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"Sie sind unglaublich sexy!" Katie glaubt zu träumen, aber es ist wahr: Nathaniel Wolfe, Hollywoods skandalumwitterter Bad Boy und Gegenstand erotischer Fantasien von Millionen Frauen, nimmt sie mit auf seine paradiesische Privatinsel und versucht sie zu verführen! Doch ist Nathaniel wirklich aufrichtig - oder spielt er eine Rolle? Als aus heiterem Himmel die Paparazzi auftauchen, behauptet er plötzlich, sie seien verlobt. Eine Lüge, um Katie zu schützen? Oder ist ihre Beziehung für ihn nur ein Publicity-Trick, weil er für sein Image eine Frau an seiner Seite braucht?
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Seitenzahl: 192
Sarah Morgan
Verräterische Gefühle
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
© 2011 by Harlequin Books S.A. Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2028 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Gudrun Bothe
Fotos: Harlequin Books S.A., gettyimages
Veröffentlicht im ePub Format im 07/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86494-139-9
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Wie alles begann …
Über Jahrhunderte hinweg verkörperte die Wolfe-Dynastie Reichtum und Glamour. Der Familienstammsitz Wolfe Manor, idyllisch gelegen im Herzen von Buckinghamshire, weckte in jedem, dessen Blick darauf fiel, Bewunderung und Neid. Doch die gegenwärtige Generation hütete ein schreckliches Geheimnis.Nach außen hin führten die Wolfes ein perfektes Leben, aber hinter den massiven Mauern des herrschaftlichen Anwesens war nichts so, wie es nach außen hin schien …
William Wolfe – Patriarch der Wolfe-Dynastie – Liebling der Paparazzi, Einzelkämpfer und eigenwilliger Geschäftsmann, präsentierte sich der Öffentlichkeit als hingebungsvoller Vater einer liebenswerten Kinderschar.Niemand ahnte, was sich tatsächlich hinter dieser anrührenden Fassade verbarg … Ungeliebt und seiner despotischen Willkür hilflos ausgeliefert, stützten sich die Geschwister untereinander, so gut sie konnten. Doch hauptsächlich war es Jacob, der Älteste, auf den sich alle verließen. Bis zu jenem schicksalhaften Abend, als die Familie nach einem furchtbaren Zwischenfall, der mit dem Tod des Vaters endete, aufhörte zu existieren … Jacob flüchtete, gerade mal achtzehn Jahre alt, von Wolfe Manor und überließ seinejüngeren Geschwister sich selbst.
In den folgenden Jahren sahen sich einige der Wolfe Kindergelegentlich an Feiertagen wie Weihnachten oder auf dem internationalen Society-Parkett. So erfolgreich jeder von ihnen auch wurde, ergab sich in zwanzig langen Jahren nicht eine einzige Gelegenheit, zu der sich alle acht Geschwister trafen.
Aber das sollte sich jetzt ändern. Nach Beschwerden über das marode Familienanwesen schritt die Baubehörde ein und machte den derzeitigen Besitzer ausfindig: Jacob Wolfe. An ihn erging die Aufforderung, dafür Sorge zu tragen, dass Wolfe Manor nicht länger eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt …
Wir schreiben das Jahr 2012 … Jacob Wolfe kehrt zurück! Konnte die Zeit alle Wunden heilen? Wird die Kraft der Liebe auch hier siegen?Und wird die Dynastie jemals wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen?
Sie warten darauf, dass ich versage …
Nathaniel Wolfe, Hollywoods Bad Boy und Gegenstand erotischer Fantasien von Millionen Frauen, stand allein hinter der Bühne des berühmten Londoner Theaters und lauschte dem gedämpften Stimmgewirr des Publikums.
Die Frauen waren gekommen, um festzustellen, ob die Life-Version mit der Bildschirmvariante mithalten konnte, während die Männer sehen wollten, wie es tatsächlich um sein Schauspieltalent stand. Und die Kritiker wetzten ihre Messer, seit bekannt war, dass er die Hauptrolle in einer modernen Interpretation von Shakespeares Richard II spielen würde.
Nathaniel machte sich keine Illusionen – man traute ihm diese Rolle nicht zu. Seine Auszeichnungen, den weltweiten Beifall und die riesigen Kinoerfolge hielten die meisten für das Resultat einer geschickten Kameraführung in Verbindung mit seinem attraktiven Äußeren.
Talent war es ganz bestimmt nicht … in ihren Augen.
Ein zynisches Lächeln kräuselte die klassisch geschnittenen Lippen. Er würde ihre Vorbehalte zu Staub pulverisieren und in die Stratosphäre beamen! In wenigen Stunden wagte es unter Garantie niemand mehr, sein Talent anzuzweifeln.
Statt der Schlagzeile Kann „Big Bad Wolfe“ überhaupt schauspielern? würde es heißen „Big Bad Wolfe“, macht Kritiker mit schauspielerischer Glanzleistung mundtot!
Auf diesen Brettern, die die Welt bedeuteten, wollte er dem Londoner Publikum ein emotionales Meisterwerk präsentieren. Nathaniel wechselte einen kurzen Blick mit dem Intendanten, der angespannt im Hintergrund verharrte. Zwischen ihnen hatte es heftige Auseinandersetzungen über die Art und Weise gegeben, wie der berühmte Hollywoodmime seine Rolle interpretierte und umsetzen wollte. Dabei erkannten beide im Verlauf ihrer Kontroverse, dass sie im Zusammenspiel ihrer kreativen Kräfte etwas Einmaliges schufen, das in die Geschichte dieses Theaters eingehen würde.
Als der Moment gekommen war, schloss Nathaniel die Augen und blendete alles um sich herum aus. Ein Ritual, das bewirkte, dass die Person Nathaniel Wolfe innerhalb von Sekunden aufhörte zu existieren.
Er war Richard II, König von England …
Das war sein Kunstgriff – er verwandelte die Rolle in Realität und spielte nicht einfach den fremden Charakter, sondern machte ihn zu seinem eigenen. Mit neun Jahren hatte er diesen Trick entdeckt. Er schlüpfte in die Haut eines anderen und versteckte sich darin. So war er der Dunkelheit entkommen, die sein Leben zu ersticken drohte.
Er konnte sein, was er wollte: Ninjakämpfer, Ritter, Drachentöter, Vampir oder Superheld. In seiner Verzweiflung verlieh er sich auf diese Weise selbst die Kraft zu kämpfen, zu überleben und die zu beschützen, die er liebte.
In eine fremde Rolle zu schlüpfen, wurde Nathaniel zur Gewohnheit. Und so lebte er auch heute noch … allein und in Verkleidung, angewiesen auf nichts und niemanden.
Jemand anderer zu sein, bereitete ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sein einziges Problem war Nathaniel Wolfe …
„Das Kleid macht Sie absolut nicht dick!“ Nur mit Mühe gelang es ihr, das Korsett über neu hinzugekommenen Speckröllchen ein Stück zu schließen. „Die Farbe schmeichelt Ihnen. Vergessen Sie nicht, dass Sie die Duchess of Gloucester sind. Da müssen Sie …“, Katie brach ab, als die Schauspielerin den Kopf wandte und ihr einen warnenden Blick zuwarf, „… staatsmännisch wirken“, vollendete sie tapfer den Satz. „Würdevoll und gravitätisch.“
„Mit anderen Worten … ich sehe alt und fett aus.“
„Niemals! Ich habe das Kostüm mit viel Bedacht ausgewählt.“ Zu spät merkte Katie, dass diese Versicherung durchaus missverständlich aufgefasst werden konnte, und errötete heftig. Wenn sie doch nur mit mehr Taktgefühl und Diplomatie gesegnet wäre! „Sie spielen eine trauernde Witwe, da können sie unmöglich strahlend und heiter auftreten.“
„Wollen Sie mir auch noch vorschreiben, wie ich meine Rolle interpretieren soll?“
„Nein, ich möchte nur, dass Sie erkennen, wie perfekt Sie in diese Rolle passen. Bitte, versuchen Sie, sich zu entspannen.“
Die alternde Diva schnaubte. „Wie soll ich das denn anstellen, wenn ich neben Nathaniel Wolfe auf der Bühne stehe? Er ist bissig, launenhaft und schrecklich sarkastisch! Als mir gestern ein winzig kleiner Fehler unterlaufen ist …“
„Hat er kein Wort gesagt, sondern Sie nur angeschaut“, nahm Katie ihr den Wind aus den Segeln.
„Aber wie! Sie haben ja keine Ahnung, wie destruktiv ein Blick sein kann, besonders, wenn er von Nathaniel Wolfe kommt! Als wenn man von einem Laserstrahl getroffen wird …“ Mit jedem Wort nahm ihre Erregung zu. Jetzt wedelte sie Katie mit einer gereizten Geste zur Seite. „Gehen Sie! Menschen, die kein Verständnis für mein Temperament und meine Gefühle aufbringen, ertrage ich einfach nicht.“
Temperament? Gefühle? Mürrisch und reizbar wäre wohl eher zutreffend, dachte Katie bei sich, behielt aber die Ruhe. „Ich muss erst noch den Reißverschluss von Ihrer Korsage schließen.“ Frustriert stellte sie fest, dass ihre Hände zitterten. „Hören Sie, wir sind alle gestresst.“
„Weswegen sollten Sie Stress haben?“, wurde sie höhnisch unterbrochen.
„Nun, ich …“ Fast hätte Katie der ältlichen Schauspielerin von ihrem bevorstehenden Treffen mit der berühmten englischen Kostümdesignerin erzählt und was davon für sie abhing. Und über die Verbindlichkeiten, die so hoch waren, dass sie jede Nacht wach lag und mit klopfendem Herzen nach Auswegen aus der Schuldenfalle suchte. Doch wenn morgen alles glatt lief, wäre das die Wende …
„Sie können ja nicht einmal erahnen, wie es ist, neben einem Hollywoodstar bestehen zu müssen! Und das im Wissen, dass alle nur gekommen sind, um ihn zu sehen.“
„Bitte beruhigen Sie sich, es ist nur das Lampenfieber vor der Premiere, das alle kennen.“
„Alle außer Nathaniel Wolfe!“, fauchte die andere giftig. „Der ist so unbeweglich wie ein Eisberg und genauso kalt. Niemand wagt sich dicht an ihn heran, aus Angst, selbst zu vereisen.“
„Um dann wie die Titanic zu versinken …“, murmelte Katie abwesend.
„Wollen Sie mich jetzt auch noch mit der Titanic vergleichen?“
„Nein!“, rief Katie ehrlich entsetzt. „Sie sehen wirklich toll aus, und das Kleid sitzt absolut perfekt.“
„Bald nicht mehr. Wenn ich Stress habe, muss ich essen. Sie sind jung und schön und haben keine Ahnung, wie ich mich fühle!“, warf sie Katie vor. „Warum lungern Sie eigentlich nie hinter der Bühne herum, um den unvergleichlichen Nathaniel Wolfe anzuschmachten wie Ihre Kolleginnen?“
„Weil ich unter Garantie ohnmächtig würde, sollte er mich womöglich bemerken. Zum Glück weiß er nicht einmal, dass ich existiere.“ In Katies letzten Worten schwang hörbares Bedauern mit. Sie riss sich zusammen. „Er nennt mich tatsächlich Freitag! Als wäre er Robinson, London eine einsame Insel und ich sein Leibsklave.“ Immer noch kämpfte sie mit dem Reißverschluss. „So, jetzt tief einatmen … okay, das wär’s. Nun muss ich aber los und mich um John of Gaunt kümmern.“
Rasch floh sie in die Kleiderkammer des Theaters, wohin sich zufällig auch gerade ihre Kollegin und enge Freundin Claire zurückgezogen hatte. Sie schmökerte in einem Hochglanzmagazin und sah schuldbewusst auf, als Katie den Raum betrat.
„Alles nur zu Recherchezwecken“, behauptete sie lachend, wurde aber gleich wieder ernst, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Freundin sah. „Du kommst wohl gerade von der grässlichen Duchess of Gloucester! Passt sie überhaupt noch in ihr Kostüm?“
„Mal gerade so!“ Seufzend ließ Katie sich auf einen Stuhl fallen. „Hast du eine Kopfschmerztablette für mich?“
„Sorry, gerade selbst geschluckt. Apropos Kopfschmerzen …“ Claire schlug ein paar Seiten in ihrer Zeitschrift um und hielt sie Katie hin. „Ich weiß nicht, ob du es überhaupt sehen willst, aber hier drin steht ein großer Artikel über deine Schwester. ‚Ist Paula Preston die schönste Frau der Welt?‘ Tja, ich würde sagen, auf jeden Fall die größte Airbrush-Ikone! Wie kommt es eigentlich, dass du Field heißt und sie Preston?“
„Paula will auf keinen Fall, dass man eine Verbindung zwischen uns herstellen kann. Es gefällt ihr, so zu tun, als existiere ihre Familie gar nicht.“ Katie betrachtete das Bild ihrer glamourösen Schwester und dachte daran, wie sehr ihre Mutter ums bloße Überleben kämpfen musste. Am liebsten hätte sie zum Telefon gegriffen, um Paula den Kopf zu waschen. Doch da sie aus Erfahrung wusste, wie wenig das brachte, ließ sie es lieber gleich.
„Von der Spielsucht unseres Vaters zu erfahren, hat sie ebenso schockiert wie mich. Doch Paula war in erster Linie wütend auf Mum, weil sie ihm immer wieder verziehen hat. Sie gibt ihr die Schuld daran, dass während unserer Kindheit nie Geld da war und jetzt wohl auch noch das Haus verloren geht. Paula sieht nicht ein, dass sie für Mums Schwäche bezahlen soll.“
„Netter Zug!“
„Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass wir blutsverwandt sind.“ Gedankenverloren musterte Katie das perfekte Antlitz ihrer Schwester. „Ihr war schon immer alles zu wenig luxuriös, und die Sache mit Dad gab Paula den Rest. Darum bastelte sie sich ein glanzvolles Image zurecht, an dem niemand kratzen darf.“
Claire schnappte sich die Illustrierte, riss die Seiten mit dem kränkenden Artikel heraus, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. „So! Jetzt ist sie da, wo sie hingehört“, erklärte sie zufrieden. „Und ich sehe mir Bad Boy Wolfe auf der Bühne an. So etwas erlebt man schließlich nicht alle Tage! Kommst du mit?“
„Nein, ich muss noch einmal meine Bewerbungsunterlagen durchgehen.“
Ihre Freundin lachte. „Nette Ausrede, aber wie willst du es bis nach Hollywood schaffen, wenn du dich von den Stars dermaßen einschüchtern lässt?“
„Ich bin nicht eingeschüchtert.“
„Und ob! Du müsstest dich selbst mal sehen. Als du seine Beinlänge gemessen hast, warst du so rot wie eine Tomate.“
„Okay, vielleicht was Nathaniel Wolfe betrifft“, gab Katie widerstrebend zu und errötete schon wieder. „Aber er ist die absolute Ausnahme.“
„Heiß ist der Knabe, das muss man ihm lassen“, gab Claire zu.
„Ja, aber er ist nicht echt. Bei einem Schauspieler weiß man doch nie, ob er aufrichtig ist oder eine Rolle spielt. Ich meine, wenn Nathaniel Wolfe jemals zu dir sagen würde ‚Ich liebe dich‘ … könntest du ihm das ernsthaft abnehmen?“
„Kaum! Ich habe nämlich zufällig gehört, wie er den Intendanten darüber belehrte, dass LIEBE nichts weiter als ein Wort mit fünf Buchstaben sei. Und dass er fünfbuchstabige Wörter grundsätzlich nicht benutze! Weißt du eigentlich, dass sämtliche Karten für die Premiere innerhalb von nur zehn Minuten ausverkauft waren? Zehn Minuten! Unglaublich, oder? Besonders, wenn man bedenkt, dass Shakespeare für viele Leute reines Kauderwelsch ist! Macbeth, der mit einem Totenschädel spricht …“
„Hamlet“, unterbrach Katie sie trocken.
„Wie auch immer, englische Literatur war noch nie meine Stärke. Ich dachte immer Chaucer wäre das Ding unter einer Teetasse.“
„Du meinst Saucer, die Untertasse, im Gegensatz zu Geoffrey Chaucer, dem Verfasser der Canterbury Tales“, stellte Katie ohne einen Anflug von Kritik richtig.
„Genau den! Aber Bad Boy Wolfe könnte auch das Londoner Telefonbuch vorlesen, und das Publikum würde ihm zu Füßen liegen. Der Mann hat jeden Preis gewonnen, außer dem Sapphire Screen Award.“
Katie dachte an den unglaublichen Wirbel, der um den wichtigsten aller Filmpreise gemacht wurde. „Immerhin ist er zum dritten Mal nominiert.“
„Und ich finde, er hätte ihn auch wirklich verdient!“
„Hör mal, Claire“, begann Katie zögernd, „… was heute Abend betrifft …“
„Oh, nein, du wirst mich nicht versetzen, also spar dir jede fadenscheinige Ausrede“, blockte ihre Freundin ab. „Um elf geht’s los, und wir müssen mörderisch sexy aussehen. Zieh irgendwas an, das deine besten Seiten freilässt.“
„Niemals!“, rief Katie entsetzt. „Ich weiß ohnehin nicht, wie ich mich von dir zu einem Speed-Dating habe überreden lassen können.“
„Weil du einfach ein Knaller bist, Katie“, erwiderte Claire liebevoll. „Du hältst dich nur für fett, weil du dich dauernd mit deiner magersüchtigen Schwester vergleichst.“
„Ich fühle mich so … so unfit. Wenn diese Spielzeit vorbei ist, werde ich wieder diszipliniert Sport treiben. Es ist wirklich deprimierend, ständig das muskelbepackte Kraftpaket Nathaniel Wolfe vor Augen zu haben, während ich kaum eine Wasserflasche anheben kann.“
„Er sieht absolut scharf in der Lederjacke aus, die du ihm verpasst hast“, bestätigte Claire mit glitzernden Augen. „Du hast wirklich ein sagenhaftes Talent, für jeden das optimale Outfit auszugraben.“
„Das Kostüm sollte den Charakter der Rolle widerspiegeln, wenn man dem Mimen auf seine emotionale Reise folgt und …“ Als sie Claires angewiderten Blick sah, brach Katie lachend ab und zupfte an ihrer alten Jeans. „Ich wage mich kaum zu fragen, was das hier über meine emotionale Reise aussagt. Definitiv Touristenklasse, würde ich meinen.“
„Deine Klamotten besagen nichts weiter, als dass du eine überarbeitete, unterbezahlte Kostümdesignerin bist, die keine Sekunde Zeit hat, sich um ihre eigene Garderobe zu kümmern.“
„Du hast die massiven Selbstzweifel vergessen“, erinnerte Katie sie.
„Quatsch! Du bist unglaublich talentiert. Und eines Tages wirst du entdeckt.“ Das schien für Claire außer Frage zu stehen.
„Dann wünschte ich wirklich, es würde lieber heute als morgen geschehen.“ Der Anflug von Panik in Katies Stimme war nicht zu überhören. „Das Haus schluckt jeden Penny, den ich verdiene. Es ist wie ein gefräßiges Monster.“
„Du musst deiner Mutter endlich sagen, wie schwer es dir fällt, es zu unterhalten. Warum verkauft sie es nicht?“
„Ihr Zuhause, in dem sie mit Dad gelebt hat?“ Erschöpft schloss Katie für einen Moment die Augen. „Jedes Mal, wenn ich sie besuche, versichert sie mir, es sei ihre einzige Motivation durchzuhalten …“ Katie öffnete die Augen und lächelte tapfer. „Wenn ich diesen Job bekomme, wird sich alles zum Besten wenden.“
„Wollen wir es hoffen! Mochtest du Nathaniel Wolfe eigentlich lieber in Alpha Man oder in Dare or Die?“, versuchte Claire ihre Freundin abzulenken.
„Alpha Man.“
„Ernsthaft? Obwohl er nur einen Soldaten gespielt hat, der in einer Spezialeinheit kämpft? Ich wusste gar nicht, dass du auf so was stehst.“
„Mir gefällt der dramaturgische Gedanke, dass er zunächst absolut herzlos erscheint und sich sogar selbst dafür hält, bis er zum Schluss die Tochter seines Feindes rettet …“ Prompt füllten sich Katies Augen mit Tränen. „Besonders, weil er sich für diese Aktion selbst opfern muss. Tagelang habe ich in meine Kissen geheult. Er war so unglaublich gut und authentisch. Und wenn es einen Sapphire Screen Award für den besten Body geben würde, hätte Nathaniel Wolfe ihn unter Garantie längst bekommen.“
„Apropos Sapphire Award …“ Claire blätterte erneut in ihrer Zeitschrift. „Hier ist auch ein Artikel über stylische Abendgarderobe. Es geht darum, wer was zur großen Preisverleihung in zwei Wochen anzieht. Vielleicht bist du ja interessiert.“
„Warum sollte ich? Kein Mensch wird mich je zu einer derartigen Veranstaltung einladen, was auch nur gut ist. Ich glaube nämlich kaum, dass man dort in Jeans reingelassen wird.“ Trotzdem schnappte sich Katie das Hochglanzmagazin und steckte es in ihre Tasche.
Claire sah auf ihre Uhr und sprang auf die Füße. „Grundgütiger! In fünf Minuten ist es so weit. Bist du auch ganz sicher, dass du nicht mitkommen willst?“
„Nein danke, du kannst ihn ja für uns beide anhimmeln …“
Erhobenen Hauptes trat Nathaniel auf die Bühne und starrte in die Dunkelheit. Wochenlang hatten sie geprobt, heute war die Stunde der Wahrheit da. Er sah weder das Publikum, noch dachte er an die Kritiker.
Er war Richard II, der gescheiterte König …
Gerade öffnete er den Mund, um seine ersten, einführenden Worte an John of Gaunt zu richten, da wurde die erste Sitzreihe von einem Spotlight erhellt. Nathaniels Finger krampften sich um die Krone in seiner Hand, während er in ein vertrautes Antlitz schaute.
Vertraut … und doch nicht vertraut.
Zwanzig lange Jahre hatten seine Züge verändert, aber doch nicht so sehr, dass er ihn nicht erkannt hätte. Der Schock traf ihn bis ins Mark und ließ sein Blut zu Eis gefrieren. Und dann raste die Vergangenheit in Überschallgeschwindigkeit auf ihn zu. Ein qualvolles Kaleidoskop von Erinnerungen brach aus den sorgfältig verschlossenen Türen seines Unterbewusstseins hervor wie eine geifernde Meute.
Schreie und Terror! Aufhören! Macht ein Ende! Blut … überall Blut! Tut etwas!
Er fühlte sich hilflos, so schrecklich hilflos. Sein Herz klopfte zum Zerspringen.
Nathaniel schaute auf seine verkrampften Hände, die immer noch die Krone umklammert hielten. Da war kein Blut. Seine Hände waren sauber. Trotzdem konnte er sich nicht bewegen. Sein Hirn war wie eingefroren, die Gliedmaßen gelähmt durch die Erkenntnis seiner eigenen Unzulänglichkeit.
Schuldgefühle überfielen ihn, und benommen fragte er sich, wie man gleichzeitig vor Kälte zittern und schweißgebadet sein konnte.
Das Raunen in den Zuschauerreihen erreichte ihn wie durch einen dichten Nebel. Verzweifelt kämpfte er darum, das Kapitel aus der Vergangenheit zu schließen und in seine aktuelle Rolle zurückzufinden.
Ich bin Richard! dachte er verschwommen. Richard der II, König von England …
Er versuchte es zu fühlen, doch es gelang ihm nicht. Alles schien ihm zu entgleiten. Nathaniel presste die Lider zusammen, doch als er sie wieder öffnete, blickte er in ein vertrautes Augenpaar, in dem er die unausweichliche Wahrheit las.
Du bist nicht Richard der II, sondern Nathaniel Wolfe, ein Schauspieler mit einem realen Hintergrund, der dramatischer nicht hätte sein können.
Wäre Shakespeare noch am Leben, hätte er aus der Wolfe-Familiensaga eine Tragödie in drei Akten gemacht! dachte Nathaniel bitter. Keine Komödie, kein Happy End. Nur das Leben in seiner schwärzesten Form. Immer noch versuchte er mit aller Gewalt, seine Fassung wiederzuerlangen, doch dabei versank er nur noch tiefer im Sumpf der Vergangenheit.
Warum kehrt er ausgerechnet heute zurück? fragte er sich dumpf. Warum jetzt, wo wir alle uns ein neues Leben aufgebaut haben?
Eine heiße Wut erfasste ihn mit einer Kraft, die ihn erschreckte und gleichzeitig auf eine fast magische Weise belebte. Er musste Annabelle warnen! Und zwar so schnell wie möglich!
Das leise Raunen im Theater steigerte sich langsam zu hörbaren Missfallenskundgebungen. Selbst die Zuschauer, die bisher geglaubt hatten, der Mime gebrauche die dramatische Pause, um seinem Auftritt ein Maximum an Spannung zu verleihen, merkten langsam, dass sie sich geirrt hatten.
Nathaniel hob das markante Kinn und straffte die breiten Schultern wie ein Kämpfer, der sich seinem Gegner stellt. Ein letztes Mal versuchte er, den eindrucksvollen Text zu deklamieren, doch er konnte sich nicht einmal an den Wortlaut erinnern. Seiner Tarnung beraubt, war er gezwungen, die Rolle zu spielen, die ihm sein Leben lang eher eine Last als eine Lust gewesen war … die des Nathaniel Wolfe.
„Ladys und Gentlemen …“ Seine tiefe Stimme, kalt und frei von jeder Emotion, drang bis in die hintersten Zuschauerränge. Sorgfältig achtete er darauf, nicht zu dem Mann in der ersten Reihe zu schauen. Sonst würde er sich womöglich noch so weit vergessen und von der Bühne stürzen, um ihn zu erwürgen. „Die heutige Vorstellung fällt aus. Bitte lassen Sie sich Ihr Geld an der Theaterkasse zurückgeben.“
Nachdem Katie noch einmal sorgfältig die Unterlagen für ihr anstehendes Bewerbungsgespräch durchgesehen hatte, streckte sie ausgiebig die verkrampften Gliedmaßen, unterdrückte ein Gähnen und verließ die Garderobe.
Hier, hinter der Theaterbühne war es geradezu gespenstisch still. Auf der anderen Seite des Vorhangs hing das Publikum gebannt an Nathaniels Lippen. Sie konnte die Szene förmlich vor sich sehen. Sekundenlang blieb Katie mit geschlossenen Augen stehen und ließ die besondere Atmosphäre ganz tief auf sich einwirken. Wie viele berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen mochten auf den geschichtsträchtigen Brettern dieses Theaters schon ihre Kunst gezeigt haben?
Sekundenlang war sie wieder das sechsjährige Mädchen, das mit seiner Schwester Paula Verkleiden spielte.
Du kannst keine Prinzessin sein, Katie. Dafür bist du viel zu fett und deine Haare sind zu kraus. Ich bin viel schöner, also spiele ich die Prinzessin. Aber du darfst mir beim Ankleiden helfen …
Was als kindliche Pflicht begonnen hatte, war schließlich ihre Leidenschaft geworden.
Als Paula für sich beschloss, es sei uncool, mit ihrer pummeligen kleinen Schwester herumzuhängen, begann Katie damit, ihre Freundinnen anzuziehen. Jeden Tag nach der Schule trafen sie sich, um in die schillernde Fantasiewelt der Märchen und Fabeln abzutauchen. Katie liebte es, jeder Rolle einen unverwechselbaren Charakter zu verleihen, und entwarf immer öfter auch eigene, ungewöhnliche Kostüme.
Eine Prinzessin mit Feuerschwert oder Elfen in Reithosen und Cowboystiefeln.
Ein lautes Geräusch aus Richtung der Bühne riss sie unsanft aus ihren Tagträumen. Lauschend neigte sie den Kopf. Was sich zunächst nach schweren Männerschritten angehört hatte, klang plötzlich wie ein durchgegangener Stier auf der Flucht. Was, um alles in der Welt, mochte das sein?
Vielleicht einer der Bühnenarbeiter? Oder ein besonders wagemutiger Journalist, der sich rücklings an den berühmten Schauspieler herangeschlichen hatte und plötzlich entdeckt worden war?