Freuet Euch, Bernhard kommt bald! - Harald Martenstein - E-Book

Freuet Euch, Bernhard kommt bald! E-Book

Harald Martenstein

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Beschreibung

Skurril, satirisch, mit viel schwarzem Humor – das etwas andere Weihnachtsbuch

Stille Nacht, Martensteins Nacht: In seinen zwölf modernen Weihnachtsgeschichten definiert der vielfach preisgekrönte ZEIT-Kolumnist den Begriff »Besinnlichkeit« neu. In seinem unverwechselbaren lakonischen, komischen Ton beschreibt er das Familienfest von einer ungewohnten, eher ungemütlichen Seite. Da gibt es den Weihnachtsmörder, der jedes Jahr am 24. Dezember zuschlägt, mal als Lamettawürger, mal als Christbaumstecher, und damit dem ermittelnden Ich-Erzähler das Fest versaut. Da wird »Das neue Testament« einfach mal juristisch verstanden oder »Die heilige Familie« radikal in die Gegenwart katapultiert. Und wir verfolgen, wie sich ein Weihnachtsmann als Stripper und erotischer Dienstleister bei Betriebsfeiern durchschlägt. So schwarz haben sich Weihnachtsgeschichten noch nie angehört.

Trotz seines Sarkasmus hat Martenstein aber kein Anti-Weihnachtsbuch verfasst: Mit Hintersinn und überraschenden Pointen stellt er vielmehr die alten Fragen neu – was heißt heute Familie, wie können wir Frieden finden, wo wohnt die Liebe?

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Seitenzahl: 121

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Harald Martenstein

Freuet Euch,Bernhardkommt bald !

12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten

Mit Illustrationenvon Rudi Hurzlmeier

C. Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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© 2013 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: buxdesign, München unter Verwendung einer Illustration von Rudi Hurlzmeier Lektorat: Rainer Wieland Satz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN 978-3-641-08524-7 V002
www.cbertelsmann.de

Inhalt

Der Weihnachtsmörder, Teil eins

Interview mit einem Weihnachtsmann

Joe

Garfield

Die Heilige Familie

Das Neue Testament

Das Weihnachtsbaumwunder

Das Fest

Das Geschenk

Das Fest, etwas später

Der Weihnachtsmörder, Teil zwei

Der Weihnachtsagent

Nachwort

Der Weihnachtsmörder, Teil eins

Kennen Sie die Geschichte vom Weihnachtsmörder? Ich meine, die ganze Geschichte? Dumme Frage, zugegeben. Das können Sie alles gar nicht kennen. Sie wissen höchstens, was in der Zeitung stand. Ich war dabei.

Wir haben die Sache damals nicht gleich an die große Glocke gehängt. Klar, die Delikte als solche wurden an die Presse gemeldet. Müssen wir ja. Aber beim Datum ist ein bisschen gemogelt worden, wir haben »an den Weihnachtstagen«, oder »an den Feiertagen« geschrieben, in der Pressemeldung. »An den Feiertagen hat sich im Kreis Herne ein Gewaltverbrechen ereignet«, so ähnlich haben wir es in den ersten Jahren formuliert.

Es war aber immer der Heiligabend. Jahr für Jahr.

Wir wollten den Leuten nicht die Freude am Fest nehmen. Deshalb haben wir gewisse Details im Ungefähren gelassen. Wenn man sich nur mal kurz vorstellt, es ist Heiligabend, die Familie sitzt schön zusammen, man singt, man isst Süßigkeiten, und man weiß, da draußen schleicht genau jetzt einer herum, der kuckt in die hell erleuchteten Zimmer rein, der sucht sich sein nächstes Opfer – nee, da vergeht einem Weihnachten. Das wollten wir den Leuten nicht antun, verstehen Sie. Vielleicht war das ein Fehler. Wir hätten die Menschen früher sensibilisieren müssen für die Gefahren des Heiligen Abends.

