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Neue geistreiche Kolumnen von Deutschlands spitzester Zunge
Der vielfach preisgekrönte Kolumnist Harald Martenstein ist immer eigensinnig, geistreich und unterhaltsam. Sein liebstes Werkzeug ist der gesunde Menschenverstand, sein Feindbild sind Nörgler, Besserwisser und Dogmatiker. Angst, sich unbeliebt zu machen, hat er nicht.
Der neue Band enthält eine Auswahl der besten Kolumnen aus der Wochenzeitung DIE ZEIT. Martenstein schreibt über die Bundesjugendspiele, das Seepferdchen-Schwimmabzeichen oder eine Kreuzfahrt ebenso pointiert wie über die abendliche Ankunft am Berliner Hauptstadtflughafen oder den Versuch, Freunde zum Essen einzuladen, obwohl man kein bisschen kochen kann. Besonders gern nimmt er die Verwirrungen von Cancel Culture, Wokeness und politischer Korrektheit aufs Korn. »Hören Sie bitte nicht auf, sich über das Gendern lustig zu machen« ist der häufigste Satz, den Harald Martenstein von seinen Leserinnen und Lesern hört.
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Seitenzahl: 202
Der vielfach preisgekrönte Kolumnist Harald Martenstein ist immer eigensinnig, geistreich und unterhaltsam. Sein liebstes Werkzeug ist der gesunde Menschenverstand, sein Feindbild sind Nörgler, Besserwisser und Dogmatiker. Angst, sich unbeliebt zu machen, hat er nicht.
Der neue Band enthält eine Auswahl der besten Kolumnen aus der Wochenzeitung DIEZEIT. Martenstein schreibt über die Bundesjugendspiele, das Seepferdchen-Schwimmabzeichen oder eine Kreuzfahrt ebenso pointiert wie über das Älterwerden oder Katholikentage. Besonders gern nimmt er die Verwirrungen von Cancel Culture, Wokeness und politischer Korrektheit aufs Korn.
Harald Martenstein, 1953 geboren in Mainz, ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane, unter anderem Ansichten eines Hausschweins, Nettsein ist auch keine Lösung und Heimweg. Seine Kolumnen im ZEIT Magazin, in der Welt am Sonntag, im NDR und auf Radio Eins haben Kultstatus. Er wurde unter anderem mit dem Henri-Nannen-Preis, dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Theodor-Wolff-Preis und zuletzt 2024 mit dem Medienpreis für Sprachkritik ausgezeichnet und unterrichtet an Journalistenschulen. Martenstein lebt in Berlin und in der Uckermark.
»Ein glänzender Stilist… In seinen besten Kolumnen führt er einen dorthin, wo man es am wenigsten erwartet hätte.« NZZ
»Martenstein ist gut, Unsinn: Er ist brillant.« Axel Hacke im SZ-Magazin
www.cbertelsmann.de
Harald Martenstein
Gedanken über die Beglückungen der Gegenwart
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Copyright © 2024 C.Bertelsmann
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Lektorat: Rainer Wieland
Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt
Umschlagillustration: Rudi Hurzlmeier
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-32621-0V001
www.cbertelsmann.de
Gebrauchsanweisung
Warum das alles
Wozu noch Bücher
Kolumnen schreiben
Deutsche Bestseller
Virtue Man
Die deutsche Corona-Bilanz
Nena
Krieg und Frieden
Letzte Generation
Die geschlechtergerechte Pizza
Monopoly
Scholzen und Schrödern
Hä
Ein falsches Wort
Anne Franks Brüste
Abschied von Roald Dahl
Abschied von Winnetou
William Turner
Mein erstes Attentat
Versuch, das Canceln zu verstehen
Sensitivity Reading
Abschied von der Schickeria
Mein Dieb
Die Toskanafraktion und Georgia Meloni
Top-Frau sucht Top-Mann
Karrieretipps
Das sexfreie Büro
