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Kommen, Gehen, manchmal Bleiben. Gleich sind wir da. Das hoffen alle, deren Leben in einen Koffer paßt. Sie reisen nach Paris, nach Ostia oder ans Kaspische Meer. Doch wo sie auch hinkommen, die Sehnsucht bleibt, weil irgendetwas immer fehlt: ein Kind, die große Liebe, der tote Bruder oder das passende Sommerkleid. Die Männer und Frauen in diesen Geschichten lernen sich bei Autounfällen kennen, weil ihre Wohnungen ausgebrannt sind, oder sitzen bloß im Flugzeug nebeneinander. Sie kommen zusammen und verlassen sich wieder. David Wagner erzählt Beziehungen von heute und von der Liebe, die manchmal einfach wieder abreist. «Abgründig heitere Erzählungen.» (Die Zeit) «Zwölf präzis und klug erzählte Geschichten.» (Die Welt) «Ein wunderbarer Erzählband, dem überhaupt nichts fehlt.» (Brigitte) «Ein Reisebuch. Ein melancholisches, ein tiefgründiges, eines, das man sehr gut mitnehmen kann auf die Reise.» (General-Anzeiger)
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Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2011
David Wagner
Was alles fehlt
Zwölf Geschichten
Rowohlt Digitalbuch
Wir waren nicht lange verliebt, wir waren gleich zusammen, ich hörte sie atmen, die Kühlschranktür öffnen und durch die Badezimmertür plätschern. Sie war immer da und sagte komisch, daß zwei so asoziale Gestalten wie wir es miteinander aushalten. Ich wußte, wann sie ihre Tage hatte und wann es ihr gutging, sie sagte, sich besser kennenlernen heißt, die schlechten, die unangenehmen Seiten nicht mehr verbergen zu können. Ich wußte, welche Unterhose sie am liebsten trug, wie oft sie sich die Haare wusch und wieviel Butter sie unter die Marmelade schmierte. Und umgekehrt kannte mich keiner so gut wie sie, sie wußte, wann ich nicht die Wahrheit sagte und wann ich welche Rolle spielte. Wir erzählten uns, was wir erlebt hatten, sie erzählte ihre Träume, und hatte ich nicht von ihr geträumt, baute ich sie, ihr zuliebe, in meine Traumerzählung ein. Sie kochte Kaffee und brachte ihn ans Bett, ich ging die Brötchen kaufen. Sie sagte, das Stadium, in dem andere bloß verliebt sind, haben wir, glücklicherweise, übersprungen, unter ihren Honig aus der Provence strich sie Philadelphia, keine Butter, sagte, ich muß Pfirsichkernpeeling kaufen, und fragte im nächsten Satz, das war zwei oder drei Wochen nach meinem Einzug, willst du nur jetzt oder überhaupt nie Kinder? Ich sagte, ist die Wohnung nicht zu klein, kennen wir uns gut genug, müßten wir nicht umziehen? und weißt du, was das kostet, sie aber klebte einen Zettel auf die Kühlschranktür, schrieb was alles fehlt auf das Papier und malte ein Babygesicht darunter, sie schrieb Johanniskraut und Parkettpflegemittel kaufen, Peeling, Reinigungsmilch und Fußbad. Sie stellte alle ihre Nagellackfläschchen in den Kühlschrank, malte ein zweites Babygesicht auf das Blatt und klebte ein aus der Zeitung ausgerissenes Kinderbild daneben, sie schaute durch ihre Küche, sah die schmutzigen Teller, räumte die Spülmaschine aus und füllte Salz nach, sie stellte die Uhr in der Anzeige des Mikrowellenherds und wischte über das Glaskeramikkochfeld. Sie putzte ihr Parkett und rief, weil sie bemerkte, daß das Parkettpflegemittel nicht zum gewohnten Glanz verhalf, beim Hersteller an. Und bekam eine neue Flasche ins Haus geschickt. Produkte, die mich enttäuschen, tausche ich um, sagte sie und schickte auch eine Packung belgische Pralinen, deren Schokoladenglasur sich mit einem sonderbaren weißen Belag überzogen hatte, an den Importeur zurück, sie sagte, ich kenne mein Recht als Kundin, und hängte das Bild einer Frau, die sie ihre beste Freundin nannte, in den Flur. Die Frau auf dem Bild hielt ein Kind im Arm.
