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Gedichte gehören nicht zum bevorzugten Lesestoff der meisten Zeitgenossen. Ganz im Gegenteil ist es für Gedichtbände fast unmöglich, Leser zu finden. Dieser zutiefst traurige Befund ergibt sich etwa aus dem Umsatz des Buchhandels, der zu weniger als einem Prozent aus lyrischen Werken besteht. Bedauerlich ist das, weil Poesie, wenn nicht als Krönung der Literatur so doch als eine deren wichtigsten Gattungen bezeichnet werden muss. Das vorliegende Büchlein soll ein wenig dazu beitragen, diesen Missstand zu beheben. Um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen, habe ich das heitere Gedicht als Grundlage meiner Ausführungen gewählt. Das Büchlein gibt mir außerdem Gelegenheit, eigene Gedichte an die Frau oder den Mann zu bringen, auch wenn ich beim zweitgenannten Geschlecht angesichts der Umstände - Frauen scheinen einen leichteren Zugang zur Poesie zu haben - weniger Hoffnung habe. Das Büchlein schließt mit einem kleinen Lexikon zur Gedichtkunde.
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Seitenzahl: 95
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Diesem Büchlein liegt das Manuskript meiner "Vorlesung zum heiteren Gedicht" zu Grunde.
Zahlreiche der in diesem Vortrag rezitierten Gedichte stehen noch unter Urheberrechtsschutz, sind mithin einem Abdruck im vorliegenden Band nicht zugänglich. Die stattdessen hier dargestellten eigenen Gedichte stellen eine kleine Auswahl dessen dar, was ich im Laufe der letzten drei Jahrzehnte bei Gelegenheit zusammengereimt habe. Die meisten meiner Gedichte kommen recht antiquiert daher und scheinen auch nicht mehr in die Zeit zu passen; das weiß ich selbst. Aber – pardon! – das ist mir auch völlig gleichgültig.
Die "Vorlesung zum heiteren Gedicht" war – wie schon zuvor der Erich-Kästner-Abend und später der Vortrag zur Zahl Sieben – Teil meiner Bemühungen, Spenden für den Verein Historische Bibliothek des Thüringer Oberlandesgerichts Jena e. V. einzuwerben. Beim Verfassen der Vorträge ist – quasi nebenbei – auch das sich anschließende kleine Gedicht-Lexikon entstanden.
Ich danke meiner Ehefrau, Marianna Kaufmann, neben unzähligen anderen Dingen dafür, dass ich ihr Bild für den Umschlag habe verwenden dürfen.
Obernissa, im Mai 2024 Dr. h.c. Stefan Kaufmann
1. Abschnitt: Vortrag
1.1 Begrüßung & Vorbemerkungen
1.2 Was ist ein Gedicht?
1.2.1 Schüttelreim
1.2.2 Der Leberreim
1.2.3 Der Klapphornvers
1.2.4 Der Limerick
1.3 Das Versmaß
1.4 Ehe, Liebe & andere Ungereimtheiten
1.5 Fußball und andere Rasereien
1.6 Kunst, Kultur & anderes Theater
1.7 Sonett an meine Masseurin
2. Abschnitt: Noch einige Eigene
2.1 Vom Schenken
2.2 Ein tolles Abendessen … aber der zweite Espresso war wohl doch zu viel
2.3 Der junge Abteilungsleiter
2.4 Ein Vogel starb
2.5 Gedanken im Spätfrühling
2.6 Lindenbaum
2.7 Ein 27. Mai (mit geschlossener Wolkendecke)
2.8 Grabrede
2.9 Muttertag
2.10 Vorbei
2.11 Weihnachtsgedicht für Freunde und Bekannte
2.12 Stummer Abschied
2.13 Billetdoux zum Schluss
2.14 Hundeliebe
2.15 Vorbei?
2.16 Der Zweifel
2.17 Brief an eine Ehebrecherin
2.18 Abschiedslied eines verheirateten Mannes an eine solidarische Frau
2.19 Das Sauna-Gedicht
3. Abschnitt: Kleines Gedichtlexikon
Meine Damen, meine Herrn,
ist das Ganze nicht zum plärr'n?
