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Sein Verrat ist grenzenlos. Doch seine Anziehungskraft ist es auch. Livia Hohenburg ist am Boden. Nach Nicolas' Vertrauensbruch stürzt die einstige Queen der Wiener Elite in grenzenlose Einsamkeit. Da ist nichts als Leere in ihr – und Hass auf den Mann, der sie hintergangen hat. Dennoch muss der schöne Schein der High Society gewahrt bleiben und so füllt Livia ihre Rolle aus, wie sie es immer getan hat. Als Nicolas erneut in ihr Leben tritt und ihr eine Neuigkeit offenbart, verändert sich alles und Livia ist gezwungen, seine Präsenz zu ertragen. Obwohl sie sich geschworen hat, ihm niemals zu verzeihen, ist die Anziehung zwischen ihnen so groß, dass es fast schmerzt. Doch wie kann sie sich sicher sein, dass Nicolas diesmal kein falsches Spiel spielt? Band 2 der SPIEGEL-Bestseller-Dilogie von Lara Holthaus! //Dies ist der zweite Band der knisternden High-Society-Romance-Dilogie »Vienna« rund um das It-Girl Livia und den undurchsichtigen Nicolas. Alle Bände der Buchreihe: - Vienna 1: Blinding Lights - Vienna 2: Hiding Darkness//
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Seitenzahl: 556
ImpressDie Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.
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Lara Holthaus
Vienna 2: Hiding Darkness
Sein Verrat ist grenzenlos. Doch seine Anziehungskraft ist es auch.
Livia Hohenburg ist am Boden. Nach Nicolas‘ Vertrauensbruch stürzt die einstige Queen der Wiener Elite in grenzenlose Einsamkeit. Da ist nichts als Leere in ihr – und Hass auf den Mann, der sie hintergangen hat. Dennoch muss der schöne Schein der High Society gewahrt bleiben und so füllt Livia ihre Rolle aus, wie sie es immer getan hat. Als Nicolas erneut in ihr Leben tritt und ihr eine Neuigkeit offenbart, verändert sich alles und Livia ist gezwungen, seine Präsenz zu ertragen. Obwohl sie sich geschworen hat, ihm niemals zu verzeihen, ist die Anziehung zwischen ihnen so groß, dass es fast schmerzt. Doch wie kann sie sich sicher sein, dass Nicolas diesmal kein falsches Spiel spielt?
WOHIN SOLL ES GEHEN?
Buch lesen
Vita
© privat
Lara Holthaus wurde 1996 geboren und lebt seit einigen Jahren in der schönen Hansestadt Hamburg. Neben ihrer Tätigkeit als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin verbringt sie jede freie Minute mit Schreiben. Schon als Kind verschenkte sie zu Geburtstagen am liebsten selbst geschriebene Geschichten. Lara schreibt emotional über große Gefühle, jedoch ohne dabei die Leichtigkeit und eine Prise Humor außer Acht zu lassen.
VORBEMERKUNG FÜR DIE LESER*INNEN:
Liebe*r Leser*in,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Lara und das Carlsen-Team
Für Phil und Maris.Weil ich dank euch nie allein bin.
PLAYLIST
Wien – Mayberg
traitor – Olivia Rodrigo
The Winner Takes It All (Acoustic) – Jea Hall
How to Be a Heartbreaker – MARINA
I Can Do It With a Broken Heart - Taylor Swift
Unstoppable – Sia
Zorn & Liebe – Provinz feat. Nina Chuba
No Time to Die – Billie Eilish
Foolish One (Taylor’s Version) (From the Vault) – Taylor Swift
I Feel Like I’m Drowning – Two Feet
Ohne mein Team – Bonez MC feat. RAF Camora feat. Maxwell
Schwarzes Herz – AYLIVA
The Last Time – Taylor Swift feat. Gary Lightbody
favorite crime – Olivia Rodrigo
In Flammen – LEA
What Was I Made For – Billie Eilish
champagne problems – Taylor Swift
Lover (Piano Version) – Will Adagio
You Are In Love (Taylor’s Version) – Taylor Swift
High for This – The Weeknd
Last Dance – Dua Lipa
Daylight – Taylor Swift
1. KAPITEL
PAPIERFETZEN — HERZZERFETZEN
LIVIA
»Wie war’s in der Schule, Knödel?«
Bevor Nora antworten kann, wird sie von Heinz abgelenkt, der ihr freundlich zuwinkt und kurz darauf einen roten Lolli hervorzaubert. Freudestrahlend hopst sie auf ihn zu, nimmt ihn entgegen und will schon die Verpackung aufreißen, da hält sie inne.
»Alles okay?« Verwirrt blicke ich auf sie hinunter.
Sie dreht prüfend den Lolli hin und her und linst dann skeptisch in Heinz’ verdutzte Miene. »Da ist aber kein Gift drin, oder?«
»Wie bitte?« Er kratzt sich am Kopf. »Natürlich nicht, junges Fräulein.« Fragend schaut er zu mir.
Ich muss kichern. »Unsere Stiefmutter hat ihr irgendwie einen Floh ins Ohr gesetzt mit der Sache.« Dann wende ich mich an meine Schwester. »Nora, von Heinz darfst du immer Lollis annehmen. Ich schwöre, dass außer der Chemie, die sowieso in diesen Dingern steckt, kein Gift hinzugefügt wurde.«
»Ich frag ja nur«, flötet sie und beginnt mit ihren kleinen Händen an der Plastikverpackung zu pfriemeln.
»Da hast du recht.« Der Portier lacht großväterlich. »Vorsicht ist besser als Nachsicht. Sagt meine Frau immer.«
»Siehst du!« Nora stemmt einen Arm in die Hüfte.
»Okay, okay.« Ich hebe die Hände und gebe mich geschlagen. »Na komm. Ich will dringend auf die Couch und was Gemütliches anziehen.« Und zu Nick, ergänze ich stumm. Bei dem Gedanken an ihn wird mir warm.
»Blöd«, holt Nora mich zurück ins Hier und Jetzt.
»Was ist blöd?«
»Die Schule heute. Hast du doch gefragt eben.«
»Oh, ja, stimmt.« Wir gehen zum Aufzug. Meine Schwester schiebt sich den Lutscher zwischen die Zähne. »Und was war blöd?«
»Oscar hat mich ganz dolle geärgert.« Sie verengt ihre Augen zu Schlitzen und schaut sich im Spiegel an, während der Aufzug sich in Bewegung setzt.
»Was hat er gesagt?«
»Dass Papa arme Menschen beklaut hat. Und ein korpulentes Politikerschwein ist.«
Scheiße, Kinder können so fies sein. »Korpulent?«, frage ich verwirrt nach. »Oder meinst du korrupt?«
»Nein, korpulent.«
Ich reibe mir über die Stirn. Am liebsten würde ich jetzt sofort in das Klassenzimmer stiefeln, diesen Oscar finden und ihm eine ordentliche Ansage machen. Kann ich natürlich nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass irgendeine panische Lehrerin der Privatvolksschule Phönix sofort die Polizei rufen und ich in Handschellen vom Schulhof geführt werden würde. Die Klatschpresse würde sich vor Freude ins Höschen machen. Verrücktes, potenziell von Dämonen besessenes It-Girl geht auf unbeholfenen Drittklässler los. Oder so ähnlich. Oscar hätte nur einen Grund mehr, Nora irgendwelche Sprüche reinzudrücken. Außerdem plappert der Junge eh bloß den Schwachsinn nach, den seine Eltern zu Hause von sich geben.
»Soll ich mal mit Frau Schneider sprechen?«, frage ich Nora also stattdessen und verwerfe damit meinen Ich-gehe-auf-einen-Drittklässler-los-Plan.
»Nein.« Sie kichert. »Mit Oscar aus der Mülltonne werde ich schon fertig.«
»Okay.« Ich zwinkere ihr zu. Die Aufzugtüren öffnen sich sanft und wir treten in die geräumige Maisonettewohnung.
Ich lasse meinen Blick durch den Flur wandern. An der offenen Garderobe entdecke ich Papas Jacken und Mäntel, meine und die von Nora. Die von Nick und Tanja fehlen. Merkwürdig. Eigentlich ist Tanja um diese Uhrzeit immer zu Hause, um Nora bei den Hausaufgaben zu helfen.
Irgendwas stimmt nicht.
Ich spüre es sofort. Irgendwas ist nicht, wie es sein sollte. Mein Herzschlag verdreifacht sich. Denn ich kenne das Gefühl. Kenne diese unangenehme, finstere Vorahnung, dass ich kurz davor bin, eine Entdeckung zu machen, die mir den Boden unter den Füßen wegziehen wird.
