Wédora – Staub und Blut - Markus Heitz - E-Book
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Wédora – Staub und Blut E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Lebensspendend oder todbringend, geheimnisvoll oder verkommen - Juwel der Wüste oder Ende aller Hoffnung? Willkommen in Wédōra, dem Schauplatz von Markus Heitz' Dark-Fantasy-Bestseller "Wédōra - Staub und Blut". Im Mittelpunkt einer gigantischen Wüste liegt die schwer befestigte Stadt Wédōra. Sämtliche Handelswege der 15 Länder rings um das Sandmeer kreuzen sich hier, Karawanen, Kaufleute und Reisende finden Wasser und Schutz. In diese Stadt verschlägt es den Halunken Liothan und die Gesetzeshüterin Tomeija. Doch Wédōra steht kurz vor einem gewaltigen Krieg, denn die Grotte mit der unerschöpflichen Quelle, die die Stadt zum mächtigen Handelszentrum hat aufsteigen lassen, war einst das größte Heiligtum der Wüstenvölker. Nun rufen die geheimnisvollen Stämme der Sandsee zum Sturm auf die mächtige Stadt. Liothan und Tomeija geraten schnell in ein tödliches Netz aus Lügen und Verschwörungen, besitzen sie doch Fähigkeiten, die für viele Seiten interessant sind.

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Seitenzahl: 711

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Markus Heitz

Wédōra – Staub und Blut

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Im Mittelpunkt einer gigantischen Wüste liegt die schwer befestigte Stadt Wédōra. Sämtliche Handelswege der fünfzehn Länder rings um das Sandmeer kreuzen sich hier, Karawanen, Kaufleute und Reisende finden Wasser und Schutz. In diese Stadt verschlägt es den Halunken Liothan und die Gesetzeshüterin Tomeija.

Die beiden kommen zum ungünstigsten Zeitpunkt, steht Wédōra doch kurz vor einem gewaltigen Krieg, denn die geheimnisvollen Stämme der Wüste rufen zum Sturm auf die mächtige Stadt. Liothan und Tomeija geraten schnell in ein tödliches Netz aus Lügen und Verschwörungen, besitzen sie doch Fähigkeiten, die für alle Seiten interessant sind.

Inhaltsübersicht

Widmung

Karten

Dramatis Personae

in der Baronie Walfor (Königreich Telonia)

in Wédōra

Begriffe (Telonia)

Begriffe (Wédōra)

Zeiteinheiten (Wédōra)

Prolog

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Kapitel I

Kapitel II

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Kapitel III

Wédōra, Westvorstadt

Wédōra, Westvorstadt

Kapitel IV

Wédōra, Westvorstadt

Wédōra, Krankenviertel

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Kapitel V

Wédōra, kurz hinter dem Krankenviertel

Wédōra, Westvorstadt

Kapitel VI

Wédōra

Wédōra, Vorstadt

Kapitel VII

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Wédōra, Vergnügungsviertel

Kapitel VIII

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, West-Vorstadt

Kapitel IX

Wüste, bei Wédōra

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Kapitel X

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Vergnügungsviertel

Kapitel XI

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Wédōra, Vergnügungsviertel

Kapitel XII

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Krankenviertel

Kapitel XIII

Wédōra, Vergnügungsviertel

Wédōra, Krankenviertel

Kapitel XIV

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Wédōra, Westvorstadt

Kapitel XV

Wédōra, Prachtviertel

Wédōra, Nordvorstadt

Kapitel XVI

vor Wédōra

Baronie Walfor, Königreich Telonia

Wédōra, Prachtviertel

Kapitel XVII

außerhalb von Wédōra

außerhalb von Wédōra

Wédōra, Prachtviertel

Kapitel XVIII

Baronie Walfor, Königreich Telonia

außerhalb von Wédōra

Kapitel XIX

Wédōra, Prachtviertel

Baronie Walfor, Königreich Telonia

Wédōra, Prachtviertel

Kapitel XX

Wédōra, Prachtviertel

Epilog

Baronie Walfor, Königreich Telonia

Nachwort

Die Rückkehr der Zwerge 1

Die Rückkehr der Zwerge 2

Den Reisenden,

die den Sinn für Abenteuer haben, ganz gleich ob sie real oder in den Welten eines Buches unterwegs sind.

Dramatis Personae

in der Baronie Walfor (Königreich Telonia)

Arcurias Kelean der Vierte: König von Telonia

Cattra: Liothans Frau

Dûrus der Kaufmann: Händler

Efanus Helmar vom Stein: Baron, Herrscher der Baronie Walfor

Fano, Tynia: Liothans Kinder

Fenia von Ibenberg: Witga am Hof des Königs Kelean

Liothan der Holzfäller: gutherziger Schurke aus Leidenschaft

Otros der Kundige: Witgo am Hof des Barons vom Stein

Rolan der Schweinehirt: Liothans Schwager

Testan: Kommandant der königlichen Garnison

Tomeija: gutherzige Scīrgerēfa aus Leidenschaft

in Wédōra

Alitus: Statthalter des achten Viertels

Bemina: Betreiberin der Dampfstube

Berizsa: Schaustellerin

Cantomar, Nemea, Sutina: Karawanenwächter

Chucus: Leno und Inhaber des Theaters Spaß und Blut

Cegiuz: Rauschmittellieferant

Daipan: Richter der Vorstädte

Dârèmo: Herrscher über Wédōra

Déla, Pimia, Sebiana: Tänzerinnen im Theater Spaß und Blut

Dyar-Corron: Statthalter des Krankenviertels

Eàkina Thi Isoz: reiche Witwe

Gatimka Thi Isoz: Eàkinas Nichte

Hamátis: Statthalterin der Vorstädte

Hisofus: Erpresser und Schläger

Irian Ettras: Karawanenführer und ehemaliger Soldat

Irûsath: Goldschmied

Itaīna: Statthalterin des Vergnügungsviertels

Jenaia, Keela, Ovan, Tronk, Veijo: Verschwörer

Kardīr: Razhiv

Kasûl: Händler und Karawanenführer

Khulur, Olgin: Mitarbeiter des Theaters Spaß und Blut

Kilnar: Kunde von Phiilo

Kytain Dôol: ein Izozath

Leero: Statthalter des dritten Viertels

Milon: Packer und Gelegenheitsmusikant

Nonos: Schankwirt

Oltaia: Heilerin

Penka: Kaufmann

Phiilo: Rauschmittelhändler

Sarāsh: Dârèmos Botin

Thoulik der Dreizehnte: Kèhán über Thoulikon

Tilia: Beminas Tochter

Tish: Bettler

Torkan: Hamátis’ Stellvertreter in der Westvorstadt

Begriffe (Telonia)

Hastus: Gott der Gerechtigkeit (Walfor)

Maìluon/e: Nervus-Leitbahnen im Körper

Scīrgerēfa: Ordnungshüterin

Witga/o: Hexe/r

Begriffe (Wédōra)

Ambiaktos/ia: Bediensteter des Dârèmo

Angitila: Riesenechsen

Bhlyat: Verzehrer (Titel)

Ghefti: Rauschmittelmischer

Hakhua: Kannibale

Henket: Bier

Iatros/a: Medikus

Kèhán: Großkönig

Keijo: Wesen, die zum Aufspüren von Sandvolk-Spionen eingesetzt werden

Khubs: Fladenbrot

Kutu: Schlampe

Leno: Kuppler und Beschützer

Menaïd: höchste Daseinsstufe der Thahdrarthi

Nakib: Hauptmann der Garde (Titel)

Pajarota: Kunstvogel

Planáoma/ai: Welt/en, Planet/en

Razhiv/a: Hexe/r

Saldûn: mächtiger Zauberer

Skornida: Skorpionartige

T’Kashrâ do Sarqia: Volk des Sandmeeres

Yhadòk: ein Monster, das sich von Aas und Menschen ernährt

Zeiteinheiten (Wédōra)

ein Sandglas: eine Stunde

eine Sonne: ein Tag

ein voller Mond: eine Woche

Mâne: vier volle Monde

Siderim: zwölf Mâne

ein Siderim/ein Sternenzug: ein Jahr

Prolog

Königreich Telonia, Baronie Walfor

Ich bin hier, um Brennholz für den Winter zu ordern. Acht Klafter. Trocken.«

Liothan hielt mit dem schweren Vorschlaghammer in der Ausholbewegung inne, als er die Frauenstimme hörte, die direkt aus dem Dickicht hinter ihm zu kommen schien. Seine Gedanken, die um das Vorhaben in der kommenden Nacht kreisten, hatten ihn unaufmerksam werden lassen. Das Scheppern der Werkzeuge hatte seine Ohren zudem vorübergehend gegen leise Geräusche abgestumpft.

»Für dich?« Liothans Muskeln, gut auf dem freien Oberkörper zu erkennen, spannten sich unter seiner Haut. Der Hammer schlug auf den Kopf des Spalteisens, das im liegenden, entasteten Baumstamm steckte. Ein lautes Klirren, knackend riss das Holz, und der Keil rutschte tiefer. Danach drehte sich Liothan um. »Oder für deinen Herrn?«

In der Schneise zwischen den Büschen stand Tomeija, seine hochgewachsene, sehnige Freundin aus Kindertagen, die ihn um eine Fingerlänge überragte.

Insekten summten durch die warme Luft, goldenes Licht fiel durch das dichte Blattwerk. Es roch nach Wald, nach Nadeln und nassem Farn. Ein Kuckuck rief leise aus der Entfernung, Spechte hackten hörbar nach Insekten unter der Rinde.

»Für den Baron.« Tomeija steckte in einem wattierten, grauen Wappenrock, eine Hand ruhte locker auf dem Schwertgriff, die andere hielt einen rötlich gelben Apfel. Obwohl es ein warmer Sommertag war, verzichtete sie nicht auf ihre Handschuhe. Tomeija biss ab, lächelte kühl. »Und er ist nicht mein Herr.«

»Du dienst ihm.«

»Ich diene dem Gesetz. Barone kommen und gehen.« Der Ausdruck in ihren türkisfarbenen Augen blieb freundlich. Sie kannte seine Neckereien.

