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Die Vampire Theo und Leonore leben in Frankfurt am Main gut getarnt unter den Menschen. Er arbeitet als Kellner, sie als Tellerwäscherin im Szenelokal „Retro“.
Und sie dachten, sie wüssten alles, was man über Vampire wissen sollte. Blut bedeutet Leben, Sonne tötet, Unsterblichkeit sowieso, Köpfen und Verbrennen ist final ungesund. Das Übliche eben - check.
Aber als Leonore die nervige Vampirin Sanne unbeabsichtigt mit Silberkugeln eliminiert, melden sich Zweifel bei Theo. Wieso Silber? Wieso erschießen? Was wirkt noch tödlich, von dem man bislang nichts ahnte?
Aus Eigenschutz -niemand will nicht durch einen blöden Zufall sterben- beginnen sie mit der Recherche und Experimenten an anderen Blutsaugern der Stadt. Natürlich ohne deren Zustimmung.
Das bringt dem Duo nicht nur neue Feinde...
Es droht obendrein eine Katastrophe. Denn bald könnte es in Frankfurt unkontrolliert von Vampiren nur so wimmeln und die Metropole zu VAMPIRE CITY N°1 machen.
Solche weltweite Aufmerksamkeit ist das Letzte, was Theo und Leonore für ihre Spezies wollen.
Der Banker Kordian und die mächtige Vampirin Katharina spielen ganz besondere Rollen bei der entscheidenden Frage: Wie das nahende Desaster aufhalten?
Ein kleiner Thriller mit Action Blut, Spannung und viel schwarzem Humor!
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Inhaltsverzeichnis
IMPRESSUM
Über den Autor
Vorwort
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
BIS HEUTE …
Danksagung & Links
Vampire City N°1: Schere, Pflock, Vampir
© Markus Heitz, 2023
c/o Briefgestöber, Reindorfer Dorfstr. 1, 21244 Buchholz i. d. Nordheide
Lektorat: Elisa Garrett
Korrektorat: Lisa Nickert
Umschlaggestaltung: Designomicon | Anke Koopmann, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock
Druck und Printdistribution im Auftrag des Autors: tolino media GmbH & Co. KG, Albrechtstr. 14, 80636 München
Rechteanfragen: AVA International, Hohenzollernstr. 38 Rgb, 80801 München, [email protected]
Fiktionshinweis:
Sämtliche in dem Roman vorkommende Figuren, Handlungen und Ereignisse sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit
lebenden oder toten Personen, Ereignissen und Vorkommnissen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Schwarzträger und Alt-Grufti, ironisch-sarkastisch, manisch-kreativ und immer am nächsten Projekt.
Hauptberuflicher Geschichtenerfinder, studierter Historiker und Germanist, dutzendfacher SPIEGEL Bestsellerautor, Ex-Journalist, Gelegenheitssongtexter, Hörspielbastler - und Jahrgang 1971.
Schrieb mehr als 60 Bücher, pro Jahr kommen mindestens zwei neue Werke dazu.
Die Genres sind vorwiegend Phantastik, Horror und Space Fiction, sogar Kinderbücher und politische Kurzgeschichten in „Kommando Flächenbrand“ sowie „DER STEG“ als mögliche Unterrichtslektüre (Reclam) gesellten sich hinzu.
Und als Maxim Voland schreibt er reine Thriller.
Verrückt …
Dafür ist er in Mathe und im Handwerken eine Niete. Man muss nicht alles können.
Mehr Informationen zu SPIEGEL-Bestsellerautor Markus Heitz und seinem Crime-Pseudonym Maxim Voland unter www.mahet.de
Dort finden sich auch Informationen zu Merchandise rund um die Werke.
Das 30. WGT, das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, ist schuld.
… also, nicht ursprünglich.
Die Kurzgeschichten um Theo und Leonore gab es bereits etwa zwölf Jahre zuvor. Sie waren Teil einer Zeitschrift über Vampire in Legenden, Literatur, Musik und Kino, die leider über vier Ausgaben nicht hinauskam.
Die Episoden hingen seither in der Luft, was man Vampiren auch gerne mal nachsagt …
Doch ich fand sie immer noch unterhaltsam und witzig und trug daraus auszugsweise bei der Lesung auf dem 30. WGT in der krachvollen Peterskirche in Leipzig vor.