Der Tinder-Schwindler
Lob der Lüge
Scotty
Selbstbestimmt altern
Karen’s Diner
Huhn mit Erbsen
Kochen leicht gemacht
Mein Spleen
Gottschalk
Wir Privilegierten
Der Sex der Zukunft
Fuck-you-Money
Erziehungsberater
Musikalische Früherziehung
Kapitalismus für Grundschüler
Bundesjugendspiele
Die Zukunft des Fußballs
Das Seepferdchen
Das letzte Mal
Die Tiefe
Die Dunkelheit
Missionarinnen
Vergebung leicht gemacht
Katholikentag
Die zwei Tumore
Ricarda Lang, eine Selbstkritik
Die Lockerheit ist weg
Die Judenstern-Affäre
Queen Mary 2
Heimatlos
Denunzianten
Propaganda
Silent Quitting
Mein schönes Zuhause
Oben und unten
Mittelmeer
Verteidigung der Wölfe
Geschmorte Eichhörnchen
Zurück in Berlin
Meine WG
Ich bin schuld
Meine Mutter
Der Baum
Es wird Nacht
Bei Netflix, Amazon Prime oder dem Disney Channel gibt es Serien, in die man schwer hineinfindet, falls man die ersten Folgen verpasst hat. Meine Kolumnenbücher, von denen es bereits eine ganze Menge gibt, sind da anders. Ich glaube, man kann sogar innerhalb jedes einzelnen Buches bei jedem beliebigen Text anfangen, so wie beim Verzehr einer Keksdose mit jedem beliebigen Keks.
Trotzdem gibt es eine gewisse Dramaturgie. Dieses Buch mäandert scheinbar von einem Themenkreis zum nächsten, aber am Ende ergibt sich durchaus eine Art Geschichte, hoffe ich. Ein Leser, der sich irgendwann sagt: »Ganz nett, aber muss er dauernd über dieses Zeug schreiben, hat dieser Mensch nichts anderes auf der Pfanne?«, wird sich einige Seiten später erleichtert in einem neuen Umfeld wiederfinden. Auch an so wichtige Gruppen wie Tierfreunde, Musikliebhaber, Anhänger avantgardistischer Sexualpraktiken und Fußballfans wurde gedacht.
Dass ich mich nicht als Missionar sehe und meine Ansichten nicht für garantiert richtig und alternativlos halte, erwähne ich immer mal wieder. Ich glaube nur an vorläufige Wahrheiten, nicht an unumstößliche. Ich rede mit jedem und setze mich mit fast jedem und fast jeder an den Tisch, der oder die mich freundlich dazu einlädt. Ich versuche, nicht unter die Gürtellinie zu schlagen, wenn ich jemanden verspotte oder kritisiere. Ich finde, dass der wichtigste zivilisatorische Fortschritt der letzten tausend Jahre die individuelle Freiheit ist, zu sagen, was man denkt, und zu leben, wie man es möchte, sofern man den anderen das gleiche Recht zubilligt. Ich glaube, dass nicht der Staat seine Bürger überwachen sollte, sondern die Bürger den Staat.
Das ist die Haltung, aus der heraus diese Texte entstanden sind.
Sie wurden ursprünglich für die ZEIT geschrieben, für das Buch habe ich die Chance genutzt, sie zu überarbeiten. Einige habe ich am Ende mit nachträglichen Kommentaren oder Wortmeldungen aus dem Internet versehen, falls es mir sinnvoll erschien. Dass die Fakten oft stimmen und die Sätze fast immer einen Sinn ergeben, verdanken die Texte allerdings ausschließlich meinem Redakteur Jörg Burger und meinem Lektor Rainer Wieland. Beide sind genaue und präzise denkende Menschen, während ich eher zu der ungenauen und schussligen Sorte gehöre. Falls es trotzdem Fehler gibt, stammen sie garantiert und exklusiv von mir. Dass der Verlag ein weiteres Mal dazu überredet werden konnte, mir trotz der Krise des Verlagswesens ein Honorar zu zahlen, verdanke ich meiner Agentin Karin Graf. Sehr viele Themenideen verdanke ich Petra Martenstein, einschließlich mancher, von denen ich bis heute irrtümlich glaube, ich selber wäre auf sie gekommen.