»Und doch sendet er dich, um die Arbeit eines Dieners zu vollbringen.«

Tomeija kaute langsam. »Es lag auf dem Weg. Ich bin nur höflich.«

Liothan schulterte den Hammer und sprang vom Stamm auf den weichen Waldboden, streifte die langen, dunkelbraunen Haare nach der Landung aus dem verschwitzten Gesicht. »Dieser Baron ist schon zu lange im Amt, wenn du mich fragst.«

»Wie gut, dass ich das nicht tue. Sonst könnte dich deine Antwort in Schwierigkeiten bringen.« Sie biss mehrmals ab und kaute. Ihre langen, graugefärbten Haare lagen unter einem flachen Hut, eine vorwitzige Strähne hatte den Weg heraus gefunden und hing seitlich herab. »Acht Klafter. Trocken.«

»Ich habe es schon beim ersten Mal vernommen.«

»Gut.« Tomeija aß in Ruhe den Sommerapfel auf und warf den Stiel weg, dann kam sie zu ihm und setzte sich auf den Stamm. Nicht weit davon hatte er den Korb mit seinem Proviant abgestellt: belegte Brote mit Hirschschinken. Wie er an das Edelwild gekommen war, blieb sein Geheimnis. Sie bedeutete ihm, sich neben ihr niederzulassen.

»Ich habe zu tun. Ich muss den Baum zerlegen. Damit verdiene ich mein Geld.« Er stellte den Hammer ab, pflückte sein weißes Hemd von einem niedrig hängenden Ast und streifte es über. Es hing weit um seinen drahtigen Leib. Eilends rollte er die hochgekrempelten Hosenbeine herab.

»So höre im Stehen zu, was ich dir zu sagen habe und weswegen ich eigentlich gekommen bin.« Tomeija schloss die Augen und atmete die kühle Waldluft ein, die rechte Hand prüfte den Sitz des Halstuchs. »Wie oft bist du einer Verurteilung entgangen?«

Liothan hörte den ruhigen Tonfall, den er sehr mochte, und setzte sich neben sie. Sie sprach von Freundin zu Freund, und dafür nahm er sich stets Zeit. Das Band existierte noch zwischen ihnen, auch wenn die Jahre es stark strapazierten. Aus verschiedenen Gründen. »Ich zähle nicht mit.«

»Elf Mal.«

»Oh. Ich hätte das zehnte Mal wohl begießen sollen?« Er fasste die Haare zu einem Zopf zusammen, bändigte sie mit einem breiten Lederband.

»Dachtest du dabei auch nur einmal an deine Familie?«

»Natürlich.« Er verschwieg, dass seine Frau Cattra und sein Schwager Rolan ihn bei den Streifzügen unterstützten. Lediglich seine Kinder Fano und Tynia ließ er außen vor. Sie waren noch zu jung. »Sie leiden sehr unter den falschen Anschuldigungen gegen mich.«

Tomeija lachte mit geschlossenen Lidern. »Deine Kinder enden im schrecklichen Waisenhaus in der Stadt, wenn es euch drei erwischt«, gab sie zurück. »Man weiß, was ihr tut. Sogar der Baron. Er wartet nur darauf, dass ich ihm Beweise bringe. Und dann wirst du hingerichtet. Du und ein jeder oder eine jede, die mit dir sind.«

»Aber ich bin unschuldig!«

»Das warst du nie, Liothan. Ebenso wenig wie unsere Väter damals. Du hattest Glück. Oder gute Menschen, die für dich logen, weil sie dich mögen.« Sie öffnete die Augen und blickte ihn an. Das Türkis strahlte im Sonnenschein, der dünn durch die Blätter leuchtete. »Niemand kann den Baron leiden. Du wirst für deinen Edelmut gefeiert, ich weiß. Als Freundin bewundere ich dich. Aber als Scīrgerēfa jage ich dich.« Sie legte ihm eine Hand auf den Unterarm. »Ich bitte dich: Bleib weg von Dûrus dem Kaufmann.«

Liothan atmete lange ein. Seine Freundin schien Gedanken lesen zu können. Er rieb das Harz an seinen Fingern zu kleinen Kügelchen und streifte sie ins Moos. »Er ist ein furchtbarer Mann.«

»Das bestreite ich nicht.«

»Er hat zwei kleine Kinder in unserem Dorf mit seiner Kutsche überfahren und getötet!«

»Und die Eltern für ihren Verlust mit Geld entschädigt«, fügte Tomeija hinzu. »Wie es das Gesetz bei einem Unfall vorsieht.«

»Es war Absicht!« Liothan ließ den Hammer von der Schulter auf den Boden rutschen, der schwere Metallkopf senkte sich tief ins Moos. »Dûrus ist ein Menschenschinder. Er quält seine Angestellten, er prügelt und tritt sie ebenso wie seine Tiere. Aus dämonischem Vergnügen. Und alle, mit denen er Geschäfte macht, presst er aus bis aufs Blut. Jeder, der mit ihm handelt, bereut es.« Er versetzte dem Hammer einen kleinen Stoß. »Seinen Reichtum hat er nicht verdient.«

»Versuch es nicht. Ich bitte dich. Er ist ein sehr guter Bekannter des Barons.«

Seine Lippen wurden schmal. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ich habe dich beim Spähen an seinem Anwesen gesehen.« Der Druck ihrer Finger auf seinem Arm wurde für wenige Herzschläge fester, dann ließ sie ihn los und erhob sich, strich die abgeblätterte Rinde von der Hose. »Du würdest nicht deiner alten Freundin gegenüberstehen. Mehr kann ich nicht sagen.« Tomeija umarmte ihn zum Abschied, langte in seinen Korb und nahm ein belegtes Brot heraus. »Hirsch?« Sie biss ab. »Es ist Hirsch. Er starb vermutlich an Altersschwäche, doch keinesfalls an einem Pfeil, nicht wahr?« Sie wandte sich ab und schritt voran.

»Tomeija!«

Sie blieb stehen. »Ja?«

»Danke.«

»Bitte, Liothan.« Sie hob die linke Hand mit dem Brot zum Gruß und setzte ihren Weg fort, verschwand durch die Hecken. »Ach ja: Deine Kaninchenfalle zwei Meilen westlich von hier habe ich konfisziert«, rief sie.

Liothan lächelte. Er schätzte Tomeija sehr und auch, dass sie ihn warnte. Aber Dûrus hatte eine Abreibung verdient.

Mehr als verdient. Liothan würde in den düsteren Bau einsteigen, den Kaufmann zusammenschlagen – und zwar auf die übelste Weise, bis die Knochen ebenso brachen wie die seiner Bediensteten und Tiere, und danach alles an Münzen, Schmuck und Kostbarkeiten mitnehmen, was er fand. Die Hälfte bekamen die Armen, der Rest ging an ihn.

Die Scīrgerēfa würde ihn davon nicht abhalten. Der Überfall auf den Widerling war längst überfällig.

Liothan nahm das übriggebliebene Brot. »In dieser Nacht«, murmelte er und zog den Hammer aus dem Moosboden. »Alles hat seine Zeit.« Er biss zu.

Noch nie hatte ihm gepökelter Hirsch so gut geschmeckt. Die Gedanken an seinen Einbruch und das überraschte Gesicht des Schinders, wenn er erbarmungslos die Prügel seines Lebens bezog, war ein besonderes Gewürz.

Liothan grinste. Der Baron bekäme natürlich acht Klafter. Sehr feuchtes Holz. Damit es ihm die Kamine verqualmte und er hoffentlich im Rauch erstickte.

Gutgelaunt genoss er sein Essen.

 

Am späten Abend versteckte sich Liothan nahe dem abgelegenen Anwesen von Dûrus dem Kaufmann im Unterholz. Schwarze Kleidung ließ ihn mit der Nacht verschmelzen, sein Gesicht hatte er mit Ruß gefärbt.

Der alte Mann, der aus einer anderen Baronie stammte, wie man sich erzählte, hatte das alte Gehöft vor einigen Jahren gekauft, renovieren und zwei Scheunen anbauen lassen, in denen sich Schafe, Rinder und Bedienstete aufhielten. Dûrus selbst lebte alleine in dem riesigen Fachwerkhaus. Niemand durfte es betreten, was Liothan merkwürdig vorkam.

Er könnte sich ein Heer aus Dienstboten leisten. Ein erfolgreicher und betuchter Krämer, der sich weder Diener noch Köche hielt, litt nach Liothans Ansicht unter Verfolgungswahn oder Angst vor Diebstahl. Diese Marotte bedeutete einen unschlagbaren Vorteil für den geplanten Raubzug. Die vergitterten Fenster am Boden machten ihm keine Sorgen, er würde an der Fassade hinaufklettern und sich ins zweite Stockwerk schwingen.

Vorsichtshalber blickte er sich nach Tomeija um. Kurz beschlich ihn der Verdacht, dass die Scīrgerēfa ihn mit ihrer Warnung zum Einbruch hatte herausfordern wollen, um ihm aufzulauern. Doch so handelt sie nicht.

Liothans Gedanken schweiften.

Er hätte Tomeija zu gerne in seiner kleinen Bande gehabt. Ihre Väter ritten einst zu gemeinsamen Überfällen, bis der ihrige ohne ersichtlichen Grund dem Dasein als Dieb den Rücken kehrte und Liothans Vater kurz darauf verraten, geschnappt und hingerichtet wurde.

Alle im Dorf dachten, es sei Tomeijas Vater gewesen, der dem Baron den entscheidenden Hinweis gegeben hatte. Auch Liothan glaubte es eine Zeitlang.

Seine Freundin war daraufhin gegangen, um den feindseligen Blicken und der arrangierten Hochzeit zu entkommen, auf der ihre Eltern bestanden. Jahrelang war nichts von ihr zu vernehmen gewesen, bis sie vor einiger Zeit zurückgekehrt war, sich ausgerechnet auf das Amt der Scīrgerēfa beworben und die übrigen Anwärter im Zweikampf aus dem Rennen geschlagen hatte. Buchstäblich. Wäre Liothan nicht Räuber und Dieb, er hätte sich über die beste Gesetzeshüterin gefreut, welche die Baronie jemals hatte.

