»Du mußt gegen den Wind laufen« - Thomas Brasch - E-Book

»Du mußt gegen den Wind laufen« E-Book

Thomas Brasch

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Beschreibung

Die Sammlung gliedert sich in veröffentlichte Prosa und Prosa aus dem Nachlass von Thomas Brasch. Es folgen Faksimiles einiger Manuskriptseiten, eine editorische Nachbemerkung und ausführliche Anmerkungen mit bibliografischen Angaben und Notizen zu Fassungen, Entstehungsgeschichte und Vernetztheit der Texte untereinander sowie eine Biografie.

Der Band vereinigt Thomas Braschs gedruckte und ungedruckte fiktionale und essayistische Prosa (Erzählungen, Reden, Kritiken, Kommentare, Stellungnahmen) von 1956 bis 2000 – mit Ausnahme des Romankonvoluts Mädchenmörder Brunke.

Von der ersten Veröffentlichung in der Lausitzer Rundschau (1956, da war Brasch elf), dem Märchen Fuchs, Adler und Nilpferd, über den Erzählungsband Vor den Vätern sterben die Söhne – der im Hinstorff Verlag nur mit drastischen Eingriffen hätte erscheinen können und daher Auslöser für den »Landwechsel« Braschs von Ost- nach Westberlin wurde – bis hin zu späten Widmungstexten (etwa zum Tod Heiner Müllers) spannt sich der Bogen über vierzig Jahre. »Der wehleidige Blick in die Vergangenheit ist kein Ersatz für die Verweigerung der Zukunft«, heißt es in Neben Mord strahlen Reime (1979).

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Seitenzahl: 978

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

Thomas Brasch

»Du mußt gegen den Wind laufen«

Gesammelte Prosa

Herausgegeben von Martina Hanf

Suhrkamp

Impressum

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Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

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Mit freundlicher Unterstützung der Akademie der Künste BerlinDank an Kristin Schulz für die Beteiligung an der Vorbereitung dieser Edition

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2025

© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2025

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

eISBN 978-3-518-78024-4

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Zu Lebzeiten veröffentlichte Prosa

Vor den Vätern sterben die Söhne

1   Fliegen im Gesicht

Der Zweikampf

Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl

2   Der Schlag gegen den Kopf des Ochsen

Nichts passiert

Wer redet schon gern von einem Untergang

1

2

3

4

5

Die Besuchszeit darf nicht überschritten werden

Mit sozialistischem Gruß. (Aus Ramturs Nachlaß)

3   Fastnacht

1

2

3

Ausschuss

Eulenspiegel

Verstreut veröffentlichte fiktionale Prosa

Fuchs, Adler und Nilpferd

Das Bild Davids

Jenseits von Herzogenbusch. Drei Vermutungen über Hieronymus Bosch

Erfolg haben ist Pflicht!

Salto mortale

Die Fahrt mit dem Segelboot

Der fremde Herr

Der König vor dem Fotoapparat

Das Haus

Die Geschwister Fuhrmann. Ein Ballett

Ödipus

Zwei fallen

Chlebnikow 1

Da liegt Paul

Chlebnikow 2

[Halts Maul, Kassandra]

6.20 MEZ (nach Slitr)

Selbstkritik 1

Wie dem Tod die Tränen kamen.

Schewski war fällig. Doch der fremde Herr ließ mit sich reden

György Dalos: Geschichten von Z. Zu den Veränderungen in Afghanistan

Der Wunschtraum

Das beste Mittel

Z und die Großzügigkeit des Staates

Lenin und der Staat

Z und die Pressefreiheit

Wer darüber redet, wovon er lebt

György Dalos: Die Dokumente. Die Dokumente der Zeit

Ablehnung eines Ausreiseantrags

Reisebericht

Geheimdiplomatie

Kündigungsbrief

Abschiedsbrief

György Dalos: Kurzprosa. Stimmungsbericht

Sinfonie über die Emigration

György Dalos: Mein Vater. Die nichtexistierende Dichtung des Andor Ivor

Rot oder Jetzt

Leoncegeschichte

Valeriogeschichte.

für Robert H. ‌B.

György Dalos: Aus den fünfziger Jahren

Weltpläne

Der Rock der Großmutter

Tante Rosa

Terminologie

Die Ablösung

Tante Lisa

Die Erklärung

Der Aufsatz

Alexander P.

Neun Punkt Drei Punkt Acht Punkt. Wenn man die Geschichten anderer Menschen schreibt – Ein Robotermärchen

Verstreut veröffentlichte essayistische Prosa

Iwan der Schreckliche. (Iwan Grosny)

2 Teile

Prozeß und Beule. Jahresarbeit an der Filmhochschule

Vorwort

Allgemeines

I

II

III

IV

V

VI

Vorschlag für eine Aufführung der »Räuber« von Schiller

[Erklärung zur Übersiedlung in die Bundesrepublik]

[Brief an Christof Nel (zu »Rotter«)]

Brief an den Regisseur der Uraufführung [»Lovely Rita«]

Die Wiese hinter der Mauer

Es ist alles still

Robert Musil. Die Verwirrungen des Zöglings Törless

Neben Mord strahlen Reime

[Brief an die Bundesregierung]

Liebe und Filz. Zu Klaus Pohls Stück »Da nahm der Himmel auch die Frau«

[Brief an Matthias Langhoff (zu Tschechows »Kirschgarten«)]

Ich will nicht sterben, ist zu wenig

Gegensätze – Widersprüche. Thomas Brasch zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises

Über Majakowski

Er drehte sich um und ging weg

Zu Domino

Sie hat Narben hinterlassen

Warum spielen

[Tschechows Stücke bearbeiten]

Wort und Totschlag

[Stellungnahme zu Marcel Reich-Ranickis Artikel »Macht Verfolgung kreativ?« (im Nachgang zur Verleihung des Kleist-Preises)]

Heil Hitler, Berlin oder Perestroika auf deutsch

Mann ist Mann ist gleich Brecht gegen Brecht

Berlin im Meer. Ein Wunsch

Wiederbelebungsversuch

Aus dem Tagebuch

Hab Dank, Ezra!

[Meine Lieblingsbuchhandlung]

Aus dem Nachlass

Fiktionale Prosa: Texte, Entwürfe, Skizzen

Die zehn Gebote

Schrei lauter, Engel!

Robert W.

Im Bus

Warten

Fahne am Haus

Kriminal

Gleichgültigkeit

Die Badeordnung

Beerdigung

Angst vor Wind

Berlin, Juli 65 vor dem Buchpuff.

Für Hein

Die Blonde

[Gestern habe ich sie nicht]

Westmädchen

Der Blitz

Warschau

Das ist Robert Gold

Albert erzählt eine Geschichte

Freiheit

Eine Wohnung wird verlassen

Einzelhaft

Der fremde Geiger

Ein Dichter

Die Kamera

H.

Meine Beziehungen zur arabischen Republik Syrien

Sprengung

Das Reich des Todes

[der mensch, der in dieser geschichte]

[Zadek]

Die Nacht

Die Uhr

Solter erzählt:

Die Fräserin will nicht Gefängniswärterin werden

[Der Transportarbeiter]

Das Gesicht

Nachruf

Volksfest

Walter Ulbricht

Brüderstraße

Die Sache ist ernst

Eine Liebesgeschichte

Eins ' zwei ' drei

Der Morgen des Städtebewohners

Hand in Hand / Stadt und Land

Friede den Hütten

Annonce

Die Geburt der Maus

Der Esser

Bärbel Gudrun und Heidi

Jürgen Fastnacht. (Filmexposé)

Die Geschichte vom dicken Herrn Bell

Die Geschichte vom langsamen Herrn Henlein

Eine einfache Liebesgeschichte

[Frau Vogel erzählt]

Die Räumung

[Ich fahre in die Kadettenschule]

[Ich gehe mit K. + ihrer Tochter]

[Ich drehe in Kanada einen Film]

[Ich wohne in einer fremden Stadt]

[Ich begegne im Schnee meinem toten Bruder]

[Ich erwarte Leute]

Das Fest der Besiegten. (Entwurf für einen Spielfilm/gleichzeitig dreiteiligen Fernsehfilm)

Der Liebesfall. Exposé für einen Spielfilm/100 Minuten/Farbe

Das Spinnennetz. (Skizze für einen Spielfilm nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Roth – Regie: Bernhard Wicki)

Liebe oder Polizei. Exposé für einen Spielfilm

Nathans Wiederkehr. Exposé für einen sechsteiligen Fernsehfilm

Die Herzausreißer. Exposé für einen Videoclip zum Titel von Oumou Sangare

Fräulein Kuckuck. Beschreibung einer Fernsehserie der Boje Buck Produktion

Zu den Figuren

Zur Struktur

Pilot Harald Juhnke

Die Killerin Kristi: oder: eine Offenbarung

Verkaufe Brautkleid, ungebraucht.

