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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Autoren. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Die Kurzprosa, die der überzeugte Bohemien Peter Altenberg in Wiener Kaffeehäusern schrieb, entzieht sich den üblichen Erwartungen an ›ordentliche‹ Literatur. Vom Wechsel der Tages- und Jahreszeiten,von Kindheitserinnerungen und zufälligen Beobachtungen geprägt, nehmen sich Altenbergs Texte, die er selber als »Extrakte des Lebens« verstand, jede nur denkbare Freiheit. Der vorliegende Band basiert auf der Originalfassung von Altenbergs Buch, das erstmals 1896 im Berliner S. Fischer Verlag erschien.
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Seitenzahl: 196
Peter Altenberg
Wie ich es sehe
In der Fassung des Erstdrucks von 1896
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Autoren.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
(Skizzen-Reihe).
Margueritta stand nahe bei Ihm.
Sie lehnte sich an Ihn.
Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre Brust.
Und doch war sie erst elf Jahre alt.
»Margueritta ist die Menschenfreundin«, sagte die Mutter zu dem jungen Manne, »Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Thiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – – aber es ist eine unglückliche Liebe.«
»Wieso unglücklich – –?!« sagte das Kind, »ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!«
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich.
Margueritta sagte: »O, Rositta ist übertrieben –!«
»Wieso?!« fragte die Schwester und erbleichte –.
»Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkofl und Cither lernen!«
Rositta: »Der Wirth in Igls hat so schön Cither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst, dass er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –.«
Margueritta: »Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selbst die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: »O, meine Berge, meine Berge – –!« Aber übertrieben ist sie doch – – –!«
Die Mutter sagte: »Das ist doch kein Lied: »O, meine Berge – –!?««
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
Margit sagte: »O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir! Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!«
Der junge Mann sagte: »Ja!«
Er dachte: »Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!«
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.
Margueritta war die rosige Morgenröthe – – man konnte es nicht anders sagen.
Aber die Andere, die Sennin am Platscherkofl, die bleiche, zarte, die Cither lernen wollte und die mit einer Altstimme sang: »O meine Berge, meine Berge« – –?!
Es wurde Abend.
Er sass zwischen den beiden Kindern auf einer Bank an der Esplanade.
Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen Schooss und schlief ein – –.
Rosie sass da und blickte auf den See hinaus – – –.
Beide weisse süsse Kinderseelen waren ihm zugeflogen.
Aber wirklich liebte ihn nur Margueritta und wirklich liebte er nur sie.
Was ist das »wirklich«?!
Über der Anderen schwebte das Schicksal. In ihr sang es: »O meine Berge – – – «. Und doch küsste sie ihn so sanft und sagte: »Du, Herr Albertl – – –.«
Aber den Herrn von Bergmann mit dem gelben Fellchen und den krummen Beinchen und den riesigen Ohren – – den liebte sie »wirklich«!
Wenn er vorüberwatschelte, hatte sie eine tiefe Sehnsucht – – –. Sie stand da mit ihren verschmähten Zuckerstückchen und warf sie in’s Wasser – –.
Der junge Mann fühlte die Tiefe.
Die Mutter sagte einfach: »Rositta ist schwer zu behandeln. Ich sehe darauf, dass sie viel schläft. Ich möchte Aufregungen von ihr ferne halten – – –.«
Auch das Mutterherz fühlte das »schwebende Schicksal.«
Der junge Mann behandelte Beide gleich. Beide küsste er, mit Beiden ging er Hand in Hand über die Esplanade, mit Beiden ruderte er in den Abendstunden langsam auf und ab – – –. Beiden schenkte er zum Abschied, im Herbst, zwei goldene Kuhglöckchen, als Broche, mit dem eingeätzten Worte »See-Ufer«.
Rositta sang am nächsten Morgen in der Stadt mit ihrer Altstimme: »O meine Berge, meine Berge –!«
Es war doch ein Lied – – ein Lied!
Margueritta hörte zu und dachte: »Du Dichterin, Du Sängerin – – –!«
Dann sagte sie einfach: »Rosie, Du bist übertrieben – – –!«
»Das Fischen muss sehr langweilig sein,« sagte ein Fräulein, welche davon so viel verstand wie die meisten Fräulein.
»Wenn es langweilig wäre, thäte ich es ja nicht,« sagte das Kind mit den braunblonden Haaren und den Gazellenbeinen.
