Von der Erde zum Mond - Jules Verne - E-Book + Hörbuch

Von der Erde zum Mond E-Book

Jules Verne.

4,4

Beschreibung

Von der Erde zum Mond ist ein Klassiker der Science Fiction. Jules Verne phantasiert eine Mondfahrt mit den Mitteln des 19. Jh., technisch ist die Geschichte selbstverständlich überholt, doch gerade dieser Gegensatz von Zukunft und Vergangenem macht die Geschichte noch spannender.

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Impressum

Jules Verne

Von der Erde zum Mond   

idb, 2016

Deutsch von N.N. und Jens Jander                 

Inhaltsverzeichnis

Der Gun-Club

Mitteilung des Präsidenten Barbicane

Welchen Eindruck Barbicanes Mitteilung machte

Gutachten des Observatoriums in Cambridge

Roman des Mondes

Was in den Vereinigten Staaten nun nicht mehr unbekannt sein kann, und was man nicht mehr glauben darf

Loblied der Kugel

Geschichte der Kanone

Die Pulverfrage

Ein Feind gegen 25 Millionen Freunde

Florida und Texas

Dem ganzen Erdkreis

Stones-Hill

Hacke und Kelle

Das Gussfest

Die Columbiade

Eine telegraphische Depesche

Der Gun-Club

            Während des Sezessionskriegs der Vereinigten Staaten bildete sich in Baltimore (Maryland) ein neuer Club von großer Bedeutung. Es ist bekannt, wie energisch sich bei diesem Volk von Reedern, Kaufleuten und Mechanikern der militärische Instinkt entwickelte. Einfache Kaufleute brauchten nur in ihrem Kontor auf- und abzuschreiten, um unversehens Hauptleute, Obristen und Generäle zu werden, ohne die Militärschule in Westpoint durchzumachen; bald standen sie in der »Kriegskunst« ihren Kollegen der Alten Welt nicht nach und verstanden gleich diesen, durch Vergeuden von Kugeln Millionen und Menschen zu gewinnen.

           Aber in der Ballistik übertrafen sie die Europäer ganz außerordentlich. Sie fertigten Geschütze nicht allein von höchster Vollkommenheit, sondern auch von ungewöhnlicher Größe, die folglich eine noch unerhörte Tragweite haben mussten. In Beziehung auf rasante und übers Knie gebrochene Schüsse, Schüsse in schiefer, in gerader Richtung oder vom Rücken her – kann man die Engländer, Franzosen, Preußen nichts mehr lehren; aber ihre Kanonen, Haubitzen und Mörser sind nur Sackpistolen gegen die fürchterlichen Maschinen der amerikanischen Artillerie.

           Das ist aber nicht zum Verwundern. Die Yankees, die ersten Mechaniker auf der Welt, sind geborene Ingenieure, wie die Italiener Musiker, die Deutschen Metaphysiker. Ganz natürlich, dass sich ihre kühne Genialität in ihrer Geschützkunde zu erkennen gab. Daher jene Riesenkanonen, die zwar weit weniger nützen als die Nähmaschinen, doch ebenso viel Staunen und noch mehr Bewunderung erregen. Bekannt sind von solchen Wunderwerken die Parott, Dahlgreen, Rodman. Die Armstrong, Palliser, Treuille de Beaulieu mussten vor ihren überseeischen Rivalen die Segel streichen.

           Daher standen denn auch während des fürchterlichen Kampfes der Nord- und Südstaaten die Artilleristen im allerhöchsten Ansehen; die Journale der Union priesen ihre Erfindungen mit Enthusiasmus, und es gab keinen armseligen Krämer, keinen einfältigen Buben, der sich nicht den Kopf zerbrach mit unsinnigen Schussberechnungen.

           Wenn aber einem Amerikaner eine Idee im Kopfe steckt, so sucht er sich einen zweiten Amerikaner, um sie zu teilen. Sind ihrer drei, so wählen sie einen Präsidenten und zwei Sekretäre; vier, so ernennen sie einen Archivisten, und das Büro tritt in Wirksamkeit. Bei fünfen berufen sie eine Generalversammlung, und der Club ist fertig. So ging es auch zu in Baltimore. Einer erfand eine Kanone, assoziierte sich mit Einem, der sie goss, und einem Anderen, der sie bohrte. Aus einem solchen Kern erwuchs auch der Gun-Club. Einen Monat nach seiner Bildung zählte er 1833 wirkliche Mitglieder und 30.575 korrespondierende.

