Wasserstoff und Brennstoffzellen - Sven Geitmann - E-Book

Wasserstoff und Brennstoffzellen E-Book

Sven Geitmann

4,5

Beschreibung

Zunächst der Atomausstieg – dann der Kohleausstieg. Beide Großtechnologien durch erneuerbare Energien zu ersetzen ist eine Herkulesaufgabe. Umso wichtiger ist es, endlich auf die Alternativen zu schauen. Die Wissenschaft ist sich schon seit Jahren darüber einig, dass die erneuerbaren Energien eine zuverlässige Energieversorgung sicherstellen können. Eine von mehreren Voraussetzungen ist aber, dass Solar- und Windstrom effizient gespeichert werden kann. Und genau an dieser Schnittstelle, bei der Energiespeicherung von „grünem Strom“, kommt Wasserstoff ins Spiel. Wasserstoff ist der aussichtsreichste Energiespeicher, um Sonnen- und Windstrom auch über längere Zeiträume bevorraten zu können. Die Idee einer solaren Wasserstoffwirtschaft beziehungsweise von Wind-Wasserstoff ist nicht neu, aber noch nie waren die Voraussetzungen so gut wie heute, um diese Idee in die Realität umzusetzen. Dieses Buch skizziert den Weg dorthin – von der gestrigen über die aktuelle hin zu einer zukunftsfähigen, wirklich nachhaltigen Energieversorgung. Geitmann und Augsten widmen ihre Aufmerksamkeit dafür ganz der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik – denn Wasserstoff als der Energiespeicher und die Brennstoffzelle als der Energiewandler der Zukunft können gemeinsam den Aufbau einer weltweiten Wasserstoffwirtschaft ermöglichen. Sie sind essenzielle Bausteine für das Gelingen der Energiewende.

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Wasserstoff und Brennstoffzellen

Die Technik von gestern, heute und morgen

Sven Geitmann und Eva Augsten

Sachbuch mit 53 farbigen Abbildungen

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors und des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle in diesem Buch enthaltenen Angaben, Daten, Ergebnisse usw. wurden vom Autorenteam nach bestem Wissen zusammengestellt und vom Verlag mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Dennoch sind inhaltliche Fehler nicht völlig auszuschließen. Daher erfolgen alle Angaben ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autorenteams und des Verlages, die deshalb auch keinerlei Verantwortung und Haftung für etwaig vorhandene inhaltliche Unrichtigkeiten übernehmen.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Weitere Produkte im Hydrogeit Verlag:

Brennstoffzellen im Unterricht ISBN 978-3-937863-49-8

Unterrichtsmaterial über Batterien und Brennstoffzellen ISBN 978-3-937863-40-5

Hydrogen Society ISBN 978-3-937863-31-3

Alternative Kraftstoffe ISBN 978-3-937863-15-3

Erneuerbare Energien ISBN 978-3-937863-14-6

Wasserstoff-CD ISBN 978-3-937863-10-8

Wasserstoff-Autos ISBN 978-3-937863-07-8

ISBN 978-3-937863-53-5

4. komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage

© Copyright 2021 Hydrogeit Verlag, 16727 Oberkrämer, Germany

Gesamtes Design (Cover & Buchblock) von Dipl.-Des. Robert Müller

Alle Rechte vorbehalten!

AUTORENVORWORT ZUR 4. AUFLAGE

Diese Ausgabe ist eine Neuauflage des Buches „Wasserstoff und Brennstoffzellen – Die Technik von morgen!“, das zum ersten Mal im Mai 2002 von Sven Geitmann herausgebracht wurde. Die zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage erschien 2004 im Hydrogeit Verlag, die dritte 2012, damals unter dem Titel „Energiewende 3.0 – Mit Wasserstoff und Brennstoffzellen“.

Seitdem haben sich Technik, Markt und Politik rasant verändert. Damals musste man die Dringlichkeit einer Energiewende noch ausdrücklich betonen. Wasserstoff war noch ein Nischenthema. Heute sind Klimawandel und Energiewende in vollem Gange und praktisch täglich Thema in den Medien. Wasserstoff ist inzwischen ganz oben auf der politischen Agenda angekommen und soll jetzt – quasi als neues Wundermittel – das Klima wie auch den Wirtschaftsstandort Deutschland retten.

Dieses Buch ist bewusst leicht verständlich gehalten. Es ist nicht primär als Fachlektüre gedacht, sondern richtet sich vielmehr an eine technikinteressierte Leserschaft, an SchülerInnen und StudentInnen, an TechnikerInnen und UnternehmerInnen, an Auszubildende und LehrerInnen sowie EntscheidungsträgerInnen aus Politik und Gesellschaft. Zugunsten der einfacheren Lesbarkeit wurde im Fließtext auf Quellenangaben verzichtet, stattdessen verfügt das Buch über ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Die letzten Auflagen wurden grundlegend überarbeitet: Aktuelle Entwicklungen wurden ergänzt, Überholtes entfernt. Neben den jüngsten Trends vermittelt dieses Buch – wie schon seine Vorgänger – die grundlegenden physikalischen Zusammenhänge, denn diese gelten ja bei allem Wandel nach wie vor.

Viel Spaß bei der Lektüre wünschen

Sven Geitmann und Eva Augsten

VORWORT

Rund 3,5 Grad Celsius betrug der mittlere weltweite Temperaturanstieg zwischen der letzten Eiszeit 20.000 v. Chr. und dem Jahr 1900. Seitdem ist die Temperatur durch den vom Menschen gemachten Klimawandel bereits um ein weiteres Grad angestiegen. Wollen wir dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht werden, katastrophale Folgen des Klimawandels abwenden und dazu die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, muss unsere Energieversorgung spätestens im Jahr 2040 vollständig auf erneuerbaren Energien basieren.

