Wédora - Schatten und Tod - Markus Heitz - E-Book
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Wédora - Schatten und Tod E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Das neue Dark Fantasy-Meisterwerk aus der Feder von Bestseller-Autor Markus Heitz führt die Leser zurück in die ebenso geheimnisvolle wie tödliche Wüstenmetropole Wédōra Wédōra birgt noch so manches Geheimnis für die Freunde Liothan und Tomeija, die es auf magische Weise in die schwer befestigte Wüstenstadt verschlagen hat. Während Liothan in alte Gewohnheiten verfällt und sich in Wédōras Unterwelt einen Namen macht, wird Tomeija vom geheimnisumwitterten Herrscher der Stadt zur obersten Gesetzeshüterin berufen. Sie kann nicht ahnen, dass sie bald nicht nur gegen Verbrechen und mörderische Intrigen vorgehen muss, sondern auch gegen ihren Freund aus Kindheitstagen. Doch damit nicht genug: Zwei benachbarte Königreiche rüsten sich zum Krieg, und die neutrale Stadt wird gegen ihren Willen in die Feindseligkeiten verwickelt – und Liothan und Tomeija werden plötzlich zu den entscheidenden Figuren in einem mörderischen Konflikt. Das Dark Fantasy-Meisterwerk aus der Feder von SPIEGEL-Bestseller-Autor Markus Heitz führt die Leser zurück in die ebenso geheimnisvolle wie tödliche Wüstenmetropole Wédōra In der schwer befestigten Wüstenstadt Wédōra warten gefährliche Herausforderungen auf die Freunde Liothan und Tomeija: Als Tomeija vom geheimnisumwitterten Herrscher der Stadt zur obersten Gesetzeshüterin berufen wird, kann sie nicht ahnen, dass sie bald auch gegen ihren Freund aus Kindheitstagen vorgehen muss – denn Liothan macht sich unterdessen in Wédōras Unterwelt einen Namen. Dann rüsten zwei benachbarte Königreiche zum Krieg, der auch die neutrale Wüstenmetropole bedroht. Die Freunde werden plötzlich zu den entscheidenden Figuren in einem mörderischen Konflikt, der Wédōras Ende bedeuten könnte. »Ein Muss für Fantasy-Fans.« Börsenblatt "Ein spannendes Fantasy-Spektakel, das mit einer neuen Welt aufwartet, von der man als Leser gar nicht genug bekommen kann, und mit schlagkräftigen Figuren, die kämpfen, klug sind und auch sonst eine Menge zu sagen haben."

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Seitenzahl: 903

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Markus Heitz

Wedora – Schatten und Tod

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wédōra birgt noch so manches Geheimnis für die Freunde Liothan und Tomeija, die es auf magische Weise in die schwer befestigte Wüstenstadt verschlagen hat.

Während Liothan in alte Gewohnheiten verfällt und sich in Wédōras Unterwelt einen Namen macht, wird Tomeija vom geheimnisumwitterten Herrscher der Stadt zur obersten Gesetzeshüterin berufen. Sie kann nicht ahnen, dass sie bald nicht nur gegen Verbrechen und mörderische Intrigen vorgehen muss, sondern auch gegen ihren Freund aus Kindheitstagen.

Doch damit nicht genug: Zwei benachbarte Königreiche rüsten sich zum Krieg, und die neutrale Stadt wird gegen ihren Willen in die Feindseligkeiten verwickelt – und Liothan und Tomeija werden plötzlich zu den entscheidenden Figuren in einem mörderischen Konflikt.

Inhaltsübersicht

Mittelkarte Wedora

Dramatis Personae

in den Königreichen Telonia und Burgonn

in Wédōra

Begriffe

in den Königreichen Telonia und Burgonn

in Wédōra

Zeiteinheiten in Wédōra

Was bisher in Wédōra geschah …

Kapitel I

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Wédōra, Prachtviertel

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Ein Sandfloh auf der [...]

Kapitel II

Wédōra, Prachtviertel

Wüste, kurz vor der Festung Sandwacht

Aus den Statuten der [...]

Kapitel III

Wédōra, unter dem Prachtviertel

Festung Sandwacht

Die Wege der Weisheit [...]

Kapitel IV

Wédōra, Prachtviertel

Festung Sandwacht

Aus den Statuten der [...]

Kapitel V

Königreich Burgonn, Provinz Tersith

Wüste

Sinnierst du über dein [...]

Kapitel VI

Festung Sandwacht

Wüste, dreihundert Meilen südwestlich von Wédōra

Aus dem anonymen Werk [...]

Kapitel VII

Wédōra, Prachtviertel

Festung Sandwacht

Ein D’Sook-Chai muss heiß [...]

Kapitel VIII

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Festung Sandwacht

Die wenigsten wissen, dass [...]

Kapitel IX

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Prachtviertel

Festung Sandwacht

Die Wüste ist der [...]

Kapitel X

Wédōra, Vergnügungsviertel

Festung Sandwacht

Sand kann sehr vielseitig [...]

Kapitel XI

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Nordvorstadt

Wédōra, Krankenviertel

Wédōra, Südvorstadt

Das beste Wissen ist [...]

Kapitel XII

Königreich Telonia, Baronie Grenzgart

Wüste, zweihundertfünfzig Meilen südwestlich von Wédōra

Von denen Gottheiten: IOROS [...]

Kapitel XIII

Wédōra, Nordvorstadt

Wédōra, III. Viertel

Wenn deine beste Milch-Echse [...]

Kapitel XIV

Wüste, zweihundertfünfzig Meilen südwestlich von Wédōra

Wédōra, Ostvorstadt

Wédōra, Prachtviertel

Von denen Gottheiten: IOROS [...]

Kapitel XV

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Südvorstadt

Der Sinn für Spaß [...]

Kapitel XVI

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Wédōra, Südvorstadt

Aus dem anonymen Werk [...]

Kapitel XVII

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Nordvorstadt

Vertraue Si’Raati, De’Ipotionti und [...]

Kapitel XVIII

Wédōra, Nordvorstadt

Königreich Burgonn, Provinz Tersith

Aus den Erzählungen von [...]

Kapitel XIX

Wüste, achtzig Meilen südwestlich von Wédōra

Wenn die Mutter eines [...]

Kapitel XX

Wüste, achtzig Meilen südwestlich von Wédōra

Wédōra, Prachtviertel

Aus Überleben in der [...]

Kapitel XXI

Königreich Burgonn, Provinz Tersith

Wédōra, VIII. Viertel

Stelle keine Forderungen an [...]

Kapitel XXII

Wédōra, Kavernen

Aus den Erzählungen von [...]

Kapitel XXIII

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Prachtviertel

Kapitel XXIV

Wüste

Wédōra, Prachtviertel

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Aus Überleben in der [...]

Kapitel XXV

Wédōra, Südvorstadt

Wüste, zwanzig Meilen südwestlich von Wédōra

Wédōra, Südvorstadt

In den Brunnen, aus [...]

Kapitel XXVI

Wédōra, Nordvorstadt

Wédōra, Prachtviertel

Verlache den kleinen Kern [...]

Kapitel XXVII

Wédōra, Vergnügungsviertel

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Wédōra, Vergnügungsviertel

DANKSAGUNG

Leseprobe »Die Rückkehr der Zwerge 1«

Dramatis Personae

in den Königreichen Telonia und Burgonn

Annla: Magistra aus Basirien

Arcurias Kelean der Vierte: König von Telonia

Boydin und Tescûl: Mèstre

Dûrus der Kaufmann: Witgo

Edocius: Mèstre, Bibliothekar

Fenia von Ibenberg: Witga des Königs von Telonia

Helcamus: Agitus

Martis: Jungbäuerin

Uphemis: Mèstre

Vimith, Etmond, Atha, Korelian, Listhan, Otrid, Voial, Gaïna: Söldnerinnen und Söldner der Sieben Krähen

in Wédōra

Abouc: Nanthenas Freund

Amanus, Calán, Dewart, Elswerth, Fhila, Harmon, Qadim und Zenarus: Soldatin und Soldaten in Sandwacht

Berizsa: Hohepriesterin des Driochor

Dârèmo: Herrscher über Wédōra

Daitya, Narako, Slink: Keijo

Dyar-Corron: Statthalter des Krankenviertels

Ebailsu: Handwerker

Ebneyon: Nakib-Dho

Fradarick Ghominàs: Schmuggler

Hamátis: Statthalterin der Vorstädte

Irian Ettras: Karawanenführer und ehemaliger Soldat

Iwezsa, Wechinu: Soldatinnen

Kardīr: Razhiv

Kehana: älteste Tochter von Thoulik dem Dreizehnten, Kèhán von Thoulikon

Kendec und Doligart: Gestrandete

Kytain Dôol: Izozath

Lestolei: Kaufmann aus Thoulikon

Liothan: Saldûn, Halunke mit Herz

Louthara: Anführerin der Samtklingen

Malchikor und Pajana: Nakib-Dho von Sandwacht

Nanthena Ghominàs: Künstlerin

Obciulus: Oberhaupt der Houca-Familie

Pitháklos: Sungàm Tasai

Ellja Tegiin: Nakib in Sandwacht

Sarāsh: Botin des Dârèmo

Shentara: Kehanas Tochter

Sotháno: ein T’Kashrâ

Tomeija: Priesterin des Driochor und ehemalige Scīrgerēfa

Uccran: Keel-Èru

Wasēm Ghominàs: Söldner

Wiu: Sklavin

Begriffe

in den Königreichen Telonia und Burgonn

Agitus: Leiter einer akademischen Einrichtung

Dimensios: andere Realitäten parallel zur eigenen

Hastus: Gott der Gerechtigkeit (Walfor)

Mèstre: Anrede für einen Gelehrten (Burgonn)

Maìluon: Nervus-Leitbahn im Körper

Scīrgerēfa: Ordnungshüterin

Witga/o: Hexe/r

Wǽrloga: Dämon, Ungeheuer

in Wédōra

Adlatus: Gehilfe

Ambiaktos/ia: Bedienstete/r des Dârèmo

Angitila: Riesenechsen

Bhlyat: Verzehrer (Titel)

Bidjan: mag. Formel der T’Kashrâ

Brosium: teeähnliches Getränk der Keel-Èru

Daoja Mahal: Todesfrau (Titel der T’Kashrâ)