So aber blieb es ein zweischneidiges Schwert.

Außer Liothans Bande hatte Tomeija sämtliche gefährlichen Verbrecher mit List zur Strecke gebracht. Ihre Freundschaft hingegen blieb bestehen, nicht zuletzt weil er sich für seinen Verdacht ihrem Vater gegenüber entschuldigt hatte. Tomeija hatte sich in einigen Punkten nach ihrer Rückkehr sehr verändert. Das Lustige von einst war durch Melancholie und Ernsthaftigkeit ersetzt worden, sie grübelte und schwieg sehr viel. Manchmal blitzte der Schalk auf; für sein Empfinden viel zu selten. Sie sprach so gut wie nie über das, was sie außerhalb von Walfor in den vergangenen Jahren erlebt hatte, und beließ es bei Andeutungen.

Eine Bewegung am oberen Fenster ließ Liothan aufmerksam werden.

Dûrus zeigte sich in einem weißen Nachthemd und einer Mütze auf dem Kopf. Weder war er besonders muskulös, noch machte er mit seinen geschätzten siebzig Jahren einen gefährlichen Eindruck. Die ungewöhnliche Bräune seiner Haut hob sich von seinem Gewand deutlich ab.

Liothan grinste. Alte Krähe. Eine junge hübsche Frau wäre schöner zum Anschauen gewesen. Er liebte Cattra von ganzem Herzen, doch gegen ein bezauberndes Gesicht hatte er niemals etwas einzuwenden. Er genoss es gelegentlich, in der Schenke von den Damen wegen seiner heldenhaften Taten angehimmelt zu werden. Und Cattra amüsierte sich über sein gockelhaftes Gehabe.

Dûrus stand auf dem Balkon des zweiten Stockwerks, gähnte und streckte sich, atmete tief ein. Die teuren Ringe an seinen Fingern blitzten im Mondlicht.

Reicher Sklaventreiber! Ich könnte ihm die Ringe abschneiden. Liothan spürte große Lust auf Gewalt gegen den Mann, dem niemand, aber auch wirklich niemand im Dorf und in der Stadt etwas Gutes nachsagen konnte. Dûrus hatte ein geradezu unheimliches Gespür für gute Geschäfte, ging mit Skrupellosigkeit und Tücke bei den Abschlüssen vor, schüchterte Konkurrenten ein und ließ sie zusammenschlagen oder mit Gift behandeln. Zwei Unglückselige waren erstochen worden, die Waffe niemals gefunden.

Du wirst gleich von deiner eigenen Medizin zu schmecken bekommen. Liothan machte sich bereit.

Dûrus kehrte sich vom Fenster ab und ging ins Zimmer zurück – und ließ die Flügel offen stehen.

Liothan grinste, küsste seinen Talisman – einen Anhänger mit dem ringförmigen Zeichen von Hastus, dem Gott der Gerechtigkeit. Du bist mit mir.

Er rückte die Axt zurecht, die er in einer Halterung auf dem Rücken trug, und schlich sich an die Rückseite des Fachwerkhauses heran.

Der Aufstieg fiel ihm leicht, seine kräftigen Finger fanden spielend Halt in den breiten Rissen der Holzbalken. Auf dem Weg nach oben schaute er sich mehrmals um, ob Tomeija mit einigen Wachen aus ihrem Versteck trat oder sich über ihm auf dem Balkon zeigte.

Nichts dergleichen geschah.

Gelegentlich löste sich Putz und rieselte raschelnd zu Boden, zweimal rutschten seine Stiefelspitzen laut über Holz, ohne dass es jemanden auf den Plan rief.

Liothan erreichte die Auskragung des Balkons und schwang sich über das Geländer, duckte sich und lauschte. Auch wenn ihm seine Kraft von Nutzen war, wünschte er sich in solchen stillen Nächten die Gabe, sich so leise wie Tomeija bewegen zu können. Sie wiegt ja noch weniger als ich.

Nachdem sich seine Atmung verlangsamt hatte, pirschte er sich durch die offene Tür. Er betrat nicht wie vermutet das Schlafzimmer des Kaufmanns, sondern ein Arbeitszimmer, dessen Einrichtung einem Königshaus alle Ehre machte.

Eine Petroleumlampe befand sich auf dem Tisch, der Docht war beinahe ganz heruntergedreht und die Flamme ungefährlich hinter Glas gebannt. Sehr aufmerksam vom alten Pfeffersack. Er nahm sie und leuchtete damit im Raum herum. Er kehrt bestimmt zurück.

Schwere Teppiche mit fremdartigen Mustern waren an den Wänden befestigt. Dazwischen hingen hervorragend gemalte Bilder von Wüstenlandschaften: menschenähnlich geformte Felsen, Sand in verschiedenen Farben, schroffe Gebirge mit Hohlwegen, himmelhohe Dünen. Dûrus schien jene Art von Umgebung zu mögen, die Walfor überhaupt nicht zu bieten hatte.

Goldene und silberne Trinkgefäße standen auf einem runden, niedrigen Tischchen. An der Decke waren aufwendig verzierte Stoffbahnen in Dunkelrot befestigt worden, die sich im Luftzug des geöffneten Fensters sachte bewegten. Aus einem Räuchergefäß stieg kräuselnd Rauch auf und verbreitete einen betörenden Duft.

Auf einem ausladenden Schreibtisch ruhten verschiedene Bücher, die Schrift vermochte Liothan nicht zu lesen. Das lag nicht an seiner Leseschwäche, sondern an den rätselhaften Buchstaben. Auch wenn Schreiben, Rechnen und Lesen nicht zu seinen Stärken gehörte, erkannte er den deutlichen Unterschied.

Verschlüsselte Kassenaufzeichnungen, mutmaßte er und sah sich fasziniert weiter um.

Immer wieder lauschend, ob sich der Kaufmann näherte, öffnete er die großen und kleinen Schubladen der unzähligen Kommoden und Schränke im schwachen Lampenschein.

Liothan fand verschiedene Münzen aus Gold und Silber mit unbekannter Prägung, Schrauben und Gegenstände, die er nicht einzuordnen vermochte. Dann gab es Gläser gefüllt mit Sand, mit Knochen, mit Asche und Steinchen unterschiedlicher Färbung und verschiedenen Flüssigkeiten.

Woher hat er all das? Als Räuber hatte Liothan schon manche Absonderlichkeiten in den Waren aus fremden Ländern gesehen, aber davon kannte er nichts.

Ihm fiel ein Stapel mit mannsgroßen Landkarten in die Hände, und sein Staunen endete nicht.

Wo immer sich die gezeichneten Reiche befinden sollten, sie mussten weit, weit entfernt von Walfor und Telonia liegen. Oder sie sind erfunden.

Liothan blätterte und entdeckte den Plan einer achteckig angelegten Stadt, mit neun Vierteln, Türmen, Wallanlagen und vier großen Vorsiedlungen an jedem Tor. Sie muss riesig sein! Hunderttausende könnten darin leben. Der Kaufmann hatte darüber hinaus eine eigene kleinere Karte für jedes der Viertel; bestimmte Häuser zeigten die stets gleiche Markierung. Liothan legte die Karten beiseite und machte sich auf die Suche nach den vermuteten großen Schätzen.

Er wird sie sicherlich … Sein Blick fiel auf einen großen, schwarzlackierten Eichenschrank, der mit einem massiven Vorhängeschloss gesichert war. … da drin haben.

Von Neugierde und Aussicht auf Beute getrieben, betrachtete er die Sicherung, die zwei unterschiedliche Schlüssel verlangte. Eng gesetzte Eisenbänder auf dem Holz machten es unmöglich, die Türen einfach einzuschlagen. Der Lärm hätte den Kaufmann geweckt, der sicher sofort nach seinen Wachen im Gesindehaus schreien würde.

Liothan war vorbereitet.

Nicht meine größte Stärke, aber wenn es eben sein muss … Er nahm den Beutel mit dem Einbrecherwerkzeug vom Gürtel, suchte die feinen Häkchen und Dietriche heraus, um sich ruhig und schnell mit den Mechaniken zu beschäftigen.

Klickend öffnete sich alsbald das erste Schloss, und nach einer gefühlten Ewigkeit ergab sich das zweite.

Zeig, wie viel du gehortet hast, Münzenscheffler. Voller Erwartung öffnete er die gewaltigen Flügeltüren des übermannshohen Schrankes. Danach schlage ich dich grün und blau. Das wird ein Alptraum, den du …

Überrascht fuhr Liothan zurück. Dort, im Schrank, an einer Halterung befestigt, stand drohend eine schwarze Kriegerrüstung.

Er streckte die Hand aus und berührte die Panzerung aus ihm unbekanntem Material.

Die einzelnen Platten lagen zwar eng übereinander, doch anstatt metallisch zu reiben, erzeugten sie beim behutsamen Bewegen ein leises Geräusch, das Liothan entfernt an das Rasseln einer Waldklapperschlange erinnerte. Das Gewicht sprach gegen Eisen. Es war ein Meisterwerk eines Rüstungsmachers und mit seltsamen Gravuren und dezenten Bemalungen übersät. Der Helm zeigte eine kunstvolle Skorpionform und schimmerte in den Strahlen des Mondes. Der Schwanz mit dem Giftstachel ragte aus dem hinteren Teil des Kopfschutzes drohend nach vorne, während sich die kampflustig geöffneten Scheren dem Dieb entgegenreckten. Das vordere Ende des Helms war schräg nach unten bis über das Kinn gezogen, um das Gesicht des Trägers zu schützen. Für die Augen blieben zwei ovale Öffnungen, die mit feinem Eisendraht überspannt worden waren; auf der ganzen Fläche der Kopfbedeckung hoben sich kleine Dornen ab, deren Enden ebenso wie der Stachel feucht glänzten.

