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Der exzentrische Altenberg: Bohemien, Mitglied des Literatenzirkels Jung-Wien, Kaffeehausliterat. Seine impressionistischen Skizzen und ironischen Aphorismen, ja Gedankensplitter, sind noch heute unübertroffen. In den Mittelpunkt seiner Kurzprosa stellt er das subjektive Erleben und teilt im Plauderton Augenblicke aus dem Alltagsleben der Großstadt um die Jahrhundertwende mit – dabei beschönigt er nie. Dieser Band enthält eine Auswahl aus folgenden Büchern: Wie ich es sehe, Was der Tag mir zuträgt, Pròdromos, Märchen des Lebens, Bilderbögen des kleinen Lebens, Neues Altes, Semmerling, Fechsung, Nachfechsung, Vita Ipsa, Mein Lebensabend, Der Nachlass.
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Seitenzahl: 506
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(1859 – 1919), dessen bürgerlicher Name Richard Engländer lautete, entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie. Nach dem Scheitern eines Medizin- und Jurastudiums und einer Buchhändlerlehre attestiert ihm ein vom Vater gerufener Arzt „Überempfindlichkeit des Nervensystems“ und „Berufsunfähigkeit“. Unter der Adresse „Café Central, Wien I“ führt er nun in Kaffeehäusern und billigen Absteigen das Leben eines Bohèmiens, immer wieder unterstützt von Karl Kraus, Alfred Polgar, Arthur Schnitzler, Egon Friedell und anderen Freunden des „Jungen Wien“. 1896 veröffentlicht er die erste Sammlung seiner literarischen Skizzen. Trotz literarischer Erfolge führt er ein gebrochenes Leben, das von Krankheit, Alkohol und finanzieller Not geprägt ist. Nach mehreren Aufenthalten in Nervenheilanstalten und gezeichnet von Alkoholismus und Schlafmittelmissbrauch stirbt er 1919 in Wien.
Karl Kraus kam 1874 als neuntes Kind jüdischer Eltern im böhmischen Gitschin zur Welt. 1877 siedelte die Familie nach Wien über. Hier besuchte Karl Kraus das „Franz-Josephs-Gymnasium“. 1891 starb seine Mutter, ein Ereignis, das ihn schwer erschütterte. Neben schauspielerischen Ambitionen trat in den letzten Schuljahren ein großes Interesse für die deutsche Literatur – vor allem für den „Modernen Realismus“ auf. Von 1892 bis 1899 schrieb er Artikel für verschiedene Zeitungen, von 1908 bis 1910 verfasste er Beiträge für den „März“ und den „Simplicissimus“. Er studierte zunächst Jura und wechselte 1894 gegen den Willen des Vaters auf die Philosophische Fakultät, wo er philosophische und germanistische Vorlesungen hörte. 1899 trat er aus der israelitischen Kultusgemeinde aus und trat 1911 zum Katholizismus über. Am 7. März 1923 trat er wieder aus der Kirche aus und blieb bis zu seinem Tode konfessionslos. Seit 1933 litt Karl Kraus an einem Herzleiden. Am 12. Juni 1936 erlag er nach zehntägiger Krankheit einem Herz- und Gehirnschlag.
Im marixverlag ist von Karl Kraus die Anthologie Ich bin der Vogel, der sein Nest beschmutzt erschienen.
»Das was der Altenberg schreibt,das weiß man ja sowieso!Er schreibt es nämlich so, daß man glaubt,man wüßte es seit jeher sowieso!Aber erst durch ihn weiß man, daß man es seitjeher schon wußte, das heißt, hätte wissen sollen!Man geniert sich direkt vor sich selber,daß man erst jetzt durch diesen verrücktenexzentrischen Altenberg erfährt!«
PETER ALTENBERG ÜBER PETER ALTENBERG
Der exzentrische Altenberg: Bohemien, Mitglied des Literatenzirkels Jung-Wien, Kaffeehausliterat. Seine impressionistischen Skizzen und ironischen Aphorismen, ja Gedankensplitter, sind noch heute unübertroffen. In den Mittelpunkt seiner Kurzprosa stellt er das subjektive Erleben und teilt im Plauderton Augenblicke aus dem Alltagsleben der Großstadt um die Jahrhundertwende mit – dabei beschönigt er nie. Dieser Band enthält eine Auswahl aus folgenden Büchern:Wie ich es sehe, Was der Tag mir zuträgt, Pròdromos, Märchen des Lebens, Bilderbögen des kleinen Lebens, Neues Altes, Semmerling, Fechsung, Nachfechsung, Vita Ipsa, Mein Lebensabend, Der Nachlass.
Peter Altenberg
Was der Tag mir zuträgt
Aus dem Peter-Altenberg-Zimmer der Neuen Galerie, Wien
Wer lebte unter diesem Pseudonyme?
Ein Mensch, den ich vor einem Dichter rühme.
Man las ihn früh und man erkannt' ihn später,
den hohen Altenberg, den höhern Peter.
Ein größrer Mann stand hinter großem Werk,
und niemals hielt er hinterm Altenberg
mit seinem Herzen; trug es auf der Hand
und brachte es durch Leben, Liebe, Land.
Und wie er zu uns rief und zu uns schwieg,
vor uns versank und in Ekstase stieg,
mit seiner Wahrheit unsre Lüge trog,
und wie er uns voranlief, uns entflog,
wie er sich überschlug und wie er litt:
Er nahm uns alle allerwegen mit!
Er gab sich weg und war sich selbst nur treu.