Sie stand da, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Sie nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es zu Boden.
Das Fischlein starb – – –.
Der See lag da, in Licht gebadet und flimmernd. Es roch nach Weiden und dampfenden verwesenden Sumpfgräsern. Vom Hôtel her hörte man das Geräusch von Messern, Gabeln und Tellern. Das Fischlein tanzte am Boden einen kurzen originellen Tanz wie die wilden Völker – – – und starb.
Das Kind angelte weiter, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers.
»Je ne permettrais jamais, que ma fille s’adonnât à une occupation si cruelle«, sagte eine Dame, welche in der Nähe sass.
Das Kind nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es wieder zu Boden, in die Nähe der Dame.
Das Fischlein starb – – –. Es schnellte empor und fiel todt nieder – – ein einfacher sanfter Tod! Es vergass sogar zu tanzen, es marschierte ohne weiteres ab – – –.
»Oh – – – « sagte die Dame.
Und doch lag im Antlitz des grausamen braunblonden Kindes eine tiefe Schönheit und eine künftige Seele – – –.
Das Antlitz der edlen Dame aber war verwittert und bleich – – –.
Sie wird Niemandem mehr Freude geben, Licht und Wärme – – –.
Darum fühlte sie mit dem Fischlein.
Warum soll es sterben, wenn es noch Leben in sich hat – – –?!
Und doch schnellt es empor und fällt todt nieder – – – ein einfacher sanfter Tod.
Das Kind angelt weiter, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Es ist wunderschön, mit seinen grossen starren Augen, seinen braunblonden Haaren und seinen Gazellenbeinen.
Vielleicht wird es auch einst das Fischlein bemitleiden und sagen: »Je ne permettrais jamais, que ma fille s’adonnât à une occupation si cruelle – – –!«
Aber diese zarten Regungen der Seele erblühen erst auf dem Grabe aller zerstörten Träume, aller getödteten Hoffnungen – – –.
Darum angle weiter, liebliches Mädchen!
Denn, nichts bedenkend, trägst du noch dein schönes Recht in dir – – –!
Tödte das Fischlein und angle!
Sie wohnte in dem wunderschönen Hôtel am See-Ufer.
Abends speiste sie unter den grünen Laubengängen, die in elektrischem Lichte schimmerten.
Der Tag war lang – – bis zum Abend.
Sie stand spät auf – –. Dann sass sie auf der schattigen Promenade auf einer Bank –.
Nach dem Speisen ging sie in ihr kühles Zimmer.
Um fünf, um sechs, machte sie einen Spaziergang mit den Eltern, den Geschwistern. Abends speiste die Familie unter grünen Laubengängen, die in elektrischem Lichte schimmerten.
Der Tag war lang bis zum Abend – – –.
Hie und da kam ein Jüngling zu Besuch, der sie liebte – – –.
Müde und ruhig widmete sie ihm die Stunden, die er ihretwegen dort verbrachte. Er ruderte sie auf den See hinaus – – er fühlte sich sehr glücklich.
Sie sass am Steuersitze.
Wie in einem sammtenen oder seidenen Fauteuil in einer reichen dumpfen Stadtstube sass sie da – – –.
Sie hatte ein wunderschönes Kleid an aus rostrother Seide mit einem breiten gewirkten dunkelgoldenen Gürtel und einen Florentiner Strohhut mit weissen Veilchen und einem langen seidenen Bande, das unter dem Kinn in eine Masche gebunden war.
Der See lag in den matten Abendfarben – – –. Vom Walde her kam Laubduft.
Das graue Seeschloss und das weisse Landschloss schwammen im Wasserdunst – –.
An den Rudern glitten weissgrüne Perlen herunter – –.
Die Ruder sangen: Plúk-Prlúk, Plúk-Prlúk, Plúk-Prlúk – – –.
Am Tage vor ihrer Abreise, im Herbst, erhielt sie einen Strauss von wunderbaren dunklen Rosen.
Auf einer Karte stand:
»Dem Ideale menschlicher Schönheit.«
Ein »Grieche«.
Nacht.
Sie liess ihr Nachtgewand herabgleiten und stand splitternackt vor dem grossen Spiegel.
Es war das »Ideal menschlicher Schönheit«. Auf dem Tische dufteten die Rosen – – –.