Genau so habe ich mich vor sechzehn Monaten gefühlt.
»Hallo?«, rufe ich in den Wohnraum. Gespenstische Stille antwortet mir. Ein unangenehmes Ziehen breitet sich in meinem Magen aus.
Ganz ruhig, Livia. Keine Panik. Das kann alles Mögliche bedeuten. Nur weil sie seit ein paar Stunden so ungefähr unser gesamtes Vermögen besitzen, heißt das nicht, dass sie damit direkt abgehauen sind. Das sind nur die Schatten der Vergangenheit, die deine Gedanken vernebeln.
Mit schnellen Schritten gehe ich an Nora vorbei.
»Tanja?«, rufe ich nach oben. »Wir sind zu Hause!«
Wieder keine Antwort. Wieder dieses ekelhafte Ziehen in meinem Inneren.
»Vielleicht macht sie Mittagsschlaf.« Nora zuckt mit den Schultern. »Sie sieht müde aus in letzter Zeit.«
»Vielleicht«, sagen meine Lippen impulsartig und ich hoffe, flehe, bete, dass es stimmt. Dass mein Bauchgefühl mich täuscht. Dass es nur die tief sitzende Angst ist, erneut verlassen und verarscht worden zu sein. Um meinen dunklen Gedanken ein Ende zu bereiten, gehe ich so ruhig ich kann die Treppe nach oben in das Zimmer meiner Eltern, das zu Tanjas und Papas Zimmer geworden ist. Gleich werde ich eine schlafende Tanja vorfinden und meinem geschundenen Herzen beweisen, dass es sich entspannen kann. Dass es umsonst so schnell rast, dass es sich gleich durch meine Rippen quetscht und meine Paco-Rabanne-Bluse zerfetzt.
Alles wird gut. Du reagierst total über.
Mit bebenden Fingern drücke ich die Türklinke herunter.
Kein Schmuck auf dem Nachttisch. Kein Make-up auf dem Schminktisch. Mein Blickfeld beginnt zu flimmern.
Hektisch reiße ich den Kleiderschrank auf. Papas Hemden. Papas Anzüge. Nichts von Tanja. Ich wühle wie im Wahn durch Schubladen, reiße weitere Türen auf, schmeiße mich auf den Boden und schaue unter das Bett. Nichts. Da ist nichts von ihr. Nirgendwo. Nicht mal eine einzelne stinkende Socke. Kein einziger Beweis, dass Tanja Steiner jemals hier gewohnt hat. Jemals in unserem Leben war.
Ich springe auf, klammere mich an den letzten Strohhalm, der mich davor bewahrt, in einen nicht enden wollenden Abgrund zu stürzen. Vielleicht ist Tanja ein Miststück, das nur gewartet hat, bis Papa ihr die Firmenanteile überschreibt. Sie vielleicht, aber nicht Nick. Er würde nicht …
Fast falle ich die Treppe hinunter, als ich wieder nach unten renne. Auf sein Zimmer zu. Das Zimmer, in dem ich ihn so lange nicht haben, aus dem ich ihn regelrecht rausekeln wollte. Jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass ich gleich die Tür öffne und ihn sehe. Kommst du wieder, um Vorhänge zu bügeln?, wird er sagen und mich spöttisch angrinsen. So wird es sein. Bitte. Es muss so sein.
Die drei Schritte durch das Wohnzimmer kommen mir vor wie ein Marathon. Mein Herz stolpert und in meinem Bauch wächst ein Klumpen in der Größe einer Bowlingkugel. Ich habe mich nicht in ihm getäuscht. Er hat das nicht getan. ERHATMICHNICHTVERLASSEN. Innerlich schreie ich gegen die immer größer werdenden Zweifel an.
Hektisch reiße ich an der Türklinke und stolpere in den Raum.
Ein gemachtes Bett. Daneben ein ebenso leerer Nachttisch. Panik droht mich zu überschwemmen, mich mit sich zu reißen und mir für immer die Luft zum Atmen zu rauben. Wieder öffne ich den Kleiderschrank.
Leere.
Eine gähnende Leere auf Kleiderstangen, in Fächern und Schubladen schreit mich an. Der Boden unter meinen Füßen beginnt zu wanken. Die Welt, alles, woran ich in den letzten Wochen geglaubt, alles, wofür ich gelebt habe, gerät aus den Fugen. Ich wirble herum und starre auf den Schreibtisch.
Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein.
Keine Fotos. Keine Kamera. Nichts, was darauf hindeutet, dass hier ein Mann mit sommergrauen Augen gelebt hat, der mich gesehen hat.
Meine Gedanken toben.
Mein Puls hämmert.
Mein Bauch krampft.
Dann fällt mein Blick auf die Pinnwand. Dorthin, wo mal ein Polaroid von mir und einem ausgestreckten Mittelfinger hing. Dorthin, wo jetzt ein Fetzen Papier hängt.
Meine Augen lesen die vier Worte, die es nicht schaffen, mein Hirn zu erreichen.
Es tut mir leid.
Es. Tut. Mir. Leid. Vier Worte. Geschrieben in geschwungener, mir sehr bekannter Handschrift. Ich kann nichts tun außer dastehen und die zwölf Buchstaben anglotzen. Mein Verstand weigert sich anzuerkennen, was mein Herz längst weiß.
Dann, plötzlich, kommt der Gedankensturm schlagartig zum Erliegen. Ich starre auf den Fetzen Papier, der nur einen Wimpernschlag später mein Herz ebenso zerfetzt.
Nick hat mich verlassen.
Mein Herz knüllt sich zusammen.
Nick hat mich betrogen.
Mein Herz zerfällt zu einer Million Schnipsel.
Nichts war echt.
Mein Papierherz wird zu Asche und ich bestehe aus alles vernichtendem Schmerz.
2. KAPITEL
FELSENSCHWER
NICOLAS
Der Himmel vor dem Flugzeugfenster wird langsam orange. Vor einer halben Stunde haben wir Wien verlassen. Normalerweise kommt jetzt der Siegermoment. Diese ganz bestimmte Mischung aus Genugtuung, Machtgefühl und Gerechtigkeitssinn. Normalerweise würde ich jetzt hier sitzen und mir vorstellen, wie die reichen Bonzen vor Wut völlig ausrasten, weil wir sie verarscht haben. Weil wir etwas bewirkt haben.
Aber heute nicht. Heute passiert in mir rein gar nichts. Zero Genugtuung. Zero Stolz. Egal wie lange ich in den immer dunkler werdenden Himmel starre.
»Hach, das war herrlich.« Meine Mutter lehnt sich mit einem zufriedenen Lächeln in ihrem extrabreiten Sitz zurück. In ihren Zügen sehe ich genau jenes Gefühl, auf das ich gerade vergeblich warte.
»Alles okay?« Sie sieht mich prüfend an, weil ich nichts erwidere.
»Jaja, alles gut.« Ich weiche ihrem Blick aus. Das Orange vor dem Fenster wird blutrot.
»Ich glaube, das war unser größter Coup bisher.« Zufrieden nickt sie. »Du warst echt wahnsinnig gut. Wirklich, wie du diese Kratzbürste um den Finger gewickelt hast. Wow.«
Diese Kratzbürste. Eine blonde Kratzbürste mit scharfen Krallen und katzenartigen grünen Augen, in denen immer etwas brodelt. Manchmal Wut und Verachtung. Manchmal Hingabe und Leidenschaft. Manchmal Glücklichsein. Vulkanaugen.
Ein spitzer Schmerz sticht in meinem Brustkorb.
»Du kannst unglaublich stolz auf dich sein«, fährt sie fort und kippt die Lehne des breiten Business-Class-Sitzes nach hinten.
»Bin ich«, sage ich schlicht und wünschte, es würde sich nicht wie eine Lüge anfühlen. Ich wünschte, ich würde wie jedes Mal grinsend davonfliegen und mich für einen Helden halten, weil ich nicht hilflos herumsitze und zugucke, wie die Welt um uns herum immer beschissener wird, sondern etwas dagegen tue. Indem ich das Gegenteil von ihm bin. Stiftungen, Jugendhilfeeinrichtungen und Bildungsprogramme mit dem Geld reicher Bonzen zu unterstützen, klingt ja auch extrem heldenhaft. Zumindest tat es das bis vor ein paar Wochen.
Jetzt fühlt es sich beschissen an.
Nach Verrat.
Reiß dich zusammen, sage ich in Gedanken zu meinem eigenen Gesicht, das sich in der Fensterscheibe spiegelt.
