Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im hohen Alter der Wunsch zu hinterlassen, was anregt und erfreut.: Gedichte von 2018 bis 2022.
Das E-Book Verschwende die Zeit, sie dauert länger als du. wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Lyrik, 2018, 2021, 2019, 2020
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 90
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Walter Dellers
Geboren am 28.2.28 und aufgewachsen zu Fürth in Franken, im September/Oktober 1939 Flucht nach Basel, unwillkommen, arm, aber sicher.
Studium Philologie, Philosophie, Doktorarbeit über Clemens Brentano.
Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Cambridge/England, Caius und Pembroke College. Lehrer am Wirtschaftsgymnasium Basel, Dozent am European American Study Center und an der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule.
Als Rentner Stellvertretungen an der Sehbehindertenschule Basel.
Tod der Gattin 2010 nach fast sechzigjähriger Ehe, sieben Söhne, sieben Enkel, vier Enkelinnen, ein Urenkel, zwei Urenkelinnen.
Heimat Deutschland, Umfeld Schweiz, Lebenskreis Europa.
2018
2019
2020
2021
2022
Seid ihr mir nah?
Rücke ich euch näher?
Gestern wart ihr um mich,
heute seid ihr in mir,
morgen, ja morgen
bin ich euer.
*
Habe meine Kindheit beschrieben –
»bricht ab«, »wie gehts denn weiter?«
»wäre spannend« –
Schicksal, Verhängnis,
mittelschwer verletzt,
aus dem Waisenhaus heraus
plötzlich mit zwölf erwachsen,
wieder auf den Beinen,
aufgerappelt,
versteinert
nach außen.
*
Do hotsn higschmissn,
do wor er fei bedeppert,
do is er wieder worn,
verwundet,
verwundert.
*
Die Schlüsselblume
mitten im Rasen,
mitten im Januar,
trotzt dem Frost in der Nacht,
leuchtet im hellen Mittag:
da bin ich.
*
War eine zauberhafte Nacht,
war eine harte Geburt,
Blut und Wasser und Schmerz,
und dann das Wunder in den Armen,
das warst du.
*
Frauen, die mich einst begehrten
oder liebten, schweben
lächelnd an mir vorüber,
aus dem vergangenen Dunkel
ihren unsichtbaren Zielen zu,
ich stapfe unentwegt
den stillen Feldweg hinauf
zum unbekannten Paradies.
*
Grimmiger Enkel, groß und stark
gewachsen, deine Gedanken brach,
ungepflügt, dein Gefühl unruhig,
umarmst dich selber im Nebel
wallender Weinwolken, ich
reiche dir, unsichtbar, die Hand.
*
Regelmäßige Rhythmen
alter Jazzkompositionen
sind die Herzschrittmacher
geruhsamer Abende.
*
In der Januarsonne
sprossen heute Vormittag
die lila Blüten
des Wiesenschaumkrauts
durchs leuchtendgrüne Moos
quer über den Garten hervor,
ungeduldig sich wiegend
im sanften Wind.
*
Die Jungen werden älter,
wie sichs gebührt,
doch ich verharre
unachtsam im
immer gleichen Rhythmus.
*
Kommst du mit mir tanzen
im Paradies, wo ich vielleicht
fröhlich verweile, bald,
damit ich nicht auch dort
mich allein des Daseins freue.
*
Als Mädchen huschte ich barfuß
durch Schuppen trocknender Ziegel,
neckte die Knaben von oben,
entsprang jeder Verfolgung –
nun ist mein achtzigjähriges Füßchen
schöner denn je, das sechste Zehlein
ist weg, das mittlere wieder gerade,
mein Geselle darf mit mir
mein neues Füßchen freudig betrachten.
*
Ich, kluges Köpfchen,
habe mir ein Fußhäuschen gebaut,
modern, aus durchlochtem Metall,
mit einer warmen Decke drüber,
darin zappeln meine
neugefügten Zehlein,
derweil ich oben ruhig schlafe.
*
Kaffee und Schokoladenwaffel,
ohne Pfeifenqualm im Winter,
Musik und Zeitung und Hinausgeträum
durchs Fenster in den verschämt
blühenden Schneeball-
und Schneeglöckchengarten:
Ruhestündchen im hohen Alter.