Sähen Sie nicht lieber fern,
statt Gedichte anzuhör'n?
Wär's nicht weitaus angenehmer
und bestimmt auch viel bequemer
auf der Couch zu haus zu lümmeln
und nett vor sich hin zu schimmeln?
Oder ist der Schreibtisch voll?
Arbeitskonto noch im Soll?
Gibt’s womöglich viel zu tun,
statt bei Gedichten auszuruh'n?
Wer bloß hatte die Idee? Ach herrje, herrjemine.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Einen ganz herzlichen Willkommensgruß an Sie alle. Für die ersten beiden Sätze meines Vortrags gab es zwei Alternativen. Die eine wäre gewesen:
"Es ist nicht verwunderlich, dass nur eine so kleine Schar von Zuhörern anwesend ist. Warum das aber gar nicht erstaunlich ist, will ich Ihnen auf der nächsten Folie zeigen."
Ihnen allen sei Dank, dass mir diese Einleitung erspart bleibt. Stattdessen kann ich meinen Vortrag wie folgt einleiten:
"Ich bin tief bewegt von der großen Zahl, in der Sie herbeigeströmt sind, nur um Gedichte zu hören. Warum das so erstaunlich ist, will ich Ihnen auf einer ersten Folie zeigen."
Anlässlich des Welttages der Poesie am 21. März 2005 – jaja, sowas gab´s. Aber es gibt ja heutzutage für fast alles Welttage: Der Welttag des Backens ist am 17. Mai, zwei Tage später der Welttag der Milchspende, noch ein Tag darauf wird der Weltbienentag zelebriert. Seit 2011 begeht man den Weltkontaktlinsentag am 7. Juli, der Welttoilettentag datiert seit 2001 auf den 19. November und am 3. Januar können Sie sich am Welttag des Stollenwerfens beteiligen … um nur einige Beispiele zu benennen. Anlässlich des Welttages der Poesie also hat die Deutsche Presse-Agentur eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben, die für Deutschland den Bezug zur Lyrik in der Bevölkerung messen sollte. Das Meinungsforschungsinstitut ermittelte:
jeder zweite Deutsche hat mit Lyrik wenig im Sinn und schon länger kein Gedicht mehr gelesen;
58% aller Männer waren lange nicht mehr mit Gedichten in Kontakt gekommen;
43% der Frauen sind Verächterinnen, nur 40% geben sich als aktuelle Leserinnen von Versen zu erkennen;
in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen hatten 63% schon länger keine Lyrik mehr gelesen.
Nun, das ist zwar mager, aber noch keine Katastrophe. Immerhin scheint sich die Hälfte unserer Landsleute zumindest ab und zu mit Gedichten zu befassen.
Aber ich befürchte, in den Befragungsergebnissen steckt viel von dem drin, was die Psychologen "Soziale Erwünschtheit" nennen.
Mein Verdacht stützt sich auf den Gesamtumsatz des deutschen Buchhandels, denn von 100 Euro, die im Buchhandel ausgegeben werden entfallen knapp 55 Cent auf die Lyrik.
Und der Schriftsteller und Verleger Michael Krüger hat vor einigen Jahren in einem Interview mit dem FOCUS gewettert:
"Man liest lieber einen grauenhaft schlechten Roman von 600 Seiten, weil ein paar Morde darin vorkommen, als ein sehr konzentriertes Gedicht. Auf Gedichte muss man sich einlassen. Aber die Leute sind halt durch Fernsehen und andere Medien derart verblödet und verdorben, dass sie das nicht mehr verstehen."
Naja, das ist vielleicht ein wenig zu hart. Ließe ich das uneingeschränkt gelten, müsste ich die ersten 45 Jahre meines Lebens als literarische Verschwendung einordnen. Zu Gedichten hatte ich jedenfalls in diesem Zeitraum ein Verhältnis, das recht gut umschrieben wäre mit der bekannten Phrase: Nicht mal ignoriert.
Sie alle gehören aber ganz offensichtlich nicht zu dem Personenkreis, den Krüger gemeint hat. Oder ist hier etwa jemand wegen des Glases Wein gekommen, das im Anschluss an meinen Vortrag, also in etwa sieben bis acht Stunden, gereicht wird?