Als Ermittler war ich damals noch ein grüner Junge. Zuerst hat Bernd Buschmann die Leitung gehabt, dann kam die Grünbaum. Wir waren ein großes Team, zeitweise über dreißig Personen. Die Stimmung war gut, trotz allem, unter der Grünbaum vielleicht sogar noch besser als unter Buschmann. Die Fahndungsgruppe trifft sich bis heute manchmal auf ein Bier, meistens in der Adventszeit. Es kommt ja selten vor, dass ein Ermittlerteam so lange zusammenarbeiten darf. Besser gesagt, muss. Da entstehen Freundschaften. Ich habe in der Sonderkommission Weihnachtsmörder sogar meine spätere Frau kennengelernt, also, meine zweite Frau. Die Stimmung war gut, aber wir haben komplett im Dunkeln getappt. Passt zur Jahreszeit.

Wer tut so etwas? Wer ist so pervers? Was muss passieren, damit ein Mensch in solch ein Fahrwasser gerät? Das sind typische Fragen, um die es in einer Sonderkommission geht.

Spurensicherung plus Psychologie. Ein bisschen Wissenschaft, ein bisschen Instinkt. So heißt das Rezept.

Der erste Fall – wann war das? Späte Siebziger, glaube ich. Achtundsiebzig wahrscheinlich. Ein alleinstehendes Haus im Rheinland, die Opfer waren ein älteres Ehepaar. Tatwaffe: Lametta. Der oder die Täter haben die Opfer mit Lametta erwürgt. Das Lametta haben sie einfach vom Baum genommen. Da hing genug herum.

Kein Einbruch. Die Opfer müssen den oder die Täter freiwillig ins Haus gelassen haben. In der Wohnung fehlte nichts. Sogar die Geschenke haben sie liegen lassen. Der Mann hatte seiner Frau eine edle Hautcreme geschenkt, sie ihm einen Rasierpinsel aus echtem Dachshaar und eine Flasche Kräuterlikör. Tja. Die vergammelt jetzt in der Asservatenkammer.

Die Spurensicherung hat wenig ergeben. Keine Fingerabdrücke. Auf eine Beziehungstat deutete nichts hin. Die Leute waren nicht reich. Es gab eine Tochter, erwachsen. Sie lebte in den USA und hatte eine Stunde vor der Tat angerufen, da war alles normal. Von Gästen war nicht die Rede. Die Kollegen ermittelten vor sich hin, wie das halt so ist, man checkt hier, man checkt dort, und nach Dienstschluss geht man nach Hause. Im Grunde war die Sache schon beinahe vergessen, als es wieder Weihnachten wurde.

Der Ort hieß Höxter, das weiß ich noch, diesmal war es eine Mietwohnung. Dritter Stock. Ein Ingenieur, Anfang vierzig, seine Ehefrau, Stenotypistin, die Eltern der Ehefrau, dazu eine Tante sowie der Lebensgefährte der Tante, ein arbeitsloser Tenor. Sechs Personen. Alle erstochen. Bei den ersten vier Opfern war die Tatwaffe die Christbaumspitze, die vorher oben auf dem Weihnachtsbaum gesteckt hatte. In dem vierten Opfer, dem Tenor, ist die Spitze abgebrochen, ein Produkt aus dem Böhmerwald, geschliffenes Bleikristall. Daraufhin haben die Täter mit dem Nussknacker zugeschlagen, der auch aus dem Böhmerwald stammte.

Den Anblick des Tatorts vergesse ich nie. Das war nämlich mein erster Einsatz im Weihnachtsmörder-Fall, damals ist die Sonderkommission gebildet worden. Unter Buschmann, wie gesagt.

Die Nachbarn hatten natürlich Geräusche gehört, Schreie, Getrampel und so. Aber an Weihnachten denkt sich dabei keiner was. Da gibt es ja öfter mal Streit in der Familie. Die Eltern der Ehefrau und der Lebensgefährte der Tante, also der Tenor, die verstanden sich überhaupt nicht, das hatte die Ehefrau den Nachbarn erzählt. Pech. Vielleicht hätten die Nachbarn sonst sogar bei der Polizei angerufen.