In Deutschland werden das im Wesentlichen Photovoltaik und Windkraft sein, deren Erzeugung starken Fluktuationen unterworfen ist. Die Bedeutung von Speichern wird darum schon sehr bald wachsen: Eine Erhöhung des Speicherbedarfs in Deutschland um den Faktor 1.000, bedingt durch die Energiewende, ist durchaus realistisch. Herkömmliche Speicheroptionen wie Pumpspeicher stoßen hier schnell an ihre Kapazitätsgrenzen. Wollen wir diesen enormen Speicherbedarf in Deutschland decken, werden wir an einer Technologie nicht vorbeikommen: Power-to-Gas. Untertage-Gasspeicher sind problemlos in der Lage, die nötigen Speicherkapazitäten für Gase wie Wasserstoff oder Methan bereitzustellen, die aus Überschussstrom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Die heute vorhandenen Gasspeicher sind bereits so groß, dass man damit viele Wochen die deutsche Stromversorgung sicherstellen könnte. So wichtig die Power-to-Gas-Technologie auch sein wird, ein Allheilmittel ist sie allerdings nicht. Bei der Gaserzeugung und der Rückverstromung entstehen große Verluste. Darum muss anderen effizienteren Technologien wie Batteriespeichern für die Kurzzeitspeicherung oder die Elektromobilität, Oberleitungen für den Güterverkehr und Wärmepumpen für die Heizung der Vorzug gegeben werden. Kleinere Verluste bedeuten nämlich auch einen geringen Bedarf an Solaranlagen und Windrädern.

Quelle: Janine Escher

Die Energiewende wird sicher nicht an technologischen oder ökonomischen Fragen scheitern. Aber die nötige Akzeptanz für die Aufstellung neuer Windräder ist heute schon ein Problem. Es gibt aber auch viele Anwendungen, bei denen effizientere Systeme an ihre Grenzen stoßen: Für die saisonale Speicherung von Strom, die Dekarbonisierung des Flug- und Schiffsverkehrs, die Bereitstellung des Treibstoffbedarfs für Fern- und Vielfahrer oder Heizungssysteme im Gebäudebestand mit hohem Temperaturniveau ist der Power-to-Gas-Pfad die Alternative für die Energiewende. Obwohl die Lösungen für die Energiewende im Wesentlichen bekannt sind und eigentlich nur noch umgesetzt werden müssen, findet die Energiewende heute nicht einmal ansatzweise in dem für den Klimaschutz benötigten Tempo statt. Für viele Menschen haben diese Themen nicht die größte Priorität, und die Politik hat offensichtlich die Herausforderungen der Energiewende und des Klimaschutzes noch nicht richtig verstanden. Darum hat die Aufklärung über den Themenkomplex und die Vermittlung von Hintergrundwissen eine sehr große Bedeutung. Die bisherigen Auflagen dieses Buches und die Arbeit des Hydrogeit-Verlags zu den Themen Wasserstoff und Brennstoffzellen haben dazu in den vergangenen Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet. Der Neuauflage des Buchs und den Autoren wünsche ich auch weiterhin viel Erfolg.

Prof. Dr. Volker Quaschning

Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin

Berlin, 2021

INHALT

Cover

Titel

Impressum

1Einleitung: Rettet Wasserstoff das Klima?

2Energieversorgung von der Steinzeit bis heute

2.1Der Energiebedarf wächst

2.2Heutige Energiequellen

2.2.1Primärenergie: Bedarf und Quellen

2.2.2Strom: Musterkind der Energiewende

2.2.3Wärme: Seit Jahrzehnten kaum Bewegung

2.2.4Mobilität: Verkehrswende kommt in Sicht

2.2.5Sektorenkopplung: Alle zusammen statt jeder für sich

2.3Grenzen der heutigen Energieversorgung

2.3.1Treibhausgase und Klimawandel

2.3.2Die Endlichkeit fossiler Brennstoffe

2.3.3Schadstoffe und andere Umweltbelastungen

2.4Ausweg Atomenergie?

2.5Das richtige Timing: Speicher und Lastmanagement

2.6Zukunftsszenarien für die Energiewende

2.7Der Beginn der solaren Wasserstoffwirtschaft

2.8Die Nationale Wasserstoffstrategie

3Wasserstoff und seine Eigenschaften

3.1Eigenschaften

3.1.1H2-Konfiguration

3.1.2Wasserstoff im Vergleich zu konventionellen Kraftstoffen

3.2Wasserstoff und Sicherheit

3.2.1Knallgasreaktion

3.2.2Materialwechselwirkungen

4Gewinnung von Wasserstoff

4.1Zukünftiger Wasserstoffbedarf

4.2Herstellungsprozesse im Überblick

4.2.1Die Elektrolyse: Hoffnungsträger für grünen Wasserstoff

4.2.2Reformierung von Kohlenwasserstoffen

4.2.3Pyrolytische Prozesse auf Basis fester Kohlenwasserstoffe

4.2.4Methanpyrolyse: Ein Traum in türkis

4.2.5Kværner-Verfahren

4.2.6Mikrobiologische Herstellung: Von Natur aus grün

4.2.7Dissoziation: Wasserstoff aus dem Solarturm

4.2.8Methanhydrat: Wasserstoff aus der Tiefsee?

4.3Reinigung

4.3.1Anforderungen an die Reinheit

4.3.2Wichtige Reinigungsverfahren im Überblick

4.4Herstellungskosten

5Speicherung von Wasserstoff

5.1Gasdruckbehälter

5.2Kryogenbehälter

5.3Metallhydrid

5.4Nanoröhrchen

5.5Flüssige Wasserstoffträger: Carbazol & Co

5.6Unterirdische Kavernen

5.7Einspeisung ins Gasnetz: Beimischung

5.8Einspeisung ins Gasnetz: Methanisierung

6Transport

6.1Gastransport mit Fahrzeugen

6.2Flüssigtransport per Lkw, Bahn oder Schiff

6.3Pipelines

7Tankstellen-Infrastruktur

7.1Aufbau eines Tankstellennetzes

7.2Belieferung der Tankstellen

7.3Fahrzeugbetankung

7.3.1Betankung mit gasförmigem Wasserstoff

7.3.2Betankung mit flüssigem Wasserstoff

8Sicherheit

8.1Vorsichtsmaßnahmen

8.1.1Brand- und Explosionsverhalten

8.1.2Maßnahmen im Brandfall

8.1.3Atemwege und Hautkontakt

8.2Unfallszenarien und Lerneffekte

8.2.1Lkw-Unfälle

8.2.2Pkw-Brandversuche

8.2.3Lachenbildung und Verdampfung

9Brennstoffzelle

9.1Grundsätzliche Funktionsweise

9.2Effizienz von Brennstoffzellen

9.3Typen von Brennstoffzellen

9.3.1PEM-Brennstoffzelle

9.3.2Alkalische Brennstoffzelle (AFC)

9.3.3Direkt-Methanol-Brennstoffzelle (DMFC)

9.3.4Phosphorsäure-Brennstoffzelle (PAFC)

9.3.5Schmelzkarbonat-Brennstoffzelle (MCFC)

9.3.6Festoxid-Brennstoffzelle (SOFC)

9.3.7Festsäure-Brennstoffzelle (SAFC)

9.3.8Mikrobielle Brennstoffzelle

9.4Brennstoffe – alternative Energieträger

9.4.1Erdgas und biogenes Methan

9.4.2Flüssiggas

9.4.3Biogas, Klärgas & Co.