Doch es gibt auch Hoffnungsvolles zum Gedicht zu berichten. Ein Strafrichter des Amtsgericht Mühldorf in Bayern spricht Deutscher Lyrik offenbar rehabilitierende Kraft zu (http://www.lawblog.de/index.php/archives/2012/02/06/richter-glaubt-an-die-kraft-der-deut-schen-lyrik/). Drei jugendliche Brandstifter verurteilte er Anfang des Jahres 2012 nicht nur zu Freiheitsstrafen, sondern ordnete außerdem an, dass die drei das Gedicht "Feuerreiter" von Eduard Mörike auswendig zu lernen hatten. Wer das Gedicht kennt, fragt sich allerdings: Was war härter?
Freiheitsstrafe oder Gedichtauflage?
In einem Internetblog kommentiert ein gewisser Kinki:
"Der Richter sollte dichter werden."
Dichter hat er aber, wie er selbst hinzufügt, mit Absicht klein geschrieben.
Lassen Sie mich zwei weitere Vorbemerkungen an Sie richten:
Erstens: Einige der nachfolgenden Verse könnten durchaus als drastisch oder derb bezeichnet werden. Manch ein Verfasser bedient sich der Ausdrücke der sog. Gosse oder philosophiert über Dinge, die in besseren Kreisen gemeinhin als Tabu betrachtet werden.
Bitte wappnen Sie sich also. Einen anderen Rat weiß ich leider nicht. Als einziger Ausweg kommt sonst nur das Verlassen des Saales in Betracht. Aber das kann ich Ihnen nicht empfehlen. Schon weil Eintrittspreise nicht erstattet werden.
Und zweitens: Das möge jetzt bitte nicht als Komplimentenhascherei bewertet werden, aber ich bin kein lyrisch besonders treffsicherer, ja nicht einmal ein objektiver oder auch nur Objektivität suchender Betrachter der Materie. Unzählige Gedichte, die von den Literaturkritikern enthusiastisch gefeiert werden, lassen mich eher kalt oder sind nach meinem Dafürhalten sogar unfreiwillig komisch, wenn nicht lächerlich. Dazu später. Gott sei Dank bin ich kein Mitglied des Literaturbetriebs, weshalb ich mich den strengen Bedingungen der literarischen Korrektheit nicht unterwerfen muss.
Die Dichter, die heute in Erinnerung gerufen werden sollen, sind ebenso wie die Gedichte, die Sie hören werden, allein nach meiner Sympathie und meinem Geschmack gewählt. Vollständigkeit oder Systematik werden auch nicht ansatzweise in Aussicht gestellt.
Heute sollen heitere oder komische Ausformungen der metrischen Kunst im Vordergrund stehen.
Solche Gedichte können zwar Witz haben, sind aber keine Witze. Witze erzählt man sich vornehmlich, wenn
der Abend spät,
die Gesellschaft klein und (überwiegend) männlich
der Alkohol reichlich ist.
Aber haben Sie es je erlebt, dass man in derlei Abendgesellschaften komische Gedichte austauschte?
Der Witz zielt auf die Pointe und möchte mit möglichst brüllendem Gelächter belohnt werden.
Das komische Gedicht hat häufig keine Pointe und wird, wenn es gelungen ist, zumeist nur von amüsiertem Schmunzeln begleitet. Genaueres dazu finden Sie bei Robert Gernhardt, "Der Weg ist das Ziel", Hell und Schnell, 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten, Seite 11. Auf Robert Gernhardt werden wir später eingehen.
Aber wenn ich Ihnen bei der Lektüre dieses Büchleins ein solch vergnügtes Lächeln mit dem einen oder anderen Gedicht auf Ihre Lippen und in Ihre Augen zaubern könnte, wäre ich schon zufrieden.
Wir sind vom Witz und von der televisionären Comedy verwöhnt, vielleicht gar verdorben. Witze sind kurz und eingängig und die allermeisten Witze werden ohne Denkanstrengung verstanden. Der Witz ist offenkundig, das Gedicht hingegen, und zwar auch das heitere, oft hintergründig.