Da wich für einen Augenhlick die dumpfe müde Langweile von ihr und wie eine jubelnde junge Siegerin zog die Hoffnung in ihr ein – –.
Als sie im Coupé sass und in den Herbst, in den Winter hineinfuhr, in fröstelnder Langweile, dachte sie: »Perikles, Sophokles, Themistokles, Sokrates – – –.«
Da hatte sie eine dunkle Empfindung von dem schönen unvergänglichen Geiste Griechenland’s – – –.
Ich kam einmal zu dem ersten Friseur der Residenz.
Es roch nach eau de Cologne, nach frisch gewaschenen Leinenmänteln und zartem Cigarrettenrauch – – Sultan flor, Cigarrettes des Prinzesses égyptiennes.
An der Kassa sass ein ganz junges Mädchen, mit hellblonden seidenen Haaren.
»Ah,« dachte ich, »ein Graf wird dich verführen, du Wunderschöne – – –!«
Sie sah mich an, mit einem Blick, der sagte: »Wer du auch seist, Einer unter Tausenden, ich sage dir, das Leben liegt vor mir, das Leben – – –! Weisst du das?!«
Ich wusste es.
»Ah,« dachte ich, »es kann aber auch ein Fürst sein – – –!«
Sie heiratete einen Cafétier, der in einem Jahre zu Grunde ging.
Sie war gebaut wie eine Gazelle. Seide und Sammt erhöhten nicht ihre Schönheit – – am schönsten war sie wahrscheinlich nackt.
Der Cafétier ging zu Grunde.
Ich traf sie auf der Strasse mit einem Kinde.
Sie sah mich an, mit einem Blick, der sagte: »Ich habe das Leben dennoch vor mir, das Leben, weisst du das – –?!«
Ich wusste es.
Ein Freund von mir hatte den Thyphus. Er war Junggeselle, reich und bewohnte die See-Villa.
Als ich ihn besuchte, machte eine junge Dame, mit hellblonden seidenen Haaren, die Eisumschläge. Ihre zarten Hände waren ganz aufgerissen vom Eiswasser. Sie blickte mich an: »Das ist das Leben – –! Ich habe Ihn lieb – –! Weil das das Leben ist – –!«
Als er genesen war, überliess er die Dame einem anderen reichen jungen Manne – – –.
Er trat sie einfach ab, ganz einfach – – –.
Das war im Sommer.
Später überfiel ihn die Sehnsucht – – im Herbst. Sie hatte ihn gepflegt, sich an ihn angeschmiegt mit ihrem süssen Gazellenleib – – –.
Er schrieb ihr: »Komm’ zu mir – – –!«
Eines Abends im Oktober, sah ich sie mit ihm in den wunderschönen Hausflur treten, in dem acht Säulen aus rothem Marmor schimmerten.
Ich grüsste sie.
Sie blickte mich an: »Das Leben liegt hinter mir, das Leben – –! Weisst du das?!«
Ich wusste es.
Ich kam zu dem ersten Friseur der Residenz.
Es roch noch immer nach eau de Cologne, nach frisch gewaschenen Leinenmänteln und zartem Cigarrettenrauch – – Sultan flor, Cigarrettes des Princesses – –.
An der Kassa sass wieder ein junges Mädchen, mit braunen welligen Haaren.
Sie blickte mich an mit dem grossen Triumphblick der Jugend – – – profectio Divae Augustae Victrisis – – –: »Wer du auch seist, Einer unter Tausenden, ich sage dir, das Leben liegt vor mir, das Leben – – – !Weisst Du das?!«
Ich wusste es.
»Ah«, dachte ich, »ein Graf wird dich verführen – – – es kann aber auch ein Fürst sein!«
Er trug auf dem Spaziergang ihre Jacke. Diese war aussen hellbraun, innen aus lila Seide. Der Duft der Seide berauschte ihn, wiegte ihn ein – – –.
Er athmete diesen Duft ein, der von ihrem süssen warmen ambrafarbigen Leib in die weiche Seide geflossen war, extrait fleure d’Anita – – –.
»Warum haben Sie die Jacke getragen?!« fragte Frau v. E., »macht Ihnen das Vergnügen?! Wozu – –?!«
»Aus Höflichkeit – – «, sagte er, »es ist eine Jacke wie eine andere, man muss das thun – – –.«
Bei dem kleinen Gasthofe am See-Ufer, auf der Wiese mit den Birnbäumen war eine Schaukel.