Der Titel lautete „Schere, Pflock, Vampir“ als Anspielung auf „Schnick, Schnack, Schnuck“ und wer wen schlägt. Es passte recht gut. Immerhin ging es um die Testreihen von Theo und Leonore, wie man Vampire zu töten vermag. Aus ihrer eigenen Angst heraus, durch ein Versehen oder einen blöden Zufall zu sterben. Schließlich waren sie selbst Blutsauger. Unwissenheit ist lebensgefährlich.
Dazu nutzen sie, man ahnt es, andere Kolleginnen und Kollegen – und diese Versuchsvampirchen finden das nicht sonderlich nett.
Und was soll ich sagen?
Die Episoden kamen verdammt gut an, zu meiner großen Freude. Ich war also nicht schuld, dass die Zeitschrift damals eingestellt wurde, hell, yeah!
Nach dem WGT erreichten mich mehrere Mails, einerseits von Zuhörerinnen und Zuhörern, die nach dem Roman (!) fragten, andererseits vom Buchhandel, der im Auftrag der Kundschaft bei mir anklopfte, wie sie den Roman im System finden könnten.
Nur gab es den immer noch nicht.
Daher sah ich es als ein Zeichen: Theo und Leonore hatten endlich ihr eigenes kleines Werk verdient. Was Kurzes, aber abgeschlossen.
Und so wurde Schere, Pflock, VAMPIRE CITY N°1 nach langer Buchschwangerschaft geboren.
Nicht wundern.
Weil es ein Nebenprojekt ist und ich die Ungeduldigen nicht länger warten lassen wollte, erscheint der Kurzroman im Selfpublishing. Ich bin sicher, dass es auch ein Publikumsverlag genommen hätte, doch die haben schon mit meinen regulären Projekten ordentlich zu tun.
Dann wünsche ich gute Unterhaltung mit Theo, Leonore und den Problemen, die sich aus den Testreihen ergeben.
Denn für jedes erlangte Wissen zahlt man einen Preis.
Auch Vampire müssen das.
Markus Heitz,
im Sommer 2023
P.S. Alles zum Vampir-Volksglauben findet sich in meinem Lach- und Sachbuch„Vampire! Vampire!“, samt Literaturliste und Quellenangaben, erschienen im Piper Verlag.
Fürs Selbststudium.
Aber KEINE Testreihen starten, bitte!
Sicher?
unvollständige Audiodatei
Zeit: 18.11 Uhr MEZ
Datum: 01.01.2024
Ort: unbekannt
Sprecher: männlich, unbekannt und weiblich, unbekannt
Mann (bemüht wissenschaftlich): „… und um eine Sache vorweg klarzustellen: Ich mag Vampire. Ehrlich!“
Frau (amüsiert): „Sicher?“
Mann (bemühter wissenschaftlich): „Ähm … also … die meisten jedenfalls.“
Frau (amüsiert): „Das sind immer noch sehr viele, findest du nicht?“
Mann (bemüht ruhig): „Shit. Okay. Wenn ich genau überdenke, nur die Kreaturen voller Schönheit, dunkler Kraft, mit düster-erotischer Magie, der sich kein Mann und keine Frau entziehen kann…“
Frau (lacht): „Du sollst keinen Imagekatalog entwerfen! Und du beleidigst damit die anderen. Die finden das bestimmt nicht witzig, wenn sie das eines Nachts zu lesen bekommen.“
Mann (ruhig und süffisant): „Aber die anderen braucht man auch. Ich zumindest. Und hör auf, mir in meine Memos zu quatschen!“
Frau (seufzt): „Das ist verwirrend, weißt du das?“
Mann (nachdenklich): „Mh. Du hast recht. Also: Damit mein scheinbar brutales Vorgehen richtig verstanden wird, sollte ich besser mit dem Tag beginnen, an dem alles seinen Anfang nahm. Oder besser gesagt: mit der Silvesternacht …“
Deutschland, Frankfurt am Main, Winter
Theo sah auf Susanne runter, die es sich gerade am Tisch neben dem Eingang bequem machen wollte. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nichts in meiner Bar verloren hast?“ Er hatte leise, aber bestimmt gesprochen; mit Block und Stift zwischen den Fingern schien es, als würde er eine Bestellung entgegennehmen. Unauffälligkeit stand auf dem Plan, die Gäste sollten nichts merken.