9.4.4Methanol

9.5Kosten von Brennstoffzellen

9.6Chancen und Herausforderungen

10Einsatzgebiete

10.1Mikro und Mini

10.2Portable Einheiten

10.3Back-up-Systeme und Offgrid-Anwendungen

10.4Hausenergieversorgung

10.5Kraftwerksbetrieb

10.6Fahrzeuge

10.6.1Pkw

10.6.2Lkw

10.6.3Busse

10.7Luftfahrt

10.8Raumfahrt

10.9Schifffahrt

11Wasserstoffmotor

11.1Funktion des Wasserstoffmotors

11.2Eigenschaften des Wasserstoffmotors

11.3Herausforderungen bei H2-Motoren

11.4Umweltbilanz

11.5Autos mit H2-Motor

12Wasserstoff für die Industrie

13Katalytischer Brenner

14Kosten der Wasserstofftechnologien

15Fazit und Ausblick

16Anhang

16.1Abkürzungen

16.2Einheiten/Formelzeichen

16.3Elemente

16.4Geschichte

16.5Umrechnungstabelle Wasserstoff

16.6Kennwerttabelle

16.7LH2-Sicherheitsmaßnahmen

Literatur

Index

Autoren

1EINLEITUNG: RETTET WASSERSTOFF DAS KLIMA?

Die Sonne scheint und scheint. Die Vision, diese schier endlos anmutende Energiequelle zu nutzen und mithilfe des Energieträgers Wasserstoff zu speichern, ist schon viele Jahrzehnte alt. Dennoch wurde sie meist als utopisch angesehen. Sowohl die Solar- als auch die Wasserstofftechnologie waren zu teuer, fossile Brennstoffe dagegen billig und scheinbar unbegrenzt verfügbar.

Inzwischen aber hat sich der Wind gedreht: Solarenergie ist an vielen Orten der Welt die preiswerteste Art, Strom zu erzeugen. Die Wasserstofftechnik steht an der Schwelle zum Markt. Und der Klimawandel ist mittlerweile so unübersehbar, dass selbst zahlreiche Vertreter der fossilen Energiewirtschaft einräumen: So wie bisher kann es nicht weitergehen.

Wasserstoff, schon oft als Hoffnungsträger gehandelt, erlebt einen neuen Frühling, getrieben von klimawissenschaftlicher Notwendigkeit, technischem Fortschritt, wirtschaftlichem Wettbewerb und politischem Willen. Der weltweit agierende Hydrogen Council erlangt immer mehr Gewicht, und im Sommer 2020 präsentierte die deutsche Bundesregierung eine Nationale Wasserstoffstrategie.

Wasserstoff ist das am meisten vorkommende Element im Universum. Das Gas verfügt über einen hohen Heizwert und verbrennt mit Sauerstoff zu nichts anderem als Wasser. Es ist extrem leicht und wird bereits seit mehr als 100 Jahren als Industriegas verwendet. Aber genügen diese Eigenschaften, um Wasserstoff zur Schlüsseltechnologie der Energiewende und zum Kraftstoff der Zukunft zu machen?

Die Anforderungen an unser künftiges Energiesystem sind mittlerweile recht klar umrissen. Die konventionelle Energieerzeugung sowie Fahrzeugtechnologien einfach nur zu optimieren und effizienter zu machen, reicht als Lösung nicht aus und kann eine wirklich nachhaltige und klimafreundliche Energieversorgung nicht gewährleisten. Die Verbrennung von fossilen Kohlenwasserstoffen muss möglichst schnell ein Ende finden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten zu können. Vor allem Sonne und Wind sollen die Säulen einer künftigen Energiewirtschaft sein.

Das hat verschiedene Konsequenzen. Da Sonne und Wind sich nicht steuern lassen, werden Energiespeicher aller Art wichtiger als je zuvor. Die sich rasant entwickelnde Batterietechnik kann in Zukunft dafür sorgen, dass selbst bei einer nächtlichen Flaute das Licht nicht ausgeht. Doch was noch fehlt, ist ein Verfahren, das es ermöglicht, Sonnen- und Windenergie auch über Wochen und Monate hinweg zu speichern und dann bei Bedarf für verschiedene Zwecke nutzbar zu machen. Als Speicher und als Kraftstoff spielt Wasserstoff daher in praktisch allen wissenschaftlichen Energiewendeszenarien eine zentrale Rolle.

Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) will die Bundesregierung nicht nur beim Klimaschutz vorankommen, sondern vor allem die wirtschaftliche Chance nutzen, die der Wasserstoff bietet. In den letzten Jahrzehnten hat Deutschland mehrere Milliarden Euro in die Entwicklung der Wasserstofftechnik investiert und sich eine gute Ausgangsposition im Rennen um die besten Technologien erarbeitet. Die soll nun genutzt werden.

Eine Aufgabe ist es dabei, die Brennstoffzelle so schnell wie möglich massentauglich zu machen. Ihre Funktionsweise basiert auf einem Prinzip, das bereits 1839 entdeckt, dann aber nicht mit sonderlich viel Vehemenz weiterentwickelt wurde. Das lässt sich durch die dominante Stellung des Verbrennungsmotors erklären, der bis Anfang des neuen Jahrtausends nie ernsthaft infrage gestellt wurde. Kohle und Öl waren einfach zu praktisch.