»Schaukeln Sie mich – – – «, sagte das Fräulein.
Wenn sie an ihn heranschwebte, hatte er die Empfindung einer ungeheuren Nähe, manchmal berührte er ihr Kleid, einmal sogar – – –.
»Warum haben Sie das Fräulein geschaukelt – –?!«, fragte Frau
v. E., »es ist kindisch, so etwas giebt es in den Bilderbüchern, ich
habe es von Erwachsenen nie gesehen – – –.«
Er schwieg.
»Er ist ein Gymnasiast – – «, dachte Frau E.
Als er oben am Hügel mit dem jungen Mädchen auf dem kurzen warmen trockenen Grase lag, in der Abendsonne, berührte er leise ihre Hand. Der Wind wehte lau. Ein Vogel machte »hi hi hi hi hia – – –.« Dann versank die Sonne. Der Wind wehte kalt.
»Wie war es – – –?!« fragte Frau E. den Herren.
»Oh schön – – –. Erst ist es warm und trocken, dann sinkt das Thermometer, die Abendsonne funkelt herüber, der See hat kupferrothe und flaschengrüne Streifen, plötzlich wird er bleigrau, das Thermometer sinkt und die Wiesen beginnen zu duften und feucht zu werden – – –.«
»Poët – – – «, sagte Frau E.
Am nächsten Abende ruderte Frau E. allein in einem kleinen Boote – – –.
Sie fuhr langsam das Ufer entlang – – –.
Da kam die dunkelgrüne dicke Linie der Kastanienbäume an den grauen cyclopischen Quai-Mauern, dann eine kleine hölzerne Villa, in der ein sterbender Dichter lag, dann eine grosse aus Stein mit schmiedeeisernen Kandelabern, in der eine sterbende Ehe lag und zwei blühende Kinder, dann kam der Garten der Herzogin, die einen Sohn verloren hatte, den sie nie besessen hatte. Da hingen schwarze Haselstauden in’s Wasser. Dann kamen Wiesen mit feinen Sumpfgräsern und goldenem Löwenzahn, dann kam Schilf mit hellbraunen Federbüschen, das raschelte. Der Märchendichter würde sagen: »Und es raunte sich Geschichten zu, Geschichten – – –!«
Dann kamen Wiesen, die ganz still dalagen – – –.
Frau v. E. sass, ein bischen gebückt, in ihrem kleinen Boote und genoss den Abendfrieden – – –.
P. A. lehnte an einer gelben glänzenden Marmorsäule des Tanzsälchens und betrachtete die jungen Mädchen.
Er dachte: »Diese gemachte Lustigkeit – – – ! Wie kann ein Mädchen lustig sein, sich amüsiren, wenn sie nicht schön, fast tadellos ist – –?! Wie kann sie froh sein, wenn sie nicht fühlt: »ah, ich gefalle, ich bin sehr hübsch, ich bin ein kleiner Mittelpunkt, ich halte Cercle wie eine Prinzessin – – – «?!«
»Herr v. S., bitte, wer ist diese junge Dame?!« sagte er.
»Teresa K. – – soll ich sie vorstellen?!«
»Danke – – –.«
Später sah er sie in einem Haine von Orangenbäumchen sitzen. Sie hielt Cercle wie eine Prinzessin –. Als sie »Sir Roger« tanzte, lehnte er wieder an einer gelben glänzenden Marmorsäule.
Er dachte: »Diese gemachte Lustigkeit – – –!«
Und dennoch war sie schön, fast tadellos – – –.
Er dachte: »Teresa K., mit deiner müden Gracie, ritardando, in dieser »Circus-Frechheit« des Sir Roger – Teresa K.!«
Plötzlich glitt sie aus, fiel nieder – – –.
Ihr süsses wunderbares Antlitz nahm den Schmerzenszug der Madonnen an. Es war wie wenn sie sagen würde: »O, ich passe nicht hierher, ich weiss es – –. Aber wohin passe ich denn, bitte?! Vielleicht bin ich doch nur für das Vergnügen geschaffen und kann ihm nur nicht Stand halten – – –.«
Bald lächelte sie wieder, flog hin, duckte sich auf die Kniee, klatschte in die Hände, frendig und erhitzt – – –. Ihr Antlitz schimmerte feucht, aber es blieb bleich – – –.
