Duty & Demand (Academy of Avondale 2) - Lara Holthaus - E-Book

Duty & Demand (Academy of Avondale 2) E-Book

Lara Holthaus

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Beschreibung

** Was, wenn du zwischen einer zweiten Chance und deiner großen Liebe wählen musst?** An Liebe auf den ersten Blick glaubt Neyla eigentlich nicht. Doch auf dem Flug zurück an ihre Academy begegnet sie dem charismatischen Riley und es funkt sofort zwischen ihnen. Neylas Welt steht mit einem Mal kopf. Überzeugt davon, ihn nie wiederzusehen, küsst sie ihn unverhofft. Doch dann der Schock: Kaum an der Academy angekommen, trifft sie auf Riley. Allerdings ist er kein neuer Schüler, sondern der neue Schwimmtrainer. Und nicht nur das, er ist ein weltberühmter, wegen eines Skandals gefallener Olympiastar. Vor diesem Hintergrund versucht Neyla alles, um die knisternde Anziehung zu ignorieren, schließlich würde eine verbotene Beziehung ihre ganze Zukunft aufs Spiel setzen. Aber die Versuchung ist groß, denn sie spüren beide, dass sie ihre düsteren Vergangenheiten nur gemeinsam erhellen können … »Die Geschichte von Neyla und Riley ist humorvoll, prickelnd und voller tiefer Gefühle. Ein Must-Have für alle forbidden-love-Fans.« – Spiegel-Bestsellerautorin und Buchbloggerin Antonia Wesseling // Dies ist der zweite Band der der gefühlvollen »Academy of Avondale«-Reihe. Alle Romane der New Adult Romance von SPIEGEL-Bestsellerautorin Lara Holthaus: -- Trust & Truth (Academy of Avondale 1) -- Duty & Demand (Academy of Avondale 2) Jeder Roman dieser Serie steht für sich und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. Diese Reihe ist abgeschlossen. //

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Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Lara Holthaus

Duty & Demand (Academy of Avondale 2)

**Was, wenn du zwischen einer zweiten Chance und deiner großen Liebe wählen musst?**An Liebe auf den ersten Blick glaubt Neyla eigentlich nicht. Doch auf dem Flug zurück an ihre Academy begegnet sie dem charismatischen Riley und es funkt sofort zwischen ihnen. Neylas Welt steht mit einem Mal kopf. Überzeugt davon, ihn nie wiederzusehen, küsst sie ihn unverhofft. Doch dann der Schock: Kaum an der Academy angekommen, trifft sie auf Riley. Allerdings ist er kein neuer Schüler, sondern der neue Schwimmtrainer. Und nicht nur das, er ist ein weltberühmter, wegen eines Skandals gefallener Olympiastar. Vor diesem Hintergrund versucht Neyla alles, um die knisternde Anziehung zu ignorieren, schließlich würde eine verbotene Beziehung ihre ganze Zukunft aufs Spiel setzen. Aber die Versuchung ist groß, denn sie spüren beide, dass sie ihre düsteren Vergangenheiten nur gemeinsam erhellen können …

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Vita

Danksagung

© privat

Lara Holthaus wurde 1996 geboren und lebt seit einigen Jahren in der schönen Hansestadt Hamburg. Neben ihrer Tätigkeit als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin verbringt sie jede freie Minute mit Schreiben. Schon als Kind verschenkte sie zu Geburtstagen am liebsten selbst geschriebene Geschichten. Laras schreibt emotional über große Gefühle, jedoch ohne dabei die Leichtigkeit und eine Prise Humor außer Acht zu lassen.

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Lara und das Impress-Team

Für alle, die laut sind, obwohl sie oft lieber leise wären.Für alle, die ihre Verletzlichkeit hinter einem breiten Grinsen verstecken.Und für den Teil in mir, der viel zu oft den Worten der Vergangenheit glaubt.

Kapitel 1

Neyla

Genervt bugsierte ich meinen riesigen Koffer durch die Masse an Menschen, die sich in der Halle tummelte. Wie erwartet waren wir zweieinhalb Stunden zu früh am Flughafen.

»Der Schalter hat noch nicht geöffnet«, bemerkte Mama, die mit kritischem Blick die Anzeigetafel studierte.

»Weil die nicht damit rechnen, dass irgendjemand, der dieses Flugzeug besteigt, jetzt schon hier ist«, stöhnte ich.

Mom stieß mich an, gluckste aber.

»Macht euch nur lustig.« Mama schnitt eine Grimasse. »Beim nächsten Familienurlaub fahre ich allein zum Flughafen und überlasse euch eurem Chaos.« Herausfordernd warf sie uns einen funkelnden Blick zu. »Ich schicke euch dann eine Postkarte.«

»Das würdest du nie aushalten, Helen«, erwiderte Mom grinsend und gab ihrer Frau einen Kuss auf die Wange.

»Ohne uns würde dir im Urlaub auch viel zu langweilig werden«, ergänzte ich und legte ebenfalls einen Arm um sie.

Eine scheppernde Durchsage gab bekannt, dass der Schalter von British Airways nun zur Gepäckabgabe freigegeben war. Erleichtert steuerte ich darauf zu, als mein Blick auf eine strahlende Frau fiel, die mich von einem lächerlich großen Werbeplakat aus anlächelte. Sie saß in einem vor Luxus nur so strotzenden Flugzeug und hielt ein Glas mit sonnengelbem Orangensaft in der Hand. Montgomery Airways – Mit uns beginnt der Urlaub schon vor der Landung. Ich streckte der behämmert grinsenden Plakat-Frau die Zunge heraus. Ein wenig kindisch vielleicht, aber immerhin gehörte diese Airline der Familie meiner Mom, die sie nur aufgrund ihrer Sexualität zum Ausscheiden aus der Firma gedrängt hatte. Lieber würde ich zurück zur Avondale schwimmen, als in eine Maschine des im Mittelalter hängen gebliebenen Montgomery-Clans zu steigen.

Stöhnend musste ich feststellen, dass sich vor dem Gepäckschalter bereits eine Schlange gebildet hatte. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, mich meines Monstrums von Koffer zu entledigen und endlich meine Bordkarte entgegennehmen zu können. Nach einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass mir immer noch über eineinhalb Stunden bis zum Boarding blieben.

Ich ließ meinen Blick durch die Halle schweifen und versuchte gegen den Kloß anzuschlucken, der sich in meiner Kehle bildete. Natürlich freute ich mich, für den zweiten Term an die Academy zurückzukehren. Doch die zweiwöchigen Ferien, die hinter mir lagen, hatten mir erneut gezeigt, wie sehr ich Vancouver vermissen würde.

Ich liebte mein Zuhause. Alles andere wäre eine Untertreibung. Ich liebte die Menschen, die Spaziergänge an der Waterfront und die schier unbegreifliche Natur. Das Meer. Die Wale. Alles.

Und obwohl ich mein Leben in Vancouver so liebte, hatte ich mich vor einem Jahr für das Dev Year an der Academy of Avondale entschieden. Ich wusste nicht so recht warum. Aber aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl gehabt, einmal die kanadischen Grenzen überwinden zu müssen, um herauszufinden, wo ich wirklich hingehörte. Wer ich wirklich war. Außerdem war die Academy of Avondale wahrlich ein Türöffner. Sie konnte mich zu meinen Träumen tragen. Und mein Traum war das Schreiben. Ich wollte schreiben und gehört werden. Und die Academy würde mir dabei helfen.

»Ich denke, ich gehe schon durch den Sicherheitscheck und decke mich im Duty-Free-Bereich mit Snacks ein«, sagte ich an meine Moms gewandt. Ich wollte den Abschied so kurz und schmerzlos wie möglich gestalten. »Ihr könnt mich ruhig allein lassen. Ich gebe mir große Mühe, nicht in den falschen Flieger zu steigen.«

Meine Mama kaute besorgt auf ihrer Unterlippe herum.

