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Der buddhistische Weg zur Aussöhnung mit sich selbst Der berühmte Zen-Meister Thich Nhat Hanh erklärt in diesem Ratgeber den buddhistischen Umgang, wie du dein inneres Kind heilen kannst. "Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit." Dieser berühmte Satz ist für alle gültig, die sich von Thich Nhat Hanh leiten lassen. Die Folgen seelischer Verletzungen in der Kindheit wie Angst und Verlassenheit oder Wut und Trauer wirken bis in unsere Zellen und blockieren unser inneres Wachstum. Thich Nhat Hanh zeigt, dass meist schon unsere Eltern oder sogar frühere Generationen dieselben belastenden Gefühlsmuster in sich getragen und weitervererbt haben. Deshalb ist es wichtig und sinnvoll, als Erwachsener zu dem verwundeten inneren Kind Kontakt aufzunehmen. Das gelingt besonders im Fokus bewusster, achtsamer Wahrnehmung und damit verbundener Atempraxis. Thich Nhat Hanh erklärt anschaulich, wie die Heilung deines inneren Kindes gelingen kann: mithilfe von Achtsamkeit und Meditation aus der Praxis des Buddhismus. Auf diese Weise kann es zu einer tiefgreifenden Transformation kommen. wir versöhnen uns nicht nur tief mit uns selbst und unserem Leben, sondern auch mit allen Menschen, die uns in der Vergangenheit Leid zugefügt haben.
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Seitenzahl: 196
Thich Nhat Hanh
Versöhnung mit dem inneren Kind
Von der heilenden Kraft der Achtsamkeit
Knaur e-books
Überall im Kosmos gibt es kostbare Edelsteine.
Und sie sind auch in jedem von uns.
Ich möchte dir eine Handvoll davon schenken, lieber Freund.
Ja, heute Morgen möchte ich dir eine Handvoll schenken,
eine Handvoll Diamanten, funkelnd von morgens bis abends.
Jede Minute unseres täglichen Lebens ist ein Diamant,
der den Himmel und die Erde enthält, den Sonnenschein und den Fluss.
Wir müssen einfach nur sanft atmen, dann wird sich uns das Wunder zeigen:
Vögel singen, Blumen blühen.
Hier ist der blaue Himmel, hier treiben die weißen Wolken,
dein allerliebster Blick, dein schönes Lächeln.
All dies ist in einem Juwel enthalten.
Du bist der reichste Mensch auf Erden
und benimmst dich doch wie ein notleidender Sohn,
bitte tritt dein Erbe an.
Lass uns einander Glück schenken
und lernen, im gegenwärtigen Moment zu weilen.
Lass uns das Leben liebevoll in unseren Armen halten
und unsere Unachtsamkeit und Verzweiflung loslassen.
Thich Nhat Hanh
In jedem und jeder von uns ist ein kleines, leidendes Kind. Als Kinder haben wir fast alle schwierige Zeiten erlebt, und viele von uns haben Traumata erfahren. Wir versuchen oft, diese schmerzvollen Zeiten zu vergessen, weil wir uns vor künftigem Leid bewahren oder schützen wollen. Jedes Mal, wenn wir mit der Erfahrung dieses Leides in Berührung kommen, glauben wir, es nicht ertragen zu können, und wir verfrachten unsere Gefühle und Erinnerungen tief in unser Unbewusstes. Vielleicht haben wir es jahrzehntelang nicht gewagt, diesem Kind gegenüberzutreten.
Doch nur, weil wir dieses Kind ignoriert haben, bedeutet das nicht, dass es nicht da wäre. Das verwundete Kind ist immer da und sucht unsere Aufmerksamkeit. Das Kind sagt: »Ich bin hier. Ich bin hier. Du kannst mir nicht aus dem Weg gehen. Du kannst nicht vor mir davonlaufen.«
Wir wollen unserm Leiden dadurch ein Ende machen, dass wir das Kind ganz weit weg in unser Inneres schicken und uns selbst so weit entfernt wie möglich halten. Doch unser Leiden hört nicht dadurch auf, dass wir vor ihm davonlaufen, es verlängert sich nur.