Dieser Dûrus hortet wahrlich seltsame Dinge. Liothan überlegte, ob ihm diese Panzerung passen mochte, aber sie schien für einen noch schlankeren, größeren Menschen angefertigt worden zu sein. Tomeija würde sie tragen können.

An der rechten Türhälfte hingen auf grünem Samthintergrund zwei verzierte Schwerter, deren Enden hakenförmig gebogen waren. Auf der anderen Seite waren vier sternförmige, ellenlange Waffen angebracht. In deren Metall entdeckte er gebohrte Löcher.

Wer schmiedet solche Klingen? Liothan nahm eine der sternförmigen Waffen heraus, fuhr mit den Fingern prüfend über die blau schimmernden Schneiden. Und was ist das? Zum Werfen?

Sofort sickerte ein dünner Blutfaden aus dem Mittelfinger. Er hatte sich daran geschnitten, ohne etwas davon zu spüren. Mit einem leisen Fluch steckte er den Finger in den Mund und sog das Rot auf.

Sein Einbruch sah nach einer drohenden Pleite aus. Bis auf die lumpigen Münzen aus aller Herren Länder hatte er kein Geld gefunden. Goldbarren wären ihm lieber gewesen. Wo ist das verdammte Gold? So spannend er die Funde fand, verspürte er kein Bedürfnis, sich durch sämtliche Räume zu wühlen. Am besten frage ich die alte Krähe selbst.

Heller Lichtschein fiel durch den Spalt der größeren Tür, Schritte näherten sich dem Raum.

Meine Gedanken werden ihn gerufen haben. Er klappte den Schrank zu, stellte die Lampe an ihren Platz zurück und drückte sich daneben in den Schatten. Dass der Mann von selbst zu ihm kam, um sich die Tracht Prügel seines Lebens abzuholen, war eine angenehme Wendung.

Einen Herzschlag darauf schwang der Eingang auf, und Dûrus trat mit einer Öllampe in der Rechten ein.

Ohne sich umzublicken, bewegte sich der verhasste, alte Kaufmann in seinem Schlafgewand auf den Schreibtisch zu, setzte sich und drehte den Docht der zweiten Leuchte höher. Leise murmelnd betrachtete er die Bücher, legte den Mittelfinger unter die Zeilen und las sie nacheinander. Die gebräunte Haut besaß Pergamenthaftes, als hätte der Mann sich sein bisheriges Leben lang in der Sonne aufgehalten.

Liothan erkannte einen auffälligen Siegelring, auf dem ein Skorpion eingraviert war. Der wäre was wert. Flach atmend löste er sich aus seinem Versteck, zog die Axt aus der Halterung.

Unerwartet stand der Krämer auf und ging, ohne seinen Besucher zur Kenntnis zu nehmen, auf den Schrank mit den vielen kleinen Schubfächern zu, zog eines auf und nahm ein Gefäß heraus mit etwas, das wie zerschlagene und gemahlene Knochen sowie Hautfetzen aussah.

Liothan hob die Axt und richtete sie am ausgestreckten Arm gegen Dûrus. »Wenn du schreist, wird es dir schlecht ergehen. Ich will dein Gold. Wo hast du es?«

»Du musst dieser Liothan sein«, erwiderte der betagte Kaufmann unerschrocken und öffnete das Gefäß, nahm eine Handvoll Gebeinstaub heraus. »Der Baron sprach von dir.« Ruhig stellte er es zurück ins Fach und öffnete eine zweite Schublade, in der sich loser, feiner Sand befand. Auch davon nahm er sich etwas. »Und er warnte mich.«

»Wer ich bin, spielt keine Rolle.« Liothan wusste, dass ihn der Ruß auf seinen Zügen unkenntlich machte. »Dein Gold, Dûrus. Auf der Stelle!«

»Du bekommst von mir nichts als einen schmerzhaften Tod, Gesindel!« Dûrus hob die Hände mit dem Sand und dem Knochenstaub.

Da sprang eine schlanke Gestalt auf den Balkon und begab sich ins Zimmer. »Im Namen des Barons: Halt!«

Tomeija wurde im Lichtschein sichtbar, gekleidet mit Wappenrock und Hut auf den langen, grauen Haaren.

Sie schüttelte leicht und vorwurfsvoll den Kopf in Richtung ihres Freundes, drehte den Docht höher, so dass es beinahe taghell im Arbeitszimmer wurde. Dann wurde sie gewahr, wie opulent und fremdartig der Raum eingerichtet war.

»Eindrucksvoll, Dûrus. Viele Mitbringsel aus anderen Ländern«, kommentierte sie und warf einen verwunderten Blick auf eine Karte mit Markierungen. Sie legte eine Hand an den Schwertgriff. »Und wer immer du unter der Rußschicht sein mögest«, sagte sie zu Liothan, »runter mit der Axt. Du bist festgenommen.«

»Das Auge des Gesetzes sieht selbst in der finstersten Nacht. Ihr seid aufmerksam, Tomeija.« Der Kaufmann, der die Hände geschlossen hielt, blickte zur Scīrgerēfa. Doch er wirkte nicht erleichtert. Ganz im Gegenteil.

Leise ächzend öffneten sich die Türen des schwarzlackierten Eichenschranks und verrieten, wo der ungebetene Gast bereits gesucht hatte.

Tomeija warf einen raschen Blick auf den Inhalt – und stutzte. »Was sind das für Waffen?« Sie zeigte auf die dreiarmigen Sterne. »Sieh einer an. Wenn ich mich nicht täusche, könnten die Klingen zu zwei gewaltsamen Todesfällen passen. Todesfälle Eurer Konkurrenten. Bei der Leichenschau brachten mich die äußerst ungewöhnlichen Wunden der Opfer zum Grübeln. Ihr werdet verstehen, dass ich sie zur Untersuchung mitnehme. Im besten Fall zu Eurer Entlastung, ehrenwerter Dûrus.«

»Ich muss mich korrigieren.« Dûrus lächelte gewinnend. »Ihr seid zu aufmerksam, Scīrgerēfa.«

»Erspart Euch, mich bestechen zu wollen.« Sie sah zu Liothan. »Ein letztes Mal: Runter mit der Axt.« Sie zog ihr Schwert, auf dem Gravuren zu sehen waren, die Spitze war abgerundet und kaum tauglich zum Stich. »Und Ihr, Dûrus: Öffnet die Hände und lasst fallen, was Ihr darin haltet.«

Liothan senkte seine Waffe. Die Morde an seinen Widersachern. So schnell änderte sich die Lage. Aber ein versuchter Raub blieb nicht minder ein Verbrechen. »Zwei auf einen Streich. Ein guter Abend für die Scīrgerēfa. Sofern du mich fassen kannst.«

»Ich werde nicht versuchen, Euch zu bestechen. Mir schwebt etwas anderes vor.« Dûrus drehte langsam die Fäuste und öffnete die Finger, so dass die Handflächen mit Staub und Sand zur Decke wiesen. Körnchen und graue Asche rieselten herab, trafen lautlos auf den Teppich. »Ihr und Euer Freund habt gesehen, was Ihr nicht hättet sehen dürfen. Ich fürchte, das wird keiner von Euch beiden überleben.«

Tomeija richtete das Schwert sogleich auf ihn. »Bedrohung einer Amtsperson, Dûrus? Weg mit dem Zeug!«

Er sah auffordernd zu Liothan, in den sandfarbenen Augen glitzerte Boshaftigkeit. »Du kannst sie angreifen und entkommen. Mir entkommen. Ich würde schweigen.«

»Nicht ohne mein Gold.«

Der Kaufmann lachte höhnisch. »Dein Gold? Herrlich!« Er blickte auf Tomeijas Klinge. »Euer Hinrichtungsschwert. Interessant. Sagt: Der wievielte Schlag wird es sein, den Ihr führen werdet?«

Die Scīrgerēfa machte einen Schritt auf ihn zu. »Schweigt!«

»Hat sie dir von dem Fluch erzählt, der auf ihr liegt, Liothan?« Dûrus lachte böse. »Jeder siebte Schlag, den sie tut, verlangt Blut, verlangt ein Leben. Die nette Tomeija ist eine wahre Todbringerin. Die Handschuhe werden auch etwas damit zu tun haben, nehme ich an?«

»Schweigt!«, schrie sie ihn an.

Liothan hörte derlei zum ersten Mal, und die heftige Reaktion seiner Freundin schien zu bestätigen, was Dûrus redete. Woher weiß er davon?

»Einerlei. Ich erlöse die Baronie von euch beiden. Danach widme ich mich wieder meinen Geschäften.« Er führte seine Handkanten dicht zusammen, formte ein Bett, auf dem Sand und Gebeinasche ruhten, und murmelte Silben in einer unbekannten Sprache.

Er ist ein Witgo! Liothan sprang nach vorne und riss die Axt zum Schlag hoch. »Schnell! Bevor …«

Im gleichen Moment blies Dûrus über seine Finger.

Aus dem Nichts brandete ein Funkensturm gegen den Räuber und hüllte ihn ein. Knochenhände formten sich darin, griffen in sein Fleisch und versuchten, Brocken aus seinem Leib zu reißen.

Schreiend hackte Liothan mit der Axt um sich, bekam den glühend heißen Sand in den Mund. Es roch verbrannt, seine Haare schmurgelten in der Hitze.

Durch den grauglühenden Schleier suchte Liothan nach Tomeija, der es ebenso erging wie ihm. Anstatt nach den beinernen Klauen zu schlagen, stach sie mit dem Schwert nach dem widerlich lachenden Dûrus.

Die abgerundete Klinge des Hinrichtungsschwertes drang ihm durch die Brust.

Aufkeuchend fiel er gegen den Schrank und rutschte daran herab, übriggebliebener Staub und Sand verteilten sich aus seinen Händen am Boden.

Aber der Sturm legte sich nicht. Tomeija brach im Gestöber zusammen.

