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Wenn schon die Politiker nicht ein noch aus wissen – wie soll man da als Endverbraucher im Reform- und Haushaltskassendickicht noch einen klaren Kopf behalten? Mit der Lebenserfahrung eines geschulten Beobachters erklärt Harald Martenstein, was wir von den täglichen Konfusionen zu halten haben: Er sinniert über den Zusammenhang von Alterspyramide und Fußpilz, diskutiert mit seinem Kind über hochpreisige Handy-Modelle, fragt sich, ob er ein Gewichtsproblem hat, und erzählt von den bürokratischen Labyrinthen der Deutschen Rentenversicherung.
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Seitenzahl: 147
HARALD MARTENSTEIN ist Autor der Kolumne »Martenstein« im ZEITmagazin und Redakteur beim Berliner Tagesspiegel. 2004 erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis, 2010 bekam er den Curt-Goetz-Ring verliehen. Seine Kolumnenbände waren allesamt Best- und Longseller.
»Martenstein stellt die richtigen Fragen. Und gibt kluge und streitbare Antworten.« Westdeutsche Zeitung
Außerdem von Harald Martenstein lieferbar:
Männer sind wie Pfirsiche
Subjektive Betrachtungen über den Mann von heute mit einem objektiven Vorwort von Alice Schwarzer
Heimweg
Roman
Der Titel ist die halbe Miete
Mehrere Versuche über die Welt von heute
Gefühlte Nähe
Roman in 23 Paarungen
Ansichten eines Hausschweins
Neue Geschichten über alte Probleme
Wachsen Ananas auf Bäumen?
Wie ich meinem Kind die Welt erkläre
Freut Euch, Bernhard kommt bald!
12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten
Die neuen Leiden des alten M.
Unartige Beobachtungen zum deutschen Alltag
Nettsein ist auch keine Lösung
Einfache Geschichten aus einem schwierigen Land
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Harald Martenstein
Vom Leben gezeichnet
Tagebuch eines Endverbrauchers
Inhalt
Übers Kolumnenschreiben
Über Alkohol
Über Altersversorgung
Über Ärzte
Über Ausländer
Über Automobilclubs
Über Berlin
Über Gewichtsprobleme
Über Design
Über deutsche Geschichte
Über deutsche Sprache
Über Doppelkorn
Über Dosenpfand
Über Dresscodes
Über Drogen allgemein
Über Drogen speziell
Über Geburtstage
Über Handys
Über Herrenzeitschriften
Über Hitler
Über Jugendwahn
Über Kirchentage
Über Kriminalität
Über Krisen
Über Latein
Über Lebensmittel
Über Literatur allgemein
Über Literatur speziell
Über München
Über öffentliche Finanzen
Über Orgasmusforschung
Über Parks und Grünanlagen
Über Penisvergrößerung
Über Philosophie
Über Politik
Über Praxisgebühren
Über Probleme im Haushalt
Über Prüfungen und Examen
Über die Rentenversicherung I
Über die Rentenversicherung II
Über das Riesenrad
Über Schönheit
Über Schreibgeräte
Über Schuhe
Über Scientology
Über Sex
Über Skifahren
Über Sommer in der Stadt
Über Strandverhalten
Über Swimmingpools
Über Tätowierungen
Über Telefonieren
Über Theater
Über Urlaub
Über den Wannsee
Über Wochenendhäuser
Über Zigaretten
Als ich 15, 16 Jahre alt war, fing ich an, regelmäßig »Konkret« zu lesen, ein in unseren Kreisen ziemlich populäres, linkes politisches Magazin. Ich weiß nicht mehr genau, ab wann in »Konkret« die Kolumne von Hermann Gremliza erschien. Sie hieß »ExPress«, stand auf der vorletzten Seite und machte sich im Stil von Karl Kraus über die deutschen Zeitungen lustig. Es gibt »ExPress« heute noch, wahrscheinlich ist es die älteste Kolumne Deutschlands.
Einige Jahre lang habe ich »Konkret« nur wegen Gremliza gekauft. Heute klingt mir Gremliza zu unerbittlich, zu unselbstironisch. Heute bin ich altersmilde. Gremlizas Lieblingsfeind war Theo Sommer, der damalige Chefredakteur der »Zeit«. Die uferlos mäandernden, häufig im Nirwana versickernden Schachtelsätze Sommers hatten es Gremliza auf eine seine Kreativität stark anregende Weise angetan, er konnte das wunderbar parodieren. Nur wegen Gremliza habe ich meine erste »Zeit« gekauft. Ich wollte diesen Freak Theo Sommer endlich auch mal im Original lesen.