»Mama, ich bin volljährig. Ich werde schon nicht aus Versehen auf die Bahamas fliegen.« Ich streckte ihr die Zunge raus. »Obwohl …« Ich tat, als würde ich überlegen. »Das Wetter ist dort vermutlich sehr viel sonniger als in England. Also …«

Mama schüttelte genervt den Kopf. Mom musste sich offensichtlich ein Grinsen verkneifen. Beide zogen mich in eine Umarmung.

»Kaum zu glauben, dass wir uns erst an Weihnachten wiedersehen«, schniefte Mama. Mom strich tröstend über ihren Rücken.

»Sie ruft uns mit Sicherheit zweimal in der Woche an, oder, Neyla?« Sie warf mir einen warnenden Blick zu.

»Ganz bestimmt«, beteuerte ich.

***

Als es mir endlich gelungen war, meine Moms zu verabschieden, brachte ich den Sicherheitscheck hinter mich. Wie immer verwandelte sich der Handscanner, mit dem die Mitarbeiterin des Sicherheitspersonals an meinem Körper entlangfuhr, in eine piepsende Alarmanlage. Etwas, das ich nicht bedacht hatte, als ich meine Ohren, meinen Bauchnabel und meine Nase mit Piercings verschönert hatte. Ich erntete einen grimmigen Gesichtsausdruck, durfte aber ansonsten ohne weitere Hindernisse passieren. Also schlenderte ich durch den Flughafen, roch an immer noch viel zu teuren Parfums und sah mir den kleinen Victoria’s-Secret-Shop an.

»Ducky?«

Schlagartig fröstelte ich. Ich kannte diese Stimme, konnte sie dennoch nicht gleich zuordnen. Doch allein ihr Klang genügte, damit mein Magen sich unangenehm zusammenquetschte. Ducky. Name und Tonlage klingelten in meinen Ohren. Der Name, den ich seit zwei Jahren mehr oder weniger erfolgreich aus meinem Bewusstsein zu verdrängen versuchte. Das unangenehme Gefühl im Bauch entwickelte sich mehr und mehr zu brennender Übelkeit.

»Ich meine, Neyla. Neyla Montgomery? Dich hat man ja seit Ewigkeiten nicht gesehen.«

Mit aller Kraft versuchte ich die Galle, die gegen meine Kehle drückte, zurückzudrängen. Versuchte im Hier und Jetzt zu bleiben. In Zeitlupengeschwindigkeit drehte ich mich um. Natürlich wusste ich, zu wem die Stimme gehörte, und als mein Blick auf sein Gesicht fiel, wurde ich von Erinnerungen gepackt. Gestochen scharfe Erinnerungen, die an mir zerrten wie ein eiskalter Windstoß. Innerhalb eines Augenblicks fühlte sich meine Jeans wieder zu eng und mein gesamter Körper bleiern und schwer an. Kurz verspürte ich den Drang, an meinem T-Shirt zu ziehen und damit meinen Po zu bedecken. Doch dann besann ich mich. Schob die vierzehnjährige Neyla zurück in die hinterste Ecke meines Kopfes und pflasterte mir ein breites Lächeln auf die Lippen.

»Was machst du denn hier?« Meine Stimme war süß wie Zuckerwatte und bildete einen ekelerregenden Kontrast zu dem bitteren Geschmack, der sich auf meiner Zunge breitgemacht hatte. Vor mir stand Josh. Josh Kruger. Seit zwei Jahren hatte ich versucht ihn aus meinem Hirn zu verbannen. Ihn, sein Gesicht, sein hämisches Grinsen und seine vor Spott triefende Stimme. Selten hatte es funktioniert.

Und jetzt stand er mir gegenüber. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Er stand vor mir und sah mich an, als wären wir alte Freunde.

Ich betrachtete ihn. Er hatte noch immer dieses freche Grinsen. Die Tunnel in seinen Ohren waren neu. Enttäuscht stellte ich fest, dass meine Gebete, Josh würde sich in einen dickbäuchigen Mann mit Halbglatze verwandeln, nicht erhört worden waren.

Er sah gut aus. Würde ich ihn nicht kennen, hätte ich sogar gesagt, er war verdammt attraktiv. Heiß.

Es war so unfair. Offenbar war auf Karma kein Verlass.

»Ich fliege über das Wochenende zu meiner Freundin nach Florida. Und du?« Josh sah mich fragend an.

»England.«

Ich wollte hier weg. Raus aus diesem Gespräch. Raus aus meiner Vergangenheit. In dieser Sekunde hätte ich selbst Donald Trump als Gesprächspartner vorgezogen, wenn ich die Wahl gehabt hätte. Hatte ich aber nicht.

»Und wie geht’s dir so?« Das geht dich einen feuchten Dreck an. »Seit du aus Sylvan Lake weggezogen bist, habe ich mich öfter gefragt, was aus dir geworden ist.«

Ein bissiger Kommentar lag mir auf der Zunge. Etwas, das ich ihm selbstbewusst und stark entgegenschleudern wollte. Etwas, das ihm zeigte, dass er mich nicht kaputt gemacht hatte.

»Mir geht es sehr gut. Danke.« Wow, sehr selbstbewusst und stark, Neyla. Warum hatte dieser Kerl so einen Einfluss auf mich? Meine Güte, in der Regel war ich schlagfertig. Wortgewandt. Und gerade jetzt, als es darauf ankam, blieb ich stumm? Ich konnte über mich selbst nur innerlich den Kopf schütteln. Ducky. Ducky. Ducky. Die Buchstaben leuchteten grell vor meinem inneren Auge auf.

Ich sah hoch, traf auf Joshs leicht verwirrten Blick und wollte noch etwas sagen. Irgendwas. In meinem Kopf herrschte nichts als gähnende Leere. In meiner Hand vibrierte mein Handy. Gott sei Dank.

»Da muss ich rangehen«, presste ich schnell hervor. »War nett, dich zu sehen.« Nett. Ja klar. Ohne eine Antwort abzuwarten, entfernte ich mich ein paar Schritte von ihm. Ich atmete tief durch und nahm den Videoanruf, der auf dem Display des Handys angezeigt wurde, an. Die Gesichter meiner drei Mitbewohnerinnen an der Academy erschienen auf dem Bildschirm. Ihr Lächeln vertrieb einen Teil der dunklen Wolke, die sich über mich geschoben hatte.

»Vermisst ihr mich so sehr, dass ihr es keine zwölf Stunden mehr aushaltet?«, begrüßte ich Phillipa, Tara und Emilia.

»Haha.« Tara verdrehte die Augen.

»Wir wollten dir einen guten Flug wünschen«, sagte Phillipa. »Und ja, wir vermissen dich«, ergänzte sie mit einem Seitenblick zu Tara.

»Ist alles okay bei dir?« Auch wenn ihr Gesicht auf meinem Bildschirm etwas unscharf angezeigt wurde, konnte ich Sorge in Emilias Augen aufblitzen sehen. Sie war die Einzige, bei der ich mir nicht sicher war, ob sie nicht doch hinter meine Fassade schauen konnte.

»Alles okay. Ich habe nur keine Lust auf die neun Stunden Flug.« Außerdem habe ich mich gerade in eine stumme vierzehnjährige Version meiner selbst verwandelt, ergänzte ich in Gedanken. »Warum seid ihr noch auf?« In England musste es kurz nach Mitternacht sein.

»Wir haben den ganzen Abend Filme geschaut«, erklärte Phillipa. »Eiskalte Engel ist wirklich gut.«

»Ihr Biester habt Eiskalte Engel ohne mich geschaut?« Ich tat schockiert. »Ich hätte meine Filmsammlung mit in die Ferien nehmen sollen.«

»Wir freuen uns auch auf dich.« Tara grinste mich breit an.

»Guten Flug«, rief Emilia in die Kamera. Alle drei winkten zum Abschied.

»Bis morgen«, verabschiedete ich mich und beendete das Telefonat. Die Worte meiner Freundinnen hatten ein wenig Wärme zurück in meinen Körper geschickt. Den tonnenschweren Stein, der seit einigen Minuten darin lag, konnten sie jedoch nicht vertreiben.