Das verwundete Kind bittet um Fürsorge und Liebe, doch wir tun das Gegenteil. Wir laufen weg, weil wir Angst vor dem Leiden haben. Unser Schmerz und Kummer erscheinen uns schier überwältigend. Selbst wenn wir die Zeit dazu haben, kehren wir nicht zu uns nach Hause zurück. Wir sorgen dafür, dass wir ständig unterhalten werden – schauen Fernsehen oder Kinofilme, treffen uns mit anderen oder greifen zu Alkohol und anderen Drogen –, weil wir nicht wieder und wieder dieses Leiden erfahren wollen.
Das verwundete Kind ist da, und wir wissen es noch nicht einmal. Das verwundete Kind in uns ist Wirklichkeit, doch wir sehen es nicht. Diese Unfähigkeit zu sehen ist eine Art Ignoranz. Dieses Kind ist ernstlich verwundet worden. Es braucht unsere Zuwendung. Stattdessen wenden wir uns ab.
Ignoranz oder Unwissenheit ist in jeder Zelle unseres Körpers und unseres Bewusstseins – wie ein Tropfen Tinte, der sich in einem Glas Wasser verteilt hat. Die Ignoranz verhindert, dass wir die Wirklichkeit sehen, sie treibt uns dazu, törichte Dinge zu tun, die unser Leiden verstärken, und dies fügt dem verwundeten Kind in uns weitere Wunden zu.
Auch das verwundete Kind ist in jeder Zelle unseres Körpers. Es gibt keine Zelle unseres Körpers, in dem es das verwundete Kind nicht gäbe. Wir müssen gar nicht weit in die Vergangenheit zurückschauen, um dieses Kind zu finden. Wir müssen einzig tief genug schauen, und wir können mit ihm in Berührung sein. Das Leiden dieses verwundeten Kindes ist in uns genau jetzt im gegenwärtigen Moment.
Doch so, wie das Leiden in jeder Zelle unseres Körpers präsent ist, so sind es auch die Samen erwachten Verstehens und die Samen des Glücks, die uns von unseren Vorfahren weitergegeben wurden. Wir müssen sie nur nutzen. In uns ist eine Lampe, eine Lampe der Achtsamkeit, die wir jederzeit entzünden können. Das Öl der Lampe sind unser Atem, unsere Schritte und unser friedvolles Lächeln. Wir müssen die Lampe der Achtsamkeit entzünden, damit das Licht die Dunkelheit erhellen kann. Unsere Praxis besteht genau darin.
Wird uns bewusst, dass wir das verwundete Kind in uns vergessen haben, erwächst in uns großes Mitgefühl, und wir beginnen, die Energie der Achtsamkeit zu erzeugen. Die Übungen des achtsamen Gehens, achtsamen Sitzens und achtsamen Atmens sind Grundlage dafür. Mit unserem achtsamen Atem und den achtsamen Schritten können wir die Energie der Achtsamkeit schaffen und zu der erwachten Weisheit in jeder Zelle unseres Körpers zurückkehren. Diese Energie wird uns umfangen und heilen, und sie ist es, die das verwundete Kind ins uns heilt.
Wenn wir davon sprechen, mitfühlend zuzuhören, denken wir üblicherweise daran, dass wir jemand anderem zuhören. Doch wir müssen auch dem verwundeten Kind in uns zuhören. Manchmal braucht es all unsere Aufmerksamkeit. Dieses kleine Kind taucht vielleicht aus der Tiefe Ihres Bewusstseins auf und bittet um Ihre Aufmerksamkeit. Sind Sie achtsam, werden Sie seine Hilferufe hören können. In solchen Momenten sollten Sie das verwundete Kind zärtlich umarmen, statt weiter dem, was sie gerade beschäftigt, Aufmerksamkeit zu schenken. In einer Sprache der Liebe können Sie ganz direkt mit dem Kind sprechen und ihm sagen: »In der Vergangenheit habe ich dich allein gelassen, habe mich von dir abgewendet. Das tut mir sehr leid. Ich möchte dich umarmen.«
Sie können auch sagen: »Liebes, ich bin für dich da. Ich werde mich gut um dich kümmern. Ich weiß, wie sehr du leidest. Stets war ich so beschäftigt. Ich habe dich vernachlässigt, doch nun habe ich einen Weg gefunden, zu dir zurückzukehren.«
Vielleicht müssen Sie gemeinsam mit diesem Kind weinen. Sie können auch, wann immer Sie es brauchen, mit ihm zusammensitzen und atmen:
Einatmend wende ich mich meinem verwundeten Kind zu.