Liothan spürte Schmerzen am ganzen Körper, die feinen Körnchen rieben über seine Haut, warfen sich durch Mund und Nase in seine Lunge. Ich muss ihn töten! So riss er die Axt hoch und packte sie am untersten Ende des Stiels, um beim Hieb bis an den Kaufmann zu reichen.

Dûrus brabbelte einen neuerlichen Spruch und schob eine Hand in eine andere Schublade, als ihm die breite Schneide durch den Magen fuhr. Mit einem Todesschrei riss er die Finger aus dem Kasten.

Goldstaub flirrte in der Luft und mischte sich unter den wütenden Wind, der um Liothan tobte und ihn ruckartig nach oben riss.

***

Aus dem Tagebuch von Dengara Tegis, Kauffrau aus Nelethion, 181. n. Gründung:

Wédōra ist ein Gefühl.

Ein bestimmtes Sinnesempfinden. Wie ein wilder Garten in einer Vollmondnacht nach Regen, mit schweren Blumen, und alles riecht nach Samt und Leben. Und auch ein bisschen nach Blut.

Wédōra ist Wahnsinn, ist Dasein, ist der einzige Ort, an dem ich sein will, auch wenn im Meer aus Sand ringsherum der Tod in mannigfaltiger Form auf mich wartet.

Bis zum Sonnenuntergang kannst du mehr erlebt haben, als andere jemals erleben werden, und bei Sonnenaufgang hast du vielleicht schon wieder alles vergessen.

Oder du liegst verreckt in der Gosse und landest im Verwesungsturm.

Oder du bist reich. So reich, dass du niemals alles verprassen kannst.

Das alles ist Wédōra.

Aus den Stadt-Chroniken:

In den Siderim 28 bis 35 nach der Steinlegung wurde der Grundriss erweitert, Stadtviertel und die zweiten Außenmauern und Befestigungen entstanden. Dabei starben Hunderte Sklaven durch die brutale Arbeit in sengender Hitze.

Ihre Gebeine wurden achtlos den Dünen überlassen, was die Wüstenvölker nicht guthießen. Aus Trotz nahmen sie ausgebrochene Sklaven auf und versteckten sie. Nur ein weiterer Tropfen, der das Petroleumfass zum Brennen bringen sollte.

Die Entscheidungen in der Stadt fällte damals ein Kaufmannsrat, was das Regieren nicht immer einfach machte. Ab und zu war der Rat durch ein Patt handlungsunfähig.

Doch Wédōra blühte auf, der Handel erstarkte.

Und bald wurde deutlich: Die Stadt war zu klein.

Kapitel I

Tomeija schlug bäuchlings auf weichem Boden auf, der unter ihrem Gewicht leise reibend wegrutschte und sie teppichgleich mitzog. Die Sand- und Aschereste in den Augen verhinderten, dass sie ihre Umgebung sah.

Dûrus ist ein verdammter Witgo! Sie stemmte sich mit Händen und Füßen gegen das Gleiten und kam zusammen mit dem tückischen Untergrund an dem Hang zum Ruhen. Sollte der Baron davon gewusst haben, müsste sie als Scīrgerēfa den König in Kenntnis setzen. Hexerei wurde gemäß den Reichsgesetzen Telonias nicht geduldet.

Tomeija spürte die unerwartete Kälte, die sie mit mal zarten, mal spürbaren Böen umstrich. Sie musste sich im Freien befinden, ein vielstimmiges Pfeifen und Säuseln stammte vom Wind, der sich an Kanten rieb. Das Rauschen von Blättern fehlte.

Was hat er mit uns getan? Tomeija drehte sich auf den Rücken und legte das Schwert quer über ihre Brust, blinzelte und rieb behutsam über ihre Augen, um die Fremdkörper zu entfernen. Eine Trinkflasche hatte sie nicht dabei, um die Augen zu spülen, daher halfen nur Geduld und stummes Verwünschen.

Ihr Körper schmerzte von den Attacken der Skeletthände, aber es fühlte sich nicht so an, als hätte sie eine Wunde davongetragen.

Das laute Rufen nach Liothan unterließ sie. Nur Anfänger brüllten herum, solange sie nicht imstande waren, sich zu wehren, oder wussten, wie sich ihr Umfeld gestaltete.

Die Kälte nahm zu, je länger sie lag. So frostig hatte sie die Sommernächte in Walfor nicht in Erinnerung. Das Singen des Windes endete nicht, feine Körnchen trieben unablässig gegen ihr Gesicht, als wirkte der Zauberspruch nach. Sie konnte sich an keine Stelle in der Baronie erinnern, wo es nicht einen Baum und dafür viel losen Sand gab.

Ihre Unruhe nahm zu.

Dann roch Tomeija frisches Blut und vernahm Schreie aus weiter Entfernung. Was geht hier vor?

Behutsam setzte sie sich auf, blickte sich zwinkernd in der nächtlichen Dunkelheit um. Ihre Ungläubigkeit stieg ins Unendliche.

Tomeija saß auf dem oberen Drittel eines gestirnbeschienenen Dünenhanges.

In hundert Schritt Entfernung unter ihr lief die Düne auf einer ebenen Fläche aus, auf der sich in unregelmäßigen Abständen hohe Felsblöcke emporstemmten. Der trockene Untergrund zeigte ein wirres Rissmuster, vereinzelt standen Dornenbüsche und Grasbüschel verloren herum und trotzten dem Wind. Das verwitterte Gestein wirkte, als sei es einst behauen worden, und zeigte halb geometrische Figuren. Es mochten Überreste einer Stadt oder monumentaler Bauwerke sein, die von der Wüste aufgefressen wurden.

Es gab keine Wüste in Tomeijas Heimat, weder in Walfor noch in Telonia noch in einem ihr sonst bekannten Reich der Umgebung.

Wohin hat mich der Witgo verbannt? Tomeija hob voller böser Ahnung den Kopf.

Ein fremder Sternenhimmel und zwei verschieden große Monde, die versetzt über ihr schwebten und Silberschein auf sie warfen, beleuchteten das Land.

»Nein, ihr Götter!«, entfuhr es ihr keuchend, und sie sprang auf die Beine, die Füße versanken bis zu den Knöcheln im weichen Sand. Mit dem Schwert stützte Tomeija sich ab, um nicht zu fallen.

Ihr kam in den Sinn, dass Dûrus einen Täuschungszauber über sie geworfen hatte, der vorgaukelte, an diesem Ort zu sein. Ihr Körper könnte sich immer noch auf dem Teppich im Haus des Kaufmanns befinden.

Warum sollte er sich diese Mühe machen? Er hätte uns töten können. Sie tastete sich ab, war tatsächlich unverletzt geblieben. In ihrem Mund schmeckte es leicht verbrannt und nach Asche. Ob Trugbild oder nicht: Wie komme ich von hier weg?

Erneut erklangen die Schreie aus der Ferne. Tomeija sah keine Gestalten zwischen den Steinblöcken. Narrt mich dieses Land? Sind es die Felsen, die rufen? Doch sie hatte Blut gerochen.

Tomeija wandte sich zum Dünenkamm um. Von da oben sehe ich mehr.

Sie nahm ihren Hut und schüttelte den Sand ab, setzte ihn auf und stapfte aufwärts, kämpfte gegen den rutschenden Sand, dem es zu gefallen schien, ihr den Aufstieg so beschwerlich wie möglich zu machen. Die Anstrengung half gegen die empfindliche Kälte, die durch den leicht ramponierten Wappenrock blies.

Sie wusste nichts über die Wüste, kannte vage Beschreibungen allenfalls aus Büchern. Nachts sollte es kalt sein, tagsüber glühend heiß. Ohne Wasser würde sie rasch verdurstet sein.

Den Gefallen tue ich Dûrus nicht.

Tomeija erreichte keuchend den schmalen Grat und spähte auf die andere Seite.

Dort befand sich ein Sandmeer – bis zum nächtlichen Horizont. Düne reihte sich an Düne, die alle kleiner als jene waren, auf der sie stand. Dazwischen gab es Einbuchtungen, vergängliche Wellentäler, in denen der Wind mit den Körnern spielte und Schleier bildete.

Am Fuße des Berges aus Sand erkannte Tomeija zahlreiche liegende Gestalten, große und kleine, Menschen und Tiere. Der Untergrund hatte sich um sie schwarz gefärbt. Sie hatten Blut verloren. Viel Blut.

Daher kamen die Schreie. Die Böen trugen ihr erneut den feucht-süßlichen Kupfergeruch zu. Von den Angreifern sah sie keinen. Sie schienen blitzschnell zugeschlagen zu haben und verschwunden zu sein.

Vielleicht hatte einer von ihnen Wasser dabei? Tomeija begann vorsichtig mit dem Abstieg, rutschte und glitt auf dem Sand nach unten, der einen Wall zwischen den Wüstenregionen zu bilden schien. Sie behielt die Toten im Auge, blickte zwischendurch über die Dünen, die sich schier endlos ausbreiteten. Es hatte etwas Erhabenes, etwas Wunderschönes und zugleich Beängstigendes. Im Nachtlicht erschienen sie grau. Fahnengleich wirbelten lose Körner empor, schlängelten sich und lösten sich auf, wenn der Wind keine Lust mehr hatte, sie zu tragen.

Im Wald fand Tomeija stets etwas zu Essen und zu Trinken. Quellen, Moose, Flechten, Nüsse und Beeren. Nur Trottel verhungerten und verdursteten in einem Forst. Aber in einem Land, wo es nur Sand gab, würde es schwer werden.

Erst das Wasser, danach alles andere. Tomeija hielt ihr Schwert mit der Linken. Ihr verstorbener Gatte hatte ihr beigebracht, Waffen sowohl mit der rechten als auch der linken Hand oder beiden gleichzeitig zu führen, was in ihrem Leben vor dem Dasein als Scīrgerēfa von großem Nutzen gewesen war.

Der Sand unter ihren Stiefelsohlen raschelte leise, die Sohlen sanken kaum mehr ein. Der Untergrund wurde fester.

Behutsam näherte sich Tomeija den ersten Toten.