***

Ich hasste das Fliegen. Absolut alles daran. Das Gefühl, das sich in meinem Magen ausbreitete, sobald das Flugzeug vom Boden abhob, den Geruch, die trockene Luft, die Kälte und die Enge. Und das, obwohl ich das Glück hatte, in der Business Class zu fliegen.

Genervt von der Unbequemlichkeit der Situation und immer noch frustriert über mein Verhalten Josh gegenüber ließ ich mich auf Platz 8a fallen. Wie auf jedem meiner Flüge zog ich mir, sobald ich saß, meine Sneaker von den Füßen und kuschelte mich in eine dieser dünnen Flugzeugdecken, die mir ein netter Flugbegleiter soeben gebracht hatte. Ich schloss die Augen. Mit einigen tiefen Atemzügen versuchte ich die Anspannung aus meinen kribbelnden Muskeln zu lösen.

Erneut krochen Erinnerungen in mein Bewusstsein. Erinnerungen an früher, gemischt mit denen der letzten halben Stunde. Joshs spöttischer Blick. Das schrille Lachen. Die Videos. Die Fotos. Die Stimmen. Mein vor Scham wummerndes Herz. Ducky. Hunger. Ducky. Kalorientracking. Ducky. Ducky. Ducky.

Gequält riss ich die Augen wieder auf, um die verfluchten Gedanken, die zwischen den Wänden meines Kopfes wie Tausende Flummibälle hin und her sprangen, irgendwie zum Schweigen zu bringen. Ohne Erfolg.

Stöhnend rieb ich mir über die Stirn und seufzte, bevor ich resigniert nach meinem Laptop griff, den ich in der dafür vorgesehenen Ablage verstaut hatte. Ich klappte ihn auf. Abflug war erst in über dreißig Minuten und wenn mein Kopf offenbar nicht in der Lage war, still zu sein, musste ich die Gedankenfetzen eben aufschreiben. Ich wollte sie greifen und irgendwie Ordnung in das Chaos bringen, das in meinem Oberstübchen tobte. Also öffnete ich Viva las Vaginas, meinen Blog, auf den ich mehr als stolz war, und begann mit schnellen Fingern zu tippen.

»Hi.«

Ich hob den Kopf. Jemand hatte sich auf den breiten Sitz neben mir fallen lassen. Jemand mit einem dunklen Wuschelkopf und einem leicht schiefen Grinsen. Mein Blick huschte über seinen blauen Hoodie und seine schwarze Jogginghose und blieb dann an seinem Gesicht hängen. Augenfarbe: Braun, stand vermutlich in seinem Pass, doch je länger ich sie betrachtete, desto klarer, desto strahlender wurden sie. Bis sie die Farbe von flüssigem Gold angenommen hatten. Nein, von flüssigem Karamell. Mein Herz machte einen merkwürdigen Hüpfer.

»Ich bin Riley.« Er hielt mir seine Hand hin.

Ich wandte den Blick von seinen Karamellaugen ab. Als seine schlanken Finger meine umschlossen, lief ein prickelndes Gefühl über meinen Arm. Riley. Der Name passte irgendwie zu ihm. Zu seinem freundlichen Gesicht und den kleinen Lachfältchen, die seine Augen umspielten. Mein Herz hüpfte erneut auf diese komische, mir völlig unbekannte Weise. Dann fiel mir auf, dass ich auf seine Begrüßung noch nichts erwidert hatte. Ich räusperte mich.

»Neyla, und offenbar habe ich das Glück, für die nächsten neuneinhalb Stunden deine Sitznachbarin zu sein.« Ich grinste ihn breit an.

»Äh … okay.« Belustigung trat in seine Augen.

Na toll. Am liebsten hätte ich mir eine Ohrfeige verpasst. Warum gab ich ständig eigenartiges Zeug von mir, wenn ich überfordert war? Als würde meine Zunge das Steuer in die Hand nehmen, sobald mein Verstand eine Sekunde nicht aufpasste.

Jäh bemerkte ich, dass ich immer noch seine Hand hielt. Als hätte ich mich verbrannt, zog ich sie zurück. Der Typ – Riley – hob leicht verwirrt eine Augenbraue. Himmel, ich wünschte, ich hätte Harry Potters Tarnumhang zur Hand und könnte mich auf der Stelle unsichtbar machen. Ich ließ mich tiefer in den Sitz sinken, während Riley Kopfhörer aus seinem Rucksack zog und sie in den vorgesehenen Anschluss neben dem Bildschirm steckte, der gegenüber von seinem Sitz angebracht war. Ohne sich noch mal zu mir umzudrehen, scrollte er sich durch das Bordprogramm.

Mir war schwindelig. Trotzdem versuchte ich mich wieder auf meinen Blogeintrag zu konzentrieren. Es wollte mir nicht so recht gelingen, denn die Sätze vor meinen Augen verschwammen immer wieder zu trüber, strukturloser Buchstabensuppe. Eigentlich wollte ich als Reaktion auf die Begegnung mit Josh über das eigene Körperbild schreiben. Und über die Bewertungen von außen und wie es von diesen beeinflusst wurde. Was für eine Ironie.

Irgendwann begrüßte die freundliche Stimme des Captains über die Lautsprecher die Passagiere, bevor das Flugzeug sich in Bewegung setzte und zur Startbahn rollte. Wir wurden daran erinnert, beim Start keine elektronischen Geräte zu verwenden, weshalb ich meinen Laptop resigniert zuklappte. Ohnehin hatte ich noch keinen brauchbaren Satz zustande gebracht.

Das bekannte unangenehme Kribbeln machte sich in meinem Magen breit, als die Maschine Geschwindigkeit aufnahm und abhob. Das Flugzeug geriet in Schieflage und drehte eine Kurve. Das Kribbeln verwandelte sich in dumpfe Übelkeit. Fliegen war scheiße. Ich hatte nie verstanden, woher die Redewendung Die Zeit vergeht wie im Flug kam. Denn wo verging die Zeit bitte langsamer als auf einem beschissenen Flug? Auch jetzt zeigte der kleine Bildschirm vor mir immer noch acht Stunden verbleibende Flugzeit an. Ich unterdrückte ein Stöhnen und suchte unter den angebotenen Filmen und Serien nach etwas, das mich von dem unangenehmen Gefühl in meinem Inneren ablenken konnte.

Als ich gerade im Begriff war, die neue Staffel Modern Family zu starten, blitzte der Bildschirm einige Male hell auf. Dann wurde er schwarz. Verstohlen sah ich mich im Flieger um. Bei jedem anderen schien alles wie gewohnt zu funktionieren. Auch mein attraktiver Sitznachbar war weiterhin vertieft in seinen Film. Jetzt stöhnte ich doch genervt auf, als ich erkannte, welcher Film da über seinen Bildschirm flimmerte. Goldfinger, ein alter James-Bond-Film. Mit dem war ich nur allzu vertraut. Schließlich hatte ich erst vor Kurzem auf Viva las Vaginas Sean Connery und sein übergriffiges Verhalten von allen Seiten analysiert.

»Ist was?«

Mist. Riley hatte meinen anscheinend viel zu offensichtlich abschätzigen Gesichtsausdruck bemerkt und sah mich fragend an.

»In fünf Minuten vergewaltigt er sie.«

»Wie bitte?« Riley schien verwirrt.

»James Bond.«

»Was ist mit ihm?«

»Er vergewaltigt sie.«

»Wen?«

Ich rollte mit den Augen. »Sie!« Ich zeigte auf die blonde Hauptdarstellerin. »Pussy Galore. Was für ein bescheuerter Name.«

Riley hatte eine Augenbraue gehoben und sah mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle.

