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Wenn am Donnerstag die »ZEIT« erscheint oder am Sonntag der Berliner »Tagesspiegel«, dann gibt es viele, die diese Blätter nur wegen eines einzigen Textes kaufen: der Kolumne von Harald Martenstein! Martensteins Texte sind witzig, nachdenklich, sarkastisch, skurril, manchmal auch wütend. Sie stellen die Regeln der politischen Korrektheit auf den Kopf, oft balancieren sie auf dem schmalen Grat zwischen Literatur und Nonsens. Ihr Thema ist der deutsche Alltag. Dieses Buch enthält Martensteins beste Glossen aus den vergangenen Jahren.
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Seitenzahl: 142
Harald Martenstein
Ansichten eines Hausschweins
Neue Geschichten über alte Probleme
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1. Auflage
© 2011 by C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlaggestaltung: R·M·E Roland Eschlbeck
und Rosemarie Kreuzer
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
eISBN 978-3-641-06970-4V001
www.cbertelsmann.de
Weil dieses Buch nach den Berlinwahlen und vor den Bundestagswahlen erscheint, gebe ich eine Wahlempfehlung. Damit Sie sehen, woran Sie mit mir sind, politisch. Aber zuerst etwas anderes. Wissen Sie, ich bin, als Kolumnist, das Gleiche wie ein Fernfahrer, der Zitronen von Palermo nach Wolfsburg transportiert.
Ich setze mich in meinen Truck, ich lege Bad Moon Rising von Creedence Clearwater Revival ein. Ich starte den Motor. Dies schreibe ich, weil eine Leserin mich fragte, ob ich noch Spaß an der Kolumne hätte. Darum geht es nicht, meine Dame.
In manchen Wochen macht es Spaß, in anderen keinen. Das war immer so, von Anfang an. It’s a job, ya know.
Manche sind Zirkusdompteure. Andere sind Stripteasetänzerinnen. Ich bin eben der Kolumnenfuzzi, und es kann nicht alle Tage Sonntag sein.
Die Zitronen müssen nach Wolfsburg.
Das Gute ist, dass ich mir die Frage, ob ich Lust dazu habe, überhaupt nicht stellen muss. Denn genau dies, meine Dame, ist die Geißel des modernen Lebens, diese dauernd sich selbst stellende Frage: Was will ich? Wozu habe ich Lust? Das überfordert mich. Etwa zehn Jahre meines Lebens habe ich an der Frage herumgedoktert, was ich beruflich machen möchte. Arzt, Anwalt, Karikaturist, Schauspieler, es gab so viele Möglichkeiten damals, und ich war mir sicher, dass ich mehrere Talente besitze. Zumindest drei oder vier. Zum Glück hat sich das endlich erledigt.
Wie will ich wohnen, auf dem Land, in der Stadt, gegebenenfalls in welcher Stadt, in einer Wohnung, in einem Haus? Mit wem will ich mein Leben verbringen, will ich Familie, will ich Single sein, will ich ein Haustier? Mag ich Gartenarbeit? Gehe ich mit voller Power auf den Karrieretrip, oder entscheide ich mich für weniger Geld und für mehr Freizeit? Es hat alles sein Pro und sein Contra. Wie Sie wissen, hinterlässt jede Entscheidung, vor allem wenn sie schwer widerruflich ist, ein mulmiges Gefühl. Es ist nicht immer schön, die Wahl zu haben, zumindest nicht nur schön. Wenn der Zufall für mich die Entscheidungen trifft, dann umso besser.
Ich weiß, was Sie jetzt sagen, Sie sagen: ein Luxusproblem. Soundso viele arme Menschen haben überhaupt keine Wahl, die Dritte Welt, die Frauen in Iran und so weiter und so fort.
Nun, jeder hat eben die Probleme, die er hat, verstehen Sie? Wenn Sie einen Bandscheibenvorfall haben – nun gut, andere haben Krebs. Ein Bandscheibenvorfall wird dadurch nicht zu einer angenehmen Sache.
Es ist aber in Wirklichkeit noch viel schlimmer. Einerseits ist da das, was man will oder, nach längerem innerem Kampf, glaubt zu wollen. Aber will man es wirklich? Wollte ich wirklich, ich meine: wirklich, also wirklich, wirklich, wirklich Autor werden? Oder war ich nur zu feige oder zu faul für etwas anderes? Rede ich es mir nun ein, dass ich es wollte?