Dârèmoi: Garde des Dârèmo

Draicani: Echsenbestien

F’Shasiik: Rufer (Artefakt der T’Kashrâ)

Ghefti: Rauschmittelmischer

Hakhua: Kannibale

Henket: Bier

Iatros/a: Medikus

Ingenius/a: Baumeister/in, Ingenieur/in

Ipoton, Raat, Ziin: drei Monde

Kèhán: Großkönig

Keijo: Wesen, die zum Aufspüren von Sandvolk-Spionen eingesetzt werden

Khubs: Fladenbrote

Kib: Unteroffizier der Garde/des Heeres (Titel)

Kutu: Schlampe

Mar’Dheon: Kriegerfürst der Keel-Èru

Menaïd: höchste Daseinsstufe der Thahdrarthi

Nakib: Hauptmann der Garde (Titel)

Nakib-Dho/a: General/in des Heeres (Titel)

Kibibi: Prinzessin

Klingilōn: Spielautomat

Pajarota: Gleiter, wörtlich übersetzt »Kunstvogel«

Planáoma: Welt, Planet

Razhiv/a: Zauberer/in

Saldûn: mächtiger Zauberer

Shikar: Währungseinheit

Shudiya: Richter/in (Titel)

Shudiya-Lha/Lho: Höchste/r Richter/in (Titel)

Si’Khonûngra: Königintochter (Titel der Keel-Èru)

Skornida: Skorpionartige

Takeza: Ballspiel

Thahdrarthi: Stamm der T’Kashrâ do Sarqia

T’Kashrâ do Sarqia: Volk des Sandmeeres; insgesamt gibt es fünf

Vinciad: Gefährt der Izozath

Yhadòk: ein Monster, das sich von Aas und Menschen ernährt

Zeiteinheiten in Wédōra

ein Sandglas: eine Stunde

eine Sonne: ein Tag

ein Mondsiebtel: eine Nacht

voller Mond: eine Woche

ein Mâne: ein Monat

ein Siderim: ein Jahr

Was bisher in Wédōra geschah …

Tomeija und Liothan sind Freunde von Kindesbeinen an.

Als sie erwachsen wurden, verschwand Tomeija für längere Zeit aus dem Königreich Telonia, während Liothan den Weg eines Holzfällers und Halunken in der Baronie Walfor einschlug. Nach ihrer Rückkehr übernahm Tomeija die Aufgaben der Gesetzeshüterin, was dazu führte, dass sie Liothan eines Nachts beim Einbruch ins Haus des alten, verhassten Kaufmanns Dûrus stellte. Dûrus erwies sich überraschend als Witgo (Hexer), der die beiden Freunde mit einem misslungenen Zauber aus Walfor in eine andere Welt katapultierte.

 

In der fremden Wüstenwelt erreichten Tomeija und Liothan die schwer befestigte Handelsstadt Wédōra, wo sie prompt mit dem Gesetz in Konflikt gerieten und getrennt wurden. Tomeija verdingte sich als Leibwache eines Hurenwirts, Liothan wurde verurteilt und als Sklave an eine reiche Adelige verkauft.

Tomeija lernte schnell, sich zurechtzufinden, und kam einer Bande Drogenhändler auf die Spur. Mit ihren Ermittlerspürsinnen fand sie die Schuldigen und die Drahtzieher: T’Kashrâ, Angehörige der Wüstenvölker, die Wédōra mit der Verbreitung des tödlichen Iphiums in die Knie zwingen wollten.

Bei ihren Ermittlungen lernte sie den Kannibalen Irian Ettras kennen, der ihr das Leben rettete. Irian entdeckte, dass ein getarntes Heer nahe der Wüstenstadt darauf lauerte, dass sich die Tore von innen öffneten. Aber wer sollte das tun?

Liothans Herrin starb überraschend, und er verkleidete sich als Adelige, um die Gegend auszukundschaften und nach Tomeija zu suchen. Als die Nichte der Toten erschien, flog Liothans Scharade auf. Nach einigem Hin und Her weihte die Nichte ihn in ihre eigenen Pläne ein: Sie und ihre Verbündeten wollten die Stadt vom geheimnisvollen Despoten, dem Dârèmo, befreien. Liothan, der Schurke mit Herz, stellte sich auf die Seite der Rebellen und half ihnen bei den Vorbereitungen. Er lernte den Razhiv (Zauberkundigen) Kardīr kennen, der in Liothan magische Kräfte erkannte. Zwischendurch suchte er immer wieder nach Tomeija, doch die Freunde verpassten sich stets um Haaresbreite.

Bald erkannte Liothan, dass er getäuscht wurde. Der Despot sollte nicht gestürzt, sondern die Stadt von dem angrenzenden Reich Thoulikon eingenommen werden! Eine Streitmacht lag bereits in der Nähe, Tausende Soldaten wurden heimlich in die Stadt geschmuggelt. Die Verräter wollten die Tore für den König von Thoulikon öffnen.

Liothan schlug Alarm, wobei er und Tomeija wieder zusammenfanden. Gemeinsam mit den Verteidigern warfen sie sich gegen die Angreifer und verhinderten die Übernahme durch Thoulikon.

Als Dank erhielten sie vom Herrscher große Reichtümer und das Haus von Liothans einstiger Herrin geschenkt.

Durch einen Trick von Kardīr glaubt Liothan fest daran, dass er hernach einige Jahrzehnte in seine alte Heimat zurückgekehrt sei – was jedoch nichts als ein Trugbild war. Tomeija kennt die Wahrheit, verschweigt sie aber, um ihren Freund in dem versöhnlichen Glauben zu lassen.

Beide sehen dem Leben in Wédōra freudig entgegen. Liothan übt sich in den Fertigkeiten eines Magiers, und Tomeija könnte eines Tages zur Hohepriesterin des Totengottes Driochor werden.

 

Das spurlose Verschwinden von Tomeija und Liothan hatte Folgen für ihre einstige Heimat Walfor. Dûrus musste Lügen erfinden und Morde begehen, um falsche Fährten zu legen, bis er seine Tarnung nicht länger aufrechterhalten konnte und er als Witgo erkannt wurde.

Dûrus schwor Rache und beschloss, mit seinen Kräften die Baronie und das Königreich zu erobern.

Die königliche Witga, Fenia von Ibenberg, reiste an, um Dûrus das Handwerk zu legen. Da er nichts mehr zu verlieren hatte, nahm er keinerlei Rücksicht auf die Leben derer, die ihn aufhalten wollten. Etliche Menschen verloren ihr Leben.

In einem finalen Duell zwischen den beiden Magiern schien Dûrus die Oberhand zu gewinnen, doch Fenia von Ibenberg gelang mit ihrem letzten Atemzug ein Zauberspruch, der den Hexer aus Wédōra aufhielt.

 

So scheint es zumindest …

Kapitel I

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Bleibt dicht zusammen.« Vimith kniete auf dem Boden, presste eine Hand in den nassen Dreck. Am Nachmittag waren kräftige, kurze Schauer niedergegangen, die dem Waldboden Feuchtigkeit spendeten und ihn kühlten. Vimith spürte die Magie, die in der Erde pulsierte und lebte, ohne dass er sie einzuordnen vermochte. »Das wird kein Spaziergang.«

Um ihn herum standen die Sieben Krähen, dreißig Klingen stark, ihres Zeichens die beste Söldnertruppe von allen käuflichen Kriegern im Königreich Burgonn. Jeder und jede von ihnen trug eine andere Rüstung, auf der das Abzeichen der Einheit prangte. Sie waren von einem Mittelsmann angeheuert worden, um die verlorene Baronie Walfor im Nachbarreich Telonia zu erkunden und ihre Beobachtungen auf Karten einzuzeichnen. Ihre Pferde hielten sie an den Zügeln; sie waren an der Grenze zu Walfor abgestiegen.

»Was meinst du damit?« Etmond, der glatzköpfige Anführer ihrer Einheit, kreuzte die Arme vor der breiten Brust, ohne die Leine loszulassen. Sein Rapphengst schnaubte. »Kein Spaziergang im Vergleich zu welchem unserer Einsätze?«

»Eines jeden.« Vimith, ein ungewöhnlich filigraner Mann im Kreis der Söldner, verstand sich auf Magie, was im Gefecht ebenso von Vorteil war wie bei der anschließenden Heilung. Außer ihm verfügte von den Sieben Krähen noch Atha über ein magisches Grundwissen, das sich dafür eignete, aus Zauber gewobene Fallen aufzuspüren. Doch gegen Dämonen und andere mächtige Gegner wäre die junge Frau hilflos.

»Ist das nicht ein wenig dramatisch?«, erkundigte sich Listhan unbehaglich, der seine geringe Körpergröße durch Geschwindigkeit im Kampf wettmachte. »Hier lebt doch nichts und niemand mehr.«

»Nichts und niemand, den du sehen kannst«, verbesserte Vimith und erhob sich, rieb die schmutzige Hand am Fell seines Apfelschimmels ab, bis die Flammentätowierungen auf der Innenseite zum Vorschein kamen. »Ich habe die Magie gespürt, die verborgen unter unseren Füßen auf diesem Land tobt. Aber es ist keine Magie, wie ich sie kenne.«

»Sondern?«, verlangte Etmond zu wissen.