Bei uns zu Hause haben immer alle gleichzeitig geredet. Ich glaube nicht, dass ich, bevor ich zu Hause ausgezogen bin, dort insgesamt mehr als zehn Sätze vollständig zu Ende sagen durfte. Immer hat jemand mich unterbrochen. Nie hat jemand zugehört. Und alle hörten nur, was sie hören wollten.
Zum Beispiel bin ich mal aus der Schule zu meinen Großeltern gekommen, mit vielleicht zehn. Der Rudi hatte während der Pause in meinen Schulranzen eine Flasche Bluna gekippt, infolge einer Meinungsverschiedenheit zwischen uns. Ich sagte: »Oma, stell dir vor, der Rudi …«
Sie unterbrach mich sofort. »Am Rudi solltest du dir besser ein Vorbild nehmen. Der Vater vom Rudi …«
Nun folgte eine längere Erzählung, deren Pointe darin bestand, dass sie vor Jahrzehnten sehr gut befreundet war mit Rudis Vater, der nicht mehr ganz jung war. Oh ja, das hätte durchaus was werden können mit ihnen. Ein feiner Mann war das. Aber dann kam ja leider mein Opa dazwischen.
»Aber der Rudi hat …«
»Der Rudi weiß eben, wie man’s macht. Dann bring halt den Rudi ruhig mal mit von der Schule. Rudis Vater …«
Nun schilderte sie ausgiebig den Werdegang dieses Mannes, Alleinerbe einer uralten Metzgerdynastie mit vier Filialen und trotzdem Mittlere Reife, obwohl jemand wie er so einen Abschluss überhaupt nicht nötig hatte.
»Meine Schulhefte sind alle nass. Deshalb …«
»Der war noch alte Schule. Ganz fein angezogen war der immer. Wir sind ins Kino …«
Nun folgte die detaillierte Beschreibung einer öden Filmhandlung. Da war kein Durchkommen.
Ein anderes Mal hatte ich dem Rudi leicht eins auf die Nase gegeben, nur einen Nasenstüber. Der fängt demonstrativ an zu bluten, natürlich aus Bosheit. Ich kriege einen Tadel, die Eltern sollen unterschreiben. Ich sage meiner Mutter: »Ich brauche deine Unterschrift, weil …«
Sie: »Das interessiert mich alles überhaupt nicht. Mich interessiert …« Sie erzählte irgendwas mit Politik, bis ich sage: »Aber ich muss morgen diese Unterschrift …«
»Unterbrich nicht ständig, ein Kind in deinem Alter kann doch wohl seine Hausaufgaben selber machen.«
Also habe ich das mit der Unterschrift selber erledigt.
Jemand fragte mich: »Warum haben Sie angefangen, zu schreiben?« Na ja, wir alle sollten versuchen, mit irgendwas Geld zu verdienen, oder? Praktische Tätigkeiten kamen bei mir aus Talentmangel nicht infrage, Profisportler eh nicht, für Wissenschaft fehlt mir das Sitzfleisch, fürs Management die Führungsqualitäten und für alles andere die Nerven. Da bleibt dann nicht viel.
In Wirklichkeit aber habe ich mit dem Schreiben angefangen, um endlich mal einen einzigen Satz ungestört zu Ende führen zu dürfen. Das war der Grund. Ich will nicht die Welt verändern. Ich möchte nur eben kurz mal was sagen.
Bücher sind als Statussymbol wieder im Kommen, jedenfalls war dies der Frankfurter Allgemeinen zu entnehmen. Der neue Trend hänge mit der Corona-Zeit zusammen, in der alle Welt die viren- und reisekostenfreie Videokonferenz entdeckte. Die Videokonferenz ist gekommen, um zu bleiben. Sogar ich habe inzwischen an etlichen Videokonferenzen teilgenommen. Fast niemand scheint sie zu mögen. Dies nur nebenbei.
Bei den anderen Konferenzteilnehmern soll es gut ankommen, wenn im Bildhintergrund des Teilnehmenden eine Bücherwand zu sehen ist. Auf dem Boden lose verstreute Unterwäsche oder Kleinkinder, die mit ihren Händchen im Fressnapf der Katze herumpatschen, kommen als Bildhintergrund bei Weitem nicht so gut an. Für eine nackte Wand als Bildhintergrund aber gibt es den Fachbegriff »Hostage Video«, weil dieses Setting so aussieht, als sei die Person das Opfer einer Geiselnahme.
