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Die schönsten Weihnachtsgeschichten und -gedichte der berühmtesten Autoren: Charles Dickens, Hoffmann von Fallersleben, Johann Wolfgang Goethe, Joachim Ringelnatz, Heinrich Heine, Wilhelm Busch, Kurt Tucholsky, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, Hans Christian Andersen, Wilhelm Hauff, Ludwig Bechstein, Theodor Storm und E.T.A. Hoffmann. Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, Unter dem Tannenbaum, Die denkwürdige Neujahrnacht und viele andere. Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen! Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee, mit rotgefrorenem Näschen. Die kleinen Hände taten ihm weh, denn es trug einen Sack, der war gar schwer, schleppte und polterte hinter ihm her. Was drin war, möchtet ihr wissen? Ihr Naseweise, ihr Schelmenpack - denkt ihr, er wäre offen, der Sack? Zugebunden, bis oben hin! Doch war gewiss etwas Schönes drin! Es roch so nach Äpfeln und Nüssen! I N H A L T - Die heiligen drei Könige - Eine Weihnachtsgeschichte - Weihnachten - Von dem Schneider, der bald reich wurde - Weihnachtszeit - Nußknacker und Mausekönig - Weihnachten - Das Geschenk der Weisen - Das Weihnachtsbäumlein - Schneeblume - Die heilige Nacht - Der Kamerad - Vom Schenken - Der Schneemann - Weihnachtslied - Yingeangeut und der Erdmacher - Der Bratapfel - Von den zwölf Monaten - Knecht Ruprecht - Der Haushalt von Fuchs und Bär - Adventsgedicht - Die Eisjungfrau - Die heiligen Drei Könige - Schneeweißchen - Es ist Advent - Der große Narr aus Cuasan - Die Nacht vor dem heiligen Abend - Vom langen Winter - Weihnachtsglocken - Der Bär - Nikolaus im Walde - Die Rekkenk - Weihnachtssprüchlein - Die zwölf wilden Enten - Vorweihnacht - Schneeweißchen und Rosenrot - Advent - Vom großen Ziegenbock - Der Stern - Wohl getan und schlecht gelohnt - Vom Christkind u.v.m. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 708
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Weihnachten
Gedichte und Geschichten
Weihnachten
Gedichte und Geschichten
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 2. Auflage, ISBN 978-3-954182-36-7
www.null-papier.de/weihnachten
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Die heiligen drei Könige
Eine Weihnachtsgeschichte
Erstes Kapitel – Marleys Geist
Zweites Kapitel – Der erste der drei Geister
Drittes Kapitel – Der zweite der drei Geister
Viertes Kapitel – Der letzte der drei Geister
Fünftes Kapitel – Das Ende des Liedes
Weihnachten
Von dem Schneider, der bald reich wurde
Weihnachtszeit
Nußknacker und Mausekönig
Der Weihnachtsabend
Die Gaben
Der Schützling
Wunderdinge
Die Schlacht
Die Krankheit
Das Märchen von der harten Nuß
Fortsetzung des Märchens von der harten Nuß
Beschluß des Märchens von der harten Nuß
Onkel und Neffe
Der Sieg
Das Puppenreich
Die Hauptstadt
Beschluß
Weihnachten
Das Geschenk der Weisen
Das Weihnachtsbäumlein
Schneeblume
Die heilige Nacht
Der Kamerad
Vom Schenken
Der Schneemann
Weihnachtslied
Yingeangeut und der Erdmacher
Der Bratapfel
Von den zwölf Monaten
Knecht Ruprecht
Der Haushalt von Fuchs und Bär
Adventsgedicht
Die Eisjungfrau
I. Der kleine Rudy
II. Die Reise in die neue Heimat
III. Der Onkel
IV. Babette
V. Auf dem Heimweg
VI. Der Besuch in der Mühle
VII. Das Adlernest
VIII. Was die Stubenkatze an Neuem erzählen konnte
IX. Die Eisjungfrau
X. Die Patin
XI. Der Vetter
XII. Böse Mächte
XIII. Im Haus des Müllers
XIV. Gesichte der Nacht
XV. Das Ende
Die heiligen Drei Könige
Schneeweißchen
Es ist Advent
Der große Narr aus Cuasan
Die Nacht vor dem heiligen Abend
Vom langen Winter
Weihnachtsglocken
Der Bär
Nikolaus im Walde
Die Rekkenk
Weihnachtssprüchlein
Die zwölf wilden Enten
Vorweihnacht
Schneeweißchen und Rosenrot
Advent
Vom großen Ziegenbock
Der Stern
Wohl getan und schlecht gelohnt
Vom Christkind
Warm und kalt aus einem Mund
Ein Zweig Tannengrün
Der Wolf und der Fuchs
A, a, a, der Winter der ist da
Das sechsfüßige Elentier
Der Weihnachtsauszug
Caoilte Cosfhada
Der kleine Nimmersatt
Die Sonne und der Mond
Knecht Ruprecht
Das Fest der Unterirdischen
Weihnachtsschnee
Der Kantelespieler
Der Traum
Von einer Jungfrau, die den Jesusknaben sah
Adventskranz
Von der heiligen Eufemia
Christkind im Walde
Das Ulta-Mädchen
Großstadt – Weihnachten
Vom Salz im Meer
Weihnachten wird es für die Welt
Die Bishorster
Weihnachtslied
De twe Bröder
Weihnachtslied
De ol Fritz un de Jung
Weihnacht
Die Weihnachtsmesse
Der armen Kinder Weihnachtslied
Von dem Sommer- und Wintergarten
Weihnachten
Die Geschichte von Steinn Thruduvangi
Weihnachtszeit
Unter dem Tannenbaum
Eine Dämmerstunde
Unter dem Tannebaum
Weihnachtsbaum
Merkwürdige Reden, gehört zu Krebslingen zwischen zwölf und ein Uhr in der Heiligen Nacht
Furchtbar schlimm
Vom Helljäger
Christoph, Rupprecht, Nikolaus
Draußensitzen am Kreuzwege
O Tannebaum
Königin und Teufel
Mit Gott so wollen wir loben und ehrn
Dat Mäten un de Röwer
Zu Weihnachten
Der Huldrekönig auf Selö
Durch stille Dämmrung
Die denkwürdige Neujahrnacht
Geburtsnacht
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(August Wilhelm Schlegel)
Aus fernen Landen kommen wir gezogen; Nach Weisheit strebten wir seit langen Jahren, Doch wandern wir in unsern Silberhaaren. Ein schöner Stern ist vor uns hergeflogen. Nun steht er winkend still am Himmelsbogen: Den Fürsten Juda’s muss dies Haus bewahren. Was hast du, kleines Bethlehem, erfahren? Dir ist der Herr vor allen hochgewogen. Holdselig Kind, lass auf den Knie’n dich grüßen! Womit die Sonne unsre Heimat segnet, Das bringen wir, obschon geringe Gaben. Gold, Weihrauch, Myrrhen, liegen dir zu Füßen; Die Weisheit ist uns sichtbarlich begegnet, Willst du uns nur mit Einem Blicke laben.
(Charles Dickens)
Marley war tot; damit wollen wir beginnen. Darüber gibt es nicht den mindesten Zweifel. Sein Totenschein war unterschrieben von dem Geistlichen, dem Notar, dem Leichenwärter und dem Hauptleidtragenden. Scrooge unterzeichnete ihn. Und Scrooges Name hat unbedingte Geltung auf der Börse für jede Angelegenheit, an der er beteiligt war.
Der alte Marley war so tot wie ein Türnagel.
Paßt auf! Ich möchte damit nicht behaupten, daß für mein Wissen ein Türnagel etwas besonderes Totes an sich hätte. Was mich betrifft, ich möchte einen Sargnagel als das toteste Stück Eisen im Handel betrachten. Aber die Weisheit unserer Vorfahren ruht in dem Gleichnis; und meine unberufenen Hände sollen es nicht zerstören, sonst ist es um das Vaterland geschehen. Man wird mir deshalb gestatten, es nachdrücklich zu wiederholen, daß Marley so tot war wie ein Türnagel.
Wußte Scrooge, daß er tot war? Selbstredend wußte er es. Wie wäre es anders möglich gewesen? Scrooge und er waren ja – wer weiß wie lange – Kompagnons gewesen. Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger Sachwalter, sein einziger Erbe und sein einziger trauernder Hinterbliebener. Und nicht einmal Scrooge war von dem betrüblichen Ereignis genug mitgenommen, daß er sich nicht auch an dem Begräbnistag als ein hervorragender Geschäftsmann erwiesen und diesen durch einen erfolgreichen Handel festlich begangen hätte.
Der Hinweis auf Marleys Begräbnistag führt mich in meiner Erzählung wieder zu dem Punkt zurück, von dem ich ausgegangen bin. Es ist ganz sicher, daß Marley tot war. Das muß klar erkannt sein; sonst ist an der Geschichte nichts Wunderbares, die ich erzählen will. Falls wir nämlich nicht ganz und gar überzeugt wären, daß Hamlets Vater tot ist, ehe das Stück anfängt, würde sein nächtlicher Spaziergang im heftigen Ostwind auf der Terrasse seines Schlosses gar nichts Merkwürdiges an sich haben.1 Nichts Merkwürdigeres, als wenn irgendein anderer Herr in besten Jahren sich nach Sonnenuntergang noch rasch zu einem Spaziergang in einer windigen Gegend – etwa auf dem St. Pauls-Friedhof – entscheidet, nur um seinem trägen Sohn aus seinem Stumpfsinn aufzujagen. Scrooge ließ Marleys Namen nicht übermalen. Noch nach Jahren stand über der Tür des Warenmagazins »Scrooge und Marley«. Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt. Zuweilen nannten Leute, die Scrooge nicht kannten, ihn Scrooge und zuweilen Marley; er hörte auf beide Namen, denn es war ihm ganz gleich.
