traumhaft schön.«

»Aber wir brauchen doch ein Korallenriff. Das wir schützen wollen.«

»Ein sexy Foto mit Taucherbrille und Kussmund am Strand reichen. Ich schreibe einfach, dass ich gerade vom Korallenriff komme. Ich weiß, wie man ein Fotoshooting arrangiert. Ich bin die Fünfte in Australia’s Next Topmodel geworden und erkläre dir ja auch nicht, wie man Hotels baut. Oder soll ich dir erklären, wie Instagram funktioniert?«

»Natürlich nicht mein Schatz.« Rensington konzentrierte sich aktiv, wieder seine gönnerhafte Geduld zu zeigen. Ihre Gesellschaft war es wert. Er ging zu ihr, sie hielt ihm ihre linke Seite zu und er küsste ihre Stirn. »Gute Idee.« Dann ging er zum Oberdeck: Er brauchte einen verdammten Martini.

Gang ins Ministerium

Am nächsten Morgen schritt Michael zielstrebig zum Verwaltungsamt an der Fugalei Street. Die Straße bog im Westen Apias vor der Mulinu’u Halbinsel links ins Landesinnere ab. Michael hatte die Morgenstunden genutzt und war an der ruhigen Uferpromenade entlanggeschlendert und an zwei Denkmälern vorbeigekommen, die an die deutschen, britischen und amerikanischen Toten des Sturmes von 1899 erinnerten. Der kaiserliche Adler zierte das deutsche Denkmal aus hellem Stein, umgeben von saftigem Grün und violetten Frangipani-Blüten, die bereits am Morgen vom pazifischen Sonnenlicht zum Leuchten gebracht wurden.

Selbstbewusst dachte sich Michael: Ihn würde kein Sturm vertreiben. Er war hier, um sich seinen Platz im Paradies zu erkämpfen. So wie das Aggie Grey’s, in dem er untergebracht war. In dem bekanntesten und erfolgreichsten Hotel Apias hatten die Servicekräfte ihm ein ausgiebiges Frühstück serviert. Gelbe Blüten hatten das Buffet geziert und die Freundlichkeit der Bediensteten war endlos wie die Strände Samoas gewesen. Nach einem zweiten dunklen Kaffee war er aufgebrochen, denn er hatte bereits von Deutschland aus den heutigen Termin vereinbart. Michael wollte zügig Erfolge vorweisen. Vielleicht war Samoa seine Chance, das Mehrparteienhaus in einer Düsseldorfer Randlage für immer zu verlassen. Fröhlich ging er die belebte Fugalei Street hinab, bis er an seine Frau dachte. Brigitte würde wahrscheinlich lieber in Düsseldorf bei ihren Arbeitskolleginnen und Freundinnen bleiben wollen.

Kleine dicke Palmen standen links und rechts der weißen Treppe, die in das Verwaltungsgebäude führte. Alles war sauber, wie er bemerkte, und die Empfangsdame schickte ihn sofort weiter in die dritte Etage. Die Sauberkeit auf Samoas Straßen und im Verwaltungsgebäude war ihm sofort aufgefallen, denn gefegte Straßen würden bei deutschen Touristen einen guten Eindruck hinterlassen. Wenn sich das herumsprach, war die Information mehr wert wie eine bescheuerte TV-Werbung, bei der die Zuschauer sowieso wegzappten. Hörensagen war auch immer günstiger und besser. Im Aufzug traf er auf einen älteren dunkelbraun gebrannten Samoaner. Seine Stirn war königlich hoch und der ganze Kopf so groß, dass er leicht nach hinten neigte. Er trug ein dunkles Stofftuch als Hose, einen lavalava, und ein weißes kurzärmliges Hemd mit roten Blüten. Lavalavas sahen für Michael aus wie feine polynesische Schottenröcke. Eine violette Kappe, auf der dick und weiß LSE eingestickt war, bedeckte einen Teil seiner hohen Stirn. Wenn der Samoaner mit der Ruhe eines Seebären ein- und ausatmete, bewegte sich sein kleiner grauweißer Oberlippenbart.