Ein Problem bei der Bücherwand dagegen besteht darin, dass die Werke im Hintergrund zu Rückschlüssen auf die politischen, privaten oder ästhetischen Vorlieben der Konferenzteilnehmer einladen. Das gilt auch für deren finanzielle Möglichkeiten, etwa, wenn da lauter wertvolle Erstausgaben stehen oder bei armen Schluckern nur zerfledderte Taschenbücher. Deshalb lassen sich inzwischen etliche Mitbürger öffentlichkeitstaugliche Bücherwände von Antiquaren oder Bibliotheken kuratieren. Diese werden im Buchladen einfach abfotografiert und dienen dann in der Konferenz als virtueller Hintergrund. Goethe und Thomas Mann gehen immer, sag ich jetzt einfach mal. Für die Quote würde ich 30 Prozent Sophie-Passmann-Artiges beimischen und fürs dezente Virtue Signaling irgendwas mit »Klima« im Titel.
Bei echten Bildungsbürgern gelten solche Inszenierungen allerdings als »leicht vulgär«, wie der FAZ-Autor Miloš Vec dankenswerterweise mitteilt. Auf dem Twitter-Konto »Bookcase Credibility« werden diese zwecks Selbstdarstellung gefakten Bücherwände sogar benotet und kommentiert, natürlich meist in abfälliger Weise. Noch am besten scheint es beim Publikum anzukommen, bei den Büchern im Bildhintergrund auf »moralische Wahrhaftigkeit« zu setzen. Wenn der CEO oder die Personalchefin im Regal Golfen für Anfänger stehen haben, Ich bin dann mal weg von Hape Kerkeling oder gar Wie flirtet man richtig?, statt korrekterweise Maja Göpel, kann genau das sie als nahbar und authentisch erscheinen lassen.
Ein schwerer Fauxpas liegt vor, wenn im Bildhintergrund eigene Werke des offenbar an Eitelkeit im Endstadium erkrankten Konferenzteilnehmers zu erkennen sind. Dies ist, wie ich nach der Lektüre erschrocken feststellte, bei mir der Fall. Mein Gott, ich hatte halt alles, was irgendwie beruflich ist, ins Arbeitszimmer gepackt, reiner Zufall, dass hinter mir nicht die Ordner für die Steuererklärung stehen oder der Ratgeber Wie sag ich’s richtig?.
Als ich mich umdrehte, um mir zum ersten Mal kritisch und bewusst das anzusehen, was sich hinter meinem Rücken befindet, sah ich unter anderem eine in Acryl gegossene Riesenspinne, die ein lieber Mensch mir vor langer Zeit geschenkt hat, ein Schwein aus rosa Plastik und eine Literflasche Limoncino-Likör. Das war halt ein Sonderangebot. An Büchern anderer Leute als mir standen nebeneinander Die Grünen, das Buch und Mütterfeindlichkeit, ein uralter Band aus der Rowohlt-Reihe Frauen aktuell, dazu Wer war was im Dritten Reich. 5000 Köpfe. Was sagt das wohl aus? Moralische Wahrhaftigkeit hat womöglich ein anderes Gesicht.
Ich habe, wie ich immer gern erwähne, als junger Spund auch Werbetexte geschrieben. Super Honorare, viel besser als bei der ZEIT. Wäre ich mal lieber dabei geblieben? Die Frage stellt sich nicht, als Werbetexter war ich nicht gut genug. Ob das Wort »Spund« politisch belastet ist, weiß ich im Moment leider nicht, sorry.
Im Fernsehen habe ich jedenfalls zufällig einen Werbespot für Kijimea gesehen. Dieses Mittel hilft angeblich gegen Durchfall, Bauchweh und Blähungen, drei Übel, die gottlob nicht zu meinen zentralen Lebensproblemen gehören. Aber ich finde es faszinierend, einem Schauspieler dabei zuzusehen, wie er sogar in einem Anti-Durchfall-Werbespot sein Bestes gibt, und das tat dieser Mann.