Oh, er verstand sich auf Menschenschinderei, dieser Scrooge! Ein erpresserischer, ausbeutender, zusammengrapschender, geiziger alter Sünder; hart und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen wärmenden Funken geschlagen hat; verschlossen und selbstsüchtig und nur für sich bedacht wie eine Auster. Seine innere Kälte machte seine alten Züge erstarren, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht voller Runzeln, seinen Gang steif, seine Augen rot, seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus seiner knarrenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag über seinem Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf seinem stoppeligen Kinn. Er verbreitete seine eigene niedrige Temperatur immer um sich her. In den Hundstagen kühlte er sein Kontor wie mit Eis; zur Weihnachtszeit taute er es nicht um einen Grad auf.
Äußere Hitze und Kälte hatten geringen Einfluß auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn erwärmen, keine Kälte ihn frieren machen. Kein Wind war schneidender als er, kein fallender Schnee erbarmungsloser, kein peitschender Regen unerbittlicher. Schlechtes Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der ärgste Regen, Schnee oder Hagel konnten sich nur in einer Hinsicht rühmen, ihm überlegen zu sein: sie spendeten ihre Gaben oft im Überfluß, und das tat Scrooge nie.
Hielt ihn jemals ein Bekannter auf der Straße an, um ihm freundlich zu sagen: Mein lieber Scrooge, wie steht’s? Wann werden Sie mich einmal besuchen? Kein Bettler sprach ihn um eine Kleinigkeit an, kein Kind fragte ihn, wieviel Uhr es sei, kein Mann und kein Weib hat ihn je nach dem Weg gefragt. Selbst die Hunde der Blinden schienen ihn zu kennen; wenn sie ihn kommen sahen, zupften sie ihre Herren, daß sie in ein Haus träten, und wedelten dann mit dem Schwanze, als wollten sie sagen: Kein Auge ist immer noch besser als ein böses Auge, blinder Herr.
Doch was ging das Scrooge an? Gerade das gefiel ihm. Allein seinen Weg durch das Gedränge des Lebens zu gehen, jedes menschliche Gefühl in gehörige Entfernung zurückzuweisen – das war es, was Scrooge behagte.
Einmal, es war am besten aller Tage im Jahr, es war der Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Kontor. Draußen war es schneidend kalt und dunstig, und er konnte hören, wie die Leute im Hof draußen prustend auf und nieder gingen, die Hände zusammenschlugen und mit den Füßen stampften, um sich zu erwärmen. Es hatte eben erst drei geschlagen, war aber schon ganz dunkel. Den ganzen Tag über war es nicht hell geworden, und in den Fenstern der benachbarten Kontore erblickte man Lichter, wie rote Flecken in der dicken, braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Ritze und durch jedes Schlüsselloch und war so dick, daß die gegenüberstehenden Häuser des sehr kleinen Hofes ganz geisterhaft ausschauten. Wenn man die trübe, dicke Wolke alles verfinsternd herabsinken sah, hätte man glauben können, die Natur wohne dicht nebenan und habe dort eine Großbrauerei eingerichtet.
Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Kommis beaufsichtigen könne, der in einem erbärmlichen, kleinen Raume, einer Art Verließ, Briefe kopierte. Scrooge hatte nur ein sehr kleines Feuer; aber des Clerks Feuer war noch so viel kleiner, daß es wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen; denn Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer; und jedesmal, wenn der Diener mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte der Herr, es würde wohl nötig sein, ihr Verhältnis zu lösen. Darauf band sich der Clerk seinen weißen Schal um und versuchte, sich an der Kerze zu wärmen, was, da er ein Mann von nicht zu starker Phantasie war, immer fehlschlug.
»Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!« rief eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der ihm so schnell auf den Hals rückte, daß er sich erst durch diesen Gruß bemerkbar machte.
»Quatsch«, sagte Scrooge, »dummes Zeug!«
Der Neffe war vom Rennen so warm geworden, daß er ganz glühend war; sein Gesicht war rot und sah hübsch aus, seine Augen glänzten, und sein Atem dampfte.
»Weihnachten dummes Zeug, Onkel?« sagte Scrooges Neffe, »das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»Ob er es ist!« sagte Scrooge. »Fröhliche Weihnachten? Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was für einen Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.«
»Nun«, versetzte der Neffe aufgeräumt, »was für ein Recht haben Sie, griesgrämig zu sein? Sie sind reich genug.«
Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort bereit hatte, sagte noch einmal »Quatsch« und brummte ein »Dummes Zeug« hinterher.
»Seien Sie nicht ärgerlich, Onkel«, sagte der Neffe.
»Was kann ich denn anders sein?« antwortete der Onkel, »wenn ich in einer Narrenwelt wie dieser lebe! Fröhliche Weihnachten! Zum Kuckuck mit den fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten für dich anders als ein Tag, wo du Rechnungen bezahlen müßtest, ohne Geld zu haben, ein Tag, wo du dich um ein Jahr älter und nicht um eine Stunde reicher findest, ein Tag, wo du die Bilanz deiner Bücher siehst und bei jedem Posten ein Defizit zwölf volle Monate hindurch entdeckst? Wenn es nach mir ginge«, sagte Scrooge erbost, »dann müßte jeder Narr, der mit seinem fröhlichen Weihnachten herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Pfahl von Stecheiche im Herzen begraben werden. Das wär’ das Richtige!«
»Onkel!« sagte der Neffe.
»Neffe!« antwortete der Onkel erregt, »feiere du Weihnachten nach deinem Geschmack und laß es mich nach meinem feiern.«
»Feiern!« wiederholte Scrooges Neffe; »aber Sie feiern es nicht.« »Laß mich zufrieden«, sagte Scrooge. »Mag es dir recht viel einbringen! Es hat dir ja schon viel eingebracht.«
»Es gibt viele Dinge, die mir Gutes hätten bringen können, und die ich nicht genutzt habe, das weiß ich«, antwortete der Neffe, »und Weihnachten ist eins von diesen. Aber das weiß ich bestimmt, daß ich Weihnachten, wenn es gekommen ist, abgesehen von der Verehrung, die wir seinem heiligen Namen und Ursprung schuldig sind, immer als eine gute Zeit angeschaut habe, als eine liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und des Erbarmens, als die einzige Zeit, die ich im langen Kalenderjahr kenne, wo die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun und die andern Menschen betrachten, als wenn sie wirklich Reisegenossen nach dem Grabe wären und nicht eine ganz andere Art von Lebewesen, die für einen ganz andern Weg vorgesehen sind. Und darum, Onkel, ob diese Tage mir gleich niemals ein Stück Gold oder Silber in die Tasche gebracht haben, glaube ich doch, sie haben mir Gutes getan, und sie werden mir Gutes tun, und ich sage: Gott segne dieses schöne Fest!«
Der Diener in dem Verließe draußen klatschte unwillkürlich Beifall. Jedoch einen Augenblick später empfand er das Unschickliche seines Betragens, machte sich an den Kohlen zu schaffen und verlöschte den letzten kleinen Funken gänzlich.
»Wenn Sie mich noch einen einzigen Laut hören lassen«, sagte Scrooge, »so feiern Sie Ihre Weihnachten durch Ihre Entlassung. Du bist ein ganz gewaltiger Redner«, fügte er hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. »Es wundert mich nur, daß du nicht ins Parlament kommst.«
»Seien Sie nicht bös, Onkel. Essen Sie morgen bei uns.«
Scrooge sagte, er wolle ihn verdammt sehen, ja, wirklich, das sagte er. Er sagte es ganz ausdrücklich, und daß er dann erst ihn besuchen wolle. Ja wahrhaftig, er sprach sich ganz deutlich aus.
»Aber warum?« rief Scrooges Neffe, »warum?«
»Warum hast du dich verheiratet?« fragte Scrooge.
»Weil mich die Liebe ergriff!«
»Weil ihn die Liebe ergriff!« brummte Scrooge, als ob das das einzige Ding in der Welt wäre, das ihm noch lächerlicher vorkäme als eine fröhliche Weihnacht. »Guten Abend!«
»Aber, Onkel, Sie haben mich ja auch vorher einmal besucht. Warum geben Sie es jetzt als Grund an, weshalb Sie mich jetzt nicht besuchen?«
»Guten Abend!« wiederholte Scrooge.
»Ich brauche ja nichts von Ihnen, ich begehre nichts von Ihnen, warum können wir da nicht gute Freunde sein?«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
»Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so verhärtet zu finden. Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld gewesen wäre. Ich habe es diesmal versucht, Weihnachten zu Ehren, und ich will meine Weihnachtsstimmung bis zuletzt bewahren. Also: Fröhliche Weihnachten, Onkel!«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
»Und ein glückliches Neujahr!«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
Trotzdem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort. An der Haustür blieb er noch stehen, um mit dem Glückwunsch des Tages den Clerk zu grüßen, der, so sehr ihn fror, doch noch wärmer als Scrooge war, denn er gab den Gruß freundlich zurück.