Ich seufzte. »Sie sagt um die hundert Mal, dass sie kein Interesse an ihm hat. Bond ignoriert sie, legt sich trotzdem auf sie und hört selbst dann nicht auf, als sie versucht, ihn mit aller Macht von sich zu stoßen.«

Er runzelte die Stirn. »Das ist doch Quatsch.«

»Wart’s ab.«

Schulterzuckend beobachtete ich ihn, während er die Szene des berühmten Geheimagenten und seines Opfers verfolgte. Als es zur besagten Szene im Heu kam, wurden seine Augen augenblicklich groß. Erschrocken sah er wieder zu mir. »Verdammt. Du hast recht.«

»Ich weiß«, erwiderte ich selbstgefällig. »James Bond ist vielleicht nicht der Gentleman Ihrer Majestät, als den Hollywood ihn verkaufen will.«

»Gut, aber der Film ist von 1964«

»Skyfall ist von 2012.«

»Bitte sag mir, dass es da nicht auch eine Vergewaltigungsszene gibt, die ich bisher übersehen habe.« Er schien ehrlich besorgt.

»Das nicht«, holte ich aus. »Aber Sévérine …«

Riley zog fragend die Augenbrauen zusammen.

»Das Bond-Girl«, fügte ich hinzu und verdrehte die Augen. »Sie wurde als Sexsklavin an den Bösewicht verkauft. Bond befreit sie und steigt dann ungefragt zu ihr in die Dusche. Splitterfasernackt. Ein: ›Verzeihung, gnädige Frau, dürfte ich mit zu Ihnen unter die Dusche kommen?‹ wäre schon angebracht gewesen, oder?«

»Stimmt.«

Überrascht sah ich zu ihm. Meiner Erfahrung nach reagierten die Menschen – überwiegend Männer – häufig genervt, wenn ich sie auf sexistische Verhaltensweisen aufmerksam machte. Riley hingegen wirkte ehrlich interessiert.

»Weißt du, wie die Frau heißt, mit der er im aktuellsten Film schläft?«

»Du meinst, das neuste Bond-Girl?«

»Das Bond-Girl«, wiederholte ich spöttisch. »Niemand kennt ihre Namen. Sie werden als absolut austauschbar dargestellt. In jedem Film gibt es ein anderes sogenanntes Bond-Girl. Und in jedem Film dient es lediglich dem Zweck seiner sexuellen Befriedigung.«

Er nickte langsam und ich glaubte in seinem Gesichtsausdruck zu sehen, wie er verschiedenste Bond-Filme im Schnelldurchlauf abspielte.

»Aber in den zwei neusten Filmen ist das anders«, kam er schließlich zum Schluss seiner Überlegungen. »In Spectre und No Time to Die hat er dieselbe Frau und zeigt sich meines Wissens auch weniger übergriffig.«

Skeptisch zog ich die Stirn kraus. »Wirklich? Ich muss gestehen, dass ich die beiden aktuellen Filme nicht gesehen habe«, gab ich zähneknirschend zu.

»Wir haben ja noch sieben Stunden und zweiundvierzig Minuten Zeit, das zu ändern.« Er lächelte. Zwei winzige Grübchen bildeten sich dabei unter seinen hohen Wangenknochen.

»Mein Bildschirm hat sich leider verabschiedet.« Zerknirscht deutete ich auf das Ding vor mir, das mich weiterhin schwarz anfunkelte.

»Shit.«

»Du sagst es.«

Er schien zu überlegen. Dann reichte er mir einen seiner Kopfhörer. »Schau bei mir mit, wenn du willst.«

»Okay.« Mein Mund trocknete in Blitzgeschwindigkeit aus, als ich den Kopfhörer nahm und meine Finger dabei seine streiften.

Ich musste mich fast an ihn lehnen, um alles zu erkennen, was auf dem Bildschirm vor sich ging. Sein Geruch stob in meine Nase und vernebelte augenblicklich jeden Gedanken. In all den romantischen Büchern und Filmen wurde der Geruch von Männern mit malerischen Worten beschrieben. Nicht selten hatten sie was mit Wald und Holz zu tun. Riley roch nicht nach Wald oder Holz. Ehrlich gesagt wusste ich überhaupt nicht, was es war. Er roch unvergleichlich. Betörend. Frisch. Herb und ein klein wenig nach Waschmittel. Ich versuchte unauffällig tiefer einzuatmen. Seinen Geruch zu inhalieren. Ein Kribbeln kroch meinen Rücken hinab.

Nachdem er Spectre ausgewählt hatte, zog er seine Hand zurück und strich dabei versehentlich über mein Knie. Mein Herz setzte einen Schlag aus.

»Sorry«, sagte er und sah mich entschuldigend mit seinen braunen Augen an. Ich erwiderte nichts, da mein Mund offenbar – gefangen von seinem karamellfarbenen Blick – vergessen hatte, wie man sprach.

Was stimmte nicht mit mir? Diese kribbelnde Unsicherheit war neu. Normalerweise reagierte ich mit Geplapper, mit einem witzigen Spruch oder einer schlagfertigen Bemerkung. Aus irgendeinem Grund katapultierte mich Riley aus meinem gewohnten Muster. Ich wusste noch nicht, ob mir das gefiel oder Angst machte.

Wir starteten den Film und ich gab mir die größte Mühe, mich auf James Bond und die Rettung der Welt zu konzentrieren. Ich scheiterte gnadenlos. Wie von selbst wanderte mein Blick immer wieder zur Seite und verlor sich in den Augen, dem leichten Schmunzeln und der schlanken Hand, die so nah neben meiner auf der Lehne des Sitzes lag.

Die Sonne ging hinter dem endlosen Wolkenteppich unter und tauchte ihn in dunkle Tinte. Bald wurden die Lichter im Flugzeug ausgeschaltet. Einige Passagiere hatten sich bereits die bereitgestellten Schlafmasken über die Augen gezogen. Es war still. Nur das dumpfe Dröhnen der Triebwerke, der Film und mein seilspringendes Herz waren zu hören. Immer wieder sah Riley zu mir. Dann kreuzten sich unsere Blicke und wir mussten beide lächeln. Bei jedem Blick, bei jeder zufälligen Berührung seiner Hand sammelte sich Hitze in meinem Unterleib. Meine Nervenenden schienen zu glühen. Die 148 Minuten des Films fühlten sich an wie Tage und zogen gleichzeitig viel zu schnell an mir vorbei.

»Und was sagst du?«, fragte Riley irgendwann gespannt, als der Abspann über den Bildschirm lief. Wieder glaubte ich im goldenen Karamell seiner Augen zu ertrinken. Ich räusperte mich, bemüht mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr er mich unter Strom setzte.

»Die blonde Psychiaterin gefällt mir. Sie ist ein Charakter, der wirklich Tiefe besitzt und die Handlung voranbringt. Aber es ist absolut sinnlos, dass er zu Beginn des Films mit der Dunkelhaarigen ins Bett geht.«

»Etwas zu trinken für Sie?«, wurde unsere Diskussion von dem netten Flugbegleiter unterbrochen. Ich zuckte zusammen, denn ich hatte gar nicht bemerkt, dass mit dem Getränkeausschank begonnen worden war.

Ich überlegte kurz und grinste. »Einen Martini«, bestellte ich und fügte todernst hinzu: »Geschüttelt, nicht gerührt.«

Riley neben mir brach in lautes Gelächter aus. Mein Herz verwandelte sich augenblicklich in einen Presslufthammer.

Der Steward verzog keine Miene und nickte nur. Kommentarlos reichte er mir das Glas. Ich nahm sofort einen großen Schluck. Vielleicht würde das mein Herz besänftigen, das anscheinend völlig verrücktspielte. Ob es ihm auch so ging? Ihm und seinem Herzen? Oder war ich die Einzige, die das Knistern zwischen uns bemerkte?

»Und was machst du so, Riley?«, wagte ich einen Vorstoß und nippte noch einmal an meinem Drink. »Oder bist du auch in geheimer Mission unterwegs und drauf und dran, einen Terroranschlag zu verhindern?«

In seine Augen trat etwas, das ich nicht deuten konnte. Dann legte er den Kopf schief. »Keine schlechte Idee.«

»Was meinst du?«

Wir flüsterten, die Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem leisen Lächeln, das mich so sehr in seinen Bann zog, dass ich das Glas in meiner Hand fester umklammern musste, um es nicht fallen zu lassen. Rileys Stimme war kaum mehr als ein heiseres Raunen.