*
Einst? Da war was, fern,
Gutes, Schlimmes, Helles, Dunkles,
aber jetzt durchfließt mich der neue Tag,
trägt, stärkt, erfreut mich.
*
Graue Wolken draußen,
im Seelengarten Sonne,
verschwiegene Lauben,
zwischen den blühenden Rabatten
lustwandeln selige Paare.
*
Nie, als an der Basler Fasnacht,
mehr Arbeit, Ordnung, Ernst.
Ächtung aller Eseleien des Äons,
getrommelt, gepfiffen, geblasen,
trompetet, posaunt, fanfart,
gesungen mit witzigen Pfeilen,
Kulturerbe jahrlang geschaffen.
*
»Schnitzelbänke«
gesungen von gescheiten,
gewitzten Baslern
für verständige Zuhörer:
Sinn für Gerechtigkeit,
Fleiß und demokratisches
Verhalten alltäglich
und öffentlich:
erheiternd tröstlich
in der kalten
Winterwelt.
*
Nachts gehen die Geister
von Nord nach Süd
über die Eichenbohlen
durch mein Zimmer,
sind sie arg laut,
schnelle ich auf, lausche,
sie lassen sich nicht stören,
gehen hintereinander ihren
vorgeschriebenen Weg,
ich bräuchte nicht zu erschrecken,
sie kümmern sich nicht um mich,
gehen ohne Rücksicht ihren Gang,
einverleibt in die kalte
Ordnung der Welt.
*
Einstieg ins warme Bett,
die Nacht ist kalt,
Embryostellung, bis die
mütterliche Wärme sich ausbreitet,
dann erwachsenes Strecken,
hier bin ich beschützt,
komm, schöner Traum!
*
Frescobaldi spielt für mich
Toccaten auf dem Cembalo,
hergezaubert zwischen den Zweigen,
den Ästen, den Ästchen der Buchen im Garten
im kalten späten März.
*
Der Himmel hängt im frühen Frühling
mit grauer Decke über der Stadt,
Schnee fällt und deckt die Osterglocken,
sie blühen golden im Liegen.
*
Harmonie
Die Steine auf dem Pfad
räume ich weg.
Die spitzen kratzen, doch
fliegen sie leicht ins Gebüsch.
Die runden sind glatt, aber schwer,
ich brauche zwei Hände
und schiebe sie an den Rand
mit Mühe.
Der Weg glänzt.
*
Sommerabend am 20. April
im Gärtchen am Wielandplatz,
freudig erregtes Gespräch,
seltenes Lob der Frauen
des englischen Pfeifentabaks,
nach dem Konzert des Hang-Trios,
drei haben sich gefunden,
aus Leimen im Elsass,
aus Israel, aus Aarau,
der Gedenktag vergessen,
das Leben ist jetzt,
im Dämmerdunkel
am Wielandplatz zu Basel.
*
Pastis und Pfeife
auf dem Balkon
über den Dächern der Stadt,
der Jura grünt in der Ferne,
verheißungsvoll der Blick
in das unendliche Blau.
*
Saurier aus dem Boden von Frick,
vierhundertfünfzig Millionen Jahre,
Vorläufer der Vögel,
wer bist du, Partikelchen
im Weltgefüge?
Bloß hundert Jahre sind dir vergönnt
im Kampf ums Dasein,
von Sehnsucht getragen
nach ewiger Seligkeit.
*
Nennt sich Müllmuseum
in Wallbach am Hochrhein,
Erzeugnisse der Vorfahren,
einst gebraucht und geschätzt,
ausgestellt zur Erinnerung
den Staunenden.
*
Ah, ihr blauen Lupinen,
angewindet
im ungeschnittenen Gras,
ich lasse euch leuchten!
*
Die gelben Butterblumen
widerspiegeln die Sonne
im grünen Gras.
*
In den Sonnenduft
kräuselt sich der Pfeifenrauch
fröhlich hinauf.
*
Die Rosenknospen
warten schon prall
auf ihre Blütenzeit
im warmen Mai.
*
Haste was, so biste was.
Was hast du?
Träume.
Was bist du?
Sehnsucht.
*
Die Gänseblümchen, die Butterblumen,
die Lupinen, der Löwenzahn,
sie blühen alle und verwelken,
wie wir alle, fürs
biologische Gleichgewicht.