Ausatmend kümmere ich mich gut um mein verwundetes Kind.
Mehrmals am Tag sollten Sie zu Ihrem Kind sprechen. Nur dann ist Heilung möglich. Indem Sie es zärtlich im Arm halten, versichern Sie ihm, dass Sie es niemals mehr allein lassen werden. Das kleine Kind ist so lange Zeit allein gelassen worden. Darum müssen Sie mit der Übung sofort beginnen. Wenn Sie es jetzt nicht tun, wann dann?
Wenn Sie wissen, wie Sie wieder mit Ihrem Kind in Kontakt kommen und ihm jeden Tag für fünf oder zehn Minuten zuhören können, dann wird Heilung geschehen. Wenn Sie auf einen prächtigen Berg steigen, dann laden Sie Ihr Kind ein, mit Ihnen zu kommen. Betrachten Sie einen Sonnenuntergang, laden Sie es ein, ihn mit Ihnen zu genießen. Wenn Sie das für einige Wochen oder Monate tun, wird das verwundete Kind in Ihnen Heilung erfahren.
Mit etwas Übung können wir erkennen, dass nicht nur wir das verwundete Kind sind. Es repräsentiert möglicherweise viele Generationen. Unsere Mutter hat vielleicht ihr ganzes Leben lang Kummer gehabt. Unser Vater mag gelitten haben. Unter Umständen waren unsere Eltern nicht in der Lage, sich um das verwundete Kind in ihnen selbst zu kümmern. Wenn wir also das verwundete Kind in uns umarmen, umarmen wir gleichzeitig all die verwundeten Kinder vergangener Generationen. Diese Praxis ist nicht nur für uns, sondern für zahllose vorangegangene und zukünftige Generationen.
Unsere Vorfahren haben vielleicht gar nicht gewusst, wie sie sich um ihr inneres verwundetes Kind kümmern könnten, so dass sie es an uns weitergegeben haben. Unsere Übung besteht darin, diesen Kreislauf zu durchbrechen und zu beenden. Können wir unser verwundetes Kind heilen, befreien wir nicht nur uns selbst, sondern wir helfen damit, auch den zu befreien, der uns verletzt oder missbraucht hat. Dieser Mensch war vielleicht selbst ein Missbrauchsopfer. Es gibt Menschen, die lange Zeit mit ihrem inneren Kind praktiziert haben und die ihr Leiden haben lindern und Transformation erfahren können. Ihre Beziehungen zu Familie und zu Freundinnen und Freunden sind sehr viel müheloser geworden.
Wir leiden, weil wir noch nicht mit Verstehen und Mitgefühl in Berührung gekommen sind. Wenn wir die Energie der Achtsamkeit, des Verstehens und Mitgefühls für unser verwundetes Kind erzeugen können, werden wir weniger leiden. Durch Achtsamkeit werden Mitgefühl und Verstehen möglich, und wir sind in der Lage, anderen Menschen zu erlauben, uns zu lieben. Vorher haben wir möglicherweise allen und allem misstraut. Mitgefühl hilft uns, die Beziehungen und die Kommunikation zu anderen wiederherzustellen.
Die Menschen in unserem Umfeld, unsere Familie, Freundinnen und Freunde, haben vielleicht auch ein schwerverwundetes Kind in sich. Wenn wir es geschafft haben, uns selbst zu helfen, können wir auch ihnen helfen. Haben wir uns selbst heilen können, werden unsere Beziehungen zu anderen sehr viel angenehmer. In uns sind mehr Frieden und Liebe. Kümmern Sie sich gut um sich selbst! Ihr Körper braucht Sie; Ihre Gefühle brauchen Sie; Ihre Wahrnehmungen brauchen Sie. Das verwundete Kind in Ihnen braucht Sie. Ihr Leiden will von Ihnen anerkannt werden. Seien Sie da für all diese Aspekte. Üben Sie sich in achtsamem Gehen und achtsamem Atmen. Seien Sie achtsam in allem, was Sie tun, dann können Sie wirklich da sein, können wirklich lieben.
