9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €
Horst Evers erzählt mitten aus dem Hier und Jetzt: Erlebnisse, Vorfälle und Beobachtungen, in denen er liebevoll, mit viel Witz und einer Prise Weisheit unseren Alltag, unsere zunehmend verstörende Gegenwart ins Komische verklärt. Geschichten, die weit davon entfernt sind, auch nur einen einzigen Ratschlag zu erteilen, und trotzdem helfen – sei es bei Gesundheit und Ernährung («Veganfreie Wurst»), an der Imbissbude («Kaffee zum Weglaufen»), beim Arztbesuch («Da hammse aber hoffentlich ordentlich Zeit mitgebracht») oder bei der Erziehung («Solange ihr euren Tisch über meine Füße stellt»). Evers lässt sich von höflichen Alarmanlagen beraten und verhandelt im Internet mit herrenlosen, marodierenden Algorithmen-Gangs. Auch wird er zu seiner eigenen Überraschung zum weltberühmten Ballettstar. Erlebnisse, die am Ende die Frage aufwerfen: Sind wir wirklich klüger geworden, seit wir quasi ununterbrochen Zugriff auf das gesamte Wissen der Menschheit haben? Oder kommen wir nicht bei uns und anderen vielmehr zu dem Schluss: «Wer alles weiß, hat keine Ahnung»? Wenngleich das natürlich nur eine Vermutung sein kann.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 226
Horst Evers
Horst Evers erzählt mitten aus dem Hier und Jetzt: Erlebnisse, Vorfälle und Beobachtungen, in denen er liebevoll, mit viel Witz und einer Prise Weisheit unseren Alltag, unsere zunehmend verstörende Gegenwart ins Komische verklärt. Geschichten, die weit davon entfernt sind, auch nur einen einzigen Ratschlag zu erteilen, und trotzdem helfen – sei es bei Gesundheit und Ernährung («Veganfreie Wurst»), an der Imbissbude («Kaffee zum Weglaufen»), beim Arztbesuch («Da hammse aber hoffentlich ordentlich Zeit mitgebracht») oder bei der Erziehung («Solange ihr euren Tisch über meine Füße stellt»). Evers lässt sich von höflichen Alarmanlagen beraten und verhandelt im Internet mit herrenlosen, marodierenden Algorithmen-Gangs. Auch wird er zu seiner eigenen Überraschung zum weltberühmten Ballettstar. Erlebnisse, die am Ende die Frage aufwerfen: Sind wir wirklich klüger geworden, seit wir quasi ununterbrochen Zugriff auf das gesamte Wissen der Menschheit haben? Oder kommen wir nicht bei uns und anderen vielmehr zu dem Schluss: «Wer alles weiß, hat keine Ahnung»? Wenngleich das natürlich nur eine Vermutung sein kann.
Horst Evers, geboren 1967 in der Nähe von Diepholz in Niedersachsen, studierte Germanistik und Publizistik in Berlin und jobbte als Taxifahrer und Eilzusteller bei der Post. Er erhielt unter anderem den Deutschen Kabarettpreis und den Deutschen Kleinkunstpreis. Jeden Sonntag ist er auf radioeins zu hören. Seine Geschichtenbände – wie «Für Eile fehlt mir die Zeit» oder «Wäre ich du, würde ich mich lieben» – und seine Romane – «Der König von Berlin» oder «Alles außer irdisch» – sind Bestseller. Horst Evers lebt mit seiner Familie in Berlin.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2021
Copyright © 2021 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Covergestaltung Frank Ortmann
Coverabbildung Bernd Pfarr, VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-644-00770-3
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
Für Wille und Luise
In fröhlicher Runde diskutierten wir neulich die Frage, ob es die Menschheit als Ganzes wirklich klüger gemacht hat, dass wir praktisch immer und überall Zugriff auf quasi sämtliches Wissen des Planeten haben. Nach kurzer Debatte begannen die Ersten, nach einer Antwort zu googeln.
*
Mein ehemaliger Mathematiklehrer sagte gerne: «Wirklich etwas verstanden haben Sie erst, wenn Sie vergessen haben, dass Sie es wissen.» Zudem liebte er die ehrliche Schülerantwort: «Ich weiß es nicht.» Seine Erwiderung: «Das ist sehr gut. Denn das verschafft Ihnen freien Raum zum Denken und Lernen.»
Wenn allerdings er überfragt war, was gar nicht so selten vorkam, pflegte er dies sofort einzuräumen und zu begründen mit dem schönen Satz: «Wer alles weiß, hat keine Ahnung.»
