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Latein - was bringt es einem, das zu lernen? Diese Frage stellen sich Jahr für Jahr Tausende: Eltern, die entscheiden müssen, ob ihre Kinder im Laufe des Schullebens Latein lernen sollen, Lateinlehrer, die für das Fach Werbung machen wollen, bis hin zu Studienanfängern, die plötzlich das Latinum nachholen müssen. Gründe dafür, diese "tote" Sprache zu lernen, die mehr mit unserem Leben zu tun hat, als man meinen sollte, gibt es viele - die zehn besten liefert Friedrich Maier in knapper und verständlicher Form.
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Seitenzahl: 83
Friedrich Maier
Warum Latein?
Zehn gute Gründe
Reclam
Für Sabrina, Dominik, Hannah, Laura, Simon, Judith und Paul
Für wertvolle Hinweise und Vorschlägehabe ich meinem Freund Prof. Dr. Klaus Westphalenganz herzlich zu danken.
Alle Rechte vorbehalten
© 2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Umschlaggestaltung: Umschlaggestaltung: Martin Völlm unter Verwendung eines Einzelbildesaus dem Film Ben Hur (akg-images / Album / M.G.M.).
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2014
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN: 978-3-15-960539-5
ISBN der Buchausgabe: 978-3-15-019256-6
www.reclam.de
Inhalt
1 Was ist Latein?
1.1 Latein – Basissprache Europas
1.2 Interesse an Latein ungebrochen
1.3 Latein – Was Eltern erwarten
1.4 Latein – Gymnasialfach par excellence
1.4.1 Sprachbildung und »Menschwerdung«
1.4.2 »Weltkulturerbe« und gymnasialer Bildungsauftrag
2 Warum Latein? Zehn gute Gründe
2.1 Latein – Königsweg zu vertieftem Sprachverständnis
2.2 Latein – Trainingsfeld für die Muttersprache
2.3 Latein – »Trimm-dich-Pfad« des Geistes
2.4 Latein – Brücke zu modernen Fremdsprachen
2.5 Latein – Labor zur Analyse einer »hinterlistigen« Rhetorik
2.6 Latein – Fahrstuhl zu den Wurzeln Europas
2.7 Latein – Schatzkammer europäischer Sprachbilder
2.8 Latein – Studierstube für europäische Grundtexte
2.9 Latein – Treffpunkt mit Menschen, die die Welt veränderten
2.10 Latein – Zugang zu den Quellen von Dichtkunst und Philosophie
3 Zu guter Letzt: Latein und Latinum als Studienvoraussetzung
Literaturhinweise
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
1 Was ist Latein?
1.1 Latein – Basissprache Europas
Die lateinische Sprache ist insofern »tot«, als sie nicht mehr die natürliche Sprache einer lebenden Nation ist. Sie ist mit den Römern untergegangen. Deren Sprache war sie über mehr als 1000 Jahre. Je weiter dieses Volk von seinem Ursprungsland Latium und von dessen Hauptstadt Rom aus sein Imperium ausdehnte, um so mehr verbreitete sich auch seine Sprache: das Lateinische. Zuerst in ganz Italien, dann nach den Siegen über die Karthager (im 3./2. Jh. v. Chr.) in Sizilien und Nordafrika, schließlich nach erfolgreichen Kämpfen im Osten auch in Griechenland und Asien.
In den überall entstehenden Provinzen wurde die Sprache der Römer zur Verwaltungssprache, auch zur Verkehrssprache. Nur dort, wo die griechische Zivilisation festen Boden gewonnen hatte, blieb Griechisch die »Gemeinsprache« (griech. Koiné) zur Verständigung. Nach der Eroberung Galliens durch Caesar in der 2. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. gewann Latein auch nördlich der Alpen an Bedeutung. Unter Augustus, der bereits über weite Teile der damals bekannten Welt herrschte, wurde Latein zur Weltsprache. Seine weiteste Verbreitung erlebte es unter Kaiser Trajan zu Beginn des 2. Jh.s n. Chr., da unter ihm das Imperium Romanum, auf drei Kontinenten fest gegründet, seine größte Ausdehnung erreichte.
Allenthalben nämlich – mit Ausnahme des griechisch zivilisierten Ostens – war man eifrig bemüht, die Sprache des Herrschervolkes anzunehmen. Mit dem Ende des römischen Weltreiches im 5. Jh. n. Chr. verlor auch die Sprache der Römer zwangsläufig an Bedeutung. Das Latein verflachte, ja verkam gewissermaßen in den Wirren der Völkerwanderung; es wurde zur Sprache des kleinen Mannes. Als sogenanntes Vulgärlatein unterlag die lateinische Sprache vielfachen regional beschränkten Veränderungen, und zwar so stark, dass sich daraus mehrere Nationalsprachen entwickeln konnten. Ihr linguistischer Tod bedeutete jedoch nicht ihr sozusagen »geistig-politisches« Ende. Latein lebte weiter.