Buschmann hat sich dann nach ein paar Tagen an den Fall aus dem Vorjahr erinnert, der Lamettawürger, das war erst mal nur eine von mehreren Arbeitshypothesen, der Lamettawürger und der Christbaumstecher könnten womöglich identisch sein.

Es fehlte auch diesmal nichts in der Wohnung, es gab erstaunlicherweise keine nennenswerten Spuren, und das, woran man sich kriminologisch halten konnte, war eigentlich nur die ungewöhnliche Tatwaffe, die Christbaumspitze. Die Tatwaffe deutete auf ein spontanes Verbrechen hin. Wenn ich in eine Wohnung reingehe, um sechs Personen kaltzumachen, hey, da nehme ich doch, egal, wie wahnsinnig ich bin, eine Waffe mit und verlasse mich nicht drauf, dass die zufällig eine Christbaumspitze aus Bleikristall vorrätig haben. Andererseits sprach die Abwesenheit von Spuren für eine sorgfältige Planung. Ein Irrer, der im Blutrausch ist, hinterlässt Spuren wie ein Lkw, der in eine Baumschule brettert.

Kurz gesagt, nix passte zusammen.

Buschmann hat von Anfang an darauf beharrt, dass wir auch in Richtung Einzeltäter ermitteln müssen. Da hat ihn zuerst jeder für verrückt erklärt. Sechs Opfer. Das kann ein Einzelner gar nicht packen. Niemals. Die wehren sich doch. Persönlich bin ich mit Buschmann nie richtig warm geworden, der war ein bisschen arrogant, mir hat die Grünbaum als Typ ehrlich gesagt mehr gelegen. Aber als Kriminalist war Buschmann erste Liga, das ist einfach so. Hut ab, Buschi! Wo immer du jetzt sein magst!

Also, ich fasse mal die folgenden Weihnachtsfeste zusammen. Eildurchlauf. Nur das Wichtigste. In Regensburg wurde ein alleinstehender Restaurantbesitzer, der an Heiligabend das Menü für den ersten Feiertag vorbereitet hat, mit dem Kopf in seine Weihnachtsgans hineingesteckt, rektal, Tod durch Ersticken. In Alzey hat es eine vierköpfige Gruppe von portugiesischen Gastarbeitern erwischt, in ihrer Baracke, im Glühwein war südamerikanisches Pfeilgift drin. Das wird übrigens aus Fröschen gemacht. Hochinteressante Tiere. In Kleve ist ein Pfarrer, der sich auf die Christmette zu Mitternacht vorbereitet hat, in der Sakristei am Adventskranz aufgehängt worden, mithilfe seines Beffchens. In Kiel haben ein paar Mittdreißiger gemeinsam an Heiligabend eine X-Mas-Party gefeiert, coole Sache, am nächsten Morgen waren die spurlos verschwunden. Wir haben eine volle Woche gebraucht, bis wir dahinterkamen, dass die, in Acryl gegossen, mit Glasaugen und angeklebten Bärten, als Krippenfiguren im Kölner Dom standen, ein bisschen versteckt. Das war logistisch schon eine Meisterleistung des oder der Täter. Später gab es einen Künstler, Damien Hirst, der das mit Schafen und Haifischen kopiert hat. Schafe, eine Kleinigkeit, unser Täter hat es sich da nicht ganz so einfach gemacht. Den Hirst haben wir übrigens überprüft, der hatte ein Alibi.

Das sind alles Schicksale, keine Frage. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass mir so was nicht nahegeht. Rein menschlich, sag ich mal. Aber als Kriminalist musst du objektiv bleiben, kühl und klar im Kopf. Da darfst du die Schicksale nicht an dich ranlassen. Klar, es kommt auch mal vor, dass man eine gewisse widerwillige Bewunderung empfindet für einen Täter, obwohl die innere Stimme sagt, stopp, halt, das ist doch ein Verbrecher. Wenn man Krimis liest, Henning Mankell oder wie sie alle heißen, vergisst man auch leicht, dass es da um Schicksale geht. Man denkt, es ist Unterhaltung. Aber es sind Schicksale, auch wenn sich das einer bloß ausgedacht hat. Der Mensch als solcher ist ganz schön abgebrüht, sage ich Ihnen.