Essayistische Prosa: Texte, Entwürfe, Skizzen

[Tagebuchaufzeichnungen 1969-1970]

23. Oktober 1969

24. Oktober

25. Oktober

26. Oktober

27. Oktober

28. Oktober

29. Oktober

30. Oktober

31. Oktober

2. November

3. November

4. November

5. November

6. November

11. November

14. November

17. November

19. November

25. November

26. November

30. November

10. Dezember

16. Dezember

17. Dezember

18. Dezember

20. Dezember

27. Dezember

1. Januar 1970

5. Januar

8. Januar

12. Januar

13. Januar

14. Januar

15. Januar

18. Januar

19. Januar

20. Januar

21. Januar

23. Januar

25. Januar

27. Januar

29. Januar

30. Januar

3. Februar

16. Februar

18. Februar

23. Februar

24. Februar

25. Februar

26. Februar

27. Februar

7. März

11. März

12. März

15. März

23. März

24. März

6. April

[die beschäftigung mit der kunst]

Brecht

Von der Methode

Tod dem Adjektiv

Unterhaltung

[Das geht wie eine Linie]

An Thomas Brasch. 21. ‌1. ‌72

[Ich will mich verteidigen]

[Die Temperatur ist 34 Grad]

[Ich glaube, die Kälte]

11. ‌3. ‌73

12. ‌3. ‌73

[Intervention gegen die Zensur »im Osten wie im Westen«]

Bier für Bukowski

[In seiner Rede zur Nobelpreisverleihung]

Selbstgespräch

Bildteil

Anhang

Nachbemerkung. Editorische Notizen

Zur Auswahl der Prosatexte

Editorische Prinzipien

Abkürzungen, Kurztitel, Siglen

1. Editorisches

2. Abkürzungen und Zeichen

2.1. Archive

3. Kurztitel der verwendeten Publikationen

3.1. Publikationen der Werke von Thomas Brasch

3.2. Publikationen mit und zu Thomas Brasch

Anmerkungen

ZU LEBZEITEN VERÖFFENTLICHTE PROSA

Vor den Vätern sterben die Söhne

Zuerst spürte ich seinen Kopf

Fliegen im Gesicht

Der Zweikampf

Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl

Der Schlag gegen den Kopf des Ochsen

Nichts passiert

Wer redet schon gern von einem Untergang

Die Besuchszeit darf nicht überschritten werden

Mit sozialistischem Gruß

Fastnacht

Ausschuß

Eulenspiegel

Verstreut veröffentlichte fiktionale Prosa

Fuchs, Adler und Nilpferd

Das Bild Davids

Jenseits von Herzogenbusch (Gedanken zur Mitteltafel des Triptychons von Hieronymus Bosch Der Garten der Lüste; vermutlich zwischen 1490 und 1505, Öl auf Eichenholz, 220 ‌× ‌390 cm, Museo del Prado, Madrid)

Erfolg haben ist Pflicht!

Salto mortale

Die Fahrt mit dem Segelboot

Der fremde Herr

Der König vor dem Fotoapparat

Das Haus

Die Geschwister Fuhrmann

Ödipus

Zwei fallen

Chlebnikow 1

Da liegt Paul

Chlebnikow 2

[Halts Maul, Kassandra]

6.20 

MEZ

(nach Slitr)

Selbstkritik 1

Wie dem Tod die Tränen kamen

György Dalos: Geschichten von Z

György Dalos: Die Dokumente

György Dalos: Kurzprosa

György Dalos: Mein Vater

Rot oder Jetzt

Leoncegeschichte

Valeriogeschichte

György Dalos: Aus den fünfziger Jahren

Alexander P.

Neun Punkt Drei Punkt Acht Punkt

Verstreut veröffentlichte essayistische Prosa

Iwan der Schreckliche

Prozeß und Beule

Vorschlag für eine Aufführung der »Räuber« von Schiller

[Erklärung zur Übersiedlung in die Bundesrepublik]

[Brief an Christof Nel (zu Rotter)]

Brief an den Regisseur der Uraufführung [Lovely Rita]

Die Wiese hinter der Mauer

Es ist alles still

Robert Musil. Die Verwirrungen des Zöglings Törless

Neben Mord strahlen Reime

[Brief an die Bundesregierung]

Liebe und Filz. Zu Klaus Pohls Stück »Da nahm der Himmel auch die Frau«

[Brief an Matthias Langhoff (zu Tschechows Kirschgarten)]

Ich will nicht sterben, ist zu wenig

Gegensätze – Widersprüche

Über Majakowski

Er drehte sich um und ging weg

Zu Domino

Sie hat Narben hinterlassen

Warum spielen

[Tschechows Stücke bearbeiten]

Wort und Totschlag

[Stellungnahme zu Marcel Reich-Ranickis Artikel »Macht Verfolgung kreativ?«]

Heil Hitler, Berlin

Mann ist Mann ist gleich Brecht gegen Brecht

Berlin im Meer

Wiederbelebungsversuch

Aus dem Tagebuch

Hab Dank, Ezra!

[Meine Lieblingsbuchhandlung]

AUS DEM NACHLASS

Die zehn Gebote

Schrei lauter, Engel!

Robert W.

Im Bus

Warten

Fahne am Haus

Kriminal

Gleichgültigkeit

Die Badeordnung

Beerdigung

Angst vor Wind

Berlin, Juli 1965 vor dem Buchpuff

Die Blonde

[Gestern habe ich

SIE

nicht]

Westmädchen

Der Blitz

Warschau

Das ist Robert Gold

Albert erzählt eine Geschichte

Freiheit

Eine Wohnung wird verlassen

Einzelhaft

Der fremde Geiger

Ein Dichter

Die Kamera

H.

Meine Beziehungen zur arabischen Republik Syrien

Sprengung

Das Reich des Todes

[der mensch, der in dieser geschichte]

[Zadek]

Die Nacht

Die Uhr

Solter erzählt

Die Fräserin will nicht Gefängniswärterin werden

[Der Transportarbeiter]

Das Gesicht

Nachruf

Volksfest

Walter Ulbricht

Brüderstraße

Die Sache ist ernst

Eine Liebesgeschichte

Eins ' zwei ' drei

Der Morgen des Städtebewohners

Hand in Hand / Stadt und Land

Friede den Hütten

Annonce

Die Geburt der Maus

Der Esser

Bärbel Gudrun und Heidi

Jürgen Fastnacht

Die Geschichte vom dicken Herrn Bell

Die Geschichte vom langsamen Herrn Henlein

Eine einfache Liebesgeschichte

[Frau Vogel erzählt]

Die Räumung

[Ich fahre in die Kadettenschule]

[Ich gehe mit K. + ihrer Tochter]

[Ich drehe in Kanada einen Film]

[Ich wohne in einer fremden Stadt]

[Ich begegne im Schnee meinem toten Bruder]

[Ich erwarte Leute]

Das Fest der Besiegten

Der Liebesfall

Das Spinnennetz

Liebe oder Polizei

Nathans Wiederkehr

Die Herzausreißer

Fräulein Kuckuck

Die Killerin Kristi: oder: eine Offenbarung

Verkaufe Brautkleid, ungebraucht.

Essayistische Prosa: Texte, Entwürfe, Skizzen

[Tagebuchaufzeichnungen 1969-1970]

[die beschäftigung mit der kunst]

Brecht

Von der Methode

Tod dem Adjektiv

Unterhaltung

[Das geht wie eine Linie]

An Thomas Brasch. 21. ‌1. ‌72

[Ich will mich verteidigen]

[Die Temperatur ist 34 Grad]

[Ich glaube die Kälte]

11. ‌3. ‌73

12. ‌3. ‌73

[Intervention gegen die Zensur »im Osten wie im Westen«]

Bier für Bukowski

[In seiner Rede zur Nobelpreisverleihung]

Selbstgespräch

Biografie

1945

1946

1950

1951

1953

1955

1956

1960

1961

1963

1964

1965

1966

1967

1968

1969

1970

1971

1972

1973

1974

1975

1976

1977

1978

1979

1980

1981

1982

1983

1984

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1992

1993

1994

1997

1998

1999

2000

2001

Danksagung

Fußnoten

Informationen zum Buch

Zu Lebzeiten veröffentlichte Prosa

Vor den Vätern sterben die Söhne

Zuerst spürte ich seinen Kopf, der stark auf meine Blase drückte, und einige Minuten später den Schwanz, der in meinem Mund wedelte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie der Wolf in mich hineingekommen war und warum er verkehrt lag. Ich stieg in die Straßenbahn 63 und fuhr zum Krankenhaus Friedrichshain. Die blonde Pförtnerin wies mir sofort den Weg in den Operationssaal. Ich legte mich auf ein Holzbrett und wartete auf den Arzt. Der Arzt schnitt mir den Bauch bis zum Hals hin auf und sah auf den Wolf. Der Wolf lag sehr ruhig.