Es waren Menschen, die weite, helle Gewänder trugen. Das braune Zelt, in dem sie gewiss geschlafen hatten, lag zerschlitzt wie seine ehemaligen Bewohner auf dem Boden, die Plane wehte leise knatternd im Wind an den Resten des Gestänges.

Mehrere erstochene Pferde und Maultiere befanden sich einige Schritte entfernt, die Zügel führten zu einem Metallstab, der im Untergrund steckte. Wenn Tomeija die Spuren richtig deutete, fehlten weitere Tiere. Die Räuber hatten sie mitgenommen. Seltsame Abdrücke. Klein, mit langen Krallen. Pferde waren das nicht.

Sie betrachtete die Leichen. Keine trug Rüstung oder Waffen. Dem Anschein nach waren die Leute im Schlaf überfallen, die Bäuche und Hälse aufgeschnitten worden.

Tomeija begann ihre Suche, blickte sich dabei ständig um, falls die Angreifer zurückkehrten. Zwischen den knapp vierzig Leichen umherzustreifen, als wären sie Teil der Landschaft, machte Tomeija nichts aus. Tote verursachten keine Scherereien mehr. Vor deren Mördern blieb sie achtsam, denn einige der Toten besaßen beeindruckende Wertgegenstände. Kein Räuber lässt Beute zurück. Es gab anscheinend zu viel zum Schleppen.

Zu ihrer Freude fand sie viele gefüllte Wassergefäße, andere Beutel enthielten Branntwein, dem Geruch nach. Sie nahm einen großen Sack mit Trageriemen und packte ein, was sie für einen Aufenthalt in der Wüste als nützlich empfand. Fladenartiges Brot steckte sie dazu, den Schmuck ließ sie den Opfern. Dafür hatte sie keine Verwendung.

Nachdem Tomeija sich mit Vorräten eingedeckt hatte, setzte sie sich ein wenig abseits des Gemetzels in den Sand und dachte nach; mit einer erbeuteten Decke schützte sie sich gegen den eisigen Wind und zog ihren Hut tiefer.

Wo eine Karawane rastete, kommt sicherlich noch eine vorbei. Sie blickte zu den Sternen. Sie brauchte Wissen darüber, wo sie sich befand und ob man hier jemals von ihrer Heimat gehört hatte.

Tomeija hoffte, dass jemand ihre Sprache verstehen würde. Den Gedanken an ein magisches Truggebilde hatte sie verworfen. Doch warum Dûrus sie an diesen Ort gehext hatte, wusste ausschließlich er. Oder auch nicht. Tomeija vermutete, dass der Zauber des Hexers misslungen war. Es wäre einfacher gewesen, sie beide zu töten und verschwinden zu lassen oder es so aussehen zu lassen, als hätten sich Räuber und Scīrgerēfa gegenseitig erledigt. Der Witgo ergötzt sich gerade an dem Wissen, dass ich zumindest einen langen Tod sterben werde.

Zudem blieb die Frage: Wo steckt Liothan?

Es konnte sein, dass Liothan in Walfor geblieben oder an einem ganz anderen Ort gelandet war. Stünde er in diesem Moment bei ihr, sie hätte ihm einen Fausthieb verpasst. Ohne ihren Jugendfreund steckte sie nicht in diesem Schlamassel.

Ich habe ihn davor gewarnt, bei Dûrus einzusteigen. Grimmig stützte sie sich mit einer Hand auf den Schwertgriff und blickte über die übel zugerichteten Leichen.

Mit diesem Ausgang des Abends hatte sie beim besten Willen nicht gerechnet. Sie atmete lange aus, griff mit einer ledergeschützten Hand in den Sand, der sich ihrem Empfinden nach überall unter ihre Kleidung geschoben hatte und auf der Haut rieb. Schon jetzt wünschte sie sich ein Bad, was in der Wüste schwer zu bewerkstelligen sein würde.

Tomeija hielt Ausschau. Und wieder wurde sie in den Bann der fremden Umgebung gezogen.

Um den größeren Mond bildete sich eine weißsilbrige Korona, aus der lange, weiche Arme herausschlugen, als wollte sie die Sterne pflücken oder anstoßen, damit sie tanzten oder vom Firmament stürzten.

Der zweite, kleinere Mond verdunkelte sich unterdessen. Er schien sich vor dem Schauspiel zu fürchten, um danach in blutigem Rot zu leuchten.

Und dann gab es noch ein kurzes, schwaches Glitzern wie von einem dritten Mond am Firmament, der sich unsichtbar gemacht hatte.

Wunderschön. Tomeija war überwältigt – bis sie das feine, anhaltende Rieseln schräg hinter sich vernahm.

Blitzschnell warf sie sich herum und hob das Schwert.

Eine Frauengestalt schob sich aus dem Versteck im Sand, das sie sich gegraben hatte. Sie spuckte den kurzen Strohhalm aus, keuchte und rang nach Luft. Sie war sehr jung und nackt bis auf reichlich Schmuck, und tat sich schwer damit, sich aus ihrer flachen Grube zu befreien. Der Körper war mit aufwendigen Bemalungen versehen, Linien und Ornamente formten sich zu Symbolen.

Als sie Tomeija sah, stieß sie ein glückliches Lachen aus und setzte sich flink zu ihr, obwohl die abgerundete Schwertspitze auf sie zeigte. Vom nachfolgenden Redeschwall verstand die Scīrgerēfa nicht eine einzige Silbe.

Wie ich befürchtet hatte.

»Langsam«, bat sie die Unbekannte und rutschte misstrauisch von ihr weg.

Die bemalte, dunkelhaarige Frau gestikulierte wirr. Sie zog eines ihrer Amulette vom Hals und reichte es Tomeija, dabei wiederholte sie unentwegt ein Wort – »Driochor, Driochor!« – und tippte gegen das Schwert.

Soll das mein Lohn sein, wenn ich sie beschütze? Als Tomeija die Gabe nicht annehmen wollte, warf es ihr die Unbekannte hin.

Die Kette verfing sich um die Schwertklinge und rutschte schleifend daran hinab bis zur Parierstange.

Plötzlich flog die Plane des zerschlitzten Zeltes in die Höhe, laute triumphierende Schreie erklangen. Mehrere Bewaffnete, nicht mehr als Schemen und Schatten, rannten mit blitzenden Klingen auf die Frauen zu.

Sie haben ihr aufgelauert. Tomeija erhob sich, das Amulett fiel von ihrer Waffe vor ihre Füße.

Ein Dutzend Angreifer stürmte heran. Den Bewegungen nach barg der weiche Sand keinen Nachteil für sie.

Die Unbekannte schrie auf und wollte aufstehen, sackte jedoch bei dem Versuch in sich zusammen. In ihrer bislang von Tomeija abgewandten Seite klaffte ein Loch, aus dem Blut floss. Es musste vom ersten Angriff auf die Karawane stammen.

Leidend blickte sie Tomeija an und wiederholte: »Driochor«, wohl um sicherzugehen, dass es verstanden worden war, dann zog sie ein kleines Messer, das sich als Anhänger in ihren Ketten getarnt hatte – und schlitzte sich die Kehle auf, ehe die Scīrgerēfa eingreifen konnte. Sprühend verteilte sich das Schwarz in der Luft und glitzerte im Gestirnschimmer leicht rubinhaft. Die Unbekannte kippte zuckend zur Seite.

Der erste Angreifer erreichte Tomeija, von dem sie nur ein weites, düsteres Gewand erkannte, das bis zu den Knien reichte. Seine Hautfarbe schien dunkel zu sein, was im Licht der Sterne täuschen konnte.

Die gegnerische Klinge schoss heran.

Tomeija parierte den ungestümen Hieb ohne Hast. Sie versetzte dem Gegner mit dem anderen Arm einen Ellbogenhieb mitten ins Gesicht, ein lautes Knacken erfolgte, und sie ließ einen Faustschlag folgen, der ihn im Rückwärtstaumeln gegen die Schläfe traf und von den Füßen holte. Ohne sich noch einmal zu bewegen, blieb er liegen.

Zwei seiner Kumpane sprangen zur Toten und rissen ihr den Schmuck hastig vom Leib, schnitten die Finger ab und steckten sie samt der blutigen Ringe ein.

Die Eile machte Tomeija stutzig. Wo ist das Amulett? Zu ihren Füßen lag es nicht mehr.

Der nächste Widersacher preschte heran und versuchte es mit einer ganzen Reihe von schnellen, geraden Stichen gegen sie. Damit trieb er sie auf die Düne, in den weichen Sand, in dem ihre Stiefel rasch versanken.

Tomeija wich einem Stoß aus und klemmte den Schwertarm des Gegners unter ihrer Achsel ein, drehte sich gegen die Beugerichtung des Gelenks und brach dem Mann den Ellbogen, ohne den Arm freizugeben.

Die gesplitterten Knochen stachen durch Fleisch und Kleidung, der Angreifer schrie hoch, begleitet von einem düsteren Ton, als lebten zwei Wesen in ihm. Seine Waffe landete im Sand. Schon stand Tomeija in seinem Rücken und schmetterte ihm die Faust in den Nacken, so dass er abrupt verstummte und stürzte. Noch zehn. Sie hob keuchend das Henkersschwert – aber die übrigen Gegner waren verschwunden.

Darauf falle ich nicht noch mal herein. Tomeija stand leicht nach vorne geneigt, sicheren Halt im Sand suchend und die Klinge halb erhoben.

Ruckartig sprang ihr erster besiegter Feind auf die Füße, zog zwei Dolche und kam auf sie zu. Den ersten schleuderte er nach ihr, als er drei Schritte gemacht hatte.

Tomeija fälschte die Klinge mit dem Schwert ab. »Feigling«, rief sie.

Im Vorbeigehen hob er einen herrenlosen Kampfstab auf und warf den zweiten Dolch, unter dem sie durchtauchte. Dann hatte er sie erreicht und ließ eine schnelle Kombination aus hohen und tiefen Angriffen erfolgen.