»Ich kann es dir nicht sagen.« Vimith suchte nach passenden Worten. »Als kämpfte der Zauber eines Witgos gegen einen anderen, ohne dass sie an Kraft verlieren oder sich gegenseitig aufheben. Das genaue Gegenteil geschieht: Sie wirken aufeinander ein und verändern sich.«

»Wie kann das sein?« Die dunkelhaarige Atha legte ihre Linke an das Bronzeamulett von Timera, der Göttin der Magie, das an einem Lederband eng um ihren Hals hing. »Ich dachte, Hexerei sei in Telonia verboten?«

»Das ist sie auch.« Etmond bedeutete seiner Truppe, in die Sättel zu steigen, und schwang sich auf den Rücken seines Hengstes. Er richtete seinen Mantel und das Schwert, packte die Zügel und ließ den Rappen antraben. »Deshalb hat man uns angeheuert. Sie haben keine Witgos und Witgas mehr, die das übernehmen könnten, was wir tun sollen.«

»Das wird für uns nicht weniger zum Problem. Es ist eine unbekannte Art der Magie.« Vimith stemmte sich auf sein Pferd, seine dunkelblonden Locken federten. »Ein mächtiger Fluch kam zum Einsatz, und ich vermute, er wurde von der Witga des Königs gesprochen. Aber er wird ununterbrochen von diesem zweiten Zauber attackiert, aufgehalten, umwoben.«

»Woher bezieht dieser Zauber seine Energie?« Atha zeigte sich äußerst wissbegierig. Vimith bedauerte, dass sie niemals so gut sein würde wie er, weshalb er sie auch nicht weiter unterrichtete. Er wollte seine Zeit nicht verschwenden. Er hatte ihr einen Mèstre empfohlen, der sich auf das Erspüren und Errichten magischer Fallen verstand, aber sie war nach dem ersten Besuch bei ihm nicht sonderlich begeistert gewesen. Sie wollte eine Kämpferin, keine Entschärferin sein. »Müsste die Energie nicht längst aufgebraucht sein?«

»Es ist mir unerklärlich.« Vimith sah besorgt zu Etmond. »Deswegen sagte ich: Es wird kein Spaziergang. Ringsherum lauert Gefahr. In allem, was uns umgibt.«

Der Anführer schaute durch die buntbelaubten Bäume hinauf zum aufklarenden Himmel. »Wir haben dich, Zauberkrähe. Du wirst uns vor Witgo-Flüchen bewahren. Unsere Schwerter und Pfeile erledigen den Rest, wie sie es zuvor auf den Schlachtfeldern taten.«

Die Männer und Frauen riefen ihre Zustimmung.

Vimith schwieg.

Auch Atha fiel nicht in den Schlachtruf der Truppe ein und rückte zu ihm auf.

»Mit welchen Angriffen rechnest du?«, raunte sie ihm zu. Sie rieb ihr Amulett, als würde sie auf das Erscheinen eines guten Geistes hoffen.

»Es ist vieles möglich«, sagte er ausweichend und zurrte den Helm über seinen Locken fester. »Es kann ein Dämon sein. Oder verhexte Natur. Oder magisch veränderte Tiere. Sei auf alles gefasst! Wir befanden uns bisher in keiner vergleichbaren Lage.«

Atha deutete ein Nicken an.

Die Sieben Krähen ritten schweigsam durch den lichten Wald, immer zwei nebeneinander und leicht versetzt, damit ein Geschoss aus dem Hinterhalt nie mehr als einen töten konnte. Es roch nach Moos und Pilzen, der Duft des Herbstes.

Etmond hatte bei Tagesanbruch vier Späher vorausgesandt. Neben ihm ritt der Kartograph, den ihnen ihr Mittelsmann mitgesandt hatte. Er glich ihre Position mit dem Stand der Sonne ab, berechnete die Geschwindigkeit der Truppe und machte gelegentlich Markierungen auf den Karten.

Vimith hatte von verschiedenen Expeditionen erfahren, die auf Geheiß des Königs von Telonia in die verlorene Baronie Walfor vorgedrungen waren und von denen man nie wieder etwas gehört hatte. Das verfluchte Land behielt, was einen Fuß daraufsetzte. Der Lohn für die Sieben Krähen fiel sehr hoch aus, um einen Anreiz zu schaffen.

Vimith blickte zum kahlen Etmond, der sich mit dem Kartenzeichner unterhielt. Der riesige Mann kannte keine Furcht, weder vor Hexerei noch einem irdischen Gegner. Das machte ihn umso anfälliger für Gefahren. Eine verlorene Schlacht zur rechten Zeit hätte ihn womöglich umsichtiger werden lassen, aber die Söldner eilten unter seiner Führung seit Jahren von Erfolg zu Erfolg, in wessen Diensten sie auch standen.

Vimith hegte die Befürchtung, dass sie sich in Walfor etwas würden stellen müssen, dem Etmond nicht gewachsen war. Und ich auch nicht.

Er neigte sich zur Seite und kramte zwei Almanache über Zauber aus fremden Ländern aus den Satteltaschen. Es musste möglich sein, die zweite Komponente in diesem magischen Konglomerat zuzuordnen. Da sie existierte, musste sie bestimmbar sein.

»Was glaubst du, wer unser Auftraggeber ist?« Atha kehrte nicht in die Formation zurück. Sie band ihre dunklen Haare zu einem Zopf, der Helm saß auf dem Sattelknauf. Ihre mit Kettenringen und Eisenplatten verstärkte Lederrüstung klirrte leise. »Jemand, der sich die aufgegebene Baronie unter den Nagel reißen will, oder jemand, der die magische Kraft des Landes für seine eigenen Zwecke nutzen möchte?«

Solche Beweggründe interessierten Vimith nicht. Er blätterte die Seiten vor und zurück, um einen Hinweis auf die ihm unbekannte Magieform zu entdecken. »Wir bekommen unseren Lohn. Das genügt mir zu wissen.«

»Mir nicht.«

»Du bist eine Söldnerin. Benimm dich entsprechend.«

»Muss man das Denken denn dafür aufgeben?«

»Manches Mal ist das von Vorteil.« Vimith schlug das Buch zu und wuchtete das zweite darüber. Lesen während des Reitens war anstrengend, unentwegt verrutschte er in den Zeilen.

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und fühlte Schweiß. Es war merklich wärmer geworden, obwohl sich der Herbst dem Ende neigte und die Nächte bereits Rauhreif brachten.

»Das ist seltsam«, sagte Vimith leise und richtete den Blick auf das braunrote Blätterdach über ihnen. Die Sonne schien, aber sandte kaum spürbare Wärme. Sie war nicht der Grund für den Temperaturanstieg.

»Vimith!«, rief Etmond aufgeregt von vorne. »Zu mir! Auf der Stelle!«

Vimith klappte den Almanach zu und hielt die Bücher fest, ließ seinen Apfelschimmel antraben und setzte sich an die Spitze der Söldnertruppe.

Der Anblick dessen, was sich vor ihm ausbreitete, war die Antwort auf seine stumme Frage, was sein Anführer von ihm wollte.

Der Waldweg führte aus dem Hain hinaus auf eine Brache, die einmal ein Feld gewesen war, wie Vimith an den Rändern erkannte, an denen sich letzte tapfere, dörrende Getreidehalme hielten. Hafer, vermutlich. Der Rest der Wiesen und Äcker hatte sich in eine hellbraune Sandlandschaft verwandelt, die eine starke Wärme abstrahlte. An manchen Stellen schwangen sich die Dünen mehr als hundert Schritte hoch, in einiger Entfernung lagerte schwarzsilberner Sand, dessen Oberfläche unheimlich wie die eines Sees schwappte und wogte. Nichts gedieh darauf, kein Baum, kein Strauch.

Der Kartograph betrachtete die Sandebene, berechnete ihre Position und suchte die Stelle auf der Karte. »Das ist nicht möglich! Im Umkreis müssten Felder, zwei Dörfer und eine Garnison sein.« Er wies Vimith und Etmond die Stellen. »Da und da.«

»Nichts.« Der Anführer der Sieben Krähen nahm sein Fernrohr und ließ den Blick über die Ödnis schweifen. »Diese Brache reicht mehr als vier Meilen in alle Richtungen.«

»Wo sind die Späher?«, warf Atha ein. »Hätten sie uns nicht in Kenntnis setzen müssen?«

Etmond setzte die Sehhilfe ab. »Weder Huf- noch Stiefelspuren.«

»Dann waren sie gar nicht hier?« Die junge Söldnerin klang verwundert.

»Das hat er nicht gesagt.« Vimith rutschte aus dem Sattel und trat an die Grenze zwischen Wald und Wüste. Erneut ging er in die Hocke und legte seine blanke Hand auf den Boden, erst auf den laubbedeckten Untergrund, dann behutsam auf die Körner.

Die unbekannte Kraft versuchte augenblicklich, Kontrolle über ihn zu erlangen und seinen Verstand zu vereinnahmen. Sofort riss Vimith die Finger vom Sand. Der knappe Kontakt reichte aus, um sowohl die Macht als auch die Gefährlichkeit zu erkennen.

»In diesem Bereich liegt der Ursprung der anderen unbekannten Magie. Sie ist stärker als der Fluch der Witga, der sie eindämmen sollte«, erklärte er nach einem erschrockenen Keuchen. »Niemand betritt die Wüste!« Er richtete sich auf und sah alarmiert zu Etmond. »Sollten die Späher hineingeritten sein, sind sie verloren.«

»Schöner Dreck! Das war so nicht abgemacht«, erklang eine Stimme aus der Reihe der Söldner. »Was ist das für Sand?«

Etmond wandte sich im Sattel um. »Voial, wie lange bist du bei den Krähen?«

»Fünf Jahre.«

»Habe ich dich jemals in eine Gefahr geführt, die wir vorher nicht berechnen konnten?«

»Nein, Hauptmann.«

»Dann halt die Fresse! Sonst schicke ich dich vor, damit du nach den Spähern suchst.« Etmond setzte das Fernrohr erneut vor sein rechtes Auge. »Wir umreiten den Sand und halten nach unseren Leuten Ausschau.« Er schwenkte es hin und her. »Auf der anderen Seite!«, rief er unvermittelt. »Das ist Otrid!«

Vimith kniff die Lider zusammen, aber für ihn war der Späher nur ein winziger, sich bewegender Punkt. »Ist er schlau genug, um mit dem Spiegel Lichtzeichen zu geben?«

»Das kann er gerade nicht«, gab Etmond zurück und riss seinen Rappen am Zügel zur Seite. »Er rennt um sein Leben, wie es den Anschein hat.« Der Anführer galoppierte los, am Rand der magisch erschaffenen Wüste entlang. »Krähen, mir nach! Und haltet Abstand zu dem verfluchten Sand!«

Vimith stieg in den Sattel und scherte in die Reihe ein, der Kartograph wurde nach hinten auf den Platz vor die Nachhut verwiesen. Ihm durfte nichts geschehen.

Die Einheit donnerte am Waldrand entlang. Wegen tiefhängender Äste mussten sie sich ständig bücken, keine Söldnerin und kein Söldner wich in das vermeintlich freie Gebiet daneben aus.