Wenn wir den Wolf aus Ihnen herausnehmen, werden Sie sterben, sagte der Arzt.

Ich stand auf und verließ den Operationsraum. Ich ging auf die Straße, und die Leute starrten auf meinen Bauch. Ich war nackt, und der Wolf begann wieder mit seinem Schwanz zwischen meinen Zähnen zu wedeln. Ich stieg den Berg herunter, an der Straßenbahnhaltestelle vorbei. Der Schriftsteller S. trat auf mich zu und teilte mir mit, daß das Bild des Malers M. »Der Schlüssel« aus der Ausstellung in Dresden entfernt und beschlagnahmt worden sei. Ich ging weiter den Berg hinunter, nachdem der Schriftsteller S. sich mit erhobener geballter Faust verabschiedet hatte. Ich bog gleich in die Wilhelm-Pieck-Straße ein und ging auf das Haus Nr. 68 zu, in dem ich wohne.

1 Fliegen im Gesicht

Die Schicht ist um 5 zuende. Um viertel sechs werde ich am Tor sein. Holst du mich ab?

Was sonst, sagte er, ich bin um fünf am Tor.

Er streichelte ihr über die Wange, beugte sich herunter und küßte sie auf den Hals. Dann drehte er sich um und ging.

Ich hätte es ihr sagen sollen. Morgen kommt sie von der Schicht, und ich bin nicht da. Sie wird denken, ich hätte es vergessen. Bis halb sechs wird sie warten und dann wird sie weinen. Sie wird denken, ich wäre bei irgendeiner gewesen. Als ich mit Harry unterwegs war, hat sie dreimal bei ihm angerufen. Ich hätte es ihr sagen müssen. Oder irgendeine Geschichte, daß ich wegfahre, dann müßte sie morgen nicht warten. Irgendwann erfährt sie es sowieso. Entweder schreibe ich ihr von drüben oder ich bin tot. Vielleicht bin ich morgen um fünf tot. Wie das klingt: Vielleicht bin ich morgen tot. Heute sage ich, daß ich morgen um fünf am Tor bin und morgen um fünf liege ich im Leichenschauhaus. Oder ich sitze vor einem Polizisten. Einer von hier oder einer von drüben? Ich hätte es ihr sagen sollen. Erzähl deine Märchen jemand anders, du denkst doch nicht, daß ich das glaube, was willst du drüben, hätte sie gesagt, mich angesehen und sich umgedreht. Dann wäre ich trotzdem zu der Stelle gegangen und hätte es versucht. Aber es wäre anders gewesen als jetzt.

Robert ging über die Straße zur Haltestelle und stieg in die Bahn.

Ich werde irgendwohin fahren. Noch über sechs Stunden. Irgendwo werde ich aussteigen und mich auf eine Bank setzen. Vielleicht trink ich noch einen und gehe dann zu der Stelle. Ich muß jetzt an etwas anderes denken. Ich werde drüben studieren und irgendwann werde ich sie holen, und wir leben zusammen. Wenn es sicher ist, wird sie kommen. Ich werde alles vorbereiten. Oder ich bin tot.

Entschuldigen Sie, die Hiddenseer Straße, können Sie mir sagen, wo ich aussteigen muß. Ich bin hier fremd.

Der kleine Mann lächelte Robert an.

Ich weiß nicht, Hiddenseer. Ich weiß nicht. Ich bin auch fremd hier. Vielleicht fragen Sie den Fahrer.

Schönen Dank, sagte der Kleine und lächelte wieder.

Der Mann begann sich zum Fahrer durchzudrängen, und Robert stieg aus.

Morgen wird sie warten, und übermorgen wird sie ein Ferngespräch anmelden. Meine Mutter wird Angst haben. Das erste, woran sie denken wird, ist der Krach, den sie im Betrieb kriegt. Oder sie denkt an Vater: Wenn der noch leben würde, wäre das nicht passiert. Und ich bin vielleicht tot. Aber wenn ich es schaffe, wird alles anders. Ich rufe an. Das ist gut. Mutter, werde ich sagen. Nein, zuerst rufe ich im Betrieb an. Hallo, sage ich. Ja, Robert, wo bist du? Warum warst du nicht am Tor. Du kannst mich doch nicht. Dann werde ich sie unterbrechen und sagen, ganz ruhig, so, als ob nichts passiert wäre: Ich bin im Westen. Und dann nichts mehr. Ich werde warten, daß sie etwas sagt. Ganz einfach warten.

Hallo, Sie, hallo. Bleiben Sie doch mal stehen. Ja, Sie meine ich.

Aus. Sie haben mich die ganze Zeit beobachtet. Sie wußten von Anfang an alles.

Robert spürte, wie der Schweiß unter seinen Achselhöhlen herausschoß. Er drehte sich um. Aus dem Fenster des Neubaublocks sah ein Mann heraus und streckte den Arm nach unten.

Da unten liegt mein Kissen. Es ist herausgefallen. Der Fahrstuhl ist kaputt. Ich bin nicht mehr gut auf den Beinen. Kannst du es mir heraufbringen? Vierter Stock rechts: Werner. Die Tür ist angelehnt.

Schon gut, sagte Robert, hob das Kissen auf und ging auf das Haus zu. Vor der Fahrstuhltür standen zwei Jungen, und Robert ging hinter ihnen in die Kabine. Sie stießen einander an. Zu Werner, sagte der eine und beide lachten. Im vierten Stock stieg Robert aus, ging den Flur hinunter, öffnete die Tür am Ende des Ganges und trat in die Wohnung. Der Geruch von altem Fett schlug ihm entgegen.

Lassen Sie die Tür offen, hörte er.

Robert ging an der Kochnische vorbei ins Zimmer. Auf dem zerwühlten Bett saß der Alte, nur mit einer Pyjamahose und einem Unterhemd bekleidet.

Bist du geflogen? Vier Stockwerke in einer halben Minute. Nicht schlecht.

Der Fahrstuhl funktioniert, sagte Robert und legte das Kissen auf den Sessel.

Das hätte ich wissen müssen, aber sie sagen einem ja nicht Bescheid, wenn der Hase wieder läuft.

Der Alte schob seine Beine über die Bettkante und sah Robert an.

Willst du einen Tee? Du kannst ein Glas kriegen. Ich setze gleich Wasser auf.

Danke. Ich muß weiter. Machen Sie sich keine Umstände.

Umstände.

Der Alte lachte. Mir macht nichts mehr Umstände.

Ich hab was zu erledigen, sagte Robert.

Ich verstehe schon. Du denkst: Der hat einen ganz schönen Vogel. Erst läßt er mich das Kissen hochbringen, und jetzt soll ich mich noch in seine dreckige Wohnung setzen.

Zwischen jedem Wort holte er tief Luft, und Robert schien, als hörte er ein Pfeifen in der Stimme des Mannes.

So eilig wird es nicht sein, daß du einem alten Mann nicht zehn Minuten Gesellschaft leisten kannst.

Robert setzte sich in den Sessel und sah sich um. Der Alte suchte seine Schuhe, fand einen und ging schließlich barfuß in die Kochnische.

Er hat gewußt, daß der Fahrstuhl funktioniert. Was soll ich mit ihm reden? Es ist auch egal. Sechs Stunden. Besser hier sitzen als auf der Straße vor jeder Uniform zittern.

Der Alte begann zu husten. Er stand am Spülbecken und ließ das Wasser in den Kessel laufen. Der Husten wurde stärker, und plötzlich ließ der Alte den Kessel fallen und erbrach sich ins Becken.

Jetzt kotzt der auch noch.

Robert ging in die Kochnische.

Es geht gleich wieder, flüsterte der Alte, und sein Körper zitterte.

Dann erbrach er sich wieder, und Robert sah die roten Klumpen im Becken. Der Alte drückte den Kopf gegen die Wand. Tränen rannen über sein Gesicht. Seine Hose rutschte herunter. Er griff nach ihr, aber er bekam sie nicht mehr zu fassen. Robert bückte sich und zog sie wieder hoch. Das Zittern des Körpers wurde stärker.

Jetzt kippt er weg.

Robert faßte ihn an den Schultern und in den Kniekehlen, hob ihn hoch und trug ihn zum Bett. Der Alte hatte die Augen geschlossen.

Wie leicht er ist.

Robert schob ihm das Kissen unter den Kopf und deckte ihn zu. Dann ging er zur Tür.

Ich kann ihm auch nicht helfen. Warum sollte ich dableiben. Irgendwo muß dieser verdammte Fahrstuhl gewesen sein.

Suchen Sie jemand, hörte Robert hinter sich eine Stimme. Die grauhaarige Frau stand in der Wohnungstür und trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab.

Ich wollte zu Herrn Werner.

Von dort kommen Sie doch gerade, oder?

Ich habe vielleicht das Schild übersehen. Vielleicht habe ich den Namen falsch gelesen.