Susanne schaute ihn nicht einmal an, während sie die teure Strickjacke über den Stuhl hing. „Das ist nicht deine Bar. Du bist hier Kellner.“ Sie setzte sich und legte herausfordernd langsam ein Bein über das andere, was Ich bleibe bedeutete. „Rausschmeißen lasse ich mich nur von deinem Chef.“ Susanne, 32 Jahre, blond, gut gebaut und eine stadtbekannte Schlampe, lächelte überheblich und legte Schminke nach. „Ist er da?“
Theo kannte Susanne von einem Dutzend unerfreulicher Begegnungen im Retro. In der Szenekneipe verkehrten viele Prominente, Künstler und Paradiesvögel, zu denen sie sich ebenfalls zählte. Wohlgemerkt, nur sie selbst.
Auch wenn Susanne sicherlich gut im Bett war und ihre Art zu ficken bestimmt an Kunst herankam, mochte Theo sie nicht. Sie schleppte zu viele Gäste ab, die sich danach nicht mehr in den Edelladen hineintrauten. Weil sie Susanne nicht mehr begegnen wollten. Aus Angst, Peinlichkeit, Scham. Fehlende Gäste hießen fehlender Umsatz.
„Du bist alleine hier, Sanne. Kein Promi, der dich reingeschleust hat.“ Er wies mit dem Stift und einem Lächeln auf den Ausgang.
Sie taxierte ihn für drei Sekunden. „Das Outfit und die Schürze stehen dir gut. Sogar dein neuer Schnauzbart. Ich finde dich sexy, Theo. Tolle Statur, schöne braune Haare und so.“
„Schleimen hilft dir nicht. Verpiss dich.“
„Du bleibst ein unhöfliches Arschloch.“ Sie deutete mit dem Schminkspiegel auf den Tresen. „Dein Chef ist also nicht da. Wie schön! Eine Bloody Mary, kleiner Pinguin.“ Sie verstaute den Lidschatten, holte eine Kippenschachtel hervor und zog mit spitzen Fingern eine Zigarette heraus. „Jemand hier, den ich kenne?“
„Die zwei Ärzte für Geschlechtskrankheiten sind eben gegangen.“ Theo langte in seine Tasche und holte ein Feuerzeug heraus.
Susanne lächelte und beugte sich genügsam nach vorne. „Sehr freundlich. Und unerwartet. Vielleicht bist du doch kein –“
Er rammte ihr den Stift von unten am Kinn vorbei in die Mundhöhle und zog sie damit vom Stuhl hoch. „Rauchverbot“, zischte er harsch und schob sie zur Tür hinaus; dabei tat er so, als würde er mit ihr nach draußen gehen, um ihr dort Feuer zu geben.
Susanne war zu überrumpelt, um sich zu wehren. Sie öffnete ihren Mund, aber der Stift hielt die Zunge mit fest. Blut rann aus ihrem Mundwinkel und tropfte auf ihre Bluse.
Schnell verschwand Theo mit ihr um die Ecke – weg von der großen Scheibenfront – in eine schmale Seitenstraße neben dem Retro. Er stieß sie zurück, sah auf seinen blutigen Stift. „Shit. Hoffentlich schreibt der noch“, murmelte er.
Susanne langte sich an die Kehle, röchelte und hustete angespannt; Tröpfchen sprühten auf den hellen Stoff ihrer Bluse. „Bekloppt?“, rief sie undeutlich und hielt ihm anklagend die verschmierte Hand hin. Die Fingernägel wuchsen, wurden spitz und wirkten sehr scharf. Mit einem schrillen Schrei warf sie sich gegen ihn, Fangzähne erschienen hinter ihren blutigen Lippen.
Theo senkte den Kopf und hob die Arme zur Abwehr, winkelte das rechte Bein zu einem Kick an. „Ich trete dir in die Fresse, Sanne“, warnte er laut. „Mir egal, wie dein Make-up ...“
Hinter ihm knallte es dreimal laut, sodass er erschrocken zusammenzuckte und sein linkes Ohr fiepte.
Susannes Brust zeigte zwei blutige Löcher, ein drittes öffnete sich in der Stirn. Ihr Kopf schnappte krachend nach hinten. Sie brach in der Bewegung zusammen, als wäre sie ein Roboter, dessen Batterien sich schlagartig leerten. Vor Theos Schuhspitzen blieb sie liegen, in einer dreckigen Schneewasserpfütze.