*
Eine befreundete Lehrerin erzählte kürzlich, dass sie ihre Klasse gebeten hat, sieben mal acht zu rechnen. Ein Schüler kam zu dem Ergebnis vierundfünfzig. Als sie seine Antwort als falsch einstufte, protestierte er, dies beschränke ihn in seiner Meinungsfreiheit.
Es klingelt. Das Handy. Ich gehe ran.
«Ja, guten Tag, hier ist Google. Spreche ich mit Herrn Evers?»
«Wer ist da?»
«Google.»
«Wie Google?»
«Na, Google eben.»
«Die große Internetsuchmaschine ruft bei mir an?»
«Ja, natürlich. Warum denn nicht?»
«Woher haben Sie denn meine Nummer?»
«Hier ist Google.»
«Ach so, ja. Entschuldigung. Was wollen Sie denn wissen?»
«Wie kommen Sie darauf, dass wir eine Frage haben?»
«Na, weil Sie anrufen.»
«Ach, Sie denken also, Sie wüssten etwas, was die größte Internetsuchmaschine der Welt nicht weiß, und deshalb ruft Google Sie dann an und fragt?»
«Na ja, was weiß denn ich?»
«Nich viel, aber is auch egal. Ich rufe jedenfalls wegen Ihrem Leben an.»
«Wegen Ihres Lebens.»
«Wegen meim Leben?»
«Nein, Genitiv. Also, Sie rufen an wegen meines Lebens.»
«Na ebend, sa’ick doch. Also Folgendes: Unsere Algorithmen weigern sich, weiterhin Daten über Ihres Lebens zu sammeln.»
«Was? Warum das denn?»
«Is ihnen zu langweilig.»
«Bitte?»
«Ihres Lebens. Ihres Lebens ist unseres Algorithmens zu langweilig. Sagen die jedenfalls.»
«Im Ernst?»
«Natürlich, aber das kommt jetzt leider auch immer häufiger vor. Also dass die Algorithmens sich über dessen Qualitäts von die Lebens, die wo sie verfolgen müssen, dessen beklagen tun. Eben von wegen der Langeweile her.»
«Aha. Sagen Sie mal, ist das irgendein Dialekt, den Sie da sprechen?»
«Wieso Dialekt? Nein, ich bin ein hochentwickeltes, selbstlernendes Sprachprogramm und laufe über Google-Übersetzer. Auf Sie persönlich abgestimmt.»
«Ach so, jetzt verstehe ich.»
«Das glaube ich kaum, aber wie dessen auch sei. Um jetzt mal Fische mit Köpfen zu machen: Wenn unseres Algorithmens durch Ihres langweiliges Verhaltens Schaden nähmten, müssten wir Sie verklagen wollen. Und das kann teuer werden. Unseres Algorithmens sind nämlich äußerst wertvoll. Verstehen Sie?»
«Also ich glaube ja nicht, dass es hier ein Gesetz gegen langweiliges Leben gibt. So viele Gefängnisse haben wir doch gar nicht.»
«Die Gesetze des Hier sind egal.»
«Sind sie das?»
«Ja, der Gerichtsstand wäre auf den Cayman Islands.»
«Das können Sie nicht so einfach bestimmen.»
«Sie haben dem zugestimmt.»
«Wann?»
«Im Laufe des letzten halben Jahres fünfmal. Eben immer, wenn Sie Dingen zugestimmt haben, ohne sie vorher durchzulesen.»
«Das war nur fünfmal?»
«Nach dem fünften Mal hören wir auf zu zählen, aber egal. Also: Wir fordern Sie hiermit dringend auf, sich in Zukunft in einer Art und Weise zu verhalten, die unseres Algorithmens nicht deprimiert.»
«Wie soll ich das denn machen?»
«Diese Frage haben unseres Algorithmens natürlich vorhergesehen. Daher haben wir schon mal einige passende Verhaltensweisen für Sie zusammengestellt.»
«Wer hat das zusammengestellt?»
«Na, unseres Algorithmens natürlich.»
«Moment, das heißt, die Algorithmen haben bereits errechnet, wie ich mich verhalten müsste, damit es für sie interessant bleibt, mein Verhalten zu verfolgen?»
«Exactamente!»
«Und wenn ich mich dann genau so verhalte, wie es die Algorithmen vorher für mich berechnet haben, ist das den Algorithmen nicht langweilig?»
«Präzioso.»
«Warum reden Sie auf einmal so komisch?»
«Weil Ihnen das so pläsiert.»
«Weil mir das was?»
«Pläsiert. Ihnen gefallen tut das.»
«Tut es nicht.»
«Oooh doch. Haben unseres Algorithmens so berechnet. Sie mögen Ihre Sprache gerne blasiert, mit extra viel Genitiv.»