»Talofa«, tönte es friedlich aus seiner Kehle. Irgendwie war alles auf Samoa sanft. Selbst die Auseinandersetzung gestern hatte freundlich geendet.

»Guten Tag«, antwortete Michael förmlich.

»Ein wunderbarer Tag, nicht wahr.« Der alte Samoaner betrachtete Michael und sich in den bronzenen Türen des Fahrstuhls. »Sie müssen weit gereist sein. Waren sie schon bei der Piula Höhlenquelle? Die Höhle ist ein Überrest eines uralten Lavaschachts, in dem jetzt kristallklares Wasser fließt. Eine dreiviertel Stunde von hier, gleich bei Lufilufi rausfahren, und sie sind dort.«

»Das klingt wunderbar. Ich muss aber mit der Verwaltung sprechen.« Michael würde gerne seine Füße in das kristallklare Wasser stecken, aber im Kopf ging er schon seine nächsten Schritte durch. Nach der Besprechung im Grundstücksamt wollte er sich sofort mit lokalen Bauunternehmen treffen.

»Sie sind kein Tourist?« Nun musterte ihn der Samoaner nochmals und lächelte ihn an. Michael fühlte sich wie ein kleiner Fisch vor einem großen Walross. »Ich helfe Ihnen gerne dabei, die richtigen Kontakte auf Samoa herzustellen. Wir kennen uns hier alle.«

»Ich bin mir sicher, im Grundstücksamt wird man mir weiterhelfen können.« Michael spürte worauf der Samoaner hinauswollte: Er würde nicht sofort anfangen, seinen Geldbeutel für Gefälligkeiten zu öffnen. Er hatte gelernt, wer zu früh Geld verteilte, wurde umso öfter gefragt werden. Michael empfand dieses Gefälligkeitsgeld nicht nur lästig, es gefiel ihm auch nicht. Aber er wusste auch, dass es in einigen Ländern nicht ohne Korruption ging.

»Dann viel Glück.« Der Aufzug öffnete sich im dritten Stock und der alte Mann bog links ab. Michael ging geradeaus und versuchte die Türklinke an Zimmer 304. Die Tür war verschlossen. Er räusperte sich und setzte sich dann in einen schwarzen Ledersessel. Der Warteraum lag am Ende des Ganges und die Außenwand war vollständig verglast. Im Nordwesten reichte ein Streifen Gras vor dem Gebäude bis zur Küste der Halbinsel. Palmen standen zwischen dem Gebäude und dem Ozean. Das Blau des Wassers wurde von den spitzen Palmenblättern wie Papier durchschnitten. Michael suchte nach einem Zaun, der das Grundstück abgrenzen würde, fand aber keinen. Im Landesinneren konnte er auf das dichte tropische Grün der Insel Upolu blicken. Hügel erhoben sich sanft in die Höhe und bunte zierliche Vögel stiegen aus den Baumgipfeln auf. Über allem ragte der Mount Vaea. Im Reiseführer hatte er gelesen, dort oben würde Robert Louis Stevenson begraben liegen. Von dem toten Schotten hatte Michael noch nie etwas gelesen. Leider war er nicht hier, um Romane zu lesen, sondern um Geld zu verdienen.

Michael wartete. Schnell wurde er der grünen Hügel überdrüssig. Eine gute halbe Stunde war vergangen. Pfeifend bog der Mann aus dem Fahrstuhl mit der violetten Kappe um die Ecke. In der Hand trug er eine übergroße, massive braune Keramiktasse, die mit einer dicken gelbvioletten Porzellanblume verziert war. Dunkler Kaffeegeruch begleitet von Vanille duftete den Gang herab. Gemütlich schloss er Zimmer 304 auf und ging hinein. Michael konnte es nicht glauben. Sie waren gemeinsam hochgefahren und jetzt kam der Beamte eine halbe Stunde zu spät. Sauer richtete er sich auf und ging zielstrebig durch die Tür.