Die Brennstoffzelle ist im direkten Vergleich dazu jedoch effizienter, sauberer und leichter. Dies hat sie bereits in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei zahlreichen Einsätzen in der Raumfahrt bewiesen. Aber obwohl an dieser Technologie schon seit zig Jahren mehr oder minder intensiv geforscht wird (s. Kap. 16.4: Geschichte), wurde erst in den 1980er Jahren erstmals ernsthaft darüber nachgedacht, Wasserstoff als Kraftstoff zu verwenden. Entscheidend war damals – in Zeiten des aufkeimenden Umweltschutzes – der ökologische Aspekt.

Nach den ersten Anläufen entwickelte sich Ende der 1990er Jahre ein regelrechter Hype um diese Technologie. Da die technische Umsetzung jedoch nicht so zügig erfolgte wie zunächst erwartet, nahm das Interesse schnell wieder ab. Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts folgte dann die nächste Welle der Euphorie. Diese verebbte jedoch, als 2009 das Thema Elektromobilität mit den rein batteriebetriebenen Fahrzeugen in den Fokus rückte.

Heute, da Strom aus Wind- und Solarenergie immer billiger wird und der Klimaschutz immer dringlicher, erleben Wasserstoff und Brennstoffzellen einen neuen Frühling. Die Preise für die entsprechenden Technologien sind deutlich gesunken, und Szenarien zeigen, dass noch in diesem Jahrzehnt grüner Wasserstoff und effiziente Brennstoffzellen in mehreren Bereichen konkurrenzfähig werden könnten (s. Kap. 14: Kosten der Wasserstofftechnologien). Der Einstieg in die Erneuerbare-Energien-Technik war Ende des zwanzigsten Jahrhunderts sozusagen die Energiewende 1.0. In den nächsten Stufen ging es darum, wie man Wind- und Solarstrom ins bestehende System integrieren könnte. Dann kamen Energiespeicher hinzu. Als Nächstes steht die „Energiewende 4.0“ an. Das Energiesystem muss völlig neu gedacht werden. Die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität stehen nicht mehr einfach nebeneinander, sondern verschmelzen zukünftig miteinander. Klassische, zentrale Grundlastkraftwerke wird es immer weniger geben. An ihre Stelle treten dezentrale und vernetzte Technologien. Präzise Prognosen für Wind- und Solarstrom, effiziente Speicher, die Kopplung der Sektoren und flexible Verbraucher werden dafür sorgen, dass auch das neue System zuverlässig arbeiten wird. Forschungs- und Schaufensterprojekte wie die „Norddeutsche Energiewende 4.0“ zeigen, wie das gehen kann.

Ökostrom, der gerade nicht direkt genutzt oder in Batterien kurzzeitig gespeichert wird, kann in Wasserstoff umgewandelt werden, der anschließend vielseitig nutzbar ist – als Kraftstoff, für die dezentrale Strom- und Wärmeerzeugung mit Brennstoffzellenheizungen oder als Rohstoff für die Industrie.

Die technische Entwicklung der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik ist in den vergangenen Jahren weit vorangekommen. Wo vor Kurzem noch geforscht wurde, wird jetzt die praktische Umsetzung vorangetrieben.

Dieses Buch erklärt die Grundlagen und zeichnet dabei auch die Ursprünge der Technologie nach: Welche Vor- und Nachteile hat Wasserstoff? Wie wurde er bisher gewonnen und genutzt – und wie wird er in Zukunft hergestellt und eingesetzt? Wie lässt sich Wasserstoff sicher handhaben, speichern und transportieren? Wie kann er vom Grundstoff für die Chemieindustrie zur Schlüsseltechnologie für die Energiewende werden?

Viele Fragen. Freuen Sie sich auf die Antworten!

2ENERGIEVERSORGUNG VON DER STEINZEIT BIS HEUTE

Im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende haben sich die Energiequellen der Menschheit stetig gewandelt: Zunächst wurde über Jahrtausende hinweg Holz verwendet. Dann wurde in der Alt-Steinzeit aus Baumstämmen und Ästen Holzkohle hergestellt. Diese verfügte bereits über deutlich verbesserte Brenneigenschaften. Im Altertum wurden dann Braun- und Steinkohle entdeckt.

Der Vorteil der Kohle lag in ihrem höheren Brennwert. Kohle ist ein aus tierischen und pflanzlichen Substanzen entstandenes Gemisch aus verschiedenen Kohlenwasserstoffverbindungen, das aufgrund seiner Entstehungsgeschichte über eine vergleichsweise hohe Energiedichte verfügt. Ähnlich ist es beim Erdöl sowie beim Erdgas. Auch diese beiden Primärenergieträger besitzen einen relativ hohen Energiegehalt. Gegenüber Kohle sind sie zudem einfacher zu handhaben, da sie ein vergleichsweise geringeres Gewicht pro Energieeinheit aufweisen.

Diese sogenannten fossilen Primärenergieträger entstammen längst vergangenen Zeiten und haben Jahrmillionen gebraucht, bis sie ihre derzeitige Konfiguration erhalten haben. Sie benötigten besondere Voraussetzungen für ihre Entstehung, sowohl was die Temperatur und den Druck als auch die chemischen Rahmenbedingungen angeht. Erdgas zum Beispiel entstand vor ungefähr 600 Mio. Jahren aus abgestorbenen Kleinorganismen, Plankton und Algen, die sich auf dem Grund der Ozeane ablagerten und im Laufe der Zeit von Gestein- und Erdschichten überdeckt wurden. Unter Luftabschluss und bei hohem Druck bildeten sich aus diesen organischen Substanzen durch einen chemischen Prozess Kohlenwasserstoffe.

Der ursprünglich in der Atmosphäre vorhandene Kohlenstoff wurde auf diese Weise zunächst in Pflanzen und Tieren gebunden und dann im Laufe der Zeit in tiefer gelegenen Erdschichten eingeschlossen. Ursprünglich war der atmosphärische Kohlenstoffanteil um einiges höher als heute. In der Kreidezeit stapften die Dinosaurier über eine tropische Erde, die um etwa zehn Grad wärmer als heute war. Dann aber wurden mehr und mehr Kohlenstoffverbindungen unter Tage eingelagert. Der Kohlenstoff wurde zunehmend dem oberirdischen Kreislauf entzogen, so dass sich der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre verringerte. Da dieser Prozess nur sehr langsam ablief, hatte die Natur damals Zeit genug, um sich auf diese Veränderung einzustellen.

