Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
" Was wir zu erzählen haben " von Joanna Gaines ist ein inspirierendes Buch, das die Leser auf eine emotionale Reise durch die Höhen und Tiefen des Lebens mitnimmt. Gaines teilt ihre persönlichen Erfahrungen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse über Angst, Perfektion und die Bedeutung der Selbstakzeptanz. Sie erzählt von den Herausforderungen, die sie auf ihrem Weg überwinden musste, und wie diese Erfahrungen sie geformt haben. Das Buch ermutigt die Leser, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, unabhängig von den Rückschlägen und Ängsten, die sie erleben. Gaines betont die Wichtigkeit, die eigene Stimme zu finden und sich selbst treu zu bleiben. Was wir zu erzählen haben bietet keine Gebrauchsanweisung, sondern eine Einladung, das eigene Leben mit offenem Herzen zu erkunden und die Schönheit in den alltäglichen Momenten zu entdecken. Gaines' authentischer Schreibstil und ihre ehrlichen Reflexionen machen dieses Buch zu einer bewegenden Lektüre, die Mut und Hoffnung schenkt. Joanna Gaines ist bekannt als Mitbegründerin des erfolgreichen Unternehmens Magnolia und als TV-Persönlichkeit der Show "Fixer Upper". Mit diesem Buch zeigt sie eine tiefere, persönliche Seite und lädt die Leser ein, an ihrer Reise des Wachstums und der Selbstfindung teilzuhaben.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 311
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Was wir zuerzählen haben
JOANNA GAINES
1. deutsche Auflage 2024
ISBN 978-3-96257-341-6
© 2024 Narayana Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf von Personen oder Organisationen (einschließlich Google, Amazon oder ähnlichen Organisationen) in irgendeiner Form, auch nicht elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopieren, Aufzeichnen, Scannen, oder durch ein Informationsspeicher- und -abrufsystem ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt oder übertragen werden.
Titel der Originalausgabe:
THE STORIES WE TELL
Copyright © 2022 Joanna Gaines. All rights reserved.
Published by arrangement with Harper Collins Christian Publishing Inc.
Übersetzung aus dem Englischen: Julia Heinecke
Lektorat: Junia Folk
Layout und Satz: Buch&media GmbH, München
Herausgeber:
Unimedica im
Narayana Verlag GmbH,
Blumenplatz 2, D-79400 Kandern
Tel.: +49 7626 974 970-0
E-Mail: [email protected]
www.unimedica.de
Die Information auf Seite 216 stammt von Carol Graham und Julia Ruiz Pozuelo: “Happiness, Stress, and Age: How the U-Curve Varies Across People and Places”, Journal of Population Economics 30 (2017): 225–264.
Für meine Kinder
Drake, Ella, Duke, Emmie Kay und Crew:
Mögt ihr immer die Schönheit
in jedem Teil eurer Geschichte sehen.
KAPITEL 1 Was ich zu erzählen habe
KAPITEL 2 Wenn die Angst sich löst
KAPITEL 3 Brücken
KAPITEL 4 Sieh auf!
KAPITEL 5 Festhalten und loslassen
KAPITEL 6 Tiefe Wurzeln
KAPITEL 7 Gesunde Dinge wachsen
KAPITEL 8 Mach dich frei
KAPITEL 9 Stück für Stück
KAPITEL 10 Hab Spaß!
KAPITEL 11 Eine neue Seite aufschlagen
Danksagung
Zur Autorin
Das erste Buch, das ich geschrieben habe, wird niemals jemand lesen. Ich stand am College kurz vor dem Abschluss und studierte Rundfunkjournalismus, insofern war es nicht ungewöhnlich, ein eigenes Schreibprojekt in Angriff zu nehmen. Aber dieses Buch war nicht für die Massen bestimmt. Es sollte nur für mich sein, und nur für diese Zeit.
Es war Sommer 2000, und ich hatte gerade ein ziemlich gutes Praktikum bei CBS News in New York City ergattert. Ich war das erste Mal von zu Hause fort. Abgesehen davon, dass ich ein einziges Nervenbündel war, stellte ich bald fest, dass die Fernsehwelt für mich nicht das Richtige war. An den meisten Tagen verließ ich meinen Praktikumsplatz mit einem Gefühl der Unsicherheit oder einfach nur Heimweh. Mir war nicht klar, wie meine Zukunft aussehen sollte, und während ich durch die Straßen dieser großen Stadt lief, entdeckte ich Teile in mir, nach denen ich gar nicht gesucht hatte.
Ich wuchs in Rose Hill in Kansas auf, einer Kleinstadt in der Nähe von Wichita. Als kleines Mädchen, das halb koreanisch, schüchtern und unsicher war, wurde ich wie viele andere Kinder auch in der Schule gehänselt. Ich hatte etwas an mir, das alle sehen konnten, etwas, das meine Geschichte an meinem Äußeren erkennen ließ. Zunächst einmal sah ich anders als die anderen aus. Ich gab mein Bestes, um dazuzugehören, tat so, als würde ich die Witzchen der anderen über meine Schlitzaugen nicht mitbekommen, und überhörte ihr Getuschel, wenn ich mich in der Cafeteria für Reis statt für Pommes entschied. Schnell lernte ich, dass es etwas an mir gab, was die Aufmerksamkeit von anderen erregte, etwas, das für mich selbst gar nicht interessant war. Aber das war nur in der Schule so. Zuhause war ich die stolze Tochter einer schönen koreanischen Frau.