P. A. lehnte an der gelben glänzenden Marmorsäule: »Mit dir, Edle, Wunderbare, in einer lieben häuslichen Stube zu sitzen und über die Enttäuschungen des Lebens zu sprechen, über den Sommer und über den Herbst, über Kinderseelen und Dichterseelen – –! In stiller sanfter Begeisterung zu sagen: Ich liebe die Japanische Kunst und ihre Vögel, ihre Blumen, ihre Farben, ich liebe die Buchenwälder im Oktober, die weissen Carrara-Nymphen des Gustav Eberlein, die christliche Begeisterung des Léo Tolstoï und die »Musik-Gedanken« des Parsifal – – –!
Aber da stehst du in der Circus-Frechheit des Sir Roger – – –!«
Er lehnte unbeweglich an der gelben glänzenden Marmorsäule, bis der Ball zu Ende war und die elektrischen Glühlichter verlöschten.
Zwei Jahre lang sagte er: »Mein Ideal ist Teresa K. – – –.«
Das kam ihr zu Ohren.
»Warum lässt er sich nicht vorstellen?! Fürchtet er sich vor mir?!«
Im dritten Jahre, im Sommer, auf dem blaugrauen See, unter der weissen sonnenheissen Plache des Salondampfers, wurde er ihr vorgestellt.
»P. A. – Teresa K.!«
Sie sprachen mit einander.
Sie sagte: »Ich liebe den See nicht, ich liebe das Lawn-tennies – – –. Ich kann es Stunden lang spielen, Tage lang – – –.«
Er erwiderte: »Ich liebe das Lawn-tennies nicht, ich liebe den See – –. Ich kann ihn Stunden lang betrachten, Tage lang – –.«
»Da passen Wir zusammen« sagte sie lächelnd, »Wir ergänzen Uns – –!«
Eines Abends sass er bei ihr, in ihrem Zimmer.
Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer – – –.
Er sprach über die Enttäuschungen des Lebens, über den Sommer und über den Herbst, über Kinderseelen und Dichterseelen – – –. Er sprach über Japanische Kunst, über die Buchenwälder im Oktober und die Musik-Gedanken des Parsifal.
Sie dachte: »Wir ergänzen Uns – – –. Ich denke Nichts und du denkst Alles – – –.«
Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer – – –.
Sie sass an ihrem kleinen Tische und stützte den Kopf in die Hände.
Was war sie, was – – –?!
Sie spielte gern Lawn-tennies und tanzte gern Sir Roger. Es war eine Sehnsucht in ihr nach naturgemässer mechanischer Bewegung, die das Blut an die Oberfläche treibt und diese rosig macht und die müden Nerven in eine Art von stürmischen äusseren Rausch versetzt.
Hie und da träumte sie: »O, ein schwarzes, seidenes, rund ausgeschnittenes Kleid mit entblössten Schultern und einem breiten, riesig breiten Gürtel aus Reihen von milchblauen durchscheinenden Glasperlen – – –! Oder ein heliotropefarbiges seidenes mit einem Gürtel aus Wachsperlen oder ein weissblaues mit Bronzeperlen, oder gar ein schneeweisses mit granatrothen Perlen!«
Das waren die »Traum-Phantasieen« – – –.
Oft dachte sie: »Bin ich schön oder hübsch, schön oder hübsch – –?! Diese Männer lügen! Sie könnten es so sagen, dass es den Zweifel tödten würde. Sie müssten es schweigend sagen.
Aber Sie flüstern es mit einer affektirten vibrirenden süsslichen Stimme: »ah, Fräulein – – –.««
Einmal ging sie mit diesem jungen Herren da spazieren. Es war ein kühler Abend und Nebel.
»Oh, ein Monsieur wird sich verkühlen« sagte sie und band ihm ihr weisses seidenes Tuch um den Hals.
»Sie sind so gut, so aufmerksam« sagte der junge Mann, der die geliebte Hand an seinem Halse vorbeistreifen fühlte.
»Das ist doch das Wenigste, was wir für die thun müssen, die zu Uns halten. Wenn Sie krank werden und sterben, können Sie mir nicht mehr den Hof machen« sagte sie lächelnd.
Aber gleich setzte sie hinzu: »Sehen Sie, so Eine bin ich – –! Nein, es ist ein dummer Scherz, es ist unanständig von mir – – –. Bitte, verzeihen Sie mir!«
Ihr Leben zog an ihr vorüber, dieses Leben, das die Seele in kleine Stücke zersplitterte und auseinander warf, statt alles Gute und Weiche zusammenzuhalten für – – –, für was, das wusste sie nicht.
