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Chronische Schmerzen, niederschmetternde Diagnosen, unzählige Arztbesuche und wieder keine Besserung. So sah Susannes Leben über Jahrzehnte aus. Die Aussichten sind schlecht, doch sie kann sich nicht damit abfinden: "Wie nur komm ich da raus? Warum erhalte ich keine wirkliche Hilfe? Wie groß ist der Anteil, den Kopf und Seele an meinen Schmerzen haben? Kann ich den für mich nutzen?" Diese und viele weitere Fragen stellt sie sich im Laufe der Jahre. Und Susanne weiß eines sicher: "Aufgeben ist keine Option. Ich will Antworten auf meine Fragen." Wie sie ihren Weg hinaus aus chronischen Schmerzen fand, erzählt sie in diesem Buch. Darüber hinaus kommen Experten aus Medizin, Forschung und Patientenversorgung zu Wort: Prof. Dr. Isabelle M. Mansuy - Neuroepigenetik, Univ.-Prof. Dr. Barbara Sperner-Unterweger - Stress und Psychoneuroimmunologie, Dr. med. Axel Menzebach - Schmerzmedizin, Katja Sundermeier - Psychologie, Dr. med. Heinrich Binsfeld, Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. - Versorgungslage. Noch ein Ratgeber? Nein. Ich habe ein Buch geschrieben, wie ich es selbst mittendrin in meiner "Schmerzgeschichte" gebraucht hätte. Eines, das anhand eines echten Menschen - mit seinen Höhen und Tiefen - Mut macht. Und das mir geholfen hätte, chronische Schmerzen und die Zusammenhänge früher zu verstehen, um Abkürzungen zu nehmen. In dieses Buch hab ich all mein Herz und meinen Mut gepackt. Ich hab es FÜR DICH geschrieben. Lass dich mitnehmen auf eine ganz besondere Reise – von Schmerz zu FREI.
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Seitenzahl: 356
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von SCHMERZ zu FREI
Ein echter Mutmacher!
Schmerzen verstehen helfen
Schmerztherapie – Psychologie – Forschung
Susanne Schmid
Widmung:
Dieses Buch widme ich Dir.
Es ist im Self-Publishing erschienen,
mit begrenzten Mitteln – nicht perfekt,
jedoch mit viel Liebe für Dich geschrieben.
In ihm wollte ich mich so zeigen,
wie ich war/bin und mich dir,meiner
lieben Leserin/meinem lieben Leser
gegenüber vollkommen öffnen.
Das „Du“ schien mir einfach natürlich,
normal, unumgänglich. Ich hoffe
du kannst es annehmenund
dich wohl damit fühlen.
Der leichteren Lesbarkeit zuliebe, habe ich darauf verzichtet zu gendern. Dieses Buch soll Menschen ansprechen, unabhängig einer Nennung von Geschlechterformen.
Copyright © 2024 Susanne Schmid
Alle Rechte vorbehalten
Impressum:
Susanne Schmid,
Schönerting 43,
94474 Vilshofen a. d. Donau
www.hashtag-schmerzfrei.de
Umschlaggestaltung: Bibo Nikol Konzeption & Design, München
Lektorat/Korrektorat: Judith Powik, Texte & Visionen, München
Umschlagmotiv/Bilder: Susanne Schmid
Independently published, August 2024
Ein wichtiger Hinweis:
Die Übungen zu diesem Buch sowie die im Buch enthaltenen Empfehlungen und Inhalte dienen ausschließlich der Selbsterkenntnis. Sie ersetzen keine medizinische Diagnose, Therapie oder Behandlung. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen ohne jegliche Gewährleistung oder Erfolgsgarantie seitens der Autorin, der Mitwirkenden dieses Buches oder des Verlages. Bei gesundheitlichen Störungen, Erkrankungen oder Schmerzen ist stets ein Mitglied der Heilberufe aufzusuchen. Du wirst meine Sicht kennenlernen, dass jeder Mensch in der Verantwortung für sich ist. So liegt jede deiner Handlungen in deinem Verantwortungsbereich. Als Autorin weise ich dich darauf hin, dass allein du entscheidest, inwieweit du Anregungen aus diesem Buch umsetzen möchtest. Eine Haftung der Autorin für Schäden jeglicher Art – insbesondere Personen-, Sach- und Vermögensschäden –, die aufgrund Missachtung dieses Hinweises entstehen, ist hiermit ausgeschlossen. Gleiches gilt für alle Interviewpartner, den Verlag und seine Beauftragten. In diesem Buch kommen verschiedene Menschen zu Wort. Mir ist es wichtig, die Meinungen und Erfahrungen anderer zu respektieren und diese unverändert wiederzugeben. Diese müssen daher nicht zwingend die Meinung der Autorin widerspiegeln. Soweit die Interviewpartner Hinweise oder Empfehlungen für bestimmte Produkte, Personen oder Einrichtungen geben, handelt es sich hierbei um beispielhafte Angaben bzw. Aufzählungen, die auf deren Erfahrungen gründen und selbstverständlich nicht abschließend oder werbend zu sehen sind.
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EINLEITUNG
Warum dieses Buch?
Was mein Denken auf den Kopf stellte
MEIN IRRWEG
Nur der Bruchteil einer Sekunde
Was ich als Kind im Zusammenhang mit Schmerz lernte wirkte nach
Meine Fahrt im Hoffnungs-Karussell von einem Arzt zum anderen
Diagnosen – nichts als die Wahrheit?
Mein ewiger Kampf – und ein erster Lichtblick
Schmerz und den Schmerzmediziner verstehen
AUFBRUCH
Neue Perspektiven, um besser mit Schmerzen umzugehen
Was ein Funke Mut verändern kann
Kein Geld und trotzdem um die Welt?
MEINE REISE ZU MIR SELBST
Wo ich mein Strahlen wiederfand
Großstadtlichter
Warum schmerzen meine Füße im weißen Sand nicht?
Wie Kopf & Seele den Körper beeinflussen – Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie
RÜCKKEHR IN MEINE ALTE WELT
(M)ein Denkfehler mit schmerzhaften Folgen
Die Suche nach dem Glück
Hab’ ich es einfach nicht verdient?
Meine Schmerzhölle
Wo Schmerzpatienten in unserem Gesundheitssystem aktuell im Stich gelassen sind
MEIN WEG IN DIE FREIHEIT
Der graue alte Mann und das Kind in mir
Wo will mein Körper hin?
Die Wirkung eines weißen Kittels
Was einfach alles änderte – Der Point of no return
Warum unser Gestern bis heute wirkt – Psychologie heute
AUSSTIEG AUS EINEM URALTEN SYSTEM
Mein innerer Kompass
Das Ende der faulen Kompromisse
Was ich übersehen hatte
Das Geschenk meiner größten Herausforderung
Wenn ich kein Opfer bin, wohin mit meinen Tätern?
Der Zauberschlüssel
Von Menschen und Mäusen – neue Erkenntnisse der Epigenetik
Eine spannende Studie
MEINE NEUE ZUKUNFT
Wie ich mich selbst „überlistete“ – wertvolle Tools auf meinem Weg
Meditation statt Morphium
Die Vergangenheit können wir alle nicht ändern, doch …
Danke
Literatur-Tipps
Quellen und Literaturhinweise
EINLEITUNG
Warum dieses Buch?