Sie kaufte sich eine Wärmflasche, die in einem Stoffaffen steckte, nahm den Wärmflaschenaffen und ihren Teddybären mit ins Bett und sagte, da wollte sie mich ärgern, eigentlich wollte ich immer lesbisch sein, ihre Angora- und Cashmerepullover stopfte sie in Plastiktüten, die Tüten ins Tiefkühlfach, so schützt man sich gegen Motten, so tötet man alle Mottenlarven. Mottenlarven fürchtete sie wie Kratzer im Parkett, zu Besuchern sagte sie, zieh deine Schuhe bitte aus. Sie selbst lief in Pantoffeln, Stofftierhunden, in die ihre kleinen Füße hineinschlüpfen konnten, durch die Wohnung. Sie rief, ich will ein Kind, und sagte, wenn du nicht willst: ich könnte mir eins aus dem Krankenhaus stehlen, aus der Säuglingsstation, ein kleines braunes Schokokind, dann sagte sie, eigentlich bräuchte ich bloß einen Erzeuger, wann, wenn nicht jetzt, oder wartest du auf meine Menopause? Sie sagte, ich will ja auf alles verzichten, ich will nicht mehr ausgehen, nicht mehr rauchen und nicht mehr trinken, ich will auch keinen Grund mehr dazu haben, sie sagte, ich will ein Kind, ich will mir nicht den Rest meines Leben ausdenken müssen, worauf ich mich freuen könnte, ich will nicht mehr Pläne machen müssen, Zettel schreiben, mir vornehmen, daß der Tag nun anfangen muß. Und mich dafür belohnen, daß ich bis zum Abend durchgehalten habe. Und wenn sie, wie sie sagte, bis zum Abend durchgehalten hatte, belohnte sie sich mit einer Flasche Wein und legte sich in die Badewanne, die mit Meersalzbad aus dem Toten Meer gefüllt war, las ein Taschenbuch und aß eine Packung Negerküsse. Oder einen Barren Marzipan. Und blieb in der Wanne, bis sie aufgeweicht war. Sie hörte die Platten mit der Musik zu Filmen, die ihr gefallen hatten, saß in der Unterhose vor dem Computer und schaute sich Partnervermittlungs- und Pornoseiten an, sie sagte, ich suche einen Vater für mein Kind, empfing SMS-Nachrichten und ließ das Telephon immer wieder klingeln. Manchmal rief sie alle Leute an, die sie kannte. Sie sagte, ich bereite mich auf meine Mutterschaft vor, und schob – sie sagte, in der Bibliothek und im Institut kennt mich sowieso niemand mehr – ihr Examen auf, sie ging in die Stadtbücherei, lieh sich alte Kinderbücher aus, las Bücher mit Wörtern wie Umstände oder Windeln im Titel und ließ ihre Hausarbeiten liegen. Sie blieb zu Hause, sagte, ich schreibe jetzt ein Nutellakochbuch, und erklärte, außerdem kannst du dir gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn die eigenen Eltern so ehrgeizig und so erfolgreich sind, daß sie einem jeden Platz zur Entfaltung rauben. Sie blätterte durch Versandhauskataloge, fragte, brauche ich einen Eierkocher, einen Spaghettitopf, einen Einsatz für den großen Topf, um Gemüse zu dünsten? Muß ich nicht Blumen, Blumenerde, eine neue Klobürste kaufen? Das Sofa neu beziehen lassen? Sie las mir aus Katalogen vor, las, Wiener Kalk stand schon immer in höchstem Ansehen und ist zur Reinigung von Edelstahl eigentlich unentbehrlich, sie sagte, ich habe einen Honiglöffel bestellt, Zwiebel- und Knoblauchseife, Seife mit Rosenblättern und Zitronengrastee, Kokosölpaste und Bananenshampoo. Bananenshampoo? fragte ich, und sie erzählte, daß ihr Vater einmal einen Tag lang mit ihr durch Hamburg gelaufen sei, auf der Suche nach dem speziellen Shampoo eines französischen Herstellers, ein Shampoo, das sie nirgendwo finden konnten. Ihr Vater habe ihr schließlich irgendein anderes kaufen wollen, er wollte ihr sogar eines, das über vierzig Mark gekostet hätte, kaufen, sie aber wollte nicht, sie meinte, ihr gefalle, das sei eben so, immer nur das, was sie sich in den Kopf gesetzt habe, und wenn ich das Beste nicht haben kann, verzichte ich auf das Zweitbeste, weil mir das eben nichts mehr bedeutet. Ich kann auch verzichten, sagte sie, und bin, so betrachtet, eigentlich anspruchslos.