Die Energie der Achtsamkeit ist die Salbe, die das innere Kind heilen wird. Doch wie entwickeln und kultivieren wir diese Energie? In der buddhistischen Psychologie unterscheidet man zwei Teile des Bewusstseins. Der eine Teil ist das Geistbewusstsein und der andere das Speicherbewusstsein. Geistbewusstsein ist unsere aktive Bewusstheit oder unser aktives Gewahrsein. In der westlichen Psychologie nennt man es einfach »Bewusstsein«. Um die Energie der Achtsamkeit zu entwickeln, versuchen wir, unser aktives Gewahrsein in sämtliche unserer Aktivitäten einzubeziehen und wahrhaft präsent bei all unserem Tun zu sein. Wir wollen achtsam sein, wenn wir unseren Tee trinken oder durch die Stadt fahren. Gehen wir, wollen wir des Gehens gewahr sein. Atmen wir, wollen wir des Atmens gewahr sein.
Das Speicherbewusstsein, auch Wurzelbewusstsein genannt, ist die Basis, die Grundlage unseres Bewusstseins. In der westlichen Psychologie wird es »das Unterbewusstsein« genannt. Darin sind all unsere vergangenen Erfahrungen gespeichert. Das Speicherbewusstsein ist in der Lage zu lernen und Informationen zu verarbeiten.
Oft ist unser Geist nicht bei unserem Körper. Wir sind manchmal mit unseren täglichen Aktivitäten befasst, ohne dass dabei unser Geistbewusstsein beteiligt wäre. Viele Dinge können wir allein mit dem Speicherbewusstsein erledigen, und das Geistbewusstsein kann an tausend andere Sachen denken. Wenn wir zum Beispiel mit dem Auto durch die Stadt fahren, denkt das Geistbewusstsein vielleicht überhaupt nicht ans Fahren, doch wir erreichen trotzdem unser Ziel, ohne uns zu verfahren oder einen Unfall zu haben. Das ist dem Speicherbewusstsein zu verdanken, das ganz eigenständig arbeitet.
Bewusstsein ist wie ein Haus, mit dem Speicherbewusstsein als Keller und dem Geistbewusstsein als Wohnzimmer. Geistige Gebilde oder Geistesformationen wie Wut, Kummer oder Freude ruhen in Form von Samen (bija) in diesem Speicherbewusstsein. Wir haben Samen der Wut, Verzweiflung, Voreingenommenheit, Angst ebenso in uns wie Samen der Achtsamkeit, des Mitgefühls, des Verstehens und so weiter. Das Speicherbewusstsein besteht aus sämtlichen Samen, und es ist auch der Boden, der alle Samen bewahrt und schützt. Die Samen verbleiben dort, bis wir etwas hören, sehen, lesen oder an etwas denken, das einen Samen berührt und uns Wut, Freude oder Kummer empfinden lässt. Dann steigt ein Samen auf die Ebene des Geistbewusstseins, unseres Wohnzimmers, und manifestiert sich dort. Jetzt nennen wir es nicht mehr Samen, sondern ein geistiges Gebilde.
Wenn jemand etwas sagt oder tut, was uns aufregt und damit den Samen des Ärgers, der Wut in uns berührt, wird dieser Samen sich in unserem Geistbewusstsein als das geistige Gebilde oder die Geistesformation (cittasamskara) des Ärgers, der Wut manifestieren. Das Wort »Gebilde« oder »Formation« ist ein buddhistischer Begriff für etwas, das entstanden ist, weil viele Bedingungen zusammengekommen sind. Ein Kugelschreiber ist ein Gebilde, meine Hand, eine Blume, ein Tisch, ein Haus – sie alle sind solche Gebilde. Ein Haus ist ein physisches Gebilde. Meine Hand ist ein physiologisches Gebilde. Meine Wut ein geistiges Gebilde. In der buddhistischen Psychologie sprechen wir von 51 verschiedenen Samen, die sich als 51 geistige Gebilde manifestieren können. Wut ist nur eins davon. Im Speicherbewusstsein wird Wut Samen genannt; im Geistbewusstsein geistiges Gebilde.
