Von heut und ehedem - Theodor Storm - E-Book

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Theodor Storm

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Beschreibung

Von heut und ehedem ist eine Erzählung von Theodor Storm. Auszug: Unser Freund, der kleine muntere Bahnhofsinspektor, ging neben mir auf dem Perron. »Besorgen Sie den Herrschaften einen guten Platz!« rief er mit einer seiner resoluten Handbewegungen; und der Schaffner, an den diese Worte gerichtet waren, schlug eine Tür des hintersten Wagens auf. »Hier,« sagte er; »es schaukelt nur ein wenig.«

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Von heut und ehedem

Auf der ReiseIn Urgroßvaters HauseIn Großvaters HauseStaub und PlunderAnmerkungenImpressum

Auf der Reise

Unser Freund, der kleine muntere Bahnhofsinspektor, ging neben mir auf dem Perron. »Besorgen Sie den Herrschaften einen guten Platz!« rief er mit einer seiner resoluten Handbewegungen; und der Schaffner, an den diese Worte gerichtet waren, schlug eine Tür des hintersten Wagens auf. »Hier,« sagte er; »es schaukelt nur ein wenig.«

»Dafür«, erwiderte der Inspektor nicht ohne einen gewissen Nachdruck, »ist der Wagen hier aber auch der sicherste.«

»Der sicherste?« – Wer hatte an eine Unsicherheit gedacht! – Auch bei einer Eisenbahnfahrt gilt also die alte Geschichte: »Es ging ein Mann im Syrerland.« – Ich äußerte indessen nichts dergleichen; wir stiegen ein und saßen bald bequem genug. Wir, sage ich; denn auch unsere beiden Freundinnen ließen es darauf ankommen, in meiner Gesellschaft dritter Klasse zu fahren. Freilich, vor einer etwas vertraulichen Höflichkeit des Schaffners vermochte ich sie nicht ganz zu schützen, und ebenso wenig vor einem kleinen impertinenten Blick, mit welchem sie von einem elegant gekleideten Backfisch bestrichen wurden, der an einer der nächsten Stationen mit einer laut redenden Badegesellschaft ein Coupé erster Klasse in Besitz nahm.

Ich mußte dabei eines Vorfalls gedenken, den mir vor Jahren eine dir sehr bekannte edle Frau erzählte. – Die Familie, deren Glück und Stolz sie war, hatte, während die Dänen in unserer Heimat wirtschafteten, im mittleren Deutschland einen Unterschlupf gefunden. Die Einkünfte waren klein, die Kopfzahl groß; des ungeachtet wurde Jahr um Jahr ein Besuch bei den zurückgebliebenen Eltern ermöglicht; nur freilich, bescheiden mußte gereist werden; aber sie entbehrte nichts dabei; denn, wie du weißt, ihr schönes sicheres Wesen bedurfte äußerer Stützen nicht. – Bei einer solchen Heimatsreise vermochte sie einst auf einem größeren Bahnhofe das verlassene Coupé nicht wiederzufinden und irrte, nur von einer Magd begleitet, mit ihrer Kinderschar auf dem weiten Perron umher, als ein junger Offizier sich zu ihnen fand und mit gutmütiger Höflichkeit ihr seine Hülfe anbot. Sie nahm das dankend an; als sie jedoch bemerkte, daß er sein Augenmerk nur auf die zweite Wagenklasse richtete, wandte sie sich gegen ihren höflichen Begleiter und sagte: »Wir fahren dritter Klasse!«

Auf dieses Wort hin sah sie zu ihrem Erstaunen den jungen Mann spurlos und auf Nimmerwiederkehr im Gewühl verschwinden; und erst später kam es ihr zum Bewußtsein, daß es denn doch wohl gegen die Standesehre sein müsse, im Dienste einer Frau gesehen zu werden, welche dritter Klasse fuhr.

Sie hat mir lächelnd dies kleine Abenteuer erzählt; und du weißt es, wie schön und mild einst dieser Mund gelächelt hat.

Doch das sind nur Gefahren, die aus der ersten Wagenklasse kommen; und – halsgefährlich sind sie eben nicht. Der arme junge Offizier; was soll denn einer machen, der zufällig seine Persönlichkeit nicht in sich selber, sondern in der Regimentsrangliste stecken hat! – –

Am Nachmittage verließen mich meine beiden Damen, die ein anderes Reiseziel hatten; unverkennbar übrigens mit einer kindlichen Genugtuung über den gesparten blanken Taler, den sie durch den Sieg ihrer Demut im Knipptäschchen behalten hatten.

Es war kühl geworden; als der Zug weiter klapperte, vermummte ich mich in meinen Plaid und gab meinen Gedanken Audienz. Die Reisestimmung wollte noch nicht kommen. Weshalb hastet denn im Mittsommer alles von Hause fort? – Um Genesung für irgend ein Übel zu finden, das vielleicht eben dort sitzt, wo es am leichtesten zu tragen ist? – Ich fürchte, der arme Solitaire hat nicht unrecht mit seiner Warnung:

Drum sei nur still, trag jeden Kummer gerne; Das Leiden, das dich quält, hält andre Leiden ferne!

Die schlimmsten aus dieser dunkeln Genossenschaft, die kleinen schwarzen Dinger mit den Fledermausflügeln, die Sorgen, machen es doch wie unser heimischer Hausgeist, der treffliche Niß Puk; sie setzen sich hinter uns auf den Karren und rufen ganz vergnügt mit ihren schrillen Stimmchen: »Wir ziehen um!«

Es war heute gerad ein Wetter, in dem sie sich besonders lustig fühlen; denn es regnete; es klatschte oben auf die Wagendecke; wie zornig schlug es mitunter gegen die aufgezogenen Fenster; an den Scheiben rieselten einförmig die Tropfen und zeichneten kleine Ströme auf dem beschlagenen Glase.

Ja, das war das rechte Wetter; und schon hörte ich ihr emsiges Gesumme. Die von heute mochte ich selber unversehens mitgenommen haben; wie die andern, die ich doch zu Hause lassen wollte, in den fest verschlossenen Wagen kamen, weiß ich nicht. Aber sie kamen, eine nach der andern; und nicht bloß die von morgen und übermorgen und vom nächsten Jahr; in ganzer Kette schwärmten sie aus; es war, als hätte die eine immer die andere herbeigerufen; ganz aus dem Nebel der Zukunft, vom Ende des Lebens kamen sie herangeflogen, und ich fühlte es jedesmal an einem Ruck an meinem Herzen, sowie eine neue zu mir heranflog und sich mit ihren Klammerzehen an mich anhing; zuletzt kamen sogar die von jenseit des Grabes. Auch die kamen; und es war etwas Fürchterliches dabei. Kleine süße Kindergesichter, mir die trautesten auf der Welt, drangen lächelnd auf mich ein, und auch der Sonnenschein war da, den ich immer um ihre Häupter sehe; aber unmerklich verwandelten sie sich; bleich, mit kranken Augen, wie um Hülfe flehend und ohne Sonnenschein sahen sie mich an; dann verschwand alles, und ich sah nur eine Menge blutdürstiger Augen, die aus der Finsternis auf mich zublitzten. Nun wußte ich es, das waren die von jenseit des Grabes, die furchtbaren, vor denen kein Entrinnen ist; und ich würde vielleicht zum Erstaunen meiner Reisegenossen einen lauten Schrei ausgestoßen haben, wenn von dem Verwesungsdunste, den sie mit .sich führten, mir nicht die Kehle wie zugeschnürt gewesen wäre.