Barmherzig ist nur der Mensch.
*
Aeschenvorstadt Basel--- Mai 2018
Das Mittelalter verdrängt,
Autogerechtigkeit der
1950er Jahre:
breite Zufahrt zur Stadtmitte,
heute beherrscht vom Fahrrad
und der Straßenbahn,
lärmig komfortables Wohnen
über Geschäften und Menschengedränge.
*
Holbein kam in Paris nicht an,
so rühmt sich Basel heute
seiner tüchtigen Bilder.
*
So viele Menschen, so viele Bilder
im Kopf: Wünsche und Wüte,
Kaleidoskop von glücklichen
Sehnsüchten, tiefen und flachen,
durchsetzt
von egoistischen Viren:
ich bin ich.
*
Die Handelsbank brach
neunzehnhundertfünfundvierzig ein,
hatte zu sehr auf
den Aufschwung gesetzt,
den der Gröfaz in den
Untergang trieb,
nur wenige sahn es voraus.
*
Gegenüber die Kantonalbank:
in den Siebzigern Sohn Ruben
ausgebildet als »unser Herr Dellers«,
ein Aufsteiger.
*
Vor dem Tabakladen
rauche ich eine Pfeife,
diese Stadt ist mir
nicht Heimat geworden,
aber zufriedene
Lebensgewohnheit
mit vielen Freunden.
*
Die Frauen sind männlich geworden,
nur wenige tragen noch einen Rock,
Preis der Gleichberechtigung,
was ihr könnt, können wir auch,
nur das Leben
schenken wir allein.
**************
Konzert, Theater, Tanz und Lesung,
Schau, Museum, Grill, Gespräch,
Haushalt, Wäsche, Garten, Fernsehn,
Buchhaltung, Einkaufen, Post,
Ausflüge, Fahrten, Café und Kino,
Telefon, E-Mail und Messages,
Briefe, Geburtstagswünsche, Besuch,
Arzt und Zahnarzt, Turnen, Spazieren,
Zeitung, Buch, Schreiben, Denken,
Erinnern, Träumen, Planen,
Aktivitäten sonder Zahl,
allein, zu zweit, zu vielen:
Mensch unter Menschen.
*
Träumen und träumen und träumen,
auch handeln und wandeln,
aber träumen greift tiefer
nach innen,
erhellt und erfreut.
*
Waldhang im Mai
Unbewegt leuchten die Kieferkerzen,
die Birkenblätter tänzeln im Wind,
der Nussbaum wiegt sich leicht im Takt,
der Kirschbaum zeigt die kommenden Früchte,
erhaben prangen die weißen Dolden
der Kastanie
am Steilhang.
*
Spargel und Lachs und Ötlinger Sonnhole,
Gespräch über die Aufgaben der Politik,
die zu bewältigen wären,
wenn sie die Oberen sähen.
*
Gewitterneigung am Maiabend,
der Tag war heiß, war trocken,
es wird nicht regnen,
morgen muss ich die Wurzeln begießen,
sie strecken sich nach unten.
*
O weh, nun habe ich die bunten Blumen
im Gras alle geschnitten,
es musste sein, es ist schon Mai,
nun wird mich der grüne Teppich
ruhig durch den Sommer begleiten.
*
Die Wolken ziehn ab, die Bäume dunkeln,
goldene Fenster schimmern durch die Büsche,
die fröhlichen Stimmen der Jugend
perlen in die Nacht.
*
Berlin--- Mai 2018
In Steglitz ist der Himmel weit,
der Abendstern nah,
der Horizont rotgolden,
das verhangene Fenster ocker,
das Blau unendlich.
*
Oh, der Abendbalkon
mit den roten Geranien.
Der Bewohner darüber
gießt seine und meine.
Es sprüht fröhlich herunter,
wir erfreuen uns beide
am lebendigen Wasser.
*
Einst im Kinderwagen,
später den Kinderwagen geschoben,
jetzt im Rollstuhl:
Muttertag.
*
Der Abendstern über den Dächern
schwebt hoch und allein
auf dem apfelsinenen Horizont
silbern.
*
Die silberne Venus
über dem Apfelsinenhorizont
so weit weg.