Vimith blickte nach links und suchte nach Otrid, aber sie befanden sich zu weit von dem Punkt entfernt, an dem der Späher gesehen worden war.

Etmond schaute erneut durch sein Fernrohr, aber der Mann schien zwischen den Bäumen verschwunden zu sein. »Er ist durch das Dickicht gesprungen.«

»Du hast noch nicht gesagt, was ihm folgte«, merkte Atha an.

»Das konnte ich nicht erkennen«, gab Etmond zurück. »Aber seinen Gesichtsausdruck werde ich in meinem Leben nicht vergessen.«

Unvermittelt krachte und splitterte Holz neben ihnen, und zwei große Hastuseichen rauschten nacheinander nieder. Sie fielen zwischen die Söldnerinnen und Söldner, teilten die Einheit in drei unterschiedlich große Gruppen auf.

Durch die aufragenden Äste sah Vimith kaum mehr etwas vom Rest der Truppe und bemühte sich, sein Pferd zu beruhigen und zum Stehen zu bringen.

Dann versuchte er, durch das gelichtete Unterholz zu erkennen, weswegen die dicken Eichen gefallen waren, doch es gab nichts und niemanden zu entdecken. Eine Attacke blieb aus.

»Umreitet die Stelle und nutzt dabei den Wald«, befahl Etmond mit lauter Stimme über das Durcheinander aus Wiehern und Fluchen. »Keiner betritt den –«

Ein hoher Schrei gellte über sie hinweg. Ein Schwall Rot spritzte hoch in die Luft, und das entsetzte Rufen mehrerer Söldner mischte sich mit dem Schleifen von rasch gezogenen Schwertern. Prasselnd landete der rote Schauer im Laub der Eichen und auf den Umstehenden.

Auch Vimith bekam etwas ab und roch: Blut!

Er richtete sich im Sattel auf und erkannte den Grund für den grausigen Regen. Korelian hatte sein Tier nicht davon abbringen können, vor Schreck in die Wüste abzudrehen. Der Kopf des im Sand versinkenden Schimmels ruckte hin und her, als versuchte das Pferd, sich aus dem tückischen Untergrund zu befreien. Korelian musste bereits versunken sein, die Stelle hatte sich glitzernd-feucht-rot verfärbt. Blutfontänen quollen jäh hervor, und ruckartig wurde der Schimmel unter die Oberfläche gezogen.

»Seht ihr, was passiert?«, rief Etmond und lenkte seinen Rappen weg von den Wüstenausläufern ins leichte Unterholz. »Reitet durch den Wald, Krähen, und sammelt euch hernach bei mir! Folgt meinem Zeichen!«

Die Truppen setzten sich in Bewegung, vorbei an den ausladenden Stämmen der Eichen und ins Dickicht. Ihre Stimmen wurden leiser, das Trappeln der Hufe sowie das Klirren des Reitgeschirrs entfernte sich – und verklang.

Etmond sah zu Vimith. »Nutze den Hexspruch, mit dem wir uns sonst in der Nacht finden. Gib ihnen was, an dem sie sich orientieren können.«

Vimith sprach die Silben einer Formel, die in absoluter Finsternis dafür sorgte, dass sich die Einheit als schimmernde Umrisse erkannte, um Freund von Feind zu unterscheiden. Damit war es leicht, Hinterhalte in mondlosen Nächten ohne Fackel und Lampe zu legen. Mit einer auslösenden Handbewegung vollendete er den Zauber.

Dann war es totenstill.

Außer Etmond, Vimith und Atha waren Listhan, Voial und Gaïna in der Gruppe verblieben. Ein jeder von ihnen saß stocksteif im Sattel und spähte in den Wald.

Kein Windhauch ließ das rotgefärbte Laub rascheln, nur das gelegentliche Schnauben der Pferde durchbrach die Abwesenheit der Töne.

Vimith betrachtete den gesplitterten Stamm einer Hastuseiche. Es hatte den Anschein, als habe feiner Sand das Holz im Inneren ersetzt. Die verbliebene dünne Ummantelung, Borke und Rinde, war unter dem Gewicht der Baumkrone gebrochen.

Die Wüste kriecht im Boden voran, dachte er beunruhigt. Sie breitet sich im Wurzelwerk aus, wird aufgesogen und durchsetzt die Pflanzen. Die eindämmende Wirkung des Witga-Zaubers verliert seine Macht.

»Wohin sind sie?«, flüsterte Atha, die sich einhändig den Helm aufsetzte und ihn mit dem Riemen festschnallte. »Es ist, als wären sie vom Rand einer Klippe gestürzt oder Hunderte Meilen von uns weggeritten.«

Gemeinsam hielten sie Ausschau nach den flirrenden Schemen im Dickicht.

»Sie … sie sind weg?«, kam es verwundert über Athas Lippen. »Oder sieht sie jemand von euch?«

Keiner gab ihr Antwort.

Dann rief Gaïna abrupt: »Zur Rechten! Vier, nein, fünf schimmernde Silhouetten!«

»Das können sie unmöglich sein«, gab Listhan zurück. »Die sind zu groß und –«

»Hier drüben«, machte Voial aufmerksam. »Ich zähle … elf! Elf weitere Schemen. Aber auch die sind … Halbriesen oder andere Bestien!«

»Was immer sie sind: Sie kesseln uns ein.« Etmond zog sein Schwert. »Weg hier! Brechen wir durch!« Er stieß dem Rappen die Sporen in die Seite, und der Hengst preschte los. Erde und Laub wirbelten unter den Hufen in die Höhe.

Der kleine Rest der Sieben Krähen jagte ihrem Hauptmann hinterher, ohne noch einmal nach dem Schicksal der Verschwundenen zu fragen. Es ging ums nackte Überleben.

Ich fürchtete, Etmond will kämpfen. Vimith sah beim wilden Ritt durch das Unterholz zu den flimmernden Umrissen, die etwa vier Schritte hoch und ganz und gar nicht menschlich waren. Die vorbeifliegenden Stämme verhinderten einen unmittelbaren Blick auf die Kreaturen, von denen ihnen eine unweigerlich den Weg abschneiden würde.

»Achtung, bereithalten!«, gab Etmond Anweisung. »Wenn es sich vermeiden lässt, umreitet ihn. Sollte einer von uns gepackt werden, greifen wir –«

Der hünenhafte Gegner brach aus dem Schutz der Bäume und baute sich auf dem schmalen Pfad zwischen Wüste und Dickicht auf.

Das Grauen packte gleichermaßen Vimiths Verstand und Herz. Weder hatte sich der Erkennungszauber getäuscht, noch umgaben sich die Angreifer mit Hexerei: Das Monstrum bestand aus den Torsi und Gliedmaßen der Sieben Krähen, als hätte ein verrückter Gott die Söldner in grobe Einzelteile zerrissen, sie zusammengesteckt und verknetet, um im Anschluss der neuen Kreatur Leben einzuhauchen.

Zwei Dutzend Arme schwangen Schwerter und Schilde, sechs ineinander montierte Beine trugen den kolosshaften Leib, und überall rann das Blut in Strömen über blanke Haut, Lederfetzen und Rüstungsstücke.

***

Wédōra, Prachtviertel

Tomeija korrigierte den Sitz ihrer Schutzmaske und lehnte sich gegen den brausenden Wind, der durch die breiten Straßen des Viertels tobte. Gegen die schmirgelnden Sandkörner hatte sie einen leichten hellen Mantel um ihren schlanken Leib geschlungen, ihre Hände steckten in dünnen weißen Lederhandschuhen. Doch die unsteten Böen fanden immer Wege, die winzigen Körnchen unter den Stoff und die Maske zu blasen.

Der Kara Buran, der Schwarze Sturm, hatte sich über Sonnen hinweg weder gesteigert, noch war er abgeschwächt. Er hielt die Bewohner der riesigen Stadt in seinem Bann und gewährte ihnen nur gelegentlichen Ausgang, und das unter erschwerten Bedingungen.

Die Maske, die Tomeija trug, bestand aus geschliffenem Hartglas, in das wabenartig Draht eingelassen war. Sie wurde nach Art einer Fechthaube getragen und erlaubte Tomeija, ihre Umgebung wahrzunehmen. Ihr Gesicht lag geschützt hinter dem durchsichtigen Material, der Sand prasselte dagegen und vermochte ihm nichts anzuhaben.

Verfluchter Wind. Er könnte endlich nachlassen. Tomeija befand sich auf dem Rückweg vom Driochor-Tempel in der Nordvorstadt, wo sie ihr tägliches Gebet verrichtet und sich mit Berizsa besprochen hatte. Die Doravo bereitete Tomeija darauf vor, die Aufgabe der Hohepriesterin zu übernehmen.

In ihrer alten Heimat war Tomeija niemals besonders gläubig gewesen und hatte den Göttern lediglich die verlangten Opfergeschenke dargebracht. Aber in Wédōra hatte sich ihre Einstellung geändert. Gelegentlich überkamen sie Visionen von Driochor, der ihr mächtige Kräfte prophezeite, und so zweifelte sie nicht mehr daran, dass sie berufen war, als Nächste das Amt der Hohepriesterin zu bekleiden. Und lange würde Berizsa nicht mehr leben, wie sie bisweilen unaufdringlich anmerkte. Ihre metallbeherrschende Gabe, die viele Menschen aus Doravo traf, forderte ihren Tribut. Daher nutzte Berizsa jede Möglichkeit, um Tomeija zu unterrichten.

Weit ist es nicht mehr bis nach Hause. Sie zog den Waffengurt um ihre Hüfte enger, damit er den Mantel dichter verschloss. Ihre langen graugefärbten Haare wehten wie eine Standarte hinter ihr aus der Maske.

Tomeija hatte die Zeit im kleinen Tempel genossen, zwischen den Wänden aus schwarzem Marmor, darauf die kunstvollen Zeichnungen ihres Gottes, der aus einem Skelettleib bestand, mit Klauen und spitzen Zähnen und der überlangen Knochenschleppe. Das Licht im Innern wirkte durch die kleinen, bemalten Fenster und die hauchdünnen Silbereinlagen stets mystisch.

Viele Anhänger hatte der Gott Driochor nicht, vor allem deshalb, weil der Herrscher der Stadt die Ausübungen eines jeglichen Kultes erschwerte. Doch die Mutigen, die sich in den winzigen Tempel wagten, sollten belohnt werden und jemanden dort vorfinden.