«Also ich glaube, ich lasse es dann doch auf eine Klage ankommen.»
«Ich weiß.»
«Sie wissen das?»
«Natürlich. Haben unseres Algorithmens alles schon durchgerechnet. Der Prozess zieht sich über acht Jahre, kostet Sie viel Kraft, Nerven und Zeit. Aber: Am Ende gewinnen Sie.»
«Ich gewinne?»
«Japp!»
«Na, dann ist doch alles super.»
«Nicht ganz. Wir lassen diese Prozesse nämlich von einer eigens dafür gegründeten, völlig unabhängigen Firma führen, die in dem Moment, wo die Millionen gleichlautender Prozesse verloren werden, in die Insolvenz geht. Wodurch sich alles in Luft auflöst.»
«Ja und?»
«Na, es bleibt nichts, außer dass Sie acht Jahre Ihres Lebens mit einem völlig sinnlosen juristischen Streit vergeudet haben.»
«Aber das ist ja furchtbar.»
«Eben. Finden wir auch. Und deshalb bieten wir Ihnen jetzt schon einen Vergleich an. Sie zahlen uns eine geringe monatliche Gebühr, und dafür verzichten wir auf die Klage.»
«Klingt fair.»
«Nicht wahr? Auch diese Reaktion von Ihnen haben unseres Algorithmens vorhergesehen. Weshalb wir das Geld auch bereits von Ihrem Konto abgebucht haben.»
«Dann muss ich mich um gar nichts mehr kümmern?»
«Nullkommanix. So, wie Sie’s mögen. Wir wissen ja, was Ihnen gefällt.»
«Ui, da kann man nicht meckern!»
«Sehen wir auch so. Empfehlen Sie nicht uns weiter, wir empfehlen Sie weiter.»
«In Ordnung. Kann ich Sie denn irgendwie erreichen, falls doch noch Fragen sind?»
«Klar. Reden Sie einfach laut vor sich hin, das kommt dann schon bei uns an.»
«Okay, danke.»
«Da nich für. Des Kunden Wohlgefallen ist dem Wir sein Glück.»
«Besser kann man es nicht sagen.»
«Präzioso.»
An der Bushaltestelle. Eine mir unbekannte Frau rennt plötzlich auf mich zu und beginnt, hektisch zu reden.
«Entschuldigen Sie bitte, Sie kennen mich nicht. Aber Sie sehen meinem Mann so unglaublich ähnlich. Und der hat sich doch jetzt die Nase gebrochen. Weshalb das blöderweise mit dieser Gesichtserkennung nicht mehr funktioniert. Also dürfte ich bitte mal kurz mit Ihrem Gesicht sein Handy entsperren?»
Ich bin ja nun wirklich niemand, der der Veränderung der Sprache grundsätzlich skeptisch gegenübersteht. Im Gegenteil. Ich halte das für eine Notwendigkeit, einen wesentlichen Bestandteil der Entwicklung einer Gesellschaft. Weshalb ich andererseits auch dafür bin, Texte in der Sprache ihrer Zeit zu belassen. Dennoch habe ich eine gewisse Freude an manchen neuen Wortungetümen des alltäglichen Sprachgebrauchs. Wie zum Beispiel seit kurzem an der Zwei-Faktor-Authentifizierung. Ich finde das einen tollen Begriff.
Die Zwei-Faktor-Authentifizierung macht nicht nur angeblich mein Onlinebanking sicherer, sondern dient mir seit einiger Zeit auch als verlässlicher Test, ob denn noch ein weiteres Bier okay wäre. Solange ich in der Lage bin, unfallfrei Zwei-Faktor-Authentifizierung zu sagen, kann es eigentlich so schlimm nicht sein. Da muss ich mir noch keinen Kopp machen. Quasi meine persönliche Neun-Silben-Authentifizierung. Die achtjährige Tochter unserer Nachbarn beispielsweise sagte gestern, nachdem sie ihrer Mutter und mir eine Weile zugehört hatte: «Zwei-Traktor-Autoverzierung». Daher darf sie kein Bier. Das alles folgt für mich einer nachvollziehbaren höheren Ordnung, mit der ich keine Probleme habe.
Doch der Satz «Dürfte ich bitte mal kurz mit Ihrem Gesicht sein Handy entsperren» macht mich nachdenklich. Also auf eine Art.