„Na? Waren das drei geile Treffer, oder was?“
Theo wandte sich um: Leonore.
Sie stand zwei Meter hinter ihm und hielt ihre großkalibrige CZ 75 Halbautomatik auf Susanne gerichtet, vor der Mündung kräuselte leichter Rauch. „Die wird soooo sauer sein, wenn sie wach wird“, gluckste sie. „Dumme Fotze. Das musste einfach mal sein.“
Er starrte Leonore an, in schlichte Winterkleidung gehüllt, und hielt sich das fiepende Ohr. „Wenn das einer gehört hat?!“ Er schüttelte den Kopf. „Und wenn ich nichts mehr höre, was dann?“
Die schwarzhaarige Frau – äußerlich ungefähr im gleichen Alter wie Sanne und er – steckte die Pistole in ihren Mantel. Sie zog zwei Böller aus der Tasche hervor, zündete sie an und warf sie auf die Straße, wo sie mit lautem Bumm vor den Scheiben des Retro explodierten. Glühend flogen die Papierfetzen durch die Gegend, Pulverschwaden zogen die Gasse entlang. Damit war das Geknalle für die Gäste erklärt.
„Frohes Neues“, erwiderte sie lächelnd und inspizierte Susanne. „Hey, Schlampe: Das war für letztens!“
Leonore arbeitete mit Theo zusammen im Retro. Vorherige Woche hatte Susanne sie auflaufen lassen und vor einem Gast gedemütigt, heute kam die brachiale Retourkutsche.
Leonore war hübsch und mit ihren langen Haaren nur einen Tick zu klein, um das perfekte Laufstegmodel zu bieten. Für Unterwäsche, wie er fand. Stattdessen spülte sie Pfannen, Teller, Geschirr und hatte zehn andere Nebenjobs in der Frankfurter Nachtszene. Die Ungerechtigkeit dieser Welt: Berühmtheit um Zentimeter verfehlt.
Theo und Leonore schauten auf das reglose Opfer.
Schnee wirbelte durch den Wind, um den Kopf der Liegenden färbte das Blut die Straße. Kristalle trafen auf das Gesicht, schmolzen langsam, aber beständig.
Dann hob Theo die Hand und sah auf die Uhr. „Zwei Minuten. Ich muss wieder rein.“ Er wandte sich um. „Sag ihr, dass du das jedes Mal machen darfst, wenn sie sich wieder blicken lässt.“
„Geht klar.“ Sie versetzte Susanne einen heftigen Tritt. „Hoch mir dir, Miststück. Du hast dich lange genug ausgeruht.“
Theo wollte eben um die Ecke biegen, da rief ihn Leonore zurück. „Was denn?“, sagte er ungeduldig und schaute über die Schulter. „An Tisch vier geht das Dessert gleich raus und ...“
„Sie ist tot!“
„Ja. Wie du und ich.“ Trotz aller Widrigkeit einte die drei eine Sache: Sie waren Vampire, die getarnt in der normalen Bevölkerung lebten wie verkleidete Wölfe in einer Schafsherde.
„Nein, nicht so. Hinüber“, redete Leonore aufgeregt und hob Susanne am blonden Schopf in die Höhe, sodass die Beine über dem Schnee baumelten, und ließ sie dann wieder fallen.
Keine Reaktion, nicht mal im Ansatz. Die Vampirin stürzte wie eine Marionette zu Boden.
Theo runzelte die Stirn. „Will die uns verarschen?“ Er prüfte, ob sich Passanten näherten, aber die Nebengasse blieb menschenleer.
Er eilte an Leonores Seite und kniete sich neben Susanne, prüfte Herzschlag und Atmung, die Pupillenreflexe.
„Nichts“, flüsterte er entgeistert und starrte seine Freundin an. „Verschießt du Kreuze, oder was?“
„Nee.“ Leonore zog die großkalibrige CZ 75 und nahm das Magazin heraus. Die Projektilspitzen glänzten mattpoliert. „Silber, aber …“
„Silber?“
„Na ja. Falls wir mal auf Werwölfe treffen“, erwiderte sie kleinlaut.
„Leonore, wie lange sind wir Vampire?“
„Zusammen oder jeder …?“
„Leonore!“
Sie seufzte. „Ich seit vierzig und du seit einhundertelf Jahren“, antwortete sie.