Diese Maske ist jede Münze wert. Tomeija hatte das Artefakt bei einem Edelsteinschleifer im Goldenen Viereck entdeckt und erstanden. Es war nur für reiche Menschen erschwinglich gewesen, aber sie besaß Münzen im Überfluss. Ihr Lohn für die Heldentat, Wédōra vor der Einnahme durch die Umstürzler aus Thoulikon bewahrt zu haben, war üppig ausgefallen. Als Dreingabe hatte es vom Herrscher ein sechsstöckiges Haus im Prachtviertel gegeben, das sie zusammen mit Liothan bewohnte, ihrem Freund aus Kindertagen. Sie weilten erst seit kurzer Zeit in der Stadt, und in diesem Palast ließ es sich durchaus gut leben.

Trotz des surrenden Windes hörte Tomeija ein Krachen zu ihrer Linken.

Was war das?

Sie wandte den Kopf.

In einer Seitenstraße schwang eine Dienstbotentür in den Böen vor und zurück. Sie musste von der Naturgewalt aufgedrückt worden sein, und die Bewohner des herrschaftlichen Anwesens hatten es noch nicht mitbekommen. Das bedeutete, dass sich der Sand im Innenraum bald kniehoch auftürmen würde. Ein boshafter Gruß des Kara Buran an die Unachtsamen.

Tomeija schwenkte in das Gässchen, um die Besitzer zu warnen.

Wie ich es mir dachte. Die dunklen und hellen Körnchen bewegten sich in Schlangenlinien flink vorwärts und zwängten sich hurtig durch den Eingang, als wüsste der Schwarze Sturm um jede Schwachstelle und würde seine Armee lenken. Wédōra hielt ihm seit zweihundertfünfzig Siderim stand, mal mit großen, mal mit geringen Schäden an den Gebäuden.

Tomeija verweilte auf der Schwelle und blickte ins Halbdunkel, nahm die Maske ab, um sich besser verständlich zu machen. Laut pfiff und säuselte der Wind durch den Spalt. »Jemand zu Hause?«, rief sie. »Hier steht die Tür offen.«

Knöchelhohe schwarzgraue Dünen hatten sich bereits auf dem bunt gemusterten Fliesenboden des Raumes gebildet, bei dem es sich um die Bediensteten- und Sklavenküche handelte. Die Einrichtung und Auswahl an Kochutensilien verdeutlichte den Reichtum der Besitzer.

An einigen Stellen blieb der Sand auf den Kacheln haften. Als sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, erkannte Tomeija dort große, dunkle Flecken: Lachen und Spritzer einer rötlichen Flüssigkeit.

Die umherliegenden Menschen auf der Treppe, dem Tisch und neben der Feuerstelle ließen sie darauf verzichten, erneut nach den Bewohnern zu rufen. Ein grausames Verbrechen war geschehen, und der oder die Täter mochten noch im Haus sein.

Angesichts des Überfalls verfiel Tomeija in die Besonnenheit, welche sie zur besten Ordnungshüterin in ihrer Heimat gemacht hatte. Ruhig. Ruhig und achtsam sein.

Sie machte einen Schritt hinein und stellte sich an die Wand neben die Tür, ohne sie zu schließen, damit weiterhin Licht hineinfiel. Die hellen und dunklen Körnchen ließen sich auf den Leichen nieder und verwandelten sie in Sandskulpturen, verbargen Kleidung, Haut und Verletzungen.

Lebt noch jemand? Langsam zog Tomeija ihr Schwert, um auf einen Angriff vorbereitet zu sein. Ich muss nachschauen, ob ich helfen kann.

Plötzlich flog aus dem dunkleren Teil der Küche etwas auf sie zu.

Sie duckte sich unter dem Geschoss weg und schlug gleichzeitig danach.

Die Klinge zerteilte etwas, Tröpfchen trafen sie an Schulter und Brust. Neben Tomeija landeten zwei Teile eines ausgerissenen Unterarms.

In diesem Moment traten zwei Gardisten durch die Dienstbotentür; der offene Eingang hatte wohl ihr Misstrauen geweckt. Sie sahen Tomeija, einer riss daraufhin das Schwert aus der Hülle, der andere griff nach seiner Alarmpfeife, und einen Atemzug darauf tönte das zweitönige Schrillen durch den Raum, die Gassen und den Sturm.

»Runter mit der Waffe!«, befahl die vordere Wache, vom Rang her ein Nakib, und richtete die stählerne Schwertspitze auf Tomeija.

Sie wehrte sich nicht. »Sicher, Nakib.« Sie senkte das Schwert, ohne es zu verstauen, und stemmte die Maske mit der anderen Hand lässig in die Seite. Ich muss ruhig bleiben. »Ich weiß, wonach es aussieht. Aber der wahre Täter ist dort hinten. Neben dem Feuer.«

Zwei weitere Gardisten rannten herbei und betraten den Raum, in dem die zweite Wache eine Lampe entzündete und umherleuchtete.

»Da ist wirklich jemand«, meldete der Mann und hielt die Blendleuchte so, dass der Strahl auf ein Mädchen im Alter von etwa zehn Siderim fiel. »Das soll die Mörderin sein?«

Die Wachen fachten weitere Lampen an, die an der Decke und den Wänden hingen, und verschafften sich einen Überblick. Sie betrachteten die Leichen und deren schwere Wunden, in denen sich unentwegt Sand niederließ und sich mit Blut vollsog. Als ehemalige Scīrgerēfa wusste Tomeija, dass nur ein überaus kräftiger Erwachsener solche Hiebe austeilen konnte.

Das Mädchen saß neben dem Feuer, von oben bis unten mit Ruß beschmiert, und starrte zu ihnen hinüber. »Sie war es!«, rief es mit Angst in der hellen Stimme und deutete auf Tomeija. »Sie hat meine Familie getötet!«

Tomeija nahm die Kleinigkeiten in dem großen Zimmer wahr, prägte sich die Lage der Toten ein und merkte sich so viel, wie es ihr möglich war. Schock oder abgekartete Sache? »Ich will eine Untersuchung«, sprach sie ruhig.

»Die zu was führen soll?«, setzte der Nakib nach. »Wenn du mich fragst, ist offensichtlich, was geschah.«

»Ich bin gespannt«, gab Tomeija besonnen zurück. »Erkläre mir meine angebliche Tat.«

»Du wolltest den Sturm als Deckung für dein schändliches Tun nutzen und hast dir Zugang verschafft.« Er zeigte auf die Leichen. »Sie waren im Weg und wurden von dir getötet. Danach sollte dein Raubzug im Haus beginnen.«

»Und das Kind habe ich übersehen?«, warf Tomeija lächelnd ein.

»Ich habe mich mit Asche getarnt, damit sie mich nicht entdeckt«, rief das Mädchen dazwischen. »Gleich, nachdem sie hereinkam und uns überfiel.«

»Da haben wir die Lösung«, sagte der Nakib. »Ich habe keinen Grund, in dir eine Unschuldige zu sehen.« Er zeigte auf Tomeijas Schwert, dessen Gravuren sich mit hinabrinnendem Blut füllten. »Das stammt von den Opfern. Sogar deine Kleidung weist Spuren auf. Überall sind Spritzer und Schlieren. Wie kann ich da nicht annehmen, dass du die Mörderin bist?«

Tomeijas kühler Verstand ließ sich von den Umständen nicht ablenken. Das Aufklären kapitaler Missetaten hatte zu ihren Aufgaben als Scīrgerēfa gehört. Die Kleinigkeiten, die im hellen Schein der Laternen sichtbar wurden, erzählten eine gänzlich andere Geschichte als die des Gardisten.

»Nakib, sage mir: Warum ist das Mädchen nicht weggerannt?«, fragte Tomeija freundlich. »Die Tür stand offen. Sie hätte an mir vorbei ins Freie flüchten und Hilfe holen können, während ich vorgeblich Menschen abschlachtete.« Sie zeigte auf den gegenüberliegenden Ausgang, der in einen Flur führte. »Oder sie hätte sich im Haus verstecken können. Aber sich umständlich mit Ruß und Asche einreiben? Hätte ich das nicht mitbekommen müssen? Zumal das Feuer noch brennt. Sie hätte sich verletzen können.«

Das Kind funkelte sie böse an, was durch das geschwärzte Gesicht durchdringend wirkte.

»Dann warf das Balg den Arm nach mir, damit ich danach schlage und einen Beweis gegen mich erschaffe.« Tomeija senkte die abgerundete Spitze ihres Schwertes und deutete auf die zerteilte Gliedmaße auf dem Boden, die bereits von Sand bepudert war. »Wie du siehst, tritt kaum mehr Blut aus. Das bedeutet, dass die Leiche entweder schon älter ist oder ihren Arm früher einbüßte.«

Der Nakib stemmte die Hände in die Hüften und wirkte überfordert. »Das bedeutet jetzt was?«

»Dass es sich um eine Falle handelt. Denn die anderen Toten« – Tomeija nutzte ihre Klinge wie einen Zeigestab – »sind ebenfalls vor einer Weile verschieden. Das Blut ist absichtlich verschüttet worden und stammt vermutlich von einem geschlachteten Tier.«

»Du willst mir sagen, dass die Leichen nicht frisch sind?«, fragte der Nakib verwundert.

»Sieh dorthin, wo man noch Haut unter dem Sand erkennen kann: Totenflecke. Sie erscheinen erst längere Zeit nach dem Ableben.« Tomeija ging langsam zwischen den liegenden Körpern umher – bis sie blitzschnell zutrat und einem männlichen Opfer die Stiefelspitze zwischen die Rippen bohrte. »Außer bei ihm.«

Der vermeintliche Tote, der das prächtige Gewand eines Hausherrn trug, gab ein Stöhnen von sich und krümmte sich unter Schmerzen.

»Ein putzmunterer Leichnam.« Tomeija setzte ihm die Sohle auf die Stirn und legte das abgerundete Schwertende an seine Kehle. »Dein Atmen hat dich verraten. Und die falsche Wunde an deiner Kehle ist von Stümpern gemacht. Du bist hier, um das Mädchen vor mir zu schützen, falls ich ihr etwas angetan hätte, bevor die Gardisten kamen, habe ich recht?«

Er nickte vorsichtig, um keinen Schnitt zu riskieren.