Hier die Kurzversion einer so komplizierten wie wunderschönen Liebesgeschichte: Meine Mutter lernte meinen Vater 1971 in Korea kennen. 1969 wurde er in einer Lotterie für einen Vietnam-Einsatz gezogen. Mein Vater wurde in Seoul stationiert und traf dort an einem Wochenende auf einer Party meine Mutter. Sie verliebten sich ineinander, und nachdem mein Vater in die USA zurückgekehrt war, schrieben sie sich Briefe. Beide brauchten dafür einen Übersetzer, um die Sprache des jeweils anderen lesen zu können. Ein Jahr später schickte mein Dad meiner Mom ein Flugticket, daran ein Notizzettel: »Willst du mich heiraten? Falls du nein sagst, schick mir bitte wenigstens das Ticket zurück.«
Ein paar Monate später landete meine Mutter in San Francisco, Kalifornien, wo sie meinen Vater vor dem Friedensrichter heiratete. Sie sprach kein Englisch und kannte niemanden. Sie war neunzehn Jahre alt.
Sie schaffte es, sich schnell an die Kultur in Kansas anzupassen. Mein Vater erzählt immer, wie entschlossen meine Mutter war, die Sprache und die Gepflogenheiten zu erlernen. Einige amerikanische Lebensgewohnheiten übernahm sie – wie andere Frauen sich kleideten oder miteinander umgingen genauso wie deren Eigenheiten.
Es gab nicht viele andere ethnisch gemischte Familien in Rose Hill, die unserer ähnelten, so dass es für meine Mutter nicht einfach war, sich zugehörig zu fühlen. Jahre später erging es mir ähnlich. Jetzt in der Rückschau erkenne ich, wie meine Mutter das Leben unserer Familie auf eine Art und Weise geprägt hat, die für ihre eigene Kultur einzigartig war – aber meinen Schwestern und mir war damals der Unterschied zwischen koreanischen und amerikanischen Traditionen gar nicht bewusst. Wir waren beides, und für uns war es das Gleiche. Meinen Schwestern und mir erschien meine Mom genauso amerikanisch wie die Mütter der anderen Kinder. Wir bewunderten sie so, wie kleine Mädchen es tun. Ich liebte ihre Haare und die Art, wie sie sich kleidete. Ich war stolz, ihre Tochter zu sein. Ich hatte sie nie als anders wahrgenommen. Mir war nicht einmal klar, dass sie mit einem Akzent sprach, bis mich ein Kind in meiner Klasse darauf stieß.
Meine Mutter hatte eines Nachmittags in meiner Klasse ausgeholfen, als ein Junge, von dem ich es schon gewöhnt war, dass er sich über mich lustig machte, anfing zu lachen, auf sie zeigte und verkündete: »Niemand kann deine Mutter verstehen, wenn sie spricht.« Zuerst dachte ich: Wovon redet er? Die Stimme meiner Mutter ist doch ganz normal. Für mich ergab das keinen Sinn.
Dennoch spürte ich einen Stich der Scham, verstand aber nicht ganz, warum. Also verdrängte ich diesen Stich so schnell, wie er kam, und machte so weiter wie bisher in dem Glauben, die Unterschiede zwischen uns nicht wahrzunehmen – und bemerkte dabei wirklich nicht, dass meine beginnenden eigenen Unsicherheiten teilweise der Grund dafür waren, dass ich diese Unterschiede nicht wahrnahm.
Im selben Jahr kam die Mutter meiner Mom von Seoul zu uns nach Kansas. Als ich sie zum ersten Mal sah, dachte ich, dass sie so anders als meine Mom war. Ich hatte keine Ahnung, wie eine traditionelle koreanische Großmutter zu sein hatte, meine jedenfalls schminkte sich weder noch färbte sie ihr Haar – das erkannte ich an all den grauen Strähnen. Sie trug sehr einfache Kleidung, während sich meine Mutter immer schick machte. Und in all den Jahren, in denen sie bei uns lebte, sprach sie ausschließlich Koreanisch.
Bei allen äußerlichen Unterschieden lernte ich, dass meine Mutter und meine Großmutter eine gemeinsame Vergangenheit hatten, die sie stärker miteinander verband als alles andere. Die gemeinsame Geschichte und das gemeinsame Erbe verbanden ihre Herzen mit einer Welt, die ich nie kennengelernt hatte.
Sie gingen überall zusammen hin. Sie brachten mich und meine Schwestern gemeinsam zur Schule, arbeiteten gemeinsam unterstützend in meiner Klasse, tauchten zu meinen Sportwettkämpfen im Doppelpack auf. Je häufiger die anderen Kinder mich mit meiner Großmutter sahen, desto mehr schienen sie davon überzeugt zu sein, dass ich anders war. Und anders zu sein bedeutete, gehänselt zu werden. Es bedeutete, alleine zu essen. Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen, dass ich zwei Möglichkeiten hatte: mich anzupassen oder raus zu sein. Also trug ich die gleichen Klamotten wie die anderen Mädchen. Beleidigungen lachte ich weg. Ich erzählte den anderen Kindern, dass mein zweiter Vorname Ann sei, weil sich das amerikanischer als Lea (ausgesprochen wie Li) anhörte. Meine laut ausgesprochenen Lügen waren allerdings nicht so schädlich wie die Lügen, die ich in meinem Herzen Wurzeln schlagen ließ – dass die Person, die ich sein sollte, nicht gut genug war; dass ich lernen musste, den Teil meiner Familiengeschichte beiseitezuschieben, der nicht in den Winkel der Welt, in dem ich lebte, zu passen schien.
Als ich älter wurde, sah ich, wie sich das auch bei meiner Mutter abspielte. Sie tat so, als würde sie weder die musternden Blicke im Supermarkt sehen noch die leise gemurmelten Beleidigungen hören. Genauso habe ich es auch getan.
Irgendwann hörten die Hänseleien beim Mittagessen auf. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon fast zwölf Jahre damit zugebracht, die Hälfte dessen, was ich war und von dem ich dachte, dass es in dieser Welt nicht akzeptiert werden würde, zum Schweigen zu bringen. Und so hatte ich nach und nach vergessen, dass dies überhaupt ein Teil von mir war. Erst an diesen einsamen Wochenenden in New York spürte ich das nagende Gefühl, dass diese verlorenen Teile von mir jetzt gefunden werden wollten.