„Und wie viele Werwölfe haben wir schon getroffen?“
„Keinen“, gab sie zerknirscht zu.
Theo schüttelte den Kopf. „Du hast wieder Underworld-Binge-Watching betrieben, richtig?“
Sie zuckte nur mit den Achseln. „Kann doch sein, dass die Wandler irgendwo da draußen sind und auf uns warten.“ Leonore streifte eine Haarsträhne hinters Ohr. „Aber das erklärt nicht, warum ich Sanne mit Silber umgelegt habe.“ Sie schaute ihn an. „Du bist der Ältere: Wieso geht das?“
Die gleiche Frage stellte sich Theo auch.
Auf die Welt gekommen war er um 1910 als Theodor Charles Heinrich Hansen im schönen Hamburg. Heute lebte er mal hier, mal dort, jenseits von Krankenversicherung und Personalausweis.
Irgendein Arschloch hatte ihn zum Blutsauger gemacht und ihn rücksichtslos liegen lassen.
Gelernt hatte Theo über seine Art alles bloß aus Romanen und Filmen: Sonnenlicht war tödlich, Vampire starben durch Pfählen, Enthaupten oder Verbrennen, durch Weihwasser, durch Kreuze, durch UV-Licht-Geschosse.
Daran hatte er sich orientiert, offenbar zu naiv.
Er hob Susannes Kopf an und ließ ihn in den Schnee fallen, Flöckchen stoben nervös davon. Die Blutsaugerin blieb terminiert.
Silberkugeln, für ihn fremd und neu auf der Todesliste, funktionierten also jetzt auch.
Für ihn stellte sich die Frage: War es der Treffer in den Schädel oder ins Herz? Und was war mit zu Staub zerfallen?
„Das mit den Kreuzen“, sagte Leonore nachdenklich neben ihm, „hätte bei mir nicht geklappt.“
„Bitte?“ Theos Vampirweltbild drohte eine erneute Erschütterung.
„Du meintest, ich hätte sie mit Kreuzen beschossen und damit erledigt“, erklärte sie. „Aber bei mir wirken keine Kreuze. Und kein Weihwasser, keine Hostien. Nix, was mit Glauben zu tun hat.“
Theo erhob sich verwundert und blinzelte. „Was redest du denn da?“, stieß er hervor. „Vampire müssen vor den Symbolen des Guten …“
Leonore hob beschwichtigend eine Hand. „Ich war schon immer Atheistin. Weder glaube ich an Gott noch an Allah noch an Buddha oder … einen heilsbringenden Baum. Götter sind mir ziemlich egal. Aber ich mag den Geruch von Weihrauch. Und das Orgelspiel. Deswegen gehe ich ganz gerne in die Kirche, und …“
Theo lehnte sich an die Wand. In seinem Verstand arbeitete es fieberhaft.
Und seine größte Sorge war: Was stimmte überhaupt von dem, was er vermeintlich über seine eigene Spezies wusste?
Und was nicht?
Was, wenn er seine Existenz aus Unwissenheit selbst beendete?
Das durfte keinesfalls geschehen!
„Hätte ich dir das früher sagen sollen?“ Leonore klang unsicher. „Ich dachte, du magst mich dann vielleicht nicht mehr, weil ich anders bin?“
Theo rieb sich über die Stirn und über die kurzen, braunen Haare. „Nein, nein. Das war … gut. Ich …“ Er betrachtete die Leiche. „Wir schaffen sie in den Kühlraum. Zerleg sie und mach was Leckeres draus. Ich setze sie als Kalbsbraten auf die Karte.“ Mit dem Fuß öffnete er die Klappe im Boden, die zum Ladelift sowie der Hintertür des Retro führte.
Leonore schob die Blutsaugerin in die Öffnung; rumpelnd schlug die Leiche im Dunkeln auf. Die Schwarzhaarige sprang hinterher, Theo warf ihr den Schlüssel für die untere Tür zu und kehrte zurück in die Bar.
Er hatte entschieden, dass er ausnahmsweise einen guten Vorsatz für das neue Jahr haben würde: herausfinden, für was Vampire anfällig waren und für was nicht.
Er brauchte Fachliteratur.
Bessere Fachliteratur als Romane und besseres Anschauungsmaterial als Filme.
„Ihre Schürze“, machte ihn ein Gast im Vorbeigehen aufmerksam.