Halbwegs regelmäßiger »Zeit«-Kunde wurde ich, viel später, auch wieder wegen einer Kolumne, wegen »Pooh’s Corner« von Harry Rowohlt. Diese Kolumne ist natürlich das Beste, was im Kolumnengenre deutscher Zunge jemals geleistet wurde, eine Aussage, die nicht originell ist, ich weiß. Harry Rowohlt hat die Kolumne vom Terror der Sinnhaftigkeit und der linearen Erzählstruktur befreit, er hat ein paar Elemente des modernen literarischen Erzählens in die Zeitung gebracht. Seine Kolumne erschien nicht regelmäßig. Sie erschien offenbar nur dann, wenn Harry Rowohlt Lust dazu hatte. Es war immer wieder eine schmerzhafte Erfahrung, die »Zeit« umsonst gekauft zu haben, ohne Harry Rowohlt darin.
Das dritte Mitglied in der heiligen Dreifaltigkeit des deutschen Kolumnenwesens heißt natürlich Max Goldt.
Inzwischen gibt es sehr viele Kolumnen. Aber bisher ist, so weit ich weiß, relativ wenig übers Kolumnenschreiben geschrieben worden. Das Schlüsselwort beim Kolumnenschreiben heißt: ich. Als ich anfing, Artikel zu schreiben, war dieses Wort in den deutschen Zeitungen verpönt. Inzwischen können die Zeitungen gar nicht genug »ich« kriegen. Über die Ursachen oder auch Nachteile dieser Entwicklung zum Subjektivismus könnte man einiges sagen, wozu ich aber momentan nicht aufgelegt bin.
Das »ich« einer Kolumne ist in den meisten Fällen so fiktiv wie das »ich« einer erfundenen literarischen Figur. Nehmen Sie mich: Um einen Ton für die Kolumne zu finden, aus der dieses Buch wurde, habe ich mir einen Mann ausgedacht. Dieser Mann ist mir ähnlich, deswegen kann ich ihn ohne viel Mühe spielen, aber ich bin es eben nicht ganz. Er ist älter, hypochondrischer, übellauniger, besserwisserischer und mental erregbarer, als ich es hoffentlich bin. Ich wollte ihn nicht zu sympathisch wirken lassen. Rundum sympathische Leute sind fast immer ein bisschen langweilig. Ich dachte: Für die Rolle des zornigen jungen Mannes bist du zu alt, dann gehst du eben in die Richtung ›zorniger alter Mann‹.
Ich schreibe immer über reale Ereignisse, die Kolumnen sind nie erfunden, aber sie sind auch fast immer zugespitzt und ausgeschmückt, das heißt: sie sind auch nie ganz wahr. Es ist eine literarische Arbeit, die sich von der Literatur im engeren Sinn dadurch unterscheidet, dass der Kolumnist regelmäßig und pünktlich zu liefern hat, egal, ob er mit seinem Text zufrieden ist oder nicht. Kolumnen werden nicht maschinell hergestellt, es sind Naturprodukte wie Gemüse oder Wein, deswegen ist ein gewisser Qualitätsunterschied zwischen den einzelnen Stücken und den Jahrgängen unvermeidlich. Man muss liefern, und man liefert, aber man weiß manchmal genau, es ist nicht optimal. Ich habe inzwischen verstanden, warum Harry Rowohlt nicht jede Woche geliefert hat.
Die Kolumne war die Idee von Moritz Müller-Wirth, dem Ressortleiter »Leben« bei der »Zeit«. Wer immer sich über die Kolumne freut oder ihre Existenz begrüßt, der möge eine Kerze für Moritz Müller-Wirth entzünden. Ich selber hätte nie gewagt, an dergleichen auch nur zu denken. In demselben Organ zu publizieren wie einst der große Rowohlt, das kommt mir auch heute noch gelegentlich so vor, als würde ich mit einer Badehose bekleidet in den Petersdom spazieren.
Es läuft so: Anfang der Woche möchte die Redaktion meistens wissen, über welches Thema ich schreibe. Ursprünglich sollte die Kolumne eine »Verbraucherkolumne« sein, das heißt, jeder Text sollte von irgendeiner Ware oder einem Konsumgegenstand handeln, aber das sieht die Redaktion zum Glück nicht mehr so eng. Die Themenwahl ist im Prinzip frei. Am liebsten habe ich es, wenn ich mich ohne den geringsten Vorsatz und ohne die Spur einer Idee vor den Computer setzen darf und einfach abwarte, was mir einfällt. Beim Ausführen der Idee bin ich dann weniger der genialische Dahinschleuderer, eher der perfektionistische Tüftler. Wenn eine Satzmelodie nicht stimmt, kann mich das so verrückt machen wie ein tropfender Wasserhahn. Für dieses Buch habe ich alle Texte noch einmal überarbeitet, aber ich weiß, es ist immer noch nicht optimal.