MANHATTAN IST EIN WUNDERSCHÖNES MOSAIK aus unterschiedlichen Ethnien, Persönlichkeiten und Kulturen. Mit einundzwanzig Jahren kam ich in diese Stadt, und niemals zuvor hatte ich so viele Menschen gesehen, die so aussahen wie ich. Ich verbrachte viele Wochenenden in Koreatown. Wegen der Sehenswürdigkeiten, der vielen Gerüche und der Gesichter, die mich an meine Mutter und Großmutter erinnerten, aber auch wegen meines wachsenden Interesses an der reichen Kultur, die hier in nur wenige Blocks im Herzen von Midtown hineingequetscht war. Zunächst waren es die Gemeinsamkeiten, die mich in einer Stadt, die sich so groß und fremd anfühlte, trösteten, doch schließlich war es die Lebensart der Menschen, die sie aus der Fülle ihrer Kultur schöpften, die mich immer wieder anzog. Die Straßen waren voll mit Asiaten unterschiedlicher Herkunft, und ich kam nicht umhin, mein eigenes Spiegelbild in den jungen Mädchen zu sehen, die an der Hand ihrer Mütter vorbeiliefen. Schließlich erkannte ich die Schönheit, anders zu sein, das tolle Gefühl, einzigartig zu sein. Vielleicht zum ersten Mal überhaupt war ich stolz darauf, wer ich war, und mir wurde bewusst, dass der Teil von mir, der anders und einzigartig ist, tatsächlich den schönsten Teil meiner Geschichte darstellt.
Ich entschloss mich, alles aufzuschreiben – die Kapitel meines Lebens, die ich ins Regal gestellt und dort hatte verstauben lassen. Abends kehrte ich von meinem Praktikum zurück und schrieb und schrieb alles auf.Mein Stift konnte kaum mit meinem Herzen Schritt halten, während er über die Seiten flog. Ich begann mit meiner frühesten Erinnerung bis zurück in die Grundschule, schrieb detailliert die Momente auf, die ich so mühevoll hatte vergessen wollen – die kleinen, aber doch so wichtigen Eigenschaften jedes Einzelnen –, um herauszufinden, ob ich ihnen nah genug kommen könnte, um sie zu spüren. All die Hänseleien, die Lügen, die ich in meinem Herzen hatte Wurzeln schlagen lassen, strich ich durch und schrieb stattdessen die Wahrheit hinein. Bald schon beweinte ich das kleine Mädchen, das so lange durchs Leben gegangen war in dem Glauben, dass die, die sie ist, nicht gut genug sei.
Doch in diesen schmerzhaften Nächten lernte ich eines: Die einzige Möglichkeit, mich davon freizumachen, war, meine Geschichte neu zu schreiben. Denn jedes Mal, wenn ich den Stift zur Seite legte, passierte etwas, Nacht für Nacht. Es war, als würde meine Seele zurück in meinen Körper kehren. Als ob die ganz tief vergrabenen Teile von mir, die durch den ganzen Mist, den ich mir von der Welt einreden ließ, umhergeworfen und unterdrückt wurden, nämlich wer ich war, zurück an die Oberfläche kamen. Und nur das, was übrigblieb, war echt und wahr.
Nach den Jahren des Lebens und Lernens wollte ich einfach nur die Uhr zurückdrehen und diesem kleinen Mädchen sagen: Du bist nicht nur gut genug – du bist außergewöhnlich!
Ich glaubte nicht, dass es mich heilen würde, meine eigene Geschichte aufzuschreiben, doch so war es. Welchen Schmerz auch immer ich mit nach New York gebracht hatte, ich konnte spüren, wie er sich zu lösen begann.
Als ich schließlich anfing, meine belastenden Erinnerungen aufzuschreiben, sie mir genau ansah, dann war da Schmerz, und ich fühlte die Verletzungen, aber indem ich ihnen einen Namen gab, konnte ich ihnen ihre Macht nehmen. Was ich außerdem lernte, war, dass es sich immer lohnt, gegen Lügen anzukämpfen. Denn alles, wofür man schlussendlich kämpft, ist die Wahrheit. Sie ist unendlich befreiend.
Als ich tief in meiner Seele wusste, wie es sich anfühlen könnte, die Wahrheit darüber, wer ich war, auszuleben, bekam ich einen Vorgeschmack auf eine neue Art von Sinn im Leben. Einen Sinn, der jede andere Art zu leben wie Zeitverschwendung aussehen lässt. All diese falschen Erinnerungen, die ich bis dahin hatte, erschienen wie sinnlos zusammengeflickte Szenen, die jetzt ihre Farbe verloren. Und man will gar nicht wieder normal werden, man will sogar noch weiter zurück. Dahin, bevor die Welt einen geprägt hat. Bevor andere einen formen. Und die Sehnsucht nach diesem Zustand kommt immer und immer und immer wieder.
HIER BIN ICH ALSO, einige Jahrzehnte später, und wieder sehne ich mich danach, alles aufzuschreiben. Einige der Dinge, die mich im Alter von einundzwanzig Jahren dazu gebracht hatten, alles in mein Tagebuch zu schreiben, melden sich wieder: es ist die Sehnsucht nach Heilung, nach Klarheit, nach Beständigkeit. Ende des letzten Jahres ist dieser Wunsch wieder in den Fokus gerückt.
Die Dinge waren verschwommen. Ich war verschwommen. Es war kurz vor meinem 44. Geburtstag, und mir wurde zum ersten Mal klar, dass ich damit fast die Hälfte meines Lebens hinter mir hatte. Ich habe mir angeschaut, was ich mit Dankbarkeit aber auch mit Anstrengung um mich herum aufgebaut hatte. Ich liebe mein Leben, und ich liebe meine Familie – sehr. Doch einige der Wege, wie ich an diesen Punkt gekommen war, einige der Qualitäten, auf die ich mich immer verlassen konnte – etwa produktiv und total effizient zu sein und immer Vollgas zu geben – wendeten sich gegen mich. Die letzten zwanzig Jahre waren ein Wahnsinnsritt gewesen, aber mir wurde klar, dass ich so nicht weitermachen konnte. Mein Adrenalinspiegel sank, und auf einmal kamen Unsicherheiten und ungesunde Angewohnheiten aus früheren Zeiten hoch, als mein Leben so schnell war, dass ich mit ihnen nicht umgehen konnte.