Herr K. glaubt, dass er Teilhaber in der Kanzlei Spitz, Stumpf und Söhne werden will, besser gesagt, er würde es aus Bequemlichkeit gerne wollen, denn das, was er wirklich will, ist, seine Frau zu verlassen, in die Südsee auszuwandern, eine Strandbar zu eröffnen und unter dem tropischen Himmel Hula Hula zu tanzen.
Gleich wird Margit wieder anrufen und fragen, wo die Kolumne bleibt. Die Zitronen müssen nach Wolfsburg.
Nun aber schnell die Wahlempfehlung. Vergessen Sie alles, was Sie in der Vergangenheit gewählt haben, vergessen Sie Ihr Milieu und Ihre Freunde. Machen Sie den Kopf leer. Gehen Sie, alleine, zum Wahllokal. Und dann wählen Sie das, was Sie wirklich wollen. Wirklich, wirklich. Wenn Sie es aber nicht wissen, dann gehen Sie einfach unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Irgendein Ergebnis wird schon zustande kommen.
Diese Kolumne wendet sich speziell an jüngere Leser. Was ist die beste Altersvorsorge? Diese Frage geht jeden jungen Menschen an. Ich bin der Einzige, der euch diese Frage wirklich ehrlich beantwortet.
Als ich selber jung war, schrieben die Zeitungen das Gleiche wie heute, die Politiker sagten auch schon das Gleiche: »Man muss vorsorgen! Die staatliche Rente reicht nicht!« Ich schloss also eine Zusatzversicherung ab. Jeden Monat floss Geld in die Versicherung. Ich habe getan, was die Politiker verlangten. Ich dachte: »Wenn ich gaga werde und nicht mehr schreiben kann – kein Problem.« In jedem Jahr schickte die Versicherung einen Brief, in dem stand, wie viel Geld ich eines Tages bekommen würde. Das war ein total schöner Brief jedes Jahr.
Auf einer Party traf ich unlängst einen Herrn, der gerade in den Ruhestand gegangen war. Er hatte die gleiche Versicherung. Er sagte: »Die Summe, die in dem Brief steht, können Sie vergessen.« Es würde ein Haufen Krankenkassenbeiträge von der Summe abgezogen werden. Ich fragte, wieso, ich zahle doch jeden Monat für die Krankenkasse, von dem Rest, der übrig ist, spare ich was fürs Alter – wo ist da die Logik?
Der Herr sagte, es sei nicht logisch, es hänge damit zusammen, dass der Staat Geld brauche. Bei seiner Suche nach Geld habe der Staat festgestellt, dass einige Menschen, auf Anraten des Staates, für ihr Alter etwas gespart hätten. Davon würde er sich jetzt ein Stück abschneiden. Ich sagte: »Als ich den Vertrag abgeschlossen habe, hat keiner was davon erzählt.« Der Herr sagte: »Klar. Das haben die ja erst kürzlich eingeführt.«
Ich sagte, man kann doch in einem laufenden Vertrag während der Laufzeit nicht die Spielregeln ändern, das ist sittenwidrig. Der Staat aber ist in seiner Geldnot so verzweifelt, dass er auf Sitten keine Rücksicht nehmen kann.
Wenn ich die Summe verjubelt hätte, statt vorzusorgen, wäre nichts abgezogen worden. Versteht ihr? Es ist Betrug. Hinter dem ganzen Vorsorge-Gerede steckt ein gigantischer Betrug. Sie wollen, dass wir unser Geld entweder ausgeben oder es irgendwo hinbringen, wo sie es unter Kontrolle haben. Dort nehmen sie es uns dann ab. Riester, Rürup, Lebensversicherung, daran verdienen die Versicherungen und der Staat. Für dich selbst, mein Freund, bleibt fast nichts übrig.
Hier mein Rat an die Jugend.
Lebt in vollen Zügen. Feiert. Lasst es krachen. Ignoriert – das ist das Wichtigste! – alle Vorsorge- und Anlage-Angebote. Eine überdurchschnittliche Rente wird euch sowieso weggenommen. In dreißig Jahren wird der Staat nämlich noch viel klammer sein als heute. Verlasst euch auf die staatliche Grundsicherung. Wenn ihr im Alter nichts habt, radikal nichts, seid endlich mal ihr auf der Gewinnerseite – der Staat gibt euch was!