Eine Kollegin, die bei »Geo« arbeitete, Gabriele Riedle, hat mir einmal gesagt, ein guter Text müsse wie Musik sein. Ja, genau. Ohne Melodie und Rhythmus geht es nicht. Mein Vater war ein begabter Musiker, ich dagegen habe mich als Kind erfolgreich geweigert, ein Instrument zu lernen. Ich lebe meine Musikalität beim Schreiben aus. Einmal habe ich einem »Zeit«-Redakteur erzählt, dass ich ziemlich oft bestimmte Wörter nur deswegen hinschreibe, weil sie an dieser Stelle gut klingen und dem Text den richtigen Sound geben. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass er mich für einen Spinner hält.
Manchmal verlangt die Redaktion ein bestimmtes Thema, weil ein Themenheft geplant wird und alles aus einem Guss sein soll. Das mache ich dann. Zu einem vorgegebenen Thema eine Kolumne zu schreiben ist schwieriger, aber mit den dabei entstandenen Texten bin ich zu meiner eigenen Überraschung nicht immer unzufrieden.
Die Texte werden selten verändert und wenn, dann meistens zu ihrem Vorteil. Ich habe überhaupt noch nie mit einer so kompetenten und liebenswürdigen Redaktion zusammengearbeitet wie dem Ressort »Leben« der »Zeit«, und das ist jetzt keine Anschleimerei. Probleme gibt es hin und wieder, wenn ich mich in den Bereich des Politischen wage, das haben sie nicht so gerne. Dabei finde ich Politik doch so interessant.
Ein paar Kolumnen sind in der ersten Zeit abgelehnt worden. Ich erinnere mich an drei Fälle. Einmal ging es um Schröders angebliche Affäre mit einer Journalistin, da befürchtete man Ärger mit Schröders Anwälten. Einmal ging es um Sittenstrolche, da meinte die Redaktion, dass ich das Thema verharmlose. Der dritte Fall waren die jüdischen Wurzeln, auf die praktisch jeder Deutsche sich beruft. Der Schrödertext ist zu tagesaktuell gewesen, um in dieses Buch zu passen, die beiden anderen sind hier zum ersten Mal abgedruckt, und jeder kann sich selber ein Bild machen. (»Über Telefonieren«, »Über deutsche Geschichte«)
Ich habe lange als Redakteur gearbeitet und weiß, wie nervtötend eitle, hysterische oder größenwahnsinnige Autoren sein können. Deswegen versuche ich nach Kräften, pflegeleicht und einsichtig zu sein. Einmal habe ich mich geärgert, weil mir der Redakteur das Wort »Pessar« aus dem Text herausgestrichen hat. Begründung: Die jüngeren »Zeit«-Leser wüssten nicht, was ein Pessar ist. Stattdessen hat er das Wort »Kondom« hineingesetzt, das an dieser Stelle gar nicht gut geklungen hat und falsche Assoziationsfelder aufriss. Das war schlimm für mich. Zur Strafe habe ich ihm zwei Wochen später eine Kolumne geliefert, die das Wort »Ophtalmoskop« enthielt.
Regelmäßig lese ich etwa acht Kolumnen, die ich alle mag, aber hier nicht nenne, weil ich es mir nicht mit den achtzig anderen deutschen Kolumnisten verderben will. Unsympathisch finde ich Kolumnen, deren Autoren sich als große Durchblicker, Alleswisser und Super-Rechthaber präsentieren. Ich habe im Prinzip nichts dagegen, andere Personen zu beschimpfen oder zu beleidigen, vor allem dann, wenn diese Personen reich sind, mächtig oder enge Freunde des Chefredakteurs. Für das Recht, dergleichen zu tun, wurde unter anderem die Große Französische Revolution veranstaltet. Wenn mir ein Autor aber zu verstehen gibt, dass ihm das Gefühl des Selbstzweifels oder die Einsicht, sich irren zu können, fremd sind, dann bin ich sein Freund nicht.