Die alte Welt, von ihm ersehn, war neu.
Wie er es sah, von fern und in der Nähe,
so schien, so war es, als ob Gott es sähe.
Und zwischen Einerseits und Anderseits
war aller Wunder wechselvoller Reiz,
und welchen Lebens Fülle, Geist und Art
so zwischen Kinderblick und Greisenbart!
Wie er es sah und wie er es drum glaubte,
und über sich zu lachen uns erlaubte:
Sein Paradoxon war nur unsre Welt,
just zwischen ihrem Wert und ihrem Geld;
und was er uns zu seinem Tod vermachte,
sind Tränen, die er übers Leben lachte.
Er schaut uns an. Noch auf dem Katafalk
ist es der Blick von dem gerührten Schalk.
Dies Auge sah den Herzen auf den Grund
und fühlte Schmerz und Liebe mit dem Hund.
Es sah empor zum Tier, zur Magd, zum Kind.
Ihm waren alle Sterne wohlgesinnt.
Vergebens bot er euch das Leben an.
Er gab das Wort. Ihr glaubt nur den Roman.
Ihr seid Papier; er war ein Element,
dess Zorn und Güte keine Grenzen kennt.
Er konnte toben; ihr jedoch seid stumm.
Ein Narr verließ die Welt, und sie bleibt dumm.
Wie wurde mir in seiner Nähe warm.
Ein Bettler ging von uns. Wie sind wir arm!
KARL KRAUS
Margueritta stand nahe bei ihm.
Sie lehnte sich an ihn.
Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manches Mal drückte sie sie sanft an ihre Brust.
Und doch war sie erst elf Jahre alt.
"Margueritta ist die Menschenfreundin", sagte die Mutter zu dem jungen Manne, "Rositta ist anders . Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Tiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn , aber es ist eine unglückliche Liebe."
"Wieso unglücklich ?!", sagte das Kind, "ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn . Das macht mich doch glücklich?!"
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich.
Margueritta sagte: "O, Rositta ist übertrieben !"
"Wieso?!", fragte die Schwester und erbleichte .
"Ja, du bist übertrieben ! Sie will Sennin werden am Patscherkofl und Zither lernen!"
Rositta: "Der Wirt in Igls hat so schön Zither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst, dass er schön singt ! Er ist dagesessen und hat gesungen ."
Margueritta: "Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ,O, meine Berge, meine Berge !' Aber übertrieben ist sie doch !"
Die Mutter sagte: "Das ist doch kein Lied: ,O meine Berge !?'"
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
Margit sagte: "O ja, das ist ein Lied ! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr ?!"
Der junge Mann sagte: "Ja!"
Er dachte: "Es ist eine tönende Menschenseele ein Lied!"
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen. Margueritta war die rosige Morgenröte man konnte es nicht anders sagen.
Aber die andere, die Sennin am Patscherkofl, die bleiche zarte, die Zither lernen wollte und die mit einer Altstimme sang: "O meine Berge, meine Berge" ?!
Es wurde Abend.
Er saß zwischen den beiden Kindern auf einer Bank an der Esplanade.
Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen Schoß und schlief ein .
Rosie saß da und blickte auf den See hinaus .
Beide weißen süßen Kinderseelen waren ihm zugeflogen.
Aber wirklich liebte ihn nur Margueritta und wirklich liebte er nur sie.
Was ist das "wirklich"?!
über der anderen schwebte das Schicksal. In ihr sang es: "O, meine Berge ". Und doch küsste sie ihn so sanft und sagte: "Du, Herr Albert "
Aber den Herrn von Bergmann mit dem gelben Fellchen und den krummen Beinchen und den riesigen Ohren den liebte sie "wirklich"!
Wenn er vorüberwatschelte, hatte sie eine tiefe Sehnsucht . Sie stand da mit ihren verschmähten Zuckerstückchen und warf sie ins Wasser
Der junge Mann fühlte die Tiefe.
Die Mutter sagte einfach: "Rositta ist schwer zu behandeln. Ich sehe darauf, dass sie viel schläft. Ich möchte Aufregungen von ihr ferne halten ."
Auch das Mutterherz fühlte das "schwebende Schicksal".
Der junge Mann behandelte beide gleich. Beide küsste er, mit beiden ging er Hand in Hand über die Esplanade, mit beiden ruderte er in den Abendstunden langsam auf und ab . Beiden schenkte er zum Abschied, im Herbst, zwei goldene Kuhglöckchen als Brosche, mit dem eingeätzten Worte "See-Ufer".
Rositta sang am nächsten Morgen in der Stadt mit ihrer Altstimme: "O meine Berge, meine Berge !"
Es war doch ein Lied ein Lied!
Margueritta hörte zu und dachte: "Du Dichterin, du Sängerin !"
Dann sagte sie einfach: "Rosie, du bist übertrieben !"
Der Saal ist viereckig, schneeweiß, überhaupt wie eine riesige Pappendeckelschachtel. Die durchscheinenden Kugeln aus dickem welligem Glase machen aus dem Bogenlicht im Inneren goldgrüne und weißgrüne Flecken, die wie glänzendes Wasser schimmern oder Öl, wie Milch im Mondschein.
Rechts neben ihm saß sein goldblondes Schwesterchen, in Samt maron purée und einer Bluse aus gleichfarbiger Seide. Sie hatte zu Hause gebadet, sich getummelt, häusliche Unannehmlichkeiten gehabt, suchte nun etwas, das entlastete, entfernte, blickte in die riesige Pappendeckelschachtel mit den goldgrünen glänzenden Flecken .
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