»Das ist auch so ein Narr«, brummte Scrooge, der es hörte. »Mein Clerk mit fünfzehn Schilling die Woche und Frau und Kindern und spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich könnt’ mich ins Narrenhaus zurückziehen.«
Der Diener hatte, während er den Neffen hinausließ, zwei andere Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige Herren, stattlichen Formats, die jetzt, den Hut in der Hand, in Scrooges Kontor standen. Sie hielten Bücher und Papiere in der Hand und verneigten sich.
»Scrooge und Marley, wenn ich nicht irre«, sagte einer der Herren und blickte auf seine Liste. »Hab’ ich die Ehre, mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley zu sprechen?«
»Mr. Marley ist seit sieben Jahren tot«, erwiderte Scrooge. »Er starb heute vor sieben Jahren.«
»Wir zweifeln nicht, daß die Gesinnung seiner Freigebigkeit auch bei seinem Kompagnon vorhanden sein wird«, sagte der Herr, indem er seine Vollmacht hinreichte.
Er hatte auch ganz recht, denn es waren zwei verwandte Seelen gewesen. Bei dem bedeutungsvollen Wort Freigebigkeit erschauerte Scrooge und gab kopfschüttelnd das Papier zurück.
»In dieser feierlichen Jahreszeit, Mr. Scrooge«, sagte der Herr, eine Feder ergreifend, »ist es mehr als gewöhnlich wünschenswert, einigermaßen wenigstens für die Armut zu sorgen, die gerade jetzt in großer Bedrängnis ist. Viele Tausende haben nicht das Lebensnotwendige, Hunderttausenden fehlen die notdürftigsten Bequemlichkeiten des Lebens.«
»Gibt es denn keine Gefängnisse?« fragte Scrooge.
»Überfluß an Gefängnissen«, sagte der Herr, die Feder wieder hinlegend.
»Und die Armenarbeitshäuser?« fragte Scrooge. »Bestehen sie denn nicht mehr?«
»Allerdings. Freilich«, antwortete der Herr, »wünschte ich, sie bestünden überhaupt nicht.«
»Tretmühle und Armengesetz sind also noch in voller Kraft«, meinte Scrooge.
»Beide haben alle Hände voll zu tun.«
»So? Nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, ihr nützliches Bestehen sei gefährdet«, sagte Scrooge. »Ich freue mich, das zu hören«.
»In der Meinung, daß sie doch wohl kaum christlichen Frohsinn und Behagen den Armen für Leib und Seele bereiten«, antwortete der Herr, »haben sich einige von uns zwecks einer Sammlung zusammengefunden, um für die Armen Speise und Trank und Feuerung anzuschaffen. Wir wählen diese Zeit, weil sie vor allen andern eine Zeit ist, wo der Mangel am bittersten gefühlt wird und der Reichtum in Freuden schwimmt. Wieviel darf ich für Sie zeichnen?«
»Nichts«, antwortete Scrooge.
»Sie wünschen also ungenannt zu bleiben?«
»Ich wünsche, daß man mich in Ruhe lasse«, sagte Scrooge. »Da Sie mich nach meinem Wunsche fragen, meine Herren, so ist dies meine Antwort. Ich gönne mir auch zu Weihnachten keine Freude und kann nicht dem faulen Volk lustige Tage machen. Ich zahle meinen Beitrag zu den genannten Anstalten. Sie kosten genug, und wem es schlecht geht, der mag sich dorthin begeben!«
»Viele können nicht hingehen, und viele würden eher lieber sterben.«
»Wenn sie eher lieber sterben würden«, sagte Scrooge, »so wäre es gut, wenn sie das ausführten und die überflüssige Bevölkerung verminderten. Übrigens, Sie werden mich entschuldigen, verstehe ich nichts davon.«
»Aber Sie könnten es verstehen«, bemerkte der Herr.
»Es geht mich nichts an«, antwortete Scrooge. »Es genügt, wenn ein Mann sein eigenes Geschäft begreift und sich nicht in das anderer Leute mischt. Das meinige nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Guten Abend, meine Herren!«
Da sie einsahen, daß weitere Versuche vergeblich sein würden, zogen sich die Herren zurück. Scrooge machte sich wieder mit noch besserer Meinung von sich selbst und in einer angenehmeren Laune als gewöhnlich an die Arbeit.
Währenddem hatten Nebel und Dunkelheit so zugenommen, daß Leute mit brennenden Fackeln herumliefen, um den Wagen voranzuleuchten. Der Kirchturm, dessen brummende Glocke aus einem alten gotischen Fenster in der Mauer gar pfiffig auf Scrooge herniederblickte, wurde unsichtbar und schlug die Stunden und Viertel in den Wolken mit einem zitternden Nachklingen, als ob ihr in ihrem erfrorenen Haupte droben die Zähne klapperten. Die Kälte wurde immer schneidender. In der Hauptstraße an der Ecke des Hofes wurden Gasröhren ausgebessert, und die Arbeiter hatten in einer Kohlenpfanne ein großes Feuer angezündet, um das sich einige zerlumpte Männer und Knaben drängten, die sich die Hände wärmten und mit den Augen vor der behaglichen Flamme blinzelten. Aus den Wasserpumpen, die eben verlassen waren, floß noch etwas Wasser nach; aber bald war es zu menschenfeindlichem Eis erstarrt. Der Schimmer der Läden, in denen Stechpalmenzweige und Beeren in der Lampenwärme der Fenster farbenfreudig leuchteten, überzog die bleichen Gesichter der Vorübergehenden. Die Läden der Geflügel- und Materialwarenhändler wurden eine glänzende Quelle der Freude, mit der es fast unmöglich schien, den Gedanken von einer so ernsten Sache wie Kauf und Verkauf zu verbinden. Der Oberbürgermeister gab im Festsaal des Mansion-House2 seinen fünfzig Köchen und Kellermeistern Befehl, Weihnachten zu feiern, wie es eines Oberbürgermeisters würdig ist, und selbst der arme Flickschneider, den er am Montag vorher wegen Trunkenheit und öffentlich ausgesprochener blutdürstiger Gesinnung mit fünf Schilling bestraft hatte, rührte den Weihnachtspudding in seinem Dachkämmerchen an, während seine abgehärmte Frau mit dem Säugling auf dem Arm ausging, um den Rinderbraten zu kaufen.
Immer nebliger und kälter wurde es, durchdringend, beißend, schneidend kalt. Wenn der gute, heilige Dunstan3 des Teufels Nase nur mit einem Hauche von diesem Wetter gefaßt hätte, anstatt seine sonst übliche Waffe zu brauchen, dann würde er erst recht gebrüllt haben. Der Inhaber einer kleinen, jungen Stupsnase, benagt und angeknabbert von der hungrigen Kälte, wie Knochen von Hunden benagt werden, legte sich vor Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtslied zu erfreuen. Aber bei dem ersten Tone des Liedes:
»Gott grüß euch, froher Gentleman, Mög nichts euch ärgern heut!«
ergriff Scrooge das Lineal mit solcher Kraft, daß der Sänger voll Schrecken entfloh und das Schlüsselloch dem Nebel und der noch eindringlicheren Kälte überließ.
Endlich kam die Stunde des Geschäftsschlusses. Mürrisch stieg Scrooge von seinem Sessel und gab dem harrenden Clerk in dem Verließ stillschweigend die Erlaubnis, zu gehen, worauf dieser sogleich das Licht auslöschte und den Hut aufsetzte.
»Sie wollen, wie ich vermute, den ganzen Tag morgen haben«, sagte Scrooge.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir.«
»Es paßt mir nicht«, sagte Scrooge, »und es ist nicht schicklich. Wenn ich Ihnen eine halbe Krone dafür abrechnete, würden Sie denken, es widerfahre Ihnen Unrecht, nicht?«
Der Diener lächelte verzagt.
»Und doch«, sagte Scrooge, »denken Sie nicht daran, daß mir Unrecht geschieht wenn ich einen Tag Lohn für einen Tag ohne Arbeit bezahle.«
Der Diener bemerkte, daß es nur einmal im Jahr vorkäme.
»Eine armselige Entschuldigung, um an jedem fünfundzwanzigsten Dezember einem den Geldbeutel zu bestehlen«, sagte Scrooge, indem er seinen Mantel bis an das Kinn zuknöpfte. »Aber ich vermute, Sie müssen durchaus den ganzen Tag frei haben. Seien Sie dafür übermorgen um so früher hier.«
Der Diener versprach, daß er kommen wolle, und Scrooge ging knurrend fort. Das Kontor war im Augenblick geschlossen. Der Clerk, dem die langen Enden seines weißen Schals über die Brust herabhingen (denn er konnte sich keines Mantels rühmen), schlitterte zu Ehren des Festes als der Letzte hinter einer Reihe von Knaben, die beim Eisvergnügen war, Cornhill hinunter und lief dann so schnell wie möglich in seine Wohnung in Camden-Town, um dort Blindekuh zu spielen.