»Ich …«, Michael sah sich um. An der Wand hingen einige Urkunden, die er nicht weiter beachtete, und große dicke Pflanzen füllten den Raum grün aus. Auf dem Schreibtisch befand sich nicht mehr als ein Füllfederhalter und ein leeres Blatt Papier. Der Samoaner legte gerade seine Kappe in ein Regal, das die gesamte linke Seite des Büros ausmachte. An der rechten Wand hing ein Gemälde von einem Wirbelsturm. Sehr seltsam.

»Herr Kros?«

»Ja, wir hatten einen Termin um 10:30.« Jetzt war es elf Uhr.

»Maru war am Wochenende fischen und hat einen großartigen Fang gemacht«, erzählte der alte Samoaner in aller Ruhe. »Sie hat fantastische Gelbflossen-Thunfische aus dem Meer gezogen.« Mit seinen Händen zeigte er Michael die ungefähre Länge.

»Großartig.« Bestrafte ihn der Beamte tatsächlich sofort dafür, dass er nicht auf sein Vermittlungsangebot eingegangen war oder war er einfach nur ein gemütlicher Charakter? Verstimmt erinnerte er den Samoaner an sein Anliegen: »Ich bin hier, weil ich ein Grundstück für ein Hotel suche.«

»Maru ist eine der wenigen Frauen, die zum Fischen auf das Meer fährt.« Der Samoaner hob seine Tasse mit der gelbvioletten Porzellanblume. Die Falten seiner sonnenverwöhnten Haut verschoben sich, als er vom Kaffee kostete. »Sie macht sehr guten Kaffee.«

»Es tut mir wirklich leid, ihre Zweisamkeit unterbrochen zu haben.« Michael konnte nun seinen Sarkasmus nicht mehr verbergen. Ihn kümmerten die Gelbflossen-Thunfische nicht.

»Herr Kros ich bin verheiratet. Maru fischt in Vailele Bay.« Der alte Samoaner setzte betont seine Tasse ab und griff in einen Schub. Vor Michael landete ein Kartenausschnitt von Vailele, einem kleinen Ort, der sich östlich von Apia befand. Michael ignorierte die Bemerkung und studierte die Karte. Upolu lag wie ein Oval im Pazifik. Westlich von Upolu befand sich die Insel Savai’i, die ebenfalls zu Samoa gehörte, und gestrichelte Linien deuteten eine Schiffsverbindung mit Amerikanisch-Samoa an, das sich östlich von Upolu befand.

»Sind noch Baugebiete entlang der Beach Road in Apia frei?«, fragte Michael nach.

Der ältere Samoaner lachte und schüttelte seinen Kopf. Dann deutete er auf einen Kartenabschnitt im Osten Apias. Dort waren einzelne Landparzellen blau markiert, keine zehn Kilometer entfernt vom Zentrum der Hauptstadt. Entlang der Main East Coast Road schien noch genug freies Baugebiet für einen größeren Hotelkomplex zu existieren. Samoanische Namen standen auf den Parzellen: Aiwaiwa, Laapa oder Tae. Auf dem Meer war eine Sandbank eingezeichnet, die der Bucht Charakter gab. Dieser Blick würde sich perfekt in einem Urlaubskatalog machen. Michael sah schon Sonnenschirme an einem feinen Sandstrand vor dem Hintergrund der kleinen Insel draußen im Meer vor seinen Augen entstehen. Er würde das Hotel einfach halten und so gut wie möglich naturbelassen. Auf den weiten Grünflächen, die zum Strand übergingen, würde er nur kleine Pfade zu den Unterkünften. anlegen Das wäre sein erstes Konzept, bis es dann von Johannes Belling und seinem Team von sonnenwärts.tv überarbeitet werden würde. Das war leider zu erwarten. Mit dem höchstmöglichen Profit vor den Augen würden sie am Strand ein paar billige Plastikrutschen und Klettertürme hinstellen, um ein Familienlabel für das Hotel zu erhalten. Alles würde im Piraten-Stil gehalten sein, mit einer schwarzen Flagge auf dem Plastikturm und einer Goldkiste, halb im Sand vergraben. Die heutige Disney-Generation würde ihm das Piratenflair im Südpazifik abnehmen – Karibik oder Südsee, Hauptsache Palmen und weißer Strand. Er hatte eine Ahnung davon, welche ideenlose Baupläne in Düsseldorf entstehen würden.