»Wir beide sind hier. Zwei Fremde. Wir werden uns vermutlich nicht wiedersehen.« Ich versuchte den Stich, den mir das versetzte, zu ignorieren und nickte nur. »Für jetzt, für die nächsten sechs Stunden, können wir sein, wer wir wollen. Zwei Geheimagenten auf Mission, die sich eine neue Identität zulegen müssen.«

Eine neue Identität? Das klang verrückt.

»Ich fange an«, sagte er, als er meine Skepsis bemerkte. »Ich bin Riley. Ein stinklangweiliger Staubsaugervertreter, der zu einer stinklangweiligen Staubsaugervertreterkonferenz nach London fliegt.«

»Du weißt, wie man sich interessant macht. Wie geht es deiner Frau und den Zwillingen?«

»Hervorragend«, antwortete er trocken. »Bob fängt schon an zu krabbeln, doch Thea braucht noch eine Weile.«

Jetzt konnte ich nicht anders, als zu kichern.

»Okay, ich bin dran.« Kurz überlegte ich. »Ich bin Neyla, Restaurantkritikerin, und fliege nach London, um dort ein aufstrebendes neues Lokal zu bewerten.«

»Interessanter Job.«

»Ja, nur die Fliegerei ist anstrengend.«

»Verstehe ich. Und du? Eine Familie? Verheiratet?«

»Nichts von alledem. Durch meinen Job habe ich mir leider angewöhnt mich nur mit dem Besten zufriedenzugeben.« Mir entfuhr ein tiefer Seufzer. »Und bisher konnte kein Mann alle Kriterien erfüllen.«

»Ein Jammer.«

»O ja.«

Kurz versuchten wir ernst zu bleiben, verfielen dann aber wieder in lautes Gelächter.

***

Schneller, als ich es für möglich gehalten hätte, leuchtete das Seatbelt-Zeichen auf und der Pilot teilte uns mit, dass wir zur Landung ansetzten. Riley und ich hatten uns auch noch den neusten James-Bond-Film angesehen, den ich als wirklich fortschrittlicher empfand. Im Anschluss hatten wir über alles Mögliche geredet, uns noch die ein oder andere Identität ausgedacht und uns immer wieder in den Augen des anderen verloren. Die Zeit war an mir vorbeigerauscht und Josh, der zu Beginn des Fluges noch für Bauchschmerzen gesorgt hatte, war vollends in der Versenkung verschwunden. Einige Male war ich kurz davor, ihn doch noch nach seiner Nummer zu fragen. Aber ich wollte den Zauber, das Geheimnisvolle, das dieser Begegnung innewohnte, nicht zerstören. Also machte ich jedes Mal einen Rückzieher.

Als das Flugzeug am Londoner Flughafen Heathrow zum Stehen kam, wollte ich nicht, dass es vorbei war. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich noch acht weitere Stunden hier neben Riley sitzen können. Stumm versuchte ich das Seatbelt-Zeichen anzuflehen, noch einige Augenblicke länger aufzuleuchten. Völlig verrückt. Normalerweise konnte ich es nach einem langen Flug gar nicht abwarten, endlich aufstehen zu dürfen und samt Handgepäck die Maschine so schnell wie möglich zu verlassen. Heute war es anders. Heute war alles anders.

Vor den Fenstern tanzten die orangefarbenen Lichter des Flughafens mit der aufgehenden Sonne um die Wette. Ich schnappte nach Luft, als ich plötzlich Rileys warme Hand auf meiner spürte. Sie sendete elektrische Impulse durch meinen Arm in jeden Winkel meines Körpers.

»Ich glaube, dass ich noch nie so viel Spaß auf einem Flug hatte. Dabei mag ich Fliegen nicht besonders.« Er flüsterte und schlagartig wurde ich mir seiner Nähe bewusst. Nur wenige Zentimeter trennten sein Gesicht von meinem. Ich konnte etwas in seinen Augen aufflackern sehen. Etwas, das ich nicht einordnen konnte, das meinen Puls aber sofort in die Höhe schnellen ließ.

»Ich auch nicht.« Meine Stimme war heiser und mein Blick mit seinem verschmolzen. Ohne dass ich mich wirklich dafür entschieden hatte, ohne dass ich es geplant hatte, bewegten wir uns Millimeter für Millimeter aufeinander zu. Heiße und kalte Wellen fluteten durch mich hindurch und setzten mich unter Strom. Mein Atem rauschte schnell und unregelmäßig durch meine Lungen. Jede Zelle meines Körpers begann zu vibrieren, in Erwartung dessen, was in der nächsten Sekunde passieren würde. Jede Zelle sehnte sich danach, seine Lippen auf meinen zu spüren. Ihn zu spüren. Sein Atem strich über meine Haut. Fast war es, als könnte ich ihn bereits schmecken. Nur noch wenige Millimeter …

Jäh ging das grelle Licht in der Kabine an. Mit einem Pling erloschen die Anschnallzeichen. Wie vom Blitz getroffen schnellten wir auseinander. Durch den schnarrenden Lautsprecher erklärte der Pilot, dass wir nun die Maschine verlassen konnten. Luft, die ich gehalten hatte, ohne es zu merken, entwich ruckartig meinen Lungen. Die aufgeladene Spannung zerplatze wie eine Seifenblase. Riley räusperte sich verlegen.

Komm schon, sag was. Irgendwas. Ich kramte in meinem Hirn nach passenden Worten, um die seltsame Stille, die sich zwischen uns ausbreitete, zu verscheuchen. Doch in meinem Oberstübchen, wo meine Worte hätten gespeichert sein müssen, herrschte gähnende Leere. Auch Riley schien nicht so recht zu wissen, was er sagen sollte.

Nach einigen Sekunden immer unangenehmer werdenden Schweigens stand er schließlich auf. Ich blieb, wo ich war. Sah stumm zu Riley auf, der mit einer schwungvollen Bewegung sein Handgepäck aus der Ablage zog. Unglücklicherweise traf er damit einen glatzköpfigen, in einem Anzug steckenden Herrn, der hinter ihm den Gang entlanglief, an der Schulter.

»Passen Sie doch auf.« Der Mann rieb sich die Stelle an seinem Oberarm, die von Rileys Koffer getroffen worden war.

»Verzeihung«, sagte Riley zerknirscht. Der Anzugträger musterte Riley und etwas in seinem Gesicht veränderte sich.

»Mr Johnson«, sagte der Mann an Riley gerichtet.

Mr Johnson? Verwirrt sah ich zwischen meinem Sitznachbarn und dem wütenden Anzugträger hin und her.

»Es tut mir wirklich leid, Sir.« Riley schien jetzt deutlich angespannt.

»Sparen Sie sich Ihre Worte.« Das Gesicht des Anzugträgers war mittlerweile dunkelrot angelaufen. »Sie haben schon früh bewiesen, dass Ihnen Ihr eigener Vorteil wichtiger ist als alles andere.«

Jetzt verstand ich absolut gar nichts mehr. Kannten sich die beiden?

Kopfschüttelnd quetschte sich der Mann an ihm vorbei und stapfte den Gang entlang in Richtung Ausgang. Ich sah zu Riley. Er war in seiner Bewegung erstarrt. Ein Schatten hatte sich über sein Gesicht gelegt und das sprühende Leuchten in seinen Augen war einem abgestumpften und unendlich traurigen Blick gewichen.

»Dem hat der lange Flug offenbar nicht gutgetan.« Ich versuchte mich an einem zaghaften Grinsen in Rileys Richtung. Doch dieser zog sich lediglich die Kapuze seines Hoodies über den Kopf und verließ – ohne mich noch einmal anzusehen – das Flugzeug.

Ich blieb sitzen. Mit wirren Gedanken und rasendem Herzen.