Scrooge nahm sein melancholisches Mahl in seinem gewöhnlichen melancholischen Gasthause ein; und nachdem er alle Zeitungen gelesen und sich den Rest des Abends mit seinem Abrechnungsjournal vertrieben hatte, ging er nach Hause, um zu Bett zu gehen. Er wohnte in den Zimmern, die seinem verstorbenen Kompagnon gehört hatten. Es war eine trübe Reihe von Zimmern in einem düstern, finstern Gebäude eines Hinterhofes, wo dieses so wenig an seinem Platz stand, daß man fast hätte glauben können, es habe sich dorthin verlaufen und sich nicht wieder herausfinden können, als es noch ein junges Haus war und mit andern Häusern Verstecken spielte. Es war jetzt alt und trist genug; denn niemand wohnte dort, außer Scrooge, da die andern Räume alle als Geschäftsräume vermietet waren. Der Hof war so dunkel, daß selbst Scrooge, der jeden Stein darin kannte, seinen Weg mit den Händen ertasten mußte. Der Nebel und der Frost hingen so dick und schwer über dem schwarzen alten Torweg des Hauses, als ob der Dämon dieses Wetters in bekümmertem Grübeln auf der Schwelle säße. Nun ist es eine Tatsache, daß an dem Türklopfer ganz und gar nichts Besonderes war, abgesehen von seiner Größe. Auch ist es Tatsache, daß Scrooge ihn abends und morgens, seitdem er das Haus bewohnte, gesehen hatte und daß Scrooge von dem, was man mit Phantasie bezeichnet, so wenig besaß wie sonst jemand in der City von London, eingerechnet – wenn es erlaubt ist, das zu sagen, – den Stadtrat, die Aldermen und die Zünfte. Man muß auch darauf hinweisen, daß Scrooge, außer heute nachmittag, mit keinem Wörtchen an seinen seit sieben Jahren verstorbenen Kompagnon gedacht hatte. Und nun möge mir jemand, wenn er es kann, erklären, warum Scrooge, als er seinen Schlüssel in das Türschloß steckte, in dem Klopfer, ohne daß sich dieser verändert hatte, keinen Türklopfer, sondern Marleys Gesicht erblickte.
Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht in so undurchdringliches Dunkel gehüllt, wie die andern Gegenstände im Hofe, sondern von einem unheimlichen Leuchten umgeben, wie ein verfaulter Hummer in einem dunklen Keller. Das Gesicht war nicht böse oder zürnend, sondern sah Scrooge an, wie ihn Marley gewöhnlich angesehen hatte, die gespenstische Brille auf die gespenstische Stirn hinaufgerückt. Das Haar starrte seltsam in die Höhe, wie von Wind oder heißer Luft gehoben; und obgleich die Augen weit offen standen, waren sie doch ohne alles Leben. Dies und die leichenhafte Farbe machten das Gesicht schrecklich; aber seine Schrecklichkeit schien mehr in etwas anderem zu liegen und außerhalb seiner Macht als ein Teil seines Ausdrucks.
Als Scrooge fest auf die Erscheinung blickte, war es wieder ein Türklopfer.
Zu sagen, er wäre nicht erschrocken, oder sein Blut hätte nicht ein Gruseln empfunden, das ihm seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war, wäre eine Unwahrheit. Aber er nahm sich mit Gewalt zusammen, legte die Hand wieder an den Schlüssel, drehte ihn um, trat ein und zündete seine Kerze an.
Allerdings zögerte er einen Augenblick, ehe er die Tür schloß, und starrte erst vorsichtig dahinter, als fürchte er wirklich, durch den Anblick von Marleys Kopf erschreckt zu werden. Aber hinter der Tür war nichts als die Schrauben, die den Klopfer festhielten; und so sagte Scrooge: »Ach was!« und warf sie zu.
Der Knall erscholl durch das Haus wie ein Donner. Jedes Zimmer im Obergeschoß, und jedes Faß in des Weinhändlers Keller drunten schien mit seinem besonderen Echo zu antworten. Scrooge war nicht der Mann, der sich durch Echos ins Bockshorn jagen ließ. Er schloß die Tür zu, ging über den Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam und das Licht aufputzend, während er hinaufstieg. Man kann ungefähr veranschlagen, daß sich eine sechsspännige Equipage über eine Treppe aus der guten alten Zeit oder auch durch ein schlechtes neues Reichsgesetz kutschieren ließ; und ich möchte behaupten, man hätte über die Treppe bei Scrooge einen Totenwagen hinauftransportieren können; und zwar selbst der Breite nach, mit der Deichsel gegen die Wand und mit der Totenwagentür gegen das Geländer. Und das wäre leicht getan gewesen. Dafür wäre Raum übergenug vorhanden gewesen, und das war vielleicht der Grund, warum Scrooge wähnte, er sähe vor sich geradezu eine Totenwagen-Lokomotive im Dunkel sich hinaufbewegen. Ein halbes Dutzend Gaslampen von der Straße aus hätten den Eingang sonderlich hell gemacht, und so kann man sich denken, daß es bei Scrooges Funzel ziemlich dunkel blieb.
Scrooge aber ging hinauf und scherte sich keinen Pfifferling darum. Dunkelheit ist billig, und das hatte Scrooge gern. Aber ehe er seine schwere Tür zumachte, ging er doch durch die Zimmer, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er erinnerte sich des Gesichtes noch zu nachdrücklich, als daß er nicht dieses Bedürfnis gehabt hätte.
Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer, alles war, wie es sein sollte. Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa; ein kleines Feuer auf dem Rost, Löffel und Teller bereit, und das kleine Töpfchen Suppe (Scrooge war erkältet) an dem Feuer. Niemand unter dem Bett, niemand in dem Alkoven, niemand in seinem Schlafrock, der in ganz verdächtiger Art an der Wand hing. Die Rumpelkammer wie gewöhnlich. Ein alter Kaminschirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger Waschtisch und ein Feuerhaken.
Vollkommen zufrieden, machte er die Tür zu, schloß sich ein und riegelte noch zu, was sonst seine Gewohnheit nicht war. So gegen Überraschung gesichert, legte er seine Halsbinde ab, zog seinen Schlafrock und die Pantoffel an, setzte die Nachtmütze auf und setzte sich vor das Feuer, um seine Suppe zu löffeln.
Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, so gut wie gar keins in einer so bitterkalten Nacht. Er mußte sich dicht daran setzen und sich darüber beugen, um das geringste Wärmegefühl von einer solchen Handvoll Kohlen zu genießen. Der Kamin war vor vielen Jahren von einem holländischen Kaufmann errichtet worden und ringsum mit seltsamen holländischen Fliesen belegt, die bestimmt waren, die Heilige Schrift zu illustrieren. Da sah man Kain und Abel, Pharaos Töchter, Königinnen von Saba, Engel durch die Luft auf den Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham, Belsazar, Apostel in See gehend auf Marktschiffen, Hunderte von Figuren, seine Gedanken zu beschäftigen; und doch kam das Gesicht Marleys wie der Stab des alten Propheten und verschlang alles andere. Wenn jede glänzende Fliese blank und vermögend gewesen wäre, aus den zerstreuten Fragmenten von Scrooges Gedanken ein Bild auf seine Fläche zu zaubern, auf jedem wäre ein Abbild von des alten Marleys Gesicht erschienen.
»Dummes Zeug!« sagte Scrooge und schritt im Zimmer auf und ab.
Nachdem er einigemal hin- und hergegangen war, setzte er sich wieder nieder. Als er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, blieb sein Blick wie von ungefähr an der Glocke hängen, an einer alten, nicht mehr gebrauchten Glocke, die zu einem jetzt vergessenen Zweck mit einem Zimmer in dem obersten Stockwerk in Verbindung stand. Es befiel ihn großes Erstaunen und ein seltsamer unerklärlicher Schauer, als die Glocke anhub, sich zu bewegen; erst bewegte sie sich so sachte, daß sie kaum einen Ton von sich gab; aber bald läutete sie laut und mit ihr alle Glocken des Hauses.
Dies mochte eine halbe Minute oder eine Minute gedauert haben, aber es schien eine Stunde zu sein. Die Glocken hörten gleichzeitig auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Darauf vernahm man ein klirrendes Geräusch, tief unten, als ob jemand eine schwere Kette über die Fässer in des Weinhändlers Keller zerrte. Jetzt erinnerte sich Scrooge, gehört zu haben, daß Gespenster Ketten schleppen sollten.
Die Kellertür flog mit einem dumpfdröhnenden Krachen auf, und dann hörte er das Klirren viel lauter auf dem Hausflur unten; dann wie es die Treppe heraufkam; und dann wie es gerade auf seine Tür zukam.
»Es ist dummes Zeug«, sagte Scrooge. »Ich glaube nicht daran.«
Aber er wechselte die Farbe, als es, ohne zu verweilen, durch die schwere Tür und in das Zimmer kam. Als es hereintrat, flammte das sterbende Feuer auf, als ob es riefe: »Ich kenne ihn, Marleys Geist!« und fiel wieder zusammen.
Dasselbe Gesicht, ganz dasselbe. Marley mit seiner Zopfperücke, seiner gewöhnlichen Weste, den engen Beinkleidern und hohen Stiefeln, deren Quasten sträubten sich wie sein Zopf und seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopf. Die Kette, die er hinter sich herschleppte, war mitten um seinen Körper geschlungen. Sie war lang und wand sich wie ein Schweif und war (denn Scrooge betrachtete sie sehr genau) aus Geldkassetten, Schlüsseln, Schlössern, Hauptbüchern, Verträgen und schweren Börsen aus Stahl zusammengesetzt. Sein Leib war durchsichtig, so daß Scrooge durch die Weste hindurch die zwei Knöpfe rückwärts auf seinem Rock sehen konnte.