Die Frau schob das Geschirrtuch unter ihre Schürze.

Was wollen Sie denn von Herrn Werner.

Ich soll ihm was bringen, von seiner Schwester.

Sie trat einen Schritt auf ihn zu.

Was denn, eine Schwester hat der? Das kann doch nicht wahr sein. Das ist der Gipfel. Die sollte lieber mal selber kommen, statt jemanden herzuschicken. Ihr Bruder machts nicht mehr lange, das können Sie ihr sagen. Der ist schon jetzt nicht mehr ganz bei sich. Hier oben, meine ich. Den ganzen Tag marschiert er im Stechschritt durchs Zimmer. Oder er holt fremde Leute in die Wohnung. Jetzt hat er auch noch angefangen, nachts zu singen. Singen, was sage ich. Er krächzt. Und plötzlich stellt sich heraus, er hat eine Schwester. Sagen Sie ihr mal, sie soll …

Robert drehte sich um und ging zurück.

Sagen Sie es ihr. Ihr Bruder verreckt hier, und sie schickt irgendwelche Leute. Sie sollte sich was schämen.

Der Alte schlief. Robert deckte ihn zu und sah ihn an. Das Gesicht war faltig, von Bartstoppeln bedeckt, vom Ohr zum Kinn lief eine tiefe Narbe. Die Fingernägel waren lang und schmutzig. Jetzt bewegte er sich und stöhnte. Er schob die Decke zurück, und Robert sah die schmale behaarte Brust, die sich in unregelmäßigen Abständen hob und senkte. Das Turnhemd war fleckig und an einer Stelle ausgerissen. Robert schob dem Alten die Decke bis unters Kinn und setzte sich wieder in den Sessel. Er zog eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an.

Und wenn er stirbt. Ein Arzt? Die Polizei: Was wollen Sie in dieser Gegend. Woher kennen Sie den Mann. Sie werden kein Wort glauben. Ein Kissen. Haha. Das sagen Sie doch nicht im Ernst. Wohin wollten Sie. Was arbeiten Sie. Im Augenblick gar nicht. Das ist interessant. Folgen Sie uns. Klärung eines Sachverhalts.

Robert warf die Zigarette in eine leere Vase, stand auf, ging zum Bücherschrank neben der Tür, nahm ein Buch heraus und las:

Fern von Moskau.

Er schlug das Buch in der Mitte auf:

Sie werden es selbst hinbringen, Genosse Sjatkow, werden mit dem Genossen Umara und Batmatew zusammen dieses kostbare Geschenk Genossen Stalin persönlich überreichen, antwortete Pissarew. Wieder dröhnte Beifall, wie ihn der Adun und die uralte Taiga noch niemals gehört hatten.

Robert schloß das Buch und stellte es zurück.

Auch das noch. So einer. Das klassische Paar: Junger Bürger vor der Flucht trifft auf Veteran der Arbeiterbewegung.

Robert nahm den Bilderrahmen aus dem Regal. Von einem Zeitungsfoto sahen ihn Männer in Lederjacken mit geschulterten Gewehren und Sternen auf den Mützen an.

Rot Front, sagte Robert.

Da war ich dabei, hörte Robert und drehte sich um.

Der Alte hatte seinen Rücken gegen das Kopfende geschoben und sah ihn an.

Da war ich vor 38 Jahren. In Spanien. Gib mal her.

Robert ging zum Bett und gab ihm das Bild.

Ich habs aus der Berliner Zeitung ausgeschnitten.

Der Alte legte sich auf den Rücken und hielt das Foto mit beiden Händen vor seine Augen.

Vor 38 Jahren, flüsterte er, und ich war dabei.

Schon gut. Soll ich Ihnen Tee machen.

Du glaubst es wohl nicht. Aber es ist so. Ich war dabei und immer, wenn ich das Bild sehe, fühle ich mich wie damals. Es war eine große Zeit. Andere haben in ihrem Leben nichts geschafft als zwei Kinder und drei Tage Treueurlaub. Bei mir ist das anders.

Ich mache Tee. Robert ging in die Kochnische.

Habe ich lange geschlafen, fragte der Alte.

Nicht lange, sagte Robert und ließ das Wasser in den Kessel laufen. Ein paar Minuten bloß.

Er suchte die Streichhölzer.

Tut mir leid wegen vorhin.

Robert stellte den Kessel auf die Flamme:

Wo ist der Tee.

Der Alte hatte sich zur Wand gedreht und sah noch immer auf das Bild.

Unten im Schrank.

Robert füllte Tee in die Kanne. Dann setzte er sich auf einen Hocker in der Kochnische und wartete.

Immer wenn ich das Bild sehe, denke ich daran. Ich sehe die Sterne an den Mützen und gleich höre ich auch die Schüsse und sehe die Fliegen in den toten Gesichtern.

Ja, ja, sagte Robert.

Er sah den Alten sprechen, aber er hörte ihm nicht mehr zu. Nach einigen Minuten stand er auf und goß das kochende Wasser in die Kanne. Er nahm zwei Gläser aus dem Schrank, ging ins Zimmer und setzte sich wieder in den Sessel.

Sowas kann man nicht vergessen, sagte der Alte und drehte sich zu Robert.

Hör auf. Ich kenn das Lied. Ich habe es schon im Kindergarten vorgespielt bekommen.

Der Alte sah ihn gerade an.

Was ist los mit dir.

Nichts. Mit mir ist nichts los. Ich weiß nur, was jetzt kommt, und will es nicht zum tausendsten Mal hören.

Ach so, du willst es nicht hören, sagte der Alte. Aber deine Schlabbermusik, dein Dabidubidai auf elektrisch, das willst du hören.

Laß gut sein. Ich kenn das Spiel auswendig. Gleich wirst du sagen, daß wir alles besser wissen. Daß wir hinten alles reingestopft bekommen und vorn das Maul aufreißen.

So ist es, sagte der Alte.

Es hat euch keiner drum gebeten. Das ist doch die Antwort, die du hören wolltest, oder.

Geh zum Fenster. Los.

Was soll das schon wieder.

Das wirst du sehen.

Robert ging zum Fenster.

Was siehst du. Sag mir nur was du siehst. Vor dreißig Jahren hättest du nichts gesehen als Trümmer und Dreck. Und was siehst du jetzt?

Kästen, sagte Robert, Riesenknast mit Grünanlagen.

Ach so, schrie der Alte, Ruinen sind wohl schöner, Frieren ist wohl besser.

Hör auf. Schon gut. Ich habe dir gesagt, daß ich das Spiel kenne. Ich gehe, brüll du deine schönen neuen Wände an.

Robert ging zur Tür.

Warte, rief der Alte. Es ist meine Schuld. Ich wollte dir etwas anderes sagen. Ich war in Spanien. Wir haben gekämpft und wir wußten wofür. Ich habe die Fliegen auf den Gesichtern der Toten gesehen. Ich war ein junger Mann. Aber sie haben uns fertiggemacht. Als es keinen Sinn mehr hatte, sind wir über die Grenze gegangen. Es war nicht einfach, doch als es nicht weiterging, mußten wir über die Grenze.

Gut, sagte Robert und setzte sich wieder in den Sessel, spielen wir es zuende. Ihr mußtet also über die Grenze und ihr seid gegangen. Über welche Grenze kann ich gehen, wenn es keinen Sinn mehr hat?

Wie meinst du das.

Stell dich nicht dümmer als du bist, sagte Robert und sah den Alten gerade an. Das gehört doch zu diesem Gesellschaftsspiel. Du hattest deinen Text, jetzt habe ich meinen, und der heißt: Ich kann nicht machen, was du konntest. Schließlich habt ihr um die schönen Häuser auch noch eine Mauer gebaut.

Wenn wir sie nicht gebaut hätten, wärt ihr jetzt alle drüben, wo es glitzert und funkelt. Der Alte lehnt sich zurück.

Oder gerade nicht, sagte Robert.

Was willst du denn drüben. Was willst du denn von denen.

Gar nichts. Von denen will ich gar nichts. Aber besser da, als hier fern von Moskau. So, und jetzt kannst du zur Telefonzelle gehen. Polizeiruf 110.

Der Alte sah ihn an.

Was ist mit dir los. Wer hat dir was getan. Was willst du denn. Robert stand auf und stellte sich in die Mitte des Zimmers. Ihm schien, als habe er diese Sätze schon hundertmal gesagt und seiner eigenen Stimme dabei zugehört.

Was ich will, schrie er, diese Nabelschnur durchreißen. Die drückt mir die Kehle ab. Alles anders machen. Ohne Fabriken, ohne Autos, ohne Zensuren, ohne Stechuhren. Ohne Angst. Ohne Polizei.

Er schlug mit der Faust gegen das Regal, aber die Müdigkeit blieb in seiner Stimme.

Von vorn anfangen in einer offenen Gegend.