Seit der industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts werden diese Kohlenwasserstoffverbindungen nun wieder aus ihren unterirdischen Verstecken hervorgeholt und durch ihre Verbrennung zurück in die Atmosphäre entlassen. Im ursprünglichen Sinne ist dieser Vorgang also durchaus natürlich – er ist nur einfach um ein Zigfaches zu schnell. Ein maßgeblicher Anteil des Kohlenstoffs, der über Jahrmillionen unterirdisch gespeichert war, wird nun in kaum mehr als 100 Jahren wieder freigesetzt. Die Nutzung fossiler Ressourcen begann in den Jahren 1858/59 fast zeitgleich in Celle, Deutschland, und in Pennsylvania, USA. Einen Ölboom, wie er in Nordamerika in den Folgejahren ausbrach, konnte Deutschland allerdings nicht verzeichnen. Damals wie heute fördern die Deutschen nur etwa drei Prozent ihres Ölbedarfs selbst. Die verstärkte Nutzbarmachung von Erdgas folgte erst in den 1970er Jahren. Bis dahin wurde das Gas als störend empfunden und einfach am Ort der Förderung abgefackelt.

Bis heute wird der größte Anteil fossiler Energien in den Industrieländern verbraucht. Die Emissionen, die in diesen Ländern verursacht werden, verursachen aber auch in anderen Regionen erhebliche Schäden. Abgasschadstoffe verunreinigen über Ländergrenzen hinweg die Luft, undichte Öl- und Gaspipelines verseuchen Grundwasser und Böden, gekenterte Tankschiffe verdrecken Meere und Meeresbewohner. In vielen Fällen bezahlen somit unbeteiligte Lebewesen – Menschen, Tiere und Pflanzen – mit ihrer Gesundheit für die Annehmlichkeiten der Industrienationen.

Der unbändige Energiehunger der Menschheit ist indessen noch längst nicht gestillt. Als zusätzliche Option wurde deswegen die Kernenergie ins Spiel gebracht, die Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt worden war. Mit dieser Technik können zwar beeindruckend große Energiemengen aus relativ kleinen Mengen Kernbrennstoff gewonnen werden. Dafür treten bei der Nutzung aber schwerwiegende Entsorgungs- und Gesundheitsprobleme auf, die nicht nur uns, sondern auch noch zahlreiche künftige Generationen in erheblichem Maße belasten werden. Dieser Ausflug in die Kerntechnik entpuppte sich folglich als Holzweg (s. Kap. 2.4: Ausweg Atomenergie).

2.1DER ENERGIEBEDARF WÄCHST

Der weltweite Energiebedarf ist beträchtlich und nimmt stetig weiter zu. Ein entscheidender Faktor ist dabei das Bevölkerungswachstum. Die Weltpopulation wird seit den ersten Schritten des Homo sapiens immer größer. Momentan wächst die Erdbevölkerung pro Jahr um 80 Mio. Menschen an. 2020 wurde die 7,8-Mrd.-Grenze überschritten. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass in den 2060ern mit rund 9,7 Milliarden Menschen ein Maximum erreicht wird.

ABB. 1: Der globale Primärenergiebedarf ist in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen

Quelle: IEA/BMWI

Mit der Zahl der Menschen auf diesem Planeten steigt auch die benötigte Energiemenge. Zudem nimmt der Energiebedarf pro Person immer weiter zu, denn auch der Lebensstandard steigt global – wenn auch auf stark unterschiedlichem Niveau.

Diese beiden Aspekte gehen einher mit der weltweit fortschreitenden Industrialisierung. Ebenso wie der Lebensstandard klaffen auch die Energieverbräuche in den verschiedenen Erdteilen noch immer stark auseinander: Nordamerika und Europa sind für mehr als ein Drittel des Weltenergiebedarfs verantwortlich, machen aber nur ein knappes Viertel der Erdbevölkerung aus. Rund 15 Prozent aller Menschen lebten 2019 in Afrika und verbrauchten zusammen 3,4 Prozent der weltweit erzeugten Energie. Im Milliardenstaat China nähert sich der Energieverbrauch pro Kopf zügig dem westlichen Niveau, und auch in Indien, dessen Bevölkerungsgröße bald die Chinas überflügeln wird, nehmen immer mehr Menschen ihr Recht auf mehr Mobilität und bessere Energieversorgung wahr, wie es die Bewohner der westlichen Industriestaaten bereits tun.

Das stärkste Wachstum des Energiebedarfs erwartet die Internationale Energieagentur IEA für die nächsten Jahrzehnte jedoch in Afrika – getrieben sowohl vom Bevölkerungszuwachs als auch von der steigenden Nachfrage nach Klimaanlagen in den immer größer und heißer werdenden Metropolen. So wie es Amerikaner und Europäer für sich in Anspruch nehmen, frei und unabhängig zu sein, steht auch jedem anderen Menschen das Recht auf Mobilität und sonstigen Wohlstand zu – und das braucht Energie. Der BP Energy Outlook von 2020 prognostiziert daher für 2040 einen Anstieg des weltweiten Primärenergiebedarfs um 10 bis 25 Prozent gegenüber 2018.

Dass dieser Anstieg nicht noch stärker ausfällt, verdanken wir der technischen Weiterentwicklung. Indem die Wirkungsgrade entlang der gesamten Kette verbessert werden, können beträchtliche Energiemengen eingespart werden. Kraftwerke, Fahrzeuge und Haushaltsgeräte sind heute deutlich effizienter als in früheren Jahrzehnten.