           Unerlässliche Bedingung für jedes Mitglied des Clubs war, dass man eine Kanone, oder mindestens irgendeine Feuerwaffe, erfunden, oder doch verbessert hatte. Aber, offen gesagt, die Erfinder von Revolvern zu fünfzehn Schuss, von Pivot-Karabinern oder Säbelpistolen genossen kein großes Ansehen. Die Artilleristen behaupteten in jeder Hinsicht den ersten Rang.

           »Die Achtung, welche sie genießen«, sagte einmal einer der gescheitesten Redner des Gun-Clubs, »steht im Verhältnis zur Masse ihrer Kanonen, und zwar nach direktem Maßstab des Quadrats der Distanzen, welche ihre Geschosse erreichen!«

           Noch etwas mehr, das Newtonsche Gravitationsgesetz verpflanzte sich in die moralische Welt.

           Man kann sich leicht vorstellen, was, nachdem der Gun-Club einmal gegründet war, das erfinderische Genie der Amerikaner in dieser Gattung zu Tage förderte. Die Kriegsmaschinen nahmen einen kolossalen Maßstab an, und die Geschosse flogen weit über die ihnen gesteckten Schranken hinaus, um harmlose Spaziergänger zu zerreißen. Alle diese Erfindungen ließen die schüchternen Werkzeuge der europäischen Artillerie weit hinter sich. Man urteile aus folgenden Zahlen:                                                                       

           Wenn es gut ging, vermochte ein 36-Pfünder in einer Entfernung von 300 Fuß 36 Pferde von der Seite her zu durchbohren, und dazu 68 Mann. Die Kunst lag damals noch in der Wiege. Seitdem hat sie Fortschritte gemacht. Die Rodmankanone, die eine Kugel von einer halben Tonne sieben englische Meilen weit schleuderte, hätte leicht 150 Pferde und 300 Mann niedergeworfen. Es war im Gun-Club gar die Rede davon, eine förmliche Probe damit anzustellen. Aber ließen es sich auch die Pferde gefallen, das Experiment zu machen, an Menschen fehlte es leider.

           Wie dem auch sei, diese Kanonen leisteten Mörderisches, und bei jedem Schuss fielen die Menschen, wie die Ähren unter der Sense. Was wollte neben solchen Geschossen die berühmte Kugel zu Coutras bedeuten, welche im Jahre 1587 25 Mann kampfunfähig machte, und die andere, welche bei Zorndorf 1758 40 Mann tötete, und 1742 bei Kesselsdorf die österreichische, die bei jedem Schuss 70 Feinde niederwarf? Was war dagegen das erstaunliche Geschützfeuer bei Jena und Austerlitz, das die Schlachten entschied? Da gab es während des Bundeskriegs ganz andere Dinge zu schauen!

           Bei Gettysburg traf ein kegelförmiges Geschoß aus einer gezogenen Kanone 73 Feinde, und beim Übergang über den Potomak beförderte eine Rodmankugel 215 Südstaatler in eine ohne Zweifel bessere Welt. So verdient auch ein fürchterlicher Mörser, den I. T. Maston, ein hervorragendes Mitglied und beständiger Sekretär des Gun-Clubs, erfand, erwähnt zu werden; seine Wirkung war noch mörderischer, denn beim Probieren tötete er 337 Personen – freilich, beim Zerspringen!

           Diese Zahlen sprechen für sich ohne Kommentar. Auch wird man ohne Widerrede die folgende, vom Statistiker Pitkairn aufgestellte Berechnung gelten lassen: dividiert man die Anzahl der durch die Kugeln gefallenen Opfer mit der Zahl der Mitglieder des Gun-Clubs, so ergibt sich, dass auf Rechnung jedes Einzelnen des letzteren durchschnittlich 2.375 Mann kommen, nebst einem Bruchteil.

           Nimmt man diese Ziffern in Erwägung, so ist es augenscheinlich, dass das Trachten dieser gelehrten Gesellschaft einzig auf Menschenvertilgung zu philanthropischem Zweck, und auf Vervollkommnung der Kriegswaffen als Zivilisationsmittel gerichtet war. Es war ein Verein von Würgengeln, sonst die besten Menschenkinder auf der Welt.