Setz dich doch hin, sagte der Alte.

Ich weiß, schrie Robert weiter, das war alles schon da, das klingt alles pathetisch, das ist alles nichts Neues. Wenn ich was Besseres wüßte, würde ich jetzt nicht hier stehen.

Er ließ die Arme sinken. Der Alte stand auf, nahm den Plattenspieler aus dem Regal und stellte ihn auf den Tisch vor das Bett, ging zum Schrank und nahm eine Schallplatte aus dem Fach.

Setz dich hin, sagte er, du zitterst ja.

Robert ließ sich in den Sessel fallen.

In Spanien stands um unsere Sache schlecht. Zurück gings Schritt um Schritt, sang eine harte metallische Stimme. Und die Faschisten brüllten schon: Gefallen ist die Stadt Madrid.

Madrid, hörte Robert auch den Alten singen.

Da kamen sie aus aller Welt mit einem roten Stern am Hut. Am Manzanaras kühlten sie dem Franco das zu heiße Blut. Das waren Tage der Brigade 11 und ihrer Freiheitsfahne …

Robert sah, wie der Alte die Augen schloß.

Noch fünf Stunden. Ich werde an die Grenze gehen. Sie werden schießen. Ich werde daliegen mit Fliegen im Gesicht.

Es war wieder still im Zimmer.

Der Alte öffnete die Augen.

Manchmal denkt man, es ist einem egal, sagte er leise. Es gibt nichts mehr, was einen freut. Die Freunde sind tot oder kennen dich nicht mehr. Es könnte einem egal sein, aber plötzlich hat man Angst. Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn ich in Spanien gefallen wäre. Aber ich werde hier sterben, im Bett neben einem Plattenspieler.

Robert stand auf und legte den Tonarm wieder auf die Platte.

In Spanien stands um unsre Sache schlecht, sang die Stimme wieder.

Wir haben nichts gemeinsam, sagte der Alte.

Robert drehte den Knopf für die Lautstärke bis gegen den Anschlag, und die Musik übertönte die Stimme des Alten. Doch, sagte Robert, wir haben beide Angst vor den Fliegen im Gesicht.

Was, schrie der Alte, beugte sich nach vorn und sah plötzlich zur Tür.

Robert drehte sich um. Neben dem Schrank stand die grauhaarige Frau aus dem Flur. Sie kam durchs Zimmer, ging auf den Tisch zu und riß den Tonarm von der Platte.

Sind Sie endgültig verrückt geworden, schrie sie den Alten an, müssen Sie sich das Zeug bei voller Lautstärke anhören? Es gibt noch Leute, die ihre Ruhe haben wollen, wenn sie von der Schicht kommen. Ich werde mit Ihrer Schwester sprechen. Sie gehören in ein Altersheim oder in die Irrenanstalt.

Die Frau wandte sich um.

Sind Sie auf seine großen Geschichten reingefallen, sagte sie. Ihnen hat er wohl auch erzählt, daß er ein Freiheitskämpfer war. In Rußland oder in Spanien oder bei den Indianern. Ruhmreiche Vergangenheit. Orden und Ehrenzeichen. Daß ich nicht lache.

Der Alte sprang auf. Seine Hände zitterten.

Der ist in seinem Leben nicht weitergekommen als bis Oranienburg, und jetzt holt er sich jeden Tag junge Leute rauf, spielt ihnen den großen Mann vor und verstopft mit seinen Zeitungen den Müllschlucker.

Robert sah, wie der Alte einen Schritt auf die Frau zu machte.

Mach, daß du rauskommst. Faschistin, Nazikrähe, solche Weiber haben Hitler an die Macht gebracht, dieses Land ins Unglück gestürzt und jetzt fressen sie den ganzen Tag Butterkremtorte.

Die beiden starrten einander haßerfüllt in ihre Gesichter. Robert drückte sich gegen das Kissen und sah auf die Uhr.

Der Zweikampf

Als sie sahen, wie Marsyas den Berg heraufkam, wußten sie, daß der Sieger des Kampfes Apoll heißen würde. Marsyas' Gang war der Gang eines Mannes, der verliert, bevor er begonnen hat. Auf der Hälfte des Berges angelangt, warf er sich ins Gras, als wolle er schlafen, wälzte sich von einer Seite auf die andere, sprang wieder auf und setzte seinen Weg zum Gipfel fort. Als er den letzten Felsvorsprung unter dem Plateau erreicht hatte, sahen sie seine glanzlosen Augen und die Hirtenflöte in seinem Gürtel und waren jetzt sicher, daß es sich bei diesem Mann um den Erwarteten handelte. Sie flüsterten miteinander und verließen ihr Versteck auch nicht, als Marsyas die Wiese betrat, die als Kampfstätte ausgemacht war.

Apoll kam hinter dem Baum hervor, als Marsyas die Wiese betreten hatte.

Du bist Marsyas, sagte Apoll.

Der Hirte antwortete nicht.

Du hast mich zum Wettbewerb gefordert. Hier ist mein Instrument.

Apoll streckte seine Leier über den Kopf.

Es ist warm hier oben, sagte Marsyas, und sie konnten aus ihrem Versteck das Grinsen aus seinem vernarbten Gesicht erkennen.

Ich habe gehört, du spielst jeden Tag auf deiner Flöte, wenn du deine Schafe hütest, sagte Apoll.

Es sind nicht meine Schafe, sagte Marsyas.

Aber du spielst jeden Tag, fragte Apoll.

Morgens, antwortete Marsyas.

Du vertreibst dir deine Langeweile damit, sagte Apoll.

Vielleicht, antwortete Marsyas.

Man sagt: Keiner beherrscht dieses Instrument besser als du. Haben dich viele gehört?

Viele Schafe, sagte Marsyas.

Heute werden dich die Musen hören, rief Apoll und gab das verabredete Zeichen zu den Büschen hinüber.

Sie traten aus ihrem Versteck, stellten sich im Halbkreis um die beiden auf, hoben die Arme und sagten:

Der Wettbewerb beginnt mit einem Vergleich der Instrumente. Dein Instrument, Apoll.

Apoll setzte sich ins Gras und stellte die Leier auf seine Knie. Er zupfte einige Töne, drehte das Instrument auf seine Spitze und zupfte wieder einige Töne.

Mein Instrument ist von beiden Seiten spielbar, sagte er.

Kannst du auch dein Instrument von beiden Seiten spielen, fragten sie Marsyas.

Nein, sagte Marsyas.

Erster Vorteil des Apoll im Wettbewerb, sagten sie und schritten einen Kreis um die beiden.

Die zweite Übung, Zweck und Mittel.

Apoll setzte ein Bein vor, warf den Kopf in den Nacken und begann mit hoher Stimme zu singen:

Ich will von Atreus' Söhnen / und will von Kadmos singen / doch wollen meine Saiten / nur von der Liebe klingen. / Sie singen nur von Liebe / drum wechsle ich die Saiten / will Herakles besingen / sein Leben und sein Streiten. / Doch auch die neuen Saiten / nur von der Liebe klingen / Auf Wiedersehen, ihr Helden / bis mir die Saiten springen.

Marsyas begann zu lachen. Er hielt sich den Bauch, er warf sich auf die Erde. Sein Körper bog sich. Doch auch die neuen Saiten nur von der Liebe singen, stöhnte er unter Lachen.

Dann stand er plötzlich auf und sagte:

Weiter. Die nächste Übung.

Diese Übung ist noch nicht beendet, sagten sie. Kannst du zu deinem Instrument einen Text vortragen. Oder bist du nur fähig, Töne hervorzubringen, ohne einen Inhalt auf den Zuhörer zu übertragen?

Das ist eine Flöte, sagte Marsyas.

Zweiter Vorteil für Apoll. Die dritte Übung: Das instrumentale Spiel.

Apoll spielte fast eine Stunde. Es schien, als wäre Marsyas im Stehen eingeschlafen. Er hielt die Augen offen und hatte sie auf Apoll gerichtet, aber sie waren wie tot.

Ich spiele nicht, sagte er, als Apoll die Leier ins Gras gelegt hatte.

Wollen wir eine Pause einlegen, fragte Apoll.

Es ist mir gleichgültig, sagte Marsyas.

Was heißt: Es ist mir gleichgültig, sagten sie. Du bist hergekommen, um gegen Apoll anzutreten. Wie sollen wir entscheiden, welcher der beiden Künstler der bedeutendere ist, wenn wir von dir nichts hören außer Reden?

Schaff die Weiber weg, sagte Marsyas.

Sie sollen über uns richten, sagte Apoll.

Ach, sagte Marsyas, sie sollen hingehen, wo sie hergekommen sind, und ihre dürren Titten in kaltes Wasser hängen.

Das will ein Künstler sein, schrien sie. Reden und eine Sprache wie im Stall. Er ist nicht würdig, dein Gegner zu sein, Apoll.