Kauft rechtzeitig alle Sachen, die ihr im Alter brauchen könnt und die haltbar sind, Kleidung, Möbel, Weinkeller, Cognac, Bücher, Musikanlage. Das werden sie euch nicht wegnehmen, weil der Verwaltungsaufwand zu groß ist. Besorgt euch zum Obst- und Gemüseanbau einen Garten, und zwar über einen Strohmann, sonst wird das Obst von der Grundsicherung abgezogen.
Spart heimlich Geld, tut es ins Kopfkissen. Dort kriegt ihr zwar keine Zinsen, aber es wird nicht versteuert, keinerlei Abzüge. Glaubt mir, at the end of the day fahrt ihr mit einem Kopfkissen besser als mit Banken und Versicherungen. Ich habe gelesen, dass allein im letzten Jahr zwanzig Prozent der Berufstätigen ihre Vorsorge reduziert oder gekündigt haben. Es werden immer mehr. Es ist eine Massenbewegung.
Liebe Karina, Sie sind eine junge Frau und haben über meine Kolumne einen Leserbrief an die Redaktion geschrieben. Sie sagen, zusammengefasst, ich würde »wöchentlich Altherrenwitze loslassen«. Der einzige Autor der Welt, der auf der Altherrenstrecke noch schlimmer sei als ich, sei Wolfram Siebeck. Er ist ja auch älter. Ich habe Sie natürlich sofort gegoogelt und festgestellt, dass Sie, vor nicht allzu langer Zeit, etwas mit Gender studiert haben.
Seit ich vorgeschlagen habe, die Genderforschung abzuschaffen und das gesparte Geld für die Verschönerung der Grünanlagen in deutschen Mittelstädten zu verwenden, bin ich natürlich für alle Genderforscherinnen das Feindbild Nummer eins. Das ist mir klar, und dafür habe ich auch Verständnis.
Ich bin der Ansicht, dass Sie, meine liebe Karina, durchaus etwas Richtiges erkannt haben. Wenn man sich die Geschichte des Humors anschaut, stößt man tatsächlich auf eine fast unübersehbare Heerschar von Herren, die meist erst im etwas fortgeschrittenen Alter richtig gut wurden. Charlie Chaplin. Walter Matthau. Louis de Funès, Wilhelm Busch, Heinz Erhardt, Loriot, vielleicht kennen Sie einige davon. Ja, ganz recht, Karina: Witz scheint tatsächlich ein Altherrenphänomen zu sein. Witzige Frauen (Anke Engelke, Maren Kroymann) gibt es ebenfalls. Sie kommen etwa so häufig vor wie weibliche Vorsitzende von Angelsportvereinen.
Als Biologist – Sie schreiben, dass ich Sie an Thilo Sarrazin erinnere – tendiere ich zu der These, dass der verfallende männliche Körper bei sinkendem Testosteronspiegel einen humoraffinen Ersatzstoff produziert. Altherrenhumor ähnelt der Angstblüte absterbender Bäume. Flösse nicht so viel Geld in all den GenderHokuspokus, könnte man dies erforschen.
Nach der Gendertheorie müsste natürlich vor allem die Erziehung ursächlich sein für die Dominanz des Altherrenwitzes und den Mangel an Jungdamenwitz in unserer Gesellschaft. Wenn ein kleiner Junge etwas Lustiges sagt, wird er offenbar von den Eltern gelobt. Erlaubt aber ein kleines Mädchen sich nur den geringsten Scherz, dann wenden die Eltern sich missbilligend ab. War das bei Ihnen so, Karina?
Vermutlich sind Sie für staatliche Damenwitzförderungsprogramme, für die Schaffung von Stellen für Frauenhumorbeauftragte und für eine strenge Quotenregelung. So wird es kommen, ich weiß das. Bald wird jede zweite Komödie, jede zweite Kolumne und jeder zweite Witz von einer Frau verfasst werden müssen. Unsere Zeit geht zu Ende. Ich klage nicht, ich hatte es schön.