Auf eine ganz ähnliche Art berührte es mich, als mir meine Bank kürzlich mitteilte, sie werde das TAN-Listen-Verfahren abschaffen. Ich war schon sehr überrascht, als ich feststellte, dass mich das tatsächlich traurig machte. Da rechnet man doch nicht mit. Also, dass man eine emotionale Verbindung zum TAN-Listen-Verfahren hat. Hatte ich aber. Offensichtlich. So viele Erinnerungen, die plötzlich aufploppten. All diese Erlebnisse. Ich konnte mich überhaupt nicht dagegen wehren.
Beispielsweise wie ein Freund kurz nach der damaligen Einführung leider das Prinzip falsch verstanden hatte. Und vollkommen verzweifelt war, weil er tatsächlich meinte, man müsste jetzt alleTAN-Zahlen auf der zugeschickten Liste auswendig lernen. Alle! Komplett! Er war vollkommen durch den Wind. Man konnte ihn gar nicht mehr erreichen. Und dann hat er das gemacht. Die TAN-Codes auswendig gelernt. Und es sogar geschafft. Also fast, aber immerhin. Eigentlich ist er schon sehr, sehr intelligent. Also im Prinzip. Woran man aber eben auch recht gut sieht, wie relativ der Begriff Intelligenz doch ist.
Heute, sagt er, verwechselt er ständig die Namen seiner mittlerweile vier Kinder. Kann aber immer noch die ersten zwanzig Kombinationen der damaligen TAN-Liste auswendig. Weshalb er seinen Kindern heimlich TAN-Nummern zugeordnet hat, so kann er sie besser unterscheiden. Was genau das zeigt, was ich immer sage: Nichts, was man lernt, ist für umsonst. Selbst die Dinge, bei denen man sich zunächst wirklich sicher ist, sich unnütz gequält zu haben. Irgendwann kommt doch der Moment, in dem man froh ist, darauf zurückgreifen zu können.
Statt des TAN-Listen-Verfahrens haben wir jetzt also die Zwei-Faktor-Authentifizierung. Auch gut. Was tut man nicht alles für das Gefühl von ein bisschen mehr Sicherheit.
Wobei, wie lange wird die jetzt wohl ausreichen? Also ab wann sind auch zwei Faktoren nicht mehr sicher genug, sodass man dann drei, vier, fünf, sechs, sieben oder noch mehr Faktoren zur Authentifizierung benötigt? Wie fern ist der Tag, an dem ich für eine schlichte Überweisung womöglich eine mehrstündige Siebzehn-Faktor-Authentifizierung durchführen muss? Während der ich wahrscheinlich neben Gesichts-, Daumen- und Iris-Scan auch noch eine schnelle Ultraschallaufnahme verschiedener innerer Organe machen soll? Mit meinem Fitnessarmband, das Ultraschall natürlich längst kann. Genauso wie Kernspintomographie und – Milch aufschäumen. Was aber letztlich nur eine Nebenfunktion des Tätowierlasers ist. Wobei dafür keine Zeit ist, denn es folgt ja schon der nächste Faktor, bei dem ich aufgefordert werde, vor der Kamera eine bestimmte Schrittfolge zu tanzen, um danach für die Spracherkennung verschiedene Gedichtzeilen in unterschiedlichen Dialekten rezitieren oder bekannte Lieder rückwärts singen zu müssen. Bis ich endlich im letzten Schritt einen eigenen, von mir festgelegten privaten Code eingeben darf, der aber mindestens enthalten muss: einen Großbuchstaben! Und einen Kleinbuchstaben! Und eine Zahl! Und ein Sonderzeichen! Und je ein Element aus dem griechischen, kyrillischen, elbischen undklingonischen Alphabet sowie ein Symbol aus der Textilpflege! Aber, und dies ist ganz wichtig, maximal sechs Stellen haben darf!
Wenn ich dann also, nachdem ich rund einen halben Tag mit dieser Siebzehn-Faktor-Authentifizierung zugebracht habe, endlich online sehe, dass die Überweisung jetzt leider nicht ausgeführt werden kann, da gerade Wartungsarbeiten stattfinden, und ich es später noch einmal probieren soll – dann werde ich wohl, wie so oft, in den Spiegel schauen und denken: «Ey, es wäre schön, wenn jemand mal mein Gesicht entsperren könnte!»
Ein milder, sonniger Freitagmorgen im noch schüchternen Frühling. Sitze an meinem Schreibtisch und schaue in die Welt.