Es ist schwer zu erklären, wie ich mich fühlte. Ich war überaus dankbar, aber erschöpft. Ich wurde geliebt, aber fühlte mich dieser Liebe unwürdig. Ich war voll, aber lief auf Reserve. Zum ersten Mal in einem Leben hatte ich Angstzustände. Ich brauchte länger, um mich inspirieren zu lassen, und wurde gleichzeitig schneller müde. Und weil mich meine Umgebung beschäftigt hielt, konnte ich immer noch den Motor meines Lebens brummen hören. Doch es wurde schwieriger, herauszufinden, in welche Richtung es ging.
Ich konnte auch spüren, dass ich mich auf meinem Weg einer Kurve näherte. Mein ältester Sohn war schon auf dem College, während ich noch mit der Vorschule für den Jüngsten zu tun hatte. Zuletzt hatte sich das Leben wie ein verdrehtes Tauziehen angefühlt – ich hatte keine Ahnung, was ich loslassen und was festhalten sollte. Mein kleine Welt drehte sich schnell, und ich hatte Angst, alles zu verpassen, wenn ich jetzt nicht anfinge, anders zu leben.
Eine Weile dachte ich, die Fehlerbehebung läge möglicherweise in meiner Zeitplanung oder darin, einen Mangel an irgendetwas auszugleichen – Fokus, Inspiration vielleicht? Also schuf ich Platz in meinem Kalender, um die Dinge zu pflegen, die mich ausfüllten. Ich nahm mir häufiger frei und bereitete öfter Mahlzeiten zu Hause zu. Ich gönnte mir ein paar Gesichtsbehandlungen, machte hin und wieder ein Nickerchen. Ich räumte meine Schränke auf, legte mein Telefon häufiger zur Seite. Diese Dinge halfen, die Kompassnadel in Bewegung zu bringen, aber es war nicht die große Veränderung, nach der ich suchte.
Ich musste herausfinden, was an meiner Lebensweise mich so erschöpfte. Ich war bereit, tief durchzuatmen und mein Leben genau zu betrachten: den Momenten des Schmerzes, des Bedauerns und der Trauer genauso nachzuspüren wie den schönen und glücklichen Momenten. Ich wollte herunterfahren, um die Siege zu feiern und von den Verlusten zu lernen. Alles, was ich im Hier und Jetzt mit mir trug, zu steuern – und herauszufinden, was zurückbleiben musste, damit ich ein wenig leichter und ein wenig freier vorankommen könnte. Zu lernen, was mich zurückhielt und was mich näher an das Leben heranbrachte, das ich mir in meinen Träumen ausmalte.
Also fing ich wieder mit dem Schreiben an. Dieses Mal arbeitete ich mich außerdem durch jahrelange Tagebucheinträge. Vor mir ausgebreitet lag eine mächtige Sammlung an Erinnerungen und Momenten und Gebete über Gebete. Viele Wünsche und eine Menge Blockaden. Schmerz, den ich zwischen Träumen, die ich nicht vergessen wollte, auszublenden versuchte. Tagebuchschreiben ist etwas, das ich immer schon versuche täglich zu tun. Es ist für mich eine verlässliche Form, um Dinge für mich selbst zu klären. Ich bin ein introvertierter Typ, und vor anderen zu sprechen, macht die Dinge in meinem Kopf manchmal nur noch unschärfer, als sie für mich ohnehin schon sind. Durch das Schreiben kann ich manche Dinge besser verstehen – Probleme, die Welt und meinen Platz darin. In meinem Tagebuch spreche ich zu mir selbst und zu Gott. Es sieht so aus, als wüsste ich erst, wenn ich es aufgeschrieben habe, was ich von einer Sache halte. Weil meine Gedanken dann eine Gelegenheit bekommen, sich selbst zu arrangieren.
Nach einer Weile wurde mir klar, dass ich auf etwas hinschrieb. Was genau, wusste ich nicht. Aber zwischen all dem Gekritzel, den Notizen und meinem ausgeschütteten Herzen, konnte ich langsam eine Geschichte lesen – meine Geschichte.
Natürlich gab es willkürliche Gedanken, einige Ausschweifungen, Listen und Wünsche, aber zwischen den Markierungen der To-dos stand mein ganzes Leben, von mir geschrieben.
Es war chaotisch und kurvenreich und wunderschön und offenbarte ungefähr eine Million Wunder für mich. Einiges davon brach mir das Herz – anderes setzte es wieder zusammen. Doch jedes Teilchen, jede Notiz und jede Erinnerung war eingewoben in ein großes Ganzes – und das fühlte sich alles wohlorchestriert an. Egal wie beschämend oder peinlich, wie glücklich oder fröhlich – jedes Kapitel war die Brücke, die mich an den nächsten, für mich bestimmten Ort führte.
Die Wahrheit, die mir fehlte, war doch da, hier auf diesen Seiten: Mein Leben ist eine Geschichte. Eine gute. Momente, die mich in die Knie gezwungen hatten, standen ebenso vielen Momenten gegenüber, in denen meine Seele jubelte.
Die andere Wahrheit? Ich musste mein Leben gar nicht komplett umkrempeln. Ich musste nur lernen, das Ganze anders anzugehen. Ich kann Dankbarkeit empfinden und dabei lange genug innehalten, um sie zu genießen. Ich kann geliebt werden und mich dieser Liebe für würdig empfinden. Ich kann mich erfüllt fühlen, nicht nur flüchtig, sondern auf eine langanhaltende Art und Weise, die das Leben, nach dem ich mich sehne, dauerhaft erfüllt.