*
Du warst der Himmel auf Erden,
die schäumenden Wellen der Nordsee,
das verflachende Land,
der versunkene Bunker.
*
Fünfundfünfzig Jahre
am Steglitzer Damm,
die Geschäfte gewechselt,
die Wirtschaften gehoben,
die Vielvölker berlinern.
*
Die Maisonne dezent
unter dem frischen Grün,
die Kinder an der Hand,
die Einkaufstüten gefüllt.
*
Die Kinder von der Schule abgeholt,
die Großstadt verlangts,
manche zu den Aufgaben nachhaus,
manche zu einem Eis von Opa.
*
Wenn ein Busfahrer erkrankt,
fährt kein Ersatz,
nachts am Innsbrucker Platz
vierzig Minuten gewartet,
ein Standbild.
*
Die Pfeife schmeckt überall,
englischer Duft,
manche nehmen ihn wahr,
erfreut.
*
Der runde Rücken,
rot gewandet,
kolossal,
den Menschen gehts gut.
*
Neunzig Jahre erreicht,
ist kein Verdienst,
ist Geschenk des Schicksals,
bin dankbar.
*
Der Nachmittag geht sanft
in den Abend über,
der Maiwind kühlt,
das Gewitter naht.
*
Mach dich auf den Heimweg
zur Borstellstraße,
bevor der Regen
deinen Schirm verlangt.
*
In vier Stunden von Schwäbisch Hall
nach Lankwitz zur Partnerin gebraust,
eine Woche monatlich,
ihr ists am schwäbischen Waldrand
zu einsam, Leute und Lärm muss sein,
jung ist im Alter das Auto.
*
Rings um Berlin hängen die Schauer,
über der Stadt strahlt die Sonne,
strahlt sie? Sie lacht durch die Schäfchendecke
auf die Raucher in den Straßencafés.
*
Verschwunden die Ahnen,
Großeltern, Eltern,
Frau und Sohn,
Geliebte und Freunde,
aber die anderen Söhne,
die Enkel gedeihen,
und neue Freunde
erwarten dich.
*
Der Himmelszeichner zieht
einen weißen Strich im fernen Westen,
im nahen Westen, im Süden,
und einen auf mich zu, er hat mich
auf dem Balkon erspäht, danke.
*
Der Abendhimmel ist mit
goldenen Schäfchen gesprenkelt,
der Wind frischt auf,
bläst mir stürmisch um die Haut,
wir lieben uns.
*
Chianti aus der Korbflasche,
Spaghetti, Zigarette zum Trost,
Essen mit Mastroianni
im »Ritrovo«, Schöneberg,
trauriges Nachdenken über
die Disharmonie
unter Männern und Frauen.
*
Die Pastorenfamilien aus Riga und Paris
feiern in Berlin
den Konfirmanden am Tag
des Feuerzungengeistes
an einer Tafel im »Opera«,
ihre Sonntagskleidermädchen
hüpfen zwischen den kühlen Stühlen
des windverblasenen Gartens
den fröhlichen Tag hindurch.
*
Das griechische Pfingsten mit dem
Geist Platons und den mitreißenden
Feuerzungen ist ein amtlicher Feiertag,
man fährt ins Freie, genießt die
erhaltene Natur, die Alten betrachten
vom Balkon Goethes liebliches Grün,
wo früher der Himmel blaute, ziehen
die Flieger ihre silbernen Streifen:
wir sind zufrieden.
*
Halt ein, unser Wasser ist
voller gefährlicher Keime,
mit unserem Filter wird es rein,
da, trinks: tja, es schmeckt
wie flüssiges Papier, brrr.
Genüsslich schlürfe ich Leitungswasser,
voller gefährlicher Keime,
und gebe meinem Immunsystem
was zu knabbern.
*
Ich solle die Wäsche auf dem Balkon
nicht einräuchern,
mahnt meine Schwester.
Sie liebt alles Gesunde,
ich liebe alles Ungesunde,
so werden wir beide
auf eigene Weise
uralt.
*
Der Mond ist über Kopenhagen,
Marseille und Rom derselbe,
er regt die Wellen, die Pflanzen,
die Liebenden an,
er streut sein geborgtes Licht
sanft auf die geliebte Erde.
*
Im Süden der Mond,