Scrooge hatte oft behaupten gehört, Marley habe kein Herz im Leibe, aber er hatte es bis jetzt nicht geglaubt.
Nein, er glaubte es auch jetzt nicht einmal. Obwohl er das Gespenst durch und durch vor sich stehen sah; obwohl er den erfrieren machenden Schauer seiner totkalten Augen fühlte und selbst den Stoff des Tuches erkannte, das um seinen Kopf und sein Kinn gebunden war, und das er früher nicht bemerkt hatte, war er doch noch ungläubig und verwahrte sich gegen die Eindrücke seiner Sinne.
»Nun«, sagte Scrooge, barsch und kalt wie gewöhnlich, »was wollt Ihr?«
»Viel!« Das war Marleys Stimme; kein Zweifel.
»Wer seid Ihr?«
»Fragt mich, wer ich war.«
»Nun, wer waret Ihr denn?« sagte Scrooge lauter. »Ihr seid ein besonderes Exemplar für ein Gespenst.« Er wollte sagen »als Gespenst«; aber er ersetzte das »als« durch »für ein«, um auf alle Fälle sich zu sichern.
»Als ich lebte, war ich Euer Kompagnon, Jakob Marley.«
»Könnt Ihr auch sitzen?« fragte Scrooge und sah ihn zweifelnd an.
»Ich kann es.«
»Dann bitte!«
Scrooge stellte die Fragen, weil er nicht wußte, ob ein so durchsichtiges Gespenst sich werde setzen können, und fühlte, daß er ihn recht unangenehm hätte zur Rede stellen können, wenn jener dies nicht gekonnt hätte.
»Ihr glaubt nicht an mich?« fragte der Geist.
»Nein«, sagte Scrooge.
»Welchen Beweis wollt Ihr, außer dem Eurer Sinne, von meiner Wirklichkeit haben?«
»Ich weiß nicht«, sagte Scrooge.
»Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?«
»Weil eine Geringfügigkeit sie stört«, sagte Scrooge. »Eine kleine Störung im Magen macht sie zu Lügnern. Ihr könnt ein unverdautes Stück Rindfleisch, ein Senfklecks, eine Käserinde, ein Stückchen schlechter Kartoffel sein. Wer Ihr auch sein mögt, Ihr seid mehr Unterleib, als Unterwelt.«
Es war nicht eben Scrooges Art, Witze zu machen, auch fühlte er jetzt keine besondere Lust dazu. Die Wahrheit war, daß er sich bestrebte, aufgeräumt zu sein, überlegen zu erscheinen, um seine Aufmerksamkeit auf das Gespenst zu verjagen und um sein Entsetzen niederzuhalten; denn die Stimme des Geistes machte selbst das Mark in seinen Gebeinen erzittern.
Nur einen Augenblick schweigend diesen starren, erfrorenen Augen gegenüberzusitzen, würde ihn wahnsinnig machen, das empfand Scrooge wohl. Auch war die Tatsache so grauenerregend, daß das Gespenst seine eigene höllische Atmosphäre hatte. Scrooge fühlte sie zwar nicht selbst, aber doch mußte es der Fall sein. Obwohl nämlich das Gespenst ganz regungslos dasaß, bewegten sich seine Haare, seine Rockschöße und seine Stiefelquasten wie von der erhitzten Luft eines Ofens.
»Ihr seht diesen Zahnstocher«, sagte Scrooge und nahm aus dem eben angeführten Grund seine Attacke wieder auf, von dem Wunsch beseelt, wenn auch nur für einen Augenblick den starren, eisigen Blick des Gespenstes von sich abzuwenden.
»Ja«, antwortete der Geist.
»Ihr seht ihn ja nicht an«, sagte Scrooge.
»Aber ich sehe ihn trotzdem«, erwiderte das Gespenst.
»Gut«, meinte Scrooge. »Ich brauche ihn nur hinunterzuschlucken, und mein ganzes übriges Leben hindurch verfolgen mich eine Legion Kobolde, die ich selbst erzeugt habe. Dummes Zeug, sag’ ich, dummes Zeug!«
Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen gräßlichen Schrei aus und ließ seine Kette so grauenhaft und fürchterlich klirren, daß Scrooge sich an seinen Stuhl festklammern mußte, um nicht in Ohnmacht zu sinken. Aber wieviel größer ward sein Entsetzen, als das Gespenst die Binde vom Kopf nahm, als wäre es ihm zu warm im Zimmer, und die Unterkinnlade auf die Brust herabsank.
Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors Gesicht.
»Gnade!« rief er. »Schreckliche Erscheinung, warum quälst du mich?«
»Mensch mit der weltlich gesinnten Seele«, erwiderte der Geist, »glaubst du an mich oder nicht?«
»Ich glaube«, sagte Scrooge, »ich muß es. Aber warum wandeln Geister auf Erden und warum kommen sie zu mir?«
»Von jedem Menschen wird gefordert«, antwortete das Gespenst, »daß der Geist in ihm unter seinen Mitmenschen wandle und ferne, weite Reisen mache. Wenn nun dieser Geist nicht bei Lebzeiten hinausgeht, so ist er verdammt, durch die Welt zu wandern – ach, weh mir! – und anzusehen, was er nicht mehr mitgenießen kann, was er aber auf Erden hätte mitgenießen und zum Guten hätte ausnutzen können.«
Wieder stieß das Gespenst einen Schrei aus, rüttelte an seinen Ketten und rang die schattenhaften Hände.
»Du bist gefesselt«, sagte Scrooge zitternd. »Sage mir, weshalb?«
»Ich trage die Kette, die ich im Leben geschmiedet habe«, sagte der Geist. »Ich schmiedete sie Glied für Glied und Elle für Elle; mit meinem eigenen freien Willen gürtete ich sie um; und nach meinem eigenen freien Willen muß ich sie nun tragen. Ihre Glieder kommen dir seltsam vor.«
Scrooge zitterte immer heftiger.
»Oder willst du die Schwere und Länge der Kette wissen«, fuhr der Geist fort, »die du selber trägst? Sie war gerade so lang und so schwer wie diese hier vor sieben Weihnachten. Seitdem hast du an ihr weitergearbeitet. Es ist eine schwere Kette.«
Scrooge schaute auf den Boden herab in der Erwartung, sich von fünfzig oder sechzig Klaftern Eisenketten umschlungen zu sehen; aber er gewahrte nichts.
»Jakob«, sagte er bittend, »Jakob Marley, erzähle mir mehr. Sage mir einen Trost, Jakob.«
»Ich habe keinen zu geben«, antwortete der Geist. »Er kommt aus anderen Sphären, Ebenezer Scrooge, und wird von andern Boten zu andern Menschen gebracht. Auch darf ich dir nicht sagen, was ich dir sagen möchte. Nur ein Weniges mehr als das Bisherige ist mir zu sagen erlaubt. Ich kann nicht rasten, ich kann nicht ruhen, ich kann nur etwas versichern. Mein Geist ging nie über unser Kontor hinaus – merk auf – im Leben blieb mein Geist immer in den engen Grenzen unserer Wucherhöhle; und weite Reisen liegen noch vor mir.«
Es war eine Gewohnheit von Scrooge, wenn er nachdenklich wurde, die Hand in die Hosentasche zu stecken. Nachsinnend über das, was der Geist sagte, tat er es auch jetzt, aber ohne seine Augen zu erheben oder vom Stuhl aufzustehen.
»Du mußt dir aber viel Zeit genommen haben, Jakob«, bemerkte er in der Art eines Geschäftsmannes, wenn auch mit vieler Demut und Ehrerbietung.
»Viel Zeit!« sagte der Geist.
»Sieben Jahre tot«, sann Scrooge nach. »Und die ganze Zeit über gewandert.«
»Die ganze Zeit«, sagte der Geist. »Kein Bleiben, kein Frieden, nur unaufhörlich die Qual der Reue.«
»Du reisest schnell«, sagte Scrooge.
»Auf den Fittichen des Windes«, sagte der Geist.
»Da mußt du doch eine große Strecke in den sieben Jahren absolviert haben«, sagte Scrooge.
Als der Geist das vernahm, stieß er wieder einen Schrei aus und klirrte so grauenvoll mit seiner Kette in dem Todesschweigen der Nacht, daß ihn der Nachtwächter mit vollem Recht wegen Ruhestörung hätte anzeigen können.
»Oh, gefangen und gefesselt, in doppeltes Eisen gelegt!« rief das Gespenst, »nicht zu wissen, daß Zeitalter von unaufhörlicher Mühe sterblicher Geschöpfe vergehen, ehe das Gute, dessen die Erde fähig ist, sich entfalten kann; nicht zu wissen, daß ein christlicher Geist, und wenn er auch in einem noch so kleinen Kreis der Liebe wirkt, in diesem Erdenleben sich selbst belohnende Arbeit genug finden kann! Aber ich ahnte es nicht, ach, ahnte es nicht!«
»Aber du warst doch immer ein guter Geschäftsmann, Jakob«, stotterte Scrooge zitternd, der jetzt begann, das Schicksal des Geistes auf sich selbst zu übertragen.