Kolumnen können monoton werden, das ist vermutlich die größte Gefahr. Einerseits möchte man als Leser einen bestimmten Tonfall haben, andererseits schätzen wir alle die Abwechslung. Kolumnen, die in Überschrift und Aufmachung von vornherein mit dem Anspruch auftreten, witzig zu sein, mag ich überhaupt nicht. Lachzwang ist auch ein Faschismus. Ich bin in Mainz geboren, wissen Sie. Kolumnen müssen eine gewisse Unberechenbarkeit haben, was die Tonlage und den Humorfaktor betrifft, und man darf ruhig merken, wenn der Autor mal nicht so gut drauf ist. So jedenfalls geht es mir als Leser. Fotos oder Karikaturen des Autors sind kontraproduktiv. Wenn ich Kolumnen lese, identifiziere ich mich. Ich schlüpfe probeweise in eine andere Haut. Dabei stört es mich, wenn ich weiß, dass der Autor völlig anders aussieht als ich oder einer anderen Altersgruppe angehört. Das Foto bringt mir die Kolumne nicht näher, sondern rückt sie weg von mir. Aus dem gleichen Grund mag ich auch keine Bücher mit Autorenfotos. Sollte sich der Verlag eines Tages in meinem Besitz befinden, dann werden dort als erstes die Autorenfotos abgeschafft.
Eine Ausnahme ist das Foto von Franz Josef Wagner in »Bild«. So exzentrisch, wie dieses Gesicht ist, kann wahrscheinlich kein Mensch formulieren. Trotzdem gestehe ich: Im Laufe der Zeit bin ich, zuerst widerwillig, dann immer williger, auch ein Fan von Wagner geworden. Wagner treibt mit wenigen Paddelschlägen den Boulevardstil über seine Grenzen hinaus, er führt sein Kanu tief hinein ins Meer des Wahnsinns.
Kolumnen, die um das Privatleben und den Alltag kreisen, gibt es in Deutschland reichlich. Politische Kolumnen sind bei uns, im Gegensatz zu anderen Ländern, erst relativ spät eingeführt worden. Sie liegen meistens in den Händen ausgewiesener Spezialisten. Die verteidigen ihr Revier und ihre Deutungshoheit. Dabei ist Politik sehr komisch. Jeder weiß das. Die Kabarettisten und die Comedians im Fernsehen führen es ja vor. In den Zeitungen aber regiert die Ernsthaftigkeit mit eiserner Knute. Die meisten politischen Kommentatoren tun so, als würden die Politiker ihre Ratschläge am nächsten Morgen eins zu eins umsetzen. Da kommt es natürlich auf jedes Wort an. Selten sind leider immer noch politische Kolumnen mit Entertainment, mit Distanz zum Politikbetrieb und mit einer Prise Wahnsinn darin.
Rowohlt, Goldt und, mit ein paar Abstrichen, Wagner, vor diesen dreien muss jeder, der in Deutschland Kolumnen schreibt, sich demütig in den Staub werfen. Was hiermit geschieht.
Neuerdings treten hin und wieder in Fernseh-Talkshows betrunkene Politiker oder sonstige betrunkene Prominente auf. Dazu weiß ich eine wahre Geschichte.
Seit einiger Zeit sind wir mit einem so genannten Prominenten befreundet. Man darf sagen, der Prominente geht in unserem Hause ein und aus. Er streckt seine Prominentenbeine unter unseren Tisch, gibt Prominentenworte von sich und beißt mit seinen Prominentenzähnen in unser Speisenangebot hinein. Er hat gute und schlechte Eigenschaften. Zum Beispiel ist er eitel. Er erzählt einem gerne, wie großartig er ist und was er alles Einmaliges erlebt hat. Aber wenn man mit der flachen Hand kurz und scharf auf den Tisch haut und mit halblauter Stimme »Schluss! Aus!« ruft, wechselt er beschämt das Thema und ist wieder der netteste Mensch von der Welt.
Nun sollte der Prominente, wie schon häufiger geschehen, in einer Jury mitmachen. Diesmal war es ein Connaisseur-Preis der Rotwein- oder Cognac- oder Wermutindustrie. Sagen wir mal: Cognac. »Das wird peinlich. Ich verstehe gar nichts von Cognac«, sagte der Prominente. »Dann mache in der Connaisseur-Jury halt nicht mit«, sagte ich. »Man kann nicht einfach alles ablehnen«, antwortete der Prominente ernst. »Wir Prominenten haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Es gibt viel zu wenige von uns, jeder muss anpacken.«
Zur Zeit unserer Großeltern haben die Friseure Haare geschnitten, die Sportreporter haben über Sport geredet, die Schriftsteller haben Bücher geschrieben, die Köche haben gekocht, und so weiter. Heute müssen das alles die Prominenten tun. Ich habe keine Ahnung, wie sie mit diesem Druck fertig werden. Ich könnte es nicht.