Kapitel 2

Riley

Zum vierten Mal, seit ich das Büro von Mr Kennedy betreten hatte, wischte ich mir meine verschwitzten Hände an meiner dunklen Hose ab. Der Dekan der Academy of Avondale musterte mich durch seine Brille so kritisch, als hätte ich ihm soeben vorgeschlagen meiner Rockband beizutreten.

»Mr Johnson«, begann er schließlich und ordnete das Papier auf seinem Schreibtisch neu. »Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass ich ziemlich überrascht war, als ich Ihren Namen auf einer unserer Bewerbungen las.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, und starrte nur weiter auf die leere Stelle des Schreibtisches vor mir.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, aber mit Ihrer Geschichte hätte ich nicht erwartet, dass Sie sich für den Posten eines simplen Schwimmtrainers interessieren«, fuhr er fort und sah mich prüfend an.

Jemand mit meiner Geschichte. Dies war eine nette Umschreibung meiner von Fehlern übersäten Vergangenheit, über die Mr Kennedy offenbar Bescheid wusste. Er und jeder andere in diesem Land.

Ich schluckte und zwang mich aufzusehen.

»Ich habe Fehler gemacht, Sir. Dessen bin ich mir bewusst. Wissen Sie, ich war jung, ehrgeizig und habe nicht an die Folgen meines Handelns gedacht.« Meine Stimme begann zu bröckeln. Ich räusperte mich. »Ich habe mich verändert. Der Job hier würde mir die Möglichkeit geben, andere junge Menschen vor ähnlichen Fehlern zu bewahren.« Wie eine auswendig gelernte Geschichte spulte ich die Sätze ab, die ich mir vor dem Gespräch zurechtgelegt hatte. »Meine Erfahrungen können lehrreich für die Schüler und Schülerinnen der Academy sein. Mit meiner Hilfe könnten sie zu besseren Sportlern werden. Bessere, als ich einer war.«

In Gedanken bedankte ich mich bei meiner besten Freundin Lexi, mit der ich dieses Gespräch ein ums andere Mal durchgegangen war. Viel Zeit hatten wir nicht für die Vorbereitung gehabt. Schließlich hatte ich vor nicht einmal einer Woche noch zu einer mehrtägigen Wanderung in den Kanadischen Wäldern aufbrechen wollen. Nicht gerade die klügste Entscheidung bei einem so Bewerbungsprozess, aber ich hatte einfach nicht damit gerechnet, von der Avondale überhaupt eine Antwort auf meine Bewerbung zu erhalten. Dementsprechend groß war also der Schock gewesen, als wie aus dem Nichts eine Einladung in mein E-Mail-Postfach geflattert gekommen war und meinen Wanderurlaub in einige wenige Tage Vancouver verwandelt hatte. Die meiste Zeit hatte ich mein Hotelzimmer kaum verlassen, sondern stundenlang mit Lexi telefoniert, um mir auf jede noch so absurde Frage eine beindruckende Antwort zu überlegen.

Dieser Job war meine Chance auf Rehabilitation. An der Academy könnte ich neue Kontakte knüpfen und alte wieder aufleben lassen. Und wer wusste, ob ich es dadurch nicht vielleicht schaffte, irgendwann als TV-Experte oder Ähnliches ein Comeback zu erleben. Dann würden Begegnungen wie die vor einigen Stunden im Flugzeug mit Sicherheit seltener werden.

Sie haben schon früh bewiesen, dass Ihnen Ihr eigener Vorteil wichtiger ist als alles andere, geisterten die Worte des Flugzeug-Mannes unerbittlich in meinem Kopf herum. Mit tausend kleinen Nadelstichen erinnerten sie mich daran, was für ein Bild von mir ich in der Welt hinterlassen hatte.

Ich sah Mr Kennedy mit festem Blick ins Gesicht. Zog meine Mauern hoch, um die Nadelstiche von mir fernzuhalten. Ich musste fokussiert bleiben. Das hier war meine Chance. Meine einzige Chance.

Mr Kennedy holte tief Luft. »Im Zuge meiner Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich mich eingehend über Sie informiert, Mr Johnson.« Shit. Das klang nicht gut. Das klang überhaupt nicht gut. »Im Internet sind einige unschöne Dinge von Ihnen zu finden. Dinge, die nicht in das Klima der Academy of Avondale passen.« Er nahm sich die Brille ab und rieb sich über die Stirn.

»Wie schon gesagt: Ich bin mir meiner Dummheiten bewusst, Sir. Ich versichere Ihnen, dass dieser Teil meines Lebens hinter mir liegt.«

Mr Kennedy antwortete nicht. Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle. Ich war so dumm gewesen. Wie hatte ich auch nur den Bruchteil einer Sekunde glauben können, dass mich diese schicke Schule ernsthaft in Betracht ziehen würde?

»Sir. Bitte.« Ich klang so verzweifelt, wie ich mich fühlte. Der Stein in meinem Magen wurde zu einem Felsen und drückte Übelkeit gegen meine Kehle.

»Ich muss zugeben, dass wohl keiner der anderen Kandidaten auch nur annähernd über Ihre Erfahrung und Ihren Leistungsstand verfügt. Außerdem müssen wir die Stelle sehr kurzfristig besetzen.« Mr Kennedy legte den Kopf schief. »Wenn ich Ihnen diese Stelle anbiete …«

Wie bitte? Hatte ich mich verhört?

Der Dekan der elitärsten Schule des Landes setzte sich seine Brille zurück auf die Nase und begann langsam zu nicken. Der Felsen in meinem Inneren wich schlagartig flatternden Vögeln, die ein aufgeregtes Kribbeln durch mich hindurchjagten.

»Wenn ich Ihnen diese Stelle anbiete«, wiederholte Mr Kennedy, »dann erwarte ich, dass nichts von dem, was in den Zeitungen über Sie steht, hier wiederholt wird.«

»Selbstverständlich, Sir.« Passierte das gerade wirklich?

»Damit wir uns verstehen: keine Alkohol- oder Drogenexzesse, keine Frauengeschichten, keine waghalsigen Aktionen.«

Wieder musste ich schlucken. Offenbar wusste er tatsächlich sehr gut über mich und meine Vergangenheit Bescheid.

»Natürlich. Ich werde mich voll und ganz auf das Training mit den Studierenden konzentrieren.« Und darauf, mich irgendwie aus dem Mist, den ich mir vor einem Jahr eingebrockt habe, wieder herauszuschaufeln, fügte ich in Gedanken hinzu.

»Nun gut.« Mr Kennedy begann leicht zu lächeln. Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. »Ich bin kein verurteilender Mensch«, fuhr er fort, »und gebe jedem eine faire Chance. Eine Chance.« Er hob einen Zeigefinger. »Sollten Sie sich auch nur den kleinsten Fehltritt erlauben, können Sie am selben Tag Ihre Koffer packen. Ist das klar?«

»Glasklar.«

Er nickte zufrieden. »Sie werden viermal in der Woche das Schwimmtraining der jungen Männer und viermal in der Woche das der jungen Frauen leiten. Unser Aquaticum auf dem Gelände sollte dafür alles bereitstellen, was Sie brauchen.«

Wieder konnte ich vor Fassungslosigkeit nur nicken wie ein bescheuerter Wackeldackel.

»Sie sind wie alt?«, fragte Mr Kennedy und suchte in meinem Lebenslauf, der vor ihm lag, nach meinem Geburtsdatum.

»Dreiundzwanzig, Sir.«

Wieder durchbohrte er mich mit seinem Blick. »Sie sind also nur wenige Jahre älter als die Studierenden hier. Ich muss hoffentlich nicht betonen, dass Intimitäten zwischen Lehrkräften und Studierenden ausdrücklich untersagt sind.« Der Typ musste mich tatsächlich für jemanden halten, der alles vögelte, was nicht niet- und nagelfest war.

Ganz unrecht hat er nicht, flüsterte eine gehässige Stimme weit hinten in meinem Kopf. Eine Stimme, die mich wieder an den dunklen Teil meines Lebens erinnerte und die ich eigentlich vergessen wollte.