Tomeija kannte die Art zu kämpfen und wich aus. Für Waldbewohner waren geschnitzte Stäbe die einfachste und am leichtesten zu beschaffende Waffe.

Zur Verblüffung des Mannes steckte sie ihr Schwert in den Sand, packte seinen Stab und überdrehte ihn, trat mit dem Absatz zu und zertrümmerte den Spann des Gegners. Als er brüllend seinen Griff lockerte, entriss sie ihm den langen Stock und ließ das Ende gegen sein Kinn krachen, danach genau auf die Körpermitte.

Aufschnaufend klappte der Feind zusammen.

Hast du gedacht, ich bemerke dich nicht? Tomeija zog ihr Schwert aus der Düne, drehte sich einmal um die Achse und ging dabei auf das rechte Knie herab, schlug in einer geraden Bewegung nach dem Feind mit dem gebrochenen Ellbogen, der sich hatte anschleichen wollen.

Die Klinge fuhr dem Mann durch das Gewand und den Bauch.

Aber statt Blut und stinkender Gedärme ergoss sich dunkelrötlicher Sand aus seinem Leib.

Ansatzweise sah Tomeija so etwas wie Organe, sie schienen verkümmert und mit Dreck gefüllt zu sein. Verflucht! Das … sind keine Menschen!

Der Gegner löste sich auf wie eine Mumie, die an Luft und Licht zu Staub zerfiel. Er wurde zu rötlichen Körnchen und verband sich mit der Wüste, lediglich die Kleidung blieb übrig.

Ein langgestreckter Schatten fiel von hinten auf sie und den Sand.

Tomeija drehte sich schnell um.

Vor ihr standen die zehn zuvor vermissten Gegner fächerförmig aufgereiht, verschiedene Waffen in den Händen. Die Gesichter waren bemalt, an Unterkiefer und Stirn entlang, die Farben ließen die Gestalten noch düsterer und unheimlicher wirken. Einige hatten die Augenpartien, Brauen, Nasenrücken und Lippen, sogar die langen Haare übermäßig hell getüncht, was ihnen etwas Dämonisches verlieh. Der Geruch, der von ihnen ausging, ähnelte heißer Erde.

Einer reckte verlangend die Hand und sagte etwas Unverständliches.

Es geht ihnen um das Amulett.

»Ich habe es nicht«, erwiderte Tomeija in ihrer Sprache. »Verschwindet. Ihr werdet es bereuen wie eure beiden Freunde.«

Die Angreifer wechselten rasche Blicke.

»Du sprichst ein seltsames Hoch-Aibylonisch«, antwortete ihr Anführer mit starkem Akzent, ohne dass er die Hand senkte. »Woher kamst du? Aus der Dämonenstadt?«

Tomeijas Herz schlug schnell, aber sie ließ sich ihre aufkommende Angst nicht anmerken. »Jemand, der aus Sand besteht, spricht von Dämonen?«

Die Gegner lachten leise.

»Du weißt nicht, wer wir sind?« Der Anführer hob die übergroß gezeichneten Augenbrauen, durch die Metallringe gestochen waren; auf seiner Nasenwurzel blitzte ein Edelstein auf. »Dann hast du dein Gedächtnis verloren, oder du stammst nicht von hier.« Er zeigte auf seine Handfläche. »Her damit.«

»Ich habe es nicht.«

»Sie hat es dir zugeworfen. Ich sah es.«

»Mag sein.« Tomeija überlegte, ob sie die Düne hinaufrennen und entkommen konnte. Es würde nicht gelingen. Sie sind das Laufen auf Sand gewohnt.

»Lass mich dich durchsuchen. Finde ich es nicht, kannst du gehen. Es sei die Anerkennung für deine Tapferkeit«, schlug er ihr vor und grinste, wobei angefeilte Zähne zum Vorschein kamen.

Als versierte Scīrgerēfa erkannte sie eine Lüge, ganz gleich, an welchem Ort sie ausgesprochen wurde. Tomeija hob zur Antwort ihr Henkersschwert.

***

Liothan lag auf hartem Untergrund, ohne das Bewusstsein bei dem sturzähnlichen Gefühl verloren zu haben. Er schüttelte die Benommenheit ab, die ihm der Zauberspruch von Dûrus verschafft hatte. Was hat er mit mir getan?

Der Wind heulte ungebrochen gegen ihn, doch die brennenden Funken, die knochigen Klauenfinger und die Schmerzen fehlten.

Er verstand, dass die Böen nicht mehr alleine ihm galten und keineswegs magischer Natur waren. Ein Sturm braute sich zusammen, jagte seine Vorboten über das Land, auf dem er lag. Seine langen Haare und die weite Kleidung um seinen sehnigen Körper wehten, raschelten und flatterten.

Durch die Geräusche vernahm er ein anhaltendes Rufen, unverständliche Sätze, einzelne Silben sowie Gelächter von Stimmchen und Stimmen wie von winzigen und großen Kreaturen, die sich in seiner Nähe befinden mussten. Mehrmals glaubte er, seinen Namen zu hören. Er flog von sämtlichen Seiten zu ihm.

Dämonenspuk? Liothan hob den Kopf, blinzelte und hielt eine Hand schützend vor die Augen. Eine weitere Wirkung der Hexerei?

Im Schein der Nachtgestirne sah er undeutlich, dass er sich auf einem aufragenden abgeflachten Felsbrocken befand, wie es in der Ebene noch viele gab. Sie erinnerten an die lehmgebrannten Überreste von Bauwerken, verlassene Ruinen einer vergessenen Zivilisation auf ausgetrocknetem Boden. Die Erdkruste war durchzogen mit tiefen Rissen und klaffenden Sprüngen, nur vereinzelt machte Liothan Gras oder Buschwerk aus, das den Gegebenheiten trotzte.

Hier gedeiht nichts. Er stemmte sich gegen den anhaltend peitschenden Wind in die Höhe und blickte sich um. Das ist nicht Walfor. Nicht mal Telonia! Zu seiner Rechten lag eine schlangenlinienhafte Düne, die sich wie eine Mauer reckte und deren Grat, gemessen an der Größe der Ruinen, in etwa hundert Schritt Höhe lag.

Liothan wurde mulmig zumute.

Er hoffte, dass ihm Dûrus ein Truggebilde angehext hatte und er sich nicht wahrhaftig an diesem fürchterlichen Ort befand, an dem unsichtbare Kreaturen heulten, schrien und nach ihm riefen.

Mit dem Fuß hob er die Axt und nahm sie in die rechte Hand. Die Attacken der Knochenhände hatten ihm keine Wunden beschert, aber er spürte die Stellen, an denen sie gekniffen, gezogen und zugepackt hatten.

»Dûrus!«, schrie Liothan gegen das Säuseln des aufkommenden Sturmes und schob sich den Schal vor Mund und Nase. »Zeig dich, Dûrus!«

Seine Worte wurden vom Wind davongerissen und blieben weniger als einen Herzschlag lang im Rufen der Geister hörbar. Er erblickte keine Menschenseele, und eventuelle Spuren von Tomeija würden von den Böen sogleich verwischt worden sein.

Liothan drehte sich auf seinem Aussichtsposten einmal um die eigene Achse und spähte, ob es am Horizont die Silhouette einer Siedlung gab, wo er sich Wasser erhoffen durfte. Oder Bäume. Bäume wären ein … Ihm stockte der Atem: Auf einer viele Meilen breiten und hohen Front walzte ein Sturm heran, der graugelbe Staubmassen emporschleuderte und den Nachthimmel verschluckte. Ein Mond nach dem anderen verschwand in den brodelnden Wolken.

Zwei Monde? Auch die Sternbilder sagten Liothan nichts. Bei den Göttern von Telonia! Wo bin ich?

Der Anblick des heranbrausenden, vernichtenden Sturms, der Steine und Brocken aufwärtsriss und sie in seinem Inneren zu Geschossen machte, wirkte lähmend. Bläuliche und rötliche Blitze schossen aus dem Kern in den Himmel oder zuckten heraus, um Löcher in die ausgetrockneten Böden zu schlagen. Sofort wurden die umherfliegenden Stücke von dem Wirbeln eingeschlossen. Es schien, als würde im Schutz der anrückenden Wolke ein Heer aus Riesen mit Pferden und Streitwagen über die Erde streifen und wegreißen, was nicht verdient hatte zu bleiben. Die Ausläufer, die um Liothan wehten, verstärkten sich. Er musste sich gegen die Strömungen lehnen, um nicht von der Felsplattform gefegt zu werden. Hier war er ein Spielball für das Element, das sich unaufhaltsam näherte.

Er sah zur Düne. Sie könnte wie ein Damm wirken und dem Sturm trotzen. Ich muss es auf die andere Seite schaffen. Ohne Erfahrung mit derartigen Unwettern und Wüste, hielt er es für einen hilfreichen Gedanken.

Liothan blickte über den Rand der Plattform nach unten. Gute dreißig Schritt. Er hängte die Axt in die Halterung auf seinem Rücken. Genug, um sich den Hals zu brechen.

Der Abstieg wurde durch den Wind zu einem gefährlichen Unterfangen; auch bröckelte das Material unter seinen Fingern und Sohlen.

Schnell verstand er, dass es sich nicht um Ruinen handelte, sondern um Ton, der durch die Elemente geformt und von der Sonne gebrannt worden war. An den zahllosen Kanten entstanden die verschiedensten Melodien, auch das Rufen und Gekreisch.

Das hoffe ich zumindest. Liothan wollte nicht daran glauben, von unbekannten Gegnern umzingelt zu sein, die darauf lauerten, dass er endlich einen Fuß auf den Boden stellte. Zudem hegte er weiterhin die Hoffnung, sein Verstand befände sich in einem magisch gewobenen Trugbild, um ihn mit Furcht zu töten. Und ich dachte, Witgos seien längst ausgerottet.