Marsyas drehte sich mit einem Ruck zu ihnen um. Sein Gesicht war von Haß so verzerrt, daß auf seiner Haut rote Flecken entstanden.

Noch ein Wort, schrie er, und ich schlage euch die stinkenden Zähne in die Fressen.

Bauer, sagten sie, und drehten ihm den Rücken zu.

Sieh dir diese brutalen Ärsche an, schrie Marsyas. Willst du im Ernst, daß soetwas entscheidet, Mann?

Vielleicht hast du recht, sagte Apoll, aber wer soll es sonst tun?

Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß Marsyas nicht die Kunst des Flötespielens beherrschen kann. Vielleicht spielt er tatsächlich, wenn er bei seinen Schafen sitzt, aber wenn es darum geht, seine Kunst Sachkundigen zum Urteil vorzustellen und sie zu messen, zeigt sich, daß er versagt. Wir wußten es schon, als wir ihn den Berg heraufkommen sahen.

Beweise ihnen das Gegenteil, sagte Apoll.

Ich habe keine Lust.

Aber du hast überall verbreitet, daß du den Mächtigen zu Fall bringen wirst. Jetzt ist die Gelegenheit, sagte Apoll.

Ich bin nicht mehr interessiert.

Was willst du machen, fragte Apoll.

Nichts, sagte Marsyas.

Er zog seine Flöte aus dem Gürtel, warf sie Apoll vor die Füße, drehte sich um und ging über die Wiese zum Abhang.

Erst jetzt sahen sie die Tränen in den Augen Apolls. Er stützte den Kopf in die Hände und rieb sich die Augen. Sein Körper zitterte.

Holt ihn zurück, stöhnte er. Holt ihn zurück, schrie er.

Marsyas wollte eben den Abstieg beginnen, als sie ihn einholten.

Komm zurück. Er weint, sagten sie.

Ich komme, wenn ihr mir nacheinander den Arsch leckt, sagte er und ließ seine Hosen fallen.

Eine nach der anderen ließ ihre Zunge über sein verpickeltes Fleisch streifen. Dann kehrten sie mit Marsyas auf die Wiese zurück. Apoll lag noch immer auf der Erde, sein Gesicht im Gras. Der Hirte ging zu ihm und trat ihm mit aller Kraft in die Rippen.

Jetzt heulst du, schrie er. Du dachtest, ich hätte dich nicht durchschaut. Du dachtest, Marsyas ist dümmer als ein Stück Vieh.

Bei jedem Wort, das er sprach, trat Marsyas Apoll stärker in die Seite. Er tanzte um den weinenden Mann, er sprang von einem Bein auf das andere. Er riß die Arme hoch und tanzte. Sein Geschrei wurde mit jedem Sprung lauter, bis es plötzlich abbrach, und Marsyas erschöpft ins Gras fiel. Seine Hände krampften sich in den nassen Boden. Apoll kroch zu ihm.

Spiel, hustete er und schob ihm die Flöte zwischen die Finger.

Laß mich, sagte Marsyas.

Sag mir den Grund.

Welchen Grund.

Wenn du nicht spielst, werden sie dich töten, sagte Apoll.

Marsyas steckte das Holz in den Mund und biß mit aller Kraft hinein, bis seine Zähne brachen.

Bist du deshalb hergekommen, fragte Apoll.

Marsyas antwortete nicht. Er starrte ins Gras. Apoll sprang auf.

Das Urteil, das Urteil, schrie er. Wer ist der Sieger?

Du bist der Sieger, Apoll, antworteten die Musen im Chor.

Bestraft den Unterlegenen, rief Apoll, schnell.

Sie rissen ihre Messer unter den Kleidern hervor und stürzten sich auf den Liegenden. Zwei hielten ihn an den Armen, zwei an den Beinen, zwei fetzten ihm die Kleider vom Körper. Als er nackt vor ihnen lag, drehten sie ihn auf den Rücken. Marsyas starrte sie an. Seine Lippen bewegten sich. Er spuckte einen Zahn aus.

Worauf wartet ihr, sagte Apoll, tut ihm den Gefallen.

Sie setzten ihre Messer an, schnitten ihm die Kerben in Handgelenke und Hals und zogen ihm die Haut vom Körper. Marsyas starrte sie an. Nur sein Gesicht und die Hände waren noch von Haut bedeckt. Er sah aus, als hätte er eine Maske aufgesetzt und Handschuhe angezogen. Aus seinen Adern sprang das Blut. Ein Wind kam auf, und sie sahen, wie die Luft seine Nervenstränge bewegte. Jetzt erst begann er zu schreien. Einmal schien ihnen, als hätte er aufgehört, obwohl sein Mund offenstand, ein anderes Mal dachten sie, der Ton wäre in eine für sie nicht mehr hörbare Höhe gestiegen.

So gut wie jetzt kann er auf der Flöte nicht gewesen sein, sagte Apoll.

Marsyas griff mit den Armen in die Luft, und sie verstanden, daß er aufstehen wollte. Apoll zog ihn hoch. Der Schreiende ging über die Wiese bis zum Abhang. Er brüllte seinen Ton über das Tal, und sein Blut stürzte ohne Halt aus seinem Körper.

Apoll ging zu ihm und reichte ihm seine Flöte. Marsyas schleuderte sie hinunter und brach zusammen. Sie glaubten, er wäre tot, aber plötzlich hob er seinen Kopf und bewegte den Mund.

Was sagt er, fragte Apoll.

Sie konnten nicht verstehen, was Marsyas sagte. Er begann wieder zu schreien. Wieder brach der Schrei ab, der Mund blieb offen stehen, die Augen starrten sie an.

Er ist tot, sagten sie.

Nehmt die Haut. Wir werden sie an der Quelle befestigen und das Wasser durch sie lenken, sagte Apoll. Der Fluß soll Marsyas heißen. Ihr gebt bekannt, daß er im Wettbewerb unterlegen ist und zur Strafe gehäutet wurde.

Wie du befiehlst, sagten sie und legten den Schlauch zusammen, der Marsyas Haut gewesen war.

Warte, Apoll, riefen sie, als sie den Göttersohn weggehen sahen, wir kommen mit.

Apoll drehte sich nicht um. Er beschleunigte seine Schritte.

Warte, riefen sie noch einmal.

Apoll blieb stehen und wandte sich zu ihnen.

Bleibt mir vom Hals.

Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl

Also, sagte er und sah mich an. Sie können überzeugt sein: Wir wissen nicht alles, aber so ahnungslos wie Sie glauben sind wir auch nicht. Er rollte die Bleistifte wieder auf die rechte Seite des Schreibtischs.

Fünfunddreißig, dachte ich, älter kann er nicht sein.

Also, sagte er wieder.

Ich habe ihn vor sechs Wochen zum letzten Mal gesehen, sagte ich, woher soll ich wissen, wo er jetzt ist.

Das habe ich schon dreimal von Ihnen gehört.

Er stand auf, legte die Arme auf den Rücken, drehte sich um, ging zum Fenster und sah hinaus. Ich hörte das Klappern der Schreibmaschine im Nebenzimmer. Von der Straße drangen Kinderstimmen herauf.

Sie machen es uns nicht leicht, sagte er und nach einer Pause fügte er hinzu: Sich selbst auch nicht.

Ich kann Ihnen nichts sagen, was ich nicht weiß. Ich habe Robert vor sechs Wochen zum letzten Mal gesehen und danach nichts mehr von ihm gehört.

Er sah weiter aus dem Fenster.

Sehen Sie: Genau das ist es, was wir nicht glauben.

Ihre Sache, sagte ich.

Es war jetzt still geworden, und ich konnte seinen schweren Atem hören.

Ihren Schlüssel, sagte er nach einigen Sekunden.

Was für einen Schlüssel.

Er drehte sich um.

Ich fordere Sie auf, mir Ihren Wohnungsschlüssel für eine Hausdurchsuchung zu übergeben. Wenn Sie ihn uns nicht freiwillig aushändigen, werden die betreffenden Genossen gezwungen sein, die Tür auf eine andere Weise zu öffnen.

Er ging zum Telefon. Während er sprach, hielt er seine Augen auf mich gerichtet.

Bei euch, sagte er und nach einer Pause: Nein. Ins Zimmer 3106.

Er streckte die Hand aus. Ich zog den Schlüssel aus der Tasche und legte ihn hinein.

Ja, sagte er ins Telefon, sie nicht.

Er legte den Hörer zurück.

Sie werden jetzt in einem Raum Platz nehmen. Denken Sie nach, wann Sie Ihren Freund zum letzten Mal gesehen haben und welche Pläne er Ihnen gegenüber geäußert hat. Und vergessen Sie nicht: Wir sind nicht allwissend, aber wir sitzen auch nicht nur so herum.

Was wollen Sie in meiner Wohnung, sagte ich. Jedes Wort schien mir nutzlos. Er lächelte. Die Tür hinter mir wurde geöffnet. Ich drehte mich um. Ein junger Polizist war eingetreten und salutierte.