Dennoch sinkt der Energiebedarf nicht, denn gleichzeitig mit der Effizienz wachsen die Ansprüche: Moderne Autos sind effizienter als alte, aber wo früher ein VW Käfer reichte, muss heute ein SUV mit viel Bordelektronik her. Der neue Flatscreen-TV ist effizienter als der alte Röhrenfernseher, aber um ein Vielfaches größer. Das neue Kühl-Gefrier-Kombigerät hat die Effizienzklasse A+, reicht dafür aber bis zur Decke, damit kaltes Bier und Tiefkühlpizza nie ausgehen. Durch diesen sogenannten Rebound-Effekt stagniert der Energieverbrauch in Europa trotz aller technischen Anstrengungen. 2019 lag der Endenergiebedarf in Deutschland bei rund 2.500 Terawattstunden (TWh). Das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE versucht in seinem „Barometer der Energiewende“ abzuleiten, wie viel Energie Deutschland 2050 brauchen wird. Anhand der Daten von 2019 wird für 2050 von einem Endenergiebedarf von rund 2.081 TWh ausgegangen.

2.2HEUTIGE ENERGIEQUELLEN

Bei der Betrachtung des heutigen Energiebedarfes steht traditionell der Primärenergieverbrauch im Vordergrund (s. Kastentext Seite 22). Auch wenn Energie physikalisch gesehen nicht verbraucht werden kann, ist der Begriff Energieverbrauch in seiner landläufigen Verwendung nicht allzu falsch gewählt, stehen die Energieträger nach dem Verbrennen schließlich kein zweites Mal zur Verfügung.

2.2.1PRIMÄRENERGIE: BEDARF UND QUELLEN

In der Öffentlichkeit steht meist die Stromerzeugung mit einem zügig steigenden Anteil erneuerbarer Energien im Mittelpunkt des Interesses. Auch wenn der Strombedarf nicht wirklich sinkt, geht doch der Einsatz von fossilen Primärenergieträgern zurück. Betrachtet man jedoch alle Sektoren (Strom, Wärme, Mobilität), spielen die fossilen Primärenergieträger noch immer die größte Rolle bei der Deckung des Energiebedarfes.

Mehr als ein Drittel des Primärenergiebedarfs in Deutschland wird in Form von Mineralöl bereitgestellt. Erdgas hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugelegt und 2017 die Kohle (Braun- und Steinkohle zusammen) knapp überholt. Ein wesentlicher Schub in der Substitution der Kohle durch Erdgas ist auf den fortschreitenden Umbau der Industrie und modernere Heiztechnik in den neuen Bundesländern nach der Wende zurückzuführen. Zuletzt machten sich auch steigende CO2-Preise im Emissionshandel bemerkbar.

In der Anfangszeit der Energiewende stieg der Anteil erneuerbarer Energien schneller an als angenommen, was aber auch an den geringen Erwartungen lag. Ursprünglich hatte sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, den Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch von 2,1 Prozent im Jahr 2000 auf 4,2 Prozent im Jahr 2010 zu verdoppeln. Diese Marke wurde bereits 2004 (4,5 Prozent) überschritten. 2010 lag dann der Anteil der erneuerbaren Energien über alle Sparten hinweg bereits bei 9,9 Prozent, im Jahr 2019 bei 14,8 Prozent (AG Energiebilanzen 2020). Gemessen an den heutigen Klimazielen reicht dieser Fortschritt jedoch längst nicht aus.

Die Endenergie unterscheidet sich von der Primärenergie dadurch, dass die Primärenergie in Form von Erdöl, Erdgas, Kohle oder Uran zunächst noch aufbereitet werden muss, um dem Verbraucher in Form von Heizöl, Benzin, Gas oder Strom zur Verfügung gestellt werden zu können. Bei dieser chemischen Umwandlung (Veredelung) treten Verluste auf, so dass die für den Verbraucher bereitstehende Endenergie bisher stets geringer ist als die eingesetzte Primärenergie. In Zukunftsszenarien gerät diese Logik allerdings ins Wanken: Wärmepumpen stellen z. B. mehr Wärme als Endenergie bereit, als man an fossiler Primärenergie zuführt. Die Umweltwärme taucht in der Rechnung nicht auf. Außerdem wird auch der Ökostrom selbst manchmal als Primärenergie bezeichnet.

Auch global wird der größte Beitrag zur Primärenergieversorgung nach wie vor vom Erdöl geleistet, das jedoch nur noch ganz knapp vor der Kohle liegt. Deren weltweiter Anteil ist durch das Wirtschaftswachstum in Asien stark gestiegen und lag 2017 bei mehr als 27 Prozent des Weltenergiebedarfs, gefolgt vom Gas mit gut 22 Prozent. Kernenergie machte weniger als fünf Prozent aus.

ABB. 2: Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in Deutschland ist rasant gewachsen, während die Energiewende im Wärme- und Verkehrssektor stagniert

Quelle: AGEE-Stat / Umweltbundesamt

Unter den erneuerbaren Energien sticht seit jeher die Bioenergie heraus, die konstant etwa zehn Prozent zur Deckung des globalen Energiebedarfs beiträgt. Oft sind damit jedoch wenig nachhaltige Nutzungsformen verbunden, wie zum Beispiel einfache Holzöfen. In einigen Regionen haben auch Wasserkraft (z. B. Kanada, Norwegen) und Geothermie (z. B. Island) seit Jahrzehnten einen hohen Stellenwert. Wind- und Solarenergie haben erst im vergangenen Jahrzehnt so richtig Fahrt aufgenommen. Mittlerweile wachsen ihre Kapazitäten schneller als die aller fossilen Kraftwerke zusammen. Das ist auch dringend nötig, denn 2017 lag der Anteil der „neuen erneuerbaren Energien“ noch bei weniger als zwei Prozent.

2.2.2STROM: MUSTERKIND DER ENERGIEWENDE

Ein maßgeblicher Anteil der Primärenergie wird für die Stromerzeugung aufgewendet. In Deutschland wurden 2018 laut Umweltbundesamt etwa 513 Milliarden Kilowattstunden Strom verbraucht. Das sind über 58 Mrd. kWh mehr als 1990.

Bis Ende der 1990er Jahre lieferten Kernkraftwerke fast ein Drittel der benötigten Elektrizität. Der im Jahr 2000 beschlossene erste Atomausstieg wurde vor allem von Braunkohlekraftwerken aufgefangen. Im zweiten Anlauf, nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima (2011), waren es vor allem Gas-und Ökostromkraftwerke, die die Lücke schlossen. Ende 2022 sollen auch die letzten sechs deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet werden.