Sie erledigte, was auf ihren Zetteln stand, sie fragte sich, brauche ich Haarspülung, habe ich nicht etwas in der Reinigung abzuholen, habe ich Bücher bestellt, ist keine Leihfrist abgelaufen? Hat bald jemand Geburtstag? Zu welchem Arzt muß ich gehen, fehlt mir nicht eine Vorsorgeuntersuchung, muß ich zum Friseur, zur Zahnsteinentfernung? Brauche ich eine Überweisung? Ein Rezept, Jarsin 300, Johanniskrautextrakt, das hochdosiert gegen nervöse Unruhe und depressive Verstimmung wirken sollte, sie sagte, ist ja bloß ein Stimmungsaufheller, ich kann dann besser schlafen. Haferflocken wirken auch. Und Schokolade. Sie kaufte sich Milka, machte mittags Mousse au chocolat und aß zum Abendbrot eine Packung Dominosteine, sagte, ich will ein Schokoladenkind, ein Kind, das ich füttern und versorgen kann, legte sich auf den Teppich, streckte alle viere von sich und sagte, verwöhn mich, verwöhn mich doch, und früher, als wir uns kennenlernten, haben wir auf Baugerüsten gevögelt, heute sehen wir nur zusammen fern. Wenn wir aber einmal, ausnahmsweise, zusammen fernsahen, wenn sie einmal auf dem Sofa sitzen sollte, sprang sie auf und sagte, ich back noch schnell ein Bananenbrot. Sie sagte, und meinte das immer ernst, sie sei ein Hefefan, buk Bagels und Käsekuchen mit gutgemeinten vier oder fünf Packungen Frischkäse, Doppelrahmstufe. Und wenn sie zwei oder drei Stücke Kuchen oder vier Scheiben warmes Bananenmandelbrot, auf dem ihr Nutella ganz weich wurde, gegessen hatte, sagte sie, bald sehe ich wenigstens so aus, als ob ich vier oder fünf Kinder geboren hätte. Und wenn ich wollte, könnte ich dich erdrücken, sagte sie, ich bin wie Samson, wie Sesamstraßen-Samson. Und wenn ich bloß sagte, ach ja, sagte sie, bin ich dir vielleicht zu fett? Willst du vielleicht kein Kind, weil ich zu dick bin? Und schrie, du lügst, ich bin keine Elfe, ich bin nicht leicht wie eine Feder, sie schrie, ganz egal was ich sagte. Sie sagte, das mit dem Kind ist körperlich, und außerdem, meinte sie nach einem Anruf ihrer Mutter, will ich ein Kind, damit ich endlich nicht mehr Tochter sein muß. Mama, fing sie dann an, das war das Lied, das ich bald kannte, ist mittags sowieso nie nach Hause gekommen, Mama hat nie für mich gekocht, Mama hat immer gearbeitet, blieb immer in einem ihrer Geschäfte. Mama wollte mehr Umsatz, wollte mehr Parfüm, mehr Unterhosen, BHs und Negligés verkaufen, Mama wollte immer mehr Umsatz machen als mein Vater. Mein Vater verkaufte in seinem Orthopädiegeschäft Beinprothesen und falsche Brüste. Mama wußte immer, daß sie keine gute Mutter war, noch heute sagt sie am Telephon, hier spricht Isolde, die deine Mutter sein sollte, sollllde, ganz weich, als ob sie irgend etwas wiedergutmachen wollte. Kam sie mittags, ausnahmsweise, kurz aus einer ihrer Parfümerien nach Hause, brachte sie manchmal, wenn sie daran gedacht hatte, Essen vom Metzger mit. Das Essen sei lauwarm gewesen, sonst, sagte sie, ging ich mittags immer zur Tankstelle und kaufte mir eine Tafel Schokolade. Geld hatte ich immer, schon als Schülerin, Papa sagte, für wenn du was Schönes siehst, und gab mir einen Hundertmarkschein zum Taschengeld hinzu, Taschengeld kam jeden Monat auf mein Konto, Papa verdiente genug, seine Prothesen verkauften sich gut.