Nach seinem Untergang als natürliche Sprache verfestigte sich Latein zu einer Art Kunstsprache oder richtiger: zu einer standardisierten Bildungssprache. Das »tote«, d. h. unveränderliche Latein wurde – im Laufe mehrerer Phasen der kulturellen Renaissance in Europa – zur Sprache der Denker (und in Maßen auch der Dichter). Es wurde als »Zweitsprache« gerettet (W. Stroh, 2007, 143 ff.). Des Lateinischen bedienten sich vor allem die Juristen, Theologen, Philosophen und Mathematiker. Latein blieb von da an die Basissprache Europas.
Es wurde zur Sprache der Kirche, der Wissenschaft, auch der internationalen Diplomatie. Es bekam in den Klöstern und bischöflichen Residenzen, an den Universitäten und in den kaiserlichen Kanzleien einen weiten und mächtigen Geltungsraum. Die Bibel, seit Langem (4. Jh. n. Chr.) vom gelehrten Mönch Hieronymus in eine »allgemein verbreitete« lateinische Fassung (Vulgata) gebracht, avancierte allmählich zum meistverbreiteten Buch. Den Ordensregeln des hl. Benedikt verlieh ihre lateinische Fassung universale Bekanntheit.
In Latein erfuhr das staunende Europa vom neu entdeckten Kontinent, den man später Amerika nannte; Christoph Columbus schrieb nämlich auf der Fahrt in die »Neue Welt« seine Tagebücher in lateinischer Sprache. Auf dem Frankfurter Türkentag 1454 hielt Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., seine berühmte Rede, mit der er nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken vor dem drohenden Unheil aus dem Osten für Europa, »unser Vaterland« ( patrianostra), warnte, in Latein. Die folgenreiche Entdeckung, dass die Erde sich um die Sonne dreht, wurde von Nikolaus Kopernikus der schockierten Elite in Kirche und Wissenschaft auf Lateinisch mitgeteilt. Den berühmten Eid des Griechen Hippokrates leisteten die Ärzte in Europa über 400 Jahre lang in der lateinischen Übersetzung eines gewissen Ianus Cornarius.
All dies war sicher auch der Grund dafür, warum die »Königin der Sprachen«, wie sie einmal genannt wurde, über weit mehr als 1000 Jahre (bereits seit der Bildungsreform unter Karl dem Großen) in den Schulen eine dominierende Rolle spielte. Latein war das schulische Kernfach schlechthin. Man lernte die Sprache nicht nur, um Latein reden, lesen und schreiben zu können. Weil die alten Sprachen, wie Martin Luther meinte, »die Scheiden sind, darin das Messer des Geistes steckt«, bot die lateinische Sprache auch unaufhörlich die Chance, an ihr und an den in ihr verfassten Inhalten seine geistigen Kräfte zu schulen. Latein blieb stets eine lebendige Quelle des Denkens.
1.2 Interesse an Latein ungebrochen
Latein ist im Laufe von weit mehr als 1000 Jahren »Leitdisziplin der höheren Schule« (M. Fuhrmann, 2002, 8) geworden. Es macht einen guten Teil der europäischen Tradition aus, in dieser Sprache und an den Inhalten der in ihr verfassten Literatur hat sich die europäische Kultur über weite Strecken entwickelt. Was Goethe einmal zum rechten Umgang mit Tradition und Erbe gesagt hat, gilt deshalb auch für die lateinische Sprache: »Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!«
Darin drückt sich nicht nur aus, dass das Erbe der Väter unantastbar ist; es enthält auch den Auftrag zu seiner Aneignung. Das Erwerben des Erbes versteht sich als Bildungsauftrag. Latein als ein Kernstück dieses Erbes zählt demnach zu den Bildungsinhalten, die als Besitz zu erwerben gewissermaßen Verpflichtung ist. Die Bildungsstätten, die Schule, zuallererst das Gymnasium, sind dadurch in die Pflicht genommen. Mag sein, dass der für lange Zeit hohe Rang des Faches Latein auch darin begründet ist. Am Gymnasium rangiert die lingua Latina jedenfalls an vorderer Stelle bis weit über die Mitte des 20. Jh.s hinaus.