»Das versteht sich von selbst.«

Mein neuer Boss nickte, griff in seine Schublade und zog einen Stapel Formulare hervor. »Das hier ist der Vertrag. Sie müssen Ihn selbstverständlich nicht gleich unterschreiben, aber die ersten Kurse beginnen bereits am Montag, also wäre es wunderbar, wenn Sie sich bis morgen zurückmelden könnten.«

Ich nahm den Stabel mit leicht zitternden Fingern entgegen, bemüht um einen seriösen Gesichtsausdruck. Am liebsten hätte ich meine Unterschrift jetzt gleich unter den Vertrag gesetzt, entschied aber, dass es vernünftiger wäre, alles genau durchzulesen.

»Die meisten der Dozierenden wohnen in kleinen Apartments auf dem Gelände. Es steht Ihnen jedoch frei, auch eine Wohnung in der Umgebung zu beziehen.« Er hob fragend eine Augenbraue.

»Wenn es ginge, würde ich sehr gern hier wohnen.«

»Sehr gut. Sollten Sie mit dem Vertrag einverstanden sein, kommen Sie morgen erneut zu mir. Dann händige ich Ihnen den Schlüssel aus und zeige Ihnen, wo Sie leben werden. Wenn Sie sonst keine Fragen haben …?«

Ich schüttelte stumm den Kopf.

»Dann freue ich mich Sie an der Academy of Avondale willkommen zu heißen, Mr Johnson.«

»Ich freue mich auch, Sir.«

Er stand auf und ich tat es ihm nach. Mit einer Million startender Flugzeuge im Bauch verließ ich sein Büro.

Kapitel 3

Neyla

Natürlich hatte ich auf dem Flug nicht eine Sekunde die Augen zugemacht, was ich jetzt bereute und gleichzeitig überhaupt nicht bereute. Doch die Müdigkeit hatte sich mittlerweile so bleiern schwer in mir ausgebreitet, dass ich wie ein Zombie in den Zug und schließlich in ein Taxi gestiegen war, das mich zurück zur Academy of Avondale gebracht hatte. Meine Glieder waren steif und ich musste einiges an Energie aufwenden, um nun die Tür des Wagens zu öffnen. Salzige Luft schlug mir entgegen und erweckte mich augenblicklich zum Leben. Ich war zurück.

Erst jetzt, als ich das imposante Gebäude der Academy und den tosenden Ozean dahinter erblickte, bemerkte ich, wie sehr ich diesen Ort vermisst hatte. Der Himmel war wolkenverhangen, doch ein paar wenige Sonnenstrahlen kämpften sich ihren Weg hindurch zur Erde. Sie tanzten auf den Mauern und glitzerten wie Sterne auf dem Atlantik. In meiner Jeansjacke war mir fast ein wenig zu warm, und doch kehrte beim Anblick der Academy Ruhe in mein Inneres ein und ein leises Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ja, ich war wirklich zurück.

Ächzend nahm ich meinen Monster-Koffer entgegen, den der freundliche Taxifahrer für mich aus dem Auto gehievt hatte, verabschiedete mich von ihm und ging mit großen Schritten über den Parkplatz zur geflügelten Tür der Eingangshalle.

***

»Mir war, als hätte man mir mindestens eine Willkommensparade versprochen«, rief ich laut, als ich die Tür zur Wohneinheit Nummer 12 öffnete. Als Reaktion hörte ich ein hohes Quietschen und kaum eine Sekunde später war ich umringt von Tara, Phillipa und Emilia, die mich aufgeregt umarmten. Aus dem Wohnzimmer winkten mir auch Emilias Freund Lucas und dessen bester Freund Aaron zu. Zwischen ihnen auf dem Boden war ein Monopolyspiel drapiert und vor Aaron stapelten sich mehrere Haufen Spielgeld.

»Jetzt sind wir endlich komplett.« Phillipa lächelte breit und nahm mir meinen Rucksack ab.

Nachdem ich meinen Koffer in das Schlafzimmer gestellt hatte, das ich gemeinsam mit Emilia bewohnte, ließ ich mich neben sie auf die breite Couch fallen. Ruhe und das Gefühl des Zuhauseseins legten sich um mich wie eine wohlige, weiche Decke.

»Willst du noch einsteigen?«, fragte Lucas und deutete auf das Monopolyspiel.

»Nein danke. Ich bin viel zu müde, um mich mit den unerbittlichen Strukturen des Kapitalismus auseinanderzusetzen.« Bereits jetzt kämpfte ich mit meinen Augenlidern, die immer wieder wie von allein zufallen wollten.

»Erzähl, wie waren die Ferien?« Emilia sah mich neugierig an. Ich reagierte mit einem breiten Gähnen.

»Jetlag?«, fragte meine beste Freundin mitfühlend.

Ich konnte nur nicken.

»Eigentlich wollten wir heute Abend in die Stadt gehen und unser Wiedersehen feiern«, begann Tara zögernd. »Aber wenn du zu müde bist, können wir das auch auf nächstes Wochenende verschieben.«

»Auf keinen Fall!«, protestierte ich. »Heute wird im Pub mit Sicherheit Livemusik gespielt und wir müssen darauf anstoßen, dass wir es alle in den zweiten Term geschafft haben.« Ich grinste in die Runde. »Ich gebe zu, dass ich nicht erwartet hätte, dass Aaron O’Connor uns auch jetzt noch mit seiner Anwesenheit beehren würde.«

Aaron schnitt eine Grimasse. »Pff. Ich weiß nicht, was sie meint. Ich bin ein absolut fleißiges Bienchen.«

Alle brachen in lautes Gelächter aus.

»Also ich will heute gehörig die Sau rauslassen, bevor am Montag der ganze Stress beginnt, aber wenn du zu müde bist, Montgomery, kannst du gern zu Hause in deinem Bettchen bleiben.« Aaron blitzte mich herausfordernd an.

»So weit kommt es noch. Ich lege mich jetzt für einige Stunden hin. Danach bin ich wie neu.« Ich streckte mich müde und stand auf.

»Gute Nacht und träum was Süßes«, flötete Aaron und mimte Schnarchgeräusche.

Ich zeigte ihm den Mittelfinger, bevor ich in meinem Schlafzimmer verschwand.

Obwohl ich vor Müdigkeit kaum mehr wusste, welches Jahr wir hatten, hinderten mich meine Gedanken daran, in den Schlaf zu finden. Wieder und wieder spielte ich die Begegnung im Flugzeug durch. Warum hatte Riley mich liegen lassen wie eine Klatschzeitschrift beim Zahnarzt, die zwar interessant genug war, um die Wartezeit zu überbrücken, aber unbedeutend wurde, sobald man zum Termin aufgerufen wurde? Vielleicht hatte ich ihn mit meiner offenen Art überfordert. Vielleicht war er schlicht von meinem Geplapper genervt gewesen.

Josh Krugers Gesicht und sein viel zu perfektes Lächeln schoben sich in meine Gedanken. Halt die Klappe, Ducky. Alle sind nur genervt von dir, hörte ich seine Stimme so klar, als würde er neben mir stehen. Halt die Klappe.

Leider gelang es mir viel zu selten, meine vermaledeite Klappe zu halten, auch wenn ich es immer wieder versuchte. Ich hasste es, dass es mir nach all der Zeit nicht egal war, was er und die anderen mir so oft an den Kopf geworfen hatten. Ich sollte zu dem stehen, was ich zu sagen hatte. Und doch lebte ich seit meiner Schulzeit in der Angst, andere zu nerven. Zu viel zu sein. Zu anstrengend. Zu laut. Zu hässlich. Zu dick. Ducky eben.

Karamellaugen schoben sich vor meine und drängten die Selbstzweifel aus meinem Kopf. Und endlich, endlich schlief ich ein.

Kapitel 4

Riley

Der Vertrag war sechs Seiten lang und ich verstand nicht einmal ein Drittel von den komplizierten Absätzen, die in viel zu kleiner Schrift vor meinen Augen immer wieder verschwammen.