In unserem Bekanntenkreis befindet sich auch ein Trinker. Trinker gibt es in etwas größerer Zahl als Prominente, die Öffentlichkeit erwartet deshalb nicht ganz so viel von jedem Einzelnen. Der gesellschaftliche Druck auf sie ist nicht ganz so groß. Trinker schieben insgesamt eine ruhigere Kugel.
Unnötig zu sagen, dass der Trinker sich im Reiche des Cognacs relativ gut auskennt. Er fragte, ob unser Prominenter die Marken, um die es in der Jurysitzung geht, vorher erfährt. Die Antwort hieß ja. Der Trinker erklärte sich bereit, sämtliche Marken ausgiebig zu testen und zu jeder einzelnen ein intelligent begründetes, kulturwissenschaftlich und ernährungshistorisch fundiertes Urteil abzugeben. Dies koste allerdings ein Honorar.
Wir kennen jetzt also den ersten deutschen Ghost-Drinker. Diese Geschichte erzählte ich ein paar Leuten, die Artikel schreiben. Sie riefen: »Ghost-Drinker, wie Ghost-Writer, irre, darüber muss man mal im Vermischten was machen« und so weiter. Aber der Trinker wollte nicht. Er sagte Folgendes: »Wenn ich in die Medien komme, werde ich ja selber prominent. Im Endeffekt könnte das dazu führen, dass ich, der Ghost-Drinker, für mich selber einen Ghost-Ghost-Drinker beschäftigen müsste, und dieser, weil sein Beruf noch bizarrer, das heißt, für die Medien noch attraktiver ist als meiner, müsste dann einen Ghost-Ghost-Ghost-Drinker anheuern. Das ist alles widernatürlich. Das führt über kurz oder lang in den Weltuntergang, ins Armageddon. Außerdem käme ich vor lauter Medienverpflichtungen nicht mehr zum Trinken.«
Deswegen ist der Beruf des Ghost-Drinkers bis heute nur einem ganz kleinen Personenkreis bekannt. Die meisten Prominenten sind gezwungen, selber zu trinken.
Sie haben uns gesagt, wir sollen jedes Jahr mindestens ein Mal zum Zahnarzt gehen.
Der Zahnarzt trägt die Besuche mit dem Stift in so ein kleines Heftchen ein. Später, wenn die Zähne dann ausfallen, geht man mit dem Heftchen zum Staat und kriegt auf das künstliche Gebiss Rabatt. Ich gehe deswegen seit Mitte der 90er jedes Jahr zum Zahnarzt, das kostet mich und die deutsche Volkswirtschaft auf völlig sinnlose Weise einen halben Tag. Meine Zähne sind nämlich top. Da ist nie was dran. Keiner meiner Eltern hatte ein künstliches Gebiss, niemals. Wir haben seit Jahrhunderten alle Superzähne. Wir putzen natürlich auch fleißig. Aber ich dachte, ich will auf jeden Fall diesen Rabatt haben. Vielleicht schreibe ich mal etwas, das jemanden verärgert, und derjenige schlägt mir im Affekt alle Zähne aus.
Jetzt sagen sie uns, dass wir unsere neuen Zähne auf jeden Fall hundertprozentig selber bezahlen müssen. Das kleine Rabattheftchen, das ich jahrelang auf staatliche Weisung geführt habe, war für die Katz. Und wenn ich zum Zahnarzt gehe, zahle ich in Zukunft zehn Euro. Mit anderen Worten: Bis gestern sollte ich unbedingt hingehen zum Zahnarzt. Dafür gab es Geld in Form von Rabatt. Jetzt soll ich, wenn ich Geld sparen will, zu Hause bleiben.
Sie haben uns gesagt: Wir sollen für das Alter vorsorgen.
Ich habe Aktien gekauft. Deutsche Bank. Man nennt dies eine konservative Anlagestrategie. Und einen angeblich hochsoliden Fonds. Das investierte Geld ist inzwischen zu wesentlichen Teilen verschwunden. Die Aktien sind gesunken. Wenn ich mein Geld auf exzessive, zweideutige und geschmacklose Weise mit Marion und Desirée im »Grünen Kakadu« verjubelt hätte, blieben mir für mein Alter wenigstens einige angenehme Erinnerungen. Das wäre immerhin eine Art psychologische Altersvorsorge gewesen. Die einzige Aktie, die es gebracht hat, war ein Tipp aus der Zeitschrift »Der Spekulant«. Es ist eine amerikanische Firma, die sich auf den Bau von Terroristengefängnissen spezialisiert hat. Aus blödem Sicherheitsdenken habe ich zu wenig in diese Terroristengeschichte investiert. Ich habe dem verlogenen Staat mehr geglaubt als der grundsoliden Zeitschrift »Der Spekulant«.