Ich sollte so nicht fühlen. Ich darf so nicht fühlen. Ich darf nicht an sie denken. Vor allem darf ich nicht so an sie denken. An ihr Gesicht, ihre Augen, die Art, wie sie lächelt und wie sie mich wütend anfunkelt. Und ich darf nicht daran denken, dass sie zerbrechen wird. Wegen mir. Wegen dem, was ich ihr angetan habe. Sie, die niemandem vertraut, hat ihr Vertrauen ausgerechnet mir geschenkt. Der absolut falschen Person.
Bei der Vorstellung wird mein Herz ein scharfkantiger Felsen, der sich von innen gegen meine Rippen drückt.
Fuck. Ich muss damit aufhören!
Ich atme lange aus und dränge die traurigen Augen von Livia Hohenburg mit aller Macht aus meinem Kopf. Schluss. Sie ist nur eine Zielperson.
Nur. Eine. Stinknormale. Zielperson. Vielleicht muss ich mir das immer wieder sagen, damit mein vernebeltes Hirn und mein Felsenherz es glauben. Sie ist ein verwöhntes reiches Gör, das ich um Geld gebracht habe, weil es zu viel davon hat. Mehr nicht. Sie bedeutet mir nichts. Sie darf mir nichts bedeuten. Sonst kann ich alles, was ich in meinem Leben aufgebaut habe, gleich in die Tonne treten.
»Ich liebe es, wenn ein Plan perfekt funktioniert.« Meine Mutter zwinkert mir zu.
Perfekt funktioniert. Ich habe funktioniert und das Hohenburg-Geld wird vielen Menschen helfen. Wen juckt da schon der Obelix-Hinkelstein in meiner Brust? Meine Gefühle sind unwichtig. Es zählt nur das große Ganze.
»Ich habe den Vater geknackt und du die Tochter.«
Ich versuche das siegessichere Grinsen meiner Mutter zu imitieren. Geknackt. Bei dem Wort wird mir schlecht.
»Gut, dass du sie so um den Finger gewickelt hast, dass sie dieser überstürzten Hochzeit zugestimmt hat. Sonst wäre es schwierig geworden, die Geschäftsführung der Hohenburg Immogroup auf meinen Namen überschreiben zu lassen.« Begeistert nickt sie und stößt einen zufriedenen Seufzer aus. »Außerdem besitzen wir jetzt einen Großteil des Hohenburg-Vermögens.«
»Ja, weiß ich alles.« Nur finde ich das nicht halb so befriedigend wie du. »Aber was passiert damit?«
Sie winkt ab. »Darum kümmere ich mich. Ich denke, ich teile das Geld auf mehrere Projekte und Stiftungen auf. Damit wird so viel Gutes getan werden können und ich glaube …«, nachdenklich legt sie den Kopf schief, »… ja, ich glaube, so viel haben wir uns noch nie geschnappt.« Zufrieden nippt sie an einem Glas Rotwein und lächelt selig. »Dafür hat sich doch der ganze Stress wieder gelohnt, oder?«
Ich kann nur stumm nicken. »Und die Hohenburg Immogroup? Was stellen wir damit an?«
»Die werde ich an jemanden übertragen, der die Macht, die damit verbunden ist, besser zu schätzen weiß. Mach dir nicht so einen Kopf.« Prüfend lässt sie ihren Wein sinken. »Du fragst doch sonst nicht so viel. Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Klar«, sage ich bestimmt. »Ich wollte nur noch mal wissen, warum wir das alles machen.« Und versuche damit Livias Stimme in meinem Kopf zu übertönen. Ich will alles von dir. Alles. Geflüsterte Worte in einer Waldhütte, die zu keuchenden Flüchen wurden. Ich habe ihr nie alles von mir gegeben.
»Du tust das Richtige und ich bin wirklich so stolz auf dich, Raphael.«
Ihr warmes Lächeln reicht nicht aus, um den Frost zu vertreiben, der sich bei der Erwähnung meines Namens blitzartig in meinem Inneren ausbreitet. Raphael. Raphael Ketterbrink. Mein Geburtsname und doch der Name eines Fremden.
»Wie geht’s weiter?«, frage ich, denn es geht immer irgendwie weiter.
»Wenn wir in Cancún landen, tauchen wir erst mal unter. Urlaub in der Sonne Mexikos. Das haben wir uns wirklich verdient.«
»Danach, meinte ich.«
»Danach geht’s nach New York.« Sie kramt in ihrer Michael-Kors-Handtasche und reicht mir eine schwarze Mappe. »Hier.« Sie deutet auf die Unterlagen in meiner Hand. »Mach dich schon mal mit Nancy Young vertraut. Sie wird unsere nächste Zielperson.«
Ich schlage die Akte auf und schaue in das Gesicht einer dunkelhaarigen Frau Mitte dreißig.
Wien – Cancún – New York City.
Neue Stadt. Neuer Name. Neue Zielperson. Das ist mein Leben. Raphaels Leben.
So war es immer.
Und so wird es
immer
immer
immer
weitergehen.
LIVIA
Blätter werden golden.
Papa wird verhaftet.
Nora ist weg.
Ich bin Schmerz.
Blätter fallen zu Boden.
Vic sagt Ja.
Leander flieht.
Ich bin Schmerz.
Plätzchen werden gebacken.
Die Wohnung ist groß.
Ich schlafe mit Männern.
Ich bin Schmerz.
Feuerwerksraketen explodieren.
Ich will mich zudröhnen.
Ich tue es nicht.
Ich bin Schmerz.
VIENNA SPOTLIGHT
Schwarzer Schwan oder weißer Schwan? Wie präsentiert sich Livia Hohenburg bei der Schwanensee-Premiere des Wiener Staatsballetts? Das fragt sich wohl die ganze Stadt. Nachdem das It-Girl monatelang auf keinem roten Teppich zu finden war, kam die Zusage Hohenburgs für alle überraschend. Ob sie nach dem Skandal um ihren Vater nun erhobenen Hauptes darüberschreiten oder wie ein Häufchen Elend -kriechen wird, bleibt abzuwarten.
Zur Erinnerung: Livias Vater, Alexander Hohenburg, wurde bereits vor Monaten wegen mutmaßlicher Veruntreuung von Steuergeldern verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft (hier klicken für: Alexander der Große nun ganz klein). Die Konten des Unternehmers sind eingefroren, solange die Untersuchungen des Veruntreuungsskandals noch andauern. Seine frisch angetraute Ehefrau Tanja wurde seitdem in Wien nicht mehr gesehen. Offenbar war die ganz große Liebe nicht groß genug, um bis ins Gefängnis zu überdauern. Schade, heißt es doch »in guten wie in schlechten Zeiten« — Tanja Steiner war wohl nur für die guten Zeiten zu haben. Böse Zungen behaupten sogar, die liebe Frau Steiner habe von Anfang an nichts Gutes im Sinn gehabt und sich nun mit vollen Taschen davongemacht.
Was auch immer los ist im Hause Hohenburg, insbesondere für Livia scheinen nicht gerade rosige Zeiten zu herrschen. Umso mehr freuen wir uns, dass unser Lieblings-High-Society-Sternchen jetzt zurück ist.
»Für meine Familie da zu sein ist wichtiger als Galas und Empfänge. Uns wurde übel mitgespielt und es ist essenziell, dass wir jetzt Seite an Seite stehen«, teilte Hohenburg in einer Presseerklärung mit.
Für die Familie und offenbar auch für einige Junggesellen. Zumindest wurde Hohenburg in letzter Zeit vermehrt in Gesellschaft verschiedener Männer gesichtet. Zuletzt beim innigen Knutschen mit Lukas Winter, dessen Start-up überraschend von Meta übernommen wurde, wodurch er kürzlich zu hohem Vermögen kam. Davon, dass die beiden eine Beziehung führen, ist jedoch nicht auszugehen. »@livinglivia? Die schnackselt gerade jeden, der bei drei nicht auf dem Baum ist. Das Girl scheint ziemlich verrückt zu sein, wenn Sie mich fragen«, so ein enger Vertrauter Hohenburgs im Gespräch.
Wie es wirklich um das Liebesleben von Wiens inoffizieller Prinzessin bestellt ist, können wir also nur vermuten. Ihr Instagram-Kanal @livinglivia glich schließlich monatelang einem Friedhof. Bis gestern. »See you at Swan Lake«, postete die 21-Jährige in ihrer Story. Für alle ist klar: Livia kommt heute Abend in die Oper. In welcher Verfassung sie sein wird und ob ein attraktiver Mann sie begleitet, lesen Sie morgen in Vienna Spotlight.