Nach der Wende haben wir gehofft, dass der Weihnachtsmörder ein Phänomen der alten Bundesländer bleibt. Aber schon am 24. Dezember 1989 hat der Weihnachtsmörder in Schwerin einen ehemaligen Volkskammerabgeordneten und Kreissekretär, der am späten Nachmittag noch schnell einen Baum besorgen wollte, in die Maschine zum Baumzerhäckseln hineingestopft. Wir haben dann am zweiten Feiertag Reste von diesem Kreissekretär, darunter die Brille und mehrere Fußzehen, auf dem Schweriner Weihnachtsmarkt in der Soljanka gefunden – eine furchtbare Sache, wenn man mal drüber nachdenkt.

Jedenfalls hat der Weihnachtsmörder von der neuen Reisefreiheit zügig Gebrauch gemacht. Er war wohl auch in den ersten Jahren richtig neugierig auf die Landschaften in den neuen Ländern. Auf Rügen hat er, ich glaube 1992, ein Touristenpaar aus Kevenich in etwa vierzig Geschenkpakete verpackt, die dann von der ahnungslosen Kreisverwaltung am Heiligen Abend im Obdachlosenheim an Bedürftige verteilt wurden. Im Erzgebirge hat er die Räucherstäbchen der Räuchermännchen mit bewusstseinsverändernden Drogen versetzt, und zwar in einem Skiort. Nirgendwo in Deutschland wird Weihnachten so intensiv begangen wie im Erzgebirge. Am ersten Feiertag war auf den Pisten die Hölle los. Das ist aber das einzige Mal gewesen, wo eine Tat relativ glimpflich ausgegangen ist, ein paar Dutzend Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen, drei Männer, die aus den Gondeln gesprungen sind, eine Massenschlägerei unter Skilehrern, mehr war nicht.

Wir haben, unter Kollegen, in dieser Zeit immer selbstverständlicher vom »Weihnachtsmörder« gesprochen. Buschmann hat, wie gesagt, schon relativ früh, gegen den Widerstand unserer Vorgesetzten, die These vertreten, dass es sich um einen Einzeltäter handeln muss. Wenn es bei einer so umfangreichen und komplexen, lang anhaltenden und aufsehenerregenden Mordserie Mittäter oder Helfer oder Mitwisser gibt, dann wird unweigerlich früher oder später jemand einen Fehler machen, oder jemand wird sich verplaudern.

Inzwischen war die Öffentlichkeit voll im Bilde, dauerhaft vertuschen kannst du so was nicht. Und Sie wissen ja selbst, wie sich die deutsche Weihnacht verändert hat, seitdem. Die Bevölkerung geht davon aus, dass jeder Heilige Abend ein oder mehrere Opfer fordert. Die Wahrscheinlichkeit, dass man selber ein Opfer des Weihnachtsmörders wird, ist, statistisch gesehen, natürlich verschwindend gering. Bitte sehr, dieses Land hat mehr als achtzig Millionen Einwohner. Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit deutlich größer, am Heiligen Abend von seinem Ehepartner ermordet zu werden oder an einer Alkoholvergiftung zu sterben. Aber der Mensch handelt nicht rational, an Weihnachten erst recht nicht. Am Heiligen Abend macht heute fast keiner mehr die Tür auf, wenn es klingelt. Studenten können sich nicht mehr, als Weihnachtsmann verkleidet, ein paar zusätzliche Euro verdienen. Die Besucherzahl der Weihnachtsgottesdienste ist um fünfzig Prozent gesunken. Die Kollegen von der Schutzpolizei schieben am Heiligen Abend Sonderschichten.

Das alles ist sehr traurig. Die deutsche Weihnacht, wie wir sie kennen, war einmal. Und der Druck auf unsere Sonderkommission ist dabei pausenlos gewachsen, das versteht sich von selbst. Buschmann ist von Jahr zu Jahr dünner und grauer geworden.