Dann aber hat man kräftig an seiner Position zu rütteln begonnen. Seitdem musste sich Latein heftiger Attacken erwehren. Nicht mehr alle, zumal die für Bildung Zuständigen, wollten ihrer Verpflichtung gegenüber Tradition und Erbe genügen. Sie wogen das aus der Vergangenheit Ererbte gegen das in Zukunft Notwendige ab. Die heutige »Wissensgesellschaft« konfrontiere, so meinte man, den Menschen täglich mit enormen Wissensmassen, die aus allen Röhren und Kanälen strömen. Der Mensch der Zukunft müsse ein »Wissensriese« sein, um all die Informationen über die rasant sich verändernde Welt in sich aufzunehmen. Da jedoch die Aufnahmefähigkeit des menschlichen Gehirns beschränkt sei, bleibe der »Wissensriese« eine Illusion.
Also fragt man sich heute: Welches Wissen wählt man aus dem Alten und Neuen aus, um es zu besitzen? Gehört Latein zum unbedingt Wissenswerten? Gibt es nichts Wichtigeres, für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben Förderlicheres? Was sollen die nachfolgenden Generationen lernen, um sich in Studium, Beruf und Leben behaupten zu können? Ist Latein nicht, so betrachtet, ein Anachronismus? Etwas, was nicht mehr in unsere Zeit passt wie der Vergasermotor oder das Drehscheibentelefon? Eine tote Sprache gegen die lebendige Fülle des Internets? »Die Wissensbeschleunigung durch das Internet hat das Wissen der Alten überflüssig gemacht«, behauptete kürzlich ein kluger Zeitungsmann und Literaturkritiker. Ist also das Erbe der Väter heute verzichtbar? Braucht man jenen »kollektiven Erfahrungsschatz, der sich von Generation zu Generation angesammelt hat« (H. Schmoll, 2002, 90), nicht mehr zur Bewältigung der Zukunft?
Diese Frage beantworten kluge Köpfe mit einem entschiedenen Nein. Bildung sei, so argumentieren sie, keine bloße Summe von Wissen, auch nicht allein die Cleverness, sich mit sicherem Zugriff benötigte Informationen schnell besorgen zu können. Bildung sei vielmehr ein über Jahre durch energische Aneignung erarbeiteter Zustand der Persönlichkeit, eine Prägung des Charakters, wozu eine gehörige Substanz an Wissen gehöre. Solches Wissen, so betonen Pädagogen und Philosophen, müsse »zeitüberdauernde Gültigkeit« haben; es müsse deshalb »fundamental« sein, also einen Grund legen, auf den man Beruf und Leben mit einiger Zuversicht bauen kann.
Braucht der junge Mensch nicht auch – gerade im reißenden Strudel von Wechsel und Fortschritt – eine feste Basis an Wissen, das ihm Sinn vermittelt und Orientierung gibt? Der amerikanische Philosoph und Theologe Leo J. O’Donovan, lange Präsident der wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Georgetown University in Pennsylvania, hat sich »der entscheidenden Frage der Zukunft« (2001, 1 ff.) gestellt: »Was ist es, was wir wissen wollen sollen?« Tiefgreifend begründet er, dass die Schule den jungen Menschen mit »Weltwissen« zu konfrontieren habe, und zwar so, dass es in ihm allmählich zu einem »Lebenswissen« wird, zu einem Wissen, »das mir und meinen Mitmenschen hilft das Leben zu meistern«.
Bildung soll, so O’Donovan, nicht ausschließlich materiellen Interessen dienen, sie darf den Menschen auf keinen Fall »dem Konformismus der Beschleunigung« unterwerfen, der den Reichtum des Lebens vernichtet. Echte Bildung bindet den Menschen an den Pflock der Geschichte, so dass er die Chance zur Besinnung hat: auf sich selbst, seinen Standort, auf sein Schicksal, auch auf die Zwänge, denen er stets ausgesetzt ist. Das Kraftfutter dazu nimmt er aus den Bildungsinhalten, die ihm an den Werken der Vergangenheit über Politik, Kultur und Religion vermittelt werden. »Zukunft braucht Herkunft.« Auf diese lapidare Formel hat der Philosoph Odo Marquard dieses Bedürfnis des Menschen gebracht. Auch von den klassischen Sprachen wird »Herkunft« vermittelt. Gerade Latein transportiert über die Jahrtausende hin eine Fülle an »Weltwissen«, so dass es als Bildungsfach eine wichtige Rolle in Anspruch nehmen darf.