Was mir lediglich auffällt, ist, dass wir älteren Herren inzwischen die einzige Gruppe sind, auf der jeder herumhacken darf, ohne dass ihm oder ihr Diskriminierung vorgeworfen wird. Altherrenliteratur, Altherrenhumor, Altherrensex, Altherrenmode. Wenn ich ein Buch mit dem Titel »Deutschland schafft sich ab« schriebe, mit der These, dass es zu viele alte Herren gibt, dass ein Altherren-Gen existiert und dass man deswegen den Zuzug von alten Herren nach Deutschland unterbinden muss, dann würde jeder zustimmen, auch Angela Merkel. Gibt es denn wirklich überhaupt nichts Liebenswertes an uns?.
Kommt rein, Kinder. Setzt euch. Hört, was der alte Mann zu erzählen hat. Habt keine Angst.
Na gut, ein bisschen Angst solltet ihr vielleicht doch haben.
Ich wurde noch in einer Welt geboren, in der es fast keine Verkehrsampeln gab. Könnt ihr euch das vorstellen? Man schaute links, man schaute rechts – und dann, hoppeldipoppel, rüber über die Straße. Die erste Ampel wurde zwar schon 1868 in London errichtet, mit Gasbetrieb. Aber sie explodierte recht bald nach der Indienststellung. Piff, paff. Die erste richtige Ampel, elektrisch, drei Lichter, leuchtete in Detroit, 1920. Berlin zog 1924 nach.
Aber die meisten deutschen Städte haben erst nach dem Krieg mit dem Ampelbau begonnen. Krefeld, erste Ampel 1951. Heilbronn, 1954. Bremerhaven 1957. In meiner Kindheit sind, von einem bestimmten Tag an, überall an den Kreuzungen Ampeln gewachsen. Für jeden alten Nazi, der starb, wurde zum Gedenken eine Ampel hingestellt – pardon, ein kleiner Scherz am Rande.
Und es hat nie wieder aufgehört. Ich zähle regelmäßig, wie viele Ampeln zwischen meiner Kreuzberger Wohnung und der neun Kilometer entfernten Stadtautobahn stehen, inzwischen sind es neununddreißig. Das ist doch Wahnsinn. Niemand will das. Helmut Schmidt würde sagen: große Scheiße. Ach, wisst ihr, ich sage heute auch mal: große Scheiße.
Zwei Dinge werden immer mehr, seit ich auf der Welt bin, Jahr für Jahr, obwohl ich dagegen bin, obwohl ich nichts damit zu tun habe, dies sind die Ampeln und die Staatsschulden. Sogar auf Lebensmittelpackungen sollen irgendwann Ampeln gedruckt werden, weil irgendwelche Schwachköpfe glauben, die Leute wüssten nicht von allein, dass Leberwurst mehr Fett enthält als Kopfsalat.
Wisst ihr, was sie in Afghanistan tun sollten? Sie sollten die Taliban einfangen, mit Schlingen, wie in Daktari, und ihnen dann Ampeln auf ihre Turbane malen. Ampeln scheinen ja eine Art Allheilmittel zu sein.
Ja, klar, ich bin sauer. Ich bin sehr böse. Ein Mann sieht rot. In meinem Fall sieht der Mann sogar neununddreißigmal hintereinander rot, auf neun Kilometern. Ihr könnt alle froh sein, wenn ich nicht zur Bazooka greife, so oft, wie ich rot sehe.
Der Respekt der Bevölkerung vor der Ampel ist infolge der Ampelinflation natürlich stark gesunken. Die Leute gehen achtlos über die Straße, wo sie wollen, über eine Ampel lacht man bloß noch. Früher war jede Ampel eine stolze Rose. Sie fiel auf. Heute ist sie ein Löwenzahn. In Orten, in denen man versuchshalber alle Ampeln entfernt hat, ist die Zahl der Verkehrsunfälle gesunken, weil die Leute wieder gelernt haben aufzupassen. Aufpassen, wisst ihr, das geht nämlich auch.
Nun habe ich gelesen, dass eine Art Wende im Gange ist. In Nürnberg (525 Ampeln) hat man aus Kostengründen, zum ersten Mal, seit es in diesem Nürnberg überhaupt Menschen gibt, sechs Ampeln wieder abgeschaltet, und man baut keine weiteren. Der städtische Etatposten »Pflege und Unterhalt von Ampeln« wurde von 1,4 auf 1,1 Millionen gesenkt. Ich habe begriffen, welch ungeheure Chance in der Staatsverschuldung liegt, und in der Finanzkrise der Kommunen.