»Alte Leichen, ein falscher Toter, ein Lügenmädchen. Welches Schauspiel geht in dieser Küche vor?«

»Oh«, machte der Nakib und kratzte sich am Kinn. »Das ist … wirklich verwunderlich.«

»Noch verwunderlicher ist, dass du kein Gardist bist. Weder du noch deine Freunde«, entgegnete Tomeija, ohne ihre Waffe vom Hals des Unbekannten zu nehmen. »Es fiel mir erst spät auf, sonst hätte ich mich nicht mit dir abgegeben.«

Der Nakib grinste abrupt. »Verdammt noch eins! Was hat uns verraten?«

»Die Alarmpfeife. Dein Kumpan blies nicht mit ganzer Kraft hinein, und doch erschien die Verstärkung trotz des Kara Buran unglaublich schnell.« Tomeija lachte leise. »Ihr müsst bessere Ohren haben als ein Wachhund. Dann deine Anrede und dein Verhalten mir gegenüber. Wir befinden uns im Prachtviertel. Selbst wenn ich eine Mörderin wäre, hättest du aufgrund meiner Kleidung und der sehr teuren Sandsturmmaske davon ausgehen müssen, dass ich eine höherstehende Person bin, die man respektvoll ansprechen muss.« Tomeija versuchte unterdessen, für sich selbst zu einer Erklärung zu gelangen. Ein Komplott gegen sie und ihren Freund Liothan? Sollte sie unter dem Vorwand einer Inhaftierung entführt werden? Waren die vier und das Mädchen Teil der Verschwörung aus Thoulikon, die nach Rache trachteten? »Inszenierte Morde, ein Bewacher für die falsche Zeugin, vier Wachen, die keine sind«, fasste sie zusammen. »Jemand, der weiß, dass ich diese Strecke häufig gehe, wollte mich in die Falle locken.« Tomeija verstärkte den Druck auf den Griff, wodurch sich die Schwertspitze leicht in den Hals des Liegenden bohrte. »Was kommt als Nächstes? Greift ihr mich an?«

»Nein! Nein, greift sie nicht an«, krächzte der Mann unter ihrem Stiefel. »Bitte, tut das nicht!«

»Also wolltet ihr mich angreifen.« Tomeija ließ das Mädchen nicht aus den Augen, dessen Ausstrahlung ihr viel zu erwachsen vorkam. »Und natürlich wisst ihr genau, wer ich bin.« Sie ging in die Knie, legte die Maske ab und zog eine feine Nadel aus dem Umschlag des Handschuhs. Sie steckte dem Liegenden das dünne Metall seitlich in den Nacken. Damit war sein Maìluon blockiert, er würde sich nicht bewegen können. »Versucht es.« Dann erhob sie sich und verstaute das Schwert, um ihre langen grauen Haare zu verknoten und weitere Nadeln zu zücken. »Mehr als dies brauche ich nicht. Driochors Beistand habe ich obendrein.«

Die vier Gegner sahen sich unschlüssig an.

Tomeija nutzte den Moment – sprang und schob dem falschen Nakib die dünne Nadel durch den oberen Nackenmaìluon und lähmte seine Bewegungen. Ohne ihren Befehlshaber würden die verbliebenen drei Gegner an Selbstsicherheit verlieren. Leichteres Spiel für mich.

Der Nakib brach zusammen, die Augen angstvoll aufgerissen. Er verstand nicht, weswegen sein Körper keine Befehle mehr von seinem Verstand annahm und er zum nutzlosen Herumliegen verdammt war.

Bevor sich Tomeija um die restlichen Gegner in der Gesindeküche kümmern konnte, schob sich ein weiterer, schwer gepanzerter Widersacher durch den Hintereingang herein.

Die schwarzen und blauen Muster waren meisterlich in die gravierte Lamellenpanzerung aus poliertem Stahl geätzt; kleine Schilde saßen an den Unterarmen, an seinem Wehrgehänge trug er eine Auswahl von Klingen und Wurfgeschossen, die teils in die Rüstung eingepasst waren. Der Helm mit dem geschlossenen Visier zeigte ein Puppengesicht.

Ein Dârèmoi!

Gegen die Leibgarde des Dârèmo, um die sich etliche Legenden rankten, käme sie mit ihren Nadeln nicht weit.

Gegen ihn würde sie höchstens mit ihrer Gabe als Todbringerin bestehen können. Wenn Tomeija sich darauf konzentrierte, mit einem Schlag oder einer Berührung das Sterben eines Menschen zu verursachen, geschah es. Was als Fluch in ihrer alten Heimat über sie geworfen worden war, hatte sie dank Berizsa als Gabe angenommen und für sich zu nutzen gelernt.

»Ist das ein neues Komplott?« Tomeija musterte den hochgewachsenen Krieger. »Stellt sich die eigene Garde gegen den Herrscher von Wédōra? Diene ich dabei als Lockvogel oder als Schuldige?«

Schritte hinter ihr verrieten, dass sich eine Person durch den Gang näherte, der von der Küche ins Anwesen führte.

Als Tomeija sich umwandte, sah sie Sarāsh, die Vertraute und Botin des Dârèmo, die durch den Korridor kam und applaudierte. Sie trug eine prunkvolle Lamellenrüstung gleicher Machart wie der Dârèmoi; auf ihren blutroten Überwurf hatte sie ebenso verzichtet wie auf den Helm. Die langen, braunen Haare waren hochgesteckt. »Meinen herzlichen Glückwunsch. Du hast die Prüfung bestanden. Sogar besser, als ich es mir erhoffte.«

Schlagartig ergab das Szenario einen Sinn. Die falschen Gardisten, die präparierten Leichen, das Kind und der getarnte Aufpasser: Sarāsh hatte herausfinden wollen, wie es um ihre Kombinationsgabe bestellt war. Der aufmarschierte Dârèmoi war lediglich zum Schutz von Sarāsh hier. Die Vertraute des Herrschers ging nie ohne Leibwache durch Wédōra, auch wenn es niemand wagte, sie zu attackieren. Es war ein Zeichen an die Bewohner.

»Ich hatte durchschaut, dass etwas nicht stimmt«, erwiderte Tomeija und verstaute die Nadeln. »Doch hinter den Grund komme ich nicht.«

»Ich wollte sehen, wie du handelst.« Sarāsh begab sich neben den gelähmten Nakib, der aus großen Augen zwischen den Frauen hin- und herstarrte. »Kann man die Nadel einfach herausziehen, oder ist dabei etwas zu beachten?«

Tomeija grinste und legte ihre Linke an den Schwertgriff. »Nein, muss man nicht. Aber vom tieferen Einstechen rate ich ab.«

Sarāsh lachte auf und befreite den Mann aus der Starre, einer der falschen Gardisten tat das Gleiche mit dem ebenso falschen Nakib. Nach einem kurzen Gruß verschwanden sie mit dem rußgeschwärzten Mädchen hinaus. Sie und das Kind hatten ihren Zweck bei dem Schauspiel erfüllt.

Gemietete Darsteller. Hätte ich sie getötet, wären ihre Leichen einfacher zu entsorgen gewesen als die von echten Gardisten.

Tomeija stand mit Sarāsh und dem Dârèmoi zwischen den Leichen, dann sah sie auf die Blutspritzer auf ihrer Kleidung. »Ich nehme an, ich erhalte eine Erklärung.« Sie sammelte die Nadeln vom Boden auf und steckte sie ein.

»Gewiss. Aber nicht an diesem Ort.« Sarāsh zeigte auf den Durchgang. »Ich habe nebenan ein Mahl vorbereiten lassen, bei dem wir uns unterhalten.« Sie ging voraus.

Tomeija nahm die Sandmaske und folgte ihr. Der Dârèmoi verriegelte die Dienstbotentür und schloss sich ihnen an.

In dem Speisesaal saßen sonst wohl zehn und mehr Bewohner beieinander. Dicke Teppiche auf dem Boden dämpften die Trittgeräusche. Auf den niedrigen Tischen, von denen man im Sitzen aß, stapelten sich feine Köstlichkeiten, wie sie sich in Wédōra die Reichen gönnten und für die ein Koch kleine Ewigkeiten am Herd und am Backofen verbrachte.

Der Leibwächter blieb an der Tür stehen.

Tomeija kannte die Gerichte, aber ihr Herz schlug für das Einfache, wie die gefüllten Dampfklößchen, die es sogar im Prachtviertel an Ständen zu kaufen gab. Sie wartete, bis sich Sarāsh niedergelassen hatte, und begab sich auf den Kissenstapel ihr gegenüber; ihr Schwert legte sie neben sich.

»Ich schätze deine Umsicht«, sagte Sarāsh und goss ihr zuerst vom nach starker Minze riechenden Tee ein. Ihr Gesicht wirkte im warmen Schimmer der Öllampen weniger streng. »Deine Nervenstärke. Deine Auffassungsgabe.«

»Und doch war ein Aufpasser versteckt.«

»Wir wussten nicht, was geschehen würde. Bevor ich das Wohl eines Kindes in Gefahr bringe, sorge ich vor.« Sarāsh lächelte. »Eine Schauspieltruppe aus dem Vergnügungsviertel, solltest du dich fragen, wer diese Leute waren.«

»Aha.« Tomeija hakte nach. »Aber warum keine echten Wachen, die du ins Vertrauen gezogen hast? Damit wäre ich längst nicht so rasch hinter die Aufführung gekommen. Das Verhalten hat mich gleich stutzig gemacht.«

»Vertrauen«, wiederholte Sarāsh bedächtig. »Das ist ein Wort, das in Wédōra äußerst selten benutzt wird. Auch innerhalb der Garde und des Heeres. Mit dem Aufdecken der Verschwörung wurde eine schwärende Wunde offenbart, die viel zu lange … nennen wir es: toleriert worden ist. Und ich hörte, dass du dich mit der Behandlung von Entzündungen auskennst. Besser als die Iatroi.«

Tomeija hatte keine Ahnung, worauf die Frau hinauswollte. »Das stimmt.«

»Überall saßen die Verschwörer aus Thoulikon. In sämtlichen Vierteln. In der Garde. In der Armee. Die Eroberung der Stadt, die in einem Handstreich beinahe gelungen wäre, brachte den Dârèmo zum Nachdenken«, führte Sarāsh aus. »Es ist nur die Spitze der Pyramide, die unter dem Sand vergraben liegt. Und er will etwas unternehmen.«

»Da die Verschwörer gefasst sind: gegen wen?«

»Die geheimen Bünde. Die Bruder- und Schwesternschaften, die ihre heimlichen Reiche aufgebaut haben. Die Geheimniskrämer in den Vierteln, die sich die Straßen aufteilen, sich bestechen lassen, Gaunerbanden formieren. Ob reich, ob arm. Es sind ebensolche Verschwörer wie die Bande aus Thoulikon, nur dass sie aus der Stadt kommen und von ihr zehren, sie ausbeuten und verschleißen. Damit muss Schluss sein.« Sarāsh prostete Tomeija zu. »Du ahnst es?«

»Ich bin mir nicht sicher.« Sie hob ihr Glas und erwiderte den Gruß, trank und stellte es ab. Die scharfe Minze machte die Nase frei und raubte ihr zugleich fast den Atem. Mit Zucker war nicht gespart worden.