Alles begann mit dem Bild, das auf dem Cover dieses Buches zu sehen ist. Denn das kleine Mädchen mit dem fehlenden Zahn und dem zerzausten Haar – es wusste, wer es war, bevor die Welt sich einmischte. Und meine Geschichte aufzuschreiben diente teilweise auch der Hoffnung, das Mädchen wiederzufinden.
Es fühlte sich wie eine Rettungsmission an. Deshalb habe ich außer meinem Mann Chip und einigen wenigen engen Freunden niemandem von diesem Schreibprojekt erzählt. Es war zu persönlich, zu verletzlich, zu ungeschliffen, um zu wissen, ob es auch für andere außer für mich selbst etwas bedeuten würde. Ich wollte diese Idee für mich behalten, bis ich sicher war, wie und wann ich sie mitteilen wollte. Falls ich das jemals wollte.
Etwa nach der Hälfte des Aufschreibens meiner Geschichte änderte sich meine Meinung. Vielleicht, weil ich mit dem ganzen schmerzhaften, schweren Kram zuerst angefangen hatte. Geschichten, die Scham und die tiefsten Unsicherheiten meiner Seele zu Papier brachten. Verletzungen aus der Vergangenheit kamen wieder zum Vorschein, und das galt auch für den Schmerz, für den zu vergessen ich gebetet hatte. Und dennoch, langsam – die Betonung liegt auf langsam – begann ich an Stellen, die ich als kaputt empfunden hatte, Heilung zu verspüren. Ich fing an, in Bereichen, die sich jahrelang wie verschwommen anfühlten, Klarheit zu finden. Endlich stand ich in der vollen und ganzen Geschichte. Ich fühlte mich hoffnungsvoll. Erfüllt.
Unsere Geschichte mag uns aufbrechen, aber sie setzt uns auch wieder zusammen.
ICH MÖCHTE IHNEN GERNE ZEIGEN, dass auch Ihrer Geschichte eine Kraft innewohnt, die Sie sich zu eigen machen können, wenn Sie diese erkennen. Denn Ihre Geschichte gehört Ihnen ganz allein, genau wie meine mir allein gehört. Sie ist einzigartig. Ich habe den Eindruck, dass es nur wenig Absolutes in diesem Leben gibt; nur ein paar Dinge, die ihrem Kern treu bleiben. Ich glaube, dass die eigene Geschichte dazu gehört und dass ein Leben, das nach einer sinngebenden Geschichte sucht und gewillt ist, sich von ihr formen zu lassen, unendlich wertvoll ist.
Seit es Sprache gibt, erzählen die Menschen sich Geschichten. Seit Tausenden von Jahren, seit den ersten Höhlenmalereien, ist das Geschichtenerzählen eine der stärkten Formen unserer Kommunikation. Und ist nicht jede Geschichte eine Verbindung zwischen Ursache und Wirkung? Die Geschichte, wie man seinen Ehepartner kennengelernt hat. Wie es zu einer Narbe kam. Warum man zu spät kommt. Egal ob es sich um das Einkaufen von Lebensmitteln handelt oder um ein Projekt bei der Arbeit, es ist die Geschichte dahinter, an die wir uns erinnern.
Außerdem verbinden Geschichten uns miteinander. Ohne Geschichten können wir einander nicht erkennen. Ein Großvater erzählt seine Lebensgeschichte seinen Enkeln, so dass viele Jahre später diese Erzählung eine neue Generation prägen wird. Ich denke da zum Beispiel auch an neue Mitarbeitende in unserem Unternehmen Magnolia: uns ist es wichtig, ihnen die Geschichten über dessen Start zu erzählen, über die bescheidenen, hart erarbeiteten ersten Schritte, denn das ist es, was den Geist des Unternehmens wachhält. Jeden Abend lesen wir unseren Kindern Geschichten vor, um ihnen etwas über die Welt beizubringen und ihre Vorstellungskraft anzuregen. Geschichten fragen nicht nach Distanz; sie ziehen uns in ihren Bann. Wir erkennen uns in den Charakteren wieder, wir fühlen mit ihnen, wir erkennen, dass es Aspekte der menschlichen Erfahrung gibt, die darüber hinaus gehen, was wir kennen.
Wenn wir also in Geschichten denken, uns in Geschichten erinnern, in Geschichten sprechen und so ziemlich alles, was wir erleben, in eine Geschichte umwandeln – was sagt das über den Wert der eigenen aus?
Die Ironie ist, dass der erste Schritt, um die eigene Geschichte kennenzulernen, bedeutet, sich selbst den Weg freizumachen. Auch als ich dieses Buch schrieb, war mein erstes Hindernis ich selbst, weil ich die Lüge glaubte, dass, wenn ich meine Geschichte mit anderen teilte, niemand hören wollte, was ich zu sagen hätte – und damit verwischte ich jede gute Absicht mit Fragen, warum ich glaubte, dass meine Geschichte es wert sei, erzählt zu werden. Aber nachdem ich diese Denkweise umgedreht hatte und meine Einstellung veränderte – nämlich, dass ich eine erstaunliche Geschichte zu erzählen habe –, war ich befreit. Denn selbst wenn es nur eine einzige Person gibt, die Teile aus meinem Leben hört und davon auf ihrem Lebensweg profitiert, dann ist es das wert. Und wenn man dann hört, wie tiefgreifend und wirkmächtig das Erzählen der eigenen Geschichte sein kann, erscheint es fast schon egoistisch, diese Geschichte für sich zu behalten.