Theo schaute nach unten: rote Pünktchen, Streifen auf seiner Schürze. Sannes Blut. „Ah, immer diese Erdbeer-Margaritas“, sagte er lachend und nahm die teure Strickjacke der Vampirin mit. Für Secondhand-Verkauf im Internet.
Hinter der Theke tauschte er die verunreinigte Schürze gegen eine frische und gab den Barkeeper, der von allen gemocht wurde.
Er sah Leonore vor seinem geistigen Auge, die sich gerade mit Hingabe ums Zerlegen der toten Untoten kümmerte.
Unbedingt musste er dem Koch noch sagen, dass es ab morgen Kalb gab.
***
„Wie ich es Ihnen vorgesagt habe, Mister Singh. Ihre Aktien von Elbe Industries sind um zwanzig Prozent gestiegen, nachdem der Newcomer unter den deutschen Rüstungskonzernen den Auftrag für die intelligenten Artilleriegeschosse bekommen hat“, referierte Kordian in perfektem Britisch-Englisch ins Headset. Muttersprachlervorteil.
Der 22-Jährige saß vor seinem Triptychon, dem Schrein des Geldes, und das Licht beleuchtete ihn mystisch-bläulich. Auf den äußeren Displays hatte er die letzten Kursstände verschiedener Börsen im Blick, auf dem mittleren sprach er mit seinem indischen Großkunden. Wie immer bei Terminen trug er schwarzen Anzug, weißes Hemd und grüne Krawatte. Die Deckenleuchter in seiner Zimmerkathedrale des Mammons waren gelöscht.
„Ich hätte es nie geglaubt! Vielen Dank für Ihre Beratung. Dann würden Sie empfehlen zu verkaufen, Mister Mygicura?“, erkundigte sich Singh. Der Megareiche gehörte zu den Frühaufstehern, was der Besprechung beim Zeitunterschied Deutschland–Indien entgegenkam. Er bevorzugte Kurta, der dunkle Bart war gestylt, und auf den Haaren prangte ein violetter Turban. „Zwanzig Prozent sind ein guter Gewinn.“
„Unter normalen Umständen, ja. Aber ich habe Insider sagen hören, dass Elbe Industries eine neue Haubitze vorstellen wird. Die letzten Tests laufen“, sagte Kordian und lächelte in die Linse. „Halten wir die Wertpapiere, werden in drei Wochen weitere zehn Prozent hinzukommen.“
Singh atmete tief durch. „Aber sollten die Tests schlecht laufen …“
„Werden sie nicht. Vertrauen Sie mir, Mister Singh.“ Kordian wusste, dass er mit Glatze, blondem Schnauz- und Kinnbart wie ein Junge auf den vierzig Jahre älteren Multimillionär wirkte, der versuchte, eine Hipster-Musketier-Neuinterpretation zu sein.
Die Diamantohrringe besaß er schon ewig, und die Tätowierungen auf den Fingern – SPELL und CAST – trug er wegen seines Rufs als Wunderkind und Zauberer der Finanzmärkte; dass die LL ein bisschen gepresst auf dem Zeigefinger saßen, störte ihn nicht. Nicht umsonst lautete sein Spitzname Magic, den er sich in der Schule dank seines polnischen Nachnamens eingefangen hatte.
„Das tue ich, Mister Mygicura.“ Singh nickte. „Na schön. Halten wir die Aktien.“ Er blickte auf die Luxusuhr an seinem Handgelenk. „Bei Ihnen ist es sehr spät. Schlafen Sie niemals?“
„Selten.“
„Man könnte Sie für einen Vampir halten.“
„Oh, in Frankfurt gibt es viele Blutsauger, Sir. Unser Lebenssaft ist Geld, und wir arbeiten rund um die Uhr. Time is money.“ Kordian lächelte zuversichtlich. „Aber Sie haben recht. Zeit für etwas Schlaf. Namaste, Mister Singh.“
„Namaste, Mister Mygicura. Vergessen Sie Ihre Provision nicht!“
„Ich warte damit, bis wir die dreißig Prozent haben, Sir. Damit Sie sehen, wie sehr ich mir selbst vertraue.“
Singh lachte, grüßte mit einer Hand und unterbrach die Verbindung.
Kordian zog das Headset vom Kopf und schaltete die Gewinner und Verlierer der Börse Frankfurt auf den mittleren Monitor. Seine Abendstudie, bevor er zu Bett gehen würde. Danach noch eine Runde online Computer zocken. Zum Runterkommen. Nichts entspannte so gut wie ein Raid in einer Fantasywelt.