Was wussten wir über den Täter? Es handelte sich höchstwahrscheinlich um einen Mann, weil für einige der Verbrechen große Körperkraft erforderlich war. Die meisten Taten waren eine gewaltige Herausforderung für eine Einzelperson, gewiss. Aber wir mussten berücksichtigen, dass der Täter pro Jahr immer nur einmal zuschlug und ihm deshalb zwölf Monate Zeit für eine minutiöse Vorbereitung zur Verfügung standen.

Wir Kriminalisten glauben, dass man, um einen Täter zu fassen, zuerst einmal das Motiv finden muss. Einen möglichen islamistischen Hintergrund haben wir, nicht zuletzt auf Wunsch des Innenministeriums, gründlich geprüft und dann ausgeschlossen. Ein politisches Strickmuster war nicht zu erkennen. Der Pfarrer war in der CDU gewesen, der Kreissekretär war ein alter SED-Kader. Politisch war dieser Täter indifferent bis uninteressiert. Sonst hätte es ja auch, aller Erfahrung nach, ein Bekennerschreiben gegeben.

Die Taten fanden nicht nur am 24. Dezember statt, sie hatten auch alle mit weihnachtlichem Brauchtum oder mit der Weihnachtsgeschichte zu tun. Im Wuppertaler Zoo war Mitte der Neunziger eine wirklich schöne Weihnachtskrippe aufgebaut, mit Ochs und Esel und allem. Am ersten Feiertag kamen die Tierpfleger morgens zum Dienst, und sowohl der Ochse als auch der Esel waren über Nacht zu Dosenfleisch verarbeitet worden. Klar, da waren wir irgendwie erleichtert, das war wenigstens mal ein Jahr ohne menschliches Opfer. Für uns war damit auch endgültig klar, dass dieser Typ ein pathologischer Weihnachtshasser sein muss. Dem kam es auf Weihnachten an und auf nichts anderes. Wir haben mit Psychologen geredet, aber was die uns erzählten, konnten wir uns auch selber zusammenreimen: Der Killer hat was Traumatisches oder Frustrierendes in Zusammenhang mit Weihnachten erlebt, das ging bei dem ganz tief rein und hat sämtliche Sicherungen durchschmurgeln lassen. Wahrscheinlich ein Kindheitserlebnis. Oder was Sexuelles.

Na, wunderbar. Jetzt frage ich Sie, wie findet man so einen? Ich weiß es nämlich nicht. Das muss gar keine große Sache sein, die dem widerfahren ist, die Leute drehen manchmal wegen Kleinigkeiten durch. Also, relativen Kleinigkeiten. Hat er seine Freundin am Heiligen Abend in flagranti mit dem Weihnachtsmann vom Studentenwerk erwischt? Unterm Baum? Hat er sich als Kind ganz doll eine Eisenbahn von Märklin gewünscht, aber die Eltern haben ihm immer nur Holzspielzeug geschenkt? Hat er beim ersten Mal ein sexuelles Misserfolgserlebnis gehabt, und im Hintergrund lief zufällig »O Tannenbaum«? Alles möglich, alles schon da gewesen. Das war in unseren Augen ein Charakter wie Jack the Ripper, extrem schlau, extrem krank. Jack the Ripper ist nie erwischt worden. Aber er hat irgendwann aufgehört.

Ich selber habe von Weihnachten gar nichts mehr gehabt. Ich musste immer zu meinen alten Eltern, die hatten Angst vorm Weihnachtsmörder, und dann habe ich halt mit meiner geladenen Dienstwaffe unterm Jackett bei denen gesessen und chinesisches Fondue gegessen. Mein Vater hat vom Krieg erzählt, meine Mutter von ihrem Bibelkreis. Wissen Sie, ich kann mir tausendmal »Ihr Kinderlein kommet« anhören, das macht mir nichts aus, aber diese immer gleichen Storys von meinem Vater und meiner Mutter machen mich fertig. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich habe die gern und alles. Nur ruhiger müssten sie sein.