SEIT NEW YORK HAT MEIN LEBENSWEG meinen Glauben an die Bedeutung von Geschichten nur verstärkt. Als mein Mann Chip und ich mit unserem Hausbau- und Renovierungsgeschäft an den Start gingen, hatte ich von Innenausstattung kaum eine Ahnung. Ich hatte keine Ausbildung in Raumausstattung gemacht, aber ich wusste, wie es sich anfühlte, von einem Heim umhüllt zu sein. Ich hatte einen Instinkt für die Schaffung von Räumen, die etwas über die Menschen, die darin wohnten, aussagten. Räume, die sie darin unterstützten, wer sie waren und die die Geschichte ihres Zuhauses und ihrer Familie in Ehren hielten. Ich erwähnte es bereits: Ich glaube wirklich, dass ein Haus ein Zuhause wird, wenn es die Geschichte der Menschen erzählt, die darin leben. Wenn man die Gestaltung seines Zuhauses bewusst angeht und einen bedeutenden Gegenstand an die Wand hängt oder ins Regal stellt, dorthin, wo man jeden Tag vorbeikommt, dann erinnert es einen daran, wer man einst war und wer man gegenwärtig ist. Oder vielleicht stellen diese Dinge etwas dar, von dem man mehr haben will. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass unser Zuhause mit gewöhnlichen Dingen gefüllt sein kann, und gleichzeitig einige unserer wichtigsten Wahrheiten über uns selbst vermittelt.
Und dies gilt auch für die Geschichte unseres Lebens.
Als Fixer Upper zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, waren Chip und ich auf die Reaktion der Menschen über unsere Geschichte völlig unvorbereitet. Für uns fühlte sich das immer ganz normal an – wir bauten unser Leben rund um harte Arbeit, die wir gerne taten, auf. Ich glaube, ich werde nie ganz verstehen, warum die Menschen so stark auf unsere Familie reagiert haben. Ich bin dankbar dafür, aber mittlerweile bin ich noch dankbarer für das, was es uns gezeigt hat – dass durch Wahrheit, Verletzlichkeit und Mut selbst das alltäglichste, gewöhnlichste Leben eine außergewöhnliche Geschichte bereithält. Und ich weiß sicher, dass wir nicht die Einzigen sind, die so leben.
Mit zunehmendem Publikum wuchs auch unser Verständnis von Geschichte. Und das nicht nur, weil sie uns mit unserem wahren Selbst und unseren heiligsten Räumen verbindet. Sondern, weil sie auch Fremde über Landesgrenzen und Sprachbarrieren hinweg zusammenbringen kann. Wir hatten die Gelegenheit, Menschen, die sich sehr von uns unterscheiden, kennenzulernen und mit ihnen zu arbeiten, was uns die Augen dafür geöffnet hat, wie vielfältig und umfangreich Erfahrungen sein können. Seitdem sind Chip und ich besessen von Geschichten. Wir lieben es, von Menschen zu hören, die etwas mit absoluter Leidenschaft betreiben – egal, ob mit viel Getöse oder im stillen Kämmerlein, denn auch kleine, mutige Taten finden Widerhall.
SIE KÖNNEN Ihre Geschichte so erzählen, wie es Ihnen gefällt. Wie ich schon gesagt habe, ist es für mich eine Gewohnheit geworden, mich hinzusetzen und all diese Dinge in ein Tagebuch zu schreiben. Der Akt des Schreibens mit Stift und Papier macht etwas Wesentliches bewusst: Man braucht eine Absicht. Es sind nicht nur Wörter auf einer Seite, sondern jedes Wort ist von Bedeutung – und wenn sie miteinander verwoben werden, bringen die Wörter Klarheit. Nach meiner Erfahrung bringt uns eine bewusste Ausdrucksweise näher an unsere aufrichtigen Gefühle heran. Man sieht seine inneren Gedanken vor sich aufziehen – ohne Bewertung. Es wird einem klar, dass das, was aus dem Inneren an die Oberfläche steigt, wertvoll ist.
Wenn man etwas von sich selbst an einem greifbaren Ort hinterlässt, hinterlässt dies eine Spur, die tiefer ist als das, was man sehen kann. Zum Beispiel etwas Handgeschriebenes, das man aufbewahrt hat – einen Liebesbrief, die Ermutigung eines Freundes, eine abgenutzte Rezeptkarte von Oma –, und schon spürt man die Kraft, die entsteht, wenn ein Stift auf Papier trifft. Man erinnert sich daran, wie es sich anfühlte, dieses Versprechen in der Hand zu halten. Deshalb existiert so viel meiner eigenen Geschichte auf Papier. Sehr, sehr viel Papier, in Tagebüchern, die sich in meinem Büro in einem Regal stapeln.
Wenn ich von Geschichte spreche, meine ich nicht die Geschichtswissenschaft. Letztere ergibt sich in der Regel aus einer Aneinanderreihung von Fakten, doch unser Gehirn wird nicht durch Aufzählungen angeregt, sondern durch Kontext. Von einer vollständigen Geschichte. Durch jedes Stück unserer Vergangenheit und Gegenwart, das ein kleines »Rebranding« gebrauchen könnte. Für mich sind das oft Themen, über die ich nicht leicht sprechen kann – die ich vergrabe und im Alltag versuche zu umgehen. Doch ich denke, dass wir genau hier, im Wiedererleben, die Chance haben, das Narrativ zu verändern. Eine Lüge oder ein fehlgeleiteter Gedanke sollten nicht das Letzte sein, was wir weitertragen, vielmehr sollten wir diesen Platz für die Wahrheit freihalten. Und weil ich glaube, dass eine Kraft darin liegt, unseren Körper zu bitten, im Namen unseres Herzen zu handeln – selbst wenn wir noch nicht an diese Wahrheit glauben –, ist es ein erster großer Schritt, dies aufzuschreiben. Man fängt an zu verstehen, dass das Zerbrochene, das Traurige, das Schwere genau wie das Erfüllte, das Gute und Glückliche – dass all das wieder zusammengesetzt wird und uns komplett macht.