»Geschäft!« rief das Gespenst, seine Hände wieder ringend. »Der Mensch war mein Geschäft. Die allgemeine Wohlfahrt war mein Geschäft; Barmherzigkeit, Versöhnlichkeit und Liebe wären alles mein Geschäft gewesen. Der Fleiß in meinem Gewerbe aber war nur ein Tropfen Wasser in dem weiten Ozean meines wahren Geschäfts.«
Er hielt seine Kette weit von sich weg, als ob dies die Ursache seines hoffnungslosen Schmerzes gewesen wäre, und warf sie wieder dröhnend nieder.
»In dieser Zeit des endenden Jahres«, sagte das Gespenst, »leide ich am meisten. Warum ging ich mit zur Erde gesenkten Augen durch das Gedränge meiner Mitmenschen und hob meinen Blick nie zu dem gesegneten Stern empor, der die Weisen zur Wohnung der Armut führte? Gab es nicht arme Heime genug, wohin mich sein Licht hätte führen können?«
Scrooge war außer sich, das Gespenst so reden zu hören, und begann heftig zu zittern.
»Höre mich«, rief der Geist. »Meine Zeit ist beinahe vorüber.«
»Ich will hören«, sagte Scrooge. »Aber verfahre glimpflich mit mir! Sei nicht zu hart, Jakob, ich bitte dich.«
»Wie es möglich ist, daß ich in einer dir wahrnehmbaren Gestalt vor dich treten kann, weiß ich nicht. So manchen, manchen Tag habe ich unsichtbar neben dir gesessen.«
Das war keine angenehme Vorstellung. Scrooge schauderte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Es ist kein leichter Teil meiner Buße«, fuhr der Geist fort. »Heute nacht komme ich zu dir, um dich zu warnen, weil für dich noch eine Aussicht und Hoffnung besteht, meinem Schicksal zu entgehen. Eine Aussicht und eine Hoffnung, die du mir zu verdanken hast.«
»Du bist immer ein guter Freund zu mir gewesen«, sagte Scrooge. »Ich danke dir.«
»Du wirst besucht werden«, fuhr das Gespenst fort, »von drei Geistern.« Bei diesen Worten wurde Scrooges Blick noch länger als der des Gespenstes.
»Ist das die Möglichkeit und die Hoffnung, die du erwähnt hast, Jakob?« fragte er mit bebender Stimme.
»Ja.«
»Ich – ich sollte meinen, das wäre aber gerade keine Hoffnung«, sagte Scrooge.
»Ohne ihr Kommen«, entgegnete der Geist, »kannst du nicht hoffen, den Pfad zu vermeiden, den ich durchwandern muß. Erwarte den ersten am Morgen, wenn die Glocke eins schlägt.«
»Könnte ich sie nicht alle auf einmal über mich ergehen lassen?« fragte Scrooge.
»Erwarte den zweiten in der nächsten Nacht um dieselbe Stunde. Den dritten in der folgenden Nacht, wenn der letzte Schlag zwölf verklungen ist. Sieh mich an, denn du erblickst mich nicht wieder; und sieh mich an, daß du dich um deiner Rettung willen an das erinnerst, was zwischen uns geschehen ist.«
Als es diese Worte gesprochen hatte, hob sich das Gespenst das Tuch vom Tisch und band es sich wieder um den Kopf. Scrooge bemerkte dies durch das Knirschen der Zähne, als die Kiefern zusammenklappten. Er wagte es, die Augen aufzuheben, und sah seinen übernatürlichen Besuch vor sich stehen, die Augen noch starr auf ihn geheftet, und die Kette um den Leib und den Arm gewunden.
Die Erscheinung entfernte sich rückwärtsschreitend; und bei jedem Schritt öffnete sich das Fenster ein wenig, so daß es weit offen stand, als das Gespenst bei ihm ankam. Es winkte Scrooge, näherzukommen, was dieser befolgte. Als sie noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, hob Marleys Geist die Hand empor und bedeutete ihm, daß er nicht näherkomme. Scrooge stand still.
Er tat dies minder aus Gehorsam als aus Überraschung und Furcht; denn als sich die gespenstische Hand erhob, hörte er wirre Klänge durch die Luft schwirren und zusammenhanglose Töne des Klagens und des Schmerzes unsagbar und reuig. Das Gespenst horchte ihnen eine Weile zu und stimmte darauf in das Klagelied ein. Dann schwebte es in die dunkle Nacht hinaus.
Scrooge trat an das Fenster, von Neugierde bis zur Verzweiflung getrieben. Er blickte hinaus.
Die Luft war mit Schemen angefüllt, die in ruheloser Hast klagend hin und wider schwebten. Jeder trug eine Kette, wie Marleys Geist. Einige waren zusammengeschmiedet (wahrscheinlich schuldige Minister), keines war ganz ohne Fesseln. Viele waren Scrooge während ihres Lebens bekannt gewesen. Ganz genau hatte er ein altes Gespenst in einer weißen Weste gekannt, das einen ungeheuren eisernen Geldkasten hinter sich herschleppte und jämmerlich schrie, weil er einem armen, alten Weibe mit einem Kinde nicht helfen konnte, das unten auf einer Türschwelle kauerte. Man sah es deutlich, ihre Pein bestand darin, sich umsonst danach zu sehnen, menschliche Not zu lindern, und die Macht dazu für immer verloren zu haben.
Ob diese Geschöpfe in dem Nebel zergingen oder ob der Nebel sie verhüllte, konnte Scrooge nicht sagen. Aber sie und ihre Geisterstimmen vergingen zu gleicher Zeit, und die Nacht wurde wieder so, wie sie war, als er nach Hause ging.
Scrooge schloß das Fenster und prüfte die Tür, durch die das Gespenst hereingekommen war. Sie war noch verschlossen und verriegelt wie vorher. Er versuchte zu sagen: Unsinn, stockte aber bei der ersten Silbe. Da er von der Erregung oder von den Anstrengungen des Tages oder von seiner Schau in die unsichtbare Welt oder der bedrückenden Unterhaltung mit dem Gespenst oder der späten Stunde sehr erschöpft war, ging er sogleich zu Bett, ohne sich auszuziehen, und sank bald in Schlaf.
Anspielung auf Shakespeares »Hamlet«, wo Hamlets Vater als Geist in den ersten Szenen erscheint und den Sohn bittet, seinen Mord zu rächen. <<<
Mansion-House, Bezeichnung für das Amtsgebäude des Oberbürgermeisters. <<<
Der kleine Dunstan (sprich Dannsten), Erzbischof von Canterbury (925 – 988), berühmt als Gelehrter und Klosterreformator im Sinne der Benediktiner. <<<
Als Scrooge erwachte, war es so finster, daß er kaum das das Außenlicht hindurchlassende Fenster von den Wänden seines Zimmers unterscheiden konnte. Er bemühte sich, die Finsternis mit seinen Luchsaugen zu durchdringen, als die Glocke eines Turmes in der Nachbarschaft zu läuten begann. Er horchte auf die Zeit der Stunde. Zu seinem großen Erstaunen ging der Schlag der Glocke von sechs zu sieben, und von sieben zu acht und so weiter bis zwölf; dann stoppte sie.
Zwölf! Es war nach zwei Uhr gewesen, als er sich zu Bett gelegt hatte. Die Uhr ging wohl falsch. Ein Eiszapfen mußte in das Werk geraten sein. Zwölf!
Er drückte auf die Feder seiner Repetieruhr, um die irre Glocke in Ordnung zu bringen. Ihr kleiner schneller Puls schlug zwölf und schwieg.
»Was! es ist doch nicht möglich«, sagte Scrooge, »daß ich den ganzen Tag und bis in die andere Nacht geschlafen haben sollte? Es ist doch nicht möglich, daß der Sonne etwas zugestoßen ist und daß es mittags zwölf Uhr ist.«
Die Vorstellung alarmierte ihn. Er stieg aus dem Bett und tappte ans Fenster. Er mußte das Eis erst wegschaben und das Fenster mit dem Ärmel seines Schlafrockes abwischen, ehe er etwas sehen konnte. Aber auch danach konnte er nur wenig sehen. Alles, was er wahrnehmen konnte, war, daß es noch sehr neblig und sehr kalt war, und daß man nicht das Lärmen hin und her eilender Leute hörte, das doch gewiß vorhanden gewesen wäre, wenn die Nacht den lichten Tag vertrieben und die Welt beschlagnahmt hätte. Das war ein großer Trost, weil »drei Tage nach Sicht begleichen Sie diesen Primawechsel an Mr. Ebenezer Scrooge oder dessen Order usw.« lediglich Vereinigte Staaten-Sicherheit gewesen wäre, wenn keine Tage mehr zu zählen waren.1
Scrooge legte sich wieder nieder und dachte nach, konnte aber zu keinem Resultat kommen. Je mehr er nachdachte, desto wirrer wurde er; und je mehr er sich bestrebte, nicht nachzudenken, desto mehr dachte er nach. Marleys Geist beunruhigte ihn viel. Jedesmal, wenn er nach reiflicher Überlegung zu der festen Überzeugung gelangt war, daß alles nur ein Traum gewesen, schnellte sein Geist wie eine starke vom Druck befreite Feder wieder in die alte Lage zurück und wiederholte ihm die Frage, die er schon zehnmal durchgrübelt hatte: War es ein Traum oder nicht?