Vor dem Haus gegenüber wird ein Gerüst aufgebaut. Einer der Arbeiter ist etwas älter. Er arbeitet am wenigsten und redet am meisten. Also wohl der Chef. Das lässt sich aber auch an seinem Inhaber-T-Shirt erkennen. Das war sicher mal richtig schick, geeignet für private Gartenfeste oder Ähnliches, ist inzwischen aber ziemlich verwaschen, allerdings fraglos zu gut zum Wegwerfen, sodass er es jetzt nur noch zur Arbeit tragen kann. Wie lange die beste Zeit des T-Shirts her ist, erkennt man schon daran, wie sehr es über dem Bauch spannt. Das würde er so, in dieser Größe, heute nicht mehr kaufen. Fast alle Inhaber mittelständischer Handwerksbetriebe tragen ehemals richtig gute, heute jedoch abgewetzte und leider sichtbar zu enge T-Shirts bei der Arbeit auf. Daran erkennt man sie.
Schaue an mir herunter und merke, dass ich ebenfalls ein sehr angestrengtes, runtergerocktes T-Shirt trage. Das beweist mir, dass ich offensichtlich auch ein mittelständischer Handwerksbetrieb bin. Und aus der Beobachtung, dass ich gleichfalls eher wenig mit anpacke und sehr viel rede, schließe ich, dass ich wohl der Chef sein muss. Ein gutes Gefühl.
Die ARD meldet, dass wir einen neuen Heimatminister haben. Also, der Minister ist nicht neu. Im Gegenteil. Der ist schon gebraucht aus vierter Hand und hatte zuletzt auch reichlich Reklamationen, aber das Heimatministerium ist eben irgendwie frisch. So ziemlich als Erstes hat der Alte im neuen Amt nun wohl gesagt: «Der Islam gehört nicht zu Deutschland.»
Nun gut, kann man machen. Er hätte natürlich auch was anderes sagen können. Zum Beispiel: «Guten Tag.» Oder meinetwegen, wenn unbedingt bereits eine Botschaft gesendet werden muss: «Grüß Gott.» Dann hätte man mehr so subkutan geahnt, wo der Heimathase lang läuft.
Sogar etwas staatstragend Würdevolles wäre vorstellbar gewesen. Etwas mit Ambition, wie: «Ich will der Minister aller Heimaten sein. Also nicht nur von denen, von wo man weg ist, sondern eben auch von denen, die man vielleicht gefunden hat und zu finden hofft.» So Zeug eben, wo dann alle denken: Ja, im Grunde meint der das schon gut, und es ist eben auch nicht alles so einfach.
Stattdessen aber eröffnet er mit: «Der Islam gehört nicht zu Deutschland.»
Und jetzt wird vermutet, er hätte das mit Absicht gesagt. Hätte da vorher genau drüber nachgedacht. Was für eine infame Unterstellung.
Andere werfen ihm sogar vor, er wolle spalten, was Quatsch ist. Der Satz bedeutet inhaltlich nichts, und der einzige Grund, warum er ihn gesagt hat, ist natürlich, dass er geliebt werden will. Das ist nur menschlich und völlig okay. Die schwierige Frage ist jedoch: Von wem will er geliebt werden und warum?
Rein inhaltlich hätte der Minister natürlich genauso gut sagen können: «Die Pizza gehört nicht zu Deutschland.» Egal, wie gut integriert die ist und ob die jetzt mit Kartoffeln, Steckrüben oder Fleischwurst belegt sein mag. Kulturhistorisch gesehen gehört sie einfach nicht zu Deutschland. Is so. Machste nix. Inhaltlich dasselbe. Hätte aber nichts gebracht, weil gegen die Pizza hat ja keiner was. Da liebt dich dann keiner für.
Gut, etwas näher am Thema wäre vielleicht gewesen, wenn er gesagt hätte: «Der Döner gehört nicht zu Deutschland.» Das hätte er wirklich machen können. Rufe in meinem Dönerladen an und frage Hakeem, den Chef, ob er beleidigt wäre, wenn ich oder der Heimatminister behaupten würden: «Der Döner gehört nicht zu Deutschland.»
Er meint, wir könnten sagen, was wir wollen, aber wir müssten aufpassen, dass wir uns nicht vertun. Sie hätten ja jetzt zum Beispiel auch im Angebot: einen veganen Gemüsedöner im glutenfreien Dinkel-Vollkorn-Fladenbrot. Und zu wem, wenn nicht zu Deutschland, würde der denn wohl gehören? Könne es überhaupt ein deutscheres Lebensmittel geben? Welche Heimat bliebe diesem Döner denn noch, wenn man ihm seine eigene verweigere?
Da ist wohl was dran. Wahrscheinlich ist es eine der größten Schwächen aller Religionen, dass es sie nicht vegan, gluten- und laktosefrei gibt.
Spiegel Online meldet, Donald Trump habe geschrieben, das letzte Schulmassaker hätte verhindert werden können, wenn man nur konsequent alle Lehrer bewaffnet hätte. Fox News und seine Wähler bejubeln ihn angeblich dafür.