Leander von Traun, der lange für Hohenburgs heimliche große Liebe gehalten wurde, wird es nicht sein. Dieser wurde seit dem Herbst nicht mehr in Wien gesehen, sondern scheint es sich gerade rund um den Globus gut gehen zu lassen. Zuletzt wurde er auf einer Kink-Party in Saint-Tropez gesichtet und trotzt damit den Gerüchten, dass Bad Boy von Traun zahm geworden sei.
Freuen dürfen wir uns aber über Victoria Everhofen, die heute erstmalig in Begleitung ihres Verlobten den roten Teppich betritt (hier klicken für: JA! Victoria Everhofen wird heiraten. Alle Infos zur Traumverlobung der Sacher-Erbin).
Egal was kommt, der Abend wird auf jeden Fall ein Spektakel.
Bühne frei!
3. KAPITEL
FRAGILES GLAS-ICH
LIVIA
Sechs Monate.
Sechs Monate sind vergangen, seit ich mich aufgelöst habe. Sechs Monate, in denen außen unendlich viel und in mir drin rein gar nichts passiert ist. Papa wurde verhaftet. Nora ist bei Tante Britt. Vic ist verlobt. Bennet ist ständig auf Geschäftsreise. Leander ist weg.
All das ist an mir vorbeigerauscht wie ein Film. Ich habe zugeguckt, aber nicht mitgespielt. War nur eine leblose Puppe in einem stinkenden Kinosessel, während mein Leben zu sommergrauer Asche verbrannte.
»Livi? Bist du noch dran?«, fragt Nora während unseres allabendlichen Telefonats.
»Ja, sorry.« Ich musste kurz dagegen ankämpfen, an der Einsamkeit zu ersticken, die mich jedes Mal überfällt, wenn ich die erdrückende Dunkelheit unseres Apartments betrete. Kurz halte ich inne und bleibe einfach im Flur stehen. Hoffe auf ein Wunder, hoffe, dass Nora auf mich zugestürmt kommt und alles nur ein Traum war. Aber da ist nichts. Nur einsame Stille und Nora dreihundert Kilometer entfernt. »Musst du nicht langsam ins Bett, Knödel?«
»Sofort.« Sie schluckt und ich höre trotz der Distanz zwischen uns, dass sie unglücklich ist.
»Alles okay?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass absolut gar nichts okay ist.
»Ja, ich …« Ein Seufzer, so tief und schwer, wie ihn die Lippen eines siebenjährigen Kindes nicht ausstoßen sollten. Mein Herz bekommt einen weiteren Riss.
»Hey.« Ich bemühe mich mir nichts anmerken zu lassen. »Was ist los?«
»Es ist nur …« Wieder schluckt sie. »Ich vermisse es, eine Familie zu haben.«
Familie. Die sieben Buchstaben schlitzen meinen Brustkorb auf. Tränen brennen in meinen Augen. »Nora. Du und ich. Wir sind eine Familie. Für immer.«
»Ich meine eine richtige Familie. Mit Papa und …« Sie lässt den Rest des Satzes unausgesprochen, aber ich weiß auch so, was sie sagen will. Mit einem Vater, der nicht im verfluchten Gefängnis sitzt, und einer Mutter. Aber unsere Mutter ist erst abgehauen und dann gestorben. Und die Frau, die eine Mutter hätte werden können, hat sich als betrügerisches Miststück entpuppt.
Mit der freien Hand wische ich mir das Salz aus den Augen. »Wir kriegen das wieder hin, okay? Papa wird zurückkommen. Alles wird wieder gut.« Ich wünschte, ich würde auch nur ein Prozent der Zuversicht, die ich in meine Stimme gelegt habe, wirklich fühlen. »Alles wird gut«, wiederhole ich deshalb. »Und jetzt schlaf, Knödel. Wir reden morgen wieder. Gute Nacht!«
»Gute Nacht, Livi.«
Wir legen auf und ich bleibe für einige Sekunden im dunklen Flur stehen, versuche nicht unter der Last meines Lebens zusammenzubrechen. Irgendwann kicke ich meine Stiefel in eine Ecke und gehe durch das dunkle Wohnzimmer auf eines der Fenster zu.
Draußen schneit es. Ich beobachte die Flocken, die den weiten Weg vom Himmel gereist sind, um dann von dreckigen Sneakern auf dem Wiener Kopfsteinpflaster festgetreten zu werden. Vielleicht bin ich der Schnee. Abgestürzt und platt getrampelt. Und vielleicht werde ich bald endlich wegschmelzen.
Ich vermisse es, eine Familie zu haben. Der Satz hallt in meinen Ohren wider und ruft Erinnerungen hervor, bei denen jeder Herzriss aufklafft und spürbar wird. Bevor sie mich vollends überwältigen können, wende ich den Blick vom Schneegestöber ab und greife zur Fernbedienung. Lieber höre ich das Gekreische irgendwelcher D-Promis, die bei Temptation Island VIP ihre Beziehungen zerstören, als nichts.
Das Telefon klingelt und es ist mir egal. Das Letzte, was ich gerade will, ist, von einem übergriffigen Reporter mit Fragen bombardiert zu werden. Wann wird Ihr Vater entlassen, Frau Hohenburg? Wie geht es Ihnen jetzt, wo Sie ins Bodenlose abgestürzt sind?
Was soll ich darauf antworten? Beschissen, danke der Nachfrage. Aber tatsächlich könnte mich mein gesellschaftlicher Status nicht weniger jucken. Vielmehr macht mich die Tatsache fertig, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben verletzlich gezeigt habe und ausgerechnet an einen verrückten Hochstapler geraten bin. Aber klar, das Getuschel der Menschen ist auch schlimm.
Nein danke. Mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge koche ich Wasser und gieße es über einen Teebeutel. Es klingelt wieder. Ich schnappe mir eine Tüte Erdnussflips, lasse mich auf die Couch fallen und das Telefon einfach Telefon sein. Willkommen zu eurem zweiten Lagerfeuer, sagt Lola Weippert zu den Kandidatinnen und ich versuche alles andere aus meinem Kopf zu verbannen.
»Livia?«
Ich erschrecke mich so sehr, dass der heiße Tee, den ich in der Hand halte, über meine Finger schwappt. »Aua! Scheiße!« Ein stechender Verbrennungsschmerz züngelt über meine Haut.
Ein eingemummeltes Wesen, samt Mütze und ultra langem Schal betritt das Wohnzimmer. »Ups. Sorry. Ich wollte dich nicht erschrecken, aber du bist selbst schuld.«
»Vic, bist du es?«
»Ja, wer sonst?«
»Keine Ahnung, der Yeti?« Schockiert deute ich auf das übergroße weiße Ding, das nur entfernt Ähnlichkeit mit einem Mantel hat.
»Den gibt’s nicht.«
»Nicht mehr. Weil du ihn zu einem Kleidungsstück verarbeitet hast, du Barbarin.«
»Klappe! Der ist von Hermès und du hast keine Ahnung von Mode.« Sie schält sich aus dem haarigen Ding und legt es auf einen der Sessel.
»Sieht aus, als hättest du dir einen Hund angeschafft.« Skeptisch blicke ich zu dem Pelzhaufen. »Oder einen Schneeleoparden. Hast du Hunger, Snowflake? Hier, friss etwas.« Ich bewerfe den Mantel mit ein paar Flips. »Ja, braves Tier. Das schmeckt dir, was?«
»Das ist natürlich kein echter Pelz.« Vic verdreht die Augen.
»Wuff. Braver Hund.« Ich werfe einen weiteren Flip.
»Kannst du bitte aufhören meinen Mantel zu füttern?«
»Aber der Gute ist ganz ausgehungert.« Eine weitere Ladung landet auf Snowflake.
»Der Gute ist ein Kleidungsstück.« Sie wirft mir einen verurteilenden Blick zu und pflückt die Flips aka das Hundefutter vom weißen Stoff.
»Langweilerin.« Ich schneide eine Grimasse in ihre Richtung und widme mich wieder Temptation Island. Vic richtet sich auf und steht unschlüssig in der Mitte des Raumes.
Ich seufze. »Vic, was willst du? Hat dein Besuch noch einen anderen Grund außer der Raubtierfütterung deines schrägen Mantels?«
»Heinz hat mich reingelassen.«
»Der Mann hat eindeutig seinen Job nicht verstanden. Seit wann lässt ein Portier wildfremde Menschen ohne Ankündigung rein?«
»Er wollte mich ankündigen, aber du hast das Telefon ignoriert, und wildfremd bin ich auch nicht.« Sie setzt sich neben mich und wirft sich einen Flip in den Mund.