Scrooge lag in diesem Zustande, bis es drei Viertel schlug. Da besann er sich plötzlich, daß der Geist ihm eine Erscheinung mit Schlag eins versprochen hatte. So nahm er sich vor, wachzubleiben, bis die Stunde vorüber sei; und wenn man bedenkt, daß er ebensowenig einschlafen wie in den Himmel eingehen konnte, war dies wahrscheinlich der klügste Entschluß, den er zu fassen vermochte.
Die Viertelstunde war so lang, daß es ihm mehr als einmal dünkte, er müßte unversehens in Schlaf gesunken sein und die Uhr überhört haben. Schließlich vernahm sein lauschendes Ohr die Glocke.
»Ding, dong!«
»Ein Viertel«, sagte Scrooge zählend.
»Ding, dong!«
»Halb«, sagte Scrooge.
»Ding, dong!«
»Drei Viertel«, sagte Scrooge,
»Ding, dong!«
»Voll!« rief Scrooge freudig, »und nichts weiter!«
Er sprach’s, bevor die Stundenglocke schlug, was sie jetzt mit einem tiefen, dunklen, hohlen, melancholischen Eins tat.
Licht ergoß sich augenblicklich in den Raum, und die Vorhänge seines Bettes wurden aufgezogen.
Die Vorhänge seines Bettes wurden, ich sage es euch, von einer Hand fortgezogen, nicht die Vorhänge vor seinen Füßen, nicht die Vorhänge hinter seinem Rücken, sondern die Vorhänge, nach denen sich sein Gesicht wandte, wurden fortgezogen; und Scrooge blickte, sich zu einer halb liegenden Stellung aufrichtend, dem unirdischen Besucher, der sie geöffnet hatte, ins Antlitz. So dicht stand er ihm gegenüber, wie ich jetzt im Geiste neben euch stehe.
Es war eine merkwürdige Gestalt, gleich einem Kinde; aber doch eigentlich nicht gleich einem Kinde, sondern eher wie ein alter Mann, der durch ein wunderbares Medium gesehen ward, und so zu den Größenverhältnissen eines Kindes vermindert war. Sein Haar, das in langen Locken über seine Schultern wallte, war weiß, wie vom Alter. Aber das Gesicht hatte keine einzige Falte, und um das Kinn bemerkte man den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und kräftig; ebenso die Hände, als ruhe eine ungeheure Kraft in ihnen. Seine zart und fein geformten Füße waren wie die Arme bloß. Der Geist trug eine Tunika vom reinsten Weiß, und um seinen Körper schlang sich ein Gürtel von wunderbarem Schimmer. Er hielt einen frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand. Aber in seltsamem Widerspruch mit diesem Zeichen des Winters war sein Gewand mit Sommerblumen geschmückt. Das Wunderbarste aber war, daß aus der Krone auf seinem Haupte ein heller Lichtstrahl emporschoß, der alles rings erhellte, und der gewiß der Grund war, daß der Geist in weniger guter Stimmung einen großen Lichtauslöscher, den er jetzt unter dem Arme trug, als Kappe aufstülpte.
Aber eben das war noch nicht seine sonderbarste Eigenschaft. Denn wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell gewesen war, dunkel wurde, so verwandelte sich auch die Gestalt selbst auf unerklärliche Art. Bald war es ein Wesen mit einem Arm, bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald mit nur zwei Füßen ohne Kopf, bald ein Kopf ohne Körper. Wenn einer dieser Teile verschwand, blieb keine Spur von ihm in dem dichten Dunkel zurück, das ihn umfing. Und das größte Wunder dabei war, daß die Gestalt immer die gleiche blieb.
»Seid Ihr der Geist, dessen Erscheinung mir verkündet wurde?« fragte Scrooge.
»Ich bin es.«
Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als erklinge sie nicht dicht neben ihm, sondern aus einiger Ferne.
»Wer und was seid Ihr?« forschte Scrooge.
»Ich bin der Geist der vergangenen Weihnachten.«
»Der lange vergangenen?« fragte Scrooge, die zwerghafte Gestalt in Rechnung ziehend.
»Nein, deiner vergangenen.«
Vielleicht hätte Scrooge nicht sagen können, warum, wenn ihn jemand gefragt hätte; aber er hegte den besonderen Wunsch, den Geist in seiner Kappe zu sehen; und er bat ihn, sich zu bedecken.
»Was?« rief der Geist, »willst du so bald mit unfrommer Hand das Licht, das ich schenke, auslöschen? Ist es nicht genug, daß du einer von jenen bist, deren Leidenschaften diese Kappe hervorgebracht haben, und die mich zwingen, sie oft auf Jahre tief ins Gesicht zu ziehen?«
Scrooge widerrief demütig jede Absicht, daß er ihn habe etwa beleidigen wollen. Er versicherte hoch und teuer, nicht zu wissen, daß er je im Leben dem Geiste Ursache gegeben habe, sich zu bedecken. Dann war er so kühn zu fragen, welche Angelegenheit ihn hierher führe.
»Dein Heil!« sagte der Geist.
Scrooge versicherte ihm sehr seinen Dank, konnte sich aber nicht helfen als in den Gedanken, daß eine ungestörte Nachtruhe ihm mehr genützt haben würde. Der Geist mußte seine Gedanken durchschaut haben; denn er sagte alsbald: »Deine Besserung also. Nimm dich in acht!«
Er streckte bei diesen Worten seine starke Hand und ergriff sanft seinen Arm.
»Steh auf und komm mit!«
Umsonst würde Scrooge eingewendet haben, Wetter und Stunde seien zum Spazierengehen nicht sonderlich geeignet; das Bett sei warm und das Thermometer stände beträchtlich unter Null; er habe nur Pantoffel, Schlafrock und Nachtmütze und leide überdies an Schnupfen. Dem Griffe, wie von Frauenhand, war nicht zu widerstehen. Scrooge erhob sich; aber als er sah, daß der Geist dem Fenster zuschwebte, faßte er ihn flehend beim Gewande.
»Ich bin sterblich«, sagte Scrooge, »und würde stürzen, möchte ich noch so behutsam sein.«
»Laß dich nur von meiner Hand berühren«, sagte der Geist, indem er ihm die Hand auf das Herz legte, »und du wirst größere Gefahren überstehen, als eine solche.«
Als er diese Worte gesprochen hatte, verschwanden sie beide durch die Wände und standen plötzlich im Freien auf der Landstraße, rings von Fluren umgeben. Die Stadt war ganz versunken. Keine Spur war mehr davon übrig. Die Finsternis und der Nebel waren mit ihr verschwunden, denn es war jetzt ein klarer, kalter Wintertag, und der Boden von weißem, reinem Schnee bedeckt.
»Guter Himmel!« rief Scrooge, die Hände faltend, als er um sich blickte, »hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als Knabe.«
Der Geist sah ihn mit lindem Blicke an. Seine sanfte Berührung, obwohl sie nur leise und kurz gewesen war, klang immer noch in dem Herzen des alten Mannes nach. Er war sich tausenderlei Düfte in der Luft bewußt, deren ein jeder einzelne mit tausend Gedanken, Hoffnungen, Freuden und Sorgen verbunden war, die lange vergessen waren.
»Deine Lippe zittert«, sagte der Geist. »Und was ist denn das hier auf deiner Wange?«
Scrooge stammelte mit einem ungewöhnlichen Stocken in der Stimme, es sei ein Bläschen, und bat den Geist, ihn zu geleiten, wohin er wolle.
»Erinnerst du dich des Weges?« fragte der Geist.
»Ob ich mich seiner erinnere?« rief Scrooge mit Feuer, »ich könnte ihn mit verbundenen Augen finden.«
»Merkwürdig, daß du ihn so viele Jahre lang vergessen hast«, sagte der Geist. »Komm!«
Sie schritten den Weg entlang. Scrooge erkannte jedes Gatter, jeden Pfosten, jeden Baum wieder, bis ein kleiner Marktflecken in der Ferne mit seiner Kirche, seiner Brücke und dem sich windenden Fluß erschien. Nun erblickten sie einige zottige Ponies auf sich zutraben, mit Jungens auf ihren Rücken, die wieder anderen Jungens in ländlichen Wagen und Gefährten, getrieben von Farmern, laut zuriefen. Alle diese Jungens waren sehr vergnügt und laut, bis die weiten Felder so voll heiterer Musik waren, daß die kalte, sonnige Luft selbst mitzulachen schien.
»Dies sind bloß Schatten der Wesen, die gewesen sind«, sagte der Geist, »sie wissen nichts von uns.«
Die fröhlichen Reisenden kamen näher, und jetzt erkannte Scrooge sie alle und konnte sie alle bei Namen nennen. Wie war er erfreut über alle Begriffe, sie zu sehen! Wie leuchtete sein trockenkaltes Auge feucht auf! Wie jubelte sein Herz, als sie vorübereilten. Wie ward er von Frohsinn erfüllt, als sie an den Kreuzwegen voneinander schieden und sich fröhliche Weihnachten wünschten? Was waren fröhliche Weihnachten für Scrooge?
Zum Kuckuck mit fröhlichen Weihnachten! Was hatte er schon Gutes davon gehabt?