Keine Sorge, hier geht es nicht um Fäkalhumor. Mir geht es um den Respekt für Leute, die ihren Job machen, egal wo.
Dieser Schauspieler würde bestimmt lieber im nächsten Film von Quentin Tarantino mitspielen oder wenigstens im Tatort, aber aus irgendeinem Grund hat ihn sein Berufsweg bei der Kijimea-Werbung landen lassen. Das kann es nicht gewesen sein, wovon er auf der Schauspielschule geträumt hat. Er war gut in dem Werbespot, obwohl es ihm vermutlich nichts bringt, außer Geld.
Ich habe dann angefangen, im Netz nach Kijimea-Spots zu suchen, auf YouTube findet man etliche. Es geht in meistens 22 Sekunden immer um eine Person, die mal unbefangen, mal leicht verlegen, mal offensiv über ihr angebliches Darmproblem spricht. Eine ältere Dame tut das sogar auf Schwäbisch: »Immer wieder schräcklicher Durchfall, dazu Bauchwäh, Blähunga!«
Ein eher später Vater, Dreitagebart und graue Schläfen, tritt mit frecher Tochter und sehr selbstbewusst auf. »Ständig Durchfall und« – er schüttelt selbstironisch den Kopf – »Blähungen!« Dazu die freche Tochter: »Es war so nervig! Papa hat ständig gepupst.«
In der Version »Mutter und Tochter« legt die Schauspielerin ihren Part eher mitleiderregend an, sie presst beide Hände gegen den widerspenstigen Unterbauch. Ein schon etwas reiferes Single-Girl beginnt die Klage über ihre Blähungen natürlich mit: »Freunde treffen?« Kurze Pause, dann: »Pfff!« Beliebt ist bei Kijimea auch die in der Wirklichkeit meist umgekehrte Paarung »Mensch mit Darmproblem plus Hund ohne Darmproblem«. Am eindrucksvollsten ist ein Spot, in dem der wirklich sehr süße Hund genau dann die Pfote auf seine Nase legt, wenn sein Frauchen das Wort »Blähungen« ausspricht.
Auch ein Typ wie ich taucht auf, recht alt, lange Haare, Jeans und Weste, der leidend wirkt, »megaätzend war das«. Dabei kuckt er so grimmig, als ob er am liebsten mit dem aus alten K-Gruppen-Tagen geretteten Molotowcocktail seinen Darm spülen würde.
Es ist ein Kaleidoskop der Gesellschaft und der Darstellungsstile. Nur Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund habe ich nicht entdeckt. Warum nur, haben die denn nie Bauchweh? Wenn ich ein paar Millionen übrig hätte, würde ich eine Serie mit diesem Cast produzieren, eine charmante Tabubrecherserie über Darmprobleme mit der Darmbestseller-Autorin Giulia Enders als Beraterin und Kida Ramadan als leicht sadistischem Proktologen. Aber das ginge wohl nur bei Netflix.
Ich finde es toll, wenn Schauspieler in dem engen Rahmen, den Werbung nun mal setzt, alles auspacken, was sie draufhaben, und mich als Zuschauer trotz aller Handicaps kriegen. Ich liebe Profis. So viel anders als das, was Kolumnisten machen, ist das gar nicht. Es wird nicht als große Kunst akzeptiert, manche schauen auf einen herab, es sind nur kurze Texte. Aber man gibt alles, falls man ein Profi ist.
Sagt jemandem der Name »Dölerich Hirnfidler« etwas? Klar, es handelt sich um ein Anagramm von »Friedrich Hölderlin«. Merkt man sofort, oder? Und es ist eine Figur im Kosmos des Walter Moers, dessen neuer Roman Die Insel der Tausend Leuchttürme erwartungsgemäß weit oben steht in den Bestseller-Listen. Moers ist einer der wenigen Autoren, die ihr Erfolgsrezept allen verraten: »Lass die langweiligen Sachen aus, erzähle nur die spannenden Teile.«
Im Gespräch mit dem Kritiker Denis Scheck äußert sich Moers auch über den moralischen Rigorismus der Gegenwart: »Mit dem Humor ist das wie mit dem Alkohol. Wenn man ihn nicht verträgt, sollte man die Finger davon lassen.« Seine älteren Megaseller wie Das kleine Arschloch oder Adolf, die Nazisau würden heute, böte ein junger Autor sie an, keinen Verlag mehr finden. Sagt Moers.