Haben Sie noch Fragen, fragte der Vernehmer.

Was ist mit Robert. Haben Sie ihn verhaftet.

Gäbe es einen Grund, fragte er und sah mich an.

Ich stand auf. Sein Gesicht hatte noch immer den gleichen müden Ausdruck wie zu Beginn der Vernehmung.

3106, sagte er.

Der Polizist salutierte wieder. Er trat einen Schritt auf mich zu.

Folgen Sie mir, sagte er.

Ich ging vor ihm aus dem Zimmer. Er wies mit der Hand zum Ende des Flures und folgte mir, als ich auf die geöffnete Tür neben der Treppe zuging. Ich betrat das Zimmer und blieb in der Mitte stehen.

Wenn Sie auf die Toilette wollen, klopfen Sie, sagte er und schloß die Tür. An der hinteren Wand standen zwei Hocker. Ich setzte mich auf den größeren, lehnte mich nach hinten gegen die Wand und schloß die Augen. Hinter meinen Lidern verschwammen rote und blaue zuckende Kreise, und ich spürte das dumpfe Pochen unter der Haut an meinem Hals.

Dieser Idiot. Irgendetwas mußte kommen, dachte ich. Wahrscheinlich hat er wieder Volksreden gehalten, und sie haben ihm das Maul gestopft. Dann haben sie ihm Feuer unterm Hintern gemacht, und er hat gesungen. Wie sollten sie sonst auf mich gekommen sein.

Ich hatte ihn zum ersten Mal gesehen, als er im Kino in der Reihe vor mir gesessen hatte. Die ganze Woche über war in Berlin umgegangen, daß der Film verboten werden sollte und in anderen Städten zu Krawallen geführt hatte. Ich hatte mir am Vormittag nach zwei Stunden Warten eine Karte erkämpft, und jetzt saß dieser riesige Kerl vor mir, und ich sah mich zwei Stunden lang auf seinen Hinterkopf starren. Nach der Wochenschau tippte ich ihm auf die Schulter:

Zieh deinen Kopf ein, Mann.

Er wandte sich um:

Heute zieht hier keiner irgendetwas ein.

Er lachte und schob sich dann tiefer in seinen Sitz. Schon nach den ersten Minuten des Films begann die Unruhe im Saal. Die Bauarbeiter waren nach der Demonstration nackt in den Baggerteich gesprungen, und als ein Polizist sie herausbefahl, schwamm der riesige Brigadier auf ihn zu, packte ihn am Bein und riß ihn ins Wasser. Der Polizist paddelte hilflos umher, die Arbeiter lachten, und aus den Lautsprechern auf der Baustelle dröhnten die Losungen der Kundgebung: Sozialismus. Frieden.

Schweinerei, rief eine Stimme aus dem Dunkel, Verhöhnung unserer Staatsmacht.

Ein Teil des Publikums antwortete dem Rufer mit Lachen. Der Film lief weiter, die Bauarbeiter machten ihre Späße mit der Polizei und dem Parteisekretär, das Lachen vor der Leinwand wurde lauter und die Zwischenrufe drohender. Als der Brigadier den Parteisekretär vom Balken stieß, hörte ich Beifall aus den vorderen Reihen. Zwei Plätze vor mir erhob sich ein etwa vierzigjähriger Mann und rief über die Köpfe:

Wir lassen unseren Staat nicht in unseren Kinos beleidigen. Ich sah, wie Robert sich in seinem Sitz hochschob und sich zu dem Mann umdrehte:

Wessen Staat.

Deiner nicht, sagte der Mann, ohne Robert anzusehen. Wir verlangen sofortige Unterbrechung der Vorführung, schrie er.

Überall im Saal standen jetzt Männer auf und brüllten, wurden in ihre Sitze zurückgezerrt, und auf der Leinwand standen die Bauarbeiter, bewegten die Münder, waren aber nicht mehr zu verstehen.

Wer hat diesen Film zugelassen, rief wieder der Mann neben mir, er beleidigt die Arbeiterehre.

Meine nicht, sagte ich und sah, wie Robert den Kopf herumdrehte.

Was willst du denn für ein Arbeiter sein, sagte der Mann.

Schlosser, antwortete ich, Transformatorenwerk. Wollen Sie meinen Betriebsausweis sehen?

Der Mann beugte sich herüber, streckte seinen Arm aus und zerrte mich am Hemd.

Hast du überhaupt bezahlt?

Ich versuchte die Hand wegzuschlagen, aber in diesem Augenblick griffen viele Hände aus dem Dunkel nach meinem Hemd und hielten mir die Arme fest.

Laßt den los, sagte Robert, aber die Hände zerrten mich aus meinem Sitz.

Zeig deine Karte. Provokateur.

Ich sah Robert über seinen Sessel in meine Reihe springen. Ich spürte, wie er die Hände von meinem Hemd losriß. Jetzt erst bemerkte ich, daß die Leinwand dunkel geworden war. Das Licht ging langsam an, die Köpfe der Jungen und Mädchen, die vorher dem Film applaudiert hatten, verschwanden in ihren Sesseln, und ich sah die haßverzerrten Gesichter um mich. Die Männer setzten sich wieder. Vor der Leinwand erschien der Leiter des Kinos.

Unter diesen Umständen kann die Vorführung des Films nicht fortgesetzt werden, sagte er, die Leitung des Lichtspieltheaters lehnt es ab, ein Kunstwerk vor einem Publikum zu zeigen, das sich in tumultartige Diskussionen ergeht, statt dem Film Aufmerksamkeit zu widmen.

Robert und ich waren die einzigen, die noch standen. Ich sah, wie sich alle Köpfe nach uns umwandten.

Robert begann zu sprechen:

Wir verlangen, daß die Vorführung weitergeht. Wenn es in diesem Kino zwei Parteien gibt, wird die eine von jetzt an keine Diskussionen mehr führen, und die andere Partei fordere ich auf, sich nach dem Ende des Films mit uns zu einer Diskussion in der Milchbar zu treffen. Noch kein Film hat eine Welt umgerissen.

Robert stieg über den Sessel und wir setzten uns wieder.

Bravo, schrien einige, und ein gewaltiger Beifall ging durch die Reihen. Der Leiter des Kinos zuckte mit den Schultern, gab ein Zeichen mit dem Arm und verschwand von der Leinwand. Das Licht ging langsam aus, und der Film lief wieder an. Einige Rufer versuchten mit ihren Nachbarn weiterzudiskutieren, aber sie erhielten keine Antwort mehr. Nacheinander standen die Männer auf und gingen zur Tür. Auch der Mann neben mir verließ seinen Platz.

Ihr beide werdet euer blaues Wunder erleben, rief er uns beim Weggehen zu. Das lassen wir uns nicht gefallen, rief ein anderer und warf die Tür krachend hinter sich zu.

Als nach Ende des Films das Licht wieder anging, sah ich, daß nur noch die Hälfte der Plätze besetzt waren. Ich ging neben Robert zum Ausgang. Er gab mir die Hand:

Robert, sagte er.

Wir kamen auf den Vorplatz, wo die Menge noch immer stand und sich nicht wegbewegte.

Das geht nicht gut, sagte Robert.

In diesem Augenblick trat ein blonder Junge auf uns zu.

Wir kommen von der Karl-Marx-Universität Leipzig, sagte er zu Robert, was wollen wir jetzt machen?

Robert wollte antworten. Ich sah, wie sich von der Ecke des Kinos drei Männer lösten und sich auf uns zu bewegten. Einer von ihnen war der Mann aus meiner Reihe. Sie hatten die Hände in den Manteltaschen und ließen uns nicht aus den Augen. Ich stieß Robert in die Seite und zeigte sie ihm.

Jetzt wirds heiß, sagte er, jetzt sind wir geliefert.

Mein Motorrad steht um die Ecke, sagte ich, schnell.

Wir stießen den Jungen zur Seite, drängten uns durch die Menge und rannten zum Parkplatz. Als der Motor ansprang, sah ich die drei Männer um die Ecke kommen. Ich legte den ersten Gang ein und fuhr direkt auf sie zu. Im letzten Moment sprangen sie zur Seite, ich bog in die Allee, und wir rasten hinunter.

Weiter, schrie Robert, raus aus der Stadt, irgendwohin, wo man mehr Luft kriegt.

In Neustrelitz hatten wir getankt, dann waren wir ohne Halt bis an die Küste gefahren, wo uns der Wind feucht entgegenschlug und wir uns ins Gras fallen ließen.

Sie werden mich nicht wieder gehen lassen, dachte ich. Was kann er ausgesagt haben. Was wollen sie in meiner Wohnung, wenn nicht etwas finden, das mit ihm zu tun hat.