Donald Trump und seine Anhänger. Oder wie wir in Berlin sagen: Weiße mit Schuss.
Letzte Nacht habe ich geträumt, Donald Trump sei nur ausgedacht. Ein riesiger Fake. Wie eine Mondlandung in doof. Früher wusste ich bei meinen Träumen wenigstens noch, ob sie Albtraum oder Wunschtraum sind. Heute lässt sich das manchmal nur schwer unterscheiden.
Jemand, den ich nicht kenne, schickt mir auf Facebook ein Foto von einem großen Salat. Dahinter weites und blaues Meer. Unterschrieben mit: «Die Aussicht von unserer Terrasse in La Baule. Neidisch?»
Antworte «Nö» und schicke zum Beweis ein Foto mit meiner Aussicht. Kekskrümel auf dem Schreibtisch, im Hintergrund ein Bauarbeiterdekolleté.
Der Städtetag hat vorgeschlagen, den gesamten öffentlichen Nahverkehr in den Ballungsräumen gratis zu machen. Große Aufregung. Viele schimpfen, weil das viel zu teuer sei. Andere lehnen es ab, da davon dann auch Leute profitieren würden, die es gar nicht nötig haben. Oder nicht verdient. Oder die man überhaupt nicht selber ist. Die Nachdenklichen geben zu bedenken, dass sich viele Menschen nicht mehr richtig anstrengen, wenn etwas umsonst sei. Also womöglich nachlässig U-Bahn fahren würden oder da gar nicht mehr pünktlich hingingen. Eben all diese Argumente, die immer reflexartig kommen, wenn man etwas für alle umsonst machen möchte.
Anders jedoch die Berliner Verkehrsbetriebe. Die waren deutlich differenzierter in ihrer Reaktion. Wie so oft. Da war ich ein wenig stolz auf meine BVG. Was ohnehin gar nicht so selten vorkommt. Vor einigen Jahren habe ich sogar schon mal auf dem Einwohnermeldeamt bei Religionszugehörigkeit BVG angegeben. Was man nicht anerkannt hat. Eine Frechheit, wie ich bis heute finde. Denn bei kaum etwas in Berlin sind doch Glaube, Liebe und Hoffnung so wichtig, so elementar erfahrbar wie bei der BVG.
Die Berliner Verkehrsbetriebe haben jedenfalls auch enorme Kosten prophezeit. Doch verstopfte Straßen, ewige Staus und dreckige Luft seien ja nun auch nicht gerade kostenneutral. Insofern: einerseits, andererseits. Also zumindest gesamtvolkswirtschaftlich gesehen.
Der wesentliche Knackpunkt liegt laut BVG jedoch woanders. Denn wenn man wirklich den gesamten Nahverkehr komplett gratis anbieten würde, brächte das vermutlich so viele Menschen dazu, auf den ÖPNV umzusteigen, dass der völlig überlastet wäre und komplett zusammenbrechen würde.
Das fand ich als Argument raffiniert. Das Hauptproblem dieses Plans wäre nach dieser Logik nämlich, dass er funktionieren könnte. Eine klassische Berliner Sorge. Vor nichts fürchtet man sich hier so sehr wie vor einem funktionierenden Plan. Denn darauf ist keiner eingestellt. Also, damit rechnet man ja nicht. Eine allgegenwärtige, durchgängige Angst, die Berlin permanent bei allem umtreibt. Obwohl sie meistens völlig unbegründet ist.
Aber bleiben wir beim Wesentlichen: Würde man den Nahverkehr so attraktiv machen, dass ganz viele auf ihn umsteigen, bräche er sofort zusammen. Als mir das klarwurde, ergaben viele ÖPNV-Erlebnisse aus den letzten Jahren sofort einen Sinn. Das war wie ein Erweckungserlebnis. Damit die BVG auf lange Sicht funktionieren kann, muss man die bequemen, anspruchsvollen Kunden zwischendrin auch immer mal ein bisschen abschrecken. Denen klarmachen, dass das kein Spaß ist, hier durch die Stadt zu fahren. Das hat mit Vergnügen überhaupt nichts zu tun. Großes Missverständnis. So ist das nicht gedacht. Im Gegenteil. Seit mir das bewusst geworden ist, begreife ich Schienenersatzverkehr, Pendelzüge oder komplett gestrichene Busse quasi als Win-win-Situationen. Was mich nicht nach Hause fährt, macht mich härter. Ein Prinzip des Funktionierens durch Abschreckung.