Während sich der Gesamtprimärenergieverbrauch in Deutschland über die Jahre geringfügig reduziert hat, steigt der Anteil der erneuerbaren Energien, vor allem an der Stromerzeugung, zügig. Dieser Aufwärtstrend, der lediglich im Jahr 1996 (Liberalisierung des deutschen Strommarktes) kurz aussetzte, dauert mittlerweile mehr als 30 Jahre an. Zunächst verlief dieser Anstieg infolge der Einführung des Stromeinspeisegesetzes im Jahr 1991 eher langsam, seit 1999 geht es jedoch recht zügig vorwärts. Dies liegt unter anderem an der Einführung des 100.000-Dächer-Solarstromprogramms im Jahr 1999 sowie des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG, 2000).

Im Erneuerbare-Energien-Gesetz wird geregelt, dass Stromerzeuger das Recht erhalten, Strom aus erneuerbaren Energien in das Netz einzuspeisen. Die Netzbetreiber waren zunächst verpflichtet, eine festgelegte Mindestvergütung an den Erzeuger zu zahlen. Im Jahr 2001 war beispielsweise eine Kilowattstunde Solarstrom 50,6 Cent wert.

Seit 2014 wird die Vergütung für große Anlagen per Ausschreibung ermittelt. Für Solarstrom bewegt sie sich seit 2017 um die 5-Cent-Marke, während der Marktwert des Stroms in dieser Zeit um 4 Cent herum lag.

Die Kosten für die Finanzierung dieser Differenz werden auf alle Stromkunden verteilt. Bei dieser sogenannten EEG-Umlage handelt es sich um keine staatliche Beihilfe oder Subvention. Sie stieg einige Jahre lang schnell an, hat sich aber seit 2014 zwischen 6 und 7 Cent pro Kilowattstunde eingependelt. Bei einem jährlichen Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden in einem Durchschnittshaushalt macht das 210 bis 245 Euro netto aus. Da das Angebot der erneuerbaren Energien zugleich den Preis des Stroms im „Großhandel“ drückt, darf man die Umlage aber nicht eins zu eins als Mehrkosten betrachten.

Im Jahr 1990 betrug der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung lediglich drei Prozent. Innerhalb von zehn Jahren verdoppelte sich dieser Wert. Bereits 2011 lag er bei 20 Prozent und überschritt damit die in der ersten EEG-Version für 2020 angesetzte Zielmarke. Im Jahr 2019 trug der Ökostrom nach Berechnungen des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme 46 Prozent zur Versorgung in Deutschland bei. Das ist mehr als alle fossilen Brennstoffe zusammen.

Den größten Beitrag zum aus erneuerbaren Quellen erzeugten Strom leistete 2019 die Windkraft mit 127 Terawattstunden (TWh), wobei der größte Teil davon bisher aus Onshore-Windparks kommt. Der Anteil der Bioenergie hat sich inzwischen im Verhältnis zu ehemals acht Prozent (ohne Müll, 1990) vervierfacht und lag 2019 bei 44 TWh. Er stagniert inzwischen allerdings in etwa auf diesem Niveau, da das Potenzial begrenzt ist. Das höchste Wachstumspotenzial hat der Solarstrom (Photovoltaik). Nachdem er lange im Promillebereich lag, überholte er 2019 mit 48 TWh die Bioenergie.

Wasserkraft war mit einem Anteil von über 90 Prozent (1990) lange Zeit der wichtigste regenerative Stromlieferant. Da jedoch die große Wasserkraft (> 5 MW) in der ursprünglichen Version des Erneuerbare-Energien-Gesetzes unberücksichtigt blieb, geht ihr Anteil seit Ende der 1990er Jahre zurück. Als weiterer einschränkender Faktor kommt für diesen Sektor hinzu, dass die Standortpotenziale für größere Kraftwerke weitestgehend ausgeschöpft sind, so dass mittlerweile der Schwerpunkt der Ausbauarbeiten auf Kleinkraftwerken liegt. Die Wasserkraft musste 2004 die Spitzenposition zugunsten von Windkraft räumen und ist mittlerweile die kleinste unter den erneuerbaren Energiequellen.

Das EEG wurde vielfach erweitert und überarbeitet, zuletzt Ende 2020 mit Wirkung ab Januar 2021 (EEG 2021). Die neue Version legt fest, dass der Strombedarf in Deutschland bis 2030 zu 65 Prozent aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden soll. Dafür sollen Photovoltaikanlagen mit 100 Gigawatt, Windparks mit 71 Gigawatt und Bioenergiekraftwerke mit 8,4 Gigawatt gebaut werden. Experten kritisieren allerdings, dass die Bundesregierung dabei einen sinkenden Strombedarf annimmt und beispielsweise Elektromobilität darin kaum eine Rolle spielt. Von elektrischen Wärmepumpen für die Gebäudeheizung oder gar Strom für die Wasserstoffelektrolyse ist im Szenario des Umweltbundesamtes für das Jahr 2030 noch nichts zu sehen (UBA 2020).

Das Energiewissenschaftliche Institut zu Köln (EWI) geht davon aus, dass der Strombedarf durch diese neuen Anwendungen deutlich steigen wird. Das legen auch die Leitstudie der Deutschen Energieagentur (dena) von 2018 und die Ausbaupläne der Stromnetzbetreiber nahe. Je nachdem welches Szenario zutrifft, könnte der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 bei zu langsamem Ausbau von Wind- und Solarenergie also auch stagnieren oder gar sinken. Weil das alles nicht so recht zusammenpasst und auch nicht mit den kurz zuvor verabschiedeten Klimazielen der Europäischen Union kompatibel ist (s. Kap. 2.3.1: Treibhausgase und Klimawandel), sollen die Ausbauziele gleich nach dem Beschluss des Gesetzes noch einmal überarbeitet werden.

Bis 2050 soll die Stromversorgung laut EEG 2021 dann „treibhausgasneutral“ sein, was im Grunde auch fossile Technologien in Kombination mit CO2-Abscheidung bedeuten kann.