»Aha. Und wenn ich nicht rangehe, ist das ’ne Einladung, oder was?«
»Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass du ganz allein da oben bist.« Wow. Das ist ja was Neues. »Und niemand es mitbekommen würde, wenn dir was passiert. Deine Leiche könnte seit Tagen hier rumliegen und alles vollstinken.«
»Na, ein Glück, dass ich so positiv denkende Freundinnen habe.« Ich nehme einen Schluck Tee. »Außerdem bin ich gerade erst nach Hause gekommen. Heinz weiß also sehr gut, dass ich weit davon entfernt bin zu verwesen.«
»Ansichtssache.« Mit hochgezogenen Augenbrauen mustert sie mich und bleibt an einem Fleck auf meinem Pulli hängen.
»Was, wenn ich gerade beim Nacktyoga gewesen wäre? Oder Männerbesuch gehabt hätte? Und du wärst einfach reingeplatzt?«
»Das Risiko scheint ja in letzter Zeit öfter zu bestehen, wenn man den Klatschblättern glaubt.«
»Was? Dass ich eine verrückte Nymphomanin bin?«
»Liv, das war so nicht –«
»Ach, schon gut. Ist ja was dran.« Ich winke ab.
»Lukas Winter, im Ernst?« Schockiert schüttelt sie den Kopf. »Seit wann interessiert dich ein Nemo wie er? Der Kerl will doch nur bei seinen versnobten New-Money-Freunden damit angeben, dass er Livia Hohenburg nackt gesehen hat.«
»Und?« Langsam nervt mich ihre Fragerei.
»Und? So ein Typ interessiert sich nicht wirklich für dich. Nur für deinen Namen und vielleicht deinen Körper.«
Ich seufze. »Vielleicht will ich genau das, schon mal darüber nachgedacht?«
»Du willst, dass dich jemand nur wegen Oberflächlichkeiten flachlegt?«
»Ganz genau. Hat immerhin nicht gerade gut geendet, als ich jemandem mehr als meine Oberflächlichkeiten gezeigt habe, falls du dich erinnerst.« Meine Kehle wird eng. Mein Herz schwer. »Also, nein danke.« Ich lasse nicht zu, dass mir noch mal jemand das Gefühl gibt, das verkümmerte Wesen, das ich im Inneren bin, zu einem halbwegs aufrecht stehenden Menschen aufbauen zu können. Nur um wenige Wochen später mit Kanonenkugeln auf mein fragiles Ich zu schießen und mich wie Glas zerplatzen zu lassen.
Vic stößt einen tiefen Seufzer aus. »Glaubst du nicht, dass es dir guttun würde, es noch mal zu riskieren? Lern jemanden kennen, jemand Nettes. Nicht diese famegeilen Nemos. Nur weil Nick dein Vertrauen nicht verdient hatte, heißt das nicht, dass du jetzt nie wieder diese Seite von dir zeigen darfst.«
Ich erwidere nichts, sondern schaue stoisch nach vorn zum Fernseher.
Vic lässt ihren Atem geräuschlos entweichen. »Du warst schon immer zerstörerisch, wenn du verletzt wurdest. Aber statt alles um dich herum zerstörst du immer nur dich selbst.«
»Oder ich überlebe.« Ich schaffe es, den Aschehaufen formerly known as mein Leben für einen kurzen Moment zu ertragen.
»Alles okay?«, flüstert sie und rutscht näher an mich heran.
»Ja.« Ich merke selbst, wie schlecht ich lüge.
»Hatten wir dieses alberne Alles-ist-gut-Getue nicht hinter uns?« Sie zieht mich an sich. »Du musst bei mir nicht so tun als ob. Bringt eh nichts. Ich sehe, wie kacke es dir geht.«
Ich versuche noch zwei Sekunden dagegen anzukämpfen, dann breche ich zusammen. »Es tut so weh. Es tut immer noch so weh.« Tränen, die ich nur selten zulasse, kullern meine Wangen hinunter und versauen Vics Kaschmirpullover mit schwarzer Wimperntusche. »Was, wenn es nie wieder aufhört wehzutun?«
»Das wird es. Ich verspreche es dir.« Meine beste Freundin umklammert mich mit festem Griff. Hält mich, als würde ich sonst ertrinken. Was vielleicht stimmt.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Vic. Jeden Morgen stehe ich auf und weiß nicht, was ich verdammt noch mal tun soll. Die Presse sitzt mir seit Monaten im Nacken. Nora geht’s schlecht. Mein Vater sitzt im fucking Knast. Ich frage mich echt, was ich getan habe, dass mich irgendein Karma-Jesus so fertigmachen will …«
»Das Leben meint es gerade wirklich nicht gut mit dir.« Vic streicht mir übers Haar. »Aber ich bin stolz auf dich, Liv. Unendlich stolz.«
»Warum?« Ich ziehe die Nase hoch. »Ich kriege nichts hin. Eigentlich ist alles, was ich noch mache, atmen, ungesunde Scheiße essen, Trash-TV gucken und ab und zu einen Nemo abschleppen.« Jetzt, wo ich das so ausspreche, klingt es noch erbärmlicher.
»Das stimmt nicht. Gestern warst du doch in der Uni, oder?«
»Ja, schon. Aber eigentlich weiß ich nicht, warum ich es tue.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, diese ganze BWL-Sache sollte ich doch machen, um irgendwann das ach so unantastbare Hohenburg-Imperium zu übernehmen. Aber so unantastbar war es dann am Ende nicht, falls du es nicht mitbekommen hast.«
»Dann ist das doch jetzt vielleicht die Gelegenheit, etwas anderes zu machen. Etwas, das du willst.« Vic stupst mir aufmunternd in die Seite.
»Das geht nicht. Mein Vater hat genug Probleme. Er sitzt im Knast. Eine Tochter, die auf einmal ihr Leben umkrempelt, würde ihm den Rest geben.« Und eine Rückkehr zu einer Familie unmöglich machen.
»Hm.«
»Hm.«
»Gott, das klingt echt krass.« Sie vergräbt ihr Gesicht in den Händen. »Diese Mein-Vater-sitzt-im-Knast-Sache.«
»Krass, ja.«
»Besuchst du ihn noch?«
»Einmal im Monat.« Einmal im Monat muss ich durch die Schleuse. Einmal im Monat muss ich meinem Vater ins Gesicht blicken und sehen, wie der stolze Bürgermeister Wiens gebrochen wurde.
Und wie er doch weiter die Zügel meines Lebens in der Hand hält.
»Ich war gestern da«, erkläre ich und bei der Erinnerung werden die Flips in meinem Magen zu Kieselsteinen.
»Und?«
»Wir haben eine neue PR-Strategie besprochen.«
Mein Leben. Eine PR-Strategie.
»Ah, also nicht mehr diese Sache mit ›kein Insta, keine Auftritte‹?«
»Nee. Leider nicht. Eigentlich hat mir mein Leben im Verborgenen ziemlich gut in den Kram gepasst.« Ich stöhne. »Jetzt soll ich Normalität vermitteln. Ich soll wieder Storys machen und auf dämliche Veranstaltungen gehen. Gar keinen Bock, sage ich dir. Aber wenn es ihm hilft …«
Dieses ganze Leben kommt mir noch sinnloser vor, seit ich es einmal gewagt habe, an eine Alternative zu denken. Seit ich es gewagt habe zu glauben, dass ich mehr sein kann. Aber am Ende war ich doch kein Mehr, sondern ein bedeutungsloses Nichts. Der Traum eines Musikstudiums ist an einen weit entfernten Ort gewandert. Wahrscheinlich hat Nicolas ihn mitgenommen und chillt mit ihm irgendwo in der Sonne.
»Okay, aber trotzdem«, zieht Vic mich aus meinem finsteren Gedankenkarussell.
»Was trotzdem?«
»Trotzdem bin ich stolz auf dich.«
»Aber ich tue absolut nichts, worauf man stolz sein könnte.«
»Na ja, die alte Livia hätte anders reagiert«, gibt Vic zaghaft zu bedenken. »Auf so einen Scheiß. Die alte Livia wäre völlig ausgerastet.«
»Ja, stimmt. Vor ein paar Monaten wäre ich wohl dauerhigh und jeden Tag auf irgendeiner Party gewesen.«
»Aber die neue Livia macht das nicht.«
»Kann sie ja auch nicht.« So gern sie es auch würde, aber das verschweige ich. »Wenn ich mir ständig was einwerfen, mich betrinken und feiern gehen würde, könnte ich die Vormundschaft für Nora vergessen und Absturz-Livia in den Medien wäre wohl eher kontraproduktiv in Sachen PR.«
»Außerdem habe ich wirklich keine Lust, noch mal Angst um dein Leben zu haben, weil du dir ’ne Überdosis reingeknallt hast!«
»Ach ja, und das.« Ich muss grinsen und wische mir die Tränen von der nassen Haut.