»Was sind die Preise für diese Parzellen Land hier?« Michael zeigte dem Verwaltungsbeamten die Ländereien, die er kaufen wollte.

»Das müssen sie mit den Eigentümern besprechen, Herr Kros.«

»Ich dachte, der Staat besitzt die Ländereien?« Er hatte gelesen, dass der samoanische Staat aufgrund irgendeines uralten Gesetzes über die Länder bestimmte …. oder so ähnlich. Michael hatte einmal zuvor in seiner Karriere mit Indern auf Sri Lanka verhandeln müssen. Es hatte ihn verdammt viel Zeit gekostet und das scharfe Curry hatte seine Darmflora für einige Wochen effektiv ausgelöscht. Wie Napalm hatte es alle seine Miniorganismen verbrannt. Danach war er noch beim alten Bremmer eine Zeitlang in die Mittelmeer-Abteilung versetzt worden. Bei der Hotelbewertung vor Ort in Spanien oder Frankreich gab es zwar immer die Gefahr von verdorbenen Speisen, aber keine verrückten Inder, die scharfes Curry wie eine Waffe gegen Mitteleuropäer einsetzten. Tatsächlich hatte Bremmer nicht aus Mitleid gehandelt: Die Versetzung hatte etwas mit den Freiheiten zu tun gehabt, die Michael sich vor Ort genommen hatte. Er hatte damals die Bauarbeiter über dem Landesdurchschnitt bezahlt und auch die lokalen Angestellten etwas höher eingestellt, als üblich war. Am Ende lief das Hotel dort gut, aber der Gewinn war nicht ganz so hoch gewesen, wie in Düsseldorf erhofft. Dafür war Michael mit sich und dem Projekt im Reinen gewesen. Michael konzentrierte sich wieder auf seine Pläne und war zu mindestens zuversichtlich, Samoa würde sich kulinarisch bestimmt nicht zu einem Leidensweg entwickeln.

»Wenn sie sich ausweisen, mache ich gerne einen Termin aus. Die samoanische Verwaltung stellt den Kontakt her, wenn Bürger ihr Land verpachten wollen.« Der alte Samoaner sah ihn kühl an.

Michal griff in seine hintere Hosentasche. Tastete sich nervös ab. »Jemand hat mir meine Brieftasche gestohlen!« Verzweifelt durchsuchte er vergeblich seine Hosentaschen. »Sie haben doch meine Daten. Wir haben per Email kommuniziert!«

»Gerade deswegen möchte ich gerne wissen, ob ich den echten Michael Kros vor mit sitzen habe. Die Südsee ist voller verlorener Streuner.«

»Verdammt, wie viele Leute kommen denn nach Samoa, um dort ein Hotel aufzubauen. Das ist doch abwegig, sowas erfindet doch niemand.« Wo war ihm die Brieftasche nur geklaut worden? Das Aggie Grey’s war ein hochklassiges Sternehotel. Aber man wusste ja nie bei den Bediensteten. »Meine hellbraune Brieftasche von Ralph Lauren. Meine Frau hat sie mir geschenkt.«

»Immobilienmakler und Projektmanager kommen hier oft vorbei. Alle landen sie bei uns in Samoa mit ihren großen Plänen. Aber sie halten die Ruhe nicht aus. Sie können sich also nicht ausweisen?«

»Herr …«, er wusste noch nicht mal wie der Mittfünfziger hieß. »Wir haben doch gerade noch im Aufzug gesprochen!«

»Henry. Und es ist ein Honorarkonsul, bei dem sie ihren neuen Pass ausstellen lassen können.« Henry grinste kalt. »Unsere Inseln sind nicht wichtig genug für einen deutschen Generalkonsul und dass nach der langen gemeinsamen Geschichte.«

»Sie …«, Michael atmete genervt aus. Der Samoaner ließ ihn seine Wichtigkeit spüren. Das Spiel musste er leider mitspielen – das war auf der ganzen Welt so. »Würden Sie auch ein Flugticket oder die Emails, die ich mit Ihrer Verwaltung geschrieben habe, akzeptieren?«