2.2.3WÄRME: SEIT JAHRZEHNTEN KAUM BEWEGUNG

So häufig, wie über Rekordwerte bei der Ökostromausbeute berichtet wird, so häufig ist beim Wärmesektor seit mindestens zehn Jahren von Stagnation die Rede. Dabei soll eigentlich laut Klimaplan bis zum Jahr 2050 ein klimaneutraler Gebäudebestand erreicht werden. Zahlen für die ernüchternde Realität liefert unter anderem der Gebäudereport der Deutschen Energieagentur (Dena 2019). Diesem zufolge brauchten die Immobilien in Deutschland im Jahr 2017 sogar mehr Energie als im Jahr 2010. Die schleppende Entwicklung liegt vor allem daran, dass pro Jahr gerade mal ein Prozent aller Gebäude energetisch saniert wird.

Werden Heizungen ausgetauscht, werden sie fast immer durch Gasheizungen ersetzt. Technische Fortschritte haben hier bisher wenig bewirkt. Dämmplatten auf ein Haus zu setzen, ist schließlich keine Raketenwissenschaft. Stattdessen haben die Energiestandards den unrühmlichen Ruf, das Bauen teuer zu machen. Tatsächlich tragen sie aber gerade einmal zu drei bis fünf Prozent der Baukosten bei und amortisieren sich zudem im Laufe der Zeit wieder.

Wenn das so bleibt, wird Deutschland seine für 2030 gesetzte Klimaschutzmarke für den Gebäudesektor um 28 Mio. Tonnen CO2 überschreiten. Das hätte hohe Strafzahlungen zu Folge, mahnt die Dena. Besser könnte man dieses Geld in die Förderung der Wärmewende stecken.

In wissenschaftlichen Szenarien setzt eine klimaneutrale Wärmeversorgung zuallererst eine deutliche Steigerung der Effizienz voraus, vor allem im Gebäudebestand. Die dann noch nötige Wärme soll zu großen Teilen über elektrische Wärmepumpen erzeugt werden, betrieben mit Ökostrom. In den Städten sind auch Wärmenetze eine gute Strategie. Technisch scheint das simpel, doch mit der energetischen Sanierung hakt es, weil die Amortisationszeiten lang sind, die Investoren im Falle von Mietwohnungen nicht die Nutznießer einer höheren Effizienz sind und die benötigten Fachkräfte durch den boomenden Neubausektor ohnehin gebunden sind.

Als neue Option kommen aktuell Brennstoffzellenheizungen ins Spiel, da sie zum Beispiel nicht nur dezentral, sondern auch lokal CO2-frei Strom und Wärme (s. Kap. 10.4: Hausenergieversorgung) erzeugen können. Zudem kann mit Ökostrom erzeugter Wasserstoff dem Erdgas im Netz beigemischt werden und so in der Übergangsphase der Energiewende die CO2-Emissionen reduzieren.

2.2.4MOBILITÄT: VERKEHRSWENDE KOMMT IN SICHT

Noch fataler als bei der Wärmewende sah es lange Zeit bei der sogenannten Verkehrswende aus. Über Jahre stiegen die Emissionen, anstatt zu sinken. Seit 1995 sind zwar sowohl Pkw als auch Lkw deutlich effizienter und sauberer geworden. Pro Kilometer stößt ein Personenwagen heute im Schnitt 9 Prozent weniger CO2 aus als damals; ein Lkw sogar 33 Prozent weniger. Das liegt an Verbesserungen bei Motoren, der Abgasreinigung und, was die Schadstoffe betrifft, auch an saubereren Kraftstoffen.

Gleichzeitig hat der Verkehr seit den 1990er Jahren aber stark zugenommen – von 1995 bis 2018 um 14 Prozent bei Pkw (3,7 Prozent mehr CO2-Emissionen) und um 22 Prozent im Straßengüterverkehr. Bei den CO2-Emissionen hat das Mehr an Verkehr die Effizienzsteigerungen mehr als aufgefressen. Der Verkehrssektor hat bisher also bisher nur im negativen Sinne zum Klimaziel beigetragen.

Eine Wende bei den Zahlen gibt es noch nicht, doch es zeichnet sich Hoffnung ab: In vielen Großstädten wird das Fahrrad als Verkehrsmittel beliebter. Immer weniger Haushalte in Berlin und Hamburg besitzen ein Auto. Viele junge Menschen machen keinen Führerschein mehr. Jahrzehntelang galt das Auto als Statussymbol und wichtiger Aspekt für die Stadtplanung. Heute werden Orte als attraktiv empfunden, in denen man kein Auto benötigt, sondern alles Wichtige zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigen kann. Für diejenigen, die ab und zu ein Auto brauchen, stehen in Ballungsräumen immer mehr und bessere Carsharing-Angebote bereit. Im ländlichen Raum dagegen gestaltet sich die Verkehrswende bisher schwieriger: Wo die Wege weit und Busse selten sind, steht das Auto weiterhin für Unabhängigkeit.

Auch bei der Mobilitätswende müssen mehrere Stränge zugleich verfolgt werden. Die Corona-Pandemie hat hier besonders eindrücklich die Frage aufgeworfen, wie viel Verkehr notwendig ist. Mehr Digitalisierung – in Form von Homeoffice und Videokonferenzen – kann Arbeitswege reduzieren und somit nicht nur Emissionen, sondern auch Zeit sparen. Auch beim Urlaub entdeckt man die nähere Umgebung wieder neu. Beim Konsumverhalten geht heute vielen Menschen „regional“ vor „exotisch“.

Wo motorisierter Verkehr notwendig ist, sollte dieser so weit wie möglich auf Schienen und Schiffen erfolgen, denn diese sind per se effizienter. Doch es wird bei aller Reduktion und Verlagerung nötig sein, auch die Antriebstechnik grundsätzlich zu ändern. Dementsprechend erlebt die Elektromobilität gerade einen Boom. E-Bikes erhöhen die Reichweite des Radverkehrs, und auch E-Autos werden mit steigender Batteriekapazität immer beliebter. Vor allem für Transporte über weite Wege und mit großen Lasten wird die Elektromobilität aber noch eine Weile an ihre Grenzen stoßen. Bei Lastwagen, Bussen, Schiffen und Flugzeugen gilt daher vor allem Wasserstoff als aussichtsreicher Kandidat für eine klimaneutrale Mobilität.

2.2.5SEKTORENKOPPLUNG: ALLE ZUSAMMEN STATT JEDER FÜR SICH