Weil ich weiß, was chronische Schmerzen bedeuten. Welche Belastung sie sind. Wie sehr sie das Leben beeinflussen und sogar dominieren können. Mit welchen Gefühlen man ein Behandlungszimmer mit der nächsten Hiobsbotschaft verlässt. Wie maßlos anstrengend es sein kann, mit andauernden Schmerzen ein „normales“ Leben führen zu wollen. Ich kenne das Gefühl von Hoffnungs- und Ausweglosigkeit. Und wie es sich anfühlt, wenn andere nicht nachvollziehen können, wie es einem geht. Ich weiß, dass es Momente gibt, in denen einem die Zukunft noch mehr Angst macht als die Gegenwart. Über zwanzig Jahre lang habe ich es selbst erlebt.
Als Fünfjährige tanzte ich in selbst ausgedachten Choreographien durch den Garten meiner Eltern. In kindlicher Freude träumte ich davon, eines Tages Primaballerina zu sein. Doch es kam anders. Mein Leben veränderte sich mit einem schweren Autounfall im Alter von neun Jahren. Die Ausgelassenheit des Kindes gehörte von einem Tag auf den anderen der Vergangenheit an. Schmerz wurde zu meinem ständigen Begleiter. Erst war er unterschwellig da. Als junge Erwachsene brüllte er mich an. Mein Leidensdruck wurde so groß, dass ich von einem Arzt zum anderen lief. Ich hoffte inständig, Hilfe zu bekommen. Doch häufig fühlte ich mich nicht gehört oder ernst genommen. Was ich vor allem erfuhr, war, nicht wieder gesund werden zu können. Unzählige Untersuchungsergebnisse und MRTs belegten meine Erkrankungen. So suchte ich eigenständig nach effektiven Behandlungen. Ständig musste ich Anfragen für eine Kostenübernahme stellen oder auf einen Facharzttermin warten. Wertvolle Zeit verstrich, in der meine Schmerzzustände völlig außer Kontrolle gerieten. Mein Leben schien aus dem Ruder zu laufen. Ich kämpfte gegen Existenzängste und gegen meinen Körper, den ich am liebsten losgeworden wäre.
Dabei war ich im Grunde eine lebensfrohe, junge Frau mit unbändiger Reiselust. So oft ich konnte, brach ich daher aus, um in ein neues Land einzutauchen, zu sehen, riechen, schmecken, fühlen, anderen Menschen zu begegnen und zu lauschen. Für mich ist Reisen pure Freude. Auf einer dieser Reisen erlebte ich das für mich bis dahin Undenkbare: Mit den Füßen stand ich im kristallklaren Wasser des Südpazifiks – und zum ersten Mal war ich frei, schmerzFREI. Diese Gewissheit streifte mich wie der Blitz: ICH musste definitiv selbst etwas mit meinem Schmerzempfinden zu tun haben. Nur was? Das würde ich herausfinden. Es gelang mir viele Jahre und unzählige Rückschritte später. Fast drei Jahrzehnte suchte ich im Außen nach Lösungen für meine nicht enden wollenden Schmerzen. Gefunden habe ich sie in mir. Ich habe erfahren, wie sehr ich mir selbst helfen kann.
Heute fühle ich mich rundherum wohl in meinem Körper. Aller diagnostizierten Erkrankungen zum Trotz führe ich ein erfülltes Leben. Krankheit und Schmerz spielen keine Rolle mehr. Meine Seele darf wieder tanzen.
Wenn ich zurückdenke, so schämte ich mich in schmerzgeplagten Zeiten beinahe dafür, nicht mithalten zu können – schämte mich für all meine vermeintlichen Unzulänglichkeiten. Pausenlos verglich ich mich mit anderen oder Bildern, die mir in Medien unterkamen – mit leistungsfähigeren, scheinbar perfekten Menschen. Inzwischen habe ich einen anderen Blick entwickelt.
Ich möchte dich bestärken mit diesem Buch. Denn jeder von uns hat seine Herausforderungen im Leben. Meine Schmerzen brachten mich mehr als einmal an den Rand meiner Kräfte. Ich glaube, es würde Druck von uns nehmen, wenn wir uns mehr so zeigen, wie wir sind – authentisch und echt. Auch deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Eines, wie ich es mir selbst gewünscht hätte. Kein schönes Märchen, sondern ein Buch, das Mut macht. Es mag dich manchmal fordern. Doch ich hoffe, es wird dir so manchen Zusammenhang näherbringen, dir Möglichkeiten aufzeigen, die du für dich nutzen kannst: um aus Schwäche Stärke zu machen, dich selbst liebevoll anzunehmen und aus dem täglichen Kampf mehr und mehr in Leichtigkeit zu kommen.
Mit diesem Buch möchte ich auch meinen Beitrag als Teil dieser Gemeinschaft leisten. Für ein echtes Miteinander, ein Für- und nicht Gegeneinander und mehr Verständnis für die Herausforderungen und Probleme, denen wir alle täglich gegenüberstehen.
Allein in Deutschland leben derzeit weit über zwanzig Millionen Schmerzpatienten. Eine riesige Gruppe, deren Versorgung unzureichend gewährleistet ist. Nicht nur Patienten sind betroffen, auch engagierte Ärzte und Pflegende stehen in ihrer Arbeit täglich vor Herausforderungen. Und als Gesellschaft tragen wir alle den enormen volkswirtschaftlichen Schaden, der dadurch entsteht. Gemeinsam können wir die Welt, in der wir leben, gestalten.
Diese, meine Vision eines Füreinanders will ich leben und echte Unterstützung sein. Auf Instagram und Facebook unter hashtag_schmerzfrei findest du regelmäßig hilfreichen Content und verpasst keines meiner neuen Projekte. Auch wenn Schmerzen individuell sind, wir sind alle Menschen mit einem Körper, Gedanken und Empfindungen. In meiner Arbeit bekommst du Impulse für alle drei Ebenen.
Dieses Buch ist meine Einladung an dich, für dich selbst loszugehen. Dabei möchte ich es richtig verstanden wissen. Auch wenn hier Fachleute zu Wort kommen und die Meinungen und Erfahrungen verschiedener Menschen aufgezeigt werden – ersetzt es weder einen ärztlichen/therapeutischen Rat, eine Diagnose, noch eine Behandlung. Du wirst erfahren, welche Lücken hinsichtlich der Versorgung von Schmerzpatienten bestehen. Es ist Zeit, sie zu schließen. Jedoch wird es uns nicht weiterbringen in der Anklage stecken zu bleiben. Ich erzähle dir von meinem Weg, der in unbändige Kraft und Selbstbestimmung führte. Bitte lass dich in den Kapiteln, in denen mein Leid so offensichtlich ist, nicht aus der Ruhe bringen. Sondern, denk daran: am Schluss wird alles gut. Der Weg zum Ziel führt manchmal über ungeahnte Umwege.
Dir wünsche ich von Herzen, dass du in deine volle Kraft zurückfindest.