Das kalte Grinsen des Samoaners wurde breiter. »Es reicht mir, wenn Sie sich bei unserem nächsten Treffen daran erinnern, dass Freundlichkeit auf Samoa wichtig ist und gute Kontakte wertvoll«, erinnerte ihn Henry an sein Angebot aus dem Fahrstuhl. »Kommen sie am Dienstag zur Kreuzung Beach und Matautu Street. Ich nehme sie mit. So gegen vier Uhr.« Henry machte eine Markierung auf der Karte, faltete sie und legte sie zurück in seine Schublade. Michael verabschiedete sich und hetzte zum Hotel zurück. Jetzt hatte er neben einem Treffen mit den Bauunternehmen auch noch einen zusätzlichen Termin. Er brauchte dringend einen neuen Ausweis. Und Geld, um Henry zu bestechen. So hatte er sich seine Ankunft in Samoa definitiv nicht vorgestellt.

Michael war der Einzige, der durch die Straßen Apias eilte. Touristen und Samoaner bewegten sich im Rhythmus der sanften Meeresbrise. Aber bei ihrer Leibesfülle war mehr als eine gemächliche Gangart für viele der Inselbewohner nicht möglich. Michael fragte sich, ob seine Gedanken nicht gehässig waren oder ob er neidisch auf ihre scheinbar zufriedene Lebenseinstellung war. Er ging an einer alten Samoanerin vorbei, die die hellen Treppen um den Glockenturm Apias sorgfältig kehrte. Der weiße Turm mit der hell-goldenen Holzbalustrade unter der Uhr war für die samoanischen Soldaten des Ersten Weltkrieges errichtet worden, die für das Vereinigte Königreich in den Armeen Australiens und Neuseelands gedient hatten. Die Uhr mit dem schwarzen Ziffernblatt befand sich unter einem dreieckigen Dachvorbau, über dem sich der Turm noch weiter verkleinerte und schließlich von einem kleinen runden Dach abgeschlossen wurde. Dieser hölzerne Zeuge der samoanischen Eigenständigkeit wirkte auf Michael wie aus einer mittelalterlichen Fantasiewelt entsprungen. Er blieb kurz stehen und ließ vom Turm aus seinen Blick über den Park und das Meer schweifen.

Die alte Samoanerin sah ihn mit einer würdigen Gelassenheit an und schenkte ihm ein Lächeln, das sich wie Heimat anfühlte. Nicht die Art von Heimat, wenn er seine Eltern in der Nähe Düsseldorfs besuchte und an dem alten Betonbau des Otto-Hahn-Gymnasium vorbeifuhr. Aber sie schien ihn einzuladen, zu verweilen. Dann kniff sie fröhlich die Augen zusammen, so wie er es nur von alten Menschen oder Kindern kannte, und kümmerte sie sich wieder um ihre Aufgabe. Michael blickte nochmals zum Turm hoch. Sein weißer Verputz strahlte märchenhaft unter dem hellblauen Himmel.

An der Information des Aggie Grey’s teilte ihm eine kleinwüchsige Samoanerin mit einem Lächeln mit, das Platz für eine Großfamilie mit sieben Kindern hatte, dass der Honorarkonsul diese Woche nicht mehr zu sprechen war. Neben ihr stand ein Samoaner mit Glatze, jung und muskulös, in Hemd und graublauer Weste. Er sah Michael abfällig prüfend wie einen Eindringling an. Wofür bekam dieser Honorarkonsul deutsche Steuergelder? Bekam er welche? Egal, Michael ließ seine Kreditkarten sperren und beantragte online neue. Er ging in sein Zimmer, um sein restliches Bargeld zu holen. Nachdenklich blickte er sich in seinem luxuriösen Zimmer um. Dunkle Schnallen hielten die weißen, gerollten Handtücher zusammen. Frische Blumen standen in einer Vase auf dem Nachttisch. Heute würde er nichts mehr erledigt bekommen. Er schob die gläserne Verandatür beiseite und lehnte sich in den Türrahmen. Das Aggie Grey’s in der Bucht von Apia war das beste Hotel in der Stadt. Und das teuerste. Der Kolonialbau war mit weißem Holz verkleidet und zwei Etagen hoch. Auf dem Dach thronte das rote Symbol der Sheraton Gruppe, der Buchstabe S umrahmt von einem Lorbeerkranz. Die Appartements hatten einen Balkon mit Blick auf einen elegant von grauen Steinen eingebettet Pool im Innenhof, den Palmen säumten. Die blauen und schwarzen Mosaiksteine des Pools funkelten unter der Wasseroberfläche