Sie sass da und sann – – –.
Er aber blickte hin und seine Seele dichtete: »Guiccioli Teresa – – –!«
Wie im Künstlergeiste brannte eine Welt in ihm voll Liebe und Begeisterung, entzündet und genährt an eigenem Feuer – – –.
Und was war sie?!
Sein eigenes, das aus seiner Fülle selbst in die Welt hinausgestellte »Lebendige-Natürliche« in ihm, sein eig’ner Theil, der, losgelöst von ihm und seiner Denk-Last, in reiner Kraft nun in die Sterne zog – –.
Sie aber sass da und stützte die Elbogen auf die Tischplatte und die edle weisse Stirne in die Hände und horchte in die leere Welt hinaus – – –.
Und wie sie so dasass und hinaushorchte in die leere Welt, ohne zu suchen, ohne zu finden – – da verstand er sie.
Es war des Lebens Noth, der Drang des Sein’s – –.
Und da erkannte er: »Nicht was Ihr seid, seid Ihr! Doch was Wir dichten, dichtet Ihr in Uns! So seid Ihr uns’re Dichter, uns’re Dichtung, der Lieder Sänger und das Lied zugleich!
Teresa K., fremd bleibst du mir und fern – – und doch mein Lied!
Nicht was Ihr seid, seid Ihr – – –!
In Uns allein feiert Ihr ewig euer heiliges Fest der Wiederauferstehung aus des Lebens Noth!
Aus unser’n weissen Flammen steigt Ihr auf – –!
In unsern Seelen werdet Ihr geboren!«
So sann er – – –.
Da schaute sie auf, weil es so still geworden war und sie sah – – einen Menschen!
Leise, leise fühlte sie die göttliche Kraft, die von ihr ausströmte in tausend weissen Strahlen und die in geheimnisvoller Zeugung den »Gott-Mann«, wenn auch für Augenblicke in Ihm schuf – – –.
Und da empfand sie: »Nicht was Ihr seid, seid Ihr!
Durch Uns allein feiert Ihr ewig euer heiliges Fest der Wiederauferstehung aus des Lebens Noth!«
Sie sass da, gerade, aufrecht, mit ihrem schönen edlen Haupte und streckte die Arme auf der Tischplatte aus und spreizte die schneeweissen Finger aus und lächelte – –.
Sie war Weib-Königin geworden!
Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer – – –.
Der Herr trug immer eine breite weisse Flanellhose, ein weites weisses Flanellhemd und eine offene hellgraue Flanelljacke.
Er sah aus wie ein Akrobat, gehüllt in Noblesse.
Einmal tanzte er im Cursaal »Sir Roger« mit der schönsten Dame von der Welt. Er bewegte sich wie ein Clown – –. Aber Alles war gleichsam gedämpft und zurückgehalten durch die Nähe der schönen Frau.
Und doch sah man einen edlen Körper aus Stahl-Muskeln, in geölten Stahl-Scharnieren, gelenkt von Witz und Grazie – – –.
Es war die »Idee« des Tanzes: »Spielende Kraft.«
Es ist wie das Schachspiel – –! Dort die That des Geistes im Zwecklosen, hier die des Bewegungssystem’s.
Es ist der herrliche Überfluss der Kraft – – –!
Wie wenn eine edle Dampfmaschine ein Ventil öffnet und weissen Dampf ausströmt – – –.
Vormittag fuhr er immer in einem kleinen Canoe am See, mit seinen drei braunlockigen Töchtern: 4 Jahre, 5 Jahre, 6 Jahre – –; Evelyn, Mildred and Dorothy – – –.
Sie sassen am Boden des gedeckten Bootes.
Alle hatten doppelte Ruder und legten im Takte ein – – –.
Der Herr sagte »stop« und »go«. Die Kinder gehorchten wie die kaiserlichen Fusstruppen.
Man sah nur die lieblichen Köpfchen, die Schultern, die Elbogen, die Händchen und die weissen Ruder.
Stop, go – – stop, go – – stop!
Die jungen Damen gehorchten wie die kaiserlichen Fusstruppen – –; sie hätten auch rufen können: »Es lebe unser gutes gerechtes Väterchen – –!« Aber dazu waren sie zu wohlerzogen; es war bei ihnen nur so ein innerer Jubel – – –.