Das mit dem Kind ist körperlich, sagte sie, da sei dieses Ziehen in ihr, sie sagte, ich will ein Kind, ich kann nicht anders und du hast nur Ausreden, es ist nicht so, daß wir nicht Platz genug hätten, du willst bloß nicht, daß jemand anderes kommt, du fürchtest dich vor Konkurrenz, du fürchtest dich bloß. Und sie sagte, nein, wir müßten nicht ausziehen, du brauchst doch das Arbeitszimmer nicht, du arbeitest doch sowieso nie, knallte die Flügeltür und ging ins Schlafzimmer, blieb dann aber nicht lange im Bett. Sie stand auf und fing an, die Tapete im Flur von der Wand zu reißen, erklärte, das wollte ich schon lange machen, jetzt fange ich an, sagte, die Farbe gefällt mir nicht mehr, ich muß mein Leben ändern. Und außerdem, irgend etwas muß ich ja machen mit meinem Leben, sie schrie, ich will, daß sich alles ändert, ich will ein Kind – und als wir, das war nicht viel später, etwas über ein Jahr nach meinem Einzug, beide glaubten, es sei vorbei, weil wir uns, weil wir einander nicht mehr aushielten, weil sie sagte, vielleicht ziehst du besser aus, weil sie sagte, ich brauche doch mehr Platz für mich, vielleicht suchst du dir lieber eine eigene Wohnung, nahm ich meine beiden Koffer und zog wieder aus. Technisch eine leichte Trennung, die Wohnung, die ihre Eltern gekauft hatten, die Möbel und alle anderen Sachen gehörten ihr, meine Platten und ein paar andere Dinge blieben vorerst da. Sie blieben Wochen, dann Monate in ihrer Wohnung. In der ersten Zeit trafen wir uns oft, dann telephonierten wir nur noch, dann war ich lange unterwegs, dann in Amerika. Ich sah sie nicht, bis sie mir, das war gestern, androhte, alles auf den Müll zu schmeißen, woraufhin ich, weil ich eben Zeit hatte und weil ich sie sehen wollte, zu ihr fuhr. Als sie die Tür, zu der ich noch einen Schlüssel habe, öffnete, schob sie mir, das war das erste, was ich von ihr sah, ihren Bauch entgegen. Sie grinste. Und sagte, sie sei im sechsten Monat.
Und ich fing an zu rechnen.
«Sie hat sich letztes Jahr umgebracht», sagt meine Cousine, «sie hat Schlaftabletten aus der Apotheke ihres Vaters genommen, hat Wasser getrunken und sich in den Schlafzimmerschrank ihrer Eltern gesetzt», meine linke Hand legt sich auf die Bremse zwischen den Sitzen, die rechte faßt den Griff in der Beifahrertür. Und ich denke, ich werde Hanna aus meinem Adreßbuch streichen müssen. Das erste, was ich verdammt noch mal denke, ist, daß ich ein kleines Kreuz hinter ihren Namen malen muß, «sie hat sich letztes Jahr im Frühsommer umgebracht», sagt meine Cousine, «sie hat Tabletten aus der Apotheke ihres Vaters geschluckt, hat Wasser getrunken und sich in den großen Kleiderschrank ihrer Eltern gesetzt», und mir fällt ein, daß Hanna sich selbst in mein Adreßbuch eingetragen, ihren Namen und ihre Wiener Anschrift in breiter Kinderhandschrift aufgeschrieben hat, «sie ist unter den Röcken und Kleidern ihrer Mutter, nicht weit von den Anzügen ihres Vaters, gestorben», sagt meine Cousine, der Wagen wiegt und schaukelt, wir rollen über eine Landstraße, und was meine Cousine sagt, kommt ohne Gewicht, sie schaltet einen Gang höher und vor der nächsten Kurve wieder zurück, der Motor jault, das Auto schiebt sich nach links und rechts durch die Kurven, und hin und wieder spritzt Rollsplitt vom Straßenrand gegen den Unterboden, die Steinchen stechen in den Autobauch. Hanna ist unter den Kleidern ihrer Mutter, nicht weit von den Anzügen ihres Vaters, gestorben, wiederhole ich mir und erinnere mich an den