Ich glaub an dich.
Deine Susanne
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Was mein Denken auf den Kopf stellte
Die ersten Jahre meiner „Schmerz-Karriere“ lag mein Fokus beinahe ausschließlich auf meinem Körper. Ich betrachtete seine strukturellen Schäden als alleinigen Grund für meine chronischen Schmerzen. Als ich jedoch zu ahnen begann, dass ich selbst mit meinen Schmerzen zu tun haben musste, veränderte sich erstmals mein Denken. Ich begann mich mit den Zusammenhängen zu beschäftigen. Vorab möchte ich dir ein paar Informationen an die Hand geben. Ausführliche bekommst du im Laufe dieses Buches. Gerade in puncto chronische Schmerzen ist Aufklärung notwendig und Wissen ein wichtiger Schlüssel für Veränderung. Denn Veränderung fällt uns leichter, wenn wir begreifen, wohin sie uns führen kann. Wenn wir bewusst sehen können, wo es Chancen für uns gibt, so können wir diese auch nutzen.
Die Wahrnehmung von Schmerz findet erst im Gehirn statt.In Segmenten,mit denen auch Gefühle und Emotionen verknüpft sind. So ist nicht verwunderlich, dass:
Gefühle – ebenso Aufmerksamkeit und innere Einstellungen – Schmerzen grundsätzlich verstärken oder schwächen können. (1) Doch wie wird Schmerz chronisch?
Laut Deutscher Schmerzgesellschaft e. V. besteht unter Experten Einigkeit darüber: „Die häufigste Ursache, …, ist eine Kombination aus langanhaltenden körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen (bio-psycho-sozialer Dauerstress). (2)“
Auch wenn Schmerzen über längere Zeit nicht oder unzureichend behandelt werden, fördert dies eine Chronifizierung.
Bei Stress, Zeitdruck oder privaten Problemen und Sorgen beispielsweise spricht man von psychosozialer Belastung. Führt diese zu anhaltender Anspannung, kann sie wiederum muskuläre Verspannungen verursachen und damit Schmerzen aufrechterhalten.
Neben der körperlichen Ebene spielt bei chronischen Schmerzen immer auch die psychische und soziale (Interaktion mit dem Umfeld und Lebensumstände) eine Rolle.
Erst mit der Zeit begriff ich voll und ganz, dass sich chronischer Schmerz nicht isoliert betrachten lässt. Ebenso, dass Faktoren, die unsere Gesundheit erhalten und im Umkehrschluss auch zu Erkrankungen beitragen können, weit über die körperliche Ebene hinausgehen – Denken, Fühlen, Handeln, unsere Lebensbedingungen und unser soziales Umfeld einschließen.
Ende der 1970er Jahre hielt ein neuer Begriff Einzug in der Medizin: das biopsychosoziale Modell. In diesem Modell von Gesundheit und Krankheit wird der Mensch in seiner Gesamtheit betrachtet. Danach sind biologische, psychische und soziale Faktoren – für sich und als verflochtenes Ganzes – bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheiten zu berücksichtigen. (3) Es ist international anerkannt.
Die Epigenetik (ein Fachbereich der Biologie) wiederum beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss die Umwelt und Umwelteinflüsse auf das Genom (die DNA-Sequenz – das Erbgut) von Lebewesen haben. Sie weiß zu berichten, dass wir nicht zwangsläufig Opfer unserer Gene sind.
Neurowissenschaften bzw. Hirnforschung zeigen, dass sich Verbindungen im Gehirn neu bilden und auch verlieren können. Und, dass sich das Gehirn bis ins höchste Alter verändern kann. Diese Fähigkeit des Gehirns, seine Organisation und Struktur fortwährend anzupassen, nennt man Neuroplastizität.
Forscher konnten im Labor nachweisen, dass Emotionen biochemische Reaktionen im Körper auslösen. Sie sprechen bei Stress von einem Ganzkörpererlebnis, bei dem der gesamte Organismus eines Menschen beteiligt ist (4).
Lange Zeit war man in der Medizin der Meinung, das Immunsystem würde vollkommen unabhängig arbeiten. Mittlerweile aber weiß man, dass Psyche, Gehirn und Immunsystem eng miteinander verknüpft sind – die Systeme des Körpers miteinander kommunizieren. (5)
Dies sind lediglich einige wenige Erkenntnisse von unzähligen. Doch sie machen deutlich, dass Körper, Geist und Seele keine Gegensätze sind – Körper und Psyche als Gesamtheit funktionieren. Und, dass wir unsere Gesundheit stärken können auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene – als Einzelne wie auch als Gemeinschaft.
Natürlich reicht ein Buch kaum aus, um alle Zusammenhänge zu erklären. Mir war es wichtig, dass du einen Eindruck aus verschiedensten Bereichen der Medizin und Forschung für dich mitnehmen kannst. Aus diesem Grund sind Interviews Teil dieses Buches. Ich bin glücklich und dankbar dafür, dass namhafte Experten und Pioniere in ihren jeweiligen Forschungsgebieten dieses Buchprojekt unterstützt haben.
In den letzten Jahrzehnten konnten Medizin und Forschung Erkenntnisse gewinnen, die überaus ermutigend sind. Auch ich möchte dir mit meiner Geschichte Mut machen. Wissen und Ermutigung sollen jedoch nicht dazu führen, dass du Krankheit oder Schmerzen für eigenes Versagen oder Verschulden hältst. Ebenso wenig dazu, dass du dich unter Druck setzt. Jeder Mensch geht seinen Weg und seine eigenen Challenges in seiner Zeit an. Deine Zeit gehört dir und es ist ganz sicher nicht zielführend, sich selbst anzutreiben. Mit diesem Buch möchte ich dir einfach Möglichkeiten vorstellen.
Auch Ernährung und Bewegung sind Faktoren, mit denen wir Schmerz entgegenwirken, Stress abbauen und unsere Gesundheit erhalten können. Sie sind zugegebenermaßen in diesem Buch sehr kurz gekommen. Doch dafür gibt es unzählige andere Experten und Bücher, die du zu Rate ziehen kannst. Ich möchte sie nicht ausklammern, sondern vielmehr den Fokus auf unsere eigenen Ressourcen legen, die wir für uns nutzen können.
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MEIN IRRWEG
Nur der Bruchteil einer Sekunde
war es, der mein Leben im Alter von neun Jahren aus den Angeln hob.
Dieses Kapitel schrieb ich fünf Mal. Wie es scheint, stellte ich mir eine der größten Challenges an den Anfang meines Buches. Denn, jenen Moment vor rund dreißig Jahren und die darauffolgenden Wochen, hatte ich seither nicht mehr mit all seinen Details in mein Bewusstsein gelassen.
Der 25. Januar 1992 war ein Wintertag wie aus dem Bilderbuch. Ich, die Neunjährige, saß neben meinem Papa auf dem Beifahrersitz, in einem Kastenwagen. Wir würden zusammen Blumen kaufen, waren abends eingeladen. Eben bestaunte ich noch das Glitzern der Sonne auf den schneebedeckten Feldern und plapperte fröhlich vor mich hin. Dann blickte ich in das vor Entsetzen verzerrte Gesicht meines Vaters. Als ich den Kopf drehte, sah ich das unkontrolliert auf uns zuschleudernde Auto. Das Letzte an was ich mich erinnere, ist dieser Moment völliger Verwirrung. Ab da war es, als hätte jemand das Licht ausgemacht – um mich herum wurde es schlagartig schwarz.