Das macht dem heiteren Gedicht die Konkurrenz schwer, wobei ich davon ausgehe, dass es nicht im Traum daran denkt, sich auf einen Wettbewerb mit dem Witz einzulassen.
Trotzdem: In seltenen Fällen ist auch ein Gedicht so kurz und eingängig, dass es dem Witz Paroli bieten kann
Zwei Beispiele habe ich ausgewählt.
Zunächst das von Karl Riha, geboren 1935, Professor für Deutsche Philologie und Inhaber des von der Stadt Kassel vergebenen Literaturpreises für grotesken Humor. Rihas erstes Buch trägt den erhellenden Titel: "Nicht alle Fische sind Vögel". Ich trage Ihnen nun sein opus vor:
Aus urheberrechtlichen Gründen wird vom Abdruck abgesehen. Aber wer den Vortrag gehört hat, weiß, dass es um jenes Kleinkind geht, das im Taufwasser ertrank, nachdem bereits seine Mutter bei der Niederkunft und der Erzeuger beim Zeugungsakt verstorben waren. Sie finden dieses "Gedicht" auf der Seite http://tacheles.forumprofi.de/search.php?zeit=9999&s=2&fo-rum=0&q=riha.
Das nächste Gedicht stammt von Hans Reimann, der von 1889 bis 1969 lebte und damit ein Zeitgenosse Kurt Tucholskys (1890 bis 1935) war.
Reimann war der Verfasser der Komödie "Das Ekel", die mehrfach verfilmt wurde, erstmals 1931 nach einem Drehbuch von Erich Kästner und zuletzt 1959 unter dem Titel "Der Haustyrann" mit Heinz Erhardt.
Das Landgericht Hamburg war übrigens 2009 mit der Frage befasst, ob der 1969 verstorbene Reimann Mitautor der berühmten "Feuerzangenbowle" war.
Landgericht Hamburg, Urteil vom 12.03.2010, Az.: 324 0 962/08. Ein Erbe von Hans Reimann hatte gegen ein Nachwort in einer Neuauflage des Romans Die Feuerzangenbowle geklagt. In diesem Nachwort wird behauptet, dass Heinrich Spoerl alleiniger Autor des Romans gewesen sei. Das Landgericht hat die Klage gegen den Verlag abgewiesen.
Bzgl. des folgenden Gedichts bestehen keine Zweifel. Es stammt von Hans Reimann und lautet:
Aus urheberrechtlichen Gründen wird vom Abdruck abgesehen. Sie finden das Kurzgedicht unter https://merzmensch.wordpress.com/tag/reimann/. Hier die Zusammenfassung: Der Autor dieses dreizeiligen Gedichts gibt nicht den Vorfall selbst wieder, der in der Überschrift vorsichtig angedeutet wird, sondern berichtet über seine Gefühlsregung, die zu der Bitte führt, die Geschichte nicht erzählen zu müssen.
Zwei herrliche Miniaturen schwarzen Humors. Trotzdem, seien wir ehrlich: Vor die Wahl gestellt, ein gutes Gedicht oder einen guten Witz zu hören, würden wir uns wohl mehrheitlich für den Witz entscheiden.
Zum Ausgleich dafür, dass ich Ihnen hier die beiden vorgenannten Kurzgedichte vorenthalten muss, das folgende – eigene – Opus (auf das ich keineswegs stolz bin):
Ehemann:
Ich wag's aus freien Stücken (mach bitte keine Zicken): Es würde mich entzücken, wenn Du mit sanften Blicken Die mich so oft beglücken mir meinen trock'nen Rücken eincremst
Ehefrau
(etwa eine Minute später): Fertig
Ehemann
(dreht sich um): Bauch auch.
Zurück zum Witz, pardon zum Gedicht: Hier werden Sie nicht vor die Wahl gestellt. Hier geht es allein um Gedichte!!
Und damit bin ich am Ende meiner Vorbemerkungen angelangt und habe bereits so viel Zeit verbraucht. Abgesehen vom Eingangsgedicht waren es nur zwei, dazu noch extrem kurze Gedichte. Das ist ein schlechter Schnitt. Ich gelobe, das quantitative Niveau anzuheben.
Was ist das eigentlich, ein Gedicht?