Stöhnend sah ich mich in meinem Hotelzimmer um und öffnete schließlich den kleinen Kühlschrank, nur um festzustellen, dass sich außer zwei winzigen Wasserflaschen nichts darin befand. Mein Magen knurrte. Kein Wunder. Es war bereits 21 Uhr und bis auf einen Müsliriegel und einen Milchkaffee hatte ich den ganzen Tag nichts zu mir genommen. Ich öffnete Google Maps und suchte nach einem Laden, der mir irgendwas Essbares bieten konnte. Zu meiner Überraschung wurden mir mehr Restaurants, Bars und Cafés angezeigt, als ich in so einer kleinen Stadt wie Port Ivy erwartet hatte.

Es klopfte. Fragend sah ich zur Tür. Der Zimmerservice war schon vor einer Stunde da gewesen und sonst fiel mir niemand ein, der um diese Uhrzeit etwas von mir wollen könnte. Mit schnellen Schritten ging ich durch den Raum und öffnete die Tür.

»Überraschung.« Eine kleine Person mit kinnlangen dunklen Haaren und einem Koffer in der Hand stand im Flur und strahlte mich an.

»Lexi!« Sofort schloss ich meine beste Freundin in eine stürmische Umarmung. »Was machst du hier?«

»Ich will mit dir auf deinen neuen Job anstoßen.« Sie wackelte verschwörerisch mit den Augenbrauen. »Sofern es in dieser Milchkanne von Ort eine Bar gibt.«

»Dafür bist du extra aus London hergekommen?«

»Klar.« Sie lächelte sanft. »Ich bin stolz auf dich, Riles. Nach all dem …«, sie unterbrach sich, »du weißt schon. Ich habe das Gefühl, dein Leben schlägt ab heute eine neue Richtung ein.« Sie steuerte schnurstracks an mir vorbei auf das breite Bett zu und ließ sich rücklings darauf fallen. Müdigkeit umspielte ihre Augen und für einige Sekunden schloss sie die Lider. Ich legte mich neben sie, noch immer geschockt darüber, dass sie tatsächlich hier war. In Port Ivy. Für einen lächerlichen Job. Für mich.

»Ich bin froh, dass du da bist.« Das war die Wahrheit. Mit Lexi war immer besser als ohne Lexi. »Du kannst mir außerdem bei dieser Vertragssache helfen. Ich verstehe kein Wort.«

»Irgendwann stelle ich dir meine Dienste in Rechnung.« Sie streckte mir die Zunge raus, schnappte sich aber kurz darauf den Vertrag und begann zu lesen.

Sie ging mit mir die Einzelheiten durch. So gut, wie eine fast fertige Juristin es eben einem Laien erklären konnte, der noch nie in seinem Leben einen normalen Job gehabt hatte. Irgendwann jedoch hatte ich mehr oder weniger verstanden, was in meinem neuen Arbeitsvertrag stand, und unterschrieb.

»Herzlichen Glückwunsch!« Lexi strahlte.

Statt einer Antwort gab mein Magen erneut ein lautes Knurren vor sich. Lachend hielt ich mir eine Hand auf den Bauch und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu.

»Sorry, ich habe heute so gut wie nichts gegessen.«

Meine beste Freundin kicherte und zog ihr Handy aus ihrer Hosentasche. »Pizza?« Sie hob fragend den Kopf.

Ich nickte heftig.

Wir entschieden uns für einen Lieferdienst, der ziemlich gute Bewertungen hatte und laut Website in unter einer halben Stunde lieferte. Während wir warteten, dauerte es nur wenige Minuten, bis Lexi den Inhalt ihres Koffers im gesamten Raum verteilt hatte. Wir hatten uns so oft ein Hotelzimmer geteilt, dass ich es aufgegeben hatte, mich über ihr Chaos zu beschweren.

***

»Ich glaube, ich platze.« Meine beste Freundin rieb sich stöhnend den Bauch. Sie hatte ihre Vier-Käse-Pizza schneller verputzt, als man Quattro Formaggi sagen konnte. Wir lagen nebeneinander auf dem breiten Hotelbett und starrten an die Decke, deren Putz zu bröckeln begann.

»Und jetzt?« Lexi drehte sich auf den Bauch und sah mich aus ihren Bambi-Augen erwartungsvoll an.

»Was meinst du?«

»Na, wohin gehen wir jetzt aus?«

Für jemanden, der vor zwei Minuten noch kurz vorm Platzen gewesen war, zeigte sie eindeutig zu viel Energie. Ich vergrub mein Gesicht in einem Kissen.

»Komm schon, Riley.« Sie würde nicht lockerlassen. Das wusste ich. »Wir haben etwas zu feiern.« Mit einem Satz stand sie auf und tänzelte vor meinem Bett herum. »Dein erster richtiger Job seit …« Den Rest des Satzes ließ sie in der Luft hängen.

»Wir können doch auch hier feiern«, versuchte ich es und lugte vorsichtig hinter meinem Kissen hervor.

»Riley James Johnson.« Jetzt wurde es ernst. Ich vergrub mein Gesicht wieder tief im Kissen, konnte mich jedoch nicht vor dem verschließen, was jetzt kommen würde. »Du kannst dich nicht für immer verstecken, verdammt.« Obwohl ich sie nicht sah, wusste ich, dass ihre Wangen rot angelaufen waren und ihr rechtes Auge zu zucken begonnen hatte. »Das Ganze ist fast zwei Jahre her. Zeit, ins Leben zurückzukehren.« Sie zog mir meine Kissen-Schutzmauer mit einem Ruck vom Gesicht. »Die Welt hat sich weitergedreht. Niemand verschwendet mehr einen Gedanken an dich. Die Menschen haben dich vergessen.«

Das vor Ekel strotzende Gesicht des Mannes, den ich im Flugzeug versehentlich angerempelt hatte, flutete meinen Kopf. Die Menschen hatten mich nicht vergessen. Hatten das, was ich getan hatte, nicht vergessen. Für sie war ich der schimmernde Star. Der Vertreter des Vereinigten Königreichs, der erst so hell gestrahlt und dann das ganze Land mit Dreck besudelt hatte. Ich mied die Öffentlichkeit, so gut ich konnte, denn es reichte nur eine Begegnung dieser Art, um einen Abend voller guter Momente zu zerstören. Oder einen Flug.

Das leuchtende Gesicht und das mitreißende Lächeln meiner Sitznachbarin aus dem Flieger tauchten in meinen Gedanken auf. Ein Gefühlscocktail aus Bedauern, Scham und Traurigkeit füllte mein Herz. Was hätte sein können? Was hätte sein können, wenn ich nicht dazu verdammt wäre, Riley Fucking Johnson zu sein? Hätte ich den Mut gehabt, sie zu küssen?

Hoffnungslosigkeit, so durchdringend und schwer, hüllte mich ein und nahm mir augenblicklich die Luft zum Atmen.

»Komm schon. Ich bin sechs Stunden aus London hergefahren, um mit dir zu feiern.« Lexi zog einen Schmollmund. »Es ist gerade mal elf und du hast doch ohnehin Jetlag.«

Shit. Sie wusste, wie sie mir ein schlechtes Gewissen machen konnte.

»Sollte jemand auch nur einen blöden Spruch über dich von sich geben, bekommt er meine Faust zu spüren.« Kampfeslustig ballte sie ihre Hand.

Ich prustete los. »Mit deinen Winzlingsfäusten wirst du wohl kaum jemandem Schaden zufügen können.«

»Winzlingsfäuste?«, wiederholte sie entrüstet. »Komm her und ich zeig dir, was diese Winzlingsfäuste mit dir anstellen können.« Breitbeinig mimte sie einen Boxer im Ring. »Also was ist? Gehen wir jetzt?«

Ich seufzte. »Ein Drink«, gab ich mich geschlagen.

Ein hoher Jubelschrei sorgte für ein Klingeln in meinen Ohren.

»Ganz ruhig, Rocky«, zog ich sie auf, was mir einen Hieb mit einer der besagten Fäuste einbrachte, der mir mehr Schmerzen zufügte, als ich zugeben wollte.