»Gut.« Vic nickt zufrieden. »Also, was ziehst du an?«
»Heute? Ich hatte an eine gewagte Kombi aus übergroßem Schlafshirt und Thermoleggins gedacht.«
»Das käme irgendwie weird auf dem roten Teppich, oder?«
Ich stöhne genervt. »Muss ich da wirklich hin? Ich stehe überhaupt nicht auf Ballett.«
»Das ist eine Lüge, Livia. Früher hast du Ballett geliebt.«
Früher. Als Mama und ich noch bei jeder Premiere in der ersten Reihe gesessen und zu Hause alles nachgetanzt haben. Früher. Als sie mich noch nicht ohne Abschied verlassen hatte und anschließend gestorben ist. Damals wusste ich noch nicht, dass sie nur das erste Mitglied im Wir-verlassen-Livia-Club war und bloß ein Jahr später eine halbe Fußballmannschaft daraus werden würde.
»Also ja, du musst. Ich habe dir gesagt, dass du dich bis Ende des Jahres in deinem Elend suhlen darfst.« Sie klatscht einmal in die Hände. »Jetzt ist Januar und Schluss damit.«
»Du hast nicht gesagt welche Zählweise«, grummle ich.
»Hä?«
»Das chinesische Kalenderjahr beginnt erst im Februar. Ich bin davon ausgegangen, dass du das meinst.« Ich zucke mit den Schultern und starre geradeaus auf eine wilde Party in der Temptation-Island-Villa.
»Wir sind aber nicht in China, sondern in Wien.«
»Du kannst mich noch mal fragen, wenn wir im Jahr des Drachen angekommen sind.«
»Livia Hohenburg.« Ihr Ton klingt streng und sie deutet mit einem ausgestreckten Finger auf mich. »Wenn du nicht gleich aufstehst, werde ich zum Drachen, und das willst du nicht erleben.«
»Nice. Ich wollte immer einen Drachen. Dann mache ich ’ne Gang auf mit Daenerys Targaryen und Violet Sorrengail. Stell ich mir chillig vor. Wir fliegen über die Welt, fackeln ab und an irgendwas ab und haben die Zeit unseres Lebens.«
Vic schlägt sich die Hand vor die Stirn. »Bitte, Livia.« Huch, jetzt klingt sie beinahe flehend. »Clément und ich sind seit der Verlobung das erste Mal zusammen auf dem roten Teppich.« Als würde ich die Tragweite dessen, was sie gerade gesagt hat, sonst nicht verstehen, hebt sie ihre linke Hand, an der ein unverhältnismäßig großer Diamantring steckt. Ich gebe mir größte Mühe, das Ding nicht mit Blicken zu verbrennen. »Die Presse wird so viele Fragen zur Hochzeit stellen. Ich will nicht, dass sie merken, wie viel Panik ich vor der ganzen Sache habe. Ich sehe schon die Schlagzeilen. Kriegt Victoria Everhofen kurz vor der Hochzeit kalte Füße?« Für eine Sekunde schließt sie die Augen. »Ich brauche echt deine Hilfe, um mir nichts anmerken zu lassen.«
»Warum machst du das dann, Vic? Diese ganze Sache mit der Hochzeit. Du bist so jung. Du musst nicht mit einundzwanzig schon verheiratet sein. Wir sind nicht mehr in den Fünfzigern«, gebe ich zu bedenken, als hätten wir das Thema nicht schon hundertmal durchgekaut.
»Du weißt, dass Clément sein Treuhandvermögen erst bekommt, wenn er verheiratet ist.«
»Das ist so ein veralteter patriarchaler Dreck, wirklich.«
»Ich weiß. Aber er will sein eigenes Hotelimperium aufbauen. Mit mir zusammen. Meine Eltern denken auch, dass …«
»Jaja«, winke ich ab. »Ich weiß, dass sie völlig aus dem Häuschen sind, weil du eine Allianz mit dem Feind eingehst und somit das Imperium vergrößerst. Sei froh, dass sie dich nicht an Paris Hilton verscherbelt haben.«
Schlagartig verändert sich ihr Blick. Traurigkeit schimmert in ihren Augen und ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin. »Okay, tut mir leid. Das war nicht fair.«
»Ach, schon gut.« Sie strafft die Schultern. »Ganz unrecht hast du ja nicht. Aber ich liebe Clément wirklich und ich hätte ihn in ein paar Jahren sowieso geheiratet.« Ihre Lippen kämpfen mit einem Lächeln.
»Ihn und seine Grünkohlsmoothies.«
»So schlecht schmecken die gar nicht.«
»Lüge.«
»Hast recht. Sie schmecken furchtbar.«
»Na ja, vielleicht kannst du mir dann Geld leihen, wenn dein neues Imperium durch die Decke geht.«
Vic sieht mich fragend an.
»Mein eigenes hat sich ja eine schlecht Bonnie-und-Clyde-Imitation unter den Nagel gerissen.«
»Bonnie und Clyde waren ein Liebespaar.«
»Deswegen ja schlechte Imitation.«
»Außerdem braucht es wohl ein bisschen mehr als eine überstürzte Hochzeit, um die Hohenburgs in den finanziellen Ruin zu stürzen. Sorry, aber allein dein Treuhandvermögen müsste doch ausreichen, um die Seychellen zu kaufen.«
»Ist ja schon gut.« Vic hat recht. Obwohl Tanja und Nick, oder wie auch immer sie heißen, sich die Hohenburg Immogroup gekrallt und das Konto meines Vaters leer geräumt haben, bin ich weit davon entfernt, pleite zu sein. »Ich denke, ich ziehe das blaue Valentino an.« Der Entschluss hat meinen Mund verlassen, bevor ich ihn aufhalten kann. Aber ich kann es nicht ertragen, Vic so verzweifelt zu sehen. Ich will für sie da sein. Und irgendwie muss ich ja auch. Wegen dieser ganzen PR-Sache. Und wegen der Alles-wird-gut-Sache, die ich Nora versprochen habe.
»Also kommst du mit?« Ihre Augen blitzen erfreut auf.
»Ja, und ich werde den Reportergeiern an die tausend Mal erzählen, wie überglücklich du bist.«
»Ahhhhh!«, kreischt sie. »Danke, danke, danke.« Sie drückt mir einen Knutscher auf die Wange. »Dann kann ich dich jetzt endlich fragen, was ich schon seit Wochen fragen will …«
4. KAPITEL
JUSTICE FOR FIVE
LIVIA
Meine großen Zehen werden von den Louboutins zusammengequetscht. Sie sind diese Art Schuh nicht mehr gewohnt. Bitte, Livia. Gib uns die gemütlichen Socken und Sneaker zurück, in denen wir die letzten sechs Monate gelebt haben, würden sie wahrscheinlich sagen, wenn sie keine Zehen wären und sprechen könnten. Das Kleid zwickt ebenfalls am Nacken und durch die Hochsteckfrisur ziept mein Haar. Wie habe ich das all die Jahre täglich ausgehalten? Ein It-Girl zu sein ist tierisch unbequem.
»Du siehst sehr hübsch aus, Livia.« Clément, der mir in der Limousine gegenübersitzt und Vics Hand umklammert hält, lächelt mir anerkennend zu.
»Ähm. Danke. Du auch.« Ich deute auf seinen schwarzen Smoking, der ihm wirklich gut steht. »Und du …«, ich wende mich an Vic, »siehst auch sehr hübsch aus.«
Sie streicht einmal über ihr goldenes Dolce-Kleid. »Wir sehen also alle top aus. Gut, dass wir das geklärt haben.« Grinsend zieht sie ihr iPhone aus der schwarzen Clutch.
»Mach mal eine Story von mir«, fordere ich sie auf. »Wegen der PR-Sache und so.«
Sie nickt und hält mir die Kamera vor das Gesicht. Ich mache einen Kussmund.
»Okay, fertig. Siehst hot aus, wie immer.« Eine Sorgenfalte bildet sich plötzlich zwischen ihren Augenbrauen.
»Alles okay?«, frage ich verwirrt.
Sie schüttelt den Kopf. »Hast du mal was von Leander gehört? Er ignoriert meine Nachrichten und Anrufe.«
»Meine auch.«
»Leander ist euer Kumpel, der bei Vic im Hotel wohnt, oder?« Clément sieht fragend zwischen uns hin und her.