In diesem Moment krachte es dreimal schnell hintereinander, und vor seinem Fenster im dritten Stock blitzte es reflektierend an der Wand gegenüber.
„Scheiße! Was …?“ Kordian erhob sich aus seinem Sessel und begab sich zum Fenster, um in die Seitengasse zu blicken. Das Handy hielt er bereits in der Hand, um die Polizei anzurufen.
In der schwach beleuchteten Straße stand ein Pärchen, das sich aufgeregt unterhielt und mit einer blonden Leiche hantierte.
„Das gibt’s doch nicht“, murmelte er. Kordian kannte sie.
Er hieß Theo – Barkeeper –, sie Leonore – Spülerin. Beide arbeiteten im Retro, das unmittelbar an die Gasse angrenzte. Sie schwenkte eine stylische Halbautomatik, aus deren Mündung letzter Rauch kräuselte, und wirkte wie Theo unfassbar gefasst. Zur Ablenkung von ihren drei Schüssen warf sie durchdacht Böller auf die Straße, die laut detonierten.
Und genau diese Durchdachtheit machte Kordian zusätzlich stutzig: Etwas stimmte nicht an ihrem Verhalten.
Was geht da unten vor?
Er öffnete das Fenster, um etwas von der Unterhaltung mitzubekommen. Sein Deutsch war sehr gut, er hatte es im Elite-Internat in England gelernt, genau wie ein halbes Dutzend anderer Sprachen.
Die hohen Wände dienten als Reflektoren, welche die Stimmen zwar verstärkten, doch gleichzeitig so verzerrten, als stammte die Unterhaltung aus einem uralten Hörspiel mit minderer Qualität.
Kordian vernahm eine sehr, sehr seltsame, teils verstörende Unterredung, die sich um die Wirkung von Kreuzen, die Vernichtung von Vampiren, Silber und die Entsorgung der Leiche drehte.
Auch wenn er schätzte, dass wegen der Verzerrung nur die Hälfte des Wortwechsels stimmte, blieb der Dialog extrem merkwürdig; die Ruhe von Theo und Leonore, die schon seit langer Zeit Blutsauger sein wollten, hielt dabei an.
Das ließ ihn vermuten: Das sind Live-Rollenspieler!
Erleichtert atmete Kordian auf.
Als Onlinezocker von verschiedenen Fantasygames hatte er vom sogenannten LARP, dem Live Action Roleplay, natürlich gehört.
Manche spielten es als eine Art Stegreiftheater in passender Gewandung auf großen Events auf Burgen und Schlössern und Zeltplätzen, mit Schwerpunkt auf Fantasy-Abenteuern.
Dann gab es noch Gruppen, die in Großstädten agierten, heimlich, ohne das Wissen ihrer Umgebung – unter anderem als Vampire in der heutigen Gegenwart.
Theo, Leonore sowie die unbekannte Blonde gehörten wohl zu ihnen.
Oder es waren Cosplayer, die eine Szene aus einem Vampirfilm nachinszeniert hatten, um es im Netz hochzuladen.
Oder sie sind komplett irre und haben die Frau doch abgeknallt. Kordian beobachtete, wie der Barkeeper um die Ecke bog und im Retro verschwand, während Leonore die vermeintliche Leiche in den Lieferschacht des Lokals fallen ließ.
Nun erkannte Kordian auch das Opfer: Sanne, eine gut gebaute, sexuell sehr aktive Besucherin des Retro, die ihn mehrfach angemacht hatte. Allerdings stand er nicht auf Frauen wie sie. Angeblich sollte die Tote zerlegt und als Kalbsbraten an die Gäste verfüttert werden. Beweismittelentsorgung auf kulinarische Weise.
Dann kehrte Stille in der verlassenen Gasse ein.
Unschlüssig stand Kordian am geöffneten Fenster, durch das eisige Winterluft in die Kathedrale des Mammons strömte und ihn zum Frösteln brachte. Die Worte LARP und Cosplay waberten durch seinen Verstand und wurden von Fragezeichen umspielt.
Wenn ich mich damit irre, bin ich Zeuge eines Mordes gewesen, den zwei Wahnsinnige verübt haben. Und niemand hätte die Polizei gerufen.