»Jeder Statthalter regiert wie ein kleiner Fürst«, fuhr Sarāsh fort.

»Dann setzt neue ein.«

»Und die neuen bringen wiederum ihre eigenen Leute mit. Innerhalb weniger Mâne wären die Verhältnisse die gleichen wie zuvor und trügen andere Namen. Sogar die Spione des Herrschers sind ihnen bekannt.« Sarāsh nahm eine kandierte Simafrucht. »Es kennen sich einfach zu viele Menschen, die sich wiederum Gefallen schulden.«

»Ich verstehe. Ihr braucht jemanden von außerhalb, der nicht in die Händel und Geschäfte involviert ist«, sagte Tomeija.

Sarāsh steckte sich die Nascherei in den Mund und kaute langsam. »Du hast es erfasst.«

»Eine Million Einwohner, neun Viertel, unendlich viele Straßen, Gassen, Plätze, Sprachen – und ich soll die Geheimnisse der Gesetzlosen ergründen?« Tomeija lachte, obwohl ihr der Gedanke auf Anhieb gefiel. Sie war in ihrer alten Heimat eine Gesetzeshüterin aus Überzeugung und mit Eifer gewesen, die Beste in der Baronie und hochgradig wirkungsvoll. Bis auf Liothan hatte sie damals alle erwischt. Warum also nicht auch in meiner neuen Heimat? Die betuliche Baronie ließ sich allerdings nicht mit Wédōra vergleichen. »Das ist eine zu große Aufgabe«, sagte sie.

»Deswegen fangen wir mit einer einfacheren an, die jedoch nicht weniger von Bedeutung ist«, erwiderte Sarāsh. »Der Dârèmo ist von dir überzeugt. Aufgrund deiner Vergangenheit beabsichtigt er, dich zu seiner obersten Verbrechensjägerin zu machen. Zu seiner höchsten Shudiya-Lha. Weil du als Gestrandete nicht zum Sumpf aus Intrigen und Banden der neun Viertel und Vorstädte gehörst, wie du schon sagtest, kann keiner mit deiner Rücksicht rechnen.«

Tomeija spürte große Lust, der Aufforderung nachzukommen. Die Bedenken wichen jedoch nicht. »Das klingt durchaus verlockend. Aber wie werden die Statthalter reagieren? Sie –«

»Du wirst einen Rang und Titel erhalten, der dich mit Sonderbefugnissen ausstattet«, fiel ihr Sarāsh beruhigend ins Wort und hob ihre Teetasse. »Alles wird vorbereitet sein. Abgesehen von deinen Aufgaben als Ermittlerin, wirst du eine geheime Truppe aus Gestrandeten zusammenstellen, die sich wie du noch nicht in die hiesigen Machenschaften haben verwickeln lassen. Sie werden dir gehorchen und Neuigkeiten zutragen oder mit dir in den Kampf ziehen, um Unterschlupfe der Banden auszuheben. Niemand wird erfahren, wer sie sind. Außer dir.« Sarāsh deutete mit der nächsten ergriffenen Frucht auf den Krieger neben der Tür. »Sollten die Gegner einmal zu zahlreich oder zu stark bewaffnet sein, sende ich dir die Dârèmoi.«

Tomeija trank vom Minzaufguss. Aufregung und Jagdfieber packten sie. Aber kann ich bei diesen Aufgaben noch Hohepriesterin werden? Sie würde den Driochor um eine Vision bitten, um Aufschluss zu erhalten. »Ich müsste darüber nachdenken.«

Aber Sarāsh schüttelte den Kopf. »Nein. Musst du nicht. Dein Blick verriet mir längst, dass du dich entschieden hast.«

»Es gibt dabei Dinge zu bedenken.«

»Das können wir tun, sobald es so weit ist.« Sarāsh ließ sich nicht beirren. »Du bist dazu bestimmt, die höchste Shudiya-Lha zu sein, Tomeija. Der Dârèmo erkannte dies. Niemand vor dir besaß je eine solche Aufgabe und Verantwortung. Du jagst die Großen und die Kleinen, ohne Rücksicht auf Herkunft und Vermögen. Das Wohl und die Zukunft der Stadt werden von dir entscheidend abhängen. Eine solche Verschwörung, die beinahe zum Fall führte, darf niemals mehr fruchten.«

Tomeija goss sich Wasser nach. Die Minze schmeckte auf Dauer zu sehr hervor und trocknete durch die ätherischen Öle den Mund aus. »Wann würde meine Aufgabe beginnen?«

»Sobald unser Mahl beendet ist.« Sarāsh blickte sie fest an, die alte Strenge kehrte auf ihre Züge zurück. »Du darfst darüber mit niemandem sprechen. Niemandem! Sonst wird dein Geheimnis nicht lange ein Geheimnis bleiben. Bis sämtliche Vorbereitungen getroffen wurden, darf nichts nach außen dringen.«

Schon gar nicht bis zu Liothan. Tomeija würde es vor ihrem Freund verschweigen müssen. Damit hätte sie noch ein Geheimnis mehr vor ihm. Der Gedanke ließ ihr das Herz schwer werden. Vielleicht kann ich ihn irgendwann zu einem Teil der geheimen Truppe machen? Obwohl … einmal Halunke, immer Halunke.

»Einverstanden«, sagte sie.

Sarāsh zeigte sich zufrieden. »Dann kommen wir zu deinem Einstand. Löst du dieses Rätsel, bestehst du jedwede Aufgabe.«

»Wieder ein Theaterstück, in dem ich die Ungereimtheiten finden muss?«

»Die Kindereien sind vorüber, Tomeija.« Sarāsh deutete auf das Fenster. »Du wirst stellvertretend für mich einen echten Mord aufklären, der sich just ereignete. Nichts davon ist gestellt oder vorgetäuscht. Löse den Fall und finde die Geheimnisse der Toten – so es welche gibt.«

»Wo finde ich den Ort, an dem sich das Verbrechen ereignete? Im Vergnügungsviertel?«

»Nein.«

Tomeija las vom Gesicht ihres Gegenübers, auf dem sich eine latent gemeine Vorfreude spiegelte, dass es kein ihr bekannter Ort war. »Sondern?«

»Die Festung Sandwacht.«

Tomeija hob langsam die Augenbrauen. Vom abseits gelegenen Berg und dem darauf errichteten Bollwerk startete das Heer die Erkundungsflüge mit den Pajarota-Gleitern, um die Wüste zu überwachen. Ich begreife, was sie meint. Umgeben von Hunderten Soldaten, die es nicht gutheißen würden, dass eine Ermittlerin von außen zu ihnen stieß, um einen Mord unter ihresgleichen zu klären, machte das Unterfangen zu etwas Besonderem.

»Du wirst sehen, dass das Heer eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen ist. Das glauben sie zumindest.« Sarāsh schenkte sich in ein zweites Glas dunkelblauen Wein aus einer Karaffe ein. »Aber in Wédōra gelten einzig die Gesetze des Dârèmo. Das wirst du den Frauen und Männern dort vor Augen führen. Als meine Vertreterin. Einerlei, wie du es anstellst.«

Driochor stehe mir bei. Tomeija griff gleichermaßen nach dem Wein.

Sie hatte ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, sich in die Festung auf jenen Berg zu begeben, wo böse Geister hausten, die Wahnsinn bei den Menschen auslösten. Allzu lange durfte sie sich in den Mauern nicht aufhalten. Nicht umsonst wurden die Wachen oft abgelöst, um sie vor dem Irrsinn zu bewahren.

Und das war nur eine Geschichte von vielen, die sich um diese Erhebung rankte.

»Es ist mir eine Ehre, Euch bei den Ermittlungen vertreten zu dürfen.« Ich werde mich gründlich in die Vergangenheit der Festung und des Berges einlesen. Dann kann mich wenig überraschen. Zumindest vonseiten der Geister.

***

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Etmond blieb angesichts des grauenhaften Wesens aus Leichenteilen bewundernswert abgebrüht und ließ seinen Rappen Haken schlagen. Ross und Reiter entgingen den niederzuckenden und zustoßenden Schwertern, die Klingen hackten tiefe Kerben in den Boden. Er trennte im Vorbeireiten einige Gliedmaßen ab und gelangte in den Rücken der Kreatur. »Los, macht schon!«

Voial und Listhan umritten das magisch erschaffene Wesen weiträumiger, schlüpften durch eine Lücke zwischen ihm und sich nähernden neuen Gegnern.

Vimith konnte nicht anders, als auf das homunkulusartige Riesengeschöpf zu starren und sich zu fragen, mit welcher Art Hexerei so etwas zustande gebracht wurde. Nichts, was mir bekannt ist!

»Warte nicht zu lange.« Gaïna ritt an dem vielarmigen Wesen vorbei und versuchte das gleiche gewagte Kunststück wie Etmond. Aber ihr Pferd scheute angesichts der heulenden und stöhnenden Kreatur, und das Zögern reichte der magischen Bestie aus, fünf Hiebe gleichzeitig zu führen. Die Schwerter zerschnitten die Söldnerin mitsamt Tier, in großen und kleinen Teilen fielen die leiblichen Überreste, Rüstungsteile, Sattel und Geschirr auf die Erde.