Aus wessen Kosmos aber stammt dieser Bestseller? Erster Satz des Pressetextes: »In einer Villa am Zürichberg wohnt Alt-Nationalrat Dr. Stotz, umgeben von Porträts einer jungen Frau.« Klar, das kann nur Martin Suter sein, diesmal mit Melody.
Im unverwechselbaren Suter-Sound und auch von dem Genie Moers werden wohl noch in fünfzig Jahren Romane erscheinen. Denn von Stieg Larsson, verstorben 2004, liegt auch wieder ein brandneues Werk in den Buchläden, Verderben. Nach David Lagercrantz hat jetzt Karin Smirnoff (nicht das Pseudonym eines Wodkaliebhabenden, es gibt sie wirklich) das Ghostwriting übernommen. In ein paar Jahren wird so etwas sicher von der KI erledigt. Ich bin gespannt auf Thomas Manns postumes Die Buddenbrooks auf Gut Bullerbü, für junge Thomas-Mann-Leser gemeinsam verfasst mit der Avatarin von Astrid Lindgren.
Das Sachbuch When You’re Ready, This Is How You Heal ist trotz des englischen Titels ein ins Deutsche übersetztes Werk der Lebensratgeberin Brianna Wiest. Mit englischen Titeln auf dem Cover kannst du in der U-Bahn so tun, als könntest du Englisch, das ist der Sinn. Und Sophie Passmann schildert in Pick Me Girls, natürlich keineswegs als Erste, was Frauen heutzutage alles ertragen müssen. Zum Beispiel hat sie »immer bei ersten Dates bezahlt« und dann »den Mann insgeheim dafür verachtet«, dass er sie nicht daran gehindert hat. Herbert Grönemeyers Satz »Männer sind allzeit bereit« gilt offenbar nicht für Rechnungen.
Weil wir alle unser Geschlecht inzwischen einmal jährlich ändern können, natürlich auch Sophie Passmann, gehören solche nachdenklich machenden Verlustgeschichten sicher bald der Vergangenheit an. Wer sich trotzdem weiterhin übers Frausein beklagt, muss sich auf die Bemerkung »Du wolltest es ja nicht anders« gefasst machen.
Welchen Sinn das Amt »Bundespräsident« hat, habe ich leider nie kapiert, außer bei meinem Lieblingspräsidenten Joachim Gauck. Sein neues, erwartungsgemäß kluges Buch Erschütterungen beschreibt, wie man in Deutschland von naiven Leitartiklern als »Säbelrassler« beschimpft werden konnte zur Strafe dafür, dass man schon 2014 davor warnte, Putin über den Weg zu trauen. Gauck wagt sich auch an heiße Themen wie »Critical Race Theory«, »Selektive Solidarität« oder »Konkurrenz der Opfer«, womit wir wieder bei Hölderlin alias Dölerich Hirnfidler und den Frauen sind. Würde Joachim Gauck beim ersten Date Sophie Passmann daran hindern, zu zahlen? Irgendwie bin ich mir sicher, er würde es tun. Hölderlin aber schrieb: »Immer hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.«
Vor einer Weile habe ich zum ersten Mal jemanden in der neuen Gendersprache so richtig reden hören, damit meine ich: in einer privaten Situation. Mir war bis dahin nicht bewusst gewesen, dass manche Leute so etwas auch im Alltag tun. In meiner spätbürgerlichen Charlottenburger Blase hatte ich Gendern für ein Phänomen der Medien, von offiziellen Situationen oder Uniprüfungen gehalten, überall dort halt, wo man ein politisches Bekenntnis ablegen soll oder will.