Und wenn ich sterbe, wenn der Kreis des Lebens sich schließt, wenn Deutschland unter den verdammten Schulden endlich zusammengebrochen ist und nur noch drei traurige Bankiers und fünf mit Kölnisch Wasser parfümierte Hoteliers überlebt haben, wegen der FDP, dann wird es vielleicht wenigstens keine Ampeln mehr geben, weil sie keiner mehr bezahlen kann, dann haben die Schulden doch immerhin einen Sinn gehabt.
Ich war in Südafrika und kaufte ein Einwegfeuerzeug. Die Einwegfeuerzeuge haben dort Warnaufdrucke. Ich vermute, das kommt bei uns demnächst auch. Auf dem Feuerzeug steht, in englischer Sprache: »Achtung! Enthält eine entflammbare Flüssigkeit! Flamme nicht ans Gesicht oder an die Kleidung halten!«
Ich stelle mir einen Menschen vor, der ein Feuerzeug kauft, und zwar ausdrücklich mit den Worten »ein Feuerzeug, bitte«, denn darum kommt er nicht herum. Es gibt die Feuerzeuge in Südafrika nur hinter der Theke, man kann sie nicht einfach in den Einkaufskorb legen. Dieser Mensch verlangt also ein Feuerzeug, und danach wundert er sich, dass es eine entflammbare Flüssigkeit enthält und Feuer erzeugt.
Ist solch ein Mensch vorstellbar? Kann ein Mensch, der nicht weiß, dass Feuerzeuge zum Feuermachen da sind, überhaupt lesen? Vielleicht. Ich will es nicht ausschließen. Was mir zu glauben schwerer fällt, ist, dass jemand ein brennendes Feuerzeug ans Gesicht hält, und zwar nicht etwa aus Masochismus, sondern deshalb, weil dieser Mensch denkt, genau dies sei der Zweck eines Feuerzeugs. Er denkt: Feuerzeuge sind dazu da, sich die Nase wegzukokeln, deswegen sind sie im Handel.
Ich stelle mir vor, wie die Nase dieses Menschen eine schwarze Farbe annimmt, wie der Geruch nach verbranntem Fleisch sich verbreitet, bis der Feuerzeugkäufer, vor Schmerz schon beinahe bewusstlos, endlich den kleinen Aufdruck liest. Nun wird ihm, dank seiner fürsorglichen Regierung, bewusst, dass er einen Fehler gemacht hat.
Was mich wundert, ist die Tatsache, dass man nicht davor gewarnt wird, das Feuerzeug anderen Leuten ins Auge zu werfen. Davon kann man, im ungünstigsten Fall, blind werden. Ich stelle mir einen Menschen vor, der jemandem sein Feuerzeug ins Auge wirft und der, wenn man ihn zur Rede stellt, sagt: »Auf dem Feuerzeug steht nicht drauf, dass man es nicht werfen soll.«
Der Sicherheitsaufdruck auf Feuerzeugen ist ein schönes Sinnbild für unsere Zivilisation – für unsere Illusion, dass man alle Lebensrisiken ausschließen und alles im Griff haben könnte, für unseren Glauben an den großen Beschützer Staat, für unsere Lust an der Unmündigkeit, für unsere Angstbereitschaft, die ein evolutionäres Erbe darstellt und uns vergessen lässt, dass niemals in der Geschichte Menschen so sicher lebten, so alt wurden, so gesund und beschützt waren wie wir heutigen Mitteleuropäer.
Neulich hielt ich mich in der lebensfrohen Stadt Köln auf. Die Zeit war knapp, aber sie reichte aus, um in einer Kölner Kneipe ein Glas Kölsch zu trinken. Als ich auf den Bierdeckel schaute, las ich dort die Parole »Kein Kölsch für Nazis!«. Der Wirt erklärte mir, dass sich mehr als hundert Kölner Ausschankstätten und etliche Kulturschaffende der Aktion angeschlossen hätten. Sie würden alle, auch die Kulturschaffenden, die das ja höchstens im Nebenberuf tun, kein Kölsch mehr an Nationalsozialisten verkaufen. Auf diese Weise bekämpfe man in Köln die Wiederkehr des braunen Ungeistes und setze ein Zeichen.