Liothan erreichte den Boden. Die sagenhaften Hexer, die einst großes Leid über Telonia gebracht hatten, waren von einer Heldenschar gestellt und besiegt worden. Seither wurde keinerlei Magie mehr erlaubt, außer dem Hofheiler des Königs und einer weiteren Witga in der Hauptstadt. Tomeija wird ihr Schwert gewiss schon schleifen. Es wäre müßig, in diesem Sturm nach ihr zu suchen, der merklich an Geschwindigkeit und Kraft zugenommen hatte. Er wünschte ihr, dass sie sich in Walfor befand und Dûrus just in Scheibchen schlug.

Kaum hatte Liothan zwei, drei Schritte getan, tauchte eine gerüstete Gestalt vor ihm aus den treibenden Sandkörnchen auf. Sie trug eine Panzerung ähnlich jener, die er in Dûrus’ Schrank gesehen hatte. Sie unterschied sich in den Ornamenten, und der Helm besaß zwei Skorpionstachel.

Ohne zu zögern, ging der Krieger zur Attacke über, führte in jeder Hand ein langes Schwert, deren Enden zu Haken umgebogen waren.

Verflucht! Zwar gelang es Liothan, dem ersten Hieb zu entgehen und seine Axt zu zücken, um damit den zweiten und dritten Schlag abzuwehren, aber das Tempo verbunden mit der Kraft des Gegners sagten ihm, dass er sein Heil in der Flucht suchen sollte. Er ist überlegen.

Hastig blickte er sich um.

Die Düne war kaum mehr durch die Staubschleier zu sehen. Das konnte ein Vorteil sein, um den Angreifer abzuhängen, der in seiner Vollrüstung sicherlich langsamer sein würde als er.

Mag er im Sturm vergehen. Liothan täuschte einen Ausfall an, wandte sich um und rannte los, genau auf den Wall aus Sand zu. Unterwegs küsste er sein Medaillon von Hastus. Es muss gelingen. Er machte sich keine Gedanken mehr darüber, ob er sich in einem Trugbild befand oder nicht. Der Überlebenswille überlagerte alles andere.

Keuchend hetzte Liothan die Düne hinauf. Er fluchte, rutschte mehrmals zurück, kämpfte sich voran und die Schräge aufwärts, ohne sich einmal umzublicken.

Die Oberschenkel brannten vor Anstrengung, die Lunge schien geschrumpft. Liothan hackte sogar mit der Axt in den Sandberg, um Halt zu finden und sich hochzuziehen.

Ausgepumpt und mit feurigen Kreisen vor den Augen erreichte er den schmalen Grat der Düne und wurde vom Wind das letzte Stück regelrecht hinaufgeschoben.

Geschafft! Erst jetzt wandte sich Liothan um.

Das furchteinflößende Unwetter hatte die gesamte Ebene eingenommen. Die großen Steingebilde lagen in seinem Kern, die unteren Ausläufer nahmen Anlauf, um die Düne zu erstürmen, als seien es die Mauern einer Festung, die eingenommen werden müsste. Gleißende Entladungen schossen knisternd in den Sand und verursachten Explosionen, gelbe Staubfontänen flogen auf und wurden mitgerissen. Liothan spürte die Hitze, die von ihnen ausging.

Aus diesem Gemisch aus Sturm, rötlich beigefarbenem Sand und Energie kam sein schwarz gerüsteter Verfolger und flog regelrecht die Düne hinauf.

Verflucht! Wie … Die heftigen Böen jagten fauchend die Schräge hinauf und erfassten Liothan, wehten ihn vom Grat wie ein lästiges, winziges Blättchen und trugen ihn durch die Luft.

Nach vielen Schritten stürzte er in den Hang der sturmabgewandten Seite und kullerte abwärts. Seine Hand fand keinen Halt, die Axtklinge schlug in nachgiebigen Sand.

Irgendwann kam Liothan zum Liegen. Den Kopf voll Schwindel, stemmte er sich unverdrossen auf, um seinem Angreifer begegnen zu können oder die Flucht fortzusetzen, sofern ihm diese Zeit blieb.

»Liothan!«, hörte er Tomeijas vertraute Stimme aus einiger Entfernung. »Bist du es wirklich?«

Er sah seine Freundin umringt von einer Gruppe Bewaffneter. Einige wandten sich ihm zu und machten sich auf den Weg zu ihm. Die bemalten Gesichter flößten ihm keine Furcht ein, Räuber wie er nutzten gelegentlich die gleiche Taktik. Auch auf seinen Zügen lag noch die dünne Rußschicht.

»Ja. Warte, ich komme.« Er blickte rasch zum Dünenkamm – und sah den Verfolger.

Erhaben und königlich stand die gepanzerte Gestalt über ihnen. Sie blickte herab und hielt die Hakenschwerter leicht gesenkt neben sich. Hinter dem Krieger schleuderte der Sturm den Sand aufwärts, als wären es brechende Wellen am Ufer eines aufgepeitschten Sees.

Das Unwetter schien an dem Damm aufgehalten zu werden. Die Blitze zuckten hinüber, jagten an dem Krieger vorbei bis hinunter ins Tal, kreischend schossen die Entladungen in den Boden. Doch der Sturm wagte sich an dem Gepanzerten nicht vorbei, um sich auf die Menschen zu stürzen.

Die Bewaffneten schrien Anweisungen hin und her.

Immerhin gehört er nicht zu ihnen. Liothan rannte über den weichen Untergrund und steuerte auf Tomeija zu, die sich rückwärts von der Gruppe wegbewegte. Das gezogene Schwert in ihrer Hand verhieß nichts Gutes; eine Gestalt lag auf dem Boden, daneben ein Bündel Kleidung, aus dem Sand rieselte.

Noch zehn Schritte.

Der gerüstete Unbekannte setzte sich in Bewegung und sprintete die Düne abwärts. Augenblicklich folgte ihm der Sturm und wühlte bei seinem Vordringen die Körnchen lawinengleich empor, so dass sie den Gepanzerten bald einhüllten. Das Letzte, was Liothan von ihm sah, war, wie er seine Hakenschwerter hob.

Ein Kampf ist kein guter Einfall. Liothan lief weiter. »Los, weg von hier!«

»Wer ist das?« Tomeija griff trotz des Schwertes einen gefüllten Sack mit einem langen Tragegurt und hängte ihn sich um.

»Kein Freund von uns.« Liothan sprintete auf die Männer mit den bemalten Gesichtern zu, deren Haut ihm erschien, als wäre sie geröstet. Sie starrten mit erhobenen Waffen in die Sandwolke und beachteten die beiden Freunde nicht.

Während Tomeija und Liothan zwischen ihnen durchhuschten, erklang das dunkle Surren von Hieben, gefolgt von brechendem Metall, sirrendem Klirren und lautem Todeskreischen. Das Abschlachten hatte begonnen.

Auch die Scīrgerēfa schrie kurz auf.

»Was ist?«

»Etwas … hat mich im Nacken erwischt. Etwas Heißes.«

»Das sehen wir uns später an. Du lässt meine Hand nicht los«, schärfte er seiner Freundin ein und packte ihre Finger, dann wurden sie vom pfeifenden Sandsturm umschlossen, der weitaus weniger heftig ausfiel wie jenseits der Düne. Der Damm hatte das Schlimmste abgehalten.

Es reicht dennoch aus, um darin verlorenzugehen.

***

Tomeija hatte sich mit einem der Gurte an Liothan gebunden.

Derart gesichert, stapften sie in kleinen Schritten durch den Nachtsturm, der bald an Wucht verlor und sich nach einiger Zeit legte, ohne dass einer von beiden sagen konnte, wie lange die peitschenden Böen angedauert hatten.

Über ihnen zogen scheu die Sterne am Firmament auf, auch die zwei Monde zeigten sich, einer riesig groß und scheinbar zum Greifen nahe, der andere münzklein und beinahe verschämt. Vor ihnen breitete sich die Sandwüste aus, so weit der Blick reichte. Am Horizont wandelte sich die Schwärze zu Dunkelblau. Eine unbarmherzige, glühende Sonne kündigte ihr Kommen an.

Wäre unsere Lage nicht so verzweifelt, könnte man die Schönheit genießen. Tomeija fühlte Sand unter ihrer Kleidung, in den Schuhen, unter dem Hut, den sie dem Wind abgetrotzt hatte. Sie schüttelte Sand aus den Ohren und den Haaren. »Warte.« Erschöpft wuchtete sie den Sack vom Rücken und zerrte einen Wasserbeutel heraus. »Hier.«

Liothan nahm das Gefäß entgegen und trank einen großen Schluck. »Danke.«

Sie suchte eine kleinere Flasche heraus, schraubte sie auf und trank sie in einem Zug leer. Ohne das erquickende Wasser wäre sie keinen weiteren Schritt mehr gelaufen.

Ihr Magen schmerzte vor Hunger, sie fühlte genau, wo der Trunk in ihr entlanglief. Mit einem raschen Griff nahm sie ein Fladenbrot und brach zwei Ecken ab. Gut, dass ich daran dachte. Mit dem Brot in der einen Hand stand Tomeija auf, richtete fröstelnd das Halstuch. Sie war zu müde, um ihrem Freund eine geharnischte Rede wegen seines Einbruchs zu halten. Das würde sie nachholen.

»Wüste«, befand sie missmutig.

»Seine Wüste.« Liothan ließ sich das Nass in den Mund laufen, schluckte.

»Woher weißt du das?« Sie reichte ihm ein Stück Brot. »Dûrus kann uns aufs Geratewohl an diesen Ort gehext haben.«

»Ich weiß es nicht. Ich befürchte es. In seinem Arbeitszimmer fand ich Karten, auf denen eine Wüste eingezeichnet war. Und eine riesige Stadt. Mag sein, dass er uns hierhergebannt hat, damit wir qualvoll sterben.«

»Ich an seiner Stelle hätte uns einfach im Haus getötet.« Tomeija kostete von dem gewürzt riechenden Brot. Es war etwas weicher als ein Keks, der Geschmack passte zu nichts, was sie aus Walfor kannte. Es belebte die Sinne und hinterließ ein Kräuteraroma am Gaumen. Schmackhaft.