»Die Schule ist noch nicht ganz verlassen«, sagte der Geist. »Ein einsames Kind, von seinen Freunden verlassen, sitzt noch einsam dort.«
Scrooge sagte, er wisse es. Und er weinte.
Sie verließen jetzt die Chaussee auf einem wohlbekannten Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten Ziegeln, mit einer kleinen Kuppel auf dem Dache und darin eine Glocke. Es war ein großes Haus, aber jetzt nur Zeuge verflossenen Reichtums, denn die geräumigen Gemächer waren wenig benutzt, die Wände feucht und modrig, die Fenster zerbrochen, die Gitter zerfallen. Hühner gackerten und scharrten in den Ställen; und die Schuppen und Tennen waren mit Gras überwachsen. Auch im Innern war nichts von seinem alten Glanz übriggeblieben; denn als sie in den verödeten Hausflur traten und durch die offenen Türen in die vielen Zimmer blickten, gewahrten sie nur ärmlich ausgestattete, kalte, öde Räume. Ein modriger Geruch erfüllte die Luft, eine frostige Unfreundlichkeit schien über dem Ort zu lagern, der an Frühaufstehen bei Kerzenlicht und an Schmalhans als Küchenmeister erinnerte.
Sie schritten, der Geist und Scrooge, über den modrigen Hausflur zu einer Tür in der Rückfront des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen und zeigte ihnen einen langen, kahlen, trostlosen Saal, noch kahler und trostloser gemacht durch die Reihen von einfachen hölzernen Bänken.
Auf einer der Bänke saß ein einsamer Knabe neben einem schwachen Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und weinte, sein eigenes, vergessenes Ebenbild, wie es in früheren Jahren war, wiederzusehen.
Kein schwaches Echo in dem Hause, kein Rascheln der Mäuse hinter der Täfelung, kein Getröpfel der halbgefrorenen Wasserröhre in dem Hofe rückwärts, kein Seufzer in den blattlosen Zweigen einer verlassen trauernden Pappel, nicht das Klappen der vom Winde hin und her bewegten Tür der leeren Vorratsräume, selbst nicht das Knistern des Feuers waren für Scrooge verloren. Alles traf sein Herz mit rührenden Klängen und löste seine Tränen.
Der Geist berührte seinen Arm und deutete auf sein jüngeres, in ein Buch vertieftes Selbst. Überraschend stand auf einmal ein Mann in fremdartiger Kleidung da, wunderlich und seltsam anzusehen, mit einer Axt im Gürtel, der einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führte.2
»Wie! das ist ja Ali Baba!« rief Scrooge voller Freude aus. »Es ist der liebe, alte, brave Ali Baba. Ja, ja, ich weiß noch. Einst zu Weihnachten, als jener verlassene Knabe hier ganz allein saß, kam er zum erstenmal, gerade wie jetzt. Der arme Junge! Und Valentin«, fuhr Scrooge fort, »und sein wilder Bruder Orson, da gehen sie. Und wie hieß doch jener, der, während er schlief, vor das Tor von Damaskus gesetzt wurde? Siehst du ihn nicht! Und der Stallmeister des Sultans, der von den Genien auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er! Geschieht ihm recht! Warum mußte er auch die Prinzessin heiraten!«
Scrooge mit allem Ernst und mit einer sonderbaren Stimme zwischen Lachen und Weinen über solche Gegenstände reden zu hören und sein vor Freude erregtes Gesicht zu sehen, wäre für seine Geschäftsfreunde in der City in der Tat eine große Überraschung gewesen.
»Da ist auch der Papagei«, rief Scrooge, »mit grünem Leib und gelbem Schweif, da ist er! Oben auf dem Kopf wächst wie ein Gemüsebüschelchen ein Etwas heraus. ›Robinson Crusoe!‹ rief der Papagei ihm zu, als jener wieder von seiner Umsegelung der Insel nach Hause kam, ›Robinson Crusoe, wo bist du gewesen?‹ Er glaubte, er träume; aber es war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag nach der kleinen Landenge, um sein Leben zu retten. Hallo, hopp, hallo!«
Dann sagte er mit einem schnellen Wechsel der Gefühle, der seinem sonstigen Charakter sehr fremd war: »Der arme Knabe!« und er weinte von neuem.
»Ich wollte«, murmelte Scrooge, die Hand in die Tasche steckend und um sich blickend, nachdem er sich mit dem Rockaufschlag die Augen gerieben hatte, »aber es ist zu spät jetzt.«
»Was willst du?« fragte der Geist.
»Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern abend sang vor meiner Tür ein Knabe ein Weihnachtslied. Ich wünschte, ich hätte ihm etwas gegeben; das ist alles.«
Der Geist lächelte bedächtig, winkte mit der Hand und sagte dann: »Laß uns ein anderes Weihnachten sehen.«
Scrooges früheres Selbst wuchs bei diesen Worten, und das Zimmer wurde etwas dunkler und verschmutzter. Die Täfelung warf sich, die Fensterscheiben sprangen; Stücke Kalkbewurf fielen von der Decke und das nackte Bretterwerk zeigte sich; aber wie das alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er wußte nur, alles erfolge ganz gehörig, er sei es wieder, der dort allein sitze, während die anderen Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen Weihnachtsfeier.
Er las nicht, sondern ging in Verzweiflung und Düsternis im Zimmer auf und ab. Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen Kopfschütteln ängstlich nach der Tür.
Sie ging auf, und ein kleines Mädchen, viel jünger als der Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Nacken, küßte ihn und begrüßte ihn als ihren »lieben, lieben Bruder.«
»Ich komme, um dich nach Hause zu holen, lieber Bruder!« sagte das Kind, fröhlich in die Hände klatschend. »Dich nach Hause zu holen, nach Hause!«
»Nach Hause, liebe Fanny?« fragte der Knabe.
»Gewiß!« antwortete die Kleine, in überströmender Fröhlichkeit. »Nach Hause und für immer. Der Vater ist soviel freundlicher als sonst, daß es bei uns wie im Himmel zugeht. Er sprach eines Abends, als ich zu Bett ging, so freundlich mit mir, daß ich mir den Mut nahm und ihn noch einmal fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest. Er sagte ja und sendet mich im Wagen her, um dich zu holen. Und du sollst jetzt dein eigner Herr sein«, sagte das Kind, und blickte ihn bewundernd an, »und nicht mehr hierher zurückreisen. Aber erst sollen wir alle zusammen das Weihnachtsfest feiern und die fröhlichste Feier in der ganzen Welt haben.«
»Du bist ja eine richtige Dame geworden, kleine Fanny!« rief der Knabe aus.
Sie klatschte in die Hände, lachte und versuchte, bis an seinen Kopf zu reichen; aber da sie zu klein war, lachte sie wieder und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie ihn in kindlicher Ungeduld nach der Tür, und er begleitete sie mit leichtem Herzen.
Eine schreckliche Stimme in dem Hausflur rief: »Bringt Master Scrooges Koffer herunter!« Und in dem Hausflur erschien der Schullehrer selbst, der Master Scrooge mit erschreckender Herablassung musterte und ihn in große Angst versetzte, als er ihm die Hand drückte. Dann geleitete er ihn und seine Schwester in das Innere eines unfreundlichen, feuchtkalten Sprechzimmers, wo die Landkarten an den Wänden und in den Fenstern vor Kälte glänzten. Hier brachte er einen Krug merkwürdig leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen herbei und bewirtete das Jungvolk schonend sparsam mit diesen auserlesenen Leckerbissen. Zugleich schickte er eine hungrig aussehende Magd hinaus, um dem Post-Boy ein Schlückchen anzubieten, wofür dieser aber mit der Bemerkung dankte, wenn es von demselben Faß wie das vorige sei, möchte er lieber nicht davon probieren. Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf dem Wagen befestigt worden, und die Kinder nahmen ohne Bedauern von dem Schulmeister Abschied, setzten sich in die Kutsche und fuhren so schnell zum Garten hinaus, daß der Reif und der Schnee von den dunklen Blättern des Immergrüns wie Puder stoben.
»Sie war immer ein zartes Wesen, das ein Hauch hätte vernichten können«, sagte der Geist. »Aber sie hatte ein liebreiches Herz.«
»Ja, das hatte sie«, rief Scrooge. »Ich will nicht widersprechen, Geist. Gott behüte! nein.«
»Sie starb verheiratet«, sagte der Geist, »und hatte Kinder, glaube ich.«
»Eines nur«, antwortete Scrooge.
»Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe.«
Scrooge schien unruhig in seinem Gemüt zu werden und er antwortete kurz: »Ja«.
Obgleich sie die Schule nur einen Augenblick hinter sich gelassen hatten, befanden sie sich doch jetzt mitten in den lebendigsten Straßen der Stadt, wo schattenhafte Fußgänger hin und her eilten, wo gespenstische Wagen und Kutschen um den Weg kämpften, und wo alles Gedränge und aller Lärm einer wirklichen Stadt war. An dem Schmuck der Läden erkannte man deutlich, daß auch hier Weihnachten sei; aber es war Abend, und die Straßenlaternen waren angezündet.
Der Geist blieb vor einer Geschäftstür stehen und fragte Scrooge, ob er sie kenne.
»Ob ich sie kenne?« meinte Scrooge. »Habe ich hier nicht gelernt?«