Tag, an dem ich sie das erste Mal sah: Wir fuhren zu dritt auf zwei Motorrollern über die Grenze nach Tschechien, Tschechei, wie meine Großmutter noch immer sagt, Grenze sei ein slawisches Lehnwort, eines der wenigen, die es im Deutschen gebe, sagte meine Cousine und erzählte von dem Volksschullehrer, der immer davor gewarnt habe, dieser Grenze zu nahe zu kommen, er habe gesagt, wer der Grenze zu nahe kommt, wird von den Russen mitgenommen und nach Sibirien verschleppt, meinte Hanna, da saß ich hinter ihr auf dem Roller, eine Hand lag auf ihrer Schulter, und die Finger der anderen spielten mit den kurzen, dunklen Haaren in ihrem Nacken. Hier war einmal Meer, Böhmen lag am Meer, man kann Versteinerungen finden, sagte sie, und die blonden Locken meiner Cousine wehten neben uns unter ihrem Sturzhelm hervor. Meine Cousine wußte, wo wir anhalten mußten, um ein Paddelboot zu mieten, wir ließen uns durch harmlose Stromschnellen und an Felsen vorbei ein Stück die Moldau hinuntertreiben, von hier fließt das Wasser erst in die Elbe, dann in die Nordsee, sagte meine Cousine, auf der anderen Seite, jenseits der Wasserscheide, fließt es ins Schwarze Meer, sagte Hanna, sie zog eine Hand durchs Wasser nach und hielt nur ihren Zeichenblock, kein Paddel, in der anderen. Ihre Malsachen ließ sie auch dann nicht los, als das rote Plastikboot an einer seichten Stelle kenterte, weil sie sich zu lange an dem Ast eines Baumes festgehalten hatte, der über das Ufer hinaus ins Wasser hing. Das vollgelaufene Boot mußte ausgeschöpft werden, meine Hose triefte, vier Brustwarzen schauten mich durch nassen T-Shirt-Stoff an, die Sonne trocknete uns wie Wäsche auf der Leine. Hannas Skizzenblock war nicht naß geworden, er hatte in einer durchsichtigen Plastiktüte gesteckt. Hanna zeichnete die Hautabschürfungen auf unseren Beinen, malte kleine, weiße Wolken ins Blau, die Schaumkronen im Wasser, Baumwipfel als grüne Punkte und den Flußlauf der Moldau als Schlangenlinie über das ganze Blatt. In einem Städtchen spazierten wir durch das Schloß, tranken süßes tschechisches Bier und schliefen in einer Pension, in der nur noch ein Zimmer mit einem großen Bett frei gewesen war. Links von mir lagen die langen blonden, rechts die kürzeren schwarzen Haare, Hanna hatte den Block, meine Cousine den Reiseführer auf dem Nachttisch abgelegt. Unter dem offenen Fenster rauschte die Moldau, und ich war schon fast eingeschlafen, da sagte Hanna noch einmal, von hier fließt alles in die Nordsee, danach war ihr Murmeln nicht mehr zu verstehen. Immer wenn eine der beiden aufs Klo mußte, wachte ich auf, und irgendwann in der Nacht, als mich ihr Knie berührte, legte ich einen Arm um Hannas Bauch. Am nächsten Tag fuhren wir zurück nach Süden, Hanna hatte keine Lust zu lenken, also fuhr ich ihren Roller, sie saß die meiste Zeit hinter mir, verschränkte ihre Arme unter meinem Brustkorb und ließ mich ihre Muttermale in der rechten Armbeuge sehen. Ab und zu legte sie ihr Kinn auf meine Schulter, manchmal, wenn sie versuchte mir etwas ins Ohr zu sagen, klackerten unsere Helme wie die zweier Taucher tief unter Wasser aneinander. Im Fahrtwind verstand ich auch nach der zweiten oder dritten gebrüllten Wiederholung kein einziges Wort, irgendwann nickte ich ihr nur noch zu und folgte den Schlangenlinien, die meine Cousine auf die Dünung der leeren tschechischen Straßen malte. Links und rechts lagen dunkelgrüne Wiesen wie Süßwasserpriele im Wald, wir fahren über Meeresgrund, der sich gehoben hat