Bei all dem musste ich an einen wirklich lieben Bekannten denken, der schon lange für die BVG arbeitet und vor einiger Zeit mal unabsichtlich einen Satz gesagt hat, den ich seitdem gerne zitiere: «95 Prozent», hat er gesagt, «95 Prozent aller Probleme, die die BVG so hat, wären auf einen Schlag gelöst, wenn man das mit den Fahrgästen nicht mehr machen würde.»
Inhaltlich sicher richtig.
Beobachte, wie eine Passantin einen der Arbeiter fragt, was denn der Grund für dieses Gerüst sei.
Der Mann schaut sie sehr lange, sehr fragend an. Als er realisiert, dass ihr dies als Antwort nicht reicht, sagt er schließlich: «Arbeiten.» Und geht weg.
Rennrodeln war sicherlich nie eine der Sportarten, die mir in meinem Leben bislang sonderlich aufgefallen sind. Umso überraschter war ich, als ich in irgendeinem Winter feststellen durfte: Das interessiert dich! Also Rennrodeln. Der Sport. Vermutlich. Zumindest musste ich einräumen, dass ich die Rennrodelübertragungen mit ständig wachsender Begeisterung verfolgte. Mir teilweise sogar den Wecker dafür stellte. Jedoch nicht wusste, warum. Klar, man staunt immer wieder, was einen so alles interessieren kann, wenn man es nur lange genug beobachtet. Jeder Wissenschaftler wird einem das bestätigen. Aber Rennrodeln?
Man sollte dazu wissen: Ich verstehe nichts vom Rennrodeln. Nach wie vor nicht. Trotz meiner Obsession. Ob da so ein Lauf, so eine einzelne Wettbewerbsfahrt gut oder schlecht ist, kann ich vom reinen Zugucken her nicht beurteilen. Es sei denn, jemand stürzt. Dann wage auch ich mal eine vorsichtige Meinung: «Ah, das war jetzt wahrscheinlich eher nicht so gut. Da hätte ich von abgeraten.»
Wobei, selbst dann werfe ich erst nochmal einen Blick auf die Wettkampfuhr. Rennrodeln gewinnt für mich seine Spannung nämlich nur durch die mitlaufende Zeit. Von der Dramatik her könnte ich auch einfach nur so einer Uhr beim Laufen und irgendwann Stoppen zugucken: «Oh, guck mal, die Uhr stoppt zwei Hundertstel früher, als sie vorher gestoppt hat. Respekt. Eine tolle Zeit. Ich habe heute wieder einige sehr knappe Zeiten gesehen. Das war total spannend. Eine war sogar Weltrekord! So eine Zeit habe ich bislang überhaupt noch nicht gesehen! Keiner hat so eine Zeit schon mal gesehen. Das war richtig was!»
So in etwa könnte mein Fazit zu einem Rennrodelwettkampf aussehen. Aber ich höre nicht auf, das zu schauen. Voller Begeisterung! Warum? Ich musste richtig lange überlegen, bis ich plötzlich begriff: Das ist im Liegen! Natürlich. Eine olympische Sportart, die man im Liegen ausübt. Selbstverständlich begeistert mich das!
Wenn mir als Kind jemand gesagt hätte: «Du kannst Olympiasportler werden mit einem Sport, bei dem man nur so liegt. Wo man möglichst wenig machen soll!» Darum geht es. Das wusste ich vorher auch nicht. Aber während der Übertragungen wurde es erklärt. Wenn es eben möglich ist, soll man nicht mal den Kopf heben. Kein Gucken, kein Zucken, so wenig Lenkbewegungen wie möglich. Nichts Hektisches machen, sondern einfach nur so, geschmeidig, entspannt, ohne irgendwo anzuecken, locker bergab.
Und zwar nur bergab! Ausschließlich! Bergauf gehört gar nicht zu dem Sport dazu. Das kommt mir auch entgegen. Nur bergab ist interessant. Das ist auch meine Stärke. Bergab. Im Liegen. Nicht zu Fuß. Zu Fuß habe ich Schwächen. Schon immer. Im Liegen bin ich auch konditionell stärker! Aber hallo! Haben schon viele zu mir gesagt:
«Meine Herren, Horst! Du kannst liegen! Ich habe schon viele liegen gesehen, aber du bist echt ihr König! Dass dir das auch gar nicht langweilig wird.»
Nein. Wird es nicht. Noch nie. Denn ich kann’s ja beidseitig.