»Gewohnt hat«, berichtigt meine beste Freundin ihn. »Bis er vor zwei Monaten vom einen Tag auf den anderen aus Wien verschwunden ist.« Sie tippt einige Male auf ihrem Handy herum und dreht es dann zu mir. »Gestern hat er eine Story aus Saint-Tropez hochgeladen. Da stimmt doch was nicht.«
Die Limousine rollt über ein Schlagloch, sodass ich die Augen zusammenkneifen muss, um zu erkennen, was auf dem Bildschirm vor sich geht.
Leanders oberste drei Hemdknöpfe sind offen. Er schielt leicht in die Kamera. In der einen Hand hält er eine Flasche Moët. In der anderen eine Frau, die locker als Victoria’s-Secret-Engel durchgehen könnte.
»Aber hat der Typ nicht immer viel gefeiert?«, fragt Clément.
»Schon.« Vic legt den Kopf schief. »Aber nicht so. Mein Bauchgefühl sagt, dass da was nicht in Ordnung ist.«
Ich bleibe stumm. Denn anders als Vic glaube ich ziemlich genau zu wissen, warum Leander aus Wien getürmt ist und die brutale Wirklichkeit nicht aushält. Er liebt sie. Vic. Er tut es schon lange und kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie die Frau eines anderen wird. Aber das sage ich ihr nicht. Es würde nichts bringen. Vic hat sich ihrem Schicksal ergeben und es würde ihr nur wehtun zu wissen, dass ihre Verlobung der Grund für Leanders Absturz ist.
»Wir sind sofort da.« Claus dreht sich zu uns nach hinten. »Möchten Sie, dass ich vorfahre?«
Ich schaue fragend zu Vic. »Bereit?«
»Bereit, Trauzeugin.« Sie lächelt so breit, dass mein Herz einen Hüpfer macht. Denn natürlich habe ich keine Sekunde gezögert, als sie vorhin gefragt hat.
»Warum fragt mich niemand, ob ich bereit bin?«, beschwert sich Clément.
»Du wurdest bereit geboren, mein Schatz«, zieht Vic ihn auf.
Claus fährt noch um eine Ecke, hält dann am Opernring und dreht sich erneut zu mir um. »Ich freue mich, dass Sie wieder da sind, Livia.« Sein Lächeln ist aufrichtig und ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen.
Aber als die Wagentür geöffnet wird, meine schreienden Louboutin-Zehen den roten Teppich berühren und die Reporter schnattern, spüre ich keinen Funken Freude.
NICOLAS
Ich sollte aufgeregter sein. Nervöser. Ich sollte irgendwas spüren. Aber als ich mir das Jackett meines maßgeschneiderten Anzugs überziehe, spüre ich nur die mir bekannte Leere, die sich seit sechs Monaten weigert, meinen Körper, meinen Kopf und mein Herz zu verlassen.
»Hast du dir alles gemerkt?« Meine Mutter zupft hektisch an meinem Kragen. »Der Tag heute ist wichtig.«
»Nancy Young. Fünfunddreißig Jahre. Republikanerin. Frau von Alfred Young, der in diesem Jahr für das Gouverneursamt des Bundesstaats New York kandidiert«, rattere ich runter.
»Das ist alles, was du weißt? Du observierst diese Frau seit drei Monaten!«
»Es besteht der Verdacht, dass ihr Mann Raubüberfälle von vermeintlichen Lateinamerikanern inszeniert hat, um eine härtere Abschiebepolitik durchzukriegen und seinem Wahlkampf neuen Schwung zu verleihen. Bisher scheint es zu funktionieren. Seine Umfragewerte sind top.«
»Allein das zu hören, macht mich rasend.« Sie blickt finster zu mir hoch. »Und weiter?«
»Nancy ist fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann und scheint in dieser Ehe nicht besonders glücklich zu sein. Sie hasst es, in seinem Schatten zu stehen und immer nur die Frau von zu sein. Eigentlich würde sie gern selbst politische Karriere machen, aber ihr Mann hat sie ziemlich gut im Griff. Sie ist oft einsam. Ihr Mann ist ständig unterwegs in Sachen Wahlkampf und ich glaube, sie hat keinen einzigen echten Freund.«
»Und das weißt du woher?«
»Ich habe zwar nicht mit ihr direkt gesprochen, aber ihre gehässigen Freundinnen beim Sektfrühstück belauscht, als sie über sie gesprochen haben. Die waren nicht besonders nett.«
Meine Mutter nickt zufrieden. »Also, was ist der Plan für heute?«
»Heute ist der Neujahrsempfang des Frauenvereins, in dem Nancy Mitglied ist. Alfred wird nicht da sein, da er heute beim Senator eingeladen ist. Nancy wird also allein kommen und das Ganze verabscheuen, weil sie den lieben langen Abend auf ihren Mann angesprochen werden wird und niemand sich auch nur eine Sekunde für sie interessiert.«
»Außer dir.« Meine Mutter zwinkert mir zu.
»Genau. Ich habe bereits vor Wochen dafür gesorgt, dass ich auf der Gästeliste stehe. Beziehungsweise Tom Hauser. Ein deutscher Jungunternehmer, der in den USA Fuß fassen will.«
»Okay, Tom. Das klingt gut. Dann hoffen wir mal, dass die gute Nancy so einsam ist, dass sie dir nach einigen Gläsern Champagner von den kriminellen Machenschaften ihres Mannes erzählt, du das Ganze aufnehmen und im Anschluss der New York Times zuspielen kannst. Wenn’s klappt, war’s das mit der politischen Karriere ihres Mannes.«
»Und sie stürzt mit ihm ab …« Etwas Unangenehmes macht sich in meinem Magen breit. Ein Gefühl, das mir ganz und gar nicht gefällt und das ich in letzter Zeit öfter habe. Wie immer in diesen Momenten muss ich an Livia denken. Wie es ihr wohl geht? Was für eine dumme Frage. Was für ein saudummer Gedanke. Wie soll es ihr schon gehen? Ich habe sie fertiggemacht. Es wird ewig dauern, bis sie sich davon erholt. Wenn überhaupt. Wenn ich nicht längst dafür gesorgt habe, dass ihr Feuer endgültig erloschen ist. Fuck. Ich darf nicht an sie denken.
»Raphael?« Bei meinem Namen intensiviert sich das Scheißgefühl in meinem Magen.
»Hm?«
»Du hilfst so vielen lateinamerikanischen Einwanderern. Denk nicht an das Schicksal einer Einzelnen. Denk an die Menschen, denen wir wirklich helfen. Denk daran, was uns passiert ist.«
Was uns passiert ist. Ich denke an meinen Vater und die fünfzig Prozent DNA, die in mir schlummern. Ich denke an Schmerz in den Augen meiner Mutter, der nur für kurze Zeit verschwindet, wenn wir einen weiteren Coup gelandet haben. Und ich denke an das Tattoo justice for five und die Narbe auf meinem Oberarm. Gerechtigkeit für meine ersten fünf Lebensjahre.
Also straffe ich die Schultern, hebe das Kinn und setze ein schiefes Lächeln auf, von dem ich weiß, dass es Nancy Young gefallen wird. Ich verdränge das drückende Gefühl im Bauch.
Und werde zu Tom Hauser.
Keine Vulkanaugen.
Nur justice for five.
5. KAPITEL
WEISSER LICHTSCHWAN, SCHWARZER SCHATTENSCHWAN
LIVIA
»Livia, hier rüber! Livia!«
Es hat sich nichts geändert.
Gar nichts. Die Reporter kreischen, die Kameras klicken, die Scheinwerfer glühen. Das Blitzlicht brennt sich durch meine Haut in meinen Magen. Gierige Blicke kratzen wie Krallen an meinem bodenlangen Kleid. Alles ist genau wie vor sechs Monaten.
Die Welt dreht und dreht sich, doch in Wien bleibt alles beim Alten. Leanders Worte, die mir in dieser Sekunde durch den Kopf schießen. Leander, den ich schlagartig furchtbar vermisse. Er hat mich verstanden. Mich und mein Leben. Auf eine Weise, wie Vic es wohl nie tun wird. Aber vielleicht hat Leander recht und ich brauche das hier. Ich brauche Livia Hohenburg, um in dieser Abwärtsspirale, zu der mein Leben geworden ist, nicht völlig den Halt zu verlieren.
»Vic, guck mal. Celina Maybach hat den Bruder deines schrecklichen Mantels dabei.« Ich nicke zu einer Wiener Designerin, die einige Meter vor uns auf dem roten Teppich posiert.
»Hä?« Meine beste Freundin guckt sich suchend um. »Haha. Du bist ja so lustig.« Sie schüttelt missbilligend den Kopf, als ihr Blick auf Celina und den weißen Winzhund fällt, den diese auf dem Arm trägt.