Die latent absurde Situation verlangte nach Sicherheit.
Also stieg Kordian erst in seine Turnschuhe, danach aus dem Fenster auf die rutschige Feuerleiter und wagte sich an die Sprossen, um Sekunden darauf in der Seitengasse zu stehen. Vor einer Pfütze aus gefrierendem Blut, in die Schneeflocken trudelten.
Daneben blinkten drei große Patronenhülsen im schwachen Laternenlicht, auf die sich das Weiß verbergend senkte.
Die rote Spur führte zur Ladeluke, die einladend offenstand.
Noch war nichts sicher aufgeklärt. Es konnte ein heimlicher LARP- oder Cosplaytest gewesen sein.
Das fand Kordian allerdings nur heraus, wenn er Leonore in die Küche hinunterfolgte und checkte, was mit Sanne geschah: Entweder die Blondine wärmte sich gerade bei einer Tasse Kaffee oder sie wurde just von der Spülerin ausgebeint.
Seine Augen blieben auf den verdunkelten Schacht gerichtet.
Jeder normale Mensch hätte an dieser Stelle die Flucht ergriffen.
Vielleicht die Polizei gerufen, anonym, um einen Tipp abzugeben und nicht selbst in Gefahr zu geraten.
So oder so wäre das absurde Erlebnis fortan für diese Person beendet.
Aber Kordian brachte andere Voraussetzungen als der gemeine Durchschnittsmann mit, sei es hier oder in seiner Heimat.
Schnell kletterte er in die offene Kellerluke und folgte im Schummerlicht den Tropfen am Boden entlang durch den engen Gang, in dem es nach Moder und Bier roch.
„Fuck!“, erklang der Fluch einer Frau aus einer fast vollständig geschlossenen Tür, gefolgt von einem harten, metallischen Schlag.
Der feuchtwarme Geruch von frischem Blut und rohem, geschnittenen Fleisch stieg Kordian in die Nase.
Aber ein Beweis war es immer noch nicht.
Nur um sicherzugehen, pirschte er näher an das anlehnte Türblatt und schaute durch den schmalen Spalt, aus dem unvermittelt der Gestank von Urin und Gedärmen schwappte, sodass er die Luft anhalten musste.
In einem karg eingerichteten Raum stand Leonore in Blut getränkt – und schwarzer Unterwäsche – vor einem rustikalen Tisch, auf dem ein abgetrennter Frauenarm lag. Sie schwang ein Hackbeil und kappte die Gliedmaße genau im Ellbogengelenk.
Kordian schaute nach rechts.
Sanne baumelte an den Füßen aufgehängt nackt von der Decke; ihre Gedärme lagen bereits nach einem senkrechten Bauchschnitt dampfend in einem Bottich. Blut tropfte aus ihrer Kehle in einen untergestellten Eimer. Die langen, blonden Haare waren geschoren.
Leonore trennte mit einem harten Hieb die Hand vom Unterarm ab, um die Stücke in einen großen Topf Wasser zu werfen. Pseudo-Kalbsbrühe.
Nein, es war kein Scherz gewesen: Sanne wurde gerade zerlegt!
Langsam schritt die Schwarzhaarige zum Bluteimer, als flaniere sie.
„Nur mal naschen“, raunte Leonore verteidigend vor sich selbst und ging in die Hocke, tunkte den kleinen Finger in das flüssige Rot, um es abzulecken.
„Mmh“, machte sie unschlüssig und schmatzte mit offenem Mund wie eine Sommelière auf der Suche nach bestimmten Aromen. „Gar nicht mal übel, Schlampe. Aber irgendein Unterton, der mir nicht zusagt“, sagte sie zur Leiche, aus deren Loch in der Stirn ein Rinnsal sickerte. Beim Sprechen wurden ihre Fangzähne sichtbar. „Menschen sind mir echt lieber. Vielleicht mag Theo dein Blut. Sonst mache ich Tote Oma daraus. Nu, damit die Bänga mal was Leckeres aus’m Osden begomm’n, nich wa?“, sprach sie mit sächsischem Dialekt und tätschelte die Wange der Toten; der Kadaver schwang leicht an den Ketten.
Angeekelt, entsetzt wich Kordian von dem Türspalt zurück und bewegte sich bedächtig, damit er keine Geräusche verursachte, durch den Gang zurück zur Ladeluke des Retro.