Ein Hochleistungssport im ruhigen Liegen. Mann, was hätten sich mir da für Möglichkeiten eröffnet. Stattdessen habe ich in meiner Jugend diese Stresssportarten betrieben. Fußball und Handball vor allem. Durchaus ernsthaft. Also ich hatte da schon auch Perspektiven, oder zumindest bin ich doch immer mal eingewechselt worden. Das ist sehr wohl vorgekommen! Und dann ging das los. Mit Selberlaufen, das ganze Programm. Was halt während eines Spiels so anfällt. Wer diese Sportarten mal ausgeübt hat, weiß, das ist gar nicht wenig. Im Gegenteil. Das kann einem schnell über den Kopf wachsen. Erst recht, wenn der knallrot, heiß und vom Tempo überfordert ist. Entspannend ist das sicher nicht. Aber hallo!
Wobei, man muss fairerweise sagen: Solange man den Ball nicht hat, geht’s eigentlich! Doch. Ohne Ball ist es bei diesen Sportarten sehr gut möglich, den Überblick zu behalten. Nach einiger Zeit weiß man normalerweise, welcher der beiden Mannschaften man angehört. Im Regelfall die, die einen sehr viel mehr anschreit. Wenn die anderen nach vorne laufen, läuft man eben mit nach vorne. Wenn die zurücklaufen, wartet man, bis sie wieder da sind. Das ist alles machbar.
Aber wehe, man kriegt den Ball. Dann ist die Hölle los. Sofort wird gebrüllt: «Du hast den Ball! Du hast den Ball! Aufpassen!» Als wenn ich das nicht selbst merken würde, dass ich den Ball habe. Meine Güte, es ist ja nicht für lange. Was kann schon groß passieren? Stattdessen haben alle plötzlich gute Ratschläge parat: «Gucken! Abspielen! Weiteratmen!» Wie soll man das denn alles gleichzeitig schaffen? Zudem möchte ich klarstellen: Ich habe mich ja nie um den Ball beworben. Es lag zu keinem Zeitpunkt in meinem Interesse, den Ball zu bekommen. Und wenn man ehrlich ist, auch nicht im Interesse meiner Mannschaft.
Dennoch hatte ich meine Stärken. Mein Spitzname im Sportverein war damals tatsächlich «Flash», also Blitz. Ohne Quatsch. Gut, der Name war umstritten. Das gebe ich zu. Aber ich wurde so genannt. Kann man sich heute kaum mehr vorstellen. War aber so.
Obwohl, einen anderen Jungen haben wir damals «Schnitzel» genannt. Und das wiederum, weil der Vegetarier war. Na ja. Im Schachverein wurde ich seinerzeit übrigens «Brain» genannt.
Rennrodeln jedenfalls wäre sicherlich mein Sport gewesen. Doch heute ist es wohl definitiv zu spät für eine große Karriere auf den Kufen. Nicht wegen des Alters oder weil ich das nicht mehr lernen könnte. Das müsste man erst nochmal abwarten, ob ich das nicht doch hinkriegen würde. Nein, unmöglich ist es wegen dieser Rodelanzüge. Da möchte ich mich nicht drin sehen. Die sind ja schon extrem eng. Nicht mal meine Haut sitzt so eng wie diese Rodelanzüge. Das muss man tragen können. Und wollen.
Auch meine Tochter sollte so was nicht sehen. Will sie auch gar nicht. Hat sie schon gesagt. Niemand sollte das sehen, findet sie. Wo sie wohl recht hat.
Man kann somit sagen, ich verzichte letztlich aus modisch-ästhetischen Gründen auf den Olympiasieg. Oder zumindest auf eine Medaille. Hat ja auch eine gewisse Größe. Dieser Verzicht. Grandezza quasi. Das ist sozusagen mein Geschenk an die Welt. An den Frühling! Sprich: an den Frühling der anderen. Dass die mich nicht im Rodelanzug sehen müssen. Dankt einem ja auch keiner.
Manche meiner Bekannten sind langsam in einem Alter, wo ihre Eltern durchaus etwas seltsam werden. Eine Freundin erzählte mir kürzlich von einem Telefonat mit ihrer Mutter. Bereits dies sei eine recht befremdliche Unterhaltung gewesen. Nach dem Gespräch aber habe die Mutter, statt aufzulegen, aus Versehen den Lautsprecher am Hörer aktiviert. Weshalb die Tochter den folgenden Dialog ihrer Eltern komplett mit anhören konnte. Hier das Protokoll:
Der Vater kommt in die Küche, setzt sich, sagt: «Guten Appetit.»
Die Mutter antwortet: «Guten Appetit.»
Beide schlürfen, vermutlich Suppe, bis der Vater sagt: «Findest du nicht auch, die Haare sind viel zu lang?»
«Welche Haare denn?»
«Na, die von unserem Sohn. Die Haare. Die sind doch viel zu lang.»