»Ihr seid merkwürdig.« Clément, bei dem sich Vic untergehakt hat, seufzt.
»Ich weiß«, stimme ich zu und zucke mit den Schultern.
»Victoria? Wie geht es Ihnen seit der Verlobung? Wissen Sie schon, welchen Designer Sie tragen werden? Und wie wirkt sich der Skandal um die Hohenburg-Familie auf die Feier aus?« Eine junge Journalistin mit einem hohen Pferdeschwanz feuert offenbar jede Frage, die sie sich notiert hat, willkürlich auf uns ab.
Ich schaue zu Vic. Die gräbt bereits die Zähne in die Unterlippe.
»Komm schon«, flüstere ich ihr zu. »Auf sie mit Gebrüll.« Meine Finger umschließen ihre und ich ziehe Vic zu den Journalisten, die aufgereiht wie Hühnchen auf der Stange auf uns warten. Ich entscheide mich direkt zur Pferdeschwanz-Fragenhagel-Frau zu gehen und setze ein breites Lächeln auf. Komm schon, Livia, du kannst das hier. Du konntest es immer. Dieses ganze Affentheater ist dein Ding. Selbstbewusster Gang, gerecktes Kinn, gestraffte Schultern. Oh yes, ich habe es noch drauf.
Die Journalistin scheint völlig aus dem Häuschen zu sein, als sie mich und Vic näher kommen sieht.
»Katrin Schunck. Vienna Spotlight.« Sie hält mir ein rotes Mikro so dicht vor die Nase, dass ich hineinbeißen könnte, wenn ich wollte. Wäre eine lustige Schlagzeile.
»Guten Abend.« Meine Stimme ist ruhig, mein Lächeln fest auf meine Lippen zementiert.
»Livia, darf ich sagen, dass ich mich freue, Sie zurück in der Öffentlichkeit zu sehen?«
»Danke, ich freue mich auch.«
Sie nickt und ich weiß, dass nach dieser Anstandsbemerkung jetzt die brisanten Fragen kommen. Doch obwohl ich sechs Monate komplett raus war aus diesem Zirkus, bin ich immer noch Vollprofi.
»Ihr Vater wird der Veruntreuung bezichtigt. Er soll staatliche Gelder, die für den Bau von Sozialwohnungen gedacht waren, für private Zwecke genutzt haben. Ist der Skandal um die Verhaftung Ihres Vaters der Grund für Ihr Abtauchen?«
Gib ihnen immer nur einen lächerlichen Fetzen der Wahrheit und behalte das große Ganze für dich.
»Ich bin nicht abgetaucht. Ich habe mir nur eine Pause gegönnt. Ständig auf fünfzehn Zentimeter hohen Schuhen über rote Teppiche zu laufen hat meinen Füßen überhaupt nicht gutgetan.« Ich lache. Die Reporterin sieht enttäuscht aus.
»Wie geht es Ihrem Vater? Ein Mann wie er hat es in Untersuchungshaft sicher nicht leicht.«
»Mein Vater ist einer dieser Menschen, die überall Freunde finden.« Eine vage Antwort, die fast unmöglich aus dem Kontext gerissen werden kann.
»Wo sind Frau Steiner und ihr Sohn? Wurde die Ehe annulliert, weil Frau Steiner nicht mit einem Knasti verheiratet sein wollte? Oder ist an den Gerüchten etwas dran, dass es sich womöglich um eine Heiratsschwindlerin handelt?«
Die Frage verwandelt sich in unzählige messerscharfe Splitter, die sich durch meine Rippen direkt in mein Herz bohren und mir für einen Zeitfetzen den Atem rauben. Ich habe damit gerechnet, dass so etwas passiert. Dass so eine beschissen übergriffige Frage gestellt wird. Weil für eine Journalistin von Vienna Spotlight Übergriffigkeit in der Jobbeschreibung steht. Ich habe gewusst, dass es so kommen würde, und doch hätte mich nichts auf den brutalen Schmerz vorbereiten können, der bei der bloßen Erwähnung seines Namens droht mich in Stücke zu reißen.
Ich sollte etwas sagen. Aber ich kann nichts sagen. Meine Gefühle rasen unaufhaltsam drauflos. Gedanken rattern durch meinen Kopf und ich brauche unmenschliche Kräfte, damit meine Gesichtszüge nicht aus der Bahn geraten. Ich muss unbedingt etwas sagen. Katrin Schuncks Augen weiten sich wissend. Mein Lächeln verrutscht. Scheiße.
»Über den aktuellen Aufenthaltsort der Steiners können wir nichts sagen, da wir ihren Wunsch nach Privatsphäre schützen wollen«, kommt Vic mir zu Hilfe.
Privatsphäre. Ich lache mich tot. Die Splitter in meinem Brustkorb lachen mit. In Wahrheit habe ich keine Ahnung, wo Nicolas sich aufhält, und ich werde es mit großer Wahrscheinlichkeit auch nie herausfinden, da mein Vater mir verboten hat ihn zu suchen. Wir können nicht noch mehr schlechte Presse gebrauchen, Livia. Wenn herauskommt, dass sie uns um unser halbes Vermögen gebracht haben, können wir eine Rehabilitation für immer vergessen.
Also habe ich mich daran gehalten. Wie ich es immer tue. Livia Hohenburg, die hübsche Marionette. Mein Lächeln wird wieder strahlend.
»Frau Everhofen«, wendet sich die Reporterin jetzt Vic zu. »Ich gratuliere herzlich zur Verlobung.«
»Vielen Dank.«
»Sie sind gerade mal einundzwanzig. Was hat Sie dazu bewogen, so jung zu heiraten?«
Ich bin kurz davor, dieser Frau meine Faust ins Gesicht zu schlagen, doch Vic bleibt cool.
»Wenn man weiß, dass man die richtige Person heiratet, gibt es kein ›zu früh‹.« Ihr Blick huscht zur Seite und bleibt an Cléments Gesicht hängen, der in diesem Augenblick mit einem Reporter des Wiener Kurier spricht.
»Also ist Clément Bellegarde Ihre große Liebe?«
Die Schultern meiner besten Freundin verspannen sich. Jetzt bin ich es, die einspringt. Weil wir das so machen.
»Nein. Das bin ich.« Ich zwinkere. »Sorry, Clément, aber du wirst wohl immer nur Platz zwei sein.« Lachend zucke ich mit den Schultern.
»Da hat sie recht«, stimmt Vic mir zu, und bevor der Reporterin noch weitere Fragen einfallen, gehen wir zum nächsten Mikro.
Wo werden Sie heiraten? – Hier in Wien. (Ehrliche Antwort: Etwas anderes würden ihre Eltern niemals erlauben. Vics Hochzeit muss das gesellschaftliche Ereignis in diesem Jahr werden.)
Mit wem werden Sie zum Opernball gehen? – Das bleibt eine Überraschung. (Ehrliche Antwort: Ich habe keinen blassen Schimmer.)
Gibt es Neuigkeiten im Hohenburg-Prozess? – Zu laufenden Ermittlungen darf ich mich leider nicht äußern. (Ehrliche Antwort: Ich habe keinen blassen Schimmer.)
Welche Schuhe tragen Sie heute? – Louboutins. (Ehrliche Antwort: Louboutins.)
Sind Sie endgültig zurück auf Instagram? – Ich werde wieder regelmäßiger posten, ja. (Ehrliche Antwort: Ich muss, weil das die neue PR-Strategie ist und ich irgendwie retten muss, was zu retten ist.)
Wie oft besuchen Sie Ihren Vater? – So oft ich kann. (Ehrliche Antwort: So oft ich es schaffe, ohne zusammenzubrechen.)
Auf diese Weise bahnen Vic und ich uns unseren Weg an der schnatternden Menge vorbei. Immer mit einem Wahrheitsfetzen auf den Lippen, der morgen in eine Headline verwandelt werden wird. Die Splitter stecken noch immer in meiner Brust, aber sie schaffen es kein zweites Mal, meine Maske zu zerschneiden.
Als wir endlich im Gebäude ankommen, bin ich so ausgelaugt wie nach einem Marathon.
»Mein Gott.« Erschöpft lasse ich mich in einen der roten Polstersitze der Loge fallen. »Ich habe völlig vergessen, wie anstrengend das ist.«
»Ich bin auch am Ende.« Vic setzt sich neben mich.
»Wenn ihr mehr Vitamine supplementieren und nicht immer über meine Grünkohlsmoothies lachen würdet, hättet ihr mehr Energie.« Clément nickt selbstzufrieden.
Ich gebe einen undefinierbaren Laut von mir.