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"Vor den Vätern sterben die Söhne", ist Thomas Braschs bekanntestes Buch, das mit seinem Erscheinen 1977 sofort auf den Bestsellerlisten landete. Es zeigt in Prosa-Miniaturen den Alltag der DDR aus der Perspektive verzweifelter Loyalität. Ein Buch der existentiellen und politischen Revolte, der gefühlskalten Realität, dessen Wirkung durch einen trockenen, nüchternen Ton unterstrichen wird. Ein Buch von auswegloser Unbedingtheit eines jungen Mannes.
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Seitenzahl: 131
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Zeit:2 Std. 57 min
THOMAS BRASCH
Vor den Vätern sterben die Söhne
Vor den Vätern
sterben die Söhne
eISBN 978-3-86789-551-4
1. Auflage dieser Ausgabe
© 2013 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin
Zuerst erschienen 1977
Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin
Umschlagabbildung: andreas trogisch / bobsairport
Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:
Rotbuch Verlag
Alexanderstraße 1
10178 Berlin
Tel. 01805 / 30 99 99
(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)
www.rotbuch.de
1
Fliegen im Gesicht
Der Zweikampf
Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl
2
Der Schlag gegen den Kopf des Ochsen
Nichts passiert
Wer redet schon gern von einem Untergang
Die Besuchszeit darf nicht überschritten werden
Mit sozialistischem Gruß
3
Fastnacht
Ausschuß
Eulenspiegel
Zuerst spürte ich seinen Kopf, der stark auf meine Blase drückte, und einige Minuten später den Schwanz, der in meinem Mund wedelte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie der Wolf in mich hineingekommen war und warum er verkehrt lag. Ich stieg in die Straßenbahn 63 und fuhr zum Krankenhaus Friedrichshain. Die blonde Pförtnerin wies mir sofort den Weg in den Operationssaal. Ich legte mich auf ein Holzbrett und wartete auf den Arzt. Der Arzt schnitt mir den Bauch bis zum Hals hin auf und sah auf den Wolf. Der Wolf lag sehr ruhig.
Wenn wir den Wolf aus Ihnen herausnehmen, werden Sie sterben, sagte der Arzt.
Ich stand auf und verließ den Operationsraum. Ich ging auf die Straße, und die Leute starrten auf meinen Bauch. Ich war nackt, und der Wolf begann wieder mit seinem Schwanz zwischen meinen Zähnen zu wedeln. Ich stieg den Berg herunter, an der Straßenbahnhaltestelle vorbei. Der Schriftsteller S. trat auf mich zu und teilte mir mit, daß das Bild des Malers M. »Der Schlüssel« aus der Ausstellung in Dresden entfernt und beschlagnahmt worden sei. Ich ging weiter den Berg hinunter, nachdem der Schriftsteller S. sich mit erhobener geballter Faust verabschiedet hatte. Ich bog gleich in die Wilhelm-Pieck-Straße ein und ging auf das Haus Nr. 68 zu, in dem ich wohne.
Die Schicht ist um 5 zuende. Um viertel sechs werde ich am Tor sein. Holst du mich ab?
Was sonst, sagte er, ich bin um fünf am Tor.
Er streichelte ihr über die Wange, beugte sich herunter und küßte sie auf den Hals. Dann drehte er sich um und ging.
Ich hätte es ihr sagen sollen. Morgen kommt sie von der Schicht, und ich bin nicht da. Sie wird denken, ich hätte es vergessen. Bis halb sechs wird sie warten und dann wird sie weinen. Sie wird denken, ich wäre bei irgendeiner gewesen. Als ich mit Harry unterwegs war, hat sie dreimal bei ihm angerufen. Ich hätte es ihr sagen müssen. Oder irgendeine Geschichte, daß ich wegfahre, dann müßte sie morgen nicht warten. Irgendwann erfährt sie es sowieso. Entweder schreibe ich ihr von drüben oder ich bin tot. Vielleicht bin ich morgen um fünf tot. Wie das klingt: Vielleicht bin ich morgen tot. Heute sage ich, daß ich morgen um fünf am Tor bin und morgen um fünf liege ich im Leichenschauhaus. Oder ich sitze vor einem Polizisten. Einer von hier oder einer von drüben? Ich hätte es ihr sagen sollen. Erzähl deine Märchen jemand anders, du denkst doch nicht, daß ich das glaube, was willst du drüben, hätte sie gesagt, mich angesehen und sich umgedreht. Dann wäre ich trotzdem zu der Stelle gegangen und hätte es versucht. Aber es wäre anders gewesen als jetzt.
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