Die eigene Geschichte niederzuschreiben ist nicht das Streben nach Glück, sondern nach Ganzheit. Nicht, um sich perfekt zu fühlen, sondern eher komplett. Ganzheit enthält für mich die Gnade, die uns einlädt, aus dem Füllhorn unserer Geschichte zu leben. Allein durch diese Brille können wir die Klarheit erkennen, die notwendig ist, um uns selbst als das zu sehen, was wir sind. Aber wir können niemals ganz sein, bis wir nah und persönlich an die Kapitel unserer Leben herankommen. Und wenn wir das, was wir damals gesehen und gefühlt haben, durch die Brille von Zeit und Reife interpretieren, dann sehen die Dinge auf einmal anders aus. Sie werden hoffentlich ein bisschen klarer.
Die eigene Geschichte aufzuschreiben könnte schon genug Veränderung in Gang setzen. Ich suche immer nach dem unsichtbaren Band, das alles verbindet. Wenn mein Stift aufhört zu schreiben, will ich eine Vorstellung davon haben, wie es für mich weitergeht. Was habe ich gelernt, wie habe ich mich verändert? Was nehme ich weiterhin mit, und – am wichtigsten – was muss ich zurücklassen?
Ich habe gelernt, meine Geschichte, wie ich sie heute aufschreibe, als Blaupause dafür zu sehen, wo ich stand und wo ich jetzt stehe. Ich sehe, wie jedes Kapitel Momente, sowohl gute als auch schlechte, miteinander verwoben hat, die nun formen, wer ich bin – meine Stärken, meine Interessen, die Talente, die ich habe. Ohne diese niederzuschreiben, ohne das gesamte Bild zu sehen, fehlt uns die Perspektive, auf das, was es im Leben weiterzuführen gilt, wohin wir als Nächstes gehen und wer wir werden wollen, wenn wir dort ankommen.
MIT EINUNDZWANZIG JAHREN verließ ich New York in dem Glauben, dass jedes Stück von derjenigen, die ich bin und von dem, was ich zu bieten habe, meins ist, das ich festhalten und nutzen sollte, um schöne Dinge in dieser Welt zu tun. Es war, als würde ich zum ersten Mal mein ganzes Leben sehen und nicht nur die Highlights der richtigen und falschen Entscheidungen. Ich konnte erkennen, wie Gut und Schlecht zusammenarbeiten, um mich zu der einzigartigen Person zu machen, die ich bin. Die Summe des Ganzen wurde unendlich viel größer als jeder individuelle Schmerz und jeder individuelle Gewinn. Da steckte ein Zweck dahinter, der sich in all dem, was ich mit mir herumtrug, versteckte. Mir wurde klar, wie viele Jahre ich zurückhaltend gelebt hatte. Wie lange hatte ich nur Bruchstücke von mir gezeigt hatte, und auch nur die Teile, bei denen ich mich sicher fühlte. Die Teile, die die Mitmenschen leicht zu akzeptieren schienen. Aber als ich aus New York zurückkehrte, so erinnere ich mich, fühlte ich mich erfüllt – entschlossen, mich der Fülle meines Wesens zu nähern.
ICH VERWENDE DAS WORT »SINN« nicht leichtfertig. Ich weiß, dass es von tragender Bedeutung sein kann. Fragen nach dem Sinn meines Lebens raubten mir oft den Schlaf. Vor allem, weil ich Sorge hatte, dass, wenn ich es jetzt immer noch nicht wusste, ich bereits ins Hintertreffen gelangt war – dass ich schon Zeit verloren hatte. Die Vorstellung von Sinn ist auch nicht greifbar – eine »Vielleicht, irgendwann«-Erkenntnis, bei der man hofft, dass man zufällig darüber stolpert. Doch anstatt sich für eine Denkweise zu entscheiden, die es einem allzu leicht macht, für das Morgen zu leben – wie wäre es, wenn genau die Dinge, denen Sie Leben einhauchen sollten, näher sind als Sie denken?
Nehmen Sie Ihre Geschichte. Was wäre, wenn Ihre Suche nach Ihrem Sinn bedeutet, zwischen den Zeilen zu lesen? Schauen Sie genau hin, wenn Sie etwas notieren. Was im Leben begeistert Sie? Welche Lügen müssen Sie aus Ihrem alltäglichen Blick streichen? Zu welchen Vorstellungen neigen Ihre Gedanken? Gibt es eine tiefsitzende Leidenschaft, die darauf wartet, zum Vorschein gebracht zu werden? Dann geht es einfach darum, Ihr Leben auf dieses Ziel auszurichten.
Es gibt einen Sinn, der in der Geschichte gefunden werden muss, die Sie leben. Doch man kann von niemandem wirklich gekannt werden, wenn man sich nicht erlaubt, sich ganz zu zeigen. Ohne Fassade und ohne überhöhte Darstellungen. Diese ganzheitliche Art zu leben erfordert Verletzlichkeit zuzulassen. Es ist unangenehm, die Dinge des eigenen Lebens an die Oberfläche zu bringen, für die man sich schämt. Aber was wäre, wenn ein paar Momente schmerzhafter Zurschaustellung Sie davor bewahren, ein Leben in Unvollständigkeit zu führen? Wäre es das nicht wert?
Ich glaube schon.
Deshalb sitze ich hier und schreibe wieder alles auf. Sie müssen sich mir nicht gleich anschließen. Hier gibt es keine Mauern. Ich versuche nicht, Ihnen eine Seite von mir zu zeigen, die perfekt und geschliffen ist, weil sie in einem Buch steht und ich sie bearbeiten kann. Viel lieber will ich Sie dort treffen, wo ich mit meiner Geschichte und Sie mit Ihrer stehen.
Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass Sie alte Verletzungen und Blockaden bereits überwunden haben, und Sie blicken mit Zufriedenheit sowohl auf Ihre Vergangenheit als auch in Ihre Zukunft. Vielleicht gehen Sie mit einer gewissen Klarheit, was das Leben Ihnen als Nächstes bringen wird, durch die Gegenwart.