Viele Meter weit neben der Straße war der sich mehrmals überschlagende Wagen zum Liegen gekommen – zusammengefaltet wie ein Pappkarton. Außerhalb der Schwärze hörte ich irgendwann Stimmen. Sie durchdrangen die Dunkelheit nicht.Die Stimmen gehörten zu den Feuerwehrmännern und -frauen, die mit Schneidbrennern darum bemüht waren, uns aus dem Blechbündel zu befreien. Eine Brandnarbe an meinem Knie erinnert mich noch heute daran. Bilder hatte ich ab dem Moment des Zusammenstoßes keine mehr. Meine Seele verschloss diese schmerzliche Erfahrung sicher in eine ihrer hintersten Ecken. Das Bewusstsein erlangte ich erst wieder auf einer Trage, mit der ich in die Notaufnahme geschoben wurde. Fragen des Notarztes drangen an mein Ohr. Ich stammelte zusammenhanglose Worte. Dann folgten stundenlange OPs. Erst in einem Zimmer auf der Intensivstation wachte ich mit grauenvollen Schmerzen wieder auf. Eine liebevoll lächelnde Schwester kam in den Raum, sagte etwas zu mir, spritzte ein Mittel in die Kanüle an meiner Hand und ich schlief wieder ein.
Den Großteil der ersten Woche verbrachte ich im gnädigen Dämmerlicht der Schmerzmittel. Einige wenige Sequenzen sind in meinem Gedächtnis präsent: Dass meine Mutter kreidebleich und weinend, wie ein Häufchen Elend, an meinem Bett saß. Sie versuchte für mich zu lächeln. Doch ich konnte sehen, wie schlecht es ihr ging. Ich erinnere mich an laut piepsende Geräte und hektisch umherlaufende Menschen. An meine verzweifelten Schreie. Ich glaubte, mein Vater hätte nicht überlebt, weil er nicht bei mir war und ich ihn nicht sehen durfte. In Wirklichkeit zeigte man mir meinen Papa nicht, weil er mit dem Gesicht auf das Lenkrad geschlagen war (ohne Airbag). Er hatte alle Zähne und seine Gesichtszüge verloren. Panik erfasste mich, weil ich meine Beine nicht spürte. Ich konnte sie nicht bewegen und schlug um mich. Dann sah ich vier Metallstreben aus meinem linken Oberschenkel ragen, rechts den Gips. Als Kind verstand ich all das erstmal nicht.Durch diesen Unfall war mein linker Oberschenkel mehrfach gebrochen und das rechte Sprunggelenk zertrümmert worden. Ich hatte innere Blutungen, Schnittverletzungen an den Beinen und im Gesicht sowie Rippenfrakturen. Nach einer Woche sah ich meinen Vater zum ersten Mal. Ich war erschrocken über sein zur Unkenntlichkeit verschwollenes Gesicht, mit all den Schläuchen. Seine Kiefer waren verdrahtet, so dass er kaum sprechen konnte. Doch es beruhigte mich seine Stimme zu hören. Mein Papa lebte, er war noch da.
Man verlegte uns zusammen auf die Normalstation. Verwandte und Freunde besuchten uns. Ich blickte in deren geschockte Gesichter, wenn sie uns zum ersten Mal sahen und fühlte ihre Bedrückung. Menschen, die ich noch nie hatte weinen sehen, brachen vor uns in Tränen aus. Je näher sie mir standen, desto betroffener machte es mich. All die Traurigkeit konnte ich kaum ertragen. So weinte ich nicht. Für alle zusammen lächelte ich den Schmerz weg und war fröhlich, versuchte, ihnen ihren Schmerz abzunehmen.
Fünf Wochen später kam endlich die ersehnte Entlassung aus dem Krankenhaus. Wir wohnten im ersten Stock. Jemand trug mich nach oben. Wegen dem Fixateur links und dem Gips, der bis zum rechten Knie reichte, konnte ich nicht laufen. Wie sehr ich mich darauf gefreut hatte, das sterile Krankenzimmer zu verlassen und nach Hause zu kommen. Das Kind dachte „dann wär alles wieder gut, normal, wie zuvor.“ So war es nicht. Mit meinen neun Jahren war ich zum Kleinkind mutiert. Kannst du dir vorstellen, welch ein Spektakel allein ein Bad mit je einem verschraubten und einem eingegipsten Bein auslöste? Mich allein umdrehen, mit einem Gips auf der einen und einem Stahlgestell auf der anderen Seite, unmöglich. Jeder, der schon mal auf Krücken lief weiß: man kann nicht mal einen vollen Teller tragen. Ich brauchte die Hilfe meiner Mutter bei fast allem. Meine Freunde gingen zur Schule, spielten, waren ausgelassen wie es Kinder eben sind. Ich saß in der Wohnung fest, lag die meiste Zeit. Raus kam ich lediglich, wenn wir zum Arzt oder zur Physiotherapie mussten. Was für eine andere Welt.
Meine Eltern waren nach Kräften für mich da. Sie hatten jedoch verständlicherweise mit sich zu tun. Ich kann es ihnen wahrlich nicht verdenken. Meine Mutter hatte zwei Polizisten die Tür geöffnet, die ihr mitteilten ihre Familie sei verunglückt. Sie stand daraufhin in der Intensivstation der Klinik, in der man ihr sagte, man würde alles tun damit Beide überleben. Dann war sie tagelang an den Betten ihrer nicht ansprechbaren Familienmitglieder gesessen. Mein Vater kämpfte sich nach seinen schweren Verletzungen zurück ins Leben. Die Existenz meiner Familie stand mit einem Schlag auf dem Spiel. Er war Hauptversorger der Familie gewesen. Aufgrund seiner Hüftverletzung würde er seinen Beruf nicht mehr ausüben können. Entscheidungen und Leistungen der gegnerischen Versicherung ließen auf sich warten. Obwohl meine Eltern vor mir nicht über ihre Sorgen sprachen, hingen greifbar Hilflosigkeit und Not in der Luft. Jeder für sich war beschäftigt mit den Herausforderungen, die sich ihm stellten. Oft erlebte ich Situationen, in denen mein Vater Bekannte traf und diese ihn erst erkannten, wenn er sie ansprach und sich erklärte. Selbst als alle Schnitte verheilt waren, sah sein Gesicht völlig anders aus als vorher. Er hatte seinen Geruchssinn verloren und konnte zu Anfang nicht mal mehr schmecken. Erst heute – im Rückblick – begreife ich, wie das für meine Eltern gewesen sein muss. Was an diesem Tag im Januar passiert war, konnte keiner von uns fassen. Später erfuhr ich, dass der andere Wagen bei Glatteis ins Schleudern gekommen war. Der alkoholisierte Fahrer hatte vollkommen die Kontrolle verloren. Mein Vater konnte nichts tun. Die Ohnmacht dieses Ereignisses wurde Teil von uns allen. Uns blieb nur weiter zu machen, so gut es eben ging. Wir hatten uns und wir hatten unser Leben nicht verloren. Daran klammerten wir uns.