           Diese Yankees, muss man weiter anführen, von erprobter Tapferkeit, ließen es nicht beim Reden bewenden, und traten persönlich ein. Man zählte unter ihnen Offiziere jedes Grades vom Leutnant bis zum General, Militärpersonen jedes Alters, Anfänger im Kriegsdienst und bei der Lafette ergraute Männer. Manche fielen auf der Wahlstatt und ihre Namen wurden ins Ehrenbuch des Gun-Clubs eingetragen, und von denen, welche davonkamen, trugen die meisten Beweise ihrer unzweifelhaften Unerschrockenheit an sich. Krücken, hölzerne Beine, gegliederte Arme, Haken statt der Hände, Kinnbacken von Kautschuk, Schädel von Silber, Nasen von Platin, nichts mangelte in der Sammlung, und der erwähnte Pitkairn berechnete ebenfalls, dass im Gun-Club nicht ganz ein Arm auf vier Personen kam, und nur zwei Beine auf sechs.

           Aber diese wackeren Artilleristen machten sich nicht so viel daraus, und sie waren mit Recht stolz darauf, wenn das Bulletin einer Schlacht zehnmal mehr Opfer anführte, als Geschosse waren abgefeuert worden.

           Eines Tags jedoch – ein trauriger, bedauerlicher Tag – unterzeichneten die Überlebenden den Frieden, der Geschützdonner hörte allmählich auf, die Mörser verstummten, die Haubitzen wurden für lange Zeit unschädlich gemacht, und die Kanonen kehrten gesenkten Hauptes in die Arsenale zurück, die Kugeln wurden in den Zeughäusern aufgeschichtet, die blutigen Erinnerungen erblichen, die Baumwollstauden sprossen üppig auf den reich gedüngten Feldern, mit den Trauerkleidern wurde auch der Schmerz abgelegt, und der Gun-Club versank in vollständige Untätigkeit.

»Trostlos!« sagte eines Abends der tapfere Tom Hunter, während seine hölzernen Beine am Kamin verkohlten: »Nichts mehr zu tun! nichts mehr zu hoffen! Welch langweiliges Leben! Oh goldene Zeit, da einst jeden Morgen lustiger Kanonendonner uns weckte!«

           »Die Zeit ist dahin!« erwiderte der muntere Bilsby. Das war eine Luft! Man erfand seinen Mörser, und war er gegossen, so probierte man ihn vor dem Feind; dann begab man sich wieder ins Lager mit einer Belobung Shermans oder einem Handschlag Mac-Clellans! Aber nun sind die Generäle wieder auf ihren Kontoren und versenden harmlose Baumwollballen! Ja, wahrhaftig, die Artillerie hat in Amerika keine Zukunft mehr!«

           »Ja, Bilsby, rief der Obrist Blomsberry aus, das sind grausame Täuschungen! Eines Tags verlässt man seine friedlichen Gewohnheiten, übt sich in den Waffen, zieht aus Baltimore ins Feld, tritt da als Held auf, und zwei, drei Jahre später muss man die Frucht seiner Strapazen wieder verlieren, in leidiger Untätigkeit einschlafen.«

           »Und kein Krieg in Aussicht! sagte darauf der berühmte J. T. Maston, und kratzte dabei mit seinem eisernen Haken seinen Guttapercha-Schädel. »Kein Wölkchen am Himmel, und zu einer Zeit, da noch so viel in der Artilleriewissenschaft zu tun ist! Da habe ich diesen Morgen einen Musterriss fertig gebracht, samt Plan, Durchschnitt und Aufriss, für einen Mörser, der die Kriegsgesetze umzuändern bestimmt ist!«

           Wirklich? erwiderte Tom Hunter, und dabei fiel ihm unwillkürlich der letzte Versuch des ehrenwerten J. T. Maston ein.                         

           »Ja, wirklich«, entgegnete dieser. »Aber wozu nun so viele Studien, das Überwinden so vieler Schwierigkeiten? Ist das nicht verlorene Mühe? Die Bevölkerung der Neuen Welt scheint entschlossen zu sein, nun in Frieden zu leben, und unsere kriegerische Tribune hat bereits Katastrophen in Folge des Anwachsens der Bevölkerung geweissagt!«

           »Indessen, Maston, fuhr Obrist Blomsberry fort, in Europa gibt es immer noch Kriege fürs Prinzip der Nationalitäten!«

           »Nun denn?«

           »Nun denn! Da könnte man vielleicht einen Versuch machen, und wenn man unsere Dienste annähme?«

           »Was meinen Sie? Ballistik zu Gunsten von Ausländern.«

           »Besser als gar nichts damit treiben«, entgegnete der Obrist.

           »Allerdings«, sagte J. T. Maston, »es wäre wohl besser, aber an so einen Ausweg darf man nicht einmal denken.«

           »Und weshalb?« fragte der Obrist.