Wann immer ein Samen, zum Beispiel der des Ärgers, in unser Wohnzimmer kommt und sich als geistiges Gebilde manifestiert, können wir als Erstes den Samen der Achtsamkeit berühren und ebenfalls einladen, einzutreten. Jetzt haben wir zwei geistige Gebilde im Wohnzimmer. Das ist Achtsamkeit für den Ärger. Achtsamkeit ist immer Achtsamkeit, die sich auf etwas bezieht. Atmen wir achtsam, sind wir auf den Atem achtsam. Gehen wir achtsam, ist das Achtsamkeit auf das Gehen. Essen wir achtsam, ist das Achtsamkeit auf das Essen. In diesem Fall ist die Achtsamkeit eine Achtsamkeit auf den Ärger. Achtsamkeit erkennt und umarmt den Ärger.
Unsere Übung basiert auf Einsicht in Nichtdualität – der Ärger ist kein Feind. Sowohl Achtsamkeit als auch Ärger sind wir. Achtsamkeit ist nicht dafür da, Ärger zu unterdrücken oder zu bekämpfen, sondern um etwas zu erkennen und sich darum zu kümmern. So wie ein großer Bruder seinem kleinen Bruder hilft. Ähnlich erkennt die Energie der Achtsamkeit die Energie der Wut oder des Ärgers und umarmt sie zärtlich.
Jedes Mal, wenn wir die Energie der Achtsamkeit brauchen, berühren wir einfach diesen Samen durch unser achtsames Atmen, achtsames Gehen und Lächeln, und dann ist diese Energie bereit, die Arbeit des Erkennens, Umarmens und später des tiefen Schauens und der Transformation zu tun. Was immer wir auch tun, sei es Kochen, Putzen, Waschen, Gehen, uns des Atems bewusst sein: Wir können fortwährend die Energie der Achtsamkeit erzeugen, und dies wird den Samen der Achtsamkeit in uns stärken. Innerhalb des Achtsamkeitssamens liegt der Samen der Konzentration. Mit Hilfe dieser beiden Energien können wir uns selbst von Kummer und Leid befreien.
Wir wissen, dass es in unserem Körper Giftstoffe gibt. Wenn unser Blut nicht gut zirkuliert, werden sie sich ansammeln. Um gesund zu bleiben, ist unser Körper damit beschäftigt, sie auszuscheiden. Ist unsere Durchblutung in Ordnung, können die Nieren und die Leber ihre Arbeit erledigen, die Giftstoffe abzubauen. Durch Massage können wir die Zirkulation des Blutes unterstützen und verbessern.
Auch unser Bewusstsein kann sich in einem Zustand schlechter Zirkulation befinden. Möglicherweise haben sich in uns Leiden, Schmerz, Kummer oder Verzweiflung sehr verfestigt; und das wirkt wie Gift in unserem Bewusstsein. Wir nennen dies auch einen inneren Knoten. Eine Massage unseres Bewusstseins besteht darin, unser Leiden und unseren Kummer mit der Energie der Achtsamkeit zu umarmen. Wenn das Blut in unserem Körper nicht gut zirkuliert, können unsere Organe nicht richtig funktionieren, und wir werden krank. Wenn unsere Psyche nicht gut zirkuliert, wird unser Geist krank. Achtsamkeit regt die Zirkulation an und verbessert sie in den verfestigten Stellen unseres Schmerzes.