Es war auf einer Party. Mein Gesprächspartner war Theaterregisseur, frisch in der Stadt. Er erzählte von seiner ersten Inszenierung am neuen Ort, dabei sprach er stets von »Schauspieler*innen« und den »Besucher*innen«. Dort, wo in der Schriftsprache ein Sternchen steht, machte er eine kurze Pause, den sogenannten Glottisschlag. »Glottis« klingt nach »Berg in der Ostschweiz«, es ist aber ein Teil des Larynx, Letzterer verbindet den Pharynx mit der Trachea.
Wir befanden uns in einem Zwiegespräch. Niemand stand in unmittelbarer Nähe. Das machte die Situation so sonderbar. Einerseits war niemand Zeuge unseres Dialogs (der Regisseur hätte natürlich Zeug*in gesagt), es gab keine gendermäßig anders gepolte Person, die sich hätte herabgesetzt, nicht repräsentiert, diskriminiert, nicht mitgemeint oder aus welchem Grund auch immer hätte ungut fühlen können. Außerdem redete ich in der Normalsprache. Es fühlte sich ein bisschen so an, als ob zwei deutsche Muttersprachler sich auf einer einsamen Waldlichtung treffen, von denen einer konsequent Englisch spricht, damit niemand auf der Welt sich ausgeschlossen fühlt, der kein Deutsch versteht, zum Beispiel Gianna Nannini oder Joe Biden. Aber weil weit und breit kein Mensch mithört, hat der andere, der Deutschredende, das Gefühl, dass hier vielleicht eine versteckte Kamera im Spiel ist, um seine Reaktion zu testen. Oder aber, dass die andere Person Opfer einer seltenen mentalen Störung ist, die man aus Taktgefühl mal besser nicht anspricht.
»Ja, die Regieassistent*in nimmt mir hier zum Glück einiges ab, sonst könnte ich die letzte Inszenierung an meinem alten Theater gar nicht mehr machen. Der Abschied von den Zuschauer*innen und natürlich den Kolleg*innen dort fällt mir schwer, das stimmt.«
»Die Zuschauer hier werden sich bestimmt freuen, dass sie den Macbeth mal mit Frauen in allen Rollen zu sehen kriegen. Nur die Hexen werden von Männern gespielt, stimmt’s?«
»Die Lady Macbeth hatten wir außerdem Axel Prahl angeboten, aber der Dreh zum Tatort hat Vorrang, klar. Das Schönste hier ist, wie alle Kolleg*innen, bis hin zu den Handwerker*innnen und der Fundusverwalter*in …«
Und so weiter. Den Dialog habe ich erfunden, aber es war so ähnlich. Ich konnte mich gar nicht auf den Inhalt des Gesprächs konzentrieren, weil mein Gehirn mit der Entschlüsselung des Subtextes dieser Situation völlig ausgelastet war. Sollte ich aus Höflichkeit auch anfangen, zu gendern? Nein, das wäre eine Art Kapitulation gewesen. Was hier stattfand, war eindeutig Virtue Signaling, also das Zeichen: Ich bin einer von den Tugendsamen. Du nicht. Oder? Wenn der Mann in seiner Blase den ganzen Tag lang so redete, dachte er sich womöglich gar nichts mehr dabei. Auf jeden Fall war es klug, sich schnell zum Buffet zu verabschieden. Denn wenn ich aus Versehen etwas Falsches sagen würde, würde der Virtue Man das womöglich empört twittern, und ich hätte seine gesamte Blase am Bein, eine völlig andere Blase als meine. Da muss man aufpassen.
Im Zuge der Corona-Maßnahmen ist ein neuer Typus von Respektsperson entstanden, ich nenne ihn den »Corona-Kontrolleur«. Die Corona-Kontrolleure standen damals an den Eingängen von Restaurants, Schwimmbädern, Läden oder was auch immer und überprüften, ob eine Person geimpft, genesen oder getestet war, gemäß den gerade geltenden Regeln. Meistens lief es darauf hinaus, dass man sein Handy zu zeigen hatte, mit dem Impfzertifikat. Anschließend forderte die Kontrollperson, dass man sich über eine App eincheckt, oft wollte sie auch den Ausweis sehen.