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Meine ganz persönlichen Gedanken dazu: Im Bruchteil einer Sekunde war meine sichere Welt in tausend Stücke zerbrochen und mein Urvertrauen schwer erschüttert.
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Meine Erfahrungen beeinflussten mein weiteres Leben, meine Gedanken, meine Gefühle und mein Verhalten.
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Was ich als Kind im Zusammenhang mit Schmerz lernte wirkte nach
Der Fixateur wurde unter der nächsten Narkose entfernt. Bei dem Spickdraht, der mein Sprunggelenk durchzog, war man weniger zimperlich. Ich erinnere mich noch gut an diesen Tag. Er war aufregend. Was würde mich genau erwarten? Auf der Fahrt in die Klinik erklärte mir Papa, dass wir „unseren Arzt“ wiedertreffen. Mehrmals hatte ich mitangehört wie meine Eltern erzählten: über die stundenlangen OPs und welch ein Glück wir hatten in dieser Klinik, bei genau diesem Arzt gelandet zu sein. „Dem verdanken wir unser Leben.“ So sah ich diesen Mann aus meinen kindlichen Augen als (m)einen Lebensretter.
Meine Eltern versuchten solche Aktionen mit etwas Schönem zu verknüpfen. „Heute kommt dein Gips endlich ab und der Draht raus. Das heißt bald brauchst du keine Krücken mehr, ist das nicht toll? Das feiern wir und geh’n Pizza essen.“ Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte. Vor allem schlug mir das Herz bis zum Hals. Ob die in mein Bein schneiden, wenn sie den Gips abmachen? Wie genau kommt der Draht aus meinem Sprunggelenk, fragte ich mich mit meinen neun Jahren. Der freundliche Pfleger, der den Gips entfernen sollte, nahm mir die Angst. Er erklärte mir was er machen würde. An seinem eigenen Arm trat er den Beweis dafür an, dass die Flex auf der Haut stoppte. Er scherzte sogar mit mir, brachte mich zum Lachen. Behutsam schnitt er den Gips auf. Erste Hürde genommen. War gar nicht so schlimm. Nur als das Innenfutter des Gipses, beim Abziehen, an dem Ende des aus meinem Fuß ragenden Drahtes rupfte, tat es weh. Mein Bein war komisch blass und dünn. Verunsichert beäugte ich es, bis die Tür aufging. Von der Liege aus strahlte ich „unseren Lebensretter“ an. Er lächelte zurück. „So, da sehen wir uns wieder. Dein Sprunggelenk ist gut verheilt. Du musst jetzt die Zähne zusammenbeißen. Erstmal wird es kalt.“ Mit etwas Eisspray und viel Kraft, riss er den über Wochen eingewachsenen Draht aus meinem Gelenk. Der stechende Schmerz, der mich durchfuhr, trieb mir Tränen in die Augen. Ich war nicht mal dazu gekommen zu fragen, was als nächstes passieren würde. Meine Mutter wiegte mich in ihren Armen. „Das hast du gut gemacht. Ist schon vorbei.“ Es tat noch immer höllisch weh. Der Arzt erklärte meinem Vater das Röntgenbild.
Ich wundere mich, wie präsent meine Erinnerungen an diese Szenen sind. Ich kann mich detailgenau erinnern, genau wie an die zugehörigen Gefühle: wie schnell alles ging, wie erschüttert ich war, wie freundlich und kalt zugleich dieser Arzt war, wie fremd sich mein Bein anfühlte, in welch einem Gefühlschaos ich den restlichen Tag verbrachte.
Ich kann mir vorstellen, dass ein Chirurg emotionale Distanz aufbaut, um sich selbst zu schützen, bei den Herausforderungen seines Berufes. Dass im Klinikalltag die Zeit knapp bemessen ist. Und, dass in vielerlei Hinsicht Vorgaben zu erfüllen sind. Falls dieses Buch ein Mediziner liest, dann meine tiefgehende Bitte – nein, sogar eine Aufforderung: Wenn Sie ein Kind vor sich haben, dann machen Sie sich das bewusst. Es reicht nicht aus, in zwei Sätzen zu erklären oder eine Anweisung zu geben, wie „Zähne zusammenbeißen.“ Bitte nehmen Sie sich Zeit zu erklären, seien Sie ehrlich und vor allem – wenn Sie ein Kind vor sich haben ist Empathie gefragt.
Mein Knöchel ließ sich nicht im Geringsten bewegen. Ähnlich wie mein linkes Knie, das ich ohne Fixateur nicht mal in den rechten Winkel anziehen konnte. Nun begann die Physiotherapie. Nach dem ersten Termin kuschelte ich mich völlig fertig an meine Mutter. Sie tröstete mich, wie es alle liebevollen Mamas tun: „Ich weiß, das ist nicht schön. Das muss sein, damit du wieder laufen kannst. Anders geht's nicht.“ Physiotherapie unterschied sich zu dieser Zeit enorm von heutigen Ansätzen. Ich mochte meine Therapeutin. Die war lustig und sang sogar mit mir. Das, was sie tat, hasste ich. Sie legte ein Winkelmaß an mein steifes Gelenk. „Heute schaffen wir wieder einen Millimeter mehr. Du musst jetzt die Zähne zusammenbeißen.“ Dann drückte sie gegen eines meiner steifen Gelenke, bis mir die Tränen kamen. „Atmen!“ Vor lauter Zähne zusammenbeißen hatte ich die Luft angehalten. Dann ging es weiter, zwanzig Minuten lang, zweimal die Woche. Über ein halbes Jahr, in dem ich auf Krücken lief. Es waren gut sechs Monate, die ich mit gemischten Gefühlen verbrachte. Freude, das Haus zu verlassen und die Qual einer Behandlung. Im Glück durch die Stadt zu laufen und mit den erschrockenen Gesichtern der Menschen, die wir trafen. Mit Freundinnen, die mir den verpassten Schulstoff nach Hause brachten, lachen und traurig sein, dass sie spielen gingen und ich festsaß. Doch ich musste erst versuchen den Schulstoff nachzuholen und das Laufen neu zu lernen.