Doch möglicherweise waren Sie sich nicht immer so sicher darüber. Und vielleicht werden Sie es auch irgendwann wieder mal nicht sein. Und während Sie darüber nachdenken, fallen Ihnen vielleicht Zeiten ein, in denen Ihnen das Leben ganz einfach zufiel. Und vielleicht ist das ein Gefühl, das bei Ihnen, wie bei mir, heute noch mitschwingt. Man erinnert sich an eine Abschlussfeier, eine Hochzeit, einen Kreißsaal. Aber die Momente zwischen diesen Meilensteinen im Leben – da wird es verschwommen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich zurückschaue, will ich nicht eine Art Kaleidoskop des Lebens sehen, das unscharf und durcheinandergewirbelt ist, in dem die Momente, von denen ich mir geschworen hatte, sie niemals zu vergessen, im Chaos der Gedanken und unaufgelösten Erinnerungen schwer zu erkennen sind. Den nächsten Abschnitt dieses wunderbaren Lebens will ich fokussiert leben, in vollem Streben nach dem Leben, zu dem ich berufen bin.
Weil dieses Buch meine Geschichte ist und jedes Kapitel ein Fenster zu meinem wahren Selbst, ein Blick auf meine Lebensreise und auf den Lebensabschnitt, in dem ich mich gerade befinde, werden Sie erkennen, was mich einzigartig macht – zum Beispiel Verletzlichkeit, Angst, Strebsamkeit, Perfektionismus. Die Kapitel Ihres Lebens werden andere sein. Vielleicht können Sie nicht immer etwas damit anfangen, oder es wird Ihnen vorkommen, als würden Sie in einen Spiegel schauen. Und genau wie ich sind Sie vielleicht gerade in der Mitte Ihres Lebens angekommen. Oder Sie sind deutlich jünger oder älter. Was immer wir gemeinsam haben und welche Unterschiede zwischen uns liegen, ich hoffe einfach nur, dass meine Geschichte dabei hilft, die Schönheit Ihrer Geschichte zu hellem Glanz zu verhelfen. Und dass meine eigene Seelenarbeit etwas bei Ihnen auslöst.
Wenn Sie jetzt einen Widerstand spüren, ist es gut möglich, dass Sie gerade selbst Ihr eigenes, erstes Hindernis sind. Zumindest bei mir ist das normalerweise so. Bevor Sie denken: Ich will da nicht hin. Wen kümmert die Vergangenheit?, argumentiere ich, dass dies Schmerz und Unsicherheit sind, die sich einschleichen und versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass es sich nicht lohnt, Teile Ihres bisherigen Lebens aufzuschreiben, damit Sie aus der Fülle all dessen schöpfen zu können, wer Sie wirklich sind.
Außerdem: Auch wenn ich dieses Buch recht schnell geschrieben habe, hatte ich mich zuvor mit dieser Thematik schon eine ganze Weile beschäftigt. Daher bitte ich Sie: Lesen Sie das Buch mit Bedacht und in einer Geschwindigkeit, die Ihrer eigenen Geschichte den Raum gibt, sich ebenfalls zu entfalten. Vielleicht schreiben Sie nach jedem Kapitel in Ihr Tagebuch oder gehen spazieren. Manche Kapitel sind schwer, manche leicht. Aber wenn Sie dann am Ende meiner Geschichte angekommen sind, hoffe ich, dass Sie die wunderschönen Anfänge Ihrer eigenen schon in den Händen halten.
Eine Geschichte, die nur Sie erzählen können. Und ich hoffe, dass Sie das tun werden.
Und um es klarzustellen, bevor wir uns ins Thema stürzen: Dieses Buch ist keine Autobiografie. Ich bin weder alt genug noch ausreichend weise oder erfahren, um schon einen Bericht über mein Leben abzuliefern. Ich habe immer noch zu viel über mich selbst zu lernen und zu entdecken, und für mich fühlt es sich an, als hätte ich gerade erst die Hälfte erreicht. Dieses Buch ist auch keine Gebrauchsanweisung, denn ich habe sicherlich nicht für alles eine Antwort parat.
Dieses Buch soll in erster Linie aber eine Einladung an Sie sein, mich so wie Sie sind zu begleiten, mit offenem Herzen, während wir die Kapitel unserer Lebensgeschichten miteinander verbinden und herausfinden, wohin die nächste Reise uns führt, indem wir lernen, aus unserem Inneren heraus voranzugehen. Ohne Zurückhaltung, mit stolzer Brust! Es ist eine Einladung zu einer Art Leben, in dem Sie das, woran Sie glauben – an sich selbst und die stillen Welten der Menschen, die Ihnen begegnen –, mit wohlwollenden, offenen Händen halten. Eine Einladung, Ihre Geschichte als etwas Größeres als irgendetwas Vergangenes oder Zukünftiges zu betrachten, aber auch die Schönheit und Freude zu sehen, die sie heute bereithält.
Was meinen Sie? Welche schöne Geschichte haben Sie zu erzählen? Ich fange mal mit meiner an.
Unsere Geschichte mag uns aufbrechen, doch sie setzt uns auch wieder zusammen.
Wenn ich mich meiner Fantasie überlasse, überkommt mich manchmal Angst. Vor ein paar Wochen kam mir eine Erinnerung in den Sinn: ich, ein kleines Mädchen, vielleicht fünf oder sechs, das nachts in seinem Bett liegt. Vor Angst erstarrt. Absolut davon überzeugt, dass sich ein Monster unter meinem Bett versteckt. Gefühlt stundenlang lag ich meiner Erinnerung nach da und versuchte, das Problem zu lösen. Ich dachte darüber nach, wie es mir gelingen könnte, durch die Tür aus meinem Zimmer zu dem meiner Eltern zu gelangen, ohne dass das Monster mich kriegte. Es gab keine offensichtliche Fluchtmöglichkeit, die nicht das Risiko beinhaltete, dieses eingebildete Monster zu Gesicht zu bekommen, also blieb mir nichts anderes übrig, als mich so still wie möglich zu verhalten. Irgendwann schlief ich ein, und wenn ich am nächsten Morgen aufwachte, war das Monster nicht mehr