Unsere inneren Knoten aus Schmerz, Kummer, Wut und Verzweiflung wollen stets in unser Geistbewusstsein gelangen, in unser Wohnzimmer, weil sie so groß geworden sind und unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Sie wollen dort auftauchen, doch wir wollen diese uneingeladenen Gäste nicht, denn es ist so schmerzlich, sie zu betrachten. So versuchen wir, ihnen den Weg zu versperren. Wir wollen, dass sie weiterhin im Keller schlafen. Wir wollen ihnen nicht gegenübertreten, und so haben wir uns angewöhnt, das Wohnzimmer mit anderen Gästen zu bevölkern. Wann immer wir zehn oder fünfzehn Minuten freie Zeit haben, tun wir alles, damit es in unserem Wohnzimmer voll ist. Wir rufen eine Freundin an. Wir greifen zu einem Buch, schalten den Fernseher an. Wir fahren weg. Wir hoffen, dass diese unangenehmen geistigen Gebilde nicht hochkommen werden, wenn unser Wohnzimmer bevölkert genug ist.
Doch alle geistigen Gebilde müssen zirkulieren. Lassen wir sie nicht hochkommen, schafft das eine schlechte Zirkulation in unserer Psyche, und die Symptome einer psychischen Erkrankung, einer Depression beginnen sich in unserem Körper und Geist zu zeigen.
Manchmal nehmen wir bei Kopfschmerzen ein Aspirin. Doch die Kopfschmerzen gehen nicht weg. Diese Art der Kopfschmerzen mag Symptom einer psychischen Erkrankung sein. Vielleicht haben wir Allergien. Wir halten das für ein physisches Problem, doch können Allergien immer auch Symptome psychischer Störungen sein. Der Arzt verschreibt uns Medikamente, aber diese unterdrücken manchmal nur weiterhin unsere inneren Knoten oder Formationen, und so verschlimmert sich unsere Krankheit noch.
Lernen wir, uns vor den inneren Knoten des Leidens nicht mehr zu fürchten, beginnen wir, sie allmählich auch in unser Wohnzimmer einzulassen. Wir lernen, wie wir sie umfangen und durch die Energie der Achtsamkeit transformieren können. Wenn wir die Barriere zwischen Keller und Wohnzimmer entfernen, wird sehr viel Schmerz hochkommen, und wir werden auch ein wenig leiden müssen. Unser inneres Kind hat vielleicht große Angst und eine Menge Wut angestaut, weil es so lange im Keller bleiben musste. Es gibt keine Möglichkeit, das zu vermeiden.
Darum ist die Achtsamkeitspraxis so wichtig. Ohne Achtsamkeit wird es sehr unangenehm sein, wenn diese Samen hochkommen. Doch wenn wir wissen, wie wir die Energie der Achtsamkeit erzeugen können, ist es sehr heilsam, diese negativen Energien jeden Tag einzuladen und sie zu umarmen. Achtsamkeit ist eine starke Quelle von Kraft und Energie, die sie erkennen, umarmen und Sorge für sie tragen kann. Vielleicht wollen diese Samen aber zunächst gar nicht hochkommen, vielleicht haben wir zu viel Angst und Misstrauen, so dass wir ihnen anfangs gut zureden müssen. Nachdem wir ein heftiges Gefühl einige Male umfangen und umarmt haben, wird es als Samen in den Keller zurückkehren, aber schwächer als zuvor.
Jedes Mal, wenn Sie eine innere Formation in Achtsamkeit baden, wird der verfestigte Schmerz in Ihnen leichter. Baden Sie also Ihre Wut, Ihre Verzweiflung, Ihre Angst täglich in Achtsamkeit. Nachdem Sie diese Gefühle ein paar Tage oder Wochen lang haben hochkommen lassen und ihnen dann geholfen haben, nach unten zurückzukehren, haben Sie für eine gute Zirkulation in Ihrer Psyche gesorgt.
Die erste Funktion der Achtsamkeit ist es, zu erkennen und nicht zu kämpfen. Wir können jederzeit innehalten und unseres inneren Kindes gewahr werden. Beim ersten Mal ist das Einzige, was wir tun müssen, das innere Kind bewusst wahrzunehmen und »Guten Tag« zu sagen. Das ist alles. Vielleicht ist das Kind traurig. Stellen wir das fest, können wir einfach einatmen und uns sagen:
Einatmend weiß ich, dass sich Kummer in mir manifestiert hat: ›Hallo, mein Kummer‹.