Schon bückte sich der Koloss und sammelte brauchbare blutende Gaïna-Stücke ein. Ihre Arme rammte er sich in den riesigen Oberkörper, wo sie augenblicklich mit dem Rest verwuchsen und sich bewegten, als gehörten sie seit Jahren an die Stellen. Den abgeschlagenen, tropfenden Kopf presste er zu den anderen Schädeln.

Vimith schauderte, als sich die Trübheit in den toten Augen verlor und Gaïna ein zweites Leben antrat. Die blutigen Lippen öffneten sich zu einem wirren, wilden Stöhnen.

»Wir müssen weg!«, rief Atha und ließ ihre Fuchsstute antraben, um ansatzlos in Galopp zu verfallen. »Die anderen Monster sind schon viel zu nahe.« Sie hielt auf den schmalen Streifen zwischen Wüste und Feind zu, um ihn links zu überholen und zur verbliebenen Truppe zu stoßen.

Vimith sah das Unheil nahen. Zwei der Bestienbeine traten nach der jungen dunkelhaarigen Söldnerin und katapultierten sie zusammen mit ihrem Pferd in hohem Bogen in die Wüste, wo sie innerhalb eines Herzschlages im flüssigen Sand versanken wie Steine in einem Teich. Nein!

Für Etmond, Voial und Listhan war der Kampf längst nicht vorbei. Das unwirkliche Geschöpf agierte in beide Richtungen und attackierte die Söldner mit seinen zahlreichen Armen, Händen und Waffen, ohne dass es sich umwenden musste. Vier Köpfe blieben derweil auf Vimith gerichtet.

Brüllend brachen weitere Gegner aus dem Wald hervor und wollten sich auf den Witgo werfen.

Somit muss ich es auf einen Versuch ankommen lassen. Vimith sammelte seine Kräfte und beschwor einen Zauber, der unsichtbare Ketten um den monströsen Feind legen sollte.

Der Spruch flog über Vimiths vor Furcht trockene Lippen, und ein leises Klirren erklang, als sich die unsichtbaren Fesseln um Arme und Beine legten. Ein zweites, lauteres Klirren ertönte, als die Ketten durch die ruckartigen Bewegungen gesprengt wurden. Ein goldbräunliches Blitzen umspielte die Kreatur, fremde Magie hatte den Fesselungsversuch vereitelt.

Trotzdem konnte Vimith nicht länger warten und trieb seinen Apfelschimmel an, um knapp am monströsen Feind vorbei zum Rest der Truppe zu stoßen. Danach würde Etmond hoffentlich den Rückzug vom verfluchten Land befehlen.

Timera, sei mit mir! Vimith passierte den Koloss und duckte sich unter zischenden Schwertspitzen weg, als etwas seinem Pferd die Vorderläufe im Galopp wegzog.

Ein erschrockenes Wiehern, der Apfelschimmel stürzte.

Vimith zog die Füße aus den Steigbügeln und drückte sich ab. Er flog über das sich überschlagende Tier hinweg – genau in einen Faustschlag des Feindes.

Vimith glaubte, von einem Balken getroffen worden zu sein.

Er wurde herumgewirbelt und von einer anderen Hand getroffen, die ihn wie eine Fliege zur Seite klatschte. Halb benommen, orientierungslos und angefüllt mit Schmerz, gelang ihm kein Schutzzauber.

Dann bremsten Äste seinen Sturz, ehe er rücklings auf dem Boden aufschlug. Feuerräder drehten sich vor seinen Augen, die einen Großteil des Geschehens verdeckten.

Bei den Göttern! Vimith rang nach Luft und versuchte, sich auf die Seite zu wälzen und sich aufzurichten; den Helm hatte er verloren. Er fühlte die Erde unter sich beben, die Scheusale rückten stampfend vor.

Durch das wirbelnde Glühen erkannte er Etmond, der sich zusammen mit Listhan und Voial seiner Haut erwehrte. Abgehackte Gliedmaßen lagen umher, doch die Ungeheuer kümmerte es nicht.

»Verbrenne sie!«, schrie der Hauptmann der Sieben Krähen. »Vimith, du musst diese Bestien vernichten, oder wir werden zu einem Teil von ihnen!«

Vimith kroch auf allen vieren näher an das Getümmel und ordnete seine Gedanken. Er legte seine gesamte Konzentration in die Formel, die lange Feuerstrahlen aus den Tätowierungen in seinen Handflächen schießen lassen sollte.

»Beeile dich!« Voial wich einem Hieb aus und wurde von zahlreichen Händen gepackt, die ihn aus dem Sattel pflückten und ihn entzweirissen. Gedärme und Innereien fielen herab, und schon wurde der Oberkörper des Getöteten wie eine halbe Skulptur angesetzt, die unverzüglich zum Leben erwachte und den Kampf aufnahm. Voial war es auch, der dem erstarrten Listhan ein Schwert durch den Hals schleuderte.

Listhan sank vom Pferd und wurde, von Klingen zerhackt, eingefügt.

»Timeras brennender Zorn treffe euch!« Vimith reckte einen Arm gegen das Monstrum vor dem Hauptmann, den anderen gegen die anrückenden drei grotesken Kolosse.

Ruckartig lösten sich die Lohen aus den Tätowierungen und strömten über viele Schritte hinweg rauchend, knisternd gegen die Ziele.

Vimith lenkte die Flammenstrahlen und führte sie auf und ab, hin und her, um die Leiber mit dem vernichtenden Feuer einzuhüllen. Unaufhörlich bewegten sich seine Lippen.

Die Geschöpfe brannten und schrien ihre Schmerzen mit vielen Stimmen hinaus, die unzähligen Knie brachen ein. Als sie, um sich schlagend, zur Seite fielen, löste sich die Wirkung der Magie, und die verkohlten Einzelteile der Menschen hopsten und kullerten schmauchend umher.

Das Gekreisch endete, dafür wurde das Knacken und Prasseln des Feuers lauter. Schwarzer Qualm stieg auf und sandte ein Signal in den Herbsthimmel. Es stank nach verbranntem Fleisch und verschmorten Haaren, heißem Metall und brennendem Leder.

Vimith unterbrach den Hexspruch und legte seine Hände zur Kühlung auf den regenfeuchten Boden. Es zischte, wo sie die Erde trafen. Er hatte den Zauber zu lange aufrechterhalten und fühlte die eigenen Verbrennungen. Sollten die dauerhaften Hautmalereien zerstört worden sein, würde er diesen Zauber vorerst nicht mehr nutzen können.

Etmond rannte durch die umherwehenden Rauchschwaden herbei und blieb an seiner Seite stehen, blickte sich hastig um. Die Rüstung zeigte tiefe Dellen und Schrammen, hatte dem Hauptmann wohl mehrmals das Leben gerettet; auch er hatte seinen Helm eingebüßt. »Du hast es geschafft.« Er packte Vimith im Nacken und zog ihn auf die Beine. »Weg von hier.«

»Das wollte ich gerade vorschlagen.« Wegen des stinkenden Qualms sah er wenig von der Umgebung. »Habe ich sie alle erwischt?«

»Ich weiß es nicht. Aber es reicht, um einen Vorsprung zu haben.«

»Die Pferde …«

»Wir müssen es zu Fuß schaffen. Bis zur Grenze sind es nur ein paar Meilen.« Etmond wandte den kahlen Kopf abrupt nach rechts und riss das Schwert hoch. »Wir sind –« Da traf ihn ein Speer, durchschlug seinen Hals und nagelte den Mann an einen Baum. Ein kurzes Zappeln und Zucken, dann hing Etmond tot und aufrecht am Stamm, sein Blut rann in wirren, roten Linien über die verbeulte Panzerung.

Vimith fuhr herum.

Vor ihm stand ein kleinerer, bewaffneter Homunculus, erschaffen aus den Resten dreier Söldner, mit vier Beinen, fünf Armen und zwei Köpfen; der dritte, halbierte Kopf baumelte sinnlos aus der Brust. Das irre Lachen war furchteinflößend.

»Ich … ich …«, stammelte Vimith und wich Schritt um Schritt zurück. Mit seinen verbrannten Händen konnte er sich nicht verteidigen. Seine gesamte magische Kraft war in den Lohenspruch geflossen.

»Dies ist erst der Anfang«, kam es aus den zwei Mündern des Geschöpfes. »Du wirst das Ganze nicht mehr erleben. Denn dies ist dein Ende!« Die Arme mit Schwert, Streitkolben, Speer und Dolch hoben sich. »Ihr hättet mich niemals stören dürfen!«

Wen auch immer es meint. Vimith ersparte sich den Fluchtversuch. Es gab kein Entkommen. Stumm betete er zu Timera.

Die Kreatur humpelte näher und holte zu Hieben und Stichen aus.

Lass es schnell gehen. Vimith schloss die Augen, fühlte einen ersten Schmerz in der rechten Brust, und er schrie.

Plötzlich wurde es hell. Das Licht drang durch seine Lider und blendete ihn. Die Klinge wurde aus seinem Körper gerissen, der Homunculus gab ein lautes Stöhnen von sich. Ein schweres Rumpeln erklang. Der Gegner war gestürzt.

Vimith öffnete verwundert die Augen.

Vor ihm stand Atha, über und über mit Sand bedeckt, der wie Panade an ihr haftete. Sie senkte die Hand, grünliches Feuer umspielte ihre Fingerspitzen. Im Leib des Feindes hatten sich fünf Löcher geöffnet, aus denen kochendes Blut blubberte und gegarte Gewebeteile herausschwemmte.

»Du bist dem Sand entflohen!«, rief Vimith freudig und hielt sich die schmerzende Wunde, stöhnte.

»Ja.« Atha eilte zu ihm und half ihm auf die Beine. Dann legte sie ihre Stirn gegen seine und murmelte einen Zauber. Kribbelnd heilten die Verbrennungen und das Loch in seiner Brust. »Nur fort von hier!«

Ich habe sie unterschätzt. »Wir müssen« – Vimith sah zur Sonne hinauf, um sich zu orientieren – »nordwestlich durch den Wald und zurück auf den Pfad. Bis zum Abend haben wir das verfluchte Land hinter uns gelassen.«

»Also, los. Mögen die Götter mit uns sein.« Atha übernahm die Führung.