Michael würde mit seinem Geld niemals auch nur ein halb so schönes Hotel wie das Aggie Grey’s errichten können. Für die Kunden von sonnenwärts.tv war nicht mehr als ein seelenloser Betonbunker drin. Vielleicht noch bunt angestrichen, um die fehlende Kreativität in der Architektur zu verstecken. Wobei Architektur für die Massentouristen keine Rolle spielte. Viele Hotels hatten den Charme eines Hühnerstalls und die Touristen störte es auch nicht. Als er auf das liebevolle und geschichtsträchtige Sternehotel blickte, kam ihm das ganze Samoa-Unternehmen wie der größte Blödsinn vor, den er jemals eingegangen war. Er erinnerte sich an Sandras warnende Worte … aber Düsseldorf bezahlte ihn doch dafür. Er checkte seine Emails und fand eine Nachricht von Johannes Belling, seinem Chef: Ist die Samoan Sun Limited schon eröffnet? Bitte um sofortigen Rückruf. Mist, es war erst Mittag in Samoa. Das würde bis heute Abend warten müssen, ansonsten würde er wegen des Zeitunterschieds niemanden im Büro erreichen. Wie sollte er den verdammten Tag genießen, wenn man ihm seine Brieftasche geklaut hatte und sein Chef dringend mit ihm reden wollte? Fuck! Nicht mal Brigitte, seine Frau hatte ihm geschrieben.

Ein knallroter Hummer auf der Beach Road Apias hatte Links Hunger gestillt. Ins Aggie Grey’s ließen ihn die Angestellten nicht rein – musste an seiner zerfetzten kurzen Hose liegen. Aber Link liebte seine braune, verwaschene kurze Hose, an der die linke Seitentasche halb abgerissen war. Also war er zu einem schicken kleinen Imbiss gegangen und hatte sich einen glänzendroten Hummer gegönnt. Der Imbiss gehörte der samoanischen Familie Losa, die erfahrene Fischer waren. Die 32 Dollar hatte er aus der schönen hellbraunen Lederbrieftasche, die er dem Touristen abgenommen hatte. Grinsend betrachtete er sie in der Sonne, dann steckte er sie wieder in die rechte Seitentasche seiner Hose, die noch intakt war. Link strich sich sein langes, verfilztes braunes Haar aus den Augen und griff zu seinem Surfboard. Zeit Geld zu verdienen und Frauen aufzureißen … Stopp! Zeit, Frauen zu imponieren und etwas Geld zu verdienen. Die Prioritäten mussten stimmen.

Autos hupten, als er achtlos die Straße überquerte und dann über die gepflasterte Uferpromenade ging. Link stieg auf die Mauer des Gehwegs und sprang mit dem Surfboard unter dem Arm zum Strand hinab. Die knapp zwei Meter federte er sportlich in den Knien ab. Er achtete zwar nicht auf seine Haare und seine Klamotten, aber er hatte sich über die Jahre eine athletische und drahtige Figur erhalten. Trinke nur so viel, dass du am nächsten Tag auch noch surfen kannst, war seine Devise.

»Bruder Link.« Von der Mauer des Gehwegs herab grüßte ihn Hemi, dritter Cousin von Marus Schwester Kuko. »Ist doch kein Surf draußen, eh!«

»Das wissen doch die Touristinnen nicht.« Link zwinkerte ihm zu. Hemi war bestimmt fünf Jahre jünger als Link, aber so wirklich zählte das Lebensalter hier im Pazifik nicht. Entweder war man Kind, Erwachsener oder ein Dorfältester. Alle anderen waren so alt, wie sie eben waren. Im dichten grünen Dschungel des Inselinneren oder an den sanften Stränden kümmerte das Alter herzlich wenig.