Die meisten dieser Menschen waren es nicht gewohnt, Kontrolleur zu sein. Bisher hatten viele es als Dienstleistende mit Kundinnen und Kunden zu tun, mit Gästen, mit Besuchern. Von denen hing der Laden finanziell ab, mit denen hatten sie vorsichtig umzugehen. Sogar bei unverschämten Beschwerden der Kunden durfte man nicht die Beherrschung verlieren und aggressiv werden. Nun also stand da jemand, der kontrolliert werden sollte und den man abweisen durfte, nein, sogar musste, wenn er oder sie den Vorschriften nicht entsprach. Die Machtverhältnisse an der Tür hatten sich umgekehrt.
Manche genossen das. An der Restaurant-Tür sagten sie: »Impfnachweis.« Nur das. Mehr nicht. Dann studierten sie provozierend lange den Nachweis, nickten, ohne den Bittsteller anzusehen, machten eine Handbewegung, die »Mir nach« bedeuten sollte, und führten zum Tisch.
Einmal bin ich einfach in ein Berliner Restaurant hineingegangen, weil an der Tür niemand zu sehen war, manchmal wurde ja erst am Tisch kontrolliert. Hinterm Tresen brüllte jemand: »Sie ham am Eingang jefälligst zu warten! Kapiert?« Im Hallenbad hatten sie als Kontrolleur einen tätowierten Muskelmann, vermutlich von einer Security-Firma, also einen Profi, wie man sie als Türsteher vor Clubs kennt. Dieser Kontrolleur war Macht schon gewohnt. Er wusste, dass Gnadenakte zum verfeinerten Machtgenuss gehören. Ich hatte an der Schwimmbadkasse etwas vergessen, wollte also für eine halbe Minute noch einmal kurz hinein, mit Maske, aber ohne ein zweites Mal einzuchecken. Der Kontrolleur fuhr vor der Tür seinen Muskelarm aus wie eine Schranke, sah mich sekundenlang grimmig an, dann lachte er und sagte: »Lauf mal schön los.«
Es gab aber auch das Gegenteil, Menschen, denen ihre Macht unangenehm war. Die Kellnerin zum Beispiel, die nur einen flüchtigen Blick aufs Handy warf, zu kurz, um zum echten Kontrollieren auszureichen, und die dann verlegen murmelte: »Das müssen wir halt machen.«
Wenn ich während der Corona-Zeit im Ausland war, kam es mir dort immer lockerer und freundlicher vor als zu Hause, ob in Italien, Österreich, Spanien oder der Schweiz. Die Regeln waren überall ähnlich, sie waren womöglich sinnvoll, gegen die Regeln hatte ich eigentlich nichts. Ein »Bitte«, ein »Danke« und ein nicht ganz so schnarrender Ton wären aber mit den Regeln ohne Weiteres vereinbar gewesen, sie stimulierten das Virus bestimmt nicht. Womöglich stärkt Freundlichkeit sogar das Immunsystem.
Deutschland war mir früher eher unautoritär vorgekommen, verglichen mit anderen Ländern. Jetzt zeigte es wieder sein anderes Gesicht, das verkniffene. Dass wir von Staats wegen einander massenhaft kontrollieren sollten, als einig Volk von Hilfssheriffs, ist uns nicht gut bekommen. Vielleicht ist ein Teil der Freundlichkeit, des Servicedenkens und der Höflichkeit jetzt dauerhaft perdu. Man kann zweifellos auch ohne all dies überleben. Dass ein neues Zeitalter des Verzichts ausgerechnet mit dem Verzicht auf das Nettsein eingeleitet wurde, war allerdings eine böse Überraschung.
Auf die Frage nach dem größten internationalen Star deutscher Herkunft fallen in den USA sicher vielen Arnold Schwarzenegger oder Christoph Waltz ein, andere denken an Falco. Aber die sind alle aus Österreich. Wir Deutschen können an internationalen Popstars die Scorpions und Nena aufbieten, die 1983 mit »99 Luftballons« in den US-Charts auf Platz 2 gelangte.
In den USA