           »Weil man in der Alten Welt über den Fortschritt Ideen hat, die unseren amerikanischen Gewohnheiten schnurstracks zuwider laufen. Die Leute dort meinen, man könne nicht kommandierender General werden, wenn man nicht zuvor Unterleutnant gewesen, was auf dasselbe hinausläuft, als man verstehe nicht eine Kanone zu richten, wenn man sie nicht selbst gegossen hat! Nun ist aber selbstverständlich...«

           »Lächerlich!« erwiderte Tom Hunter, indem er mit einem Bowie-Messer Schnitte in die Arme seines Lehnsessels machte; »und weil dem so ist, so bleibt uns nichts übrig, als Tabak zu pflanzen oder Tran zu sieden! «         

           »Wie?« rief J. T. Maston mit laut hallender Stimme, »wir sollen unsere letzten Lebensjahre nicht auf die Vervollkommnung der Feuerwaffen verwenden! Es sollte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, unsere Geschosse zu probieren! Der Blitz von unseren Kanonen soll nicht mehr die Luft erhellen! Es sollte sich keine internationale Streitfrage ergeben, die Anlass gäbe, einer überseeischen Macht den Krieg zu erklären! Sollten nicht die Franzosen eins unserer Dampfboote in Grund bohren, und die Engländer sollten nicht mit Verachtung des Völkerrechts etliche unserer Landsleute hängen!«

           »Nein, Maston«, entgegnete der Obrist Blomsberry, »dies Glück wird uns nicht werden! Nein! Kein einziger dieser Fälle wird eintreten, und geschähe es, so würden wir ihn nicht benützen! Das amerikanische Selbstgefühl schwindet von Tag zu Tag, und wir werden zu Weibern!«

           »Ja, wir sinken herab!« erwiderte Bilsby.

           »Und man drückt uns herab!« entgegnete Tom Hunter. »Dies alles ist nur allzu wahr«, erwiderte J. T. Maston mit erneuter Heftigkeit. Tausend Gründe sich zu schlagen lassen sich aus der Luft greifen, und man schlägt sich nicht! Man will Arme und Beine schonen, und das zu Gunsten von Leuten, die nichts damit anzufangen wissen! Und, denken Sie, man braucht einen Grund zum Krieg nicht so weit herzuholen: hat nicht Nordamerika einst den Engländern gehört?«

           Allerdings, erwiderte Tom Hunter, indem er mit seiner Krücke das Feuer schürte.

           Nun denn! fuhr J. T. Maston fort, warum sollte nicht England einmal an die Reihe kommen, den Amerikanern zu gehören?

           Das wäre nur recht und billig, erwiderte lebhaft der Obrist Blomsberry.

           Machen Sie einmal dem Präsidenten der Vereinigten Staaten den Vorschlag, rief J. T. Maston, und Sie werden sehen, wie er Sie empfangen wird!

           Gewiss wohl schlecht, brummte Bilsby zwischen den Zähnen, die er noch hatte.

           Meiner Treu! rief J. T. Maston, auf meine Stimme hat er nicht mehr zu rechnen!

           Auch auf die unsrigen nicht, erwiderten einstimmig die kriegerischen Invaliden.

           Unterdessen, erwiderte J. T. Maston zum Schluss, gibt man mir nicht Gelegenheit, meinen neuen Mörser auf einem wirklichen Schlachtfeld zu probieren, so trete ich aus dem Gun-Club und vergrabe mich in den Savannen von Arkansas!

           Da gehen wir mit, erwiderten die Genossen des kühnen J. T. Maston.«

Mitteilung des Präsidenten Barbicane

Am 5. Oktober um acht Uhr abends drängte sich eine dichte Menge in den Sälen des Gun-Clubs, 21. Union-Square. Alle in Baltimore einheimischen Mitglieder der Gesellschaft hatten sich auf die Einladung ihres Präsidenten dahin begeben. Die Korrespondierenden langten mit Express zu Hunderten in der Stadt an, und so groß auch die Sitzungshalle war, so konnte die Menge der Gelehrten darin nicht mehr Platz finden; sie strömte über in die anstoßenden Säle, die Gänge bis mitten in die äußeren Höfe, wo sie mit dem gewöhnlichen Volk zusammentraf, das sich an den Eingängen drängte: indem jeder in die vordersten Reihen zu gelangen trachtete, alle voll Begierde, die wichtige Mitteilung des Präsidenten Barbicane zu vernehmen, stieß und schob man sich herum, zerdrückte sich mit jener Freiheit des Handelns, welche den in den Ideen des self-government erzogenen Massen eigentümlich ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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