»Du bist dumm wie ein Einsiedlerkrebs in einem Schwarm Fische«, lachte ihn Hemi aus. »Sieh dich um, Samoa ist das Reiseziel für Verliebte, Frischvermählte oder alte wohlhabende Pärchen. Hier am Strand von Apia wirst du keine Girls finden.« Obwohl Hemi ihn auslachte, war sein Lachen ansteckend.

»Ah, lass mich machen. Meister Link wird es dir zeigen.« Link klopfte auf sein weißes Surfboard, das der Länge nach einen gelben und roten Streifen hatte. »Das Ding hier ist ein Girls-Magnet.«

»Oh, Link, du wirst immer ein Einsiedlerkrebs sein. Geh zum Flohmarkt, vielleicht wird sich dort eine zu dir verirren. Nur Frauen auf einem Selbstfindungstrip kannst du vielleicht beeindrucken, wenn sie ihren Grips ausgeschaltet haben.«

»Hübsche Frauen sind nicht gerne alleine auf einem Selbstfindungstrip. Sehen wir uns in zwei Wochen bei Damos?« Link hatte keine Lust zum Flohmarkt im Zentrum Apias zu gehen. Der Flohmarkt war eine Mischung aus Souvenirläden, Klamottenläden und Imbissbuden in einer Markthalle unter einem einfachen Dach mit Holzstreben. Wenn er dort war, aß er gerne Bananenkuchen bei Tante Mae, einer resoluten Chinesin. Hemi hatte recht, dort wimmelte es immer von Touristen. Sie kauften lavalavas, Holzschnitzfiguren polynesischer Götter, Matten aus Pandanusblätter und Schrott. Wo war der Spaß dabei, dort wie die anderen Verkäufer zu stehen? Hemi zuckte mit den Schultern. Zwei Wochen waren für ihn zu weit entfernt, um planbar zu sein. Link war von sich selbst überrascht, Damos Geburtstagsparty auf dem Schirm zu haben. Als er zum Wasser ging, rief ihm Hemi hinter: »Link, selbst Krebse putzen sich. Du stinkst!«

Nachdem Link etwas im Meer gepaddelt war, gerade genug um bemerkt zu werden, war er schon wieder draußen. Es gab wirklich keine guten Wellen hier und er musste dringend etwas Geld verdienen. Mit seinem Fuß schob er einige Steine beiseite und steckte dann sein Board mit dem Tail in den Sand. Er wollte gut zu sehen sein. Oberkörperfrei, noch mit Wasserperlen bedeckt, gab er vor die Wellen zu studieren. Sie blieben flach. Tatsächlich aber streiften seine Blicke länger über die Touristen am Strand. Die Saison war normal. Es war kein Touristenandrang zu verspüren. Einige Australier hatten es nach Samoa geschafft, überwiegend ältere Pärchen, die nicht weit von hier in den Vaiala Beach Cottages wohnten. Dass er nur wenige Asiaten sah, war ihm egal. Die Chinesen hatten in den letzten Jahren das Reisen angefangen und ließen gut Geld auf der Insel. Mao oder Xi oder wie der Oberste Chinese auch hieß, hatte ihnen das erlaubt. Link kümmerte sich nicht besonders um das Weltgeschehen. Nur buchten sie nicht bei ihm. Eigentlich buchten seine Surfexpeditionen an die Südküste Upolus nur Studenten aus dem Westen. Hemi hatte Recht: Die klassischen Selbstfindungsreisenden machten seinen Kundenstamm aus. Leider war davon niemand an diesem Teil des Strandes zu sehen. Zum Glück hatte er die Geldbörse von dem deutschen Touristen gestohlen und etwas Hummer im Magen.

Überrascht blieb sein Blick auf exakt diesen deutschen Touristen hängen. Der Deutsche lag auf einem Handtuch des Aggie Grey’s. Er musste wirklich Geld haben. Kein Wunder, dass er nicht gemerkt hatte, wie er ihm den Geldbeutel aus der hinteren Gesäßtasche entwendet hatte.