Ich ging zum Fenster und sah auf den Innenhof: Polizisten wuschen einen Einsatzwagen und lachten laut. Ich ging zur Tür, öffnete sie und wollte eben auf den Flur treten, als der Polizist vor mir stand.

Sie sollen klopfen, wenn Sie hinauswollen, sagte er und schob mich zurück.

Bin ich verhaftet oder was ist los, sagte ich. Ich stellte den Fuß gegen die Tür.

Machen Sie keinen Unsinn, sagte er.

Ich will wissen, ob ich verhaftet bin. Wenn nicht, kann ich gehen, wohin ich will.

Gehen Sie zurück. Ich kann Ihnen keine Auskunft geben, wenn Sie von Ihrem Vernehmer keine erhalten haben.

Ich verstehe. Wenn Sie mir nicht sagen wollen, ob ich verhaftet bin, sagen Sie mir wenigstens, ob Sie wissen, was hier noch passieren soll.

Auch darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben, sagte er. Sie müssen selbst wissen, warum Sie hier sind.

Ich schloß die Tür und ging zu dem Hocker zurück. Ich setzte mich und versuchte mir vorzustellen, wie sie jetzt in meine Wohnung gingen, wie sie die schmutzigen Teller zur Seite räumten, die Bücher durchblätterten, die Schallplatten zur Seite stapelten:

Rolling Stones: Woher haben Sie die. Frank Zappa: Wer hat Ihnen das mitgebracht. Bob Dylan: Illegal eingeführt.

Ich sah sie vor den Briefen: Einige Damen werden Sie wohl vermissen, wie man Ihrer Korrespondenz entnehmen kann.

Ruhig atmen, dachte ich, wissen, was es mit ihm zu tun haben kann, bevor sie dich das nächste Mal holen. Jeden Tag mit ihm noch einmal ablaufen lassen wie einen Film. Keinen Punkt überspringen. Dich nicht überraschen lassen.

Wir waren eine Woche lang an der Küste von einem Ort zum anderen gefahren, um ein Zimmer zu bekommen. Ich hatte mich von einem Arzt krankschreiben lassen, und nachts lagen wir in den Strandkörben und sahen auf das Meer. Robert hatte mir erzählt, wie er exmatrikuliert worden war, und hatte zugehört, wenn ich von Grabow, Ramtur, Fastnacht, Kirsch, Rita und den anderen aus meiner Brigade gesprochen hatte.

Ich würds nicht aushalten, sagte er, jeden Tag um vier aufstehen, zwei Wochen Urlaub und vielleicht vier Wochen krank. Ich würde zum Hund werden.

Er legte sich zurück.

Das ist Leben, sagte er. So liegen, nachts, und das Meer vor dir. Die Gedanken durch den Schädel treiben lassen im Rhythmus des Bebop: sanft und kräftig. Das Klopfen in der Erde spüren und die Haut auf den Knochen. Lachst du.

Ich hör dir zu.

Hast du Freunde, sagte er.

Ich weiß nicht, sagte ich. Ich glaube, ich brauche keine.

Er stand auf, ging zum Ufer, lief ins Meer, bis das Wasser ihm an die Knie reichte und kam zurück.

Ich glaube, es gibt zwei Gründe für Freundschaft, sagte er, den Mangel und den Überfluß. So gibt es also auch zwei Sorten von Leuten: Die einen brauchen die Freundschaft, weil sie dermaßen viel Nichts in sich haben, daß sie sich alles von anderen holen müssen, die anderen haben soviel in sich, daß es sie zerreißen würde, wenn sie nichts davon abgeben könnten. Die Scheißkerle mit dem Mangel brauchen meinen Überfluß, bis ihnen eine liebende Frauenhand übers Haar streicht und ihre Komplexe beruhigt. Das beunruhigt mich nur, weil ich nicht mehr weiß, wo ich dann meine Produktion absetzen soll. Die Mädchenhände, die mir durchs Haar streichen und meine Komplexe beruhigen, haben nichts mit meinem Verlangen nach Freundschaft zu tun. Wenn es funktionieren würde, Freundschaft und Bett unter einen Hut zu bringen, wäre die Sache erledigt. Aber wenn ich ein Körper war mit einem Mädchen, ist das Gefühl für Solidarität im Eimer.

Vielleicht, sagte ich, es macht mir keinen Spaß, so über Dinge nachzudenken.

Kannst du dir vorstellen, daß wir zusammen eine Frau haben, sagte er und drehte den Kopf zur Seite, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte.

Wollen wir eine suchen, sagte ich und lachte.

Er sprang auf.

Gleich, rief er. I can get now satisfaction, grölte er über das Ufer und hüpfte von einem Bein auf das andere.

Morgen, sagte ich, überschlag dich nicht. Sofort, schrie er, ich fahre.

Wir liefen zum Motorrad, das hinter den Dünen stand, und Robert versuchte zu starten.

Ich lern es nie.

Ich startete, und wir fuhren los.

Kennst du Blindekuh, rief ich nach hinten, als wir die Straße erreicht hatten.

Ich und du, blinde Kuh, und das ganze Volk macht Muh, rief er.

Quatsch, sagte ich und schaltete die Scheinwerfer aus. Ich zog den Gashebel bis gegen den Anschlag und wir rasten ins Dunkel.

Bist du lebensmüde, schrie er von hinten, mach das Licht an.

Die Schatten der Bäume rasten vorbei, und von weitem sah ich die Lichter eines Autos auf uns zukommen. Der Fahrer konnte uns nicht sehen und hielt den Wagen auf der Mitte der Fahrbahn. Robert krallte sich in meine Jacke. Ich konnte den Fahrbahnrand nicht sehen und hielt deshalb genau auf die Scheinwerfer zu.

Wo bleibt deine Philosophie, schrie ich, und der Wind zerrte mir jedes Wort von den Lippen. Ich spürte, wie sich sein Griff in meiner Jacke lockerte. Der Wagen konnte nur noch vierzig Meter entfernt sein, und wir rasten noch immer genau auf ihn zu.

Deine Abschiedsansprache, brüllte ich, aber Robert antwortete nicht.

Wir schossen noch immer auf die Scheinwerfer zu. Ich konnte den Fahrer am Steuer schon sehen, als ich das Gas etwas drosselte und mich auf die rechte Seite legte. Jetzt waren wir fast auf gleicher Höhe mit dem Wagen, und ich schaltete das Licht ein. Ich konnte sehen, wie der Fahrer den Kopf herumriß, dann spürte ich den mächtigen Sog des Wagens auf meiner linken Seite. Wir waren vorbeigekommen, und ich hörte die Bremsen hinter mir quietschen. Als ich den Kopf wandte, sah ich den Mann aus seinem Auto steigen und die Arme erschöpft auf das Wagendach legen.

Ich bremste und hielt. Robert stieg ab und ging langsam auf einen Baum am Straßenrand zu. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm und sah mich an. Sein Gesicht war bleich, seine Stimme zitterte.

Warum hast du das gemacht.

Es hätte nichts passieren können, sagte ich und spürte, wie meine Oberschenkel zitterten. Du wolltest mir beweisen, was für ein Lappen ich bin mit meinen großen Sprüchen.

Schon gut, sagte ich.

Ich habs schon verstanden: Du bist der unkomplizierte Charakter, der dem Tod ins Weiße vom Auge sehen kann. Das war der Zweck der Übung.

Ich setzte mich ins Gras und steckte mir eine Zigarette an.

Vielleicht hast du recht, sagte er, tatsächlich zerspringt mir der Kopf von all den Theorien, Systemen und historischen Gesetzmäßigkeiten, die ich gelernt habe. Sie wollen unseren Blick auf die angeblich großen Dinge lenken, damit wir unsere eigenen Erfahrungen nicht ernst nehmen. Wir dürfen auf die Barrikaden gehen, wenn es um Musik geht oder um Frisuren oder um Hosen. Das schadet keinem, und nach einer Weile werden wir die Tür einrennen, die sie angelehnt haben, und wir werden auf der Nase liegen. Dann werden wir von dieser leeren Gegend in unseren Herzen sprechen wollen, aber sie werden mit großer Geste auf das Leid in Indien weisen und uns Kleingeister nennen. Nichts trifft sie mehr, als wenn wir beginnen, über unsere Erfahrungen zu reden so laut, wie sie über ihre und die Leute in Indien über den Hunger. Ich hab es von dir gelernt. Du redest über nichts, was du nicht kennst.

Dein großer Kniefall vor dem einfachen Menschen, sagte ich und lachte.

Das ist nicht komisch, sagte er. Sei froh, daß du anders bist als ich. Leute wie ich bleiben ein Leben lang in der Pubertät, weil sie immer für oder gegen den großen Papa sind. Und das ist, was der große Papa will.

Ich hörte ihm zu. Seine Stimme klang wie von weit entfernt, und ich war froh, daß er nicht wußte, wie genau ich die Gefühle kannte, von denen er sprach.