Eines Abends trug er miss Dorothy mit ihren nackten rosigen Beinen rittlings auf seinen Schultern und galoppirte über die Esplanade, vor allen Leuten – – –.
»O, mister Bigloff, was ist das – –?« sagte eine wunderschöne Dame.
»Das ist das feinste Pferd von der Welt, missis Bigloff – – –! Sie können darauf wetten – – es schlägt Alle – – –.«
Er liess das Fräulein absitzen und küsste der wunderschönen Dame die Hand.
Ein bleiches junges Mädchen mit einem heiligen Antlitz sagte: »Die Welt ist leer – – –. Ich habe einen Mann gesehen, einen Menschen, einen wirklichen Menschen – – –! A real man! Er hat eine edle Frau und drei Engerln – – –. Aber es giebt nur einen Amerikaner und so viele Mädchen die ihn träumen – – –!
Ah, missis Bigloff – – –!«
Jeden Nachmittag um 5 Uhr erschien sie auf der Esplanade.
Die Musik spielte in einem gelben Holz-Pavillon und die Damen trugen wunderschöne Kleider und Hüte.
An den meisten Tischen auf dem in den See rund vorspringenden Plateau schimmerte es weiss und lila oder weiss und grün. Das waren die Modefarben. Aber es gab auf dieser weiten Fläche von feinen Stoffen, gelbem Stroh, französischen Blumen, Eulen und Straussfedern, auch rostrothe und stahlblaue seidene Flecken und ganz hellbraune aus Rohseide, wie Milchkaffee, mit matten schottischen Bändern – – –.
Die junge Frau, die täglich um fünf Uhr auf der Esplanade erschien, war wunderbar schön und trug wunderbare Kleider. Zum Beispiel eines aus braunrosa Seide mit weisser und hellgrüner Stickerei.
Aber ihr schönster Schmuck war das Kind, das mit der Bonne an ihrer Seite ging.
L’enfant russe, Katja.
Das ist Schönheit, Gracie, süsse Heiterkeit und weisses leuchtendes bezauberndes Licht. Das ist der Mensch, wie ihn die, Ideale träumende, Natur ersehnt, das ist die Dichtung der alten Mutter Erde – – –.
Reiche elegante Herren sassen bei der jungen Dame – – –, aber nie zusammen. Zum Beispiel der Herr Graf T. und dann später der Herr von A. und dann der Rittmeister Baron; – – oder auch umgekehrt. Die Reihenfolge wurde nicht eingehalten.
Manche blickten auch nur hin, ohne zu grüssen und lächelten. Andere grüssten wie wenn sie sagen würden: »Ich grüsse dich!
Ho! Warum denn nicht?! Es ist ja ein Kur-Ort, ein Rendez-vous der Welt!«
Katja sass da, mit ihren goldenen Haaren und den wunderbaren sanften Augen – – – – –.
Niemand kümmerte sich um sie.
Die Frau Mama, die schöne Frau Mama, stützte die Elbogen auf den Tisch und schaute auf die Bäume mit den breiten Blättern, auf den schimmernden See, in die Augen des Herrn von – – –.
Um sieben Uhr schickte man Katja schlafen.
Sie sagte sanft: »adieu Mami – – –.«
Die junge Dame antwortete nicht – – –. Sie stützte die Elbogen auf den Tisch und schaute auf die Bäume mit den breiten Blättern, auf den schimmernden See, in die Augen des Herrn von – – –.
Die Esplanade wurde dunkel.
Die wunderschöne junge Dame ging langsam die Allee entlang – – –.
Niemand kümmerte sich um sie. Bis dahin Prinzessin des Lebens und jetzt, wenn der Abend kommt, einsam – – –! Und in der Nacht vielleicht wieder Prinzessin, Königin, Göttin – – –.
Abenddämmerung, Frieden – – –.
Eltern sitzen auf den Bänken, ein wenig ermüdet von den Landparthieen; Kinder denken ernst an das Souper und junge Menschen, die sich lieb haben, führen leise Gespräche und fühlen sich riesig glücklich – – –. Sie haben die Empfindung: »Es ist eine unvergessliche Stunde in meinem Leben – – –.« Immer haben sie solche »unvergessliche Stunden«, diese jungen Leute, die sich lieb haben.