Ausatmend werde ich gut für dich sorgen.
Sobald wir unser inneres Kind erkannt haben, ist die zweite Funktion der Achtsamkeit, es zu umarmen. Das ist eine sehr angenehme Praxis. Statt unsere Gefühle zu bekämpfen, kümmern wir uns gut um uns selbst. Achtsamkeit hat eine Verbündete – die Konzentration. Schon während der ersten Minuten, in denen wir unser inneres Kind wahrnehmen und zärtlich umarmen, werden wir eine gewisse Linderung erfahren. Die schwierigen Gefühle werden immer noch da sein, doch wir werden unter ihnen nicht mehr so leiden.
Nachdem wir unser inneres Kind wahrgenommen und umarmt haben, besteht die dritte Funktion der Achtsamkeit darin, unsere schwierigen Gefühle zu besänftigen und abzumildern. Und wir tun dies einfach, indem wir dieses Kind sanft halten, und schon werden wir uns wohler fühlen. Umfangen wir unsere starken Gefühle mit Achtsamkeit und Konzentration, werden wir auch die Wurzeln dieser geistigen Gebilde erkennen können. Wir werden wissen, woher unser Leiden rührt. Sehen wir die Wurzel der Dinge, wird dies unser Leiden vermindern. Achtsamkeit nimmt wahr, umarmt und lindert.
Die Energie der Achtsamkeit enthält die Energie der Konzentration ebenso wie die Energie der Einsicht. Konzentration hilft uns, uns nur auf eine Sache auszurichten. Durch Konzentration wird die Energie des Schauens kraftvoller, und so wird Einsicht möglich. Einsicht hat stets befreiende Kraft. Ist Achtsamkeit da, und wissen wir, wie wir sie lebendig halten können, wird auch Konzentration gegenwärtig sein. Und wissen wir, wie wir Konzentration lebendig halten können, wird sich Einsicht zeigen. Die Energie der Achtsamkeit befähigt uns, tief zu schauen und die Einsicht zu gewinnen, die wir brauchen, um Transformation zu ermöglichen.
Ich weiß nicht, ob Sie sich an irgendetwas aus der Zeit, die Sie im Mutterleib verbracht haben, erinnern können. Wir alle sind dort neun Monate gewesen, und das ist eine lange Zeit. Ich vermute, einige von uns erinnern sich vielleicht trotzdem noch an irgendwelche Empfindungen. Haben wir damals gelächelt oder geweint? Ich glaube, wir alle hatten während der neun Monate die Möglichkeit zu lächeln. Sind wir glücklich, ist es ganz natürlich zu lächeln. Kinder lächeln im Schlaf. Es muss in ihnen etwas Wundervolles vorgehen, dass sie so lächeln.
Vielleicht ist uns aus dieser allerersten Zeit noch der Eindruck gegenwärtig, dass wir in einem vollkommen sicheren und beschützten Paradies lebten, wo wir uns keinerlei Sorgen machen mussten. Dann haben wir das Paradies in unserer Mutter verloren. Im Vietnamesischen lautet das Wort für Uterus tu cung, »der Palast des Kindes«.
In diesem Palast hat unsere Mutter für uns gegessen, getrunken und geatmet. Glauben Sie, dass Sie im Mutterleib von Zeit zu Zeit geträumt haben? Zu jener Zeit haben wir weder den Himmel noch Flüsse gesehen, doch in unseren Träumen tauchte vielleicht etwas davon auf. Möglicherweise sahen wir, während unsere Mutter träumte, das, was sie sah. Hat unsere Mutter etwas Unangenehmes geträumt und aufgeschrien, haben wir vielleicht auch geschrien. Lächelte unsere Mutter, lächelten wir vielleicht auch.
Unsere Mutter und wir waren so etwas wie eine Person, nicht zwei. Durch die Nabelschnur gab es zwischen uns und unserer Mutter eine körperliche Verbindung. Unsere Mutter schickte durch die Nabelschnur Nahrung, Flüssigkeit, Sauerstoff, einfach alles, auch Liebe.