Link ging zu ihm rüber. »Wunderbarer Tag, nicht wahr?« Als der Deutsche nicht reagierte, grinste er ihn breit an. »Ich bin’s, Bruder Link.« Er war mehr als dankbar, dass er trotz Alkoholexzessen und kleineren Schlägereien noch eine makellose Zahnfront besaß. Er kannte Kaffeetrinker, die ein gelberes Lächeln hatten. Er schob es auf seine guten Gene … hatten Gene etwas mit den Zähnen zu tun? Bestimmt, die kleinen Dinger steckten doch in jeder Zelle. Hatten Zähne Zellen? Link verfolgte die Gedanken nicht mehr weiter, seine Aufmerksamkeitsspanne schwankte zwischen sieben und 15 Sekunden an guten Tagen.

»Sie sind nicht mein Bruder. Was wollen sie?« Link regte die korrekte Sprache des Deutschen auf.

»Ich bin Link.« Er streckte ihm entspannt die Hand entgegen.

Widerwillig schüttelte der Deutsche seine Hand und roch dann daran. »Michael. Sie sind der Kerl, der gestern mit dem Kioskbesitzer gestritten hat.«

»Pah, wir sind gute Freunde. Was sagst du zu Samoa?«

»Warm, aber der Strand ist …«

»Verdammt, ich hasse dieses Gelabber! Jeder verdammte Tourist behauptet sofort … der schönste Strand, den ich je-he-he-mals gesehen habe … fuck that … Bora Bora, Französisch-Polynesien, Mann. Das sind göttliche Strände. Du hast noch nicht einmal die Südküste Upolus gesehen und wagst schon so eine Behauptung!« Link konnte sehr emotional werden, wenn es um die Schönheit eines Strandes ging. Aber auch über den Geschmack von Cola oder woher die besten Kokosnüsse kamen. Das hing vom Wetter ab, ob er getrunken oder geraucht hatte und wie lange er schon nichts mehr gegessen hatte. Jetzt war es eindeutig ein Mangel an Rum.

»Der Strand ist sehr steinig und kann definitiv nicht der schönste Samoas sein. Gleich da vorne beim Paolo Deep Marine Reserve ist es etwas besser.« Offensichtlich irritiert über Links Gefühlsausbruch, richtete sich der Deutsche auf und stützte sich auf seinen Ellbogen ab. »Aber weder hier noch beim Reserve, wo die Korallen gleich unter der Wasseroberfläche liegen, kannst du gut surfen.«

»Das Surfboard ist eher wie ein Werbeschild«, wich Link aus. »Du musst unbedingt den Tafatafa Beach im Süden und den Lalomanu Beach sehen. Ich kenne auch die abgelegensten Strände und junge Babes vom Hostel sind auch dabei. Schöne, schöne Mädels.« Link nickte ihm wissend zu. Das Versprechen wirkte immer.

»Nein, danke.«

»Gut, gut, du magst mehr Kultur? Dann bringe ich dich in ein echtes samoanisches Dorf. Die Frauen dort sind von einer anderen Welt. Ich verspreche dir, niemand versteht sie, but they are just so beautiful.«

»Nein, die Strandtour klang schon gut«, reagierte der Deutsche vergnügt. »Aber ich bin hier, um zu arbeiten.« Der Deutsche sah aufs Meer hinaus. »Außerdem bin ich verheiratet.«

»Holy shit. Verheiratet und zur Arbeit hier? Bist du verflucht?«

»Ich bin im Tourismusgeschäft. Ich glaube, das kann man als Fluch werten.« Der Deutsche blickte auf den Pazifik, als würde er eine Antwort erwarten. »Du siehst fertig aus. Wann hast du zum letzten Mal etwas Richtiges gegessen?«

»Ich hatte gerade einen großen Hummer mit mehr Pommes aus Süßkartoffeln, als ich essen konnte. Ganze 32 Dollar hat das Menü gekostet.«

Michael lehnte sich zur Seite und sah ihn überrascht an. »Deine Ausflüge müssen ja richtig gut gehen.«