Es gibt einen Grund, warum ich dir das so ausführlich schildere. Das, was ich als Kind im Umgang mit Schmerzen lernte, wirkte nach. Unbewusst hielt ich es als Erwachsene genauso. Und damit bin ich nicht allein. Fast alle haben wir als Kinder Sätze gehört, wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Manchmal versteckten sie sich in einem anderen Kleid. „Ein Junge weint nicht“, „Stell dich nicht so an“, „Hör auf zu jammern.“ In meinem Fall war es „Zähne zusammenbeißen.“ Das heißt nichts sagen, durchhalten, den Schmerz aushalten solange es geht. Über zwei Jahrzehnte biss ich die Zähne zusammen, nicht nur in Bezug auf Schmerzen. Im Job gab ich einhundert Prozent, trotz alledem. Kam mir jemand blöd, sagte ich nichts und ärgerte mich hinterher. Weißt du was irre ist? Ich hielt dabei sogar die Luft an. Bei höllisch schmerzhaften Behandlungen, wie zum Beispiel der Infiltration in Gelenke und Nervenbahnen, kam ich nicht auf die Idee vorher nach einer lokalen Betäubung zu verlangen. Als wäre es ein notwendiges Übel. Schmerztabletten nahm ich anfangs nur sporadisch, ohne zu wissen, dass sie dann ihre Wirkung nicht richtig entfalten. Als seien Schmerzen normal und ich müsse sie aushalten. Alles, weil ich Überzeugungen mit mir herumtrug, die aus Kindertagen stammten. Ich kam lange nicht darauf, auch nur eine einzige davon zu hinterfragen, sondern fühlte mich Ärzten ausgeliefert. Die würden es schließlich besser wissen. Auch das Podest auf dem „unser Lebensretter“, stellvertretend für alle Ärzte stand, behielt ich bei.
Als Kind hatte ich erfahren, wenn ich die Zähne zusammenbeiße, werde ich hinterher getröstet. Dann kümmert man sich besonders liebevoll um mich. In meinem Erwachsenenleben war ich oft frustriert, weil sich meine unbewusste Erwartung nicht erfüllte. Beispielsweise wenn ich über einen Kunden schimpfte, der mich angebrüllt hatte. (Zähne zusammenbeißen, still sein.) Und ich hinterher von meinem Gegenüber nur hörte: „Dem hätte ich aber was erzählt.“ Oder aber meine Erwartung erfüllte sich doch und ich bekam Zuwendung für mein Leiden. „Du Arme, dass du immer solche Schmerzen hast. Komm, jetzt tun wir dir was Gutes.“
Für den Fall, dass du gerade empört denkst, „sowas mach ich nicht!“: Ich bäumte mich richtig auf, als ich zum ersten Mal sinngemäß hörte: „Ein Teil von dir leidet, um Liebe zu bekommen.“ Ich doch nicht! Das machte mich wütend, wie eine böse Unterstellung. Schließlich tat ich alles, um meine Schmerzen loszuwerden. Dabei ging es lediglich darum, mir dieses inneren Anteils bewusst zu werden, um ihn aufzulösen. Es gab noch ein weiteres kindliches Learning im Umgang mit Schmerzen. Fast mein ganzes Leben lang lud ich mir die Verantwortung auf, anderen ihren Schmerz abzunehmen. Ich lächelte, egal wie fatal meine eigene Lage war, um mein Umfeld nicht zu belasten. Das war kein ehrliches Lachen aus meinem Herzen, sondern der „Schonwaschgang“ für meine Mitmenschen. Aber dazu später mehr.
Der erste Tag zurück in der Schule war etwas durch und durch Besonderes für mich. Ich sehnte mich unwahrscheinlich nach jedem kleinen Stückchen Normalität. Danach, dass das Drama ein Ende hätte und wieder mehr Spaß und Leichtigkeit da wären. Wenigstens kleine Stücke davon. Ich lief noch an Krücken. Meine Mitschüler und auch Lehrer machten es mir leicht. Immer jemand da, der mir die Schultasche trug oder etwas für mich holte, für das ich keine Hand frei hatte. Man war nicht streng mit mir, weil mir der Schulstoff von Monaten fehlte, den ich selbst zwar zu lernen versucht hatte, was aber alleine nicht so geklappt hatte. Ich strengte mich richtig an wieder mitzukommen. Auf keinen Fall wollte ich die vierte Klasse wiederholen und dann von meinen Freunden getrennt sein. Das schaffte ich und sogar richtig gut. Jede Woche wurde besser. Irgendwann kamen die Krücken weg. Ich konnte wieder laufen und bei den anderen sein. Ein normales Kind sein. Lachen, mitspielen, leben. Natürlich hätte ich manchmal noch Hilfe gebraucht. Zum Beispiel, wenn ich den Gegenstand von einem hohen Regal angeln wollte und ihn nicht erreichte, weil ich mich nicht auf Zehenspitzen stellen konnte. Doch diese Art von Aufmerksamkeit wollte ich nicht. Ich wurde einfallsreich, solche Situationen ohne fremde Hilfe zu lösen. Innerhalb von Monaten wurde ich wieder zu dem Kind, das man wegen seines Lachens mochte. Auch wenn sich der Schatten der dramatischen Ereignisse nicht leugnen ließ. Dieses Kind wollte so viel Normalität und Freude, wie nur irgend möglich. Der noch immer gedrückten Stimmung zu Hause entfliehen. Das ist kein an meine Eltern adressierter Vorwurf! Ich ziehe den Hut davor, wie sie ohne fremde Hilfe mit der Situation umgingen. Das muss ihnen erstmal jemand nachmachen.
Vermutlich hat dieser Unfall mein Kämpferherz hervorgebracht. „Wir sind Kämpfer. Wir schaffen das. Wir müssen zusammenhalten“, war zum Motto meiner Familie geworden. „Das Leben geht weiter“. Einziger Unterschied: in meiner Familie kehrte eine neue Zeitrechnung ein. Und zwar eine „vor“ und eine „nach dem Unfall“. Alles, was nach dem Unfall stattfand, unterlag, so fühlte sich das für mich als Kind an, ganz natürlichen Einschränkungen. Das Offensichtliche war die Beeinträchtigung in unserer Beweglichkeit, unsere eingeschränkte Freiheit. Die machte sich in vielen Lebensbereichen bemerkbar. Wir fuhren bis vor die Tür, um nicht weit laufen zu müssen. Bei Ausflügen wurden Gehstrecken minimal gehalten und stattdessen schnell Sitzgelegenheiten angesteuert. Wandern und Skifahren gehörten nicht mehr, wie früher, zu unseren Freizeitaktivitäten. Im Sportunterricht war ich gehandicapt, bei Unternehmungen mit Freunden und deren Familien oft außen vor, weil ich nicht mitmachen konnte. Bewegung war in meinem Leben nur mehr begrenzt möglich und bedeutet ab einem gewissen Punkt Schmerz. Das prägte meine Kindheit, setzte mir Grenzen, beeinflusste mich seit dem Tag dieses Unfalls, ab dem alles anders war. Und doch hatte dieser Einschnitt auch sein Gutes: wir alle wuchsen damit ein Stück und genossen viel bewusster, was es zu genießen gab.
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Als Kind lernte ich eine Menge destruktiver Glaubenssätze – tiefe Überzeugungen – und Muster. Auch solche, die dazu beitrugen, meinen Schmerz später aufrechtzuerhalten.
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Bei einigen blitzte ab und zu auf: „Das würd ich gern auch so sehen können oder in der Situation so reagieren wie der/die das macht“. Andere waren so selbstverständlich für mich, dass ich gar nicht darauf kam, sie mir genauer anzusehen. Sie entsprachen meinem ganz persönlichen Bild von mir, der Welt und ihren Menschen und ich verhielt mich dementsprechend. Auch Grenzen nahm ich als gegeben an.
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Es war wichtig, sich dessen bewusst zu werden. Denn, ohne Bewusstsein keine Veränderung.
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Meine Fahrt im Hoffnungs-Karussell von einem Arzt zum anderen
Im Bericht zur Nachuntersuchung meiner Unfallfolgen, ein Jahr später, stand: Die Patientin klagt über anhaltende Sprunggelenkschmerzen. Festgestellt wurden eine linksseitige Beinverkürzung, die Fixateur-Narben am Oberschenkel seien auffällig wulstig aber reizlos, die Frakturen wären leicht verdreht zusammengewachsen. Eine weitere Entwicklung bliebe zu beobachten und eine endgültige Prognose könne erst nach Abschluss des Wachstums gestellt werden. Beeinträchtigungen würden auf Dauer sicherlich bestehen bleiben. Die Ausbildung der Sprunggelenksarthrose sei zu erwarten.
Noch ein Jahr nach dem Unfall entzündeten sich Stellen in meinem Gesicht und Splitter der zerborstenen Autoscheiben kamen zum Vorschein. Dann war der Spuk scheinbar vorüber. Scheinbar, denn er wirkte noch nach. In der Schule gehörte ich plötzlich nicht mehr mit Leichtigkeit zu den Guten. Vieles, das vorher Spaß gemacht hatte, war plötzlich anstrengend. Mit den Narben auf meinem Körper unterschied ich mich sichtbar von den Anderen. Noch dazu hatte ich über die Zeit, in der ich nicht mehr wie früher laufen konnte, ein paar Kilos zugelegt. Ich fühlte mich nicht mehr so richtig wohl in meiner Haut.
Was für ein Glück ich hatte, gleich zwei Handvoll guter Freundinnen um mich zu haben, die an meiner Seite waren. Mit Übertritt an die Realschule waren viele neue Kinder dazugekommen, die weniger gnädig mit mir waren: „Iiiiiiiii, was für hässliche Narben hast du denn da. Da würd ich aber nicht zum Schwimmen geh’n.“ Oder im Schulbus: „Schaut mal die Pummelige mit den schiefen Beinen.“ Ich war alles andere als stark übergewichtig. Auch meine Beine waren nicht krumm und schief. Nur war ich verletzlicher geworden und litt unter Bemerkungen, wie sie unter unbedachten Kindern eben vorkommen.
Bei meinen Eltern heulte ich mich über solche Erlebnisse aus und schob das Gefühl „anders, nicht schlank genug“ zu sein beiseite. Als Teenager kamen sie wieder hoch. In der Zeit, in der sich der Körper sowieso verändert, war ich zusätzlich verunsichert. Ich begann zu hungern, kämpfte an gegen meinen Körper und das Gefühl nicht richtig zu sein. Ich möchte nicht sagen, dass ich keine schöne Kindheit hatte wegen diesem Unfall. In meiner Familie gab es auch keinen Groll über „die Ungerechtigkeit des Schicksals“. Der Unfall war jedoch ein einschneidendes Ereignis mit Folgen. Aber ich bedauerte mich nicht dafür. Das Leben war nur etwas schwieriger geworden. Wir hörten auf, das zum Thema zu machen. Irgendwann wusste sowieso jeder, dass wir bei Tagesausflügen und Urlauben nicht stundenlang laufen und uns anderweitig arrangieren würden. Vielleicht lachte ich gerade deswegen immerzu, um dem unterschwelligen Schrecken etwas entgegenzusetzen.
Ich beendete die Schule und begann eine Ausbildung. Da, wo meine Freunde unbeschwert durchs Leben gingen, begleitete mich ein latenter Dauerschmerz, den ich gelernt hatte auszublenden. Bis er stärker wurde. Plötzlich erzeugte jede Belastung stechende Schmerzen in meinem linken Sprunggelenk. Bereits das erste Röntgenbild zeigte dort einen Knorpelschaden. Mit der Diagnose Arthrose und einer Überweisung ins MRT, verließ ich die Praxis. Ich konnte meinem siebzehnjährigen Kopf regelrecht dabei zusehen, wie er anfing Informationen abzurufen: Verschleiß am Knorpel, trat das nicht nur bei Spitzensportlern so früh ein? Arthrose war doch etwas, das Omas und Opas bekamen, aber doch nicht so ein Jungspund wie ich. Das konnte doch bei mir so schlimm nicht sein. Meinem linken Gelenk war doch bei dem Unfall gar nix passiert. Es würde bestimmt eine Lösung geben.
Das MRT jedoch zeigte das Ausmaß des Schadens. Beim nächsten Termin erklärte mir mein Orthopäde sachlich, dass ich vermutlich bei dem Unfall einen Schlag auf dieses Gelenk bekommen hatte, die das Gelenk stabilisierenden Bänder gerissen sein mussten und sich daraus eine ausgeprägte Arthrose entwickelt hatte. Ich könne zunächst versuchen, das Gelenk mit Bandagen zu entlasten. Es gäbe einige natürliche Präparate und Schmerzmittel. Mit Physio- bzw. manueller Therapie könne man versuchen die Schmerzen zu lindern. Später könnte ich orthopädische Schuhe bekommen, die mein Gelenk stützten. Das konnte ich nicht so hinnehmen. Ich wollte wieder gesund werden. „Wie bekomm ich das wieder weg?“ Antwort: „Gar nicht. Wir müssen die akute Entzündung aus Ihrem Gelenk bekommen.“ Wie gelähmt verließ ich die Praxis. Ich dachte nach. Seit ich mich erinnern konnte hatte ich zahllose (alte) Menschen sich beklagen hören über ihre Knie oder Hüftschmerzen. Die bekamen dann eben ein neues Gelenk. Vielleicht wusste dieser Arzt nicht genug. Um mein Leben lang Schmerzmittel zu nehmen, war ich viel zu jung. Ich würde weiter nach einer Lösung suchen.
Also fing ich an im Hoffnungskarussell von einem Orthopäden zum anderen zu fahren. Jeden von Ihnen fragte ich nach einem Ausweg. Ich bekam Sätze zu hören, wie „Es wird nicht besser, nur schlimmer“, „Sie müssen sich damit abfinden. Machen Sie eben jetzt das Beste daraus“, „Klar haben Sie damit Schmerzen beim Laufen. Es ist wichtig, dass Sie es trotzdem tun. Nur überfordern Sie sich nicht. Lernen Sie sich damit zu arrangieren“. Nach jedem Termin war mir, als wäre ich mit dem Kopf gegen eine Wand gelaufen. Ein ums andere Mal fuhr ich hoffnungsvoll los und kehrte noch enttäuschter zurück.
Neben Schmerzmitteln testete ich eine ganze Reihe von natürlichen Präparaten. Nichts veränderte sich. Sechs Monate waren vergangen, in denen mein Knöchel zu einem dauerhaft dicken Schmerzball geworden war. Zusätzlich bereitete mir nun auch noch mein rechtes Sprunggelenk Probleme. Das MRT zeigte dasselbe Bild, wie das des linken. Womit hatte ich das nur verdient. Mein ständiger Begleiter, der Schmerz, war unerträglich geworden. Er quälte mich, er veränderte seine Intensität ständig, er verunsicherte mich, er frustrierte mich und er machte mir Angst. Keinen einzigen Schritt konnte ich ohne ihn tun. Dabei wollte ich ihn doch nur schnell wieder loswerden. Der sollte weg. Doch er ging nicht.
Meine Freunde waren als junge Erwachsene nicht zu bremsen. Ich dagegen war ausgebremst, schielte sehnsüchtig auf die Leichtigkeit und Freiheit in deren Leben. Ich wollte nicht ständig außen vor sein, nicht nur ihren Erlebnissen lauschen, sondern daran teilhaben, mich ausprobieren, neue Leute kennenlernen, mich verlieben, ein ganz normaler Teenager sein. So versuchte ich trotzig meinem Leben abzuverlangen was ich haben wollte: dasselbe wie alle anderen auch. Ich ging am Wochenende wandern, schwimmen, tanzen. Sonntags lag ich oft heulend mit grauenhaften Schmerzen auf der Couch. Mit Schmerztabletten schaltete ich sie aus. So lange, bis auch das nicht mehr funktionierte. Bis mein Körper mich anbrüllte. Die Schmerzmittel schlugen kaum mehr an. Ich schlief nicht mehr richtig. Jeder einzelne Schritt war eine Überwindung. Also tat ich das Logische: Schmerzen vermeiden, mich schonen. Nur isolierte ich mich dadurch. Kaum mehr ausgehen, nichts erleben, nix zu lachen. Einsam und stocktraurig zu Hause sitzen. Nie vergesse ich wie niedergeschlagen ich in dieser Zeit war. Gefühlt wurde es mit jedem Monat schlimmer. Ich humpelte, hatte andauernd Blockaden in der Wirbelsäule, verkrampfte Muskeln im ganzen Körper. Mein Alltag war ein Desaster. Morgens aufwachen mit Schmerzen, mit steifen Gelenken erste Schritte machen, den Schmerz wegschieben, anziehen, Frühstück, Tabletten, zur Arbeit fahren, durchhalten, zum Physiotherapeuten. Abends total erledigt nach Hause kommen, mit Schmerzen zu Bett gehen, mich nicht darauf fokussieren, um endlich einschlafen zu können. Ständig Nacken und Rückenschmerzen, den Arbeitsplatz verlassen und zum Arzt hetzen, wieder zurück und die verlorenen Stunden nachholen.
Mit der Zeit leerten sich meine Energiereserven mehr und mehr. Ich fing an mich zurückzuziehen, verbrachte viel Zeit zu Hause, war frustriert. Und raffte mich doch wieder auf raus zu gehen, um hinterher noch mehr Schmerzen zu haben. Sie beeinflussten meine Stimmung, meine Aktivitäten, meinen Job, meine Kontakte, meine Tage, meine Nächte – mein ganzes Leben. Als wäre es nicht genug, gesellten sich zu ihnen chronische Blasenentzündungen, die ich nicht mehr loswurde. Ich steckte in einer völlig aussichtslos erscheinenden Situation.
Währenddessen suchte ich weiterhin nach Hilfe, bekam sie, hoffte, bangte, war euphorisch bei der kleinsten Verbesserung meines Zustandes und jedes Mal noch ein bisschen mehr zerschlagen, wenn ich nach kleinen Erfolgen wieder zurückfiel. Aus meiner Verzweiflung heraus konsultierte ich jeden Facharzt, Physiotherapeuten, Heilpraktiker, usw. der durch seine Reputation glänzte. Ich ließ schmerzhafte Infiltrationen in meine Gelenke über mich ergehen, fuhr dreihundert Kilometer weit (einfach) für eine Behandlung bei einer besonderen Koryphäe und besuchte psychologische Seminare. Die Mittel, die ich jährlich für medizinische Selbstzahlerleistungen aufbrachte, beliefen sich auf Tausende. Im Nachhinein habe ich keine Ahnung wie ich das Geld mit meinem Job als Steuerfachangestellte überhaupt aufbringen konnte. Mein Leidensdruck war unermesslich. „Ich tue alles, wirklich alles, nur bitte Schmerz lass nach.“ Dabei machte ich die unterschiedlichsten Erfahrungen, besonders bei Fachärzten.
Die Einen sagten mir, dass die Arthrosen viel zu weit fortgeschritten seien für mein Alter, dass ich zu jung sei für Versteifungen, dass Knorpeltransplantationen in diesem Umfang bislang nicht möglich seien, dass es keinen künstlichen Gelenkersatz für mich gäbe, dass mir nur stärkere Medikamente zur Wahl stünden und dass der Verschleiß fortschreiten würde. Die Anderen meinten, dass ich um eine Gelenkversteifung nicht herumkomme. Von wieder anderen fühlte ich mich nicht ernst genommen. Natürlich schlugen mir meine Schmerzen auf die Stimmung.
Mehrmals saß ich mit Tränen in den Augen vor einem Orthopäden, Klinikarzt oder Urologen und nicht nur einmal hörte ich O-Ton Sätze wie: „Sie sind wohl psychisch nicht ganz hoch auf“, „Dass Sie solche Schmerzen haben ist nicht normal, das bilden Sie sich ein. Sie sind wohl besonders empfindlich“. Damals hatte ich so einer Aussage nichts entgegensetzen. Der Dauerschmerz hatte mich mürbe und kraftlos gemacht.
An meinen schlimmsten Tagen tat mir jedes Härchen auf meiner Haut weh. Ich begann an mir zu zweifeln. War ich wirklich zu zimperlich? Aber meine Gelenke waren dick und heiß, das bildete ich mir doch nicht ein. Warum ich Schmerzen am ganzen Körper spürte, wusste ich auch nicht. Aber deswegen fragte ich doch. Wieso konnte mir das keiner meiner Ärzte sagen. Und vor allem, wieso half mir keiner da raus. Zu jener Zeit wusste ich zu meinem Leidwesen wenig über Schmerzen und die Prozesse, die sie in Gang setzen können. Vermutlich ebenso wenig wie jene Ärzte.
Aufgrund meiner vielen negativen Erfahrungen war ich bereits angespannt, wenn ich einen Behandlungsraum betrat. Ich hörte auf, vehement auf meine andauernden Schmerzen hinzuweisen, solange ich sie einigermaßen ertragen konnte. Glücklicherweise traf ich damals auch auf solche Behandler, die zugewandt und einfühlsam waren und nach Kräften bemüht, mir zu helfen. Sie erklärten mir ausführlich, welche Möglichkeiten ich hätte, was aus ihrer Sicht die nächsten Schritte seien und respektierten meine Entscheidungen. Ihnen bin ich bis heute dankbar. Ohne deren Expertise, Behandlung und menschliche Qualitäten wäre ich vor die Hunde gegangen. Doch auch sie hatten das Wunder, auf das ich hoffte, nicht parat. Was ich immer und immer wieder hörte war: „Sie müssen sich damit abfinden!“ Das konnte und wollte ich nicht. Mein Leben war eine Qual. Ich hatte noch enorm viel Zeit vor mir. So wollte ich sie nicht verbringen. Also machte ich weiter. Beinahe mit jedem Arztbesuch wurde ich resignierter. Und dennoch, aufgeben war keine Option.