Verschiedene Freiheitskämpfer - Gottfried Keller - E-Book

Verschiedene Freiheitskämpfer E-Book

Gottfried Keller

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Beschreibung

Verschiedene Freiheitskämpfer ist eine Erzählung von Gottfried Keller. Auszug: Man sagt, daß die Löwin, wenn die Männchen um sie streiten, ruhig dem Kampfe zuschaue und dann mit demjenigen gehe, der zuletzt Meister bleibt. Sei diese Eigenschaft nun mehr dem Löwen oder mehr bloß dem Tiere im Löwen zuzuschreiben, so wird auch unter dem Menschengeschlecht zuweilen ein Teil der weiblichen Welt von ihr ergriffen, in den verschiedensten Ländern, im Norden wie im Süden, von der Magd in der Küche bis zur Herrin im Saal. Wenn nämlich ein siegreiches feindliches Heer, eine eingedrungene fremde Völkerschaft das Land besetzt hat und die eigene Mannschaft flüchtig, versprengt und unterdrückt ist, so dauert es keine Stunde, bis die Mädchen mit den Eingedrungenen Arm in Arm über die Gasse wandeln, und unter den Haustüren, an allen Brunnen wird ein Getue und eine Sache zum Erbarmen. Doch ist diese Erscheinung nur dann zu beobachten, wenn die Männer sich nicht gewehrt haben, wie sie gesollt, wenn überhaupt kein pflichttreuer Widerstand stattgefunden hat.

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Verschiedene Freiheitskämpfer

Verschiedene FreiheitskämpferBonus: Vom Fichtenbaum, dem Teiche und den WolkenAnmerkungenImpressum

Verschiedene Freiheitskämpfer

Man sagt, daß die Löwin, wenn die Männchen um sie streiten, ruhig dem Kampfe zuschaue und dann mit demjenigen gehe, der zuletzt Meister bleibt. Sei diese Eigenschaft nun mehr dem Löwen oder mehr bloß dem Tiere im Löwen zuzuschreiben, so wird auch unter dem Menschengeschlecht zuweilen ein Teil der weiblichen Welt von ihr ergriffen, in den verschiedensten Ländern, im Norden wie im Süden, von der Magd in der Küche bis zur Herrin im Saal. Wenn nämlich ein siegreiches feindliches Heer, eine eingedrungene fremde Völkerschaft das Land besetzt hat und die eigene Mannschaft flüchtig, versprengt und unterdrückt ist, so dauert es keine Stunde, bis die Mädchen mit den Eingedrungenen Arm in Arm über die Gasse wandeln, und unter den Haustüren, an allen Brunnen wird ein Getue und eine Sache zum Erbarmen. Doch ist diese Erscheinung nur dann zu beobachten, wenn die Männer sich nicht gewehrt haben, wie sie gesollt, wenn überhaupt kein pflichttreuer Widerstand stattgefunden hat.

Als im Frühjahr 1798 die fünfhundertjährige schweizerische Eidgenossenschaft unterging durch die schuldvolle Ratlosigkeit der alten Regenten, durch ihre leichtfertig verspäteten Zugeständnisse, durch die Unwissenheit und Unverständigkeit der Revolutionäre und ihren sittlichen Mangel an nationalem Selbständigkeitsgefühl, endlich durch den gewissenlosen Einbruch eines sogenannten französischen Befreiungsheeres, der nur durch alles das möglich wurde da ging die Löwenlaune auch unter vielen Schweizerinnen um. Zwar nicht an den Orten, wo das alte Ehrgefühl einen verzweifelten Kampf bestanden hatte; dort gab es erschlagene Frauen und Jungfrauen genug zum Zeugnis ihrer unwandelbaren Treue zu den Männern und der Ehre des Landes; aber anderwärts, wo die Männer, statt sich selber zu helfen, die Franzosen herbeigerufen hatten und sie bewunderungsvoll und untertänig angafften, oder wo man sie zwar haßte, aber zugleich fürchtete, da ließen sich die Weiber willig von ihnen den Hof machen. So bitter dies Schauspiel war, so begreiflich war es, wo die Männer, die vertriebenen Oligarchen anklagend, sich selber der politischen Unwissenheit und Unbeholfenheit beschuldigten und die große Nation der Neufranken – die soeben als große Dilettanten die eigene Republik zugrunde richteten – als ihre Lehrmeister der Freiheit begrüßten und verehrten. Es ist ein trauriger Vorwurf, wenn Kinder ihre Eltern einer mangelhaften Erziehung und der Verwahrlosung anklagen. Noch trauriger ist es, wenn gestürzte Regenten von den empörten Landeskindern den bittern Hohn hinnehmen müssen: ihr habt uns in Unwissenheit und Roheit gehalten, und dennoch haben wir euch besiegt. Allein die sich so als Unwissende und Rohe bekennen, werden darum nicht größer in den Augen des Weibes. Übrigens ist es eine schlechte Ausrede, wenn man sich der eigenen Unfähigkeit anklagt, um das Herbeiholen der Fremden zu beschönigen; denn wer sich nicht selber helfen kann, verdient eben noch nicht frei zu sein.

Auch die Jungfrau Babette Zulauf – nicht mehr ganz jung und Bürgerin eines alten Städtchens in der deutschen Schweiz, dessen Name hier verschwiegen bleibt – fühlte sich an einem schönen Frühlingstage des Jahres 1798 von jener Löwenlaune beseelt; denn man erwartete im Laufe des Nachmittages ein Bataillon einer französischen Halbbrigade, die man die schreckliche oder die schwarze Legion nannte. Das Städtlein hatte seit Jahrhunderten unter der Oberherrschaft zweier eidgenössischer Stände gelebt, aber nicht ohne seine eigene uralte Verfassung und Freiheiten, bestätigt durch die deutschen Kaiser sowohl als durch die verschiedenen Herren, die es besessen, bis es durch jene zwei Stände gemeinsam erobert wurde. Ihrerseits hatte die Stadt, während sie selbst Untertan war, zwei ansehnliche Dörfer zu Untertanen; aber nur über eines derselben übte sie die hohe Gerichtsbarkeit, die niedere gehörte einem entfernten Frauenkloster, welchem sie ein längst vertriebener Junker einst für einige Pfund Pfennige oder Schillinge verpfändet und das Einlösen vergessen hatte. Die hohe Gerichtsbarkeit des andern Dorfes besaß eine ihrerseits auch beherrschte Talschaft, welche das Dorf einst erobert und nach hundertjährigem Besitz wieder abgetreten hatte bis auf diesen Herrschaftsrest, für den sich kein »rechtmäßiger Besitzer« mehr vorfand. Übrigens verwalteten beide Dorfgemeinden sich selbst nach alten Öffnungen, die von eigentümlichen und phantasievollen Bestimmungen strotzten, deren verborgene Weisheit die Bauern genau zu deuten verstanden und deren sinnbildliche Einkleidung sie sorgfältig handhabten. Überdies waren selbst diese Dörfer nicht ohne alle Herrlichkeit, da sie gemeinschaftlich einige Gefälle bezogen von einem einsamen Hofe, welche sie einst einem bedrängten Johanniterhaus abgeschnappt hatten. Die Bewohner dieses Hofes endlich waren wiederum freie Männer und gehörten einem demokratischen Gemeinwesen an, das mit den souveränen Kantonen auf gleichen Füßen stand und mit